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Fallbesprechung Arbeitsrecht - RheinAhrCampus

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Rudolf Simon Barth - 0 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

<strong>Fallbesprechung</strong> <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

Fachhochschule Koblenz<br />

<strong>RheinAhrCampus</strong><br />

Fallbearbeitung<br />

(Fall Nr.16)<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong><br />

vorgelegt von:<br />

Rudolf Simon Barth<br />

Ines Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Dozent:<br />

Prof. Dr.iur. H. Haarmeyer<br />

Wintersemester 2001/2002


Rudolf Simon Barth - 1 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

GLIEDERUNG<br />

EINLEITUNG..........................................................................................................2<br />

SACHVERHALT......................................................................................................3<br />

2. AUSARBEITUNG DER KERNINHALTE/ KERNFRAGEN DES SACHVERHAL<br />

2.1.1 13. MONATSGEHALT.............................................................................4-7<br />

2.1.2 TARIFVERTRAG.....................................................................................8-10<br />

2.1.3 ERZIEHUNGSURLAUB........................................................................10-14<br />

2.1.4 ZWISCHENERGEBNIS................................................................................15<br />

2.2 ABMAHNUNG.......................................................................................15-19<br />

2.21 RECHTMÄßIGKEIT DER ABMAHNUNG.................................................15-19<br />

2.2.2 ANSPRUCH AUF RÜCKNAHME DER ABMAHNUNG....................................19<br />

2.2.3 ZWISCHENERGEBNIS.................................................................................19<br />

2.3 AUßERORDENTLICHE KÜNDIGUNUNG................................................19-21<br />

2.3.1 VORAUSSETZUNG DER AUßERORDENTLICHEN KÜNDIGUNG...................20<br />

2.3.2 WICHTIGER GRUND IM SINNE DES §626 I BGB...............................20-21<br />

2.3.3 SCHRIFTFORM..........................................................................................21<br />

2.3.4 AUSSCHLUSSFRIST DES §626 II BGB......................................................22<br />

3. FRAGEN ZUM SACHVERHALT.................................................................... 22-25<br />

LITERATURVERTEICHNIS....................................................................................26<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................27


Rudolf Simon Barth - 2 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Einleitung<br />

Die hier vorgelegte Arbeit ist .Teil der Studienleistung für die Veranstaltung „<strong>Arbeitsrecht</strong>“.<br />

Sie beinhaltet entsprechend der Aufgabenstellung die Bearbeitung und Lösung des Falles Nr.<br />

16 aus dem Buch ‘<strong>Arbeitsrecht</strong> kompakt: Von der Bewerbung bis zum Kündigungsschutz’.<br />

Diese schriftliche Arbeit ist Grundlage für die Präsentation, die im Rahmen der <strong>Arbeitsrecht</strong>s-<br />

vorlesung am 04. Dezember 2001 am <strong>RheinAhrCampus</strong> von uns vorgetragen wird.<br />

Im ersten Teil werden wir zunächst den Sachverhalt des vorgegebenen Falles vorstellen. Der<br />

Erziehungsurlaub, das Tarifvertragsrecht, das Problem der Gratifikationen (13. Monatsgehalt),<br />

die Abmahnung und die außerordentliche Kündigung durch die Arbeitnehmerin werden wir<br />

im Rahmen der Fallösung als Kernprobleme dieses Falles im zweiten Teil behandeln. Im<br />

letzten Teil werden wir die Fragen beantworten, die sich an die Aufgabenstellung anschließen.


Rudolf Simon Barth - 3 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

1. SACHVERHALT<br />

Frau M hat am 1. Juni Erziehungsurlaub für ein Jahr angetreten. Es gilt ein Tarifvertrag, in<br />

dem für die Fälle des „ruhenden Arbeitsverhältnisses“ (Grundwehr- und Zivildienst sowie<br />

unbezahlte Freistellung, die über 2 Wochen hinausgeht) das 13. Monatsgehalt nur anteilig<br />

gezahlt wird. Der Arbeitgeber bezieht sich auf diese Passage und gewährt ihr am Jahresende<br />

5/12 eines Monatseinkommens für Januar bis Mai. M verlangt ein volles 13. Monatsgehalt, da<br />

ihr Fall nicht unter die Ausnahmeregelung des Tarifvertrags falle. Der Arbeitgeber reagiert<br />

mit einer Abmahnung und droht eine außerordentliche Kündigung an, weil sich M „in betrü-<br />

gerischer Absicht zusätzliches Einkommen habe verschaffen“ wollen. Frau M teilt darauf dem<br />

Arbeitgeber mit, sie sei entrüstet über dieses Mißtrauen und kündigt deshalb aus wichtigem<br />

Grund den Arbeitsvertrag.


Rudolf Simon Barth - 4 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

2. AUSARBEITUNG DER KERNINHALTE/KERNFRAGEN DES SACHVERHALTS<br />

2.1 ERZIEHUNGSURLAUB/13. MONATSGEHALT/TARIFVERTRAG<br />

Hat Frau M einen Anspruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehaltes oder hat der Ar-<br />

beitgeber zu Recht - unter Berufung auf den Tarifvertrag - das 13. Monatsgehalt nur anteilig<br />

ausgezahlt?<br />

2.1.1 13. MONATSGEHALT<br />

Eine Kernfrage des Sachverhaltes ist, ob Frau M einen Anspruch auf Auszahlung eines vollen<br />

13. Monatsgehaltes hat.<br />

Zunächst muss daher festgestellt werden, wie der Begriff des 13. Monatsgehalts zu definieren<br />

ist und woraus sich ein solcher Anspruch ergeben könnte.<br />

Bei einem 13. Monatsgehalt handelt es sich um eine Sonderzahlung, eine Gratifikation des<br />

Arbeitgebers. Es handelt sich um eine Sonderzuwendung des Arbeitgebers, die neben der Ar-<br />

beitsvergütung auf Grund eines bestimmten Anlasses gewährt wird 1 .<br />

Bekannte Gratifikationen sind das Weihnachtsgeld, Jahresabschlussprämien oder wie im vor-<br />

liegenden Fall das 13. Monatsgehalt 2 .<br />

Generell sind 3 Arten von Gratifikationen zu unterscheiden<br />

Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter<br />

- Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter<br />

- Sonderzahlungen ausschließlich für Betriebstreue<br />

- Sonderzahlungen mit Mischcharakter<br />

Solche Sonderzahlungen stellen eine zusätzliche Vergütung für tatsächlich schon erbrachte<br />

Dienste dar. Sie sind also strikt arbeitsleistungsbezogen. Mit ihnen verfolgt der Arbeitgeber<br />

nämlich außer einer zusätzlichen Vergütung keinen weiteren Zweck. Sie sind Arbeitsentgelt<br />

im engeren Sinne. Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter sind verdiente Arbeitsvergütung.<br />

Also hat der Arbeitnehmer stets - ggf. anteilig - einen Anspruch auf Zahlung der verdienten<br />

Vergütung, sofern er die Arbeitsleistung seinerseits erbracht hat 3 .<br />

1 Gebhard/Umnuß § 8 Rn. 12<br />

2 Gebhard/Umnuß § 8 Rn.12; Brox/Rüthers Rn. 116


Rudolf Simon Barth - 5 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Sonderzahlungen ausschließlich für Betriebstreue/Sonderzahlung ohne Entgeltcharakter<br />

Das extreme Gegenteil zu dieser ersten Gruppe sind Sonderzahlungen, die nur für Betrieb-<br />

streue eines Arbeitnehmers gezahlt werden. Die tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung<br />

ist nicht Anspruchsvoraussetzung. Es kommt also allein auf das Bestehen des Arbeitsverhält-<br />

nis im Bezugszeitraum an.<br />

Eine solche Gratifikation liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich klar-<br />

stellt, dass die Sonderzahlung auch Arbeitnehmern gewährt wird, die über das gesamte Jahr<br />

arbeitsunfähig krank oder eben im Erziehungsurlaub waren. Beispiel: Jeder Mitarbeiter erhält<br />

