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22. Landesolympiade Latein und Griechisch in Oberösterreich 12.3

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L A T EIN – OLYMPIADE<br />

Schuljahr 2007/08<br />

DIALOG<br />

Christentum - Islam<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong><br />

De rationibus fidei<br />

Erstellt von Dr. Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig Sommer 2007


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Vorwort<br />

A DAS THEMA<br />

Das vorliegende Skriptum entstand als Textgr<strong>und</strong>lage zur Vorbereitung auf die <strong>Late<strong>in</strong></strong>-<br />

Olympiade 2007/08 <strong>in</strong> OberÄsterreich, die der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Islam<br />

gewidmet ist. Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e eher unbekannte Schrift Åber die Verteidigung<br />

des christlichen Glaubens gegenÅber AndersglÇubigen erfolgte aus folgender Motivation:<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>er der größten abendländischen Philosophen, der sich<br />

grÄÉere Beachtung verdienen wÅrde, als ihm dies im Regelunterricht <strong>in</strong>folge der dem<br />

LektÅreunterricht <strong>in</strong> <strong>Late<strong>in</strong></strong> zur VerfÅgung stehenden Zeit zuteil wird.<br />

Die <strong>in</strong> dieser Schrift angesprochenen Themen zÇhlen bis heute zu den zentralen<br />

theologischen Streitfragen im Diskurs der beiden monotheistischen Religionen<br />

Christentum <strong>und</strong> Islam, zwischen denen es zahlreiche Berührungspunkte gibt.<br />

Der Text selbst ist auÉerdem nicht nur se<strong>in</strong>es Inhaltes wegen, sondern auch <strong>in</strong><br />

methodologischer H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong>teressant; denn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der Methoden <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>es<br />

Mangels an Reflexion immer mehr aus dem Bewusstse<strong>in</strong> verschw<strong>in</strong>den (bei gleichzeitig<br />

zunehmender Nachfrage nach Methodenkompetenz) ist der Wert e<strong>in</strong>er Schrift nicht zu<br />

unterschÇtzen, der e<strong>in</strong>e gewisse Methode zugr<strong>und</strong>e gelegt ist – sei es, um diese aufzugreifen<br />

oder ihr kritisch zu begegnen, <strong>in</strong>dem sie mit anderen Methoden kontrastiert wird.<br />

B DER TEXT<br />

Der hier editierte Text will mehr se<strong>in</strong> als Druckvorlage bzw. Öbersetzungsbasis.<br />

Kont<strong>in</strong>uierlich fordert das Skript zur Nutzung weiterer Quellen <strong>und</strong> zur <strong>in</strong>teraktiven<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Thema auf. Das Skriptum bietet abgesehen von der<br />

gegenÅber dem Orig<strong>in</strong>al gekÅrzten Textfassung <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nÅtzliche, aber nicht Åber<br />

das notwendige MaÉ h<strong>in</strong>ausgehende Textanmerkungen als Übersetzungshilfen, will es<br />

doch weder den Gebrauch des WÄrterbuchs noch eigenes Nachdenken ersparen. Sprache<br />

<strong>und</strong> Stil des sich am klassischen <strong>Late<strong>in</strong></strong> orientierenden mittelalterlichen Autors lassen<br />

dennoch e<strong>in</strong> flÅssiges Öbersetzen zu. Mit Ausnahme der Texte 7-9, die sowohl sprachlich<br />

als auch <strong>in</strong>haltlich durch Bezugnahme auf die aristotelische Philosophie sowie ihre<br />

GrÅndlichkeit <strong>in</strong> der ErÄrterung hÄhere AnsprÅche stellen (gerade das macht sie besonders<br />

spannend), ist ihre LektÅre fÅr den Unterkurs ebenso empfehlenswert wie im Oberkurs.<br />

Das Hauptaugenmerk liegt zudem nicht auf der Textarbeit. Der Text wird vielmehr als<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Impuls für eigenständige Interpretation betrachtet, auf <strong>in</strong>haltliche,<br />

sprachliche <strong>und</strong> methodische Reflexion abzielend, die mehrere BrÅcken zur Gegenwart<br />

schlÇgt. Letzteres erfÇhrt durch die Verwendung der Lernplattform Moodle e<strong>in</strong>e neue<br />

Dimension. Der Kurs kann <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit oder ausschlieÉlich Åber die Lernplattform<br />

absolviert werden.<br />

C DAS ZIEL<br />

Der tiefere S<strong>in</strong>n liegt dar<strong>in</strong>, Text<strong>in</strong>halte <strong>und</strong> Argumentationsmethoden kritisch zu<br />

h<strong>in</strong>terfragen. Die den e<strong>in</strong>zelnen Textabschnitten angeschlossenen Fragen bieten, Åber die<br />

eigentliche Text<strong>in</strong>terpretation h<strong>in</strong>ausgehend, zahlreiche Anregungen fÅr Diskussionen<br />

<strong>und</strong> Stellungsnahmen. Zudem bietet der E<strong>in</strong>satz der Lernplattform die MÄglichkeit, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en bisher unbekannten Gedankenaustausch mit den Teilnehmer/<strong>in</strong>nen von<br />

Vorbereitungskursen anderer Schulen zu treten.<br />

Dazu lade ich alle Leser<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Leser herzlich e<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

wünsche anregende Lektürest<strong>und</strong>en sowie gutes Gel<strong>in</strong>gen !<br />

Im Sommer 2007<br />

Perkounig<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 2 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Inhalt<br />

Vorwort 2<br />

Inhaltsverzeichnis 3<br />

Zusammenstellung der <strong>in</strong>teraktiven Åbungen 4<br />

E<strong>in</strong>fÄhrung 5<br />

L<strong>in</strong>kliste zu Thomas von Aqu<strong>in</strong> 6<br />

Bildnachweis 6<br />

TextauszÄge 7<br />

Text 1 : Die Absicht des Autors 7<br />

Text 2 : Glaubensgr<strong>und</strong>sÇtze im Visier der Gegner 8<br />

Text 3 : Wie soll man UnglÇubigen gegenÉber argumentieren 9<br />

Text 4 : Die Streitfrage um die Dreigestalt Gottes 10<br />

Text 5 : Die Menschwerdung Gottes 14<br />

Text 6 : Passion <strong>und</strong> Tod Christi 17<br />

Text 7 : Das Mysterium der Eucharistie 19<br />

Text 8 : Das jÉngste Gericht 21<br />

Text 9 : Die Willensfreiheit des Menschen 26<br />

Text 10 : Epilog 28<br />

Anhang: 29<br />

I ErgÇnzungstext zum „JÉngsten Gericht“ (Text 9) 29<br />

II E<strong>in</strong>ige Koranzitate 31<br />

III Der Gelehrte Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>in</strong> Wort <strong>und</strong> Bild 32<br />

Nachwort … 33<br />

a. zum <strong>in</strong>terreligiÜsen Dialog 33<br />

b. zur didaktischen Zielsetzung 35<br />

c. zum Argumentationsstil 37<br />

d. zur KonfliktlÜsungskompetenz 42<br />

e. zum Erwerb von SchlÉsselkompetenzen 49<br />

Bibliographie <strong>und</strong> Literaturtipps 50<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 3 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Zusammenstellung der <strong>in</strong>teraktiven Übungen:<br />

Thema 1: T ESTS - Biographi e<br />

A Kurztest zur Autorenbiographie <strong>in</strong> der Wikipedia<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/quiz/view.php?id=12<br />

B Fragenkatalog zu Autor, Leben, Werk, Wirkung<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/quiz/view.php?id=14<br />

C Fragenkatalog zur Philosophie von Thomas von Aqu<strong>in</strong><br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/quiz/view.php?id=13<br />

Thema 2: SKRI PT UM - Dow nload<br />

Das gesamte Skriptum als pdf-Datei zum Herunterladen<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/resource/view.php?id=50<br />

Thema 3: GL OSS AR - B eg riffsl e xiko n<br />

Die wichtigsten Namen <strong>und</strong> Begriffe r<strong>und</strong> um das Thema<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/glossary/view.php?id=15<br />

Thema 4: WIKI – Enz y klopÅdi e<br />

Wo liegen die Konfliktpotentiale zwischen den Religionen <strong>und</strong> Kulturen<br />

heute? Wie kommt der Dialog zustande?<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/wiki/view.php?id=16<br />

Themen 5-11:T EXTE - A u fgab e n<br />

Die E<strong>in</strong>zeltexte, Interpretationsfragen <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/course/view.php?id=5<br />

