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Die Presse Schaufenster

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Jamie Cullum ist auch schon über dreißig. Das ehemalige<br />

britische Bubenwunder des Jazz, das zehn Millionen<br />

Alben verkauft hat, entwickelt sich rasant weiter. Cullums<br />

neues Album „Momentum“ ist seine bisher poppigste<br />

Liedersammlung. Thematisch geht es um den oft<br />

unmerklichen Wechsel von Adoleszenz zum Erwachsensein.<br />

Seit der Pianist und Sänger mit der 19 Zentimeter<br />

größeren Sophie Dahl, Modell und Autorin, verheiratet ist und<br />

zwei Töchter hat, wähnt er sich erwachsen. Das „<strong>Schaufenster</strong>“ traf<br />

den Sonnyboy im Londoner Metropolis-Studio.<br />

Auf Ihrem neuen Album thematisieren Sie den heiklen Übergang<br />

von der Jugend zum Erwachsensein. Warum dies?<br />

Es war eigentlich keine bewusste Wahl. Als ich die Lieder schrieb,<br />

hatte ich zunächst kein übergeordnetes Thema. Mir fiel bloß im<br />

Nachhinein auf, dass ich diesmal zwei Arten von Liedern geschrieben<br />

habe: jene, in denen ich mich nach der Sorglosigkeit der<br />

Jugendtage sehne, und dann jene, in denen ich ein neues Lebensverständnis<br />

äußere. Es war mir wichtig zu reflektieren, was es<br />

bedeutet, ein Mensch in dieser Gesellschaft zu sein.<br />

Haben Ihre zwei Töchter Sie erwachsen gemacht?<br />

Das würde ich schon so sehen. Meine Heirat mit Sophie und meine<br />

Kinder haben meine Perspektive radikal erweitert. Davor war alles<br />

nur ego, und ich habe mit verschiedenen Identitäten geliebäugelt.<br />

Wenn du Familie hast, musst du zu deinen Wurzeln zurückkehren,<br />

dich auf etwas festlegen. Dann wird es wichtig, dass du Werte hast.<br />

Musikalisch ist „Momentum“ aber ein Aufbruch Richtung Popmusik.<br />

Wie passt das zu dem, was Sie davor gemacht haben?<br />

Schwer zu sagen. Aber der neue Sound ist natürlich ein totaler<br />

Fortschritt. Ich fühle mich als Künstler nun voll entwickelt. Schon<br />

allein deshalb, weil ich gleichzeitig auch ein Jazzalbum aufgenommen<br />

habe, das zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht wird.<br />

Warum bleibt das Aufnehmen von Alben wichtig für einen Künstler<br />

in einer Ära, in der die CD gefährdet zu sein scheint?<br />

Man muss ein Werk vorweisen können. Für mich ist das physikalische<br />

Produkt aber kein Fetisch. Wichtig ist, dass man Entwicklungsschritte<br />

eines Künstlers nachvollziehen kann. Das ist auch<br />

digital möglich. Man macht zwar heute lieber Promotion für Singles,<br />

trotzdem ist es noch immer so, dass, wenn den Fans drei Lieder<br />

gefallen, sie das Album kaufen.<br />

Sie haben mit Dan The Automator und Jim Abbiss zwei Produzenten<br />

gewählt. Warum das?<br />

Eigentlich waren es vier Produzenten. Der Grund dafür ist simpel.<br />

Wir haben einfach so viel experimentiert. Jim Abbiss ist ein herrlicher<br />

Wirrkopf. Er hat so unterschiedliche Kollegen wie Adele und<br />

die Arctic Monkeys produziert, aber auch viel für das Label Mo<br />

Wax gearbeitet. Dans Stärke ist sein Sinn für fette Grooves.<br />

Sie haben für „Momentum“ auch ungewöhnliche Instrumente<br />

eingesetzt, etwa Billig-Keyboards aus Charity-Shops. Wieso?<br />

Ich habe ein Faible für billige Sounds und sammle alte Keyboards<br />

aller Art. Meine musikalischen Ideen setze ich auf allem um, was<br />

gerade herumsteht. Das kann am Konzertflügel genauso passieren<br />

wie am einoktavigen Spielzeug-Keyboard oder auch am iPhone.<br />

Ihr schönes Lied „Sad Sad World“ haben Sie im Zug komponiert?<br />

Ja. Dennoch bin ich ein Befürworter fixer Arbeitszeiten. Dabei<br />

kommt man in einen Rhythmus, der letztlich die Kreativität freisetzt.<br />

Bei „Sad Sad World“ habe ich mich während einer Bahnfahrt<br />

mit einer App namens iMachine herumgespielt. <strong>Die</strong> Leute haben<br />

oft so romantische Ideen vom Künstler, glauben, dass er auf einem<br />

Hügel im Sonnenuntergang auf dem Grand Piano seine Melodien<br />

entwirft. <strong>Die</strong> Wirklichkeit ist viel profaner. In dem Fall hatte ich<br />

kurz vor dem musikalischen Einfall ein fad schmeckendes Sandwich<br />

gegessen, ehe die schöne Melodie aus mir herausploppte.<br />

Ihre Alben zeichnen sich durch einen attraktiven Mix aus wohltuenden<br />

Retrosounds und zeitgenössischem Krawall aus. Haben<br />

Sie eine Formel für die richtige Mischung?<br />

Das Klangbild ergibt sich. <strong>Die</strong> Zeiten, in denen es noch einheitliche<br />

Sounds für eine Dekade gegeben hat, sind lange vorbei. <strong>Die</strong> Gegenwart<br />

ist eine Ära der Freiheit, weil man die Klänge von hundert Jahren<br />

Populärmusik nützen und sie nach Belieben mischen kann.<br />

Klangtraditionen zu brechen ist wichtiger, als ihnen zu folgen.<br />

Gerade im Jazz sehe ich die Notwendigkeit, dass möglichst spontan<br />

aufgenommen werden muss. Mein akustisches Jazzalbum war<br />

heuer im Jänner in fünf Tagen fertig. So muss das gehen. Völlig neu<br />

erfunden habe ich mich übrigens nicht. Auf „Momentum“ ist vieles<br />

zu hören, was Jamie Cullum ausmacht. Mir ist in erster Linie die<br />

Qualität der Lieder wichtig. Ob das dann unter Pop oder Jazz rubriziert<br />

wird, ist mir egal. Als Komponist wäre es ja auch langweilig,<br />

vertrackte Akkordwechsel auszuhecken, wenn man eine klare<br />

emotionale Botschaft vermitteln will s<br />

Tipp<br />

„Momentum“. Das neue Album von Jamie Cullum erscheint am 17. Mai bei Universal.<br />

Am 20. Juli ist er bei der Nova Jazz & Blues Night in Wiesen zu Gast.

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