1.000 DM anläßlich des 100jährigen Firmenjubiläums.<br />

Diese Art der Gratifikation ist aber in der Praxis sehr selten. Im Zweifel knüpft nämlich der<br />

Arbeitgeber die Zahlung einer Gratifikation zumindest auch an die im Bezugsjahr erbrachte<br />

Arbeitsleistung 4 .<br />

Sonderzahlungen ohne Entgeltcharakter können grundsätzlich mit einem Rückzahlungsvorbe-<br />

halt für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der nächsten Zeit vorge-<br />

nommen werden. Sie müssen für den Arbeitnehmer zumutbar sein und dürfen ihn nicht für<br />

einen zu langen Zeitraum binden. Es darf durch den Rückzahlungsvorbehalt nicht zu einem<br />

unzumutbaren Kündigungshindernis kommen 5 .<br />

Das Bundesarbeitsgericht hat folgende Grundsätze für die Zumutbarkeit von Rückzahlungs-<br />

vorbehalte aufgestellt:<br />

- Bei Gratifikationen bis zu 200 DM sind Rückzahlungsvereinbarungen unwirksam.<br />

- Bei Gratifikationen bis zu 1 Monatsgehalt sind Rückzahlungsvereinbarungen, die über den<br />

31. März des Folgejahres hinausgehen, unwirksam.<br />

- Bei Gratifikationen in Höhe 1 Monatsgehalts und mehr sind Rückzahlungsvereinbarungen,<br />

die über den 30. Juni des Folgejahres hinausgehen, unwirksam 6 .<br />

Ist eine Rückzahlungsvereinbarung unzumutbar lang, so ist nicht die gesamte Gratifikations-<br />

abrede nach § 139 BGB nichtig. Vielmehr ist zum Schutz des Arbeitnehmers davon auszuge-<br />

hen, dass nur die Rückzahlungsvereinbarung unwirksam ist 7 .<br />

3 Gebhard/Umnuß § 8 Rn.17<br />

4 Gebhard/Umnuß § 8 Rn.20; Brox/Rüthers Rn.116<br />

5 Gebhard/Umnuß § 8 Rn. 21<br />

6 Gebhard/Umbuß § 8 Rn.21; Schaub § 78 V Rn. 1,2<br />

7 Gebhard/Umnuß § 8 Rn.21


Rudolf Simon Barth - 6 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Sonderzahlungen mit Mischcharakter<br />

Bei dieser Art der Gratifikation werden Elemente aus den beiden vorausgegangenen Gruppen<br />

vereinigt. Die Auszahlung der Gratifikation dient zum einen der Belohnung vergangener und /<br />

oder zukünftiger Betriebstreue, indem der Arbeitgeber die Auszahlung von einer bestimmten<br />

Dauer der bisherigen und künftigen Betriebszugehörigkeit abhängig macht. Zum anderen soll<br />

aber durch die Gratifikationszahlung zusätzlich schon geleistete Arbeit honoriert werden 8 .<br />

Hat eine Sonderzahlung also Entgeltcharakter und verfolgt der Arbeitgeber mit der Zahlung<br />

noch andere Zwecke, so gelten folgende Grundsätze:<br />

- Erfolgte Arbeitsleistung ist nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf die Sonderzahlung.<br />

Die Sonderzahlung mit Mischcharakter wird daher wie eine Gratifikation ohne Entgeltcha<br />

rakter behandelt 9 .<br />

- Rückzahlungsklauseln sind unwirksam.<br />

Sonderzahlungen<br />

ohne Entgeltcharakter mit Entgeltcharakter mit Mischcharakter<br />

tatsächliche Arbeitsleistung<br />

ist Anspruchsvoraussetzung<br />

nein ja nein<br />

Rückzahlungsklauseln<br />

bei Ausscheiden aus<br />

dem Arbeitsverhältnis<br />

wirksam<br />

mit Einschränkungen:<br />

- Betrag über 200 DM<br />

- Bindung max. 6 Monate<br />

Problematisch ist, in welche der genannten Gruppen hier das von Frau M begehrte 13. Mo-<br />

natsgehalt einzuordnen ist.<br />

Das 13. Monatsgehalt ist grundsätzliche ein typisches Beispiel für eine Sonderzahlung mit<br />

reinem Entgeltcharakter.<br />

8 Gebhard/Umnuß § 8 Rn. 22<br />

9 BAG NZA 1993, 353<br />

nein<br />

nein


Rudolf Simon Barth - 7 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Auch die Auslegung des im Sachverhalt angesprochene Tarifvertrages ergibt hier, dass die<br />

Auszahlung des 13. Monatsgehaltes hier nur von der im Bezugsjahr erbrachten Arbeitslei-<br />

stung abhängig sein soll. Wurde nämlich - auf Grund des Ruhens des Arbeitsverhältnisses für<br />

eine bestimmte Zeit - keine Arbeitsleistung erbracht, hat der Arbeitgeber das Recht das 13.<br />

Monatsgehalt anteilig entsprechend zu kürzen. Diese tarifvertragliche Ausnahmeregelung für<br />

die anteilige Auszahlung des 13. Monatsgehalts bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses enthält<br />

keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Leistung des 13. Monatsgehalts auch eine Belohnung<br />

oder Förderung der Betriebstreue bezweckt werden soll. Weder wird für den Anspruch eine<br />

bestimmte Wartezeit vorausgesetzt, noch wird auf den Bestand eines ungekündigten Arbeits-<br />

verhältnisses zum Ende des Bezugszeitraums abgestellt. Auch eine Rückzahlungsklausel ist<br />

hier nicht erkennbar.<br />

Fraglich ist weiterhin, auf welcher Rechtsgrundlage der Anspruch auf Zahlung einer Gratifi-<br />

kation, hier der Anspruch auf Zahlung eines 13. Monatsgehalts, gestützt werden kann.<br />

Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich aus den Gesetzen selbst kein Anspruch auf Zah-<br />

lung einer Gratifikation, eines 13. Monatsgehalts ergibt. Auch kann ein derartiger Anspruch<br />

weder mit Gewohnheitsrecht noch mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers begründet wer-<br />

den 10 .<br />

Anspruchsgrundlage können aber ansonsten alle anderen Rechtsquellen des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

sein, nämlich:<br />

- ein Tarifvertrag im Sinne des TVG<br />

- eine Betriebsvereinbarung im Sinne von § 77 Abs.3 BetrVG<br />

- der Einzelarbeitsvertrag<br />

- die betriebliche Übung<br />

- der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

Im hier vorliegenden Fall kann davon ausgegangenen werden, dass der Anspruch auf Zahlung<br />

eines 13. Monatsgehalts durch den Arbeitgeber in einem Tarifvertrag vereinbart wurde. Aus<br />

dem Sachverhalt ergibt sich ausdrücklich, dass für die Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis<br />

10 Brox/Rüthers Rn.116


Rudolf Simon Barth - 8 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

ruht, nur ein anteiliges 13. Monatsgehalt ausgezahlt werden soll. Diese Regelung läßt den<br />

Schluss zu, dass auch der Anspruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts im Tarifver-<br />

trag geregelt ist.<br />

2.1.2 TARIFVERTRAG<br />

Zu untersuchen ist nunmehr, wie der Begriff des Tarifvertrags zu verstehen ist und ob Frau M<br />

gestützt auf diesen, hier einen Anspruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts geltend<br />

machen kann.<br />

Der Tarifvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag zwischen tariffähigen Parteien zur Regelung<br />

arbeitsrechtlicher Rechte und Pflichten und zur Festsetzung von Rechtsnormen 11 . Der Tarif-<br />

vertrag wirkt auf Grund seines normativen Charakters auf die in seinem Geltungsbereich ge-<br />

schlossenen Individualarbeitsverträge unmittelbar ein 12 . Der Tarifvertrag hat eine Doppelna-<br />

tur. Zunächst hat jeder Tarifvertrag einen schuldrechtlichen Teil, in dem die einzelnen Recht<br />

und Pflichten geregelt werden, die zwischen den Tarifvertragsparteien als solchen bestehen<br />

sollen. Dieser Teil gilt nur zwischen den Tarifvertragsparteien. Darüber hinaus hat der Tarif-<br />

vertrag einen normativen Teil. Hier werden von den Tarifvertragsparteien allgemeine Arbeits-<br />

bedingungen festgelegt, die unmittelbar auf die einzelnen Arbeitsverträge einwirken. Bei die-<br />

sem Teil handelt es sich letzlich um durch die Tarifvertragsparteien einverständlich gesetzte<br />

