Zwischen Schutz und Maskerade - RAV
Zwischen Schutz und Maskerade - RAV
Zwischen Schutz und Maskerade - RAV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
früchte der folter<br />
StammhEimEr ProZESS bEStätigt kritik am § 129b Stgb<br />
cHriStina cLeMM <strong>und</strong> uLricH von KLinggräFF<br />
Im ersten § 129b Verfahren in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
gegen mutmaßliche Mitglieder<br />
der DHKP–C liebäugelt der Rechtsstaat<br />
nicht nur mit der Umgehung des<br />
Folterverbotes.<br />
Seit dem 17. März 2008 wird vor dem<br />
Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gegen fünf<br />
vermeintliche Mitglieder der verbotenen türkischen<br />
Organisation DHKP–C (dt.: Revolutionäre<br />
Volksbefreiungspartei–Front) verhandelt.<br />
Einige der Angeklagten befinden sich seit November<br />
2006 in Untersuchungshaft. Die Anklage<br />
wirft ihnen vor, von Deutschland aus als<br />
Teil der so genannten Rückfront terroristische<br />
Aktivitäten der Organisation in der Türkei unterstützt<br />
zu haben. Im Zentrum steht ein dubioser<br />
Waffentransport, den ein mutmaßlicher<br />
Doppelagent durchgeführt haben will.<br />
Mit dem 2002 in Kraft getretenen § 129b<br />
StGB wurden erstmalig terroristische Vereinigungen<br />
im Ausland in den Geltungsbereich<br />
des deutschen Strafgesetzbuches einbezogen.<br />
Bislang richtete er sich überwiegend gegen<br />
islamistische Gruppierungen. Nun wird die<br />
Strafnorm in Stuttgart–Stammheim erstmalig<br />
gegen eine linke Gruppierung angewandt.<br />
Die DHKP–C ist aus der bis zum Militärputsch<br />
in der Türkei im Jahr 1980 relativ einflussreichen<br />
militanten Organisation Dev–Sol (dt.:<br />
Revolutionäre Linke) hervorgegangen. Als deren<br />
Nachfolgeorganisation wurde die DHKP–C<br />
1998 in der B<strong>und</strong>esrepublik verboten.<br />
Das Verfahren in Stuttgart–Stammheim bestätigt<br />
in all seinen Facetten die Kritik, die an<br />
der Norm des § 129b StGB geäußert wird. Diese<br />
bezieht sich — wie auch bei den §§ 129/129a<br />
StGB — auf die nahezu unbeschränkten polizeilichen<br />
Sonderrechte im Ermittlungsverfahren,<br />
die Vorverlagerung des Strafrechts in<br />
das Vorfeld konkreter strafbarer Handlungen<br />
sowie die Unbestimmtheit der Norm. Hinzukommt<br />
beim § 129b StGB die Gefahr der Steuerung<br />
der Verfahren durch Geheimdienste, die<br />
Verwertung von Beweismitteln, die mithilfe<br />
verbotener Vernehmungsmethoden gewonnen<br />
worden sind, sowie der Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip.<br />
Ein § 129b–Verfahren gegen eine Organisation<br />
aus einem Nicht–EU–Land kann durch<br />
die B<strong>und</strong>esanwaltschaft nur nach Genehmigung<br />
durch das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz<br />
eingeleitet werden. Die Strafverfolgung unterliegt<br />
also einer politischen Vorprüfung durch<br />
die Exekutive. Sie entscheidet, ob im Einzelfall<br />
eine strafrechtliche Verfolgung als opportun<br />
angesehen wird oder nicht. Die Entscheidung<br />
ist von tages– <strong>und</strong> bündnispolitischen Erwägungen<br />
abhängig: Gilt eine bestimmte Gruppe<br />
<strong>RAV</strong> INfobRIef #102 AUGUST 2009 . Seite 27