Jubiläumsausgabe
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125 Jahre Gemeinde Ruhpolding - 7 - Juli 2007<br />
rerseits auch freier als das<br />
Dienstgehen war. Es hatte aber<br />
auch den Nachteil für das Gemeinwesen,<br />
dass diese Dienstleute<br />
nach getaner Arbeit ihrer<br />
persönlichen Willkür überlassen<br />
und außerhalb jeder Kontrolle<br />
waren. Das führte nicht selten<br />
zu einer Verschärfung der sozialen<br />
Spannungen, zu Sittenverfall<br />
und zu exzessiven<br />
Auswüchsen und Übergriffen.<br />
Die Zustände waren teilweise<br />
derart, dass verantwortliche<br />
Gemeindeväter sich wiederholt<br />
über Rohheit, Pflichtvergessenheit<br />
und grenzenlose Leichtfertigkeit<br />
bei diesen Personen<br />
beklagten.<br />
Ein anderes Kapitel waren die<br />
Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
der Holzknechte. Viele<br />
Bauern waren gezwungen, angesichts<br />
der wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse, sich neben der<br />
Bewirtschaftung ihres Hofes ein<br />
Zugeld durch die Arbeit im<br />
Forst zu verdienen. Hier bildete<br />
sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />
im sogenannten Holz-<br />
meistersystem ein eigener<br />
Holzknechtstand heraus, der<br />
von den Holzmeistern für alle<br />
anfallenden Arbeiten wie vorher<br />
üblich als „Knechte“ eingesetzt<br />
wurden. Da Ende des 19. Jahrhunderts<br />
noch kein gesichertes<br />
Sozialsystem funktionierte,<br />
mussten die Holzknechte, wenn<br />
sie zur Waldarbeit nicht mehr in<br />
der Lage waren, wieder in das<br />
Erwerbsleben auf dem Hof eingegliedert<br />
werden oder sie<br />
waren nicht selten ein Fall fürs<br />
Armenhaus. Dass in diesem<br />
auf Abhängigkeit beruhenden<br />
Holzmeistersystem die Holzknechte<br />
gegenüber den Holzmeistern,<br />
die den Gewinn<br />
abschöpften, oft den Kürzeren<br />
zogen, ist leicht zu verstehen.<br />
Wie sehr aber auch mit Druck<br />
und Drohung gearbeitet wurde,<br />
zeigen nur noch vereinzelt existierende<br />
und private Unterlagen<br />
und Aufzeichnungen. So ist<br />
belegt, dass auf aufmuckende<br />
Holzknechte schon auch einmal<br />
die Hunde losgelassen wurden,<br />
um aufkommende Proteste im<br />
Keim zu ersticken.<br />
Das zeigt uns aber andererseits<br />
recht gut, wie hart der Kampf<br />
der isoliert dastehenden Holzknechte<br />
für den sozialen Fortschritt,<br />
für ihr Lebensrecht und<br />
das ihrer Familien war und wie<br />
dornenvoll und entbehrungsreich<br />
der Weg durch diesen<br />
hart und oft unerbittlich geführten<br />
Kampf zu bewerten ist. Zu<br />
leicht übersieht man bei der<br />
auch heute noch vorherrschenden<br />
Holzknechtidylle die harten<br />
und gefährlichen Arbeitsbedingungen<br />
bei oft täglich vierzehn<br />
Arbeitsstunden und verkennt,<br />
dass das angeblich „goldene<br />
Zeitalter des Bürgertums“ nur<br />
die große soziale Not der arbeitenden<br />
Menschen verdeckt hat.<br />
Diese beschriebene Entwicklung<br />
gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />
muss jedoch in<br />
Verbindung mit dem industriellen<br />
Strukturwandel in der weiteren<br />
Region gesehen werden.<br />
Hier kam es mit dem Niedergang<br />
der Salzwirtschaft als führendem<br />
Wirtschaftssektor, der<br />
Schließung der Saline und Veränderungen<br />
in der Montanwirtschaft<br />
zu weiteren tief<br />
greifenden strukturellen Veränderungen<br />
im regionalen Wirtschaftsgefüge.<br />
Auf diesen<br />
Wandel waren die Menschen<br />
so gut wie nicht vorbereitet und<br />
die sozialen Antworten durch<br />
Gewerkschaften und Lohngesetze<br />
ließen noch Jahre auf<br />
sich warten. So zeigt dieser<br />
kurze geschichtliche Abriss,<br />
dass es aus heutiger Sicht<br />
falsch und nicht angebracht ist<br />
von „der guten alten Zeit“ zu<br />
reden.<br />
H. Weigand