Rechtsnormen.<br />

Eine Auslegung dieses normativen Teils erfolgt daher nach den Grundsätzen über die Ausle-<br />

gung eines Gesetztes. Beim Tarifvertrag handelt es sich also um eine privatrechtlichen kol-<br />

lektiven Normenvertrag 13 .<br />

Als Tarifvertragsparteien kommen nach § 2 Abs.1 TVG nur tariffähige Rechtssubjekte in Be-<br />

tracht. Auf der Arbeitnehmerseite können das die Gewerkschaften oder Zusammenschlüsse<br />

von Gewerkschaften, auf der Arbeitgeberseite die Arbeitgeberverbände oder ihre Spitzenorga-<br />

nisationen sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsmäßigen Aufgaben<br />

gehört, § 2 Abs. 2 und 3 TVG 14 . Tarifvertragspartei kann auch immer der einzelne Arbeitge-<br />

ber sein.<br />

11 Brox/Rüthers Rn. 249<br />

12 Brox/Rüthers Rn. 249,250<br />

13 Gebhardt/Umnuß § 20 Rn.6 und Rn.7


Rudolf Simon Barth - 9 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Das Bundesarbeitsgericht und das Bundesverfassungsgericht haben in ihrer Rechtsprechung<br />

Mindestanforderungen für Verbände zur Zuerkennung von Tariffähigkeit aufgestellt. Diese<br />

sind 15 :<br />

Die Vereinigung muss eine Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sein<br />

Die Vereinigung muss tarifwillig sein, d. h. sie muss den Abschluss von Tarifverträgen<br />

anstreben<br />

Die Vereinigung muss demokratisch organisiert sein.<br />

Die Vereinigung muss eine gewisse Mächtigkeit haben, um auch einen gewissen Druck auf<br />

den Tarifpartner ausüben zu können.<br />

Die Vereinigung muss das staatliche Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht anerken-<br />

nen.<br />

Die Vereinigung muss eine dauerhafte Organisation und Leistungsfähigkeit aufweisen.<br />

Der Tarifvertrag kann von den Tarifvertragsparteien nur innerhalb ihres räumlichen und sach-<br />

lichen Geschäftsbereichs abgeschlossen werden. Der Tarifvertrag bedarf nach § 1 Abs. 2 TVG<br />

der Schriftform.<br />

Gemäß §§ 1 Abs.1, 4 Abs.1 TVG wirkt der normative Teil des Tarifvertrags unmittelbar und<br />

zwingend auf die Arbeitsverhältnisse in seinem Geltungsbereich ein. Diese Einwirkung ist<br />

einseitig zwingend, da gemäß § 4 Abs.3 TVG nur für den Arbeitnehmer günstigere Regelun-<br />

gen zulässig sind („Günstigkeitsprinzip“).<br />

Normen des Tarifvertrages verdrängen deshalb zu ungunsten der Arbeitnehmer abweichende<br />

Regelungen und ergänzen daher den jeweiligen Arbeitsvertrag 16 .<br />

Fraglich ist, ob der Tarifvertrag hier auf das Arbeitsverhältnis von Frau M anwendbar ist.<br />

Nach § 3 Abs. 1 TVG entfaltet der Tarifvertrag seine normative Wirkung nur gegenüber tarif-<br />

gebundenen Vertragsparteien. Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG nur die Mitglieder der<br />

Tarifvertragsparteien.<br />

14 Gebhardt/Umnuß § 20 Rn.19<br />

15 Gebhard/Umnuß § 20 Rn.20<br />

16 Gebhard/Umnuß § 20 Rn.43


Rudolf Simon Barth - 10 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Der Arbeitnehmer ist nur tarifgebunden, wenn er Mitglied der tarifvertragsschließenden Ge-<br />

werkschaft ist. Der Arbeitgeber ist tarifgebunden, wenn er entweder selbst den Tarifvertrag<br />

abgeschlossen hat oder Mitglied des tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbandes ist 17 .<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können aber auch im Individualarbeitsvertrag vereinbaren,<br />

dass die Regelungen des Tarifvertrags auch auf den Individualarbeitsvertrag anwendbar sein<br />

sollen 18 .<br />

Hier ist auf Grund des Wortlautes des Sachverhalts davon auszugehen, dass hier ein Tarifver-<br />

trag zwischen dem Arbeitgeber und Frau M grundsätzlich zur Anwendung kommt. Es sei also<br />

dahingestellt, ob Frau M Gewerkschaftsmitglied ist oder ob ihr Einzelarbeitsvertrag die An-<br />

wendbarkeit des Tarifvertrags vorsieht.<br />

Es bleibt also festzuhalten, dass der Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Frau M grund-<br />

sätzlich Anwendung findet und daher grundsätzlich auch Anspruchsgrundlage für einen An-<br />

spruch auf Zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts sein kann.<br />

2.1.3 ERZIEHUNGSURLAUB<br />

Problematisch ist hier aber, dass Frau M sich seit dem 01. Juni des Bezugsjahres in Erzie-<br />

hungsurlaub befindet. Es stellt sich hier zunächst die Frage, was unter dem Begriff des Erzie-<br />

hungsurlaubs zu verstehen ist und wie sich seine Inanspruchnahme durch Frau M auf das Ar-<br />

beitsverhältnis auswirkt.<br />

Durch das Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG)<br />

wurde 1986 ein Erziehungsurlaub eingeführt. Das Gesetz wurde am 01.12.2000 geändert. Der<br />

Erziehungsurlaub wird nun als „Elternzeit“ bezeichnet.<br />

Durch den Erziehungsurlaub soll die Betreuung und Erziehung eines Kindes durch einen El-<br />

ternteil während der ersten Lebensphase gefördert werden 19 .<br />

17 Gebhard/Umnuß § 20 Rn.37<br />

18 Gebhard/Umnuß § 20 Rn.40<br />

19 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 15 BErzGG Rn.1 ff


Rudolf Simon Barth - 11 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Der Anspruch auf Erziehungsurlaub ist ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Freistellung von<br />

der Arbeit aus Anlaß der Geburt und Betreuung des Kindes 20 . Der Anspruch ist ausgeschlos-<br />

sen während der Mutterschutzfristen nach der Geburt sowie bei fehlender Erwerbstätigkeit des<br />

Ehegatten oder wenn dieser Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, § 15 II BErzGG 21 .<br />

Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten und Heim-<br />

arbeiter. Der Anspruch setzt außerdem das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus 22 .<br />

Anspruch auf Erziehungsurlaub haben Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres<br />

eines Kindes, wenn sie<br />

(1) - mit einem Kind, für das sie die Personensorge haben,<br />

- mit einem Kind des Ehegatten,<br />

- mit einem Kind, das sie mit dem Ziel der Annahme als Kind in Obhut genommen<br />

haben<br />

- mit ihrem Kind als Nichtsorgeberechtigter<br />

in einem Haushalt leben<br />

und<br />

(2) dieses Kind selbst betreuen und erziehen.<br />

Der Anspruch auf Erziehungsurlaub kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt<br />

werden 23 .<br />

Während des Erziehungsurlaubs darf keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt werden. Es soll<br />

sichergestellt werden, dass die Betreuung des Kindes tatsächlich gewährleistet ist. Der Arbeit-<br />

nehmer im Erziehungsurlaub darf aber bis zu 30 Wochenstunden arbeiten, § 15 BErzGG.<br />

Der Erziehungsurlaub setzt ein einseitiges Verlangen des Arbeitnehmers voraus und bedarf<br />

nicht der Zustimmung des Arbeitgebers, § 16 Abs.1 BErzGG 24 .<br />

Dabei ist es zulässig, dass die Eltern sich bei der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs<br />

abwechseln, § 16 BErzGG.<br />

20 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 15 BErzGG Rn.1 ff; Schaub § 102 Rn. 155 ff<br />

