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6<br />
Die Qual der Wahl<br />
AHS oder BHS nach der „Vierten“<br />
von Hon.-Prof. Dipl.-Ing. Mag. Dr. Hermann Sikora<br />
Im Laufe der 4. Klasse Gymnasium stellt<br />
sich für Schüler <strong>und</strong> Eltern eine wichtige<br />
Frage: Im Brucknergym bleiben oder in eine<br />
neue Schule wechseln? Die Qual der Wahl<br />
ist groß, denn OÖ verfügt neben seinen<br />
bekannt guten allgemeinbildenden höheren<br />
Schulen (AHS) auch über eine Reihe sehr<br />
guter berufsbildender höherer Schulen<br />
(BHS: HTBLA, HBLA, HAK). Natürlich gibt es<br />
keine Patentrezepte, wie man zur richtigen<br />
Entscheidung gelangt, allerdings gibt es<br />
„Entscheidungsfehler“, die es zu vermeiden<br />
gilt.<br />
„Ich wechsle, weil meine Fre<strong>und</strong>in/mein<br />
Fre<strong>und</strong> dies auch tut.“<br />
Auf den ersten Blick nachvollziehbar, denn:<br />
Wer möchte schon einen lieben Fre<strong>und</strong>/<br />
eine liebe Fre<strong>und</strong>in an eine andere Schule<br />
„verlieren“? Bei näherem Hinsehen ist dieses<br />
Argument allerdings gefährlich, denn es<br />
geht vor allem um das „eigene Leben“ <strong>und</strong><br />
nicht um das Nachahmen einer Entscheidung<br />
eines anderen Menschen, wie<br />
nah dieser Mensch auch stehen mag.<br />
„Ich wechsle, weil ich dem Fach xy ausweichen<br />
möchte.“<br />
Auch diese Motivation greift zu kurz, denn<br />
es kann mit ziemlicher Sicherheit davon<br />
ausgegangen werden, dass auch in der<br />
neuen Schule zumindest ein Fach wartet,<br />
das die Rolle des Faches übernimmt, dem<br />
man ausweichen wollte. Hier ist eine<br />
Schlüsselqualifikation des Lebens gefragt:<br />
„Durchbeißen“. Lernen ist mitunter eben<br />
auch ein „harter Job“, dem man sich stellen<br />
muss - egal, in welcher Schule.<br />
„Ich wechsle, weil ich dem Lehrer A/der<br />
Lehrerin B ausweichen möchte.“<br />
Es gilt das soeben für das „Fach-<br />
Ausweichen“ Gesagte analog.<br />
„Ich wechsle, weil ich mir nicht sicher bin,<br />
was ich tun soll.“<br />
Das ist das schlechteste Wechselargument.<br />
Nicht sicher zu sein, was man tun soll, ist<br />
keine Schande! Es gehört mehr Mut dazu,<br />
die Zweifel zuzugeben als zu verschweigen<br />
<strong>und</strong> zu wechseln - ohne genau zu wissen,<br />
warum. Ein Schüler/eine Schülerin sollte<br />
dazu stehen, sich den Eltern <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en<br />
rechtzeitig anvertrauen <strong>und</strong> möglichst viele,<br />
zielgerichtete Gespräche führen <strong>und</strong> Informationen<br />
einholen. Über die Monate der<br />
Überlegungen <strong>und</strong> Diskussionen hinweg bildet<br />
sich dann ein Meinungsbild, das eine<br />
begründete Entscheidung ermöglichen sollte.<br />
Es gilt die Faustregel: Bleibt die<br />
Unsicherheit, bleiben die Zweifel, sollte die<br />
Schule nicht gewechselt werden, wenn sich<br />
der Schüler/die Schülerin in der Schule<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich wohl fühlt. Denn die AHS-<br />
Matura bietet eben als einzige Schulform<br />
alle Optionen für die Zeit nach der Matura.<br />