Thema 12: BILD DATEN BAN K – K u ns t i m U mk r eis<br />

Kunstwerke aus dem regionalen Umkreis mit Bezug zum Thema<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/data/view.php?id=45<br />

Thema 13: CHAT – R oll en spi el: Christ – J ud e - Atheist<br />

Ist Bildung e<strong>in</strong>e Frage der Kultur?<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/chat/view.php?id=34<br />

Thema 14: FEEDB AC K - K u rs eval ua tion<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen:http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/feedback/view.php?id=38<br />

Lehrer/<strong>in</strong>nen: http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/mod/feedback/view.php?id=41<br />

Thema 15: DI DA KT I SC HE HINW IES E – Vo r /Nac hwort<br />

Zur Textwahl, zu den didaktischen Zielsetzungen <strong>und</strong> zur Methodologie<br />

http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/course/view.php?id=5<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 4 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

E<strong>in</strong>führung:<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist nicht alle<strong>in</strong> des Umfanges se<strong>in</strong>es Schriftwerkes wegen,<br />

das er h<strong>in</strong>terlassen hat, e<strong>in</strong>er der bedeutendsten Philosophen des Abendlandes.<br />

Se<strong>in</strong>e Theorien <strong>und</strong> Gedanken prÄgten die europÄische Geistesgeschichte weit<br />

Åber das Mittelalter h<strong>in</strong>aus. Als e<strong>in</strong>er der groÇen Kirchenlehrer gestaltete er<br />

maÇgeblich das GeprÄge der katholischen Theologie, die ihre BegrÅndung als<br />

rationale Wissenschaft nicht zuletzt diesem Gelehrten verdankt. Wer <strong>in</strong> Zeiten<br />

der AreligiositÄt (um nicht zu sagen Anti-ReligiositÄt), wer im Kampf der<br />

christlichen Kirchen untere<strong>in</strong>ander den Scholastiker <strong>in</strong>s Eck rÅckt, geht weit<br />

fehl: ke<strong>in</strong> ernsthafter Philosoph kommt an se<strong>in</strong>em Namen vorbei.<br />

Soviel vorweg. Doch wer war dieser Mann wirklich? Wann lebte er genau?<br />

Was bestimmte se<strong>in</strong> Denken? In welche Epoche fÄllt se<strong>in</strong> Wirken? War er selbst<br />

bee<strong>in</strong>flusst von se<strong>in</strong>er Zeit oder verlieh vielmehr er jener Impulse? Hatte er<br />

Vorbilder? Welchen Bildungsweg durchlief er? Worauf grÅndet sich se<strong>in</strong>e<br />

Bekanntheit? Was machte ihn zur s<strong>in</strong>gulÄren PersÉnlichkeit? Diese Fragen<br />

mÉgen Dich leiten, wenn Du, noch bevor Du Dich an das Ñbersetzen machst,<br />

daran gehst, Dir erst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>iges Wissen Åber den Autor anzueignen.<br />

Du kannst dabei auf die angegebenen Literatur- <strong>und</strong> Quellenzitate<br />

zurÅckgreifen, Dich aber auch <strong>in</strong> eigenstÄndiger Weise auf Literatursuche<br />

machen. E<strong>in</strong> Abstecher <strong>in</strong> die Schulbibliothek wird <strong>in</strong> jedem Fall lohnenswert<br />

se<strong>in</strong>, am besten noch vor E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong>s Internet. Du wirst den Namen dieses<br />

Philosophen mit Sicherheit <strong>in</strong> Lexika f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en EnzyklopÄdie<br />

ebenso wie <strong>in</strong> der spezifischen Literatur der Fachgebiete Religion <strong>und</strong><br />

Philosophie.<br />

Welche Quellen Du als E<strong>in</strong>stieg <strong>und</strong> Informationsbasis auch immer nutzt,<br />

orientiere Dich an den oben gestellten Fragen: Mehrere Quellen<br />

durchzusehen ist durchaus s<strong>in</strong>nvoll. Durch das wiederholte Lesen wichtiger<br />

Daten <strong>und</strong> Fakten (der Fachmann spricht von „Red<strong>und</strong>anz“) festigen sich<br />

erworbene Kenntnisse, <strong>in</strong>folge von unterschiedlichen Sichtweisen oder<br />

divergenten AnnÄherungen kannst Du aus E<strong>in</strong>zelkenntnissen e<strong>in</strong> f<strong>und</strong>iertes<br />

Wissen über den Autor erwerben.<br />

Wenn Du Dich dann e<strong>in</strong>igermaÇen gut <strong>in</strong> die Literatur Åber Thomas von Aqu<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>gelesen hast, bietet sich Dir die MÉglichkeit, auf der Lernplattform Moodle<br />

De<strong>in</strong> Wissen zu testen. Dort stehen Dir drei Tests über den Philosophen<br />

unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads zur VerfÅgung. Sollten die Tests nicht<br />

auf Anhieb gel<strong>in</strong>gen oder das Ergebnis nicht De<strong>in</strong>en Erwartungen entsprechen,<br />

kannst Du sie beliebig oft wiederholen. Auch das dient der Festigung De<strong>in</strong>es<br />

Wissens. Du musst allerd<strong>in</strong>gs zwischen mehreren Versuchen jeweils m<strong>in</strong>destens<br />

drei Tage verstreichen lassen. Erst am vierten Tage nach e<strong>in</strong>em durchgefÅhrten<br />

Versuch ist die Wiederholung der Testfragen mÉglich. Die Zeit dazwischen<br />

kannst Du nÅtzen, um das e<strong>in</strong>e oder andere Detail nachzulesen oder De<strong>in</strong><br />

Portfolio (Infomappe mit den gesammelten biographischen Daten) zu ergÄnzen.<br />

Um diese Tests durchfÅhren <strong>und</strong> an den anderen AktivitÄten teilnehmen zu<br />

kÉnnen, musst Du Dich beim ersten Mal auf der Lernplattform registrieren.<br />

Adresse: http://www.edumoodle.at/bibakadgyml<strong>in</strong>z/<br />

Klicke mit der Maus auf den Kurs LATEIN-OLYMPIADE 2008.<br />

Du erhÄltst Dann e<strong>in</strong>e automatische BestÄtigung mit Kennwort an<br />

De<strong>in</strong>e e-Mail-Adresse.<br />

Bedeutung<br />

Persönlichkeit<br />

Quellen<br />

Orientierung<br />

Kontrolle<br />

Lernplattform<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 5 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

L<strong>in</strong>kliste zu Thomas von Aqu<strong>in</strong>:<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_von_Aqu<strong>in</strong><br />

http://www.kathpedia.com/<strong>in</strong>dex.php?title=Thomas_von_Aqu<strong>in</strong><br />

http://la.wikipedia.org/wiki/Thomas_Aqu<strong>in</strong>as<br />

http://www.textlog.de/6365.html<br />

http://www.heiligenlexikon.de/BiographienT/Thomas_von_Aqu<strong>in</strong>.htm<br />

http://kirchensite.de/<strong>in</strong>dex.php?myELEMENT=61432<br />

http://www.kloster-metten.de/mgm/thomas_von_aqu<strong>in</strong>1.htm<br />

http://www.daszitat.de/autoren/503204938c0cfb71b/a/503204938c0e8605b.html<br />

http://www.evh.tu-cottbus.de/MaikKoch/TvA/Thomas_von_Aqu<strong>in</strong>_html.html<br />

http://www.abcphil.de/html/thomas_von_aqu<strong>in</strong>.html<br />

Abbildungen:<br />

Aristoteles<br />

Abb. 1 auf Titelseite: „Thomas von Aqu<strong>in</strong>“ von Carlo Crivelli, italienischer Maler des 15. Jhs.<br />

QUELLE: http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_von_Aqu<strong>in</strong><br />

Abb.2 auf dieser Seite „BÅste des Aristoteles“ im Palazzo Altemps, Rom, Foto di Giovanni<br />

Dall'Orto, MÄrz 2005.<br />

QUELLE: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Busto_di_Aristotele_conservato_a_Palazzo<br />

_Altaemps%2C_Roma._Foto_di_Giovanni_Dall%27Orto.jpg<br />

Abb.3 Seite 28: „Das JÅngste Gericht“ von Michelangelo, Vatikan, Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle, Rom.<br />

QUELLE: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/b/b9/Michelangelo_JGericht4.jpg<br />

Abb.4 Seite 32: „Triumph der katholischen Kirche“, Personifikation <strong>in</strong> der Gestalt Hl.Thomas<br />

von Aqu<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der Kirche Santa Maria Novella, Florenz.<br />

