Wiener Kommentar Strafgesetzbuch - Manz
Wiener Kommentar Strafgesetzbuch - Manz
Wiener Kommentar Strafgesetzbuch - Manz
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Band 1: StGB<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong><br />
zum<br />
<strong>Strafgesetzbuch</strong><br />
2. Auflage<br />
§§ Bearbeiter Lfg. Ausgegeben im<br />
Titelei (2. Ausgabe) Juli 2006<br />
Sachregister Bruckmüller/Trukeschitz 60 Dez. 2005<br />
1 Höpfel 52 Mai 2004<br />
2 Hilf 59 Dez. 2005<br />
3 Lewisch 43 April 2003<br />
Nachbem 3 Lewisch 46 Juli 2003<br />
4 Tipold 57 Dez. 2005<br />
5 Reindl 58 Dez. 2005<br />
6, 7 Burgstaller 26 Juli 2001<br />
8 – 11 Höpfel 22 März 2012<br />
12 – 14 Fabrizy 11 Feb. 2000<br />
15, 16 Hager, Massauer 9 Dez. 1999<br />
17 – 19 Höpfel/Lässig 40 (A) Sept. 2010<br />
20 – 20 c Fuchs/Tipold 49 (A) Dez. 2007<br />
21 – 27 Ratz 14 (A) Sept. 2011<br />
Band 2: StGB<br />
28 – 31 a Ratz 2 (A) Okt. 2011<br />
32 – 36 Ebner 45 April 2003<br />
37 – 41 a Flora, Ratz 47 Juli 2003<br />
43 – 49 Jerabek/Ratz 44 (A) Dez. 2011<br />
50 – 56 Schroll/Jerabek/Ratz 8 (A) Juni 2010<br />
57 – 60 Marek 10 (A) Dez. 2011<br />
61 – 67 Höpfel/Kathrein 21 (A) April 2011<br />
68 – 74 Jerabek/Kathrein/Reindl-<br />
Krauskopf/Schroll<br />
5 (A) Juni 2010<br />
75 – 79 Moos 33–35 April 2002<br />
80 Burgstaller 27 Juli 2001<br />
81 Burgstaller 39 Nov. 2002<br />
82 – 87 Burgstaller/Fabrizy 36 April 2002<br />
88, 89 Burgstaller/Schütz 41 (A) Mai 2012<br />
90 Burgstaller/Schütz 50 Dez. 2003<br />
Band 3: StGB<br />
91 – 95 Jerabek 29 (A) April 2010<br />
96 – 98 Eder-Rieder 23 März 2001<br />
Höpfel/Ratz, <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong>², 87. Lfg. (Juni 2012)
§§ Bearbeiter Lfg. Ausgegeben im<br />
99 – 104 a Schwaighofer 15 a (A) Okt. 2010<br />
105 – 107 b Schwaighofer 15 b (A) Okt. 2010<br />
108 – 110 Bertel 17 Aug. 2000<br />
111 – 117 Rami 1 (A) Dez. 2011<br />
118 – 124 Lewisch, Reindl-Krauskopf 30 (A) Sept. 2008<br />
125 – 141 Bertel, Reindl 3 (A) Dez. 2008<br />
142 – 145 Eder-Rieder 4 (A) April 2006<br />
146 – 148 Kirchbacher 24 a (A) Sept. 2011<br />
148 a – 155 Kirchbacher/Presslauer 24 b (A) Dez. 2009<br />
156 – 165 a Kirchbacher 25 a (A) Sept. 2011<br />
166 – 168 e Kirchbacher/Presslauer 25 b (A) Dez. 2009<br />
169 – 187 Mayerhofer/Aicher-Hadler 38 (A) Aug. 2007<br />
188 – 191 Bachner-Foregger 18 (A) Dez. 2009<br />
192 – 200 Markel 12 (A) Juli 2011<br />
Band 4: StGB<br />
201 – 212 Philipp 31 (A) Sept. 2010<br />
213 – 221 Philipp 32 (A) Mai 2010<br />
222 Philipp 37 (A) Dez. 2005<br />
223 Kienapfel/Schroll 19 (A) Juli 2006<br />
224 – 231 Kienapfel/Reindl/Schroll 20 (A) Juli 2006<br />
232 – 241 Schroll 42 (A) Aug. 2007<br />
241 a – 241 g Schroll 55 Mai 2005<br />
242 – 268 Bachner-Foregger 6 (A) Feb. 2009<br />
269 – 273 Danek 7 Okt. 1999<br />
274 – 278 d Plöchl 16 a (A) Feb. 2009<br />
279 – 287 Plöchl 16 b (A) Feb. 2009<br />
288 – 296 Plöchl/Seidl 48 (A) Sept. 2010<br />
297 – 301 Pilnacek 51 (A) Mai 2010<br />
302 – 315 Bertel 28 (A) Mai 2010<br />
316 – 321 (324) Brandstetter/Tipold/Hafner 54 (A) März 2009<br />
Band 5: Nebengesetze<br />
1 – 25 ARHG Göth-Flemmich/<br />
Martetschläger<br />
74 Dez. 2010<br />
26 – 41 ARHG Göth-Flemmich 75 Dez. 2010<br />
42 – 67 ARHG Martetschläger 76 Dez. 2010<br />
68 – 78 ARHG Göth-Flemmich/<br />
Martetschläger<br />
77 Dez. 2010<br />
BörseG (Auszug) Hinterhofer 68 Nov. 2006<br />
51 DSG Salimi 84 Mai 2012<br />
1 – 12 EU-JZG Hinterhofer/Schallmoser 78 April 2011<br />
13 – 28 EU-JZG Hinterhofer/Schallmoser 79 April 2011<br />
1 – 32 FinStrG Lässig 85 Juni 2012<br />
33 – 55 FinStrG Lässig 86 Juni 2012<br />
195 – 265 FinStrG Lässig 87 Juni 2012<br />
Höpfel/Ratz, <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong>², 87. Lfg. (Juni 2012)
§§ Bearbeiter Lfg. Ausgegeben im<br />
114 – 119 FPG Tipold 71 April 2010<br />
GRBG Kier 81 Okt. 2011<br />
1 – 30 JGG Schroll 61 (A) Feb. 2010<br />
31 – 60 JGG Schroll 62 (A) Feb. 2010<br />
KrMatG (Auszug) Schwab 63 März 2006<br />
LMSVG (Auszug) Natterer 80 Sept. 2011<br />
Band 6: Nebengesetze<br />
1 – 7 c MedienG Rami 65 a (A) Juli 2011<br />
8 – 10 MedienG Rami 65 b (A) Juli 2011<br />
11 – 28 MedienG Rami 66 (A) Juli 2011<br />
29 – 57 MedienG Rami 67 (A) Juli 2011<br />
MilStG Schwab 69 Mai 2007<br />
StEG Kodek/Leupold 72 (A) Dez. 2011<br />
StVG (Auszug) Pieber 82 März 2012<br />
StVG (Auszug) Pieber 83 März 2012<br />
27 – 28 b SMG Schwaighofer 70 a (A) August 2011<br />
30 – 40 SMG Schwaighofer 70 b (A) August 2011<br />
Kontaktadresse für Fragen zum Werk:<br />
MMag. Franziska Koberwein (Lektorat)<br />
Tel.: 01 / 53161 – 354, E-Mail: franziska.koberwein@manz.at<br />
Höpfel/Ratz, <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong>², 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong><br />
zum<br />
<strong>Strafgesetzbuch</strong><br />
2. Auflage<br />
herausgegeben von<br />
Dr. Frank Höpfel Dr. Eckart Ratz<br />
O. Universitätsprofessor in Wien Honorarprofessor der Universität Wien<br />
Präsident des Obersten Gerichtshofs<br />
87. Lieferung:<br />
Juni 2012<br />
§§ 195–265 FinStrG<br />
bearbeitet von<br />
Dr. Rudolf Lässig<br />
Hofrat des Obersten Gerichtshofs<br />
A L L E K R A<br />
F T I S<br />
1 8 4 9<br />
Wien 2012<br />
<strong>Manz</strong>sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (1)<br />
T W I L L E
Zitiervorschlag: Lässig in WK 2 FinStrG § ... Rz ...<br />
Lässig<br />
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne<br />
Gewähr; eine Haftung des Autors, der Herausgeber sowie des Verlages ist<br />
ausgeschlossen.<br />
ISBN 978-3-214-07469-2<br />
ISBN 978-3-214-04597-5 (1.–87. Lfg.)<br />
Datenkonvertierung, Satzherstellung und Druck: Ferdinand Berger & Söhne GmbH, 3580 Horn<br />
(2) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Dritter Unterabschnitt<br />
Sonderbestimmungen für das Verfahren<br />
wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen<br />
1. Allgemeines<br />
Finanzstrafbehörde im Dienst der Strafrechtspflege<br />
195 § 195. (1) Soweit im Folgenden nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist, gelten<br />
für das Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen die Bestimmungen der Strafprozessordnung.<br />
(2) Die besonderen Vorschriften dieses Unterabschnittes gelten auch für das Verfahren<br />
wegen einer Tat, die zugleich den Tatbestand eines Finanzvergehens und den einer gerichtlich<br />
strafbaren Handlung anderer Art erfüllt.<br />
(3) Für Verfahren wegen Finanzvergehen gegen Verbände gelten, soweit im Folgenden<br />
nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist, die Bestimmungen des 3. Abschnittes des<br />
Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Abs 1 ist die zentrale Verweisungsbestimmung für das gerichtliche Finanzstrafverfahren,<br />
indem er diesbezüglich – in Relation zu den Bestimmungen des<br />
