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05 30<br />

30 FEBRUAR ’12<br />

PORTRÄTIERT<br />

Christiane Bruhn, Susanne Krebs, Bettina Muckenhaupt, Maren Pfeiffer, Foto: Rüdiger Pape<br />

FINSTERE LEBENSLÜGEN<br />

PORTRÄTIERT (2): AKT STELLT IN LOSER FOLGE FREIE KÖLNER THEATERMA-<br />

CHER VOR. HEUTE: NACH HILTRUD KISSEL FOLGT DER REGISSEUR RÜDIGER<br />

PAPE UND SEIN NEUES PROJEKT „DER STEIN“ VON MARIUS VON MAYENBURG<br />

Wer im EL-DE-Haus spielt, braucht kein Bühnenbild. Die<br />

Zeitleiste auf dem Boden ist perfekt für ein Stück, das<br />

einen Zeitraum von 1933 bis 93 beschreibt. Das Gebäude<br />

war früher ein Wohnhaus, später Nazi-Gefängnis und<br />

ist heute NS-Dokumentationszentrum und Museum. Die<br />

Wände tragen schlieriges gelb-braun, die düsteren Gänge<br />

vermitteln das klaustrophobische Gefühl von Enge<br />

und Behördenirrsinn, die Fenster sind teilweise original<br />

von vor dem Krieg. Hier fi ndet die Premiere von „Der<br />

Stein“ auf einer Reihe schlichter, unterschiedlich hoher<br />

Holzpodeste statt, mit fünf Schauspielerinnen aus drei<br />

verschiedenen Generationen in Alltagskleidung: unter ihnen<br />

die frisch gekürte Theaterehrenpreisträgerin Christiane<br />

Bruhn (77), die 1971 geborene Maren Pfeiffer und<br />

die 1983 geborene Susanne Krebs, noch recht frische Absolventin<br />

der Theaterakademie. „Es ist ein Stück, das man<br />

mit größtmöglichem Ausstattungs-Aufwand spielen kann –<br />

aber wir wollen es auf seinen psychologischen Kern reduzieren“,<br />

erklärt Pape. Eigens, um das 2008 bei den Salzburger<br />

Festspielen uraufgeführte Stück zu erarbeiten, hat<br />

der Regisseur, der in Köln sonst vor allen Dingen in der<br />

Comedia und im Theater im Bauturm arbeitet, eine eigene<br />

Gruppe gegründet: Das „ensemble 7“. Einmal, weil<br />

es sich um sieben Mitwirkende handelt, aber auch, weil<br />

diese Zahl in der jüdischen Mythologie eine große Rolle<br />

spielt, und auch im Stück. In „Der Stein“ wird die wechselvolle<br />

Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner<br />

erzählt, die immer wieder schmerzvolle Eckpunkte der<br />

deutschen Geschichte streift. Es geht zunächst um eine<br />

jüdische Familie, die 1935 vertrieben wird. Die Familie,<br />

die anschließend darin wohnt, verbirgt jahrzehntelang<br />

eine fi nstere Lebenslüge. In der DDR-Zeit wurde sie enteignet<br />

– und fordert das unter fragwürdigen Umständen<br />

erworbene Haus nach Fall der Mauer zurück. „Es ist ein<br />

Stück, das einfach gespielt und gehört werden muss – wir<br />

haben unsere Gruppe eigens dafür gegründet“, sagt Rüdiger<br />

Pape, „keine Ahnung, wie es mit dem Ensemble 7<br />

danach weitergeht“. Denn eigentlich ist Pape auch ohne<br />

eigene Gruppe gut beschäftigt.<br />

Rüdiger Pape, Foto: Michael Oreal<br />

Etwa fünf Stücke inszeniert der freie Regisseur, Jahrgang<br />

1960, jährlich, das ist hart an der Grenze zur Überarbeitung –<br />

aber von weniger könnte er nicht leben. Seine Leidenschaft<br />

für Stoffe und die menschlichen Zusammenhänge, die sie<br />

beschreiben – das ist wohl einer der Hauptgründe für Rüdiger<br />

Papes Weg zum Theater. Dabei inszeniert er für Menschen<br />

einer großen Altersspanne, für Kinder wie für Greise.<br />

Es ist wohl kaum ein größerer Unterschied denkbar zwischen<br />

„Frau Meier, die Amsel“ nach Wolf Erlbruch für das<br />