QUELLE: http://www.heiligenlexikon.de/BiographienT/Thomas_von_Aqu<strong>in</strong>.htm<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 6 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Textauszüge:<br />

TEXT 1:<br />

Die Absicht des Autors De rationibus Fidei, cap. 1<br />

Capitulum primum: Quae sit auctoris <strong>in</strong>tentio<br />

[1] Beatus 1 Petrus apostolus, qui promissionem accepit a dom<strong>in</strong>o, ut super 2 eius confessione<br />

f<strong>und</strong>aretur Ecclesia 3 , [...] fideles Christi alloquitur dicens: dom<strong>in</strong>um Christum sanctificate <strong>in</strong><br />

cordibus vestris 4 , scilicet per fidei firmitatem: quo f<strong>und</strong>amento <strong>in</strong> corde collocato, contra omnes<br />

impugnationes 5 aut irrisiones 6 <strong>in</strong>fidelium tuti esse poterimus. Unde etiam subdit 7 : parati semper<br />

ad satisfactionem omni poscenti vos rationem 8 de ea, quae <strong>in</strong> vobis est spe et fide 9 .<br />

Kommentar:<br />

1 beatus = sanctus<br />

2 super: auf<br />

3 Ecclesia: die Kirche (als Institution, Gesamtheit aller Christen)<br />

4 Thomas v. Aqu<strong>in</strong> stellt an die Spitze se<strong>in</strong>er Schrift die auffordernden Worte: “Seid stets bereit zur<br />

Verantwortung jedem gegenÉber, der von euch Rechenschaft fordert Éber das, was an Hoffnung <strong>und</strong><br />

Glauben <strong>in</strong> euch ist!” (1Petr 3,15).<br />

5 impugnatio, onis f.: Angriff<br />

6 irrisio, onis f.: Spott, Hohn, VerhÜhnung<br />

7 subdo 3, didi, ditus: w: ‚unterlegen’, untermauern, (als ArgumentationsstÉtze) h<strong>in</strong>zufÉgen<br />

8 poscenti vos [O4] rationem: Åbersetze mit Attributsatz „der euch zur Rechenschaft auffordert“ = „der<br />

von euch Rechenschaft verlangt“<br />

9 spe et fide: Ablativi limitationis, dt. “an …”<br />

Anregungen* zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Schlage das Bibelzitat nach <strong>und</strong> mache Dich des Zusammenhanges k<strong>und</strong>ig, <strong>in</strong> dem<br />

es dort steht!<br />

b. Thomas von Aqu<strong>in</strong> zitiert im Vorwort se<strong>in</strong>er Schrift De rationibus fidei den Apostel<br />

Petrus. Er beruft sich damit auf e<strong>in</strong>e AutoritÇt, mit der er den Wahrheitsanspruch<br />

se<strong>in</strong>er Worte betonen will: In welcher Tradition steht diese Verfahrensweise?<br />

Vergleiche die vorliegende Praefatio mit antiken Literaturwerken, die Dir<br />

aus dem Unterricht bekannt s<strong>in</strong>d: Ist Dir daraus das Zitieren von AutoritÇten<br />

bekannt? ErfÉllt die Anrufung dort denselben Zweck?<br />

Åberlege, welches Gewicht <strong>in</strong> der christlichen Tradition der Berufung auf<br />

AutoritÇten zukommt!<br />

c. Wozu fordert der Text die angesprochenen Christen auf? Setze Dich mit der Frage<br />

ause<strong>in</strong>ander, wie relevant diese Aufforderung <strong>in</strong> der heutigen Zeit ist!<br />

Th. v. Aqu<strong>in</strong> erweist sich <strong>in</strong> diesem kurzen Text als <strong>in</strong> antiker Rhetorik geschulter Autor:<br />

Welcher Satz macht dies besonders deutlich?<br />

Welche Stilmittel kannst Du <strong>in</strong> diesem Satz entdecken?<br />

Handelt es sich um re<strong>in</strong>en rhetorischen Aufputz (Nachahmung antiker<br />

Sprachkunst) oder gel<strong>in</strong>gt es dem christlichen Autor, durch den RÉckgriff auf<br />

die klassische antike Rhetorik das Gewicht se<strong>in</strong>er Worte zu unterstreichen?<br />

________________________<br />

* Die alphabetisch nummerierten Fragen setzen sich mit Inhalt <strong>und</strong> Wirkungsgeschichte ause<strong>in</strong>ander,<br />

die mit dem Sonderzeichen gekennzeichneten Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf Stilistika.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 7 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

TEXT 2:<br />

Glaubensgr<strong>und</strong>sätze im Visier der Gegner De rat. Fidei, cap. 2-6<br />

[2] Fides autem Christiana pr<strong>in</strong>cipaliter consistit <strong>in</strong> Sanctae Tr<strong>in</strong>itatis 1 confessione, et specialiter<br />

gloriatur 2 <strong>in</strong> cruce dom<strong>in</strong>i nostri Iesu Christi. [...] Spes etiam nostra <strong>in</strong> duobus consistit: scilicet<br />

<strong>in</strong> eo, quod expectatur post mortem, et <strong>in</strong> auxilio Dei, quo <strong>in</strong> hac vita iuvamur ad futuram<br />

beatitud<strong>in</strong>em per opera liberi arbitrii promerendam.<br />

[3] Haec igitur sunt , quae, ut asseris 3 , ab <strong>in</strong>fidelibus impugnantur et irridentur. Irrident<br />

enim Saraceni 4 , ut dicis, quod Christum Dei filium dicimus, cum Deus uxorem non habeat 5 ; et<br />

reputant nos <strong>in</strong>sanos, quod tres personas confitemur <strong>in</strong> Deo 6 , per hoc 7 aestimantes nos tres deos<br />

profiteri. Irrident etiam quod Christum Dei filium pro salute humani generis dicimus<br />

crucifixum 8 : quia si est Deus omnipotens potuit absque sui filii passione genus humanum<br />

salvare; potuit etiam sic constituere hom<strong>in</strong>em, ut peccare non posset. Improperant etiam<br />

Christianis, quod cotidie <strong>in</strong> altari comedunt Deum suum, et quod corpus Christi, si esset ita<br />

magnum sicut mons, iam deberet esse consumptum.<br />

[4] Circa 9 statum vero animarum post mortem Graecos et Armenos asseris errare dicentes, quod<br />

animae usque ad diem iudicii nec puniuntur nec praemiantur, sed sunt quasi <strong>in</strong> sequestro 10 , quia<br />

nec poenam nec praemia debent habere s<strong>in</strong>e corpore. 11 Et <strong>in</strong> sui erroris assertionem <strong>in</strong>ducunt,<br />

quod dom<strong>in</strong>us <strong>in</strong> Evangelio dicit: <strong>in</strong> domo patris mei mansiones multae sunt.<br />

Circa meritum vero, quod ex libero dependet arbitrio, asseris tam Saracenos quam nationes alias<br />

necessitatem actibus humanis imponere ex praescientia vel ord<strong>in</strong>atione div<strong>in</strong>a, dicentes, quod<br />

homo non potest mori, nec etiam peccare, nisi sicut 12 Deus ord<strong>in</strong>avit 13 de hom<strong>in</strong>e; et quod<br />

quaelibet persona suum eventum habet scriptum <strong>in</strong> fronte.<br />

Kommentar:<br />

1 tr<strong>in</strong>itas, tatis f. : Dreifaltigkeit<br />

2 glorior 1 <strong>in</strong> … (+Abl.) : stolz se<strong>in</strong> auf etw., sich e<strong>in</strong>er Sache rÉhmen<br />

3 assero 3, serui, sertus : behaupten<br />

4 Saraceni : Als Sarazenen bezeichneten die Christen alle Muslimen im Vorderen Orient<br />

5 Der Koran bestreitet die Vorstellung von e<strong>in</strong>er Zeugung Gottes, weshalb er auch die Bezeichnung<br />

„Vater“ fÉr Gott ablehnt. So heiãt es z.B. Koran 6,101: „Wie soll er zu K<strong>in</strong>dern kommen, wo er doch<br />

ke<strong>in</strong>e GefÇhrt<strong>in</strong> hatte?“<br />

6 Zur Leugnung der Tr<strong>in</strong>itÇt heiãt es im Koran 4,171: „Ihr Leute der Schrift! Treibt es <strong>in</strong> eurer Religion<br />

nicht zu weit <strong>und</strong> sagt gegen Gott nichts aus, als die Wahrheit! Christus Jesus, der Sohn der Maria,<br />

ist nur der Gesandte Gottes […]. Darum glaubt an Gott <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Gesandten <strong>und</strong> sagt nicht …<br />

drei! HÜrt auf (so etwas zu sagen)! Das ist besser fÉr euch. Gott ist nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Gott. Gepriesen<br />

sei er! (Er ist darÉber erhaben) e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu haben."<br />