Dritten Unterabschnitts – die subsidiäre Geltung der StPO anordnet. Die praktische<br />
Handhabung dieser Subsidiaritätsklausel wird dadurch erleichtert, dass das<br />
FinStrG in §§ 196a–246 Sondernormen enthält, die jeweils genau bezeichneten,<br />
numerisch gereihten Passagen der StPO zugeordnet sind. Im groben Überblick bestehen<br />
folgende spezielle Regelungen:<br />
– Zur Zuständigkeit (§§ 29–42 StPO) §§ 196a und 246,<br />
– zum Verteidiger (§§ 57–63 StPO) § 199,<br />
– zur Privatbeteiligung (§§ 67–70 StPO) § 200,<br />
– zu den Bekanntmachungen und Zustellungen (§§ 81–83 StPO) § 200a,<br />
– zum Ermittlungsverfahren (§§ 91–189 StPO) §§ 201–208,<br />
– zur Anklage (§§ 210–215 StPO) §§ 209 und 210,<br />
– zur Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 220–227 StPO) §§ 211 und 212,<br />
–zuHauptverhandlung und Urteil (§§ 228–279 StPO) §§ 213–217,<br />
– zum Rechtsmittelverfahren (§§ 280–296a StPO) §§ 218 und 219,<br />
– zur Wiederaufnahme (§§ 352–363 StPO) §§ 220–226,<br />
– zu den Verfahrenskosten (§§ 380–395 StPO) §§ 227–228a,<br />
– zur Vollstreckung der Urteile (§§ 396–411 StPO) §§ 229 und 230,<br />
– zum Abwesenheitsverfahren (§§ 197, 427f StPO) §§ 231–235 sowie<br />
– zum Verfahren beim Verfall (§§ 443–446) §§ 236–245.<br />
Soweit in der Kommentierung zum Dritten Unterabschnitt auf Paragraphen<br />
der StPO Bezug genommen wird, sind diese hinsichtlich des Finanzstrafverfahrens<br />
stets iVm § 195 Abs 1 zu verstehen.<br />
Eine besondere prozessuale Konstellation kann sich im Finanzstrafverfahren<br />
auf Grund der Kompetenzaufteilung zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden<br />
(§ 53) in Bezug auf die Ausgeschlossenheit von Richtern (§§ 43–46 StPO) ergeben,<br />
weil es möglich ist, dass die Zuständigkeit von der Finanzstrafbehörde auf<br />
das Gericht übergeht (§ 54). Da den Vorsitz im finanzbehördlichen Spruchsenat<br />
gem § 66 Abs 2 zweiter Satz ein Richter des Dienststandes führt, kann es somit zu<br />
wiederholter Zuständigkeit (in derselben Sache) in unterschiedlichen Funktionen<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (3)<br />
1<br />
2
3<br />
4<br />
§ 196 Finanzstrafbehörde im Dienst der Strafrechtspflege Lässig<br />
kommen. Wenngleich der Dritte Unterabschnitt insoweit keine Sonderbestimmung<br />
vorsieht, legt der OGH § 43 StPO in stRsp dahin aus, dass der Spruchsenatsvorsitzende,<br />
der vor dem Kompetenzübergang (§ 54) iSd § 72 Abs 1 lit c im finanzstrafbehördlichen<br />
Untersuchungsverfahren oder in dem damit im Zusammenhang<br />
stehenden Abgabenverfahren tätig gewesen ist, als nach § 43 Abs 2 StPO vom<br />
Hauptverfahren ausgeschlossen zu betrachten ist (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 20;<br />
13 Os 121/98, EvBl 1999/52, 235; RIS-Justiz RS0110800). Arg a minori ad maius<br />
muss dies auch gelten, wenn der Spruchsenatsvorsitzende bereits an der Sachentscheidung<br />
mitgewirkt hat (vgl § 54 Abs 4 zweiter Satz). Ebenso ist ein Richter des<br />
Rechtsmittelgerichts, der zuvor als Spruchsenatsvorsitzender (mit-)entschieden<br />
hat, nach der Judikatur ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0086697), weil insoweit materiell<br />
dieselbe prozessuale Situation vorliegt wie die in § 43 Abs 3 erster Fall<br />
StPO beschriebene (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 31).<br />
Da § 47 Abs 1 Z 2 StPO Staatsanwälte in Verfahren, in denen sie zuvor Richter<br />
gewesen sind, generell für befangen erklärt (hiezu Lässig, WK-StPO § 47<br />
Rz 2), ist nach dem eben Ausgeführten auch diese Bestimmung analog auf Spruchsenatsvorsitzende<br />
anzuwenden.<br />
Finanzvergehen können mit anderen strafbaren Handlungen eintätig (hiezu<br />
Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 11–13) zusammentreffen. Solcherart konkurrieren<br />
beispielsweise die Tatbestände des § 33 und der Tatbestand des § 302 Abs 1<br />
StGB echt (§ 33 Rz 28 mwN). Gegenstand des Strafverfahrens ist die Tat, also ein<br />
bestimmter Lebenssachverhalt. Erst wenn die erforderlichen Feststellungen dazu<br />
getroffen sind, erfolgt die Subsumtion, also die rechtliche Kategorisierung (zu dieser<br />
Differenzierung eingehend Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 1). Demgemäß<br />
kann das Strafverfahren bei eintätigem Zusammentreffen nur nach einheitlichen<br />
Regeln durchgeführt werden, wobei Abs 2 in Bezug auf das hier angesprochene<br />
Konkurrenzverhältnis die generelle Anwendung (auch) der Sonderbestimmungen<br />
des Dritten Unterabschnitts vorsieht. Eine Besonderheit besteht dabei<br />
dahin, dass die Staatsanwaltschaft bei dieser Konstellation gem § 196 Abs 2 (anstelle<br />
der Finanzstrafbehörde) die Kriminalpolizei mit den Ermittlungen betrauen<br />
kann (dazu § 196 Rz 5).<br />
Die Funktion des Abs 1 als zentrale Verweisungsnorm für Finanzstrafverfahren<br />
im Allgemeinen erfüllt Abs 3 hinsichtlich solcher Verfahren gegen Verbände<br />
(§ 1 Rz 6), wobei sich aus dieser Bestimmung eine Subsidiaritätskette ergibt.<br />
Abs 3 ordnet nämlich die subsidiäre Anwendung der Verfahrensregeln des<br />
VbVG (also dessen §§ 13–27) an, das seinerseits (subsidiär) auf die „allgemeinen<br />
Vorschriften über das Strafverfahren“ – demnach auf die StPO – weiter verweist<br />
(§ 14 Abs 1 VbVG). Das VbVG ist Gegenstand einer gesonderten Kommentierung.<br />
196<br />
§ 196. (1) Bei der Aufklärung und Verfolgung gerichtlich strafbarer Finanzvergehen<br />
werden die Finanzstrafbehörden im Dienste der Strafrechtspflege (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG)<br />
tätig. Die in der Strafprozessordnung der Kriminalpolizei zukommenden Aufgaben und Befugnisse<br />
haben bei gerichtlich strafbaren Finanzvergehen an Stelle der Kriminalpolizei die Finanzstrafbehörden<br />
und ihre Organe wahrzunehmen.<br />
(2) Nur wenn die Finanzstrafbehörden oder ihre Organe nicht rechtzeitig einschreiten<br />
können oder das aufzuklärende Finanzvergehen auch den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren<br />
Handlung erfüllt, die kein Finanzvergehen ist, hat auf Anordnung der Staatsanwaltschaft<br />
die Kriminalpolizei einzuschreiten.<br />
(3) Wo in den folgenden Bestimmungen die Finanzstrafbehörde genannt wird, ist darunter<br />
die Behörde erster Instanz zu verstehen, der das verwaltungsbehördliche Finanzstraf-<br />
(4) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Finanzstrafbehörde im Dienst der Strafrechtspflege § 196<br />
verfahren wegen eines Finanzvergehens zustünde, wenn dieses nicht von den Gerichten zu<br />
ahnden wäre. Die gemeinsame Oberbehörde kann aus Zweckmäßigkeitsgründen, insbesondere<br />
zur Wahrung des Beschleunigungsgebotes, verfügen, dass die Rechte und Pflichten der<br />
Finanzstrafbehörde durch eine andere sachlich zuständige Finanzstrafbehörde erster Instanz<br />