21 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 15 BErzGG Rn. 10 - 15<br />

22 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 15 BErzGG Rn.6<br />

23 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 15 BErzGG Rn.20<br />

24 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 16 BErzGG Rn.1


Rudolf Simon Barth - 12 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Den Antritt des Erziehungsurlaubs muss dem Arbeitgeber mit einer Ankündigungsfrist von<br />

wenigstens 4 Wochen vorher mitgeteilt werden, § 16 Abs. 1 S.1 BErzGG. Der Arbeitnehmer<br />

muss dann auch mitteilen, für welchen Zeitraum der Erziehungsurlaub beantragt wird. Die<br />

vorzeitige Beendigung und die Verlängerung des Erziehungsurlaubs sind allerdings an die<br />

Zustimmung des Arbeitgebers gebunden, § 16 Abs.3 BErzGG 25 .<br />

Hier ist festzustellen, dass Frau M sich seit dem 1. Juni im Erziehungsurlaub befindet. Es ist,<br />

da sich aus dem Sachverhalt keine anderweitigen Hinweise ergeben, davon auszugehen, dass<br />

die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Erziehungsurlaubs bei Frau M vorlagen.<br />

Die Arbeitnehmerin hat hier Erziehungsurlaub für die Dauer eines Jahres in Anspruch ge-<br />

nommen. An diese zeitliche Festlegung ist sie hier auch gebunden.<br />

Problematisch ist hier aber, wie sich die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs auf das Ar-<br />

beitsverhältnis auswirkt.<br />

Während des Erziehungsurlaubs sind die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />

suspendiert. Der Arbeitnehmer schuldet während dieser Zeit keine Arbeitsleistung und der<br />

Arbeitgeber keine Vergütung 26 . Das Arbeitsverhältnis als solches bleibt aber ebenso wie alle<br />

anderen arbeitsrechtlichen Nebenpflichten (z.B. Verschwiegenheitspflicht, Wettbewerbsver-<br />

bot) - mit Ausnahme des Urlaubsrechts- uneingeschränkt bestehen. Das Arbeitsverhältnis<br />

ruht für die Dauer des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes 27 .<br />

Während des Erziehungsurlaubs darf derjenige, der Erziehungsurlaub beansprucht hat, eine<br />

Beschäftigung von bis zu 30 Stunden in der Woche ausüben, § 15 Abs.4 BErzGG. Soll die<br />

Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgenommen werden, muss der Arbeitgeber<br />

zustimmen, kann seine Zustimmung aber nur innerhalb von 4 Wochen und aus wichtigen be-<br />

trieblichen Gründen verweigern 28 .<br />

Der Arbeitgeber ist berechtigt, für jeden vollen Monat des Erziehungsurlaubs den Anspruch<br />

auf Erholungsurlaub um je 1/12 zu kürzen. Hat der Arbeitnehmer noch offene Urlaubsansprü-<br />

che, sind diese nach dem Erziehungsurlaub im laufenden oder im nächsten Kalenderjahr zu<br />

25 Zmarzlik/Zipperer/Viethen BErzGG 1992 § 16 BErzGG Rn.2<br />

26 Gebhardt/Umnuß § 10 Rn.4<br />

27 Gebhardt/Umnuß § 10 Rn. 4; Meisel/Sowka § 15 Rn.32


Rudolf Simon Barth - 13 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

erfüllen, § 17 BErzGG. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des Erzie-<br />

hungsurlaubs ist noch nicht gewährter Urlaub abzugelten 29 .<br />

Nach § 18 BErzGG darf der Arbeitgeber ab dem Zeitpunkt, von dem Erziehungsurlaub ver-<br />

langt worden ist, höchstens jedoch 6 Wochen vor Beginn des Erziehungsurlaubs, und während<br />

des Erziehungsurlaubs nicht kündigen. Es handelt sich um ein absolutes Kündigungsverbot<br />

mit Erlaubnisvorbehalt, § 18 Abs. 1 BErzGG. Eine Kündigung bedarf der Zustimmung der für<br />

den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde, ansonsten ist sie nach § 134 BGB<br />

unwirksam 30 .<br />

Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Frau M ist durch die Inanspruchnahme des Erzie-<br />

hungsurlaubs nicht beeinträchtigt worden. Sie ist nach wie vor Arbeitnehmerin und gehört<br />

weiterhin dem Betrieb des Arbeitgebers an. Daher ist auch der Tarifvertrag auf ihr Arbeitsver-<br />

hältnis weiterhin anwendbar.<br />

Es ist daher zu prüfen, ob sie aus dem Tarifvertrag einen Anspruch auf Zahlung eines vollen<br />

13. Monatsgehalts herleiten kann oder ob der Arbeitgeber zu Recht das 13. Monatsgehalt nur<br />

anteilig ausgezahlt hat.<br />

Nach dem hier geltenden Tarifvertrag ist in Fällen, des „ruhenden Arbeitsverhältnisses“<br />

(Grundwehr- und Zivildienst sowie unbezahlte Freistellung, die über 2 Wochen hinausgeht)<br />

das 13. Monatsgehalt nur anteilig auszuzahlen.<br />

Zu prüfen ist, ob der Arbeitgeber zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Ar-<br />

beitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs um ein „ruhendes Arbeitsverhältnis“ im Sinne<br />

dieser Ausnahmeregelung handelt.<br />

Die Befreiung des Arbeitgebers von der Zahlung des regelmäßigen Arbeitsentgeltes während<br />

des Erziehungsurlaubs führt nicht zwangsläufig zum Wegfall oder zur Kürzung sonstiger zu-<br />

sätzlicher Zahlungen, z.B. des 13. Monatsgehalts. Eine solche Kürzung sieht zumindest das<br />

BErzGG nicht vor. So kann eine solche Kürzung der Jahressonderzulage nur auf Grund einer<br />

entsprechenden Rechtsgrundlage für Zeiten des Erziehungsurlaubs erfolgen 31 .<br />

28 Meisel/Sowka § 15 Rn.27<br />

29 Meisel/Sowka § 17 Rn.2 ff; § 17 Rn.16 ff<br />

30 Meisel/Sowka § 18 Rn.4f; § 17 Rn.9 ff


Rudolf Simon Barth - 14 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Hier ist eine ausdrückliche Regelung für den Erziehungsurlaub durch den Tarifvertrag nicht<br />

getroffen worden. Fraglich ist also, wie die Ausnahmeregelung im Tarifvertrag auszulegen ist.<br />

Hier war im Tarifvertrag ausdrücklich eine anteilige Kürzung für Zeiten vorgesehen, in denen<br />

das Arbeitsverhältnis ruht. Fraglich ist also, ob im Falle des Erziehungsurlaubs von einem<br />

ruhenden Arbeitsverhältnis ausgegangen werden kann.<br />

Von einem ruhenden Arbeitsverhältnis im Sinne einer solchen Tarifregelung kann nach der<br />

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes bereits dann gesprochen werden, wenn nur die<br />

wechselseitigen Hauptleistungspflichten suspensiert sind, also auch während einer Zeit, für<br />

die eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer uneingeschränkt Erziehungsurlaub bean-<br />

sprucht 32 .<br />

Ist, wie hier vereinbart, dass der Anspruch auf die Jahressonderzahlung für Arbeitnehmer in-<br />

soweit nicht besteht, als deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr oder für eine gewisse Zeit<br />

kraft Gesetzes ruht, dann hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf<br />

die volle, sondern lediglich auf die gekürzte tarifliche Jahressonderzahlung, denn das Arbeits-<br />

verhältnis ruht während des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes 33 .<br />