7 per hoc : deswegen<br />

8 Der Koran leugnet den Kreuzestod Christi: „… <strong>und</strong> (weil sie, d.h. die Juden) sagten: ‚Wir haben<br />

Christus Jesus, den Sohn der Maria <strong>und</strong> Gesandten Gottes, getÜtet’. – Aber sie haben ihn (<strong>in</strong><br />

Wirklichkeit) nicht getÜtet <strong>und</strong> (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (e<strong>in</strong> anderer)<br />

Çhnlich (so daã sie ihn mit Jesus verwechselten <strong>und</strong> tÜteten). […] Ne<strong>in</strong> , Gott hat ihn zu sich (<strong>in</strong><br />

den Himmel) erhoben. (Koran 4,157 f.).<br />

9 circa (+ Akk.) : h<strong>in</strong>sichtlich<br />

10 sequestrum, i : Warteraum, hier: Verwahrung (Hagemann)<br />

11 Da sich im Islam Çhnliche Gedanken e<strong>in</strong>es JÉngsten Gerichts f<strong>in</strong>den, handelt es sich <strong>in</strong> diesem<br />

Punkt nicht um e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den muslimischen Anfe<strong>in</strong>dungen gegen das<br />

Christentum, sondern vielmehr um e<strong>in</strong>e Kritik an hÇretischen Christen, was die Schrift <strong>in</strong> die NÇhe<br />

e<strong>in</strong>er schulmÇãigen Apologetik rÉckt.<br />

12 sicut : gleichsam<br />

13 ord<strong>in</strong>o 1 de … : befehlen, verfÉgen, anordnen<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 8 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Was s<strong>in</strong>d die wesentlichen Glaubensgr<strong>und</strong>sÇtze der Christen? Notiere die late<strong>in</strong>ischen<br />

Begriffe aus dem Text, liste sie entsprechend der deutschen Åbersetzung alphabetisch<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Glossars (= Stichwortregister) auf <strong>und</strong> erklÇre ihre christliche Bedeutung!<br />

Du kannst sie auch <strong>in</strong> das Glossar GLOSSAR auf der Lernplattform Moodle e<strong>in</strong>tragen!<br />

b. Welche Streitpunkte existieren zwischen Christen <strong>und</strong> Muslimen?<br />

ZÇhle sie e<strong>in</strong>zeln auf <strong>und</strong> Éberlege Dir, (als Christ/<strong>in</strong>) ob sie fÉr Dich <strong>und</strong> De<strong>in</strong>en<br />

persÜnlichen Glauben von Bedeutung s<strong>in</strong>d; (als Nicht-Christ/<strong>in</strong>:) ob es <strong>in</strong> De<strong>in</strong>er<br />

Religion Çhnliche Vorstellungen gibt bzw. was De<strong>in</strong>e religiÜsen oder gr<strong>und</strong>sÇtzlichen<br />

Gedanken s<strong>in</strong>d, die Du jenen entgegenstellen kÜnntest!<br />

Setze Dich mit den hier gebotenen Argumenten ause<strong>in</strong>ander, ÉberprÉfe zugleich,<br />

ob diese zeitgemÇã bzw. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er rational bestimmten Welt noch Éberzeugend se<strong>in</strong><br />

kÜnnen, <strong>und</strong> f<strong>in</strong>de allenfalls andere Argumente!<br />

Diskutiere mit den Anderen Éber die unterschiedlichen Glaubensgr<strong>und</strong>sÇtze!<br />

Versucht geme<strong>in</strong>sam deren Relevanz <strong>in</strong> Alltagssituationen, im Jahreskreis <strong>und</strong> bei<br />

bestimmten Festen sowie <strong>in</strong> ihrer Auswirkung auf Geisteshaltung <strong>und</strong> Handlungsmotivation<br />

der Menschen zu bestimmen!<br />

Schreibt Eure Ergebnisse <strong>in</strong> das Wiki auf der Lernplattform Moodle !<br />

Th. v. Aqu<strong>in</strong> erweist sich <strong>in</strong> diesem kurzen Text als e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der antiken Rhetorik geschulter<br />

Autor: Benenne die im Text markierten rhetorischen Stilmittel <strong>und</strong> ergrÉnde im<br />

GesprÇch mit den Anderen die Wirkung im Kontext!<br />

TEXT 3:<br />

Wie soll man Ungläubigen gegenüber argumentieren? De rat. Fidei, cap. 7<br />

Capitulum sec<strong>und</strong>um : Qualiter sit disputandum contra <strong>in</strong>fideles<br />

[7] De hoc tamen primo admonere te volo, quod <strong>in</strong> disputationibus contra <strong>in</strong>fideles de articulis<br />

fidei, non ad hoc conari debes, ut fidem rationibus necessariis probes 1 . Hoc enim sublimitati fidei<br />

derogaret 2 , cuius veritas non solum humanas mentes, sed etiam Angelorum excedit 3 ; a nobis<br />

autem creduntur quasi ab ipso Deo revelata 4 . Quia tamen , quod a summa veritate procedit,<br />

falsum esse non potest, nec aliquid necessaria ratione 5 impugnari valet 6 , quod falsum non est;<br />

sicut fides nostra necessariis rationibus 5 probari non potest, quia humanam mentem excedit 3 , ita<br />

improbari necessaria ratione non potest propter sui veritatem.<br />

Ad hoc igitur debet tendere Christiani disputatoris <strong>in</strong>tentio <strong>in</strong> articulis fidei, non ut fidem probet,<br />

sed ut fidem defendat: <strong>und</strong>e et beatus Petrus non dicit: parati semper ad probationem, sed ad<br />

satisfactionem, ut scilicet rationabiliter 7 ostendatur non esse falsum, quod fides Catholica<br />

confitetur.<br />

Kommentar:<br />

1 conari debes, ut …probes : „… dass Du nicht darauf aus se<strong>in</strong> darfst, den Glauben durch<br />

zw<strong>in</strong>gende GrÉnde zu beweisen.“<br />

2 derogare + Dat. : e<strong>in</strong>er Sache Abbruch tun, e<strong>in</strong>er Sache etw. wegnehmen, e<strong>in</strong>e Sache<br />

schwÇchen<br />

3 excedo 3, cessi, cessus : (hier) Éber etw. h<strong>in</strong>aus gehen, etw. Éberschreiten, Éber etw. stehen<br />

4 relevo 1 : enthÉllen, entblÜãen; medial: sich offenbaren, pass. (ge)offenbart werden<br />

5 necessaria ratione : mit zw<strong>in</strong>gender BegrÉndung<br />

6 impugnari valet : widerlegt werden kann<br />

7 rationabiliter : durch E<strong>in</strong>satz der Vernunft, VernunftgrÉnde, vernÉnftige Argumentation<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 9 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Welche zwei gr<strong>und</strong>sätzlichen Methoden der Argumentation unterscheidet Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> <strong>und</strong> welche empfiehlt er <strong>in</strong> Glaubensfragen e<strong>in</strong>zusetzen?<br />

b. Mache Dir mit Anderen Gedanken darüber, welche Folgen es hätte, die andere<br />

Argumentationsweise <strong>in</strong> Glaubensfragen <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> zu stellen!<br />

c. Wie argumentierst Du selbst <strong>in</strong> Diskussionen: Überlege, welche Argumente Du e<strong>in</strong>setzt<br />

<strong>und</strong> welches Ziel Du mit De<strong>in</strong>en Argumenten verfolgst!<br />

F<strong>in</strong>den sich darunter beide Argumentationsstrategien?<br />

Bevorzugst Du die e<strong>in</strong>e oder die andere?<br />

Bist Du Dir dessen bewusst, worauf De<strong>in</strong>e Argumente abzielen?<br />