wahrzunehmen sind. Darüber ist der Staatsanwaltschaft zu berichten.<br />
(4) Auch im Ermittlungsverfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen stehen<br />
der Finanzstrafbehörde die in den §§ 99 Abs. 2 bis 4 und 120 Abs. 3 eingeräumten Befugnisse<br />
zu und, wenn es sich bei der Finanzstrafbehörde um ein Zollamt handelt, die den Zollämtern<br />
und ihren Organen in den Zollvorschriften eingeräumten Befugnisse.<br />
IdF BGBl I 2010/104<br />
Schrifttum: Fellner, Abgrenzung von verwaltungsbehördlichem Untersuchungsverfahren<br />
und gerichtlichem Ermittlungsverfahren, RdW 2009/627, 616; Kotschnigg, Bemerkungen<br />
zur FinStrG-Novelle 2007, RdW 2007/450, 444; Scheil, Die Finanzstrafgesetz-Novelle, ÖStZ<br />
2007/738, 370.<br />
Abs 1 erster Satz ordnet die Funktion, die der Finanzstrafbehörde bei der<br />
Aufklärung und Verfolgung gerichtlich strafbarer Finanzvergehen zukommt, dem<br />
Kompetenztatbestand des Strafrechtswesens iSd Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG zu (dazu<br />
eingehend Vogl, WK-StPO § 18 Rz 1–4). Diesbezüglich entspricht ihre prozessuale<br />
Stellung nach Abs 1 zweiter Satz jener, die in der StPO der Kriminalpolizei<br />
zugewiesen ist (§§ 98–100a StPO). Die Finanzstrafbehörde hat daher in diesem<br />
Bereich (ebenso wie die Kriminalpolizei) den Anordnungen der Staatsanwaltschaft<br />
zu folgen (§ 98 Abs 1, § 99 Abs 1, § 101 Abs 4, § 103 Abs 1 StPO). Diese ist<br />
wiederum in Erteilung solcher Anordnungen nach Art 90a B-VG als Organ der<br />
Gerichtsbarkeit tätig (Schroll, WK-StPO Vor §§ 19ff Rz 12f) und solcherart gem<br />
dem in Art 94 B-VG normierten gewaltentrennenden Grundprinzip der Bundesverfassung<br />
(Art 44 Abs 3 B-VG) gegenüber einer Verwaltungsbehörde nicht weisungsbefugt,<br />
aus welchem Grund die Finanzstrafbehörde insoweit als Erfüllungsgehilfe<br />
der Staatsanwaltschaft zu betrachten ist (vgl Vogl, WK-StPO § 98 Rz 25).<br />
Dies kommt im Übrigen auch durch den Wortlaut des ersten Satzes des Abs 1, wonach<br />
die Finanzstrafbehörde „im Dienste“ der Strafrechtspflege einschreitet, zum<br />
Ausdruck.<br />
Gegenstand des § 196 ist die Funktion der Finanzstrafbehörde bei der „Aufklärung<br />
und Verfolgung“ gerichtlich strafbarer Finanzvergehen. Diese Einschränkung<br />
ist notwendig, weil der Finanzstrafbehörde im gerichtlichen Finanzstrafverfahren<br />
– ex lege – auch die Stellung eines Privatbeteiligten zukommt (§ 200<br />
Abs 1). Die mit dieser Position verbundenen und die daran anknüpfenden Rechte<br />
(§ 200 Rz 5–15) sind aber in § 196 gerade nicht angesprochen.<br />
Abs 4 weitet die Befugnisse der Finanzstrafbehörde über die ihr nach §§ 98f<br />
StPO zukommenden um solche aus, die ihr im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren<br />
zustehen. Im Einzelnen sind dies die Berechtigungen,<br />
– Nachschauen und Prüfungen iSd Abgaben- oder Monopolvorschriften anzuordnen<br />
(§ 99 Abs 2),<br />
– von den Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste Auskunft über<br />
Namen, Anschrift und Teilnehmernummer – also Stammdaten iSd § 92<br />
Abs 3 Z 3 lit a, c und d TKG – eines bestimmten Anschlusses zu verlangen<br />
und kostenlos zu erhalten (§ 99 Abs 3),<br />
– von den Betreibern von Postdiensten Auskünfte über Postsendungen zu verlangen<br />
und kostenlos zu erhalten (§ 99 Abs 4) sowie<br />
– auf automationsunterstütztem Weg Einsicht in das Grundbuch, das Firmenbuch,<br />
das zentrale Melderegister, das zentrale Gewerberegister, das zentrale<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (5)<br />
1<br />
2<br />
3
4<br />
5<br />
§ 196 Finanzstrafbehörde im Dienst der Strafrechtspflege Lässig<br />
Vereinsregister, das zentrale Zulassungsregister für Kraftfahrzeuge sowie<br />
die KFZ Genehmigungs- und Informationsregister der Landesregierungen<br />
oder der von diesen beauftragten Stellen für Fahrzeuge zu nehmen (§ 158<br />
Abs 4 BAO iVm § 120 Abs 3).<br />
– Ist die Finanzstrafbehörde ein Zollamt, kommen ihr zudem die diesen Ämtern<br />
und deren Organen in den Zollvorschriften eingeräumten Befugnisse<br />
zu, wie beispielsweise die Berechtigung, personenbezogene Daten (§ 4 Z 1<br />
DSG 2000), die ihnen im Rahmen ihrer Zuständigkeit entweder auf Grund<br />
gesetzlicher Verpflichtungen oder freiwillig überlassen oder sonst bei Vollziehung<br />
des Zollrechts und der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gewonnen<br />
werden (§ 7 Abs 1 ZollR-DG), zu ermitteln und zu verarbeiten oder die Befugnis,<br />
Durchsuchung von Personen und Gegenständen ohne gerichtliche<br />
Bewilligung vorzunehmen (§ 22 Abs 2 und 3 ZollR-DG; vgl demgegenüber<br />
§ 120 Abs 1 erster Satz StPO, welcher der Kriminalpolizei dieses Recht nur<br />
bei Gefahr im Verzug einräumt).<br />
Unter „Finanzstrafbehörde“ iSd Dritten Unterabschnitts ist nach Abs 3 erster<br />
Satz die Behörde erster Instanz zu verstehen, die (wenn nicht Gerichtskompetenz<br />
vorläge) für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren zuständig<br />
wäre, also – je nach Materie – das örtlich zuständige Finanz- oder Zollamt (§ 58<br />
Abs 1; im Detail § 53 Rz 7).<br />
Eine Delegierung durch die gemeinsame Oberbehörde ist nach Abs 3 zweiter<br />
Satz unter folgenden Voraussetzungen zulässig:<br />
– Verschoben kann ausschließlich die örtliche Zuständigkeit werden, weil das<br />
Gesetz nur die Delegierung an eine „andere sachlich zuständige“ Finanzstrafbehörde<br />
vorsieht.<br />
– Die Betrauung der anderen Behörde muss zweckmäßig sein. Damit sind der<br />
Sache nach va Kosten- und Aufwandersparnis angesprochen (vgl Nordmeyer,<br />
WK-StPO § 28 Rz 9). Ausdrücklich als Delegierungsgrund erwähnt<br />
wird die Wahrung des Beschleunigungsgebots (für gerichtliche Strafsachen<br />
generell § 9 Abs 1 StPO, speziell für Haftsachen § 9 Abs 2 StPO und § 177<br />
Abs 1 StPO).<br />
Über die Verschiebung der Zuständigkeit ist der Staatsanwaltschaft zu berichten<br />
(Abs 3 letzter Satz).<br />
Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft kann im Ermittlungsverfahren anstelle<br />
der Finanzstrafbehörde die Kriminalpolizei einschreiten (Abs 2). Dabei ist<br />
mit Blick auf die generelle Verweisung des § 195 Abs 1 auch § 99 Abs 2 StPO anzuwenden<br />
(EBRV 81 BlgNR 23. GP 13), sodass die Kriminalpolizei diese Anordnung<br />
bei Gefahr im Verzug nachträglich einholen kann.<br />
Zulässig ist eine solche staatsanwaltliche Verfügung zunächst dann, wenn die<br />
Finanzstrafbehörde nicht rechtzeitig einschreiten kann. Dies kann freilich nur fallbezogen<br />
beurteilt werden, ist aber primär von der Dringlichkeit der vorzunehmenden<br />
Ermittlungshandlung abhängig. So ist ein (sofortiges) Handeln der Kriminalpolizei<br />
stets dann geboten, wenn bei Zuwarten bis zum Einschreiten der Finanzstrafbehörde<br />
