Die Bestimmung des Menschen
Die Bestimmung des Menschen
Die Bestimmung des Menschen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Existenz also durch den Gedanken der Versöhnung <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> in<br />
Christus bestimmt. <strong>Die</strong> christliche Kirche beansprucht für diese Versöhnungsbotschaft<br />
bis zum heutigen Tage allgemeine Gültigkeit für<br />
die gesamte Menschheit. <strong>Die</strong>ser Anspruch hat die missionarische Aktivität<br />
der Christen motiviert und zur Ausbreitung der christlichen<br />
Botschaft über die ganze Erde geführt. Doch wie ist dieser Anspruch<br />
zu begründen? Warum sollten sich <strong>Menschen</strong> nach Versöhnung mit<br />
Gott sehnen, wenn sie sich gar nicht als Sünder fühlen? <strong>Die</strong> Strategie<br />
der christlichen Missionspredigt pflegte den vollen Ernst dieser Frage<br />
zu umgehen. Statt <strong>des</strong>sen belehrte man die Leute, daß es nur einen<br />
einzigen wahren Gott gibt, der aber den <strong>Menschen</strong> zürnt, weil sie gegen<br />
ihn gesündigt haben, und nur durch das Werk Christi in seinem<br />
Zorn besänftigt wird. Als <strong>Menschen</strong> unserer Zeit fragen wir uns jedoch,<br />
ob dies wirklich der wahre Gott ist, wenn überhaupt ein Gott<br />
existiert. Gibt es Argumente, die diese Frage beantworten könnten?<br />
Gibt es irgendwelche Kriterien zur Beurteilung der Antworten, die<br />
man auf diese Frage gegeben hat oder geben könnte? Ich meine, daß<br />
ein solches Kriterium in der erhellenden Kraft gefunden werden kann,<br />
die von diesem oder jenem Gottesverständnis ausgeht. Das Kriterium<br />
wird angewendet, wenn man fragt, wie ein bestimmtes Gottesverständnis<br />
unser Verständnis der Wirklichkeit und speziell <strong>des</strong> menschlichen<br />
Lebens erleuchtet hat und erleuchtet. Wenn der Gott einer bestimmten<br />
religiösen Überlieferung wirklich, wie seine Gläubigen behaupten,<br />
der einzige Ursprung und Schöpfer <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> und seiner<br />
Welt ist, dann sollte seine Offenbarung uns ein tieferes und umfassenderes<br />
Verständnis von Mensch und Welt, wie sie unserer Erfahrung<br />
zugänglich sind, ermöglichen.<br />
Wendet man nun dieses Kriterium auf die christliche Lehre vom <strong>Menschen</strong><br />
an, so ist zu fragen: In welcher Weise hat das christliche Verständnis<br />
<strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> als durch Jesus Christus mit Gott versöhnt tatsächlich<br />
die menschliche Existenz und das Selbstverständnis <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong><br />
in seiner Welt erleuchtet und verändert? Was hat die christliche<br />
Botschaft zur menschlichen Selbsterfahrung beigetragen?<br />
<strong>Die</strong> These dieses Kapitels ist, daß die ewige Bedeutung <strong>des</strong> Individuums<br />
und <strong>des</strong> individuellen Lebens einer der wichtigsten Beiträge <strong>des</strong><br />
Christentums zur Erfahrung der Struktur menschlicher Existenz, wie<br />
auch zur Entwicklung <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> gewesen ist. <strong>Die</strong>ser Gedanke<br />
steht in einer direkten Beziehung zur Verkündigung Jesu von der versöhnenden<br />
Liebe Gottes, der sich um jeden einzelnen <strong>Menschen</strong><br />
8<br />
WOLFHART PANNENBERG, <strong>Die</strong> <strong>Bestimmung</strong> <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong><br />
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 9783525334232 — ISBN E-Book: 9783647334233