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Auch Kölns Kindersitzung »Ziegenbart« geht auf sein Engagement zurück,<br />

das er freilich stets mit ebenso engagierten Gleichgesinnten teilt. Wie<br />

zuvor die Stunksitzung für Erwachsene verfolgt auch die Ziegenbart-<br />

Sitzung für Kinder ein modernes, neues, alternatives Konzept, das Protagonisten<br />

und Zuschauer in seinen Bann zieht: Wenig Worte, viel Tamtam.<br />

Das Ziegenbart-Publikum ist schwierig, weil stets nüchtern – »Kölsch<br />

macht schlechte Nummern vielleicht besser, Limonade nicht.« Die Requisite<br />

ist fantasievoll, die Kostüme handgenäht, die Ideen bezaubernd –<br />

und irgendwann finden das auch die vielen Kinder im Saal. Sie klatschen,<br />

schreien und jubeln. Allerdings: »Wir müssen die Erwachsenen auch ernst<br />

nehmen«, das hat Becker vor der Premiere noch einmal ausdrücklich<br />

betont. Deswegen gibt es in diesem Jahr auch zum ersten Mal zwei reine<br />

Erwachsenensitzungen. Noch ein Projekt.<br />

DER mENSCH DARf<br />

SiCH mÖGEN UND AUCH<br />

GEmOCHT WERDEN<br />

Zwischendurch liest er in unterschiedlichen Buchhandlungen für die<br />

Aktion »LeseWelten«, die sich um das Leseinteresse der Jüngsten kümmert,<br />

aus den Detektivgeschichten »Der Schwarzen Hand«.<br />

Für Becker steht immer der Mensch im Mittelpunkt, und das erklärt<br />

auch sein gespanntes Verhältnis zum Klerus, dem er vorhält, den Menschen<br />

der Religion anpassen zu wollen und nicht die Religion im Sinne des<br />

Menschen zu entwickeln. Becker: »Der Mensch darf sich mögen und auch<br />

gemocht werden. Das gilt unbedingt.«<br />

»Karnevalisierung heißt Umkehrung der Verhältnisse«, schrieb der Anglist<br />

Dietrich Schwanitz: »Der Narr wird König, der König wird erniedrigt.«<br />

Alljährlich werden im Kölner Dom drei bunt kostümierte Karnevalisten<br />

während eines Pontifikalamts vom Erzbischof gesegnet. Kraft seiner<br />

Autorität, wird Prinz, Bauer, Jungfrau und den Jecken stets aufs Neue<br />

bestätigt, dass ihr Wirken mit dem göttlichen Heilsplan im Einkang steht.<br />

Das haben die Rheinländer schon immer gewusst, das ist das Bauchgefühl<br />

der rheinischen Seele. Schließlich war es das Christentum, das – im Sinne<br />

von Schwanitz – die Religion einst karnevalisierte: Gott in der Verkörperung<br />

eines kleinen Kindes, in einer besonders armen Familie. Das ist die<br />

komplette Umkehrung der Verhältnisse: Der Höchste ist einer von uns<br />

Kleinen. Daher nennt man im Kölner Volksmund Jesus auch jovial »Zimmermanns<br />

Jupp singe Jung«. Die Verrückung der Verhältnisse erfordert<br />

Verrücktheit und fördert Verrücktheiten. Becker: »Religion ohne Humor ist<br />

vor allem eines: brandgefährlich!« Becker beschränkt das Prinzip nicht auf<br />

die Religion: »Früher waren die Kirchen die höchsten Gebäude, heute sind<br />

es die Banken. Sie deshalb ernst zu nehmen, ist völlig falsch. Vieles, was sie<br />

uns verkaufen, ist ein Witz. Wer karnevalisiert jetzt den Kapitalismus?«<br />

Wer in Köln historische Belege für eine karnevalistische Umkehrung<br />

sucht, der findet sie zu Hauf. Sie sind in der Stadtgeschichte prägend.<br />

Der Kölner Erzbischof Reinald von Dassel raubte im Jahr 1164 bei der<br />

brutalen Eroberung Mailands die angeblichen Knochen der Heiligen<br />

Drei Könige. Durch deren Ausstellung im größten je im Abendland<br />

geschaffenen Goldsarkophag stilisierten die Kölner die banale Beute zur<br />

sensationellen Spitzenreliquie. Köln wurde zum größten Pilgerzentrum<br />

nördlich der Alpen, der Dom wurde in seiner jetzigen Form gebaut, um<br />

den Massen an Religionstouristen die rechte Ordnung zu geben. Im<br />

Mittelpunkt des Gotteshauses stand erstmals nicht der Altar sondern ein<br />

Schrein als Zentralachse des umfließenden Pilgerstroms. Nicht Boden-<br />

10 klaaf Kölner Köpfe Kölner Köpfe klaaf 11<br />

fOTO: SimiN KiANmEHR

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