Die Kürzung der Jahressonderzahlung für die Zeit des Erziehungsurlaubs stellt auch keine<br />

mittelbare Diskriminierung von Frauen und daher keinen Verstoß gegen Art. 119 EG-Vertrag<br />

dar.<br />

Zwar wird der Erziehungsurlaub nach wie vor überwiegend von Arbeitnehmerinnen in An-<br />

spruch genommen. Die arbeitsrechtlichen Folgen des Erziehungsurlaubs beruhen aber auf<br />

einer Differenzierung zwischen Zeiten geleisteter Arbeit und Zeiten der Betriebsangehörigkeit<br />

ohne Arbeitsleistung. Diese Differenzierung stellt grundsätzlich im Hinblick auf die Arbeits-<br />

leistungen einen sachgerechten Differenzierungsgrund, also einen geschlechtsneutralen Recht-<br />

fertigungsgrund dar. Daher ist auch eine tarifliche Regelung möglich, die es dem Arbeitgeber<br />

erlaubt, auch zusätzliche Sonderzahlungen für diese Zeiten ruhen zu lassen. Dieser Unter-<br />

schied zwischen einem ruhenden und einem nicht ruhenden Arbeitsverhältnis rechtfertigt eine<br />

unterschiedliche Behandlung nicht nur beim eigentlichen Arbeitsentgelt, sondern auch bei der<br />

Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt 34 .<br />

31<br />

Buchner/Becker vor §§15-21 BErzGG Rn.30<br />

32<br />

BAG Der Betrieb 1993 S. 1090 mit Anmerkung von Sowka; Buchner/Becker vor §§ 15-21 BErzGG<br />

Rn.23<br />

33<br />

BAG Der Betrieb 1993 S. 1090 mit Anmerkung von Sowka; Buchner/Becker vor §§ 15-21 BErzGG<br />

Rn.23<br />

34 Buchner/Becker vor §§15-21 BErzGG Rn. 31


Rudolf Simon Barth - 15 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

2.1.4 ZWISCHENERGEBNIS<br />

Es ist folglich im Ergebnis festzustellen, dass Frau M keinen Anspruch auf die Zahlung eines<br />

vollen 13. Monatsgehalts hat. Vielmehr hat der Arbeitgeber zu Recht die tarifvertragliche<br />

Klausel hinsichtlich des ruhenden Arbeitsverhältnis auf Frau M angewendet und ihr nur ein<br />

anteiliges 13. Monatsgehalt für die Zeit in der sie noch nicht im Erziehungsurlaub war, ausge-<br />

zahlt.<br />

Frau M machte ihren Anspruch hier also zu Unrecht geltend.<br />

2.2 ABMAHNUNG<br />

Hat der Arbeitgeber Frau M zu Recht eine Abmahnung erteilt und mit außerordentlicher<br />

Kündigung gedroht?<br />

Kann Frau M ggf. die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen?<br />

Wie kann sie ggf. diesen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte<br />

durchsetzen?<br />

2.2.1 RECHTMÄßIGKEIT DER ABMAHNUNG<br />

Eine weitere Kernfrage des Sachverhalts ist, ob der Arbeitgeber Frau M zu Recht eine Ab-<br />

mahnung erteilt und eine außerordentliche Kündigung angedroht hat.<br />

Frau M hat hier, wie oben festgestellt, gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf Aus-<br />

zahlung eines vollen 13. Monatsgehalts geltend gemacht, der ihr tatsächlich nicht zusteht. Aus<br />

diesem Grund hat der Arbeitgeber ihr eine Abmahnung erteilt. Um beurteilen zu können, ob<br />

diese Abmahnung hier zu Recht ausgesprochen wurde, soll zunächst der Begriff der Abmah-<br />

nung als solcher näher untersucht werden.<br />

Zunächst ist festzuhalten, dass die Abmahnung im Gesetz nicht definiert ist. Das Rechtsinsti-<br />

tut der Abmahnung wurde daher insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesarbeits-<br />

gerichts entwickelt.<br />

Mit der Abmahnung rügt der Arbeitgeber ein konkret steuerbares Fehlverhalten des Arbeit-<br />

nehmers und warnt diesen mit einer Kündigungsandrohung vor weiteren gleichartigen Ver-<br />

tragsverstößen 35 .<br />

35 BAG „Der Betrieb“ 1994 S. 1477


Rudolf Simon Barth - 16 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Die Abmahnung ist ein Mittel, durch die der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die Verlet-<br />

zung arbeitsvertraglicher Pflichten hinweist mit dem Ziel, weitere Vertragsverstöße zukünftig<br />

zu vermeiden. Da eine Kündigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer<br />

nur das letzte Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />

ist, ist bei verhaltensbedingten Kündigungen grundsätzlich eine vorangegangene Abmahnung<br />

Kündigungsvoraussetzung. Die Abmahnung ist somit eine Vorstufe der verhaltensbedingten<br />

Kündigung 36 . Dies gilt grundsätzlich bei Verletzung von Leistungspflichten. Beispiel: Der<br />

Arbeitnehmer kommt zu spät zur Arbeit. Verweigert der Arbeitnehmer für die Zukunft die<br />

vertragsgemäße Leistungserbringung, ist die Abmahnung sinnlos und entbehrlich 37<br />

Die Abmahnung hat im wesentlichen folgende Funktionen:<br />

1) Dokumentationsfunktion: Die Abmahnung soll das beanstandete Verhalten tatbestandsmä-<br />

ßig festhalten und in der Personalakte dokumentieren 38 .<br />

Dies gilt grundsätzlich.<br />

2)Hinweis- und Warnfunktion: Die Abmahnung soll den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass<br />

der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten als vertragswidrig ansieht und soll ihn warnen, dass<br />

im Wiederholungsfalle eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses und dessen Kündigung<br />

droht 39 .<br />

Die Abmahnung muss das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers möglichst genau be-<br />

zeichnen. Allgemeine Wertungen reichen dabei nicht aus, um die Dokumentationsfunktion zu<br />

erfüllen. Der Arbeitgeber muss die einzelnen Verfehlungen genau bezeichnen. Der Arbeitge-<br />

ber muss dem Arbeitnehmer für den Wiederholungsfall mit der Kündigung drohen. Aus der<br />

Formulierung muss sich für den Arbeitnehmer eindeutig ergeben, dass im Wiederholungsfall<br />

der Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Fehlt eine dieser Funktionen, so liegt<br />

36<br />

Gebhardt/Umnuß § 16 Rn.74; Brox/Rüthers Rn.192b<br />

37<br />

Brox/Rüthers Rn.192b<br />

38<br />

Gebhardt/Umnuß § 16 Rn.76; Brox/Rüthers Rn.192b


Rudolf Simon Barth - 17 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

keine Abmahnung, sondern allenfalls eine Rüge oder Ermahnung vor. Eine Kündigung kann<br />

aber nicht auf Grund einer solch fehlerhaften „Abmahnung“ erfolgen 40 .<br />

Es kann immer nur ein Verhalten abgemahnt werden, das für den Arbeitnehmer steuerbar ist.<br />

Er muss auf das beanstandete Verhalten Einfluss nehmen können. Eine Abmahnung ist also<br />

Kündigungsvoraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung. Eine Abmahnung bei-<br />

spielsweise wegen Krankheit ist daher immer ausgeschlossen. Bei Pflichtverletzungen im<br />

Vertrauensbereich, bei einer Störung des Vertrauensverhältnisses, die den Glauben an die<br />

Loyalität und Redlichkeit des Arbeitnehmers unheilbar zerstören, ist eine Abmahnung grund-<br />

sätzlich entbehrlich, da eine Abmahnung nicht zur Wiederherstellung des Vertrauensverhält-<br />

nisses führen würde 41 . Beispiel: Der Arbeitnehmer begeht eine Straftat gegen den Arbeitgeber.<br />

Etwas anderes kann sich in diesem Zusammenhang nur ergeben, wenn der Arbeitnehmer aus<br />

vertretbaren Gründen annehmen durfte, sein Fehlverhalten werde geduldet oder wenn die<br />

Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann 42 .<br />

Grundsätzlich darf bei einem schuldhaften Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten unab-<br />

hängig vom Grad oder der Schwere der Vertragsverletzung abgemahnt werden. Die Wirksam-<br />

keit einer Abmahnung setzt nicht voraus, dass das abgemahnte Verhalten im Wiederholungs-<br />

fall eine Kündigung rechtfertigt. Die Abmahnung erfüllt ihre Warnfunktion auch dann, wenn<br />

erst mehrere geringfügige Verfehlungen (z.B.: dauerendes Zuspätkommen des Arbeitnehmers)<br />

erkennen lassen, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgemäß zu verhalten 43 .<br />