zu besorgen ist, dass Beweismittel vernichtet werden oder sonst verlorengehen,<br />
oder (bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 170 StPO) eine Festnahme<br />
nicht mehr durchführbar wäre.<br />
Abgesehen davon kann die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei auch<br />
dann mit den Ermittlungen betrauen, wenn die Verdachtslage auf eine Tat gerichtet<br />
ist, die sowohl den Tatbestand eines Finanzvergehens als auch jenen einer anderen<br />
gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt. Hier stehen Zweckmäßigkeitserwägungen<br />
im Vordergrund, indem die Staatsanwaltschaft beurteilen muss, von wel-<br />
(6) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Zu § 31 StPO, Zum 3. Hauptstück der StPO §§ 196a–199<br />
cher Behörde auf Grund ihrer Struktur, ihrer personellen Ressourcen und der speziellen<br />
Fachkenntnisse ihrer Organe die effizientere Aufklärungsarbeit zu erwarten<br />
ist. Bedeutsam sind aber auch allfällige Zusammenhänge mit anderen strafrechtlich<br />
relevanten Vorwürfen. So wird eine Behörde, die in einer Causa bereits<br />
ermittelt, mit Erhebungen in konnexen Verfahren zu betrauen sein. Schließlich<br />
kann auch von Bedeutung sein, ob der finanzstrafrechtliche oder der allgemein<br />
strafrechtliche Vorwurf schwerer wiegt. Die Verfahrensbestimmungen des Dritten<br />
Unterabschnitts sind jedenfalls – also unabhängig davon, ob die Finanzstrafbehörde<br />
oder die Kriminalpolizei einschreitet – anzuwenden (§ 195 Abs 2).<br />
2. Ergänzungen der Strafprozessordnung<br />
Zu § 31<br />
Zu § 31 StPO, Zum 3. Hauptstück der StPO<br />
196a § 196a. Das Hauptverfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen obliegt<br />
dem Landesgericht als Schöffengericht.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Die Bestimmungen über das Hauptverfahren finden sich in §§ 210–279<br />
StPO. Während bei gerichtlich strafbaren Handlungen, die keine Finanzvergehen<br />
sind, die diesbezügliche Kompetenz zwischen dem Bezirksgericht (§ 30 StPO),<br />
dem Einzelrichter des Landesgerichts (§ 31 Abs 4) und dem Landesgericht als<br />
Schöffen- (§ 31 Abs 3) oder Geschworenengericht (§ 31 Abs 2) aufgeteilt ist, ordnet<br />
§ 196a für das gerichtliche Finanzstrafverfahren generell die schöffengerichtliche<br />
Zuständigkeit an.<br />
Korrespondierend zu § 196a schließt § 246 die Anwendbarkeit der Vorschriften<br />
über das einzelrichterliche Verfahren (§§ 484–490 StPO) aus.<br />
Einzig im selbständigen Verfallsverfahren (§ 18) entscheidet auch in Finanzstrafsachen<br />
der Einzelrichter (§ 445 Abs 2 StPO). § 243, der idF BGBl 1975/335<br />
auch diesbezüglich schöffengerichtliche Zuständigkeit vorgesehen hatte, wurde<br />
durch die FinStrG-Novelle 2010 BGBl I 2010/104, iS eines insoweit ausnahmslosen<br />
Verweises auf § 445 StPO geändert.<br />
197<br />
198<br />
§ 197. (Aufgehoben durch BGBl I 2007/44)<br />
§ 198. (Aufgehoben durch BGBl I 2007/44)<br />
Zum 3. Hauptstück<br />
Zum 3. Hauptstück<br />
19 § 199. (1) Der Beschuldigte kann zur Unterstützung seines Verteidigers einen Wirtschaftstreuhänder<br />
beiziehen.<br />
(2) Für den Wirtschaftstreuhänder gelten § 57, § 58 Abs. 1, 3 und 4 und § 60 StPO sinngemäß.<br />
Er kann gleich einem Verteidiger an mündlichen Verhandlungen teilnehmen. Zu Anträgen<br />
und Willenserklärungen für den Vertretenen und zur Ausführung von Rechtsmitteln<br />
ist er nicht berechtigt.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Nach dem Wirtschaftstreuhandberufsgesetz (WTBG) sind Wirtschaftstreuhandberufe<br />
Wirtschaftsprüfer (§ 1 Abs 1 Z 1 WTBG) und Steuerberater (§ 1<br />
Abs 1 Z 3 WTBG). Der Berechtigungsumfang dieser Berufe ist in § 3 WTBG<br />
(Steuerberater) und in § 5 WTBG (Wirtschaftsprüfer) umschrieben. Gem Abs 1<br />
kann der Beschuldigte einen „Wirtschaftstreuhänder“ (somit einen Wirtschaftsprüfer<br />
oder Steuerberater) zur Unterstützung seines Verteidigers beiziehen. Der<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (7)<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1
2<br />
3<br />
§ 200 Zu den §§ 67 bis 70 StPO Lässig<br />
Wirtschaftstreuhänder ersetzt also den Verteidiger nicht, sondern tritt an dessen<br />
Seite, um die Qualität der Verteidigung durch abgabenrechtliches Fachwissen zu<br />
optimieren. Da der Beschuldigte in jeder Verfahrensphase das Recht hat, einen<br />
Verteidiger zu wählen (§ 49 Z 2 StPO), und Abs 1 insoweit keine Einschränkungen<br />
vorsieht, kann er auch jederzeit unterstützend einen Wirtschaftstreuhänder<br />
beiziehen.<br />
Die Bestimmungen über die Beigebung eines Verteidigers (§ 61 StPO) beziehen<br />
sich ausschließlich auf diesen, sodass die amtswegige Bestellung eines Wirtschaftstreuhänders<br />
zur Unterstützung des Verteidigers – sei es im Rahmen der<br />
Verfahrenshilfe (§ 61 Abs 2) oder kostenpflichtig (§ 61 Abs 3) – nicht in Betracht<br />
kommt.<br />
Abs 2 erster Satz verweist zur prozessualen Position des unterstützend beigezogenen<br />
Wirtschaftstreuhänders auf die Bestimmungen der StPO über die<br />
Rechtsstellung des Verteidigers. Zusammengefasst steht somit der Wirtschaftstreuhänder<br />
dem Beschuldigten beratend und unterstützend zur Seite, wobei er berechtigt<br />
und verpflichtet ist, im Rahmen der Gesetze alles der Verteidigung dienende<br />
vorzubringen (§ 57 Abs 1 StPO).<br />
In Bezug auf die Ausübung der Verfahrensrechte des Beschuldigten (§ 57<br />
Abs 2 StPO) enthält Abs 2 dritter Satz allerdings die wesentliche Einschränkung,<br />
dass der Wirtschaftstreuhänder zu Anträgen und Willenserklärungen für den Beschuldigten<br />
sowie zur Ausführung von Rechtsmitteln nicht berechtigt ist.<br />
Die Vorschriften über die Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten (§ 58<br />
Abs 1 StPO), die Übertragung der Bevollmächtigung (§ 58 Abs 3 StPO) und die<br />
Bestellungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters (§ 58 Abs 4 StPO) gelten für den<br />
Wirtschaftstreuhänder wie für den Verteidiger.<br />
Auch der Wirtschaftstreuhänder ist von der Vertretung auszuschließen,<br />
wenn gegen ihn ein Verfahren wegen Beteiligung an derselben Straftat oder wegen<br />
diesbezüglicher Begünstigung (§ 299 StGB oder § 248) anhängig ist oder er<br />
den Verkehr mit dem Beschuldigten in rechtswidriger Weise missbraucht (§ 60<br />
StPO).<br />
Schließlich kann der Wirtschaftstreuhänder nach Abs 2 zweiter Satz „gleich<br />
einem Verteidiger“ – aber mit den in Abs 2 dritter Satz normierten Einschränkungen<br />
– an mündlichen Verhandlungen teilnehmen. Damit hat er das Recht, im Rahmen<br />
der Hauptverhandlung auf den Vortrag der Anklage zu erwidern (§ 244<br />
Abs 3 StPO), den Angeklagten zu beraten (§ 245 Abs 3 StPO), an Zeugen sowie<br />
Sachverständige Fragen zu stellen (§ 249 Abs 1 StPO) und einen Schlussvortrag zu<br />
halten (§ 255 Abs 3 StPO). Auch in den Gerichtstagen vor dem OGH (§ 287 Abs 3<br />
