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Das Leben ist so, wie wir darauf reagieren

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060<br />

Theresienstadt. Als er diese Autos gesehen hat,<br />

<strong>ist</strong> er aufgesprungen und nach Prag zurückgefahren.<br />

Wir, die <strong>wir</strong> dort geblieben sind, hätten mit<br />

dem Zug nach Prag fahren können, sind aber<br />

nicht gefahren, weil uns gesagt wurde, es sei eine<br />

Epidemie in Prag. Ich habe dann den Jungen<br />

genommen und bin mit ihm ins Dorf gefahren<br />

und habe dort schwer gearbeitet. Nach ein paar<br />

Wochen sind <strong>wir</strong> normal zurückgefahren. Mein<br />

Bruder hat uns empfangen, <strong>wir</strong> haben bei ihm<br />

gewohnt, endlich in einem normalen Bett mit<br />

sauberem Bettzeug. Der Junge war verzaubert von<br />

der elektrischen Tramway. Er war glücklich. Na,<br />

dann haben <strong>wir</strong> eine winzige Wohnung bekommen,<br />

und dort war es sehr gut.<br />

Sie hatten auch Ihr ganzes Vermögen verloren.<br />

Haben Sie je versucht, etwas zurück zu bekommen?<br />

Nein, ich habe mich nie interessiert. Ich habe<br />

immer als Lehrerin genug Geld verdient. Wenn<br />

jemand etwas gut kann, hat er ein leichtes<br />

<strong>Leben</strong>. Wenn Sie <strong>wir</strong>klich etwas können, <strong>ist</strong> alles<br />

leicht. Habe ich Recht?<br />

Alice Herz Sommer erzählt, dass sie in der Nacht<br />

viel liest. Seit ihrer Kindheit schon könne sie längstens<br />

drei Stunden schlafen. Es mache ihr aber nichts.<br />

Dann lese sie eben oder höre Musik. Müde werde sie<br />

deswegen tagsüber nicht.<br />

Mit welchem Blick sehen Sie heute auf Prag nach<br />

den vielen Jahren in Israel und nun schon <strong>wie</strong>der 20<br />

Jahren in London?<br />

Ich muss sagen, Prag <strong>ist</strong> schon entfernter von<br />

mir, Israel eigentlich auch. England – ich bin<br />

ihnen sehr dankbar, dass sie mich <strong>so</strong> brav und <strong>so</strong><br />

tolerant aufgenommen haben. Die Musik, die<br />

Kunst <strong>ist</strong> eigentlich das, wo ich mich zugehörig<br />

fühle.<br />

Haben Sie einen Wunsch, wo Sie begraben werden<br />

möchten?<br />

Bei meinem Sohn, selbstverständlich, hier in<br />

London. Da <strong>ist</strong> ein Friedhof, wo Menschen aller<br />

Religionen begraben sind, Juden, Chr<strong>ist</strong>en,<br />

Moslems. <strong>Das</strong> <strong>ist</strong> sehr gut. Und man <strong>wir</strong>d aus<br />

dem Schubert-Quintett in C-Dur spielen, das<br />

Herrlichste, was jemals komponiert wurde.<br />

Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Ich habe meine<br />

Pflicht getan, ich habe sehr viel Freude gehabt<br />

und vielen Freude gemacht, glaube ich. <strong>Das</strong> <strong>ist</strong><br />

ein gutes Gefühl, ein gutes Gewissen, <strong>so</strong>zusagen.<br />

Es <strong>ist</strong> nichts offen geblieben.<br />

Nein, gar nicht.<br />

Sie können nur nach vorne schauen.<br />

Eigentlich ja.<br />

<strong>Das</strong> Gespräch mit Alice Herz Sommer wurde am 29. April<br />

2005 in London geführt.

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