Auch einer außerordentlichen Kündigung muss in der Regel eine Abmahnung vorausgehen.<br />

Es ist grundsätzlich vor der Abmahnung eine Anhörung des Arbeitnehmers erforderlich. Eine<br />

Abmahnung ist wegen Nichtanhörung des Arbeitnehmers formell unwirksam, entfaltet aber<br />

dennoch die erforderliche Warnfunktion für eine verhaltensbedingten Kündigung 44 . Der Ar<br />

39 Brox/Rüthers Rn.192b<br />

40 BAG NZA 1994 S. 656<br />

41 Gebhardt/Umnuß § 16 Rn.77; Brox/Rüthers Rn.192b<br />

42 ;vgl. BAG „Der Betrieb“ 1992 S. 843; Brox/Rüthers Rn.192b<br />

43 Brox/Rühters Rn.192b<br />

44 Schaub § 61 Rn.45, 72


Rudolf Simon Barth - 18 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

beitgeber muss außerdem eine vom Arbeitnehmer gefertigte Gegendarstellung zur Personal-<br />

akte nehmen, wenn er nach der Anhörung nicht bereit ist, die Abmahnung zurückzunehmen 45 .<br />

Die Abmahnung ist ein Teil des individualvertraglichen Rügerechts des Arbeitgebers. Es be-<br />

steht kein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats. Abmahnungsberechtigt ist jeder weisungsbe-<br />

rechtigte Vorgesetzte 46 .<br />

Wurde der Arbeitnehmer wegen eines bestimmten Fehlverhaltens abgemahnt, kann der Ar-<br />

beitgeber wegen dieses Verhaltens keine Kündigung mehr aussprechen, die auf denselben,<br />

aber noch nicht wiederholten Sachverhalt gestützt wird. Hat der Arbeitgeber den Arbeitneh-<br />

mer wegen einer Pflichtverletzung bereits abgemahnt, ist eine aus denselben Sachverhalt ge-<br />

stützte Kündigung unwirksam.<br />

Zu prüfen ist im vorliegenden Fall, ob der Arbeitgeber Frau M wegen der Geltendmachung<br />

des vollen 13. Monatsgehalts zu Recht abgemahnt hat. Hiervon wäre auszugehen, wenn Frau<br />

M hier durch die Geltendmachung des tatsächlich nicht in voller Höhe bestehenden An-<br />

spruchs gegen eine arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen hätte. Der Arbeitgeber führt hier an,<br />

Frau M habe durch die Geltendmachung dieses Anspruchs versucht, sich „in betrügerischer<br />

Absicht zusätzliches Einkommen zu verschaffen“. Grundsätzlich ist Betrug zu Lasten des<br />

Arbeitgebers geeignet, eine Abmahnung gegenüber dem Arbeitnehmer zu rechtfertigen. Auch<br />

ist betrügerisches Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber geeignet, eine Drohung mit einer<br />

außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung zu rechtfertigen, da durch ein solches Ver-<br />

halten das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber erheblich gestört<br />

wird.<br />

Fraglich ist hier allerdings, ob hier tatsächlich von einem betrügerischen Verhalten der Ar-<br />

beitnehmerin Frau M ausgegangen werden kann. Hier war Frau M durch den Arbeitgeber –<br />

wie oben dargelegt - zu Recht nur ein anteiliges 13. Monatsgehalt für das Bezugsjahr ausge-<br />

zahlt worden. Frau M ging aber, da sie die Ausnahmeregelung im geltenden Tarifvertrag als<br />

nicht auf sich anwendbar verstandenen hatte, davon aus, dass ihr ein volles 13. Monatsgehalts<br />

zustände. Sie handelte also, als sie diesen vermeintlichen Anspruch gegenüber dem Arbeitge-<br />

ber geltend machte, nicht in betrügerischer Absicht, sondern in der Annahme, sie mache ge<br />

45 Gebhardt/Umnuß § 16 Rn.75<br />

46 Brox/Rüthers Rn.192 b


Rudolf Simon Barth - 19 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

genüber ihrem Arbeitgeber einen ihr tatsächlich zustehenden Anspruch auf Lohnzahlung gel-<br />

tend. Die Geltendmachung dieses vermeintlichen Anspruchs, kann ihr auch nicht zum Vor-<br />

wurf gemacht werden, da im hier anwendbaren Tarifvertrag keine eindeutige Regelung für die<br />

Auszahlung und Kürzung des 13. Monatsgehaltes im Erziehungsurlaub getroffen wurde.<br />

Der Arbeitnehmer hat hier also die Abmahnung zu Unrecht gegenüber Frau M ausgesprochen.<br />

Es liegt somit keine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht vor, die eine Abmahnung<br />

rechtfertigen würde.<br />

2.2.2 ANSPRUCH AUF RÜCKNAHME DER ABMAHNUNG / ANSPRUCH AUF ENTFERNUNG DER<br />

ABMAHNUNG AUS DER PERSONALAKTE<br />

Fraglich ist weiterhin, was Frau M gegen diese zu Unrecht erteilte Abmahnung unternehmen<br />

kann.<br />

Der Arbeitnehmer, der zu Unrecht durch den Arbeitgeber abgemahnt wurde, hat nach §§<br />

1004, 862, 242,12 BGB in Verbindung mit der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht des Ar-<br />

beitgebers einen Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und auf Entfernung der Abmah-<br />

nung aus seiner Personalakte, da die Abmahnung den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung<br />

beeinträchtigt. Die ungerechtfertigte Abmahnung wird als Verletzung des Persönlichkeits-<br />

rechts des Arbeitnehmers verstanden 47 . Zum einen ist sowohl sein Arbeitsverhältnis wegen<br />

der Kündigungsandrohung gefährdet, zum andere kann auch sein berufliches Fortkommen<br />

durch die Abmahnung unter Umständen behindert werden. Der Arbeitnehmer kann diesen<br />

Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und Entfernung derselben durch eine Klage vor<br />

dem Arbeitsgericht geltend machen 48 .<br />

2.2.3 ZWISCHENERGEBNIS<br />

Frau M kann also von ihrem Arbeitgeber die Rücknahme der zu Unrecht erteilten Abmahnung<br />

und ihre Entfernung aus ihrer Personalakte verlangen. Diesen Anspruch kann sie auch durch<br />

eine Klage vor dem Arbeitsgericht geltend machen.<br />

2.3 AUßERORDENTLICHE KÜNDIGUNG DURCH DIE ARBEITNEHMERIN<br />

47 Schaub § 61 Rn.76<br />

48 Schaub § 61 Rn.76


Rudolf Simon Barth - 20 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Kann Frau M auf Grund des Verhaltens ihres Arbeitgebers ihr Arbeitsverhältnis außeror-<br />

dentlich aus wichtigem Grund kündigen?<br />

2.3.1 VORAUSSETZUNGEN DER AUßERORDENTLICHEN KÜNDIGUNG<br />

Im vorliegenden Fall hat die Arbeitnehmerin auf Grund des ihr gegenüber durch die Abmah-<br />

nung zum Ausdruck gebrachten Misstrauens des Arbeitgebers erklärt, dass sie ihren Arbeits-<br />

vertrag aus wichtigem Grund kündige.<br />

Fraglich ist, wie diese Erklärung der Arbeitnehmerin zu verstehen ist. Frau M hat durch diese<br />

Erklärung zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr Arbeitsverhältnis sofort und ohne Einhaltung<br />

einer Kündigungsfrist beenden möchte. Frau M hat hier also eine außerordentliche, fristlose<br />

Kündigung gemäß § 626 BGB erklärt. Zu untersuchen ist nun im folgenden, ob diese von Frau<br />

