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Die Bestimmung des Menschen

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WOLFHART PANNENBERG, <strong>Die</strong> <strong>Bestimmung</strong> <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong><br />

Individuen im Unterschied zu anderen verstanden wird, sondern als<br />

Freiheit, die jedem <strong>Menschen</strong> als solchem zukommt. <strong>Die</strong> Anwendung<br />

der Gleichheit als naturrechtliches Prinzip auf konkrete Fälle menschlicher<br />

Beziehungen bereitet jedoch Schwierigkeiten. In ihrem wirklichen<br />

Leben sind die einzelnen <strong>Menschen</strong> einander nicht gleich, und<br />

auch nicht gleichermaßen frei, und diese Ungleichheiten lassen sich<br />

nicht gänzlich durch unterschiedliche Entwicklungschancen und gesellschaftliche<br />

Bedingungen erklären. Dennoch aber partizipieren alle<br />

einzelnen Personen schon jetzt an einer gemeinsamen menschlichen<br />

<strong>Bestimmung</strong>, und diese gemeinsame Zukunft begründet eine tiefere<br />

Gleichheit unter ihnen trotz aller bestehenden Ungleichheiten. Das<br />

Ergebnis ist ein prekäres Gleichgewicht im gesellschaftlichen Leben<br />

der <strong>Menschen</strong> zwischen natürlicher Ungleichheit und proleptischer<br />

Gleichheit, welch letztere aus ihrer gemeinsamen <strong>Bestimmung</strong> folgt<br />

und mit der ihre Würde als Person eng zusammengehört. Es ist die<br />

schwierige Aufgabe jeder Sozialpolitik, beiden Seiten dieses Sachverhalts<br />

gerecht zu werden, sowohl der tatsächlichen Ungleichheit als<br />

auch der proleptischen Gleichheit der Bürger. Werden die tatsächlichen<br />

Ungleichheiten übersprungen, so ist ein totalitärer Idealismus am<br />

Werke, der die konkreten Verhältnisse <strong>des</strong> Lebens verzerrt und zu vielerlei<br />

Ungerechtigkeiten führt. Wenn auf der andern Seite die proleptische<br />

Gleichheit der <strong>Menschen</strong> aus dem Blick gerät, dann fungiert die<br />

Humanität nicht mehr als Kriterium für soziale Reformen.<br />

<strong>Die</strong> Diskussion <strong>des</strong> christlichen Freiheitsbegriffs im Vergleich zur modernen<br />

Freiheitsidee, die in erster Linie auf den Gedanken <strong>des</strong> Naturrechts<br />

beruht, hat insoweit zu dem Ergebnis geführt, daß die beiden<br />

Konzeptionen nicht notwendigerweise einander ausschließen, daß<br />

aber doch starke Spannungen zwischen ihnen bestehen. Der christliche<br />

Freiheitsgedanke ist nicht formalistisch und abstrakt. Er hat einen<br />

spezifischen Inhalt, nämlich die Gemeinschaft <strong>des</strong> Glaubenden mit<br />

Gott, der in Christus die Macht von Sünde und Tod überwunden und<br />

so den <strong>Menschen</strong> mit sich selber versöhnt hat. Gemeinsam ist den beiden<br />

Konzeptionen, daß Freiheit zum Wesen <strong>des</strong> Menschseins gehört.<br />

Weil auch der Christ diese Überzeugung teilt, ist es ihm verständlich,<br />

daß auch andere <strong>Menschen</strong>, so wie die stoischen Philosophen, eine<br />

Vorstellung von Freiheit haben, wenn auch - in christlicher Sicht- nur<br />

in Gestalt blasser Abstraktionen. Wenn die Freiheit zum Menschsein<br />

<strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> gehört, dann werden die <strong>Menschen</strong> immer in der einen<br />

oder anderen Weise ein Bewußtsein davon haben, auch wenn es zur<br />

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />

ISBN Print: 9783525334232 — ISBN E-Book: 9783647334233<br />

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