StPO) und vor dem Oberlandesgericht (§ 294 Abs 5 StPO) steht ihm ein Äußerungsrecht<br />
zu.<br />
Die analoge Anwendung des § 199 im allgemeinen gerichtlichen Strafverfahren<br />
ist unzulässig. Da diese Bestimmung bereits seit der Stammfassung des<br />
FinStrG (BGBl 1958/129) – inhaltlich unverändert – dem Rechtsbestand angehört<br />
und der Gesetzgeber trotz unzähliger zwischenzeitig erfolgter Novellierungen der<br />
StPO keine entsprechende Änderung vorgenommen hat, ist insoweit nicht von einer<br />
planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auszugehen (13 Os 178/03).<br />
Zu den §§ 67 bis 70<br />
Zu den §§ 67 bis 70 StPO<br />
20<br />
§ 200. (1) Der Finanzstrafbehörde kommt in dem nicht von ihr geführten Ermittlungsverfahren<br />
sowie im Haupt- und im Rechtsmittelverfahren wegen Finanzvergehen kraft<br />
Gesetzes die Stellung eines Privatbeteiligten zu.<br />
(8) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Zu den §§ 67 bis 70 StPO § 200<br />
(2) Außer den Rechten des Opfers, des Privatbeteiligten und des Subsidiaranklägers<br />
hat die Finanzstrafbehörde noch folgende Rechte:<br />
a) Sie kann im gleichen Umfang wie der Staatsanwalt (gem § 20 StPO richtig: „die<br />
Staatsanwaltschaft“) gerichtliche Entscheidungen bekämpfen und die Wiederaufnahme des<br />
Strafverfahrens verlangen.<br />
b) Ihre Nichtigkeitsbeschwerde bedarf nicht der Unterschrift eines Verteidigers.<br />
c) Die Anberaumung von Haftverhandlungen (§§ 175 und 176 StPO), die Freilassung<br />
des Beschuldigten und die Anberaumung von mündlichen Verhandlungen im Rechtsmittelverfahren<br />
ist ihr mitzuteilen.<br />
d) Ihre Vertreter können bei den Haftverhandlungen und bei den mündlichen Verhandlungen<br />
im Rechtsmittelverfahren das Wort ergreifen und Anträge stellen.<br />
e) Die Akteneinsicht (§ 68 StPO) darf nicht verweigert oder beschränkt werden.<br />
(3) Die Vermutung des Rücktrittes von der Verfolgung (§ 72 Abs. 2 und 3 StPO) ist<br />
gegenüber der Finanzstrafbehörde als Ankläger ausgeschlossen.<br />
(4) Die besonderen Rechte der Finanzstrafbehörde erstrecken sich auch auf gerichtlich<br />
strafbare Handlungen, die keine Finanzvergehen sind, aber mit solchen in derselben Tat<br />
zusammentreffen.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Inhaltsübersicht<br />
Rz<br />
I. Grundsätzliches....................................... 1–4<br />
II. Rechtsstellung der Finanzstrafbehörde nach der StPO. . . . . . 5–8<br />
III. Sondernormen. ....................................... 9–15<br />
I. Grundsätzliches<br />
Nach Abs 1 kommt der Finanzstrafbehörde im gerichtlichen Finanzstrafverfahren<br />
die Stellung eines Privatbeteiligten zu. Dadurch wird – verdeutlicht durch<br />
Abs 2–4, die diese „Stellung“ näher definieren – ausgedrückt, dass § 200 nicht<br />
(auch) der Durchsetzung einer Forderung dient, sondern (nur) eine bestimmte<br />
prozessuale Position garantiert. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Begriffsverständnis<br />
der StPO, wonach die Privatbeteiligung darauf zielt, im Wege<br />
des Adhäsionsverfahrens (§§ 366–379 StPO) Schadenersatz (§ 67 Abs 1 StPO)<br />
zu erlangen. Der Anschluss als Privatbeteiligter iSd StPO dient also dazu, einen<br />
zivilrechtlichen Anspruch (solcherart vereinfacht) im Strafverfahren durchzusetzen.<br />
Demgegenüber sind Abgabenansprüche öffentlich-rechtlicher Natur und<br />
damit gerade nicht Gegenstand einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung. Was<br />
nicht Objekt eines Zivilprozesses sein kann, ist aber folgerichtig ebenso wenig<br />
tauglicher Gegenstand eines – (wie dargelegt) das zivilgerichtliche Urteil substituierenden<br />
– Adhäsionserkenntnisses, aus welchem Grund die Privatbeteiligung<br />
nach § 200 nicht den Zweck verfolgt, den staatlichen Abgabenanspruch zu effektuieren<br />
(SSt 59/33, RIS-Justiz RS0086704, 13 Os 152/08i; Spenling, WK-StPO Vor<br />
§§ 366–379 Rz 29f).<br />
Die Finanzstrafbehörde hat die Position des Privatbeteiligten (Rz 1) gem<br />
Abs 1 im nicht von ihr (sondern von der Kriminalpolizei [§ 196 Abs 2]) geführten<br />
Ermittlungsverfahren (§§ 91–189 StPO), im Haupt- (§§ 210–279 StPO) und im<br />
Rechtsmittelverfahren (§§ 280–296a StPO).<br />
Die Stellung eines Privatbeteiligten steht der Finanzstrafbehörde „kraft Gesetzes“<br />
zu. Anders als nach § 67 Abs 2 erster Satz StPO folgt diese Prozessposition<br />
hier somit nicht aus einer Anschlusserklärung, sondern unmittelbar aus dem Ge-<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (9)<br />
1<br />
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3
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8<br />
§ 200 Zu den §§ 67 bis 70 StPO Lässig<br />
setz (RIS-Justiz RS0086717). Sie ist daher – einschließlich der an sie geknüpften<br />
Sonderrechte (Rz 9–15) – auch nicht davon abhängig, ob die Finanzstrafbehörde<br />
dem Verfahren de facto zugezogen worden ist (SSt 52/27; RIS-Justiz RS0086700,<br />
RS0086723, RS0087425). Demgemäß muss der Finanzstrafbehörde beispielsweise<br />
auch dann, wenn sie irrtümlich nicht zur Hauptverhandlung geladen worden ist,<br />
zwecks allfälliger Anmeldung und Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und<br />
Berufung eine Urteilsausfertigung zugestellt werden (vgl auch § 219 Abs 1 erster<br />
und zweiter Satz). Unterbleibt die Zustellung an die bei der Verkündung nicht<br />
vertreten gewesene Finanzstrafbehörde, erwächst das Urteil somit nicht in Rechtskraft<br />
(EvBl 1982/122; JBl 1986, 671).<br />
Der allgemeinen Anordnung des § 195 Abs 2 folgend (§ 195 Rz 3) normiert<br />
Abs 4, dass die besonderen Rechte der Finanzstrafbehörde sich auch auf mit einem<br />
Finanzvergehen ideal konkurrierende andere gerichtlich strafbare Handlungen<br />
beziehen. Dadurch wird insb klargestellt, dass die Anfechtungsbefugnis<br />
(Abs 2 lit a) auch uneingeschränkt die allgemein strafbare Handlung umfasst, was<br />
speziell für die Subsumtions- (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) und die Sanktionsrüge<br />
(§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) sowie die Berufung (§ 283 Abs 1 erster Fall StPO) von<br />
Bedeutung ist. Zwar gleichzeitig mit einem Finanzvergehen abgeurteilte, aber<br />
(bloß) real konkurrierende Nicht-Finanzvergehen fallen freilich nicht in den Regelungsbereich<br />
des Abs 4 (RIS-Justiz RS0114320).<br />
II. Rechtsstellung der Finanzstrafbehörde nach der StPO<br />
Nach Abs 2 hat die Finanzstrafbehörde im gerichtlichen Finanzstrafverfahren<br />
zunächst die in der StPO dem Opfer, dem Privatbeteiligten und dem Subsidiarankläger<br />
eingeräumten Rechte. In Rz 6–8 werden jene davon überblicksweise<br />
angeführt, denen im Hinblick darauf, dass die Finanzstrafbehörde keine physische<br />
Person ist, praktische Bedeutung zukommt.<br />