M ausgesprochene außerordentliche Kündigung wirksam war.<br />

Es ist also darauf einzugehen, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündi-<br />

gung nach § 626 BGB wirksam ist.<br />

Die außerordentliche Kündigung setzt gemäß § 626 BGB zum einen einen wichtigen Grund<br />

für die Kündigung, zum anderen eine wirksame Kündigungserklärung voraus.<br />

2.3.2 WICHTIGER GRUND IM SINNE DES § 626 ABSATZ 1 BGB<br />

Die außerordentliche Kündigung ist für beide Vertragsparteien, also auch wenn der Arbeit-<br />

nehmer das Arbeitsverhältnis fristlos kündigt, nur dann zulässig, wenn ein wichtiger Grund<br />

gemäß § 626 Abs.1 BGB vorliegt. Wann ein wichtiger Grund vorliegt, hängt von der Art und<br />

Schwere des Vertragsverstoßes ab. Ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB ist dann ge-<br />

geben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Ar-<br />

beitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwä-<br />

gung der beiderseitigen Interessen bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zu<br />

gemutet werden kann 49 . Ein wichtiger Grund für eine Kündigung von Seiten des Arbeitneh-<br />

mers ist beispielsweise bei Beleidigungen und Tätlichkeiten durch den Arbeitgeber, bei Nicht-<br />

zahlung des Lohnes und bei Mobbing durch den Arbeitgeber gegeben.<br />

49 Schaub § 125 Rn.42; Brox/Rüthers Rn.192a


Rudolf Simon Barth - 21 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Problematisch ist im vorliegenden Fall, ob die unrechtmäßige Abmahnung durch den Arbeit-<br />

geber ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs.1 BGB ist.<br />

Der Arbeitgeber hat hier durch die ungerechtfertigte Abmahnung sein Mißtrauen gegenüber<br />

seiner Mitarbeiterin Frau M zum Ausdruck gebracht. Diese Abmahnung, die auf ein betrügeri-<br />

sches Verhalten der Arbeitnehmerin gestützt wurde, kann unter Umständen von der Arbeit-<br />

nehmerin als Beleidigung aufgefaßt werden. Dennoch kann dabei nicht von einer schweren<br />

Beleidigung, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ausgegangen werden. Die au-<br />

ßerordentliche Kündigung ist auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgesprochen ist, immer als<br />

letztes Mittel anzusehen. Hier wurde festgestellt, dass die Arbeitnehmerin sich gegen die un-<br />

gerechtfertigte Abmahnung mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht wehren kann. So kann sie<br />

auch den Schein eines ihrerseits unrechtmäßigen Verhaltens beseitigen. Außerdem befindet<br />

die Arbeitnehmerin sich seit dem 1. Juni im Erziehungsurlaub. Sie leistet also seit dieser Zeit<br />

keine Arbeit mehr. Es ist ihr daher jedenfalls - falls sie das Arbeitsverhältnis tatsächlich been-<br />

den möchte – zumutbar, die regelmäßige Kündigungsfrist des § 622 BGB einzuhalten oder ihr<br />

Arbeitsverhältnis gemäß § 19 BErzGG zum Ende des Erziehungsurlaubs zu kündigen. Ein<br />

Konflikt mit dem Arbeitgeber ist, da die gegenseitigen Hauptleistungspflichten suspendiert<br />

sind, nicht zu erwarten.<br />

Frau M kann sich also nicht auf einen wichtigen Grund gemäß § 626 BGB berufen. Die von<br />

ihr ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist daher unwirksam. Das Arbeitsverhältnis<br />

besteht also fort.<br />

2.3.3 SCHRIFTFORM<br />

Die Kündigungserklärung hätte gemäß § 623 BGB der Schriftform bedurft. Es handelt sich<br />

dabei um eine zwingende Formvorschrift mit der Folge, dass die Nichteinhaltung der Schrift-<br />

form zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Eine mündliche Kündigung führt demnach<br />

nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses 50 .<br />

50 Palandt/Putzo § 623 Rn.4


Rudolf Simon Barth - 22 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

Im hier dargestellten Sachverhalt ist nicht geschildert, ob Frau M bei Erklärung der außeror-<br />

dentlichen Kündigung die Schriftform gewahrt hat. Da die Kündigung aber bereits mangels<br />

Vorliegen eines wichtigen Grundes unwirksam ist, kommt es hier auf die Wahrung der<br />

Schriftform nicht an.<br />

2.3.4 AUSSCHLUSSFRIST DES § 626 ABSATZ 2 BGB<br />

Darüber hinaus muss die Kündigung gemäß § 626 Abs.2 BGB innerhalb von zwei Wochen<br />

nachdem der Kündigende Kenntnis vom Kündigungsgrund erlangt hat, ausgesprochen wer-<br />

den. Diese Ausschlussfrist ist zwingendes Recht; sie kann nicht durch Parteivereinbarung und<br />

kann auch nicht durch Tarifvertrag geändert werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der<br />

Kenntniserlangung der zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden maßgeblichen Tat-<br />

sachen. Abzustellen ist dabei immer auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten 51 .<br />

Hier hätte Frau M innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der unrechtmäßigen Ab-<br />

mahnung die Kündigung aussprechen müssen.<br />

Hierzu macht der Sachverhalt keine Angaben. Da die Kündigung aber bereits aus den oben<br />

genannten Gründen unwirksam ist, kommt es aber auch hier nicht auf die Einhaltung dieser<br />

zweiwöchigen Ausschlussfrist an.<br />

3. FRAGEN ZUM SACHVERHALT<br />

3.1 KANN SICH EINE PERSON IM ERZIEHUNGSURLAUB AUF EINEN TARIFVERTRAG BERUFEN?<br />

Während des Erziehungsurlaubs ruhen die Hauptleistungspflichten das Arbeitsvertrages. Der<br />

Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, die sonst geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Der<br />

Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, das sonst geschuldete Arbeitsentgelt zu zahlen.<br />

Der Bestand des Arbeisverhältnisses ist aber durch die Inanspruchnahme des Erziehungsur-<br />

laubs nicht beeinträchtigt. Derjenige, der Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt bleibt Arbeit-<br />

nehmer(in) und gehört weiterhin dem Betrieb des Arbeitgebers an. Da der Arbeitsvertrag fort-<br />

besteht und das Arbeitsverhältnis durch die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaub nicht be<br />

51 Schaub § 125 Rn.26 ff


Rudolf Simon Barth - 23 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

endet wurde, kann sich auch ein Arbeitnehmer, der sich im Erziehungsurlaub befindet grund-<br />

sätzlich auf einen Tarifvertrag berufen.<br />

Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Tarifvertrag in persönlicher Hinsicht auf den Arbeit-<br />

nehmer Anwendung findet. Dazu muss der Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft sein, die<br />

den maßgeblichen Tarifvertrag geschlossen hat. Auch ist es möglich, dass im<br />

Individualarbeitsvertrag eine Regelung getroffen wird, nach der der Tarifvertrag auf den Ar-<br />

beitsvertrag Anwendung findet.<br />

In Tarifverträgen können Regelungen getroffen werden, die für den Fall der Inanspruchnahme<br />

von Erziehungsurlaub Ausnahmeregelungen festlegen. Dies ist auch zulässig. Während des<br />

Erziehungsurlaubs sind die gegenseitigen Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis sus-<br />

pendiert. Der Wegfall der Vergütungspflicht wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses im<br />

Erziehungsurlaub umfasst alle Vergütungsbestandteile, die im Austauschverhältnis stehen.<br />

Daher können durch Tarifvertrag Ausnahmeregelungen getroffen werden, die tarifvertragliche<br />

Ansprüche für den Fall der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub ausschließen oder redu-<br />

zieren.<br />

3.2 DARF DER ARBEITGEBER GRUNDWEHR- UND ZIVILDIENST BZW. UNBEZAHLTE<br />

FREISTELLUNG MIT ERZIEHUNGSURLAUB GLEICHSETZEN?<br />

Während des Grundwehr- und Zivildienstes, während einer unbezahlten Freistellung und auch<br />

während des Erziehungsurlaubs ruht das Arbeitsverhältnis. Während der Dauer des Grund-<br />

wehr- und Zivildienstes und während des Erziehungsurlaubs ruht das Arbeitsverhältnis auf<br />

Grund des Gesetzes, während der unbezahlten Freistellung ruht das Arbeitsverhältnis auf<br />

Grund einer Vereinbarung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.<br />

Da hier in allen Fällen ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses festgestellt werden kann, ist auch<br />

eine Gleichbehandlung aller ruhenden Arbeitsverhältnisse gerechtfertigt. Der Arbeitgeber ist<br />

daher berechtigt, Grundwehr- und Zivildienst, unbezahlte Freistellung und Erziehungsurlaub<br />

gleichzusetzen.