Würde es De<strong>in</strong>e Durchsetzungskraft stärken oder schwächen, wenn Du Dich der<br />

anderen Argumentationsweise bedienen würdest?<br />

d. S<strong>in</strong>d diese Argumentationsl<strong>in</strong>ien für alle Diskussionen zutreffend oder gibt es noch<br />

andere Absichten sowie Methoden, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Diskussion Platz f<strong>in</strong>den?<br />

e. Diskutiert im Forum auf der Lernplattform Moodle darüber, welche Strategie / Methode<br />

für welche Diskussion geeignet ist!<br />

TEXT 4:<br />

Die Streitfrage um die Dreigestalt Gottes De rat. Fidei, cap. 8-16<br />

4.1 Capitulum tertium: Qualiter <strong>in</strong> div<strong>in</strong>is 1 generatio 2 sit accipienda 3<br />

[8] Primum igitur considerandum est derisibilem 4 esse irrisionem, qua nos irrident,<br />

quod ponimus 5 Christum filium Dei, quasi Deus uxorem habuerit. Cum enim s<strong>in</strong>t carnales, non<br />

possunt nisi ea quae sunt carnis et sangu<strong>in</strong>is cogitare 6 . Quilibet autem sapiens considerare potest,<br />

quod non est idem modus generationis <strong>in</strong> omnibus rebus, sed <strong>in</strong> unaquaque re <strong>in</strong>venitur generatio<br />

sec<strong>und</strong>um proprietatem suae naturae. In animalibus quidem quibusdam per maris et fem<strong>in</strong>ae<br />

commixtionem; <strong>in</strong> plantis vero per pullulationem 7 seu germ<strong>in</strong>ationem 8 , atque <strong>in</strong> aliis aliter.<br />

Deus autem non est carnalis naturae, ut fem<strong>in</strong>am requirat, cui commisceatur ad prolis<br />

generationem, sed est spiritualis sive <strong>in</strong>tellectualis naturae, immo magis supra omnem<br />

<strong>in</strong>tellectum 9 . [9] Est igitur <strong>in</strong> eo generatio accipienda 3 sec<strong>und</strong>um , quod convenit<br />

<strong>in</strong>tellectuali naturae. Et quamvis <strong>in</strong>tellectus 9 noster ab <strong>in</strong>tellectu div<strong>in</strong>o deficiat 10 , non possumus<br />

tamen aliter loqui de <strong>in</strong>tellectu div<strong>in</strong>o nisi sec<strong>und</strong>um similitud<strong>in</strong>em eorum, quae <strong>in</strong> <strong>in</strong>tellectu<br />

nostro <strong>in</strong>venimus. Est autem <strong>in</strong>tellectus noster aliquando quidem <strong>in</strong> potentia <strong>in</strong>telligens,<br />

aliquando vero <strong>in</strong> actu. Quandocumque autem actu <strong>in</strong>telligit, quoddam <strong>in</strong>telligibile format, quod<br />

est quasi quaedam proles ipsius, <strong>und</strong>e et mentis conceptus 11 nom<strong>in</strong>atur.<br />

[12] Hoc autem sec<strong>und</strong>um humanae locutionis consuetud<strong>in</strong>em 12 filius nom<strong>in</strong>atur, quod procedit<br />

ab alio <strong>in</strong> similitud<strong>in</strong>em eius, subsistens 13 <strong>in</strong> eadem natura cum ipso. Sec<strong>und</strong>um igitur quod<br />

div<strong>in</strong>a verbis humanis nom<strong>in</strong>ari possunt 14 , verbum <strong>in</strong>tellectus 9 div<strong>in</strong>i Dei filium nom<strong>in</strong>amus.<br />

Deum vero, cuius est verbum, nom<strong>in</strong>amus patrem; et processum 15 verbi dicimus esse<br />

generationem filii immaterialem quidem, non autem carnalem, sicut carnales hom<strong>in</strong>es 16<br />

suspicantur.<br />

[13] Est autem et aliud, <strong>in</strong> quo excedit praedicta filii Dei generatio omnem generationem<br />

humanam 17 , sive materialem, per quam homo ex hom<strong>in</strong>e nascitur; sive <strong>in</strong>telligibilem, sec<strong>und</strong>um<br />

quam verbum concipitur <strong>in</strong> mente humana. In utraque enim illud, quod per generationem<br />

procedit, <strong>in</strong>venitur posterius tempore eo, a quo procedit. Pater enim non generat statim a<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 10 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

pr<strong>in</strong>cipio sui esse, sed oportet quod de imperfecto ad statum perfectum perveniat, <strong>in</strong> quo<br />

generare possit. Nec iterum statim, ut generationi operam dat, filius nascitur, quia carnalis<br />

generatio <strong>in</strong> quadam mutatione et successione 18 consistit.<br />

[14] Sic igitur verbum hom<strong>in</strong>is posterius <strong>in</strong> tempore <strong>in</strong>venitur quam homo, et quandoque des<strong>in</strong>it<br />

esse antequam homo. Impossibile est autem ista Deo convenire, <strong>in</strong> quo neque imperfectio neque<br />

mutatio aliqua locum habet, neque etiam aliquis exitus de potentia ad actum 19 , cum ipse sit<br />

actus 20 purus et primus. Verbum igitur Dei coaeternum 21 est ipsi Deo.<br />

[15] Est autem et aliud, <strong>in</strong> quo verbum nostrum differt a verbo div<strong>in</strong>o. Intellectus 9 enim noster<br />

non simul <strong>in</strong>telligit omnia [...]; sed Deus omnia simul <strong>in</strong>telligit [...]: <strong>und</strong>e sequitur, quod <strong>in</strong> Deo<br />

sit unum verbum tantum.<br />

[16] Ulterius autem est alia consideranda differentia: quod verbum <strong>in</strong>tellectus nostri non<br />

adaequat <strong>in</strong>tellectus virtutem 22 , quia, cum aliquid mente concipimus, adhuc possumus alia multa<br />

concipere 23 : <strong>und</strong>e verbum <strong>in</strong>tellectus nostri et imperfectum est, et <strong>in</strong> eo potest compositio<br />

accidere, 24 dum ex multis perfectis verbis fit unum verbum 25 perfectius [...]. Sed verbum<br />

div<strong>in</strong>um adaequat virtutem 22 Dei, quia Deus per essentiam suam se ipsum <strong>in</strong>telligit et omnia alia:<br />

<strong>und</strong>e quanta est essentia eius, tantum est verbum, quod concipit per essentiam suam se et omnia<br />

<strong>in</strong>telligendo. Est ergo perfectum, et simplex, et aequale Deo: et hoc verbum Dei filium<br />

nom<strong>in</strong>amus ratione 26 iam dicta, quem 27 eiusdem naturae cum patre, et patri coaeternum,<br />

unigenitum, et perfectum confitemur 27 .<br />

Kommentar:<br />

1 div<strong>in</strong>a, orum : Theologie<br />

2 generatio, onis f. : Zeugung<br />

3 accipio 3, cepi, ceptus : auffassen, begreifen, verstehen, auslegen<br />

4 derisibilis, e : lÇcherlich, verhÜhnenswert<br />

5 ponere + dopp. Akk. : jem. zu etw. bestimmen, als etw. betrachten<br />

6 possunt … cogitare : sie kÜnnen sich nur D<strong>in</strong>ge vorstellen, die aus Fleisch <strong>und</strong> Blut s<strong>in</strong>d<br />

7 pullatio, onis f. : (Aus)treiben<br />

8 germ<strong>in</strong>atio, onis f. : Sprossen, Keimen<br />

9 <strong>in</strong>tellectus, us : Verstand, Geist<br />

10 deficio 3M, feci, fectus + Abl. separ.: „sich losmachen von etw.“ - hier im S<strong>in</strong>ne von<br />

ger<strong>in</strong>g se<strong>in</strong> im VerhÇltnis zu …, unterlegen se<strong>in</strong><br />

11 mentis conceptus : Geistesfrucht<br />

12 locutionis consuetudo : Sprachgebrauch<br />

13 subsisto 3, stiti : bestehen<br />

14 Sec<strong>und</strong>um … possunt : „Insofern man das GÜttliche mit menschlichen Worten bezeichnen kann“<br />

15 processus, us : das Hervorgehen<br />

16 carnales hom<strong>in</strong>es : Menschen, die dem Fleisch verhaftet s<strong>in</strong>d (deren Denken sich auf das<br />

KÜrperliche = Materielle beschrÇnkt)<br />

17 Est … humanam : „Es gibt noch e<strong>in</strong>en zweiten Aspekt, <strong>in</strong> dem die erwÇhnte Zeugung des<br />

Gottessohnes Éber jede menschliche Zeugung erhaben ist“<br />

18 successio, onis f. : Entwicklung<br />

19 aliquis exitus de potentia ad actum : irgende<strong>in</strong> Åbergang von der MÜglichkeit zur Wirklichkeit<br />

