P. T. MAGAZIN 04/2013
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
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Gesellschaft<br />
Ein schwerfälliges Verfahren<br />
Die parlamentarische Arbeitsweise muss besser erklärt werden<br />
Debatten vor nahezu leeren Bänken.<br />
Fehlende Abgeordnete bei wichtigen<br />
Abstimmungen. Parteipolitische<br />
Vorgaben statt freier Gewissensentscheidung.<br />
Bei solchen Eindrücken aus<br />
dem parlamentarischen Alltag heißt es<br />
schnell, die Abgeordneten seien unfähig<br />
und faul, sie würden nur abnicken und<br />
durchwinken, was ihnen vorgesetzt<br />
wird. Obwohl ebenso platt wie falsch,<br />
prägen solche Vorurteile die öffentliche<br />
Meinung. Gegen diese Mixtur aus<br />
Unkenntnis und Anmaßung müssen<br />
wir Parlamentarier uns selbstbewusst<br />
wehren aber zugleich unsere Arbeitsweise<br />
deutlich besser darstellen und<br />
erklären.<br />
Ein modernes Arbeitsparlament<br />
funktioniert anders<br />
Auch wenn es ohne Sitzfleisch nicht geht<br />
- Kompetenz und Fleiß der Abgeordneten<br />
lassen sich nicht anhand leerer<br />
Sitze messen. Im Gegenteil: Würde das<br />
Parlament von morgens bis abends stets<br />
in voller Besetzung debattieren, käme<br />
die Gesetzgebung schnell zum Erliegen.<br />
Nicht mehr, sondern weniger würde<br />
beraten und entschieden. Winston Churchill<br />
soll gesagt haben: „Am faulsten<br />
sind die Parlamente, die am stärksten<br />
besetzt sind.“ Der Nationale Volkskongress<br />
der Volksrepublik China entspricht<br />
dem Wunschbild eines vollbesetzten Plenums.<br />
Ein modernes Arbeitsparlament<br />
Die wesentliche Arbeit des Parlamentarismus geschieht in den „Werkstätten“, den<br />
Arbeitsausschüssen und dort wird auch bereits entschieden<br />
10 P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 4/<strong>2013</strong><br />
(Foto: Lichtblick/Achim Melde)<br />
(Foto: Deutscher Bundestag/Marc-Steffen Unger)<br />
in einer Demokratie funktioniert anders.<br />
Der Deutsche Bundestag ist hochgradig<br />
arbeitsteilig organisiert. Anders könnte<br />
er seine vielfältigen Aufgaben, die weit<br />
über die eigentliche Gesetzgebungsarbeit<br />
hinausgehen, gar nicht bewältigen.<br />
Das Plenum ist die „gute Stube“ des Parlamentarismus,<br />
die wesentliche Arbeit<br />
geschieht aber in den „Werkstätten“<br />
und in der Regel wird dort auch bereits<br />
entschieden. Wenn schließlich im Plenum<br />
des Bundestages vor den Augen der<br />
Fernsehkameras öffentlich debattiert<br />
und abgestimmt wird, sind die Positionen<br />
meist schon festgelegt und die<br />
Entscheidungen getroffen. Dieser Vorlauf<br />
bleibt in der öffentlichen Bewertung<br />
und Berichterstattung weitgehend<br />
unbeachtet. So entsteht zwangsläufig<br />
ein schiefes Bild.<br />
Entgegen weit verbreiteten Vorstellungen<br />
dient die Plenardebatte weniger<br />
dazu, den politischen Gegner zu überzeugen<br />
als vielmehr die unterschiedlichen<br />
Argumente und Bewertungen<br />
in die Öffentlichkeit zu transportieren.<br />
Deshalb lässt die Geschäftsordnung des<br />
Deutschen Bundestages es auch zu, dass<br />
im Normalfall relativ wenig Abgeordnete<br />
an einer Plenumsdebatte teilnehmen.<br />
Intern Spezialist, nach außen Generalist<br />
Ein Parlament ist keine Ansammlung<br />
von Einzelkämpfern. Parlamentarische<br />
Arbeit kann nur in der Gemeinschaft<br />
politisch gleichgesinnter, nach Fraktionen<br />
formierter und nach Fach- und<br />
Sachwissen spezialisierter Parlamentsmitglieder<br />
sinnvoll erledigt werden –<br />
also in einer besonderen Form spezifischer<br />
Teamarbeit. Niemand ist in der<br />
Lage, sich pro Wahlperiode mit ca. 1.000<br />
Gesetzentwürfen, über 3.000 kleinen<br />
und großen Anfragen und etwa 2.000<br />
Anträgen zu den unterschiedlichsten<br />
Themen zu befassen. Deshalb werden<br />
die Arbeitsfelder aufgeteilt. Der Abgeordnete<br />
ist intern Spezialist, nach außen<br />
hin aber Generalist. In Berlin wird er für<br />
die Kollegen, die Fach- und Medienöffentlichkeit<br />
der sachkundige Experte. In<br />
seinem Wahlkreis und für sein Bundesland<br />
bleibt er aber der Ansprechpartner<br />
für alles und jedes. Dieser Spagat<br />
lässt sich nur mit wechselseitiger Hilfe<br />
bewältigen. Und dafür braucht es ein<br />
Mindestmaß an Vertrauen in die Kompetenz,<br />
Integrität und Verlässlichkeit der<br />
Fraktionskollegen.<br />