Rudolf Simon Barth - 24 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

3 DARF DER ARBEITGEBER WÄHREND DES ERZIEHUNGSURLAUBS ABMAHNEN UND KÜNDIGEN?<br />

Durch die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaub werden die arbeitsvertraglichen Hauptlei-<br />

stungspflichten suspendiert. Die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten von Arbeitgeber und<br />

Arbeitnehmer, wie z.B. ein Wettbewerbsverbot oder die Verschwiegenheitspflicht bleiben<br />

auch während der Dauer des Erziehungsurlaubs bestehen. Verstößt der Arbeitnehmer gegen<br />

diese Nebenpflichten, so ist der Arbeitgeber auch während des Erziehungsurlaubs berechtigt,<br />

eine Abmahnung auszusprechen. Das Arbeitsverhältnis besteht ja fort. Hieran ändert auch §<br />

18 BErzGG nichts. Dieser normiert ein absolutes Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt.<br />

Der Arbeitgeber darf demjenigen, der Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, von dem Zeit-<br />

punkt an, von dem Erziehungsurlaub verlangt worden ist, höchstens jedoch 6 Wochen vor<br />

Beginn des Erziehungsurlaubs, und während des Erziehungsurlaubs nicht kündigen. § 18<br />

BErzGG normiert ein absolutes Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Eine Kündigung<br />

ist in bestimmten Ausnahmefällen mit vorheriger Zustimmung der für den Arbeitsschutz zu-<br />

ständigen obersten Landesbehörde dennoch zulässig. Beispiel für eine genehmigungsfähige<br />

Ausnahme ist die Kündigung eines im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmers wegen<br />

Schließung des gesamten Betriebes.<br />

3.4 DARF FRAU M WÄHREND DES ERZIEHUNGSURLAUBS OHNE NEGATIVE FOLGEN KÜNDIGEN?<br />

Frau M kann während des Erziehungsurlaubs zu den normalen Kündigungsfristen und auch<br />

aus wichtigem Grund kündigen. Darüber hinaus steht der Arbeitnehmerin ein Sonderkündi-<br />

gungsrecht nach § 19 BErzGG zu. Derjenige, der den Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt<br />

kann also nach § 19 BErzGG 3 Monate vor Ende des Erziehungsurlaubs sein<br />

Arbeitsverhältnis zum Ende des Erziehungsurlaubs kündigen i . Das Sonderkündigungsrecht ist<br />

aber streng auf das Ende des Erziehungsurlaub beschränkt. Es hat Schutzfunktion für den<br />

Arbeitgeber, der sich auf Personalentscheidungen im Betrieb einrichten muss 52 . Auch die<br />

Kündigung nach § 19 BErzGG muss schriftlich nach § 623 BGB erfolgen. Trotz des Sonder<br />

52 Buchner/Becker § 19 BErzGG Rn.8<br />

52 Schaub § 102 Rn.213<br />

52 Buchner/Becker § 19 BErzGG Rn.11,13<br />

52 Meisel/Sowka § 19 Rn.80


Rudolf Simon Barth - 25 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

kündigungsrechts kann der Arbeitnehmer auch unter Einhaltung der normalen Kündigungsfri-<br />

sten, § 622 BGB, das Arbeitsverhältnis beenden 53 .<br />

Mit der Kündigung durch den Arbeitnehmer endet regelmäßig das Arbeitsverhältnis. Sonder-<br />

bestimmungen für den Erziehungsurlaub sind nicht vorgesehen.<br />

Wird der Erziehungsurlaubsberechtigte nach der Kündigung arbeitslos, so muss er als Ar-<br />

beitsloser, soweit er die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig nach § 144 SGB III<br />

herbeigeführt hat, mit einer Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld rechnen. Das gilt<br />

aber nicht, wenn der Arbeitslose für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte. Hat der Ar-<br />

beitnehmer sein Arbeitsverhältnis deshalb gelöst, weil er wegen der Betreuung und Erziehung<br />

des Kindes nur noch Teilzeit arbeiten konnte, der Arbeitgeber aber eine Teilzeitbeschäftigung<br />

nicht anbieten konnte, so wird keine Sperrzeit verhängt ii .Frau M kann ihr Arbeitsverhältnisal-<br />

so mit der Folge kündigen, dass sie ihr Arbeitsverhältnis endet. Auch droht ihr unter Umstän-<br />

den eine Sperrzeit im Hinblick auf das ihr ggf. zustehende Arbeitslosengeld.


Rudolf Simon Barth - 26 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

LITERATURVERZEICHNIS<br />

BROX, DR. HANS/<br />

RÜTHERS, DR. BERND<br />

BUCHNER, DR. HERBERT/<br />

BECKER, DR. ULRICH<br />

ERD, RAINER/<br />

KRAUSHAAR, DIETER/<br />

KREUDER, THOMAS<br />

GEBHARDT, IMMANUEL/<br />

UMNUß, DR. KARSTEN<br />

MEISEL, DR. PETER/<br />

SOWKA, HANS-HARLAD<br />

„ARBEITSRECHT“<br />

14. Auflage<br />

Konstanz 1999<br />

zitiert: „Brox/Rüthers“<br />

„MUTTERSCHUTZGESETZ UND<br />

BUNDESERZIEHUNGSGELDGESETZ“<br />

6. Auflage<br />

München 1998<br />

zitiert: „Buchner/Becker“<br />

„ARBEITSRECHT KOMPAKT: VON DER BEWERBUNG BIS ZUM<br />

KÜNDIGUNGSSCHUTZ“<br />

Frankfurt am Main, Gießen, Bad Homburg 2000<br />

zitiert: „ Erd/Kraushaar/Kreuder“<br />

„ARBEITSRECHT“<br />

München 1998<br />

zitiert: „ Gebhardt/Umnuß“<br />

„MUTTERSCHUTZ UND ERZIEHUNGSURLAUB“<br />

5. Auflage<br />

München 1999<br />

zitiert: „Meisel/Sowka“<br />

SCHAUB, DR. GÜNTHER „ARBEITSRECHTS - HANDBUCH“<br />

9. Auflage<br />

München 2000<br />

zitiert: „Schaub“<br />

ZMARZLIK, DR. JOHANNES/<br />

ZIPPERER, DR. MANFRED/<br />

VIETHEN, HANS-PETER<br />

VIEß, DR. GERHARD<br />

„MUTTERSCHUTZGESETZ, MUTTERSCHAFTSLEISTUNGEN,<br />

BUNDESERZIEHUNGSGELDGESETZ“<br />

8. Auflage<br />

Köln . Berlin . Bonn . München 1999<br />

zitiert: „Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß“


Rudolf Simon Barth - 27 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth<br />

ANSEY, SIEGFRIED/<br />

KOBERSKI, WOLFGANG/<br />

SCHMIDT, MICHAEL<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

Abs. Absatz<br />

Art. Artikel<br />

“HANDBUCH ARBEITS- UND SOZIALRECHT”<br />

3. Auflage<br />

Frankfurt am Main<br />

Bund Verlag 1998<br />

BAG Bundesarbeitsgericht<br />

BerzGG Budeserziehungsgeldgesetz<br />

BetrVG Betriebsverfassungsgesetz<br />

BGB Bürgerliches Gesetzbuch<br />

EG-Vertrag Vertrag zur Europäischen Gemeinschaft<br />

GG Grundgesetz<br />

ggf. gegebenenfalls<br />

max. maximal<br />

Nr. Nummer<br />

NZA Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht<br />

Rn. Randnummer<br />

S. Seite<br />

TVG Tarifvertragsgesetz<br />

z.B. zum Beispiel


Rudolf Simon Barth - 28 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth


Rudolf Simon Barth - 29 -<br />

Ines Christina Baur<br />

Silvia Benderoth

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