Das Opfer hat nach § 66 Abs 1 StPO das Recht, Akteneinsicht zu nehmen<br />
(Z 2), vom Fortgang des Verfahrens verständigt zu werden (Z 4), an einer kontradiktorischen<br />
Vernehmung von Zeugen oder Beschuldigten und an einer Tatrekonstruktion<br />
teilzunehmen (Z 6), während der Hauptverhandlung anwesend zu<br />
sein und Angeklagte, Zeugen sowie Sachverständige zu befragen (Z 7) und die<br />
Fortführung eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens zu verlangen<br />
(Z 8; vgl auch § 205).<br />
Der Privatbeteiligte hat gem § 67 Abs 6 StPO über die Opferrechte (Rz 6)<br />
hinaus das Recht, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen (Z 1), die Anklage<br />
aufrechtzuerhalten, wenn die Staatsanwaltschaft von ihr zurücktritt (Z 2),<br />
Beschwerde (§ 87 StPO) gegen die gerichtliche Verfahrenseinstellung zu erheben<br />
(Z 3) und zur Hauptverhandlung geladen zu werden (Z 4). Da die Finanzstrafbehörde<br />
im gerichtlichen Finanzstrafverfahren keine zivilrechtliche Forderung<br />
betreibt (Rz 1), wird die in § 67 Abs 6 Z 4 StPO auch eingeräumte Berechtigung,<br />
nach dem Schlussantrag der Staatsanwaltschaft „ihre Ansprüche auszuführen<br />
und zu begründen“, hier iS eines Schlussvortrags zu verstehen sein.<br />
Ein Adhäsionserkenntnis wird gegenüber der Finanzstrafbehörde nicht gefällt,<br />
womit auch ein diesbezügliches Berufungsrecht (§ 67 Abs 6 Z 5 StPO) ausscheidet.<br />
Der Subsidiarankläger hat im Hauptverfahren grundsätzlich die gleichen<br />
Rechte wie die Staatsanwaltschaft. Allerdings darf er die Festnahme sowie die<br />
Verhängung oder die Fortsetzung der Untersuchungshaft gar nicht und Zwangsmaßnahmen<br />
nur eingeschränkt beantragen und das Urteil nur im gleichen<br />
(10) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Zu den §§ 67 bis 70 StPO § 200<br />
Umfang wie der Privatbeteiligte anfechten (§ 72 Abs 4 StPO iVm § 71 Abs 5<br />
StPO).<br />
III. Sondernormen<br />
Über die in Rz 6–8 zusammengefasst dargestellten Rechte hinaus räumt 9<br />
Abs 2 der Finanzstrafbehörde im gerichtlichen Finanzstrafverfahren folgende<br />
Sonderrechte ein:<br />
Nach Abs 2 lit a kann die Finanzstrafbehörde gerichtliche Entscheidungen 10<br />
ebenso bekämpfen wie die Staatsanwaltschaft. Demgemäß stehen ihr die Beschwerde<br />
(§ 87 StPO) gegen Beschlüsse sowie die Nichtigkeitsbeschwerde und die<br />
Berufung (§ 280 StPO) gegen Urteile sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil<br />
des Angeklagten bzw Beschuldigten zu (§§ 282, 283 Abs 2 erster Satz StPO; in Bezug<br />
auf Beschlüsse Tipold, WK-StPO § 87 Rz 4; zur Nichtigkeitsbeschwerde ausdrücklich<br />
RIS-Justiz RS0086743).<br />
Bekämpft die Finanzstrafbehörde ein Urteil zum Nachteil des Angeklagten<br />
mit Nichtigkeitsbeschwerde, sind die diesbezüglichen Einschränkungen zu beachten.<br />
So stehen die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 1a und 5a StPO insoweit<br />
nicht offen (§ 282 Abs 2 StPO). Die Gründe des § 281 Abs 1 Z 2, 3 und 4 StPO<br />
wiederum können in diese Richtung nur dann geltend gemacht werden, wenn erkennbar<br />
ist, dass die Formverletzung einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluss<br />
auf die Entscheidung zu üben vermochte, und die Finanzstrafbehörde sich ihr<br />
widersetzt, die Entscheidung des Schöffengerichts begehrt und sich sofort nach<br />
Verweigerung oder Verkündung dieser Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde<br />
vorbehalten hat (§ 281 Abs 3 zweiter Satz StPO; 12 Os 6/01).<br />
Unabhängig davon, in welche Richtung die Finanzstrafbehörde ein Urteil<br />
anficht, bedarf ihre Nichtigkeitsbeschwerde gem Abs 2 lit b nicht der Unterschrift<br />
eines Verteidigers. Dies bedarf einer Sonderregelung, weil allein der Umstand,<br />
dass der Finanzstrafbehörde auch die Rechte des Privatbeteiligten und des Subsidiaranklägers<br />
zukommen (Abs 2 erster Satz), das Erfordernis der Verteidigerunterschrift<br />
nicht tangiert (vgl Ratz, WK-StPO § 285a Rz 7).<br />
Zum Recht, die Wiederaufnahme zu begehren (Abs 2 lit a), s die Kommen- 11<br />
tierung zu §§ 220–226.<br />
Abs 2 lit c und d räumen der Finanzstrafbehörde besondere Rechte in Bezug 12<br />
auf Haftverhandlungen (§ 176 StPO) und mündliche Verhandlungen im Rechtsmittelverfahren,<br />
also Gerichtstage vor dem OGH (§§ 286ff, 296 StPO) und dem<br />
Oberlandesgericht (§ 294 Abs 5 StPO), ein. Die Anberaumung solcher Verhandlungen<br />
ist der Finanzstrafbehörde – stets, aber bloß – „mitzuteilen“, was bedeutet,<br />
dass es ihr freisteht, einen Vertreter zu entsenden, und dass ein allfälliges Fernbleiben<br />
den Verfahrensfortgang nicht hindert. Nimmt ein Vertreter der Finanzstrafbehörde<br />
an der Haft- oder der Rechtsmittelverhandlung teil, ist er berechtigt,<br />
Anträge zu stellen und das Wort zu ergreifen.<br />
Neben dem Antragsrecht kann er somit im Rahmen der Haftverhandlung<br />
sich zum Antrag auf Fortsetzung der Untersuchungshaft äußern, ergänzende Feststellungen<br />
aus den Akten begehren und Fragen an den Beschuldigten, Zeugen<br />
oder Sachverständige richten (§ 176 Abs 4 StPO).<br />
Beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde<br />
erhält der Vertreter der Finanzstrafbehörde das Wort zur Begründung<br />
deren Beschwerde und zur Erwiderung auf die des Gegners (§ 287 Abs 3 erster<br />
Satz StPO) sowie – was unmittelbar aus der insoweit nicht differenzierenden Be-<br />
<strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012) (11)
13<br />
14<br />
15<br />
1<br />
§ 200a Zu den §§ 81 bis 83 StPO Lässig<br />
stimmung des Abs 2 lit d, wonach er „das Wort ergreifen“ kann, folgt – zur Äußerung<br />
zu einer Nichtigkeitsbeschwerde, der er nicht entgegentritt.<br />
Für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung gelten<br />
grundsätzlich dieselben Regeln wie bei Nichtigkeitsbeschwerden (§ 294 Abs 5,<br />
§ 296 Abs 3 StPO) mit der Maßgabe, dass es dem Vertreter der Finanzstrafbehörde<br />
(wie auch den anderen Prozessparteien) zusteht, bei – mangels Neuerungsverbots<br />
möglichen – Beweisaufnahmen Fragen an den Angeklagten, Zeugen oder<br />
Sachverständige zu richten.<br />
Wird der Beschuldigte enthaftet, ist dies der Finanzstrafbehörde mitzuteilen<br />
(Abs 2 lit c). Da diese – auch dann, wenn sie als Subsidiarankläger einschreitet<br />
(§ 72 Abs 4 erster Satz iVm § 71 Abs 5 letzter Satz StPO) – nicht berechtigt ist, die<br />
(neuerliche) Festnahme des Beschuldigten oder die Verhängung oder Fortsetzung<br />
der Untersuchungshaft zu beantragen (§ 171 Abs 1, § 173 Abs 1 StPO), dient diese<br />
Mitteilung allein der Information der Finanzstrafbehörde und ist solcherart in erster<br />
Linie bei der Eintreibung einer dem Verfahren allenfalls zu Grunde liegenden<br />
Abgabenschuld oder im Fall der Überleitung des gerichtlichen in ein verwaltungsbehördliches<br />