„Ich wechsle, weil ich nach einer BHS bessere<br />
Berufschancen habe.“<br />
Dies gilt dann, wenn nach der Matura kein<br />
Studium angeschlossen wird. Nach einem<br />
abgeschlossenen Studium - egal, ob Bachelor,<br />
Master oder Doktorat - sind die Karten<br />
wieder neu gemischt. AkademikerInnen mit<br />
AHS-Matura haben beste Berufsaussichten,<br />
viele bekannte Führungskräfte verfügen<br />
über genau diesen Hintergr<strong>und</strong>.<br />
„Ich wechsle, weil meine Eltern dies wollen.“<br />
Eine Wechselentscheidung sollte Resultat<br />
eines gemeinsamen, konsensualen Entscheidungsfindungsprozesses<br />
sein <strong>und</strong> nicht von<br />
den Eltern aufgezwungen sein. Während des<br />
Prozesses kann es schon mal „r<strong>und</strong> gehen“,<br />
die Meinungen können sich mehrmals ändern<br />
- am Ende muss aber eine klare Entscheidung<br />
stehen, die vom Schüler/der<br />
Schülerin zu 100 % verstanden <strong>und</strong> getragen<br />
wird. Ist das nicht der Fall, sind Probleme in<br />
der neuen Schule vorprogrammiert.<br />
„Ich wechsle in die HAK/HTL, weil ich<br />
Wirtschaft/Technik studieren will.“<br />
Eine Entscheidung für eine BHS mit einer<br />
zukünftigen Studienwahl zu begründen ist<br />
problematisch, da nur sehr wenige SchülerInnen<br />
in der 4. Klasse mit einer spezifischen<br />
Studienausrichtung tatsächlich etwas anfangen<br />
können. Eine BHS-Wahl sollte primär<br />
nicht mit einem Studium begründet werden,<br />
da eine BHS-Entscheidung in erster<br />
Linie eine frühzeitige Spezialisierung im<br />
Rahmen einer Berufsausbildung darstellt.<br />
Strebt man ein Studium an, ist die AHS eine<br />
sehr gute Wahl, da nur die AHS-Matura alle<br />
Optionen ohne Einschränkungen offenhält.<br />
Es hat sich darüber hinaus gezeigt, dass<br />
AHS-MaturantInnen zu den besten AbsolventInnen<br />
technischer <strong>und</strong> wirtschaftlicher<br />
Studienrichtungen zählen. Eine AHS-Matura<br />
ist keine Einschränkung für technische oder<br />
wirtschaftliche Studienrichtungen, im Gegenteil:<br />
AHS-MaturantInnen können in diesen<br />
Studien mit Sprachen-, Mathematik- <strong>und</strong><br />
allgemein mit „Analyse-/Konzipierungs-<br />
Kompetenz“ stark punkten.<br />
„Ich wechsle in eine BHS, weil ich Anfang 20<br />
in das Berufsleben einsteigen möchte - da<br />
kommt ein Studium nicht in Frage.“<br />
Verb<strong>und</strong>en mit dem Wunsch, möglichst bald<br />
berufstätig zu werden, war dieses Argument<br />
bis vor kurzem durchaus nachvollziehbar.<br />
Durch die „Titelreform“ („Bologna-Prozess“)<br />
stellt sich die Situation allerdings verändert<br />
dar. War bisher der erste akademische<br />
Abschluss nach frühestens vier (Mag.) bzw.<br />
fünf Jahren (Dipl.-Ing.) möglich, ist künftig<br />
der erste Abschluss bereits nach drei Jahren<br />
(Bachelor) möglich. Maturiert man also<br />
beispielsweise mit 18 an einer AHS, kann<br />
bereits mit 21 Jahren der erste akademische<br />
Abschluss erworben <strong>und</strong> die Universität<br />
oder die Fachhochschule verlassen<br />
werden. Durch das mittlerweile sehr große<br />
