Krise und Illusion. Zur Philosophie der ... - Roger Behrens

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Krise und Illusion | 10 von der Filmindustrie und den politisch gelenkten Medien verkörpert wird, als »Bewusstseinsindustrie« oder »communication industry« 16 bezeichnet werden, durch die die Welt nur noch als »Phantom und Matrize« 17 erscheint. Andererseits zeigt gerade diese »hegemoniale Kultur« (Antonio Gramsci) als Ausdruckszusammenhang einer sozialen Ordnung, die von fundamentalen Widersprüchen durchsetzt ist, selbst Anzeichen der Krise und der gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse. Soziale, individuelle und psychische Konflikte finden auch kulturell ihren Ausdruck in einem diffusen System von Symbolen, Codierungen und alltagskultureller Praxis. D i e k u l t u r p h i l o s o p h i s c h e u n d ä s t h e t i s c h e H e r a u s f o r d e r u n g d e r M a s s e n k u l t u r Herbert Marcuse interpretiert die Massenkultur als eine Zuspitzung der Dialektik der Kultur: Die »negativen Aspekte unserer heutigen Kultur können durchaus ein Zeichen dafür sein, dass die geltenden Institutionen überaltet sind und neue Formen der Kultur sich herauszubilden beginnen: die Unterdrückung wird vielleicht um so nachdrücklicher geübt, je unnötiger sie wird … Stellt die Wechselbeziehung zwischen Freiheit und Unterdrückung, Produktivität und Zerstörung, Herrschaft und Fortschritt wirklich das Prinzip der Kultur dar? Oder resultiert dieser Wechselbezug nur aus einer spezifischen historischen Organisation des menschlichen Daseins? … Lässt dieser Konflikt die Vorstellung einer Kultur ohne Unterdrückung zu, die auf einer völlig andersartigen Daseinserfahrung, auf einer völlig 16 Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie, Frankfurt am Main 1969; Adorno spricht bereits in den dreißiger Jahren von der »communication industry«, zum Beispiel im Aufsatz: Jazz, in: Gesammelte Schriften Bd. 18, a.a.O., S. 72. 17 Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1987, S. 129 ff.
Krise und Illusion | 11 anderen Beziehung zwischen Mensch und Natur, auf völlig anderen existentiellen Beziehungen beruht?« 18 Innerhalb der bürgerlichen Kultur konnten sich die Kunstformen entwickeln, die diese, von Marcuse skizzierte emanzipatorische Dimension der Kultur eine ästhetische Gestalt verleihen; doch diese Künste sind zugleich isoliert – die künstlerische Avantgarde hat sich in eine Sackgasse fortbewegt; sie vermag nur noch innerhalb des bürgerlichen Kulturbetriebes ihre Idee vom Leben als Kunst durchzusetzen, und bleibt eingesperrt in den Museen. Die Massenkultur hingegen bot der Vorstellung einer neuen, lebenspraktischen und in diesem Sinne avantgardistischen Kultur neue Formen, aber noch keine Inhalte; was sich gerade bei den Jugendlichen als Rock ’n’ Roll oder im Jazz kristallisierte, war noch ohne Programm und konnte deshalb schnell von der Kulturindustrie absorbiert werden. – Erst als die Künste einen weiteren Ausbruchsversuch aus den institutionellen Zwängen unternahmen und offensiv sich der Mittel der Massenkultur bedienten, kam es zu einem entscheidenden Bruch, oder besser Aufhebungssprung in der Dialektik des kulturellen Prozesses. Ende der sechziger Jahre kann die »klassische« Phase, also die Phase der Konsolidierung der Massenkultur als abgeschlossen betrachtet werden. 19 Bis zu den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entsprach die Gliederung von Massenkultur und Hochkultur noch weitgehend den sozialen Verhältnissen des Spätkapitalismus; Massenkultur sollte auf einfache Weise die Massen unterhalten, sie ohne Anstrengung auf den Alltag vorbereiten, während die Hochkultur das künstlerische Reservat für Utopie und emanzipatorische Ästhetik blieb. Das änderte sich mit der Pop-Art: Künstler wie Andy Warhol, Robert Rauschenberg oder Roy Lichtenstein griffen Konzepte der Moderne und Avantgarde auf – wie etwa die Montage, das Fundstück – und verbanden dies mit den Symbolen und Objekten der Massenkultur. Wenn die Kulturindustrie die Kunst zur Ware macht, dann muss jetzt die Ware zur Kunst verwandelt werden: Warhol malte Suppendosen und stellte 18 Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1968, S. 10 f. 19 Vgl. dazu: Kaspar Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970, Frankfurt am Main 1997, S. 265 ff.
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