Finanzstrafverfahren (§ 54 Abs 5) bedeutsam.<br />
Nach § 68 Abs 1 zweiter Satz StPO kann die Akteneinsicht gegenüber dem<br />
Privatbeteiligten verweigert oder beschränkt werden, soweit durch sie der Zweck<br />
der Ermittlungen oder eine unbeeinflusste Aussage (hier: eines Mitarbeiters) als<br />
Zeuge gefährdet wäre. Diese Einschränkungen bestehen gem Abs 2 lit e für die<br />
Finanzstrafbehörde nicht.<br />
Abs 3 betrifft die Prozessposition der Finanzstrafbehörde als Subsidiarankläger.<br />
Nach § 72 Abs 1 StPO wird der Privatbeteiligte durch die Erklärung,<br />
eine Anklage, von der die Staatsanwaltschaft zurückgetreten ist, aufrecht zu erhalten,<br />
Subsidiarankläger. Erfolgt der Anklagerücktritt in der Hauptverhandlung,<br />
muss der Privatbeteiligte diese Erklärung sofort abgeben, widrigenfalls der Angeklagte<br />
– auch dann, wenn sie (bloß) infolge Abwesenheit des Privatbeteiligten wegen<br />
Nichtbefolgung der ordnungsgemäßen Ladung zur Verhandlung unterblieb –<br />
freizusprechen ist (§ 72 Abs 2 StPO). Tritt die Staatsanwaltschaft außerhalb der<br />
Hauptverhandlung von der Anklage zurück oder wurde der Privatbeteiligte zur<br />
Hauptverhandlung, in welcher der Rücktritt erfolgte, nicht ordnungsgemäß geladen,<br />
muss er die Erklärung nach § 72 Abs 1 StPO bei sonstigem Verlust des Verfolgungsrechts<br />
innerhalb eines Monats ab Verständigung vom Anklagerücktritt<br />
abgeben (§ 72 Abs 3 StPO). Die dargelegten Rücktrittsvermutungen sind gegenüber<br />
der Finanzstrafbehörde unzulässig.<br />
Zu den §§ 81 bis 83<br />
Zu den §§ 81 bis 83 StPO<br />
20a § 200 a. Der Finanzstrafbehörde sind gerichtliche Erledigungen und andere Schriftstücke,<br />
die ihr nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes mitzuteilen sind, grundsätzlich<br />
ohne Zustellnachweis zuzustellen. Die Ladung zur Hauptverhandlung, gerichtliche Erledigungen<br />
und andere Schriftstücke, gegen die der Finanzstrafbehörde ein Rechtsmittel<br />
oder ein Rechtsbehelf zusteht, sind ihr mit Zustellnachweis (§§ 13 bis 20 des Zustellgesetzes)<br />
zuzustellen oder durch Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89 a GOG) zu<br />
übermitteln.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
§ 200a wurde durch Art 11 des Budgetbegleitgesetzes 2000 BGBl I 2000/26,<br />
zu dem Zweck eingefügt, die kostenintensiven RSa- und RSb-Zustellungen auf<br />
die unbedingt notwendigen Fälle zu beschränken und dadurch zur Budgetkonsolidierung<br />
beizutragen (EBRV 61 BlgNR 21. GP 21). Demzufolge ordnet § 200a<br />
(12) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Zu § 108 StPO § 201<br />
erster Satz grundsätzlich die Zustellung an die Finanzstrafbehörde ohne Zustellnachweis<br />
an.<br />
Zustellungen mit Zustellnachweis sind nur (mehr) für die Ladung zur Hauptverhandlung<br />
sowie dann vorgesehen, wenn der Finanzstrafbehörde gegen den betreffenden<br />
hoheitlichen Akt ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf zusteht. Hinsichtlich<br />
des Zustellnachweises verweist das Gesetz (bloß) auf §§ 13–20 ZustG; die Zustellung<br />
zu eigenen Handen (§ 21 ZustG) kommt aber hier ohnedies nicht in Betracht,<br />
weil die Finanzstrafbehörde keine physische Person ist (vgl iÜ die korrespondierende<br />
Bestimmung des § 83 Abs 3 zweiter Satz StPO für Verteidiger und<br />
Rechtsanwälte).<br />
Substituiert kann die Zustellung mit Zustellnachweis (Rz 2) durch eine solche<br />
per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr werden. Letzterer ist in<br />
§§ 89a–89d GOG geregelt. Ist die Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr<br />
nicht möglich, kann sie ersatzweise über elektronische Zustelldienste (§§ 29–34<br />
ZustG) erfolgen (§ 89a Abs 3 GOG).<br />
Zu § 108<br />
Zu § 108 StPO<br />
201 § 201. Ein Antrag auf Einstellung gemäß § 108 Abs. 1 Z 2 StPO darf frühestens sechs<br />
Monate ab dem ersten an die Staatsanwaltschaft erstatteten Bericht (§ 100 Abs. 2 StPO) gestellt<br />
werden.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Nach § 108 Abs 1 Z 2 StPO hat das Gericht das Ermittlungsverfahren auf<br />
Antrag des Beschuldigten einzustellen, wenn der bestehende Tatverdacht nach<br />
Dringlichkeit und Gewicht sowie im Hinblick auf Verfahrensdauer und Verfahrensumfang<br />
die Fortsetzung nicht rechtfertigt und von weiteren Aufklärungen<br />
eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Ein solcher Antrag kann<br />
nach der StPO frühestens drei Monate, soweit dem Beschuldigten ein Verbrechen<br />
(§ 17 Abs 1 StGB) angelastet wird, ehestens sechs Monate nach Verfahrensbeginn<br />
eingebracht werden (§ 108 Abs 2 zweiter Satz StPO). Da Finanzstrafverfahren üblicherweise<br />
deutlich komplexer und demnach wesentlich zeitintensiver sind als<br />
vergleichbare allgemeine Strafverfahren, gelangt hier die sechsmonatige Sperrfrist<br />
generell zur Anwendung (EBRV 81 BlgNR 23. GP 14).<br />
§ 53 teilt die Zuständigkeit zur Ahndung von Finanzvergehen zwischen dem<br />
Gericht und der Finanzstrafbehörde auf, wobei die originäre Gerichtszuständigkeit<br />
von der Höhe des strafbestimmenden Wertbetrags abhängt (§ 53 Abs 1 und<br />
2). Da diese und damit auch die Zuständigkeitsfrage zu Beginn der Ermittlungen<br />
oft noch nicht geklärt ist (vgl § 53 Abs 8), kommt es nicht selten zur Überleitung<br />
von verwaltungsbehördlichen in gerichtliche Finanzstrafverfahren (§ 54 Abs 1).<br />
Auch diesem Umstand trägt § 201 Rechnung, indem er als Beginn der sechsmonatigen<br />
Sperrfrist (Rz 1) den Zeitpunkt der ersten Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft<br />
iSd § 100 Abs 2 StPO vorsieht (EBRV 81 BlgNR 23. GP 14). Dieser<br />
Fristbeginn gilt – lege non distinguente – freilich auch dann, wenn im Ermittlungsverfahren<br />
nicht die Finanzstrafbehörde, sondern die Kriminalpolizei einschreitet<br />
(§ 196 Abs 2).<br />
Stellt sich heraus, dass die Tat keinem in die Zuständigkeit des Gerichts fallenden<br />
Finanzvergehen zu subsumieren ist, wird das Verfahren durch Einstellung<br />
(§ 202 Abs 1, § 210 Abs 1, § 212 Abs 1) oder Freispruch (§ 214) wegen gerichtlicher<br />
Unzuständigkeit erledigt. Demgemäß ist in Finanzstrafsachen ein Tatverdacht<br />
in Richtung eines in die gerichtliche Zuständigkeit ressortierenden Finanz-<br />
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§§ 202, 202a Zum 10. und zum 11. Hauptstück der StPO Lässig<br />
vergehens (§ 53 Abs 1–4) Prüfungsmaßstab für einen Einstellungsantrag des Beschuldigten<br />
nach § 108 Abs 1 Z 2 StPO.<br />
Zum 10. Hauptstück<br />
Zum 10. und zum 11. Hauptstück der StPO<br />
202 § 202. (1) Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren insoweit einzustellen,<br />
als eine Zuständigkeit der Gerichte im Hauptverfahren nicht gegeben wäre (§ 53).<br />
(2) Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß Abs. 1 oder sonst gemäß<br />
