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Die Bestimmung des Menschen

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WOLFHART PANNENBERG, <strong>Die</strong> <strong>Bestimmung</strong> <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong><br />

wurde besiegelt durch seinen Tod am Kreuz. Es ist nicht nötig, die<br />

Frage nach den Gründen für die Interpretation <strong>des</strong> Kreuzes als letztgültigen<br />

Ausdruck der Liebe Gottes zur Welt hier in allen Einzelheiten<br />

zu erörtern. Für den gegenwärtigen Argumentationszusammenhang<br />

ist die Tatsache ausreichend, daß Jesu Tod im Lichte seiner Auferstehung<br />

in diesem Sinne verstanden worden ist. Es handelt sich dabei um<br />

den gemeinsamen Zielpunkt all der unterschiedlichen Bilder, deren<br />

sich die urchristliche Interpretation <strong>des</strong> Kreuzes bediente. <strong>Die</strong> einfachste<br />

Erklärung <strong>des</strong> Zusammenhangs ist die von Paulus gegebene,<br />

daß Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Christus die Hoffnung auf<br />

Anteil auch an seinem neuen Leben begründet, das in seiner Auferstehung<br />

in Erscheinung getreten ist. So können diejenigen, die mit<br />

Christus Gemeinschaft haben, sogar durch den Tod nicht mehr von der<br />

Liebe Gottes getrennt werden.<br />

<strong>Die</strong> Konsequenzen dieses Glaubens waren wahrhaft revolutionär.<br />

Nach drei Jahrhunderten gerieten die Fundamente <strong>des</strong> römischen<br />

Reiches ins Wanken, weil sogar die Drohung eines schrecklichen To<strong>des</strong><br />

die christlichen Märtyrer nicht bewegen konnte, ihrem Glauben an<br />

Christus abzuschwören. <strong>Die</strong> Märtyrer der Alten Kirche bewiesen vor<br />

der Welt die im Tode Christi, nämlich in der darin offenbaren Liebe<br />

Gottes begründete Freiheit <strong>des</strong> einzelnen gegenüber der Gesellschaft<br />

und dem Staat. Durch den Tod Christi ist der einzelne radikal unabhängig<br />

geworden von jedem absoluten Anspruch der Gesellschaft<br />

oder <strong>des</strong> Staates auf sein Leben.<br />

Was man heute als Prinzip der individuellen Freiheit kennt, hat hier<br />

seine historische Wurzel. Da die religiösen Grundlagen dieser Freiheit<br />

sich als stärker erwiesen als die Macht <strong>des</strong> Staates, mußte schließlich<br />

die politische Macht diesen Glauben als Kriterium und, wenn möglich,<br />

als neue Basis eines ihm gemäßen Gesellschaftssystems anerkennen.<br />

Man weiß, daß dieser Prozeß sich keineswegs geradlinig vollzogen hat.<br />

Zunächst wurde die Kirche als Legitimationsbasis der politischen<br />

Ordnung anerkannt, da ihre Botschaft die Quelle jener neuen Freiheit<br />

war. In der Folgezeit jedoch geriet die hierarchische Struktur der Kirche<br />

selber in Konflikt mit der christlichen Freiheit, die in der Gemeinschaft<br />

<strong>des</strong> Glaubenden mit Christus gründet. Es ist die tragische Peripetie<br />

der Geschichte <strong>des</strong> Christentums gewesen, daß erst der Bruch<br />

seiner kirchlichen Einheit den Weg freigab für die allgemeine Auswirkung<br />

<strong>des</strong> Prinzipes individueller Freiheit als letztes Kriterium <strong>des</strong> Gesellschaftssystems<br />

und seiner politischen Organisation. Nachdem im<br />

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />

ISBN Print: 9783525334232 — ISBN E-Book: 9783647334233<br />

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