Die ver.di-Fahne musste nach vorne - Arbeitskammer des Saarlandes
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Ein Buch der<br />
Industriegewerkschaft Metall<br />
leuchtet kritisch <strong>di</strong>e<br />
Schattenwelt der Leiharbeit<br />
aus.<br />
28<br />
„Manchmal tun mir <strong>di</strong>ese Kollegen<br />
einfach leid. Im gleichen Betrieb<br />
<strong>ver</strong>richten sie gemeinsam mit den<br />
Beschäftigten der Stammbelegschaft<br />
<strong>di</strong>eselbe Tätigkeit, <strong>ver</strong><strong>di</strong>enen aber<br />
erheblich weniger“: Präzise beschreibt<br />
Simon Geib das Kernproblem der<br />
Leiharbeit. Der Jugendsekretär der IG<br />
Metall in Neunkirchen hat vielfältige<br />
Erfahrungen in <strong>di</strong>eser Schattensphäre<br />
der Arbeitswelt gesammelt. Nüchtern<br />
rechnet Geib vor: Gerade mal rund 7,30<br />
Euro pro Stunde erhalten <strong>di</strong>e meisten<br />
Beschäftigten in der Regel von ihrer<br />
Verleihfirma – doch im Entleihbetrieb<br />
liegt das Facharbeiterentgelt fast<br />
doppelt so hoch. Der Gewerkschafter<br />
berichtet von Leiharbeitern, <strong>di</strong>e<br />
ausstehende Lohnzahlungen<br />
reklamieren: In solchen Fällen würden<br />
Zeitarbeitunternehmen schon mal<br />
<strong>ver</strong>suchen, „mit Tricks jene zu kün<strong>di</strong>gen,<br />
<strong>di</strong>e sich wehren.“ Geib erzählt von einer<br />
Betroffenen, <strong>di</strong>e laut Vertrag in der<br />
Entleihfirma werktäglich von sechs bis<br />
14 Uhr antreten sollte, jeden zweiten<br />
Freitag aber nicht benötigt wurde: Der<br />
Verleihbetrieb habe kurzerhand<br />
<strong>ver</strong>langt, sie solle an <strong>di</strong>esem Tag halt<br />
Urlaub nehmen. „Erst <strong>nach</strong> langem<br />
Kampf konnte eine Einigung erzielt<br />
werden“, erinnert sich Geib.<br />
Solche Erfahrungen bestätigen <strong>di</strong>e<br />
kritischen Analysen im<br />
„Schwarzweißbuch Leiharbeit“ der IG<br />
Metall, <strong>des</strong>sen Publizierung zu der<br />
bun<strong>des</strong>weiten Kampagne „Gleiche<br />
Arbeit – Gleiches Geld“ gehört. Das<br />
Werk ist unkonventionell gestaltet:<br />
Man kann es drehen und wenden und<br />
mit der Lektüre von zwei Seiten<br />
beginnen. Der „schwarze“ Teil handelt<br />
von miserablen Arbeitsbe<strong>di</strong>ngungen, der<br />
„weiße“ Teil kündet vom<br />
gewerkschaftlichen Kampf für<br />
Verbesserungen.<br />
Am eindrucksvollsten sind gewiss <strong>di</strong>e<br />
Schilderungen konkreter Einzelfälle.<br />
Da ist etwa jener Mann, der bei einem<br />
Verleiher anheuern <strong>musste</strong>, weil ihm<br />
sonst ALG II gestrichen worden wäre:<br />
Er wurde für brutto 6,15 Euro <strong>di</strong>e Stunde<br />
zu unmöglichen Arbeitszeiten bei<br />
<strong>di</strong><strong>ver</strong>sen, auch weit entfernten<br />
Unternehmen komman<strong>di</strong>ert, hatte für<br />
bestimmte Schicht<strong>di</strong>enste seinen Urlaub<br />
zu unterbrechen, <strong>musste</strong> bei einer<br />
Entleihfirma für deren Arbeitskleidung<br />
zahlen.<br />
Das Buch beleuchtet auch kritisch <strong>di</strong>e<br />
Hintergründe <strong>des</strong> Boom-Phänomens<br />
Leiharbeit, schon über 700.000 Leute<br />
haben einen solchen Job. Erläutert<br />
werden <strong>di</strong>e Ausweitung der Zeitarbeit<br />
im Zuge der Deregulierung <strong>des</strong><br />
Arbeitsmarkts, der von der<br />
Dumpingpolitik christlicher<br />
Gewerkschaften unterminierte Einsatz<br />
<strong>des</strong> DGB für höhere Tarife in der<br />
Branche oder <strong>di</strong>e alarmierende<br />
Situation, dass jeder achte Leiharbeiter<br />
eine ALG-II-Aufstockung benötigt. Simon<br />
Geib weist darauf hin, dass es sich bei<br />
Leiharbeitern überwiegend nicht um<br />
Minderqualifizierte und<br />
Langzeiterwerbslose handelt.<br />
Jobs<br />
zweiter Klasse<br />
Aber das Buch klagt nicht nur an.<br />
<strong>Die</strong> Lektüre offenbart auch, dass das<br />
Engagement von Gewerkschaft und<br />
Betriebsräten in nicht wenigen<br />
Einzelfällen zu besserer Bezahlung und<br />
auch zum Wechsel in Festanstellungen<br />
bei Entleihfirmen geführt hat. Vor allem<br />
aber konnte <strong>di</strong>e IG Metall schon fast 400<br />
sogenannte „Besser“-Vereinbarungen<br />
mit Entleihunternehmen abschließen:<br />
<strong>Die</strong>se Betriebe <strong>ver</strong>pflichten sich,<br />
Leiharbeiter höher zu entlohnen bis hin<br />
zu gleicher Bezahlung wie <strong>di</strong>e<br />
Stammbelegschaft und <strong>di</strong>e Zahl solcher<br />
Jobs zu begrenzen.<br />
Alles in Ordnung? Leider nicht. Geib<br />
empört sich über ein Beispiel: Eine<br />
Entleihfirma habe zwecks besserer<br />
Entlohnung der Leiharbeiter mehr Geld<br />
an den Zeitarbeitgeber überwiesen –<br />
doch der habe <strong>di</strong>ese Summe nicht<br />
vollstän<strong>di</strong>g an <strong>di</strong>e Betroffenen<br />
weitergereicht.<br />
Schwarzweißbuch Leiharbeit:<br />
Bestellungen über<br />
www.gleichearbeit-gleichesgeld.de<br />
(Acht Euro plus Versand)<br />
Text: Karl-Otto Sattler<br />
Foto: Nicolas Oswald