20 actus, us : Wirklichkeit<br />

21 coaeternus 3 + Dat. : gleich ewig wie<br />

22 virtus, tutis f. : Kraft<br />

23 quia … concipere : „weil wir, wenn wir mit unserem Geist e<strong>in</strong>en Begriff bilden, darÉber h<strong>in</strong>aus noch<br />

viele weitere (Begriffe) bilden kÜnnen“<br />

24 et <strong>in</strong> eo potest compositio accidere : <strong>und</strong> man kann dabei mehrere WÜrter zusammensetzen<br />

25 verbum : hier „Aussage“<br />

26 ratio, onis f. : BegrÉndung<br />

27 quem … confitemur : verschr. AcI „der, wie wir bekennen“ oder: „(<strong>und</strong>) wir bekennen,<br />

dass er …“<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 11 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

4.2 Capitulum quartum : De rat. Fidei, cap. 17-24<br />

Qualiter <strong>in</strong> div<strong>in</strong>is sit accipienda * processio Spiritus Sancti a patre et filio<br />

[17] Est autem considerandum ulterius, quod omnem cognitionem sequitur aliqua appetitiva 1<br />

operatio 2 . Inter omnes autem appetitivas operationes <strong>in</strong>venitur amor esse pr<strong>in</strong>cipium 3 : quo<br />

sublato, neque gaudium erit, si adipiscatur aliquis, quod non amat, neque tristitia, si impediatur<br />

ab eo, 4 quod non amat; si amor tollatur, et per consequens tolluntur omnes aliae appetitivae<br />

operationes, quae quodam modo ad tristitiam et gaudium referuntur. Cum igitur <strong>in</strong> Deo sit<br />

perfectissima cognitio, oportet etiam <strong>in</strong> eo ponere perfectum amorem: <strong>in</strong> quo quidam processus 5<br />

per appetitivam operationem exprimitur, sicut et <strong>in</strong> verbo per operationem <strong>in</strong>tellectus.<br />

[18] [...] Ea vero, quae habent occultum pr<strong>in</strong>cipium sui motus, spiritus nomen accipiunt: sic enim<br />

venti spiritus dicuntur, quia eorum afflationis pr<strong>in</strong>cipium non apparet. [...]: <strong>und</strong>e convenienter,<br />

sec<strong>und</strong>um quod div<strong>in</strong>a humanis verbis significari possunt, 6 ipse div<strong>in</strong>us amor procedens spiritus<br />

nomen accepit. [19] [...] In Deo autem amor materialis locum non habet. Convenienter igitur<br />

amorem ipsius non solum spiritum, sed Spiritum Sanctum nom<strong>in</strong>amus, ut per hoc quod dicitur<br />

sanctus, eius puritas exprimatur.<br />

[20] Manifestum est autem quod nihil amare possumus <strong>in</strong>telligibili et sancto amore nisi quod<br />

actu 7 per <strong>in</strong>tellectum concipimus. Conceptio 8 autem <strong>in</strong>tellectus 8 est verbum: <strong>und</strong>e necesse est,<br />

quod amor a verbo oriatur. Verbum autem Dei dicimus esse filium, ex quo patet Spiritum<br />

Sanctum esse a filio.<br />

[21] Sicut autem div<strong>in</strong>um <strong>in</strong>telligere 9 est eius esse 9 , ita etiam et amare 9 Dei est esse 9 ipsius: et<br />

sicut Deus semper actu 7 <strong>in</strong>telligit et omnia <strong>in</strong>telligendo se ipsum <strong>in</strong>telligit, ita etiam semper actu 7<br />

amat et omnia amat suam bonitatem amando. Sicut igitur Dei filius, qui est verbum Dei, est<br />

subsistens 10 <strong>in</strong> div<strong>in</strong>a natura, coaeternus 11 patri, perfectus et unicus; ita etiam haec omnia de<br />

Spiritu Sancto confiteri oportet.<br />

[22] Ex his autem colligere 12 possumus, quod - cum omne, quod subsistit 13 <strong>in</strong> natura <strong>in</strong>telligente,<br />

apud nos persona dicatur, apud Graecos autem hypostasis 14 - necesse est dicere, quod verbum<br />

Dei, quod Dei filium nom<strong>in</strong>amus, sit quaedam hypostasis 14 seu persona; et idem de Spiritu<br />

Sancto dici oportet. Nulli autem est dubium, qu<strong>in</strong> Deus, a quo verbum et amor procedit, sit res<br />

subsistens 15 , ut etiam possit dici hypostasis vel persona. Et per hunc modum convenienter<br />

ponimus <strong>in</strong> div<strong>in</strong>is tres personas, scilicet personam patris, personam filii, personam Spiritus<br />

Sancti.<br />

[23] Has autem tres hypostases vel personas non dicimus esse per essentiam diversas: quia, sicut<br />

iam supra dictum est, sicut <strong>in</strong>telligere 9 et amare 9 Dei est eius esse 9 , ita verbum et amor eius sunt<br />

ipsa Dei essentia. Quidquid autem de Deo absolute dicitur, non est aliud quam Dei essentia. Non<br />

enim est Deus vel magnus vel potens vel bonus accidentaliter 16 , sed per essentiam suam[...].Et<br />

quia processionem 17 verbi generationem 18 nom<strong>in</strong>amus, ex generatione 18 autem proveniunt<br />

relationes 19 paternitatis 20 et filiationis 21 ; personam Filii a Patris persona dist<strong>in</strong>gui dicimus<br />

solummodo paternitate 19 et filiatione 20 : omnia alia communiter et <strong>in</strong>differenter de utroque<br />

praedicantes. Sicut enim dicimus Patrem verum Deum, omnipotentem, aeternum, et quaecumque<br />

similiter dicuntur, sic et Filium: et eadem ratio est de Spiritu Sancto.<br />

[24] Quia igitur Pater et Filius et Spiritus Sanctus non dist<strong>in</strong>guuntur <strong>in</strong> natura div<strong>in</strong>itatis, sed<br />

relationibus solis, convenienter tres personas non dicimus tres deos, sed unum verum Deum et<br />

perfectum confitemur. In hom<strong>in</strong>ibus autem ideo tres personae tres hom<strong>in</strong>es dicuntur et non unus<br />

homo, quia natura humanitatis, quae communis est tribus differenter convenit eis sec<strong>und</strong>um<br />

materialem divisionem, quae omn<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Deo locum non habet. Unde cum <strong>in</strong> tribus hom<strong>in</strong>ibus<br />

s<strong>in</strong>t tres humanitates 22 numero differentes, sola ratio 23 humanitatis 22 <strong>in</strong> eis communis <strong>in</strong>venitur.<br />

In tribus autem personis div<strong>in</strong>is non tres div<strong>in</strong>itates 24 numero differentes, sed unam simplicem<br />

deitatem necesse est esse, cum non sit alia essentia verbi et amoris <strong>in</strong> Deo ab essentia Dei; et sic<br />

non tres deos, sed unum Deum confitemur, propter unam et simplicem deitatem <strong>in</strong> tribus<br />

personis.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 12 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Kommentar:<br />

* Vergleiche Åberschrift zu Kap.3<br />

1 appetivus 3 : strebend, auf etwas gerichtet se<strong>in</strong><br />

2 operatio, onis f. : TÇtigkeit<br />

3 pr<strong>in</strong>cipium, i : Urgr<strong>und</strong><br />

4 si impediatur ab eo : „wenn er an etwas geh<strong>in</strong>dert wird“<br />

5 processus, us : Hervorgehen, (sichtbare Aus)Wirkung<br />

6 sec<strong>und</strong>um … possunt : „sofern man das GÜttliche Éberhaupt mit menschlichen Worten<br />

bezeichnen kann“<br />

7 actu : <strong>in</strong> der Wirklichkeit, tatsÇchlich<br />

8 conceptio <strong>in</strong>tellectus : das Erfassen des Verstandes, das verstandesmÇãige Erfassen<br />

9 <strong>in</strong>telligere, esse : die Inf<strong>in</strong>itive s<strong>in</strong>d als Substantiva zu Ébersetzen (das Erkennen, das Se<strong>in</strong>)<br />

10 subsistens: bestehend<br />

ger<strong>in</strong>g se<strong>in</strong> im VerhÇltnis zu …, unterlegen se<strong>in</strong><br />

11 coaeternus + Dat. : <strong>in</strong> Ewigkeit gleich …<br />

12 colligo 3, legi, lectus : (er)schlieãen, folgern<br />

13 subsisto 3, stiti : bestehen<br />

14 hypostasis : Hypostase, dt. Substanz (philos. Fachterm<strong>in</strong>us)<br />