Bonner Theater Marabu, das im Mai 2011 den Kinder- und<br />

Jugendtheaterpreis NRW erhielt, und Papes Uraufführung<br />

nach Andreas Dresens Film „Wolke 9“ im Theater im Bauturm.<br />

Das eine war die Verlebendigung eines berühmten<br />

Bilderbuchs für Kinder ab vier Jahren, das andere die Bühnenversion<br />

eines viel besprochenen Films über Liebe und<br />

Sex im Alter. Noch heute, mehrere Monate nach der Premiere,<br />

erhält Pape Briefe von Senioren, die ihm danken, das<br />

Tabuthema so respektvoll und einfühlsam behandelt zu haben.<br />

Und doch gibt es Ähnlichkeiten zwischen seinen Arbeiten:<br />

es sind meist psychologisch fein gezeichnete Bestandaufnahmen<br />

menschlicher Beziehungen.<br />

Rüdiger Pape richtet sich nicht nach Regiemoden. Ihm ist<br />

es wichtig, jedem Projekt eine eigene Form und Sprache<br />

zu geben: in langen Improvisationen und enger Zusam-<br />

menarbeit mit Schauspielern und Ausstattern ist das oft<br />

ein langer Prozess. „Ich unterwerfe mich den Stoffen und<br />

will mich jedes Mal ganz neu und unschuldig machen“,<br />

sagt er. Bei „Frau Meier, die Amsel“ inspirierte ein Wäscheständer<br />

im Foyer des Theaters zur ersten Szene, die<br />

Hauskatze der Meiers entstand durch Zufall aus einem<br />

gefalteten Stück Papier – und kreist wegen der spontanen<br />

Eingebung des Schauspielers auf dem Plattenteller. Das<br />

steht nicht im Kinderbuch, aber spiegelt wunderbar seine<br />

verspielte, schwebende Grundstimmung wieder.<br />

Dass er selbst drei Kinder hat, hilft zuweilen: Etwa bei<br />

dem berührenden „Schwestern“, ein Stück von Theo Franz<br />

über den Tod in der Comedia, das selbst gestandene Kritiker<br />

zum Weinen brachte. Stundenlang spielen die beiden<br />

Schwestern, von denen die eine nicht mehr lebt, nachts<br />

Wortspiele, die von Papes Töchtern inspiriert wurden.<br />

„Außerdem profi tiere ich von ihrem Kinderbuch-Fundus“,<br />

sagt er. Eine seiner liebsten Inszenierungen der letzten<br />

Jahre war daher auch „Sultan und Kotzbrocken“ von Claudia<br />

Schreiber, das seit seiner Inszenierung sogar als Theaterstück<br />

verlegt ist. Nur durch Zufall hatte Pape entdeckt,<br />

dass sie auch Kölnerin ist, es entspann sich ein spannender<br />

kreativer Theaterdialog zwischen ihnen.<br />

Die Stoffe, die ihn interessieren, sind dabei ganz unterschiedlich:<br />

„In jedem Fall müssen sie etwas bei mir auslösen“.<br />

Das kann eine sperrig-rhythmische Textfl äche sein<br />

wie „Kaspar Häuser Meer“ im Theater im Bauturm – oder<br />

ein anarchisches Lob der Faulheit wie „Sultan und Kotzbrocken“.<br />

Doch alle seine Theaterarbeiten verbindet, dass<br />

sie mit Bildern und Gefühlen zu tun haben und Pape sie<br />

sich tief von innen anzueignen versucht – er benutzt sogar<br />

das altmodische Wort „Seele“ dafür. Ein abgehangenes<br />

Stück Diskurstheater wäre nichts für ihn. „Ich versuche<br />

nicht, epigonal zu sein und Trends hinterherzulaufen – ich<br />

muss da ganz bei mir bleiben.“ Genau das macht Rüdiger<br />

Pape zu einem der zur Zeit produktivsten und vielseitigsten<br />

Regisseure von Köln. DOROTHEA MARCUS<br />

TERMINE IM FEBRUAR: „DER STEIN“, EL-DE-HAUS, 2.(PREMIERE)-5., 10.-12.,<br />

23.-26. FEBRUAR, KARTEN UNTER: 22124340 ODER NSDOK@STADT-KOELN.DE

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