bewältigung reduzie- ren, doch die Vergan - eBook.de
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Es gibt viele Grün<strong>de</strong>, Ingrid Noll<br />
zu interviewen: Eben ist ihr neuester<br />
Roman erschienen, in <strong>die</strong>sem<br />
Jahr feiert <strong>die</strong> erfolgreichste<br />
<strong>de</strong>utschsprachige Krimiautorin<br />
ih<strong>ren</strong> 75. Geburtstag, ausser<strong>de</strong>m<br />
jährt sich <strong>die</strong> Publikation ihres<br />
legendä<strong>ren</strong> Erstlings «Der Hahn<br />
ist tot» bald zum 20. Mal. Der<br />
beste Grund für ein Interview ist<br />
aber Ingrid Noll selbst: Es macht<br />
viel Spass, mir ihr zu sprechen.<br />
books: Frau Noll, welche Frage wird Ihnen<br />
am häufigsten gestellt?<br />
Ingrid Noll: Weshalb ich in Shanghai zur<br />
Welt kam.<br />
Und warum kamen Sie in Shanghai zur<br />
Welt?<br />
Mein Vater absolvierte seine Facharzt-Ausbildung<br />
in Genf. Dort lernte er einen Chinesen<br />
kennen, <strong>de</strong>r ihm riet, nach China zu<br />
gehen, wo man Ärzte brauche. Meine Mutter<br />
fand <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e toll und sagte: Lass uns gehen,<br />
wir ver<strong>die</strong>nen dort einen Haufen Geld<br />
und keh<strong>ren</strong> dann wie<strong>de</strong>r nach Deutschland<br />
zurück. Lei<strong>de</strong>r kam alles ein wenig an<strong>de</strong>rs.<br />
Geld ver<strong>die</strong>nen war in China auch nicht<br />
immer einfach, und nach Deutschland<br />
wollten sie unter <strong>de</strong>n gegebenen Umstän<strong>de</strong>n<br />
nicht mehr zurück – das war damals ja<br />
eine finstere Zeit.<br />
Ich hatte <strong>de</strong>n Eindruck, <strong>die</strong> häufigste Frage,<br />
<strong>die</strong> man Ihnen stelle, laute: Wie kommt<br />
eine so freundliche Dame dazu, so böse<br />
Geschichten zu schreiben?<br />
Ja, das wer<strong>de</strong> ich tatsächlich oft gefragt. Ich<br />
selber bin ja ein betont friedlicher Mensch,<br />
das fällt schon auf. An<strong>de</strong>rerseits habe ich<br />
festgestellt, dass <strong>die</strong> Krimiwelt meistens<br />
aus friedlichen, sozialen Menschen besteht<br />
– das gilt für meine Kolleginnen und Kollegen,<br />
<strong>die</strong> Krimis schreiben, ebenso wie für<br />
unsere Leserinnen und Leser.<br />
Wie erklä<strong>ren</strong> Sie sich das?<br />
Vielleicht keh<strong>ren</strong> wir Konflikte im Alltag<br />
eher unter <strong>de</strong>n Teppich und sind dann froh,<br />
wenn wir in einem Buch einmal or<strong>de</strong>ntlich<br />
draufhauen dürfen.<br />
Das heisst: Sie haben in Ih<strong>ren</strong> Büchern<br />
auch schon einmal einen Feind aus <strong>de</strong>m<br />
richtigen Leben um <strong>die</strong> Ecke gebracht?<br />
Ich habe gar keine Fein<strong>de</strong> – o<strong>de</strong>r besser<br />
gesagt: Mir ist nicht bewusst, dass ich Fein<strong>de</strong><br />
hätte. Und es ist ja auch nicht so, dass<br />
ich <strong>die</strong> Personen in meinen Büchern gern<br />
um <strong>die</strong> Ecke bringe. Ich versuche immer,<br />
mich in je<strong>de</strong> Figur hineinzufühlen und sie<br />
zu verstehen. Empathie ist ganz wichtig,<br />
wenn man <strong>die</strong> Charaktere glaubwürdig gestalten<br />
möchte.<br />
Aber wenn Sie mit Ih<strong>ren</strong> Figu<strong>ren</strong> <strong>de</strong>rart<br />
mitfühlen – wie können Sie sie dann sterben<br />
lassen?<br />
Ich fin<strong>de</strong> es tatsächlich schlimm, wenn sie<br />
sterben müssen. Meistens tut mir das wahn-<br />
sinnig leid, ich bin dann ganz nie<strong>de</strong>rgeschlagen.<br />
Aber es muss lei<strong>de</strong>r sein.<br />
Warum?<br />
Aus dramaturgischen Grün<strong>de</strong>n! Der Mord<br />
ist in meinen Büchern zwar nicht das Wichtigste,<br />
mich interessiert hauptsächlich <strong>die</strong><br />
Entwicklung einer Person, ihre Verhaltensweise.<br />
Ich möchte ein Psychogramm erstellen.<br />
Aber <strong>de</strong>r Mord ist das Sahnehäubchen<br />
obendrauf.<br />
Sie lächeln – so schlimm ist es also <strong>doch</strong><br />
nicht, eine Figur umzubringen.<br />
Es macht mir Spass. Und es tut mir leid.<br />