15 res subsistens : Substanz<br />

16 accidentaliter : zufÇllig (nicht notwendigerweise seiend)<br />

17 processio, onis f. : das Hervorgehen<br />

18 generatio, onis f. : Zeugung<br />

19 ErgÇnze relationes : Im Deutschen muss das Substantiv zweimal (als Subjekt <strong>und</strong> als um die<br />

Genitivattribute erweitertes Gleichsetzungsglied) gebraucht werden.<br />

20 paternitas, atis f. : Vaterschaft<br />

21 filiatio, onis f.. : Sohnschaft<br />

22 humanitas, tatis f. : menschliche Wesenheit<br />

23 ratio, onis f. : Begriff<br />

24 div<strong>in</strong>itas, tatis f. : gÜttliche Wesenheit<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. In welcher H<strong>in</strong>sicht unterscheiden sich Sprachgebrauch <strong>und</strong> Denkweise, wenn<br />

Muslime (hier: Sarazenen) <strong>und</strong> Christen vom Sohn Gottes sprechen?<br />

b. Welche Arten der Zeugung unterscheidet Thomas von Aqu<strong>in</strong>?<br />

KÜnnen diese, gemessen am modernen Stand der Naturwissenschaften, als<br />

richtig anerkannt werden?<br />

Ist die beschriebene Zeugung des Gottessohnes mit den anderen Arten der<br />

Zeugung vergleichbar? Kann sie ebenfalls <strong>in</strong> naturwissenschaftlicher Sprache<br />

def<strong>in</strong>iert werden?<br />

Wor<strong>in</strong> unterscheidet sich der kritische Ansatzpunkt der modernen<br />

Naturwissenschaften vom Standpunkt der muslimischen Kritik?<br />

c. Was bedeutet der Term<strong>in</strong>us Dei filius <strong>in</strong> der Theologie?<br />

d. In welchem VerhÇltnis zue<strong>in</strong>ander stehen die Begriffe:<br />

deus – pater – filius – <strong>in</strong>tellectus – verbum – actus – virtus et essentia Dei?<br />

Unterstreiche die genannten Begriffe im Text <strong>und</strong> erklÇre sie aus dem Kontext!<br />

Inwiefern werden diese Begriffe als Synonyme gebraucht?<br />

Welche unterschiedlichen Aspekte br<strong>in</strong>gen die Begriffe zum Ausdruck?<br />

Welche der genannten Begriffe s<strong>in</strong>d besonders irrefÉhrend <strong>in</strong> der Weise, dass<br />

sie zu e<strong>in</strong>er falschen Vorstellung fÉhren?<br />

Warum s<strong>in</strong>d diese Bezeichnungen dennoch nÜtig, um das Wesen Gottes<br />

sprachlich erfassen zu kÜnnen?<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 13 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Sortiere die Begriffe <strong>in</strong> abstrakte <strong>und</strong> konkrete: LÇsst sich Éber die beiden<br />

Gruppen e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Aussage h<strong>in</strong>sichtlich ihrer ZulÇnglichkeit als<br />

ErklÇrung fÉr den christlichen Gottesbegriff geben?<br />

e. Welche irrefÉhrenden Annahmen zÇhlt Thomas von Aqu<strong>in</strong> auf, die auf e<strong>in</strong>em<br />

sprachlichen MissverstÇndnis beruhen?<br />

f. Wozu bedarf es <strong>in</strong> theologischer Sicht Éberhaupt des Sohnes, um Gott zu verstehen?<br />

g. Warum ist darÉber h<strong>in</strong>aus der Heilige Geist notwendig? Welchen Aspekt der<br />

Wesenheit Gottes erklÇrt er?<br />

h. Wozu bedarf es schlieãlich der drei Begriffe Vater – Sohn – Heiliger Geist ?<br />

(Vgl. besonders çç 22f.)<br />

i. Wor<strong>in</strong> unterscheiden sich die drei Personen der Heiligen Dreifaltigkeit, was haben sie<br />

geme<strong>in</strong>sam?<br />

j. Åberlege, ob die sprachliche Metaphorik (Vater – Sohn – Heiliger Geist) im 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert noch erforderlich ist, um e<strong>in</strong>e Vorstellung von der Beziehung zwischen<br />

Gott <strong>und</strong> dem Menschen zu gew<strong>in</strong>nen! Versuche das VerhÇltnis zwischen Gott <strong>und</strong><br />

dem Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Dir eigenen Sprache zu charakterisieren!<br />

Stelle De<strong>in</strong>e Charakteristik <strong>in</strong> das Forum auf der Lernplattform Moodle !<br />

k. Beschaffe Dir aus dem Internet die Enzyklika DEUS CARITAS EST von Papst Benedikt XVI<br />

<strong>und</strong> forsche nach BezÉgen zur Heiligen Dreifaltigkeit: Erkennst Du <strong>in</strong> der pÇpstlichen<br />

Enzyklika <strong>in</strong>haltliche Åbere<strong>in</strong>stimmungen mit der Deutung des mittelalterlichen<br />

Gelehrten?<br />

TEXT 5:<br />

5.1 Warum Gottes Sohn Mensch geworden ist? De rat. Fidei, cap. 25-34<br />

Capitulum qu<strong>in</strong>tum: Quae fuit causa <strong>in</strong>carnationis filii Dei<br />

[25] Ex simili autem mentis caecitate Christianam fidem irrident, quia confitetur Christum Dei<br />

filium mortuum esse, tanti mysterii prof<strong>und</strong>itatem non <strong>in</strong>telligentes. Et ne mors filii Dei perverse<br />

<strong>in</strong>telligatur, prius aliquid de filii Dei <strong>in</strong>carnatione dici oportet. Non enim dicimus filium Dei<br />

morti subiectum fuisse sec<strong>und</strong>um naturam div<strong>in</strong>am, <strong>in</strong> qua aequalis est patri, quae est fontalis<br />

omnium vita 1 , sed sec<strong>und</strong>um nostram naturam, quam assumpsit <strong>in</strong> unitatem personae.<br />

[27] [...] Inter creaturas autem a Deo conditas per verbum suum, gradum praecipuum tenet<br />

creatura rationalis, <strong>in</strong> tantum quod 2 omnes aliae creaturae ei subserviant [...]; et hoc<br />

rationabiliter, quia sola rationalis creatura dom<strong>in</strong>ium habet sui actus per arbitrii libertatem 3 ,<br />

ceterae vero creaturae non ex libero iudicio agunt, sed quadam vi naturae moventur ad agendum.<br />

Ubique autem quod est liberum, praeem<strong>in</strong>et ei, quod est servum, et servi ad liberorum famulatum<br />

ord<strong>in</strong>antur, et a liberis gubernantur. Lapsus igitur rationalis creaturae sec<strong>und</strong>um veram<br />

aestimationem magis aestimandus est quam cuiuscumque irrationalis creaturae defectus 4 . Nec est<br />

dubium, qu<strong>in</strong> apud Dei iudicium 5 res sec<strong>und</strong>um veram aestimationem iudicentur.<br />

[28] [...] Defectum igitur peccati, qui nihil est aliud quam perversitas voluntatis, praecipue Deo<br />

convenit removere; et per verbum suum, quo universam condidit creaturam.<br />

[29] [...] Hom<strong>in</strong>es autem sec<strong>und</strong>um conditionem suae naturae habent mutabilem voluntatem, ut<br />

non solum diversa poss<strong>in</strong>t eligere vel bona vel mala, sed etiam postquam unum eleger<strong>in</strong>t,<br />

possunt ab illo resipiscere, et ad aliud converti: et haec mutabilitas voluntatis <strong>in</strong> hom<strong>in</strong>e manet,<br />

quandiu corpori varietati subiecto unitur. Cum autem anima a corpore huius modi fuerit separata,<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 14 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

eandem immutabilitatem voluntatis habebit quam Angelus naturaliter habet: <strong>und</strong>e et post mortem<br />

anima humana impoenitibilis est, nec potest de bono ad malum converti, nec de malo ad bonum.<br />

Sic igitur ad Dei bonitatem pert<strong>in</strong>uit ut per filium suum naturam humanam collapsam 6 repararet.<br />

[30] [...] Ord<strong>in</strong>atus autem amor est, ut Deum super omnia diligamus quasi summum bonum, et ut<br />