Angebot an Universitäten <strong>und</strong> Fachhochschulen<br />
quer durch Österreich gibt es viele<br />
attraktive Bachelor-Studienangebote.<br />
Generell hat die Ablösung der „Zweiteilung<br />
Diplomgrad + Doktorat“ (Mag. oder Dipl.-<br />
Ing. <strong>und</strong> Dr.) durch die „Dreiteilung<br />
Bachelor + Master + Doktorat“ den Vorteil,<br />
dass nun auch österreichische akademische<br />
Abschlüsse weltweit anerkannt werden,<br />
wobei hier natürlich vor allem die<br />
unmittelbaren Nachbarländer Österreichs<br />
zu nennen sind. Das (ungerechtfertigte)<br />
„Belächeln“ des österreichischen „Magister“<br />
insbesondere in Deutschland wird also ein<br />
Ende haben. Ein weiterer Vorteil liegt natürlich<br />
darin, dass man nach einem Bachelor -<br />
soferne man weiterstudieren möchte - auch<br />
ein Master-Studium wählen kann, das an<br />
einer anderen Universität/ Fachhochschule<br />
angeboten wird <strong>und</strong> in eine andere<br />
Richtung geht, die zunächst mit dem<br />
Bachelor-Studium eingeschlagen wurde.<br />
Dies ist ein klarer Gewinn an Flexibilität <strong>und</strong><br />
Durchlässigkeit im akademischen Bildungswesen,<br />
auch wenn es an der einen oder<br />
anderen Bildungseinrichtung noch Anlaufschwierigkeiten<br />
beim Umstieg vom zwei- auf<br />
das dreistufige Ausbildungswesen gibt.<br />
Nachdem mögliche „Entscheidungsfehler“<br />
dargestellt wurden, stellt sich die Frage,<br />
wann ein Wechsel nun angebracht ist.<br />
Wenn sich schon einige Zeit vor dem Ende<br />
der vierten Klasse eindeutige Begabungen<br />
bzw. offensichtliche Interessen herausgebildet<br />
haben (zB im technischen Bereich),<br />
die in einer BHS am besten weiterentwickel<br />
werden können, ist ein Wechsel in eine BHS<br />
eine gute Wahl, wenn der geplante Wechsel<br />
das Ergebnis eines klaren Entscheidungsprozesses<br />
ist <strong>und</strong> ein Studium zwar nicht<br />
ausgeschlossen, aber auch nicht angestrebt<br />
wird. Eine BHS wird oftmals auch im<br />
Zusammenhang mit einem familiär-unternehmerischen<br />
Umfeld gewählt, das der<br />
Schüler/die Schülerin von Kindesbeinen an<br />
aus „eigenem Miterleben“ kennt <strong>und</strong> daher<br />
auch relativ gut einschätzen kann.<br />
Ist hingegen diese Eindeutigkeit nicht gegeben,<br />
bestehen nachhaltig Zweifel <strong>und</strong><br />
möchte man sich vor allem hinsichtlich<br />
zukünftiger Optionen nach der Matura nicht<br />
einschränken lassen <strong>und</strong> die Vorteile einer<br />
breiten Allgemeinbildung nutzen, ist die<br />
AHS die beste Wahl.<br />
Natürlich darf auch die Persönlichkeitsstruktur<br />
des Schülers/der Schülerin nicht<br />
außer Acht gelassen werden. Hier ist vor<br />
allem die „Sensibilität“ angesprochen. Es<br />
ist keine Schande, sensibel zu sein oder als<br />
sensibel zu gelten, im Gegenteil: Die<br />
Geschichte zeigt, dass es die sensiblen<br />
Charaktere sind, die die Welt - sei es im<br />
Kleinen oder im Großen - zum Besseren zu<br />
verändern vermögen. Es muss gemeinsam<br />
überlegt werden, in welcher Schule an welchem<br />
Ort dieser Sensibilität am besten<br />
Rechnung getragen werden kann.