Langes Wochenende ohne Freizeit<br />
Wenn im Plenum die Fachpolitiker<br />
sprechen, haben sie sich zuvor in den<br />
Ausschüssen des Bundestages und den<br />
Arbeitsgruppen der Fraktionen eingehend,<br />
nicht selten monatelang, mit<br />
einem Thema beschäftigt. Sie haben in<br />
den Fraktionsvollversammlungen allen<br />
Kolleginnen und Kollegen hierzu Rede<br />
und Antwort gestanden. Währenddessen<br />
kümmern sich die übrigen Abgeordneten<br />
um andere Themen. Das kann im<br />
Büro sein, in Arbeitstreffen mit Sachverständigen<br />
aus Wirtschaft, Wissenschaft<br />
oder Gesellschaft, im Gespräch mit Kollegen<br />
oder mit Interessensvertretern.<br />
Hat ein Politiker noch zusätzliche<br />
Führungsaufgaben in den Gremien der<br />
Fraktion oder Partei, ist während der<br />
Sitzungswochen sein Terminkalender<br />
von Montag bis Freitag dicht gefüllt.<br />
Wenn er am Freitag Berlin verlässt, hat<br />
er zwar ein langes Wochenende vor sich,<br />
aber keineswegs Freizeit. Als Festredner<br />
bei Veranstaltungen und Jubiläen,<br />
bei Begegnungen und Besichtigungen<br />
vor Ort steht er seinem Wahlkreis oder<br />
Landesverband zur Verfügung. Wenn<br />
man dieses Arbeitspensum in einen<br />
Stundenlohn umrechnet, relativiert sich<br />
30,1<br />
LInke<br />
20,1<br />
SPD<br />
die angeblich so üppige Bezahlung der<br />
Parlamentarier deutlich. Bei 60 bis 70<br />
Arbeitsstunden pro Woche ergibt sich<br />
dann ein Stundenlohn in der Größenordnung<br />
eines Facharbeiters in der<br />
Automobilbranche.<br />
Mühselig und wenig populär<br />
Da ein Großteil der parlamentarischen<br />
Arbeit unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung<br />
abläuft, ist das Bild nach<br />
außen oft lückenhaft. Das gilt besonders<br />
für die Rolle der Fraktionen, die<br />
eine Schlüsselstellung haben, wenn es<br />
darum geht, die Repräsentationsfunktion<br />
des Parlaments zu erfüllen. Die<br />
Fraktionen wirken hier als organisatorische<br />
Klammer. Grundsätzlich soll jeder<br />
einzelne Abgeordneten an der politischen<br />
Willensbildung zu allen anstehenden<br />
Themen mitwirken. In seiner<br />
Fraktion kann er auch die großen Linien<br />
der Politik beeinflussen und seiner Aufgabe<br />
gerecht werden, den Wählerwillen<br />
über die ganze Bandbreite politischer<br />
Themen zu vertreten. Entsprechend kontrovers<br />
wird mitunter diskutiert. Das ist<br />
intern häufig mühselig und nach außen<br />
wenig populär. Aber es ist wertvoll, denn<br />
der politische Streit beflügelt das Auffinden<br />
der besten Lösungen. Es würde sich<br />
lohnen, intensiv darüber nachzudenken,<br />
in welchem Umfang in einem formalisierten<br />
Verfahren auch die Diskussionen<br />
in den Fraktionsgremien öffentlich<br />
abgebildet werden könnten. Zu überlegen<br />
wäre auch, die Fach-Ausschüsse des<br />
Bundestages stärker für die Öffentlich-<br />
12,8<br />
Grüne<br />
Linke Schwänzer<br />
Versäumte Abstimmungen pro<br />
Abgeordneten nach Parteien<br />
11,3<br />
FDP<br />
keit zu öffnen, indem man das bisherige<br />
Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrt<br />
und Ausschusssitzungen grundsätzlich<br />
öffentlich durchführt.<br />
Diffamierung und platte Polemiken<br />
Mehr Transparenz kann Vorurteilen den<br />
Nährboden entziehen. Wir müssen die<br />
komplexen und vielfältigen Entscheidungsprozesse<br />
lebendig und lebensnah<br />
vermitteln. Hier sind erhebliche Verbesserungen<br />
möglich. Das gilt für den Deutschen<br />
Bundestag als Organ wie für jeden<br />
Abgeordneten persönlich. Ansehen und<br />
Reputation des Hauses dürfen im politischen<br />
Streit nicht leiden. Persönliche<br />
Diffamierungen müssen tabu sein. Und<br />
schließlich sind die Parlamentskorrespondenten<br />
und Berichterstatter der<br />
Medien gefordert. Sie lassen sich allzu<br />
häufig zu platten Polemiken hinreißen,<br />
auch wenn sie es besser wissen oder<br />
zumindest wissen sollten. n<br />
Hermann Otto Solms<br />
Über den Autor<br />
10,8<br />
CDU/CSU<br />
n Dr. Hermann Otto Prinz zu Solms-<br />
Hohensolms-Lich ist ein deutscher<br />
Politiker der FDP. Er war von<br />
1991 bis 1998 Vorsitzender der<br />
FDP-Bundestagsfraktion und ist<br />
seit 1998 Vizepräsident des Deutschen<br />
Bundestages.<br />
(Foto: Dr. Hermann Otto Solms)<br />
4/<strong>2013</strong> P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 11<br />
(Grafik: Focus/Statista <strong>2013</strong>)