In Ih<strong>ren</strong> letzten bei<strong>de</strong>n Büchern gibt es auch<br />
gar keine richtigen Mor<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn eher<br />
Unfälle o<strong>de</strong>r Missgeschicke mit tödlichen<br />
Folgen. Trotz<strong>de</strong>m gelten Sie weiterhin als<br />
Krimiautorin. In welche Schubla<strong>de</strong> gehö<strong>ren</strong><br />
Sie tatsächlich?<br />
Ich habe nichts dagegen, als Krimiautorin<br />
zu gelten, <strong>de</strong>nn es ist mir eigentlich egal,<br />
wo man mich hinsteckt. Ich sehe mich<br />
nicht in einer Schubla<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn bin wohl<br />
eine ganze Kommo<strong>de</strong>.<br />
Aber warum schreiben Sie nicht einfach<br />
einmal einen schönen Liebesroman, bei<br />
<strong>de</strong>m niemand stirbt?<br />
Die Liebe kommt in meinen Romanen ja<br />
immer vor, sie ist eine sehr starke Emotion<br />
und liefert gute Motive. Aber einen reinen<br />
Liebesroman? Ich bin nun einmal nicht <strong>die</strong><br />
Pilcher, ich kann nur so schreiben, wie ich<br />
es kann.<br />
Interview<br />
Als Leserin und Leser ten<strong>die</strong>rt man dazu,<br />
Werke autobiografisch zu lesen. Ihr neuester<br />
Roman «Eh<strong>ren</strong>wort» han<strong>de</strong>lt vom<br />
Greis Willy Knobel, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Familie<br />
seines Sohnes aufgenommen wird, damit er<br />
<strong>die</strong> letzten Lebenstage nicht im Heim verbringen<br />
muss. Sie selber haben Ihre Mutter<br />
ebenfalls bei sich aufgenommen und bis<br />
zu ihrem Tod gepflegt – sie starb mit 106<br />
Jah<strong>ren</strong>. Wie viel von Ihrer Mutter steckt in<br />
Willy Knobel?<br />
Natürlich verwen<strong>de</strong> ich eigene Erfahrungen,<br />
das machen alle Schriftsteller. Zu viele Parallelen<br />
sollte man <strong>de</strong>nnoch nicht in meine<br />
Bücher hineinlesen. Meine Mutter war sehr<br />
zurückhaltend, was man von Willy Knobel<br />
nun wirklich nicht behaupten kann. Aber<br />
selbstverständlich kenne ich <strong>die</strong> ambivalenten<br />
Gefühle, <strong>die</strong> man hat, wenn man einen<br />
Elternteil pflegt. Ich habe meine Mutter sehr<br />
geliebt, aber manchmal hatte ich auch genug<br />
von <strong>de</strong>r Situation – so, wie eine Mutter<br />
auch einmal genug hat von ihrem Kind.<br />
Als Sie Ihre Mutter pflegten, dachten Sie<br />
da schon: Das könnte einmal ein Stoff für<br />
einen Roman wer<strong>de</strong>n?<br />
Nein, nie. Es vergingen ja auch zwei Jahre<br />
nach <strong>de</strong>m Tod meiner Mutter, ehe ich<br />
<strong>die</strong> Arbeit an «Eh<strong>ren</strong>wort» aufnahm. Ich<br />
brauchte <strong>die</strong>se Zeit.<br />
Wie fin<strong>de</strong>n Sie Ihre Stoffe? Wie gehen Sie<br />
vor, wenn Sie ein neues Buch beginnen?<br />
Alles beginnt mit einer wochenlangen<br />
Schwangerschaft, in <strong>de</strong>r ich mich frage:<br />
Über wen will ich schreiben? In <strong>die</strong>ser frühen<br />
Phase geht es nicht um eine Handlung,<br />
son<strong>de</strong>rn nur um <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> mich<br />
interessie<strong>ren</strong>. Bei meinem letzten Buch<br />
«Kuckuckskind» interessierte mich zum<br />
Beispiel eine Frau mit Depressionen und<br />
einem unerfüllten Kin<strong>de</strong>rwunsch. Dann<br />
kommen nach und nach weitere Personen<br />
hinzu – etwa eine Kollegin, <strong>die</strong> gleichzeitig<br />
<strong>die</strong> Konkur<strong>ren</strong>tin <strong>de</strong>r Hauptfigur ist. Ich<br />
versuche dann, wie eine Schauspielerin in<br />
<strong>die</strong>se Rolle hineinzuschlüpfen und sie nachzuempfin<strong>de</strong>n.<br />
Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt machen Sie sich noch<br />
keine Gedanken über <strong>die</strong> Handlung?<br />
Nein. Aber wenn ich <strong>die</strong> Personen im Griff<br />
habe, hetze ich sie aufeinan<strong>de</strong>r – und gucke<br />
mal, was dabei herauskommt. Dass es<br />
zwischen <strong>die</strong>sen Leuten nicht gut ausgehen<br />
kann, ist ja klar. (Fortsetzung Seite 20)<br />
books – September 2010 – 17