Krise und Illusion. Zur Philosophie der ... - Roger Behrens
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<strong>Krise</strong> <strong>und</strong> <strong>Illusion</strong> | 12<br />
Waschmittelpackungen ins Museum. Mit ähnliche Strategien hat es auch<br />
in den an<strong>der</strong>en Künsten Annäherungen zwischen Massenkultur <strong>und</strong><br />
Hochkultur gegeben, übrigens in Formformen schon im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
– so wie die Operette Volkslie<strong>der</strong> verwendete, so griff die Jazzmusik<br />
klassische Themen auf, die Neue Musik verwendete synthetische<br />
Klangerzeugung o<strong>der</strong> das Radio in <strong>der</strong> Komposition. In <strong>der</strong> Literatur<br />
ließen sich die Beat-Poeten vom Jazz <strong>und</strong> vom Großstadtleben<br />
inspirieren. Zugleich verfeinerte sich zu Beginn <strong>der</strong> siebziger Jahre die<br />
Technik – das Farbfernsehen verbreitet sich, die Videotechnik wird<br />
entwickelt; in <strong>der</strong> Musik etablierte sich neben <strong>der</strong> Langspielplatte nun<br />
die Musikkassette (1965 eingeführt), die Studiotechnik – etwa die<br />
Aufnahmequalität – wird verbessert, Musiksynthesizer werden<br />
zunehmend eingesetzt. Auch die Kultur steht schon an <strong>der</strong> Schwelle zur<br />
digitalen Revolution, zur Mikroeletronik <strong>und</strong> Computertechnologie.<br />
Der Abschluss <strong>der</strong> klassischen Phase <strong>der</strong> Massenkultur ist sozial durch<br />
einen Prozess <strong>der</strong> Ausdifferenzierung gekennzeichnet: Die einheitliche<br />
Masse <strong>der</strong> Konsumenten löst sich in Teilgruppen auf, es entstehen<br />
vielfältige Jugendkulturen <strong>und</strong> für manche Segmente <strong>der</strong> neuen<br />
Massenkultur ist ein regelrechtes Expertenwissen gefor<strong>der</strong>t. In diesem<br />
Sinne spricht Arnold Hauser vom Aufbruch einer »vierten<br />
Bildungsschicht«, die in ihrem Bildungsniveau quer sowohl zur<br />
unterprivilegierten Masse wie auch zur Bildungselite steht, auffällig<br />
durch eine rebellische, die tradierten Werte ablehnende Haltung. 20<br />
Auch wenn die Kultur insgesamt einen ökonomisch von wenigen<br />
Konzernen verwalteten Apparat darstellt, haben sich »alternative<br />
Rezeptionsformen« herausgebildet, die immer wie<strong>der</strong> neue Formen <strong>und</strong><br />
Genre- o<strong>der</strong> Stilentwicklungen <strong>der</strong> Massenkultur hervorrufen. Der<br />
Kulturindustrie steht eine Alltagskultur gegenüber, <strong>der</strong> für Momente<br />
eine kulturelle Praxis gelingen kann, die mit Diktionen <strong>der</strong> verwalteten<br />
Massenkultur bricht; gleichwohl reproduziert die Alltagskultur die<br />
bestehenden Strukturen, erfüllt auch die strategischen Angebote <strong>der</strong><br />
Massenkultur, sich mit den Verhältnissen, wie sie sind, abzufinden.<br />
Diese Dialektik des Alltags stand im Mittelpunkt <strong>der</strong> Untersuchungen<br />
20 Vgl. Arnold Hauser, Soziologie <strong>der</strong> Kunst, München 1983, S. 684 ff.