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Das Leben ist so, wie wir darauf reagieren

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das <strong>ist</strong> mir gelungen. Ich selber hasse nicht und<br />

mein Sohn natürlich auch nicht. Meine besten<br />

Freunde leben in Deutschland.<br />

Als ich aus dem Konzentrationslager nach Prag<br />

zurückgekommen bin, war der Kommunismus,<br />

Stalin. Ich sage Ihnen, wer das nicht weiß, was<br />

das heißt! Es war manchmal ärger als der Hitler.<br />

Katastrophal. Dann bin ich nach Israel. Fünf<br />

Kriege waren in Israel, aber Demokratie. Die<br />

Leute hier haben keine Ahnung! Man kann denken,<br />

man kann lesen, man kann schreiben, man<br />

kann fühlen, was man will. Herrlich!<br />

Sie haben den Kommunismus schlimm erlebt?<br />

Katastrophal! Man fürchtet sich, vor dem besten<br />

Freund etwas zu sagen, weil man Angst hat, man<br />

<strong>wir</strong>d angezeigt, man kommt ins Gefängnis. Und<br />

mit meinem Jungen, ein Kind fragt <strong>so</strong> viel!<br />

1949 re<strong>ist</strong> Alice Herz Sommer mit ihrem Sohn nach<br />

Israel aus. Nach einer beschwerlichen Bahn- und<br />

Schiffsreise kommt sie in Jerusalem an. In der ihr<br />

eigenen Art nützt sie <strong>so</strong>fort die Chancen, die sich<br />

bieten. Sie unterrichtet an der Musikakademie als<br />

Lehrerin und gibt zahlreiche Konzerte als Pian<strong>ist</strong>in.<br />

Was hat Ihre Interpretation als Pian<strong>ist</strong>in charakterisiert?<br />

Ich glaube, da gibt es nur ein Wort: sehr natürlich.<br />

Ich habe nicht sehr originell sein wollen.<br />

Ich habe dem Kompon<strong>ist</strong>en gedient. Ich wollte<br />

tun, was in den Noten steht, aus Respekt vor dem<br />

Kompon<strong>ist</strong>en. Ich bin auch als Mensch natürlich.<br />

Ich glaube, meine hervorstechendste Eigenschaft<br />

war, dass ich besessen war von der Arbeit, und<br />

ich bin es noch jetzt. Ich finde, Arbeit <strong>ist</strong> ganz<br />

wunderbar. Man <strong>ist</strong> noch im Bett und freut sich<br />

schon <strong>darauf</strong>. Wenn man es nicht hätte, wäre<br />

man doch ein armer Teufel. Mir tun Leute Leid,<br />

die acht Stunden am Tag machen müssen, was sie<br />

gar nicht interessiert, nur damit sie das Geld verdienen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>ist</strong> sehr arm.<br />

Sie spielen noch jeden Tag Klavier?<br />

Ich habe einen Geiger, der kommt zwei Mal im<br />

Monat, ein wunderbarer Musiker, er heißt Toni,<br />

seine Frau Paula. <strong>Das</strong> sind entzückende<br />

Menschen. Und da bereite ich mich immer vor.<br />

Meine Sch<strong>wie</strong>gertochter spielt manchmal mit, sie<br />

<strong>ist</strong> Cell<strong>ist</strong>in.<br />

Wann sind Sie in Pension gegangen?<br />

Als ich Israel verlassen habe, war ich 84, und da<br />

war ich noch voll beschäftigt. Die Direktorin hat<br />

mich gebeten: „Um Gottes willen, gehen Sie<br />

nicht weg.“ Die Schüler sind gern zu mir gekommen.<br />

Ich war populär und voll beschäftigt.<br />

In London hatten Sie keine Schüler mehr?<br />

Nur mehr zwei, drei Schüler, aber ich war mit<br />

den Enkelkindern beschäftigt.<br />

Worauf kommt es an, damit man musikalisch gut<br />

<strong>wir</strong>d?<br />

Darauf bin ich erst in meinem hohen Alter<br />

gekommen: Der Charakter <strong>ist</strong> das Ausschlaggebende<br />

im <strong>Leben</strong> eines Menschen, nicht seine<br />

Begabung. <strong>Das</strong> Temperament. Der Wille. Wissen<br />

Sie, und das habe ich auch gelernt: Es gibt<br />

eigentlich wenig schlechte Menschen. Es gibt<br />

schwache Menschen. Leute, die schlecht sind,<br />

sind es aus Schwäche oder Feigheit. Sie können<br />

sich nicht entscheiden.<br />

Können <strong>wir</strong> noch einmal über Theresienstadt reden?<br />

Ihre Schwestern sind noch vor dem Krieg weg aus<br />

Prag.<br />

Ja, sie sind mit dem letzten Transport aus Prag<br />

weg. Am nächsten Tag <strong>ist</strong> Hitler schon in Prag<br />

einmarschiert.<br />

Warum sind Sie geblieben?<br />

Damals musste man ein Dokument für die<br />

Ausreise haben, und das kostete sehr viel Geld.<br />

Meine Schwestern hatten das Geld, ich aber<br />

nicht. Meine Mutter war außerdem noch da. Sie<br />

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