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Das Leben ist so, wie wir darauf reagieren

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Haben Sie sich in Ihrer Jugend schon für Natur<br />

interessiert?<br />

Immer, ich habe mich für alles interessiert.<br />

Darauf kommt es nämlich an, ob man wissen will<br />

oder nicht. Ich habe stundenlang mit meiner<br />

Mutter gesprochen, und das hat auch mein Sohn,<br />

ein weltberühmter Cell<strong>ist</strong>, der leider, leider vor<br />

vier Jahren gestorben <strong>ist</strong>, gehabt. Als kleines<br />

Kind hatte er schon hunderttausend Fragen. Er<br />

war schon mit zwei Jahren musikalisch sehr<br />

begabt.<br />

Ich stamme aus einer sehr musikalischen Familie.<br />

Meine Mutter stammt aus Iglau, aus einer deutschen<br />

Siedlung, auch Gustav Mahler <strong>ist</strong> dort<br />

geboren. Meine Mutter hat als Kind mit ihm<br />

gespielt. Immer wenn ich diese Musik von<br />

Mahler höre, bin ich mit meiner Mutter eng beisammen.<br />

Bei uns wurde nur über Musik gesprochen. Wir<br />

waren fünf Kinder, alle sehr musikalisch. Mein<br />

Bruder war ein herrlicher Geiger, mit ihm habe<br />

ich schon mit zehn Jahren gespielt.<br />

War Ihre Mutter streng?<br />

Sie war diszipliniert, heute weiß keiner mehr, was<br />

das <strong>ist</strong>. Wir waren nicht arm. Mein Vater war<br />

schon mit 12 Jahren aus der Schule gekommen<br />

und hatte in einer Eisenhandlung gelernt. Dann<br />

hat er mit seinem Bruder eine Waagenfabrik<br />

gegründet, die größte in der ganzen Monarchie.<br />

Haben sich die Mitglieder Ihrer Familie in der<br />

Monarchie als Österreicher gefühlt?<br />

Deutsch, das <strong>ist</strong> nicht ganz österreichisch. Man<br />

sagt, dass das Prager Deutsch das reinste Deutsch<br />

<strong>ist</strong>. Es sind die größten Schriftsteller dort geboren:<br />

Franz Kafka, Franz Werfel, Rilke.<br />

Franz Kafka war im Hause Herz in Prag öfter zu<br />

Gast. Alices Schwager war ein guter Freund des<br />

Dichters. Alice erinnert sich an einen bescheidenen,<br />

aber auch sehr humorvollen Kafka.<br />

Ja, diese Disziplin. Jedes Kind hatte eine Pflicht<br />

zu tun. Ich bin um sechs Uhr früh aufgestanden<br />

und bin zu einer Bäckerei in der Nähe gegangen,<br />

um Semmeln und Brot zu holen für das<br />

Frühstück, und ich habe den Tisch gedeckt.<br />

Abends habe ich alle Schuhe geputzt, das habe<br />

ich aber freiwillig gemacht, um der Mutter zu<br />

helfen. Wenn die Mutter etwas gesagt hat, wurde<br />

es getan. <strong>Das</strong> Wort „Nein“ hat nicht ex<strong>ist</strong>iert.<br />

Wir haben unsere Mutter geduzt. Gesiezt hat<br />

man bei den Katholiken. Wir sind Juden, ohne<br />

Religion. Ich glaube nur an Ehrlichkeit. Wir sind<br />

ehrliche Menschen.<br />

Hat Ihnen die Disziplin im späteren <strong>Leben</strong> geholfen?<br />

Deswegen bin ich <strong>so</strong> alt geworden, nur deswegen.<br />

Disziplin besteht aus einem starken Willen und<br />

einem ungeheuren Ehrgeiz. Ich esse zum Beispiel<br />

seit dreißig Jahren jeden Tag dasselbe. Ich weiß<br />

gar nicht, was ich esse. Ich war <strong>so</strong> beschäftigt,<br />

dass ich gar nicht Zeit hatte nachzudenken, was<br />

das <strong>ist</strong>. So <strong>ist</strong> es bis jetzt. Immerfort dasselbe,<br />

keine Änderungen, stundenlang gegangen, nie in<br />

einem Auto gesessen. Al<strong>so</strong> in dieser Art.<br />

Bezieht sich Disziplin auch auf den Umgang mit den<br />

eigenen Stimmungen?<br />

Ganz be<strong>so</strong>nders. Ich habe eine Zwillingsschwester<br />

gehabt, aber <strong>wir</strong> waren antipodisch in<br />

unserem Charakter. Ich war immer optim<strong>ist</strong>isch<br />

und immer gut gelaunt, sie genau das Gegenteil,<br />

sehr pessim<strong>ist</strong>isch. Als sie gestorben <strong>ist</strong>, war ich<br />

dankbar. Sie war nicht depressiv, nicht krank,<br />

aber sie hat das <strong>Leben</strong> vom dunkelsten Punkt aus<br />

gesehen und ich vom hellsten. <strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> <strong>ist</strong> <strong>so</strong>,<br />

<strong>wie</strong> <strong>wir</strong> drauf <strong>reagieren</strong>. Na, und der Spinoza, der<br />

größte Philo<strong>so</strong>ph, sagt: „Alles <strong>ist</strong> Gott, Natur,<br />

Menschen, Tiere, die Planeten, alles <strong>ist</strong> Gott,<br />

aber auch gut und schlecht <strong>ist</strong> Gott.“ Ich brauche<br />

nicht auf das Schlechte zu schauen. Wenn<br />

mir etwas Unangenehmes passiert, kommt mir im<br />

selben Moment der Gedanke, das <strong>ist</strong> zwar nicht<br />

sehr angenehm, aber für das andere <strong>wir</strong>d es viel-<br />

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