§ 190 StPO ein, so hat sie die Finanzstrafbehörde davon zu verständigen (§ 194 StPO).<br />
Neu gefasst durch BGBl I 2010/104<br />
Schrifttum: Brandl/Leitner/Schrottmeyer/Toifl, Die Finanzstrafgesetz-Novelle 2010,<br />
SWK-Spezial (2010).<br />
Gem § 101 Abs 1 erster Satz StPO entscheidet die Staatsanwaltschaft über<br />
den Fortgang und die Beendigung des Ermittlungsverfahrens. Mit dessen Einstellung<br />
hat sie nach § 190 StPO ua dann vorzugehen, wenn die dem Verfahren zu<br />
Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist. Abs 1 passt diese<br />
Bestimmung an das FinStrG an, indem er die Einstellung (nur) für jene Fälle vorsieht,<br />
in denen das Gericht nicht für das Hauptverfahren zuständig wäre. Diese<br />
Adaptierung ist erforderlich, weil in die gerichtliche Entscheidungskompetenz<br />
auch Finanzvergehen fallen können, die nicht der originären Gerichtszuständigkeit<br />
(§ 53 Abs 1 oder 2) zugehören, somit – per se – nicht mit „gerichtlicher Strafe<br />
bedroht“ sind (§ 53 Abs 3 und 4, vgl insb § 53 Abs 4 zweiter Satz), was durch den<br />
Klammerhinweis auf § 53 verdeutlicht wird. Somit ist das Ermittlungsverfahren<br />
auch dann nicht einzustellen, wenn die Verwirklichung eines an sich in die Zuständigkeit<br />
der Finanzstrafbehörde fallenden Finanzvergehens gem § 53 Abs 3 oder 4<br />
im gerichtlichen Hauptverfahren zu beurteilen sein wird.<br />
Abs 2 ergänzt § 194 StPO, indem er die dort normierte Verständigungspflicht<br />
– unabhängig davon, ob die Einstellung gem Abs 1 oder „sonst“ nach § 190<br />
StPO (wodurch klar wird, dass Erstere [nur] einen Spezialfall Letzterer darstellt)<br />
erfolgt ist – in Bezug auf die Finanzstrafbehörde ausdehnt. Dieser steht es sodann<br />
frei, entweder die Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (§ 205)<br />
oder das verwaltungsbehördliche Verfahren einzuleiten (§ 82 Abs 1 und 3) oder –<br />
soweit ein solches nach § 54 Abs 1 vorläufig eingestellt ist – fortzusetzen (§ 54<br />
Abs 5).<br />
Zum 11. Hauptstück<br />
Zum 11. Hauptstück<br />
202a § 202a. Vor einer Mitteilung nach den §§ 200 Abs. 4, 201 Abs. 4 oder 203 Abs. 3<br />
StPO hat die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Finanzstrafbehörde zu hören.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
Das 11. Hauptstück (ds §§ 198–209) der StPO regelt die Diversion, also den<br />
Rücktritt von der Verfolgung. Prinzipiell ist ein solches Vorgehen in Finanzstrafsachen<br />
unzulässig, weil § 198 Abs 2 Z 1 StPO Straftaten, die in die Zuständigkeit<br />
des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht fallen, vom Anwendungsbereich<br />
des 11. Hauptstücks der StPO ausnimmt und das Hauptverfahren<br />
wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen nach § 196a stets dem Landesgericht<br />
als Schöffengericht obliegt. Allerdings gilt bei Jugendstrafsachen die – Staatsanwaltschaft<br />
und Gericht bindende (Schroll in WK 2 JGG § 7 Rz 9–11) und gem<br />
§ 24 Abs 1 auch im gerichtlichen Finanzstrafverfahren anzuwendende – Ausnahmebestimmung<br />
des § 7 JGG, der die Einschränkung auf einzelrichterliche Straf-<br />
(14) <strong>Wiener</strong> <strong>Kommentar</strong> 2 , 87. Lfg. (Juni 2012)
Lässig Zu § 195 StPO §§ 203–205<br />
sachen nicht vorsieht. Demnach können gerichtliche Jugend-Finanzverfahren mittels<br />
Diversion erledigt werden, wobei aber § 24 Abs 1 die Möglichkeit des Tatausgleichs<br />
(§ 204 StPO) ausschließt. Als diversionelle Maßnahmen kommen somit die<br />
Zahlung eines Geldbetrags (§ 200 StPO), die Erbringung gemeinnütziger Leistungen<br />
(§ 201f StPO) und die Bestimmung einer Probezeit iVm Bewährungshilfe und<br />
der Erfüllung von Pflichten (§ 203 StPO) in Betracht.<br />
In Bezug auf die in (Jugend-)Finanzstrafsachen zulässigen Diversionsmaßnahmen<br />
(Rz 1) sieht das Gesetz jeweils eine – mit eingehender Information (§ 207<br />
StPO) zu verbindende – Mitteilung an den Beschuldigten vor, dass beabsichtigt<br />
sei, die in Aussicht genommene Maßnahme anzuwenden (§ 200 Abs 4, § 201<br />
Abs 4, § 203 Abs 3 StPO), weil jedes Vorgehen iSd 11. Hauptstücks der StPO die<br />
Zustimmung des Beschuldigten voraussetzt (§ 207 StPO; zu diesem Erfordernis<br />
ausführlich Schroll, WK-StPO § 198 Rz 9–12). Solcherart stellt diese Mitteilung<br />
gleichsam ein verbindliches Diversionsanbot dar, dessen Annahme durch den Beschuldigten<br />
der letzte Schritt vor der Effektuierung der Maßnahme ist. Das in<br />
§ 202a normierte Anhörungsrecht der Finanzstrafbehörde dient dazu, vor diesem<br />
letzten Schritt iSd § 206 Abs 1 erster Satz StPO die Interessen des Opfers (also des<br />
in seinem Fiskalinteresse geschädigten Bundes) zu wahren (EBRV 1581 BlgNR<br />
20. GP 34).<br />
203<br />
204<br />
§ 203. (Aufgehoben durch BGBl I 2007/44)<br />
§ 204. (Aufgehoben durch BGBl I 2007/44)<br />
Zu § 195<br />
Zu § 195 StPO<br />
205 § 205. Hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eines Finanzvergehens abgesehen<br />
und das Ermittlungsverfahren eingestellt, so ist die Finanzstrafbehörde berechtigt, die<br />
Fortführung des Ermittlungsverfahrens nach § 195 StPO zu beantragen.<br />
IdF BGBl I 2007/44<br />
§ 195 Abs 1 StPO räumt dem Opfer einer Straftat (§ 65 Z 1 StPO) das Recht<br />
ein, beim Landesgericht als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 Z 3 StPO) die<br />
Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungsverfahrens<br />
zu beantragen. „Opfer“ eines Finanzvergehens ist der Bund, vertreten durch die<br />
Finanzstrafbehörde (vgl EBRV 1581 BlgNR 20. GP 34), weshalb § 205 dieser folgerichtig<br />
das Antragsrecht nach § 195 StPO gewährt.<br />
Der Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens bezieht sich auf die<br />
„Tat“ (§ 195 Abs 1 StPO), also einen Lebenssachverhalt. Durch diesen können<br />
mehrere strafbare Handlungen (rechtliche Kategorien) verwirklicht werden (zu<br />
den Begrifflichkeiten: Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 1). Solcherart ist es<br />
möglich, dass eine Tat zugleich den Tatbestand eines Finanzvergehens und den<br />
einer gerichtlich strafbaren Handlung anderer Art erfüllt. Da bei dieser Konstellation<br />
generell die Vorschriften des Dritten Unterabschnitts anzuwenden sind<br />
(§ 195 Abs 2), steht der Finanzstrafbehörde auch in solchen Fällen der – vom Gericht<br />
unter dem Aspekt aller möglichen Subsumtionen zu prüfende – Fortführungsantrag<br />
zu.<br />
Durch den in § 202 Abs 2 enthaltenen Klammerhinweis auf § 194 StPO wird<br />
klargestellt, dass die Finanzstrafbehörde auch dann berechtigt ist, die Fortführung<br />
des Ermittlungsverfahrens zu beantragen (§ 195 StPO), wenn die Staatsanwaltschaft<br />
dieses gem § 202 Abs 1 eingestellt hat. Zu den weiteren diesbezüglichen<br />
prozessualen Optionen s § 202 Rz 2.<br />
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