<strong>in</strong> ipsum referantur omnia, quae amamus, sicut <strong>in</strong> ultimum f<strong>in</strong>em, et ut etiam <strong>in</strong> ceteris amandis<br />

debitus ordo servetur, ut scilicet spiritualia corporalibus praeferamus.<br />

[31] Ad provocandum autem nostrum amorem <strong>in</strong> Deum nihil magis valere potuit quam quod<br />

verbum Dei, per quod omnia facta fuerant, ad reparationem nostrae naturae ipsam assumeret, ut<br />

idem esset Deus et homo. Primo quidem, quia ex hoc maxime demonstratur, quantum Deus<br />

diligat hom<strong>in</strong>em, quod pro eius salute homo fieri voluit; nec est aliquid, quod ad amandum magis<br />

provocet quam quod aliquis se cognoscat amari.<br />

[33] Per hoc etiam, quod Deus homo factus est, spes datur hom<strong>in</strong>i, ut et homo pervenire possit ad<br />

perfectae beatitud<strong>in</strong>is participationem, quam solus Deus naturaliter habet. Homo enim suam<br />

<strong>in</strong>firmitatem cognoscens, si ei promitteretur, quod ad beatitud<strong>in</strong>em perveniret, [...] vix hoc<br />

sperare posset, nisi ex alia parte sibi dignitas humanae naturae ostenderetur, quam tanti aestimat<br />

Deus, ut pro eius salute homo fieri voluit. Et sic per hoc quod Deus factus est homo, spem nobis<br />

dedit, ut homo etiam posset pervenire ad hoc, quod uniretur Deo per beatam fruitionem.<br />

Kommentar:<br />

1 fontalis omnium vita : die lebensspendende Quelle allen Se<strong>in</strong>s<br />

2 <strong>in</strong> tantum quod : <strong>in</strong>sofern<br />

3 actus arbitrii libertas: Willensfreiheit<br />

4 defectus, us : Fehlerhaftigkeit, Unzulänglichkeit<br />

5 Dei iudicium : Jüngstes Gericht<br />

6 collapsus 3 : gefallen<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Inwiefern ist der Gottessohn sterblich <strong>und</strong> warum kehren Nicht-Christen diesen<br />

Glaubensgr<strong>und</strong>satz <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Argument gegen den christlichen Glauben?<br />

b. Was zeichnet den Menschen vor allen anderen Lebewesen aus? Inwiefern wird dieses<br />

Geschenk Gottes zur Verpflichtung für den Menschen?<br />

c. Wie kann der Mensch mit christlichem Glauben zu höchster Glückseligkeit gelangen?<br />

d. Informiere Dich aus verschiedenen Quellen darüber, was das Glaubensziel der Muslime ist!<br />

e. Streben alle Menschen nach höchster Glückseligkeit? Wor<strong>in</strong> besteht sie?<br />

f. Diskutiere mit anderen über das christliche Lebensziel <strong>in</strong> der multikulturellen Gesellschaft:<br />

Welchen Stellenwert besitzt es heute? Gibt es Alternativen? Kann die unterschiedliche<br />

Orientierung von Menschen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gesellschaft zu Konflikten führen?<br />

Stellt das Ergebnis Eurer Diskussion <strong>in</strong> das 1. Forum auf der Lernplattform Moodle !<br />

5.2 Das Verhältnis zwischen Gott <strong>und</strong> Mensch De rat.Fidei, cap. 35-48<br />

Capitulum sextum :<br />

Qualiter <strong>in</strong>telligi debeat hoc quod dicitur: Deus factus est homo<br />

[35] Cum autem dicimus, Deum hom<strong>in</strong>em fieri, nemo existimet hoc sic accipiendum esse, ut<br />

Deus convertatur <strong>in</strong> hom<strong>in</strong>em, sicut aer fit ignis, cum <strong>in</strong> ignem convertitur. Immutabilis est enim<br />

Dei natura: corpora autem sunt, quae <strong>in</strong>vicem convertuntur. Spiritualis autem natura <strong>in</strong> naturam<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 15 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

corpoream non convertitur, sed ei potest aliqualiter uniri per efficaciam 1 suae virtutis, sicut<br />

anima corpori; et quamvis humana natura ex anima constet et corpore, anima autem non<br />

corporeae, sed spiritualis naturae sit. [...]<br />

[37] Est tamen <strong>in</strong> hoc aliqua differentia attendenda. Nam anima quamvis sit perfectior corpore,<br />

non tamen totam perfectionem <strong>in</strong> se possidet humanae naturae: <strong>und</strong>e corpus sic ei advenit ut ex<br />

anima et corpore compleatur una humana natura, cuius quaedam partes sunt anima et corpus. Sed<br />

Deus ita est <strong>in</strong> sua natura perfectus, ut plenitud<strong>in</strong>i naturae ipsius nihil adiici possit: <strong>und</strong>e natura<br />

div<strong>in</strong>a non potest sic uniri alteri ut ex utraque una constituatur natura communis: sic enim div<strong>in</strong>a<br />

natura pars esset illius naturae communis, quod repugnat perfectioni div<strong>in</strong>ae naturae: nam omnis<br />

pars imperfecta est. Deus igitur Dei verbum sic humanam naturam assumpsit, quae ex anima<br />

constat et corpore, ut tamen nec altera natura transiret <strong>in</strong> alteram, nec ex duabus conflaretur una<br />

natura, sed post unionem duae naturae dist<strong>in</strong>ctae remaneant quantum ad proprietates naturarum.<br />

[41] Patet igitur sec<strong>und</strong>um praemissa, quod filius Dei et div<strong>in</strong>am naturam habet, et humanam:<br />

unam ex aeterno, aliam ex tempore per assumptionem. Cont<strong>in</strong>git autem ab eodem plura haberi<br />

sec<strong>und</strong>um diversos modos, <strong>in</strong> quibus tamen omnibus semper, quod est pr<strong>in</strong>cipalius, habere<br />

dicitur: quod autem m<strong>in</strong>us pr<strong>in</strong>cipale, haberi. Habet enim totum multas partes, ut homo manus et<br />

pedes; non autem dicimus e converso 2 , quod manus vel pedes habeant hom<strong>in</strong>em. Habet etiam<br />

unum subiectum multa accidentia, sicut pomum colorem et odorem, et non e converso. Habet<br />

etiam homo aliqua exteriora sicut possessiones vel vestimenta, et non e converso.<br />

[48] In his ergo tam diversis de Christo praedicandis dist<strong>in</strong>ctio <strong>in</strong>venitur, si consideretur<br />

sec<strong>und</strong>um quid de Christo ista dicuntur 3 : quaedam enim dicuntur sec<strong>und</strong>um humanam naturam,<br />

quaedam sec<strong>und</strong>um div<strong>in</strong>am. Si autem consideretur, de quo dicuntur, <strong>in</strong>dist<strong>in</strong>cte proferuntur,<br />

quia eadem est hypostasis 4 de qua et div<strong>in</strong>a et humana dicuntur: ut si dicam, quod idem est<br />

homo, qui videt et qui audit, sed non sec<strong>und</strong>um idem: videt enim sec<strong>und</strong>um oculos, sed audit<br />

sec<strong>und</strong>um aures. Idem etiam est pomum, quod videtur et odoratur; sed hoc quidem colore, illud<br />

autem odore. Ratione cuius 5 dicere possumus, quod videns audit, et audiens videt, et visum<br />

odoratur, et odoratum videtur. Et similiter dicere possumus, quod Deus nascitur ex virg<strong>in</strong>e<br />

propter humanam naturam, et homo ille est aeternus, propter div<strong>in</strong>am naturam.<br />

Kommentar:<br />

1 efficacia, ae: Wirkkraft<br />

2 e converso : im Gegenteil<br />

3 si … dicuntur: <strong>in</strong> welcher H<strong>in</strong>sicht etwas Éber Christus ausgesagt wird<br />

4 hypostasis : Hypostase, Substanz<br />

5 ratione cuius : mit RÉcksicht darauf<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Schlage den Begriff „Dualismus“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em SprachwÜrterbuch, e<strong>in</strong>em enzyklopÇdischen<br />

Lexikon <strong>und</strong> im Internet nach: Zu welchem Ergebnis gelangst Du?<br />

Vergleiche die Rechercheergebnisse! Welchen Wert haben sie fÉr Dich?<br />

b. Welche der gef<strong>und</strong>enen Deutungen erklÇrt am besten den Leib-Seele-Dualismus?<br />

c. Auf welche Weise versucht Thomas von Aqu<strong>in</strong> den Leib-Seele-Dualismus zu<br />

erklÇren?<br />

d. Die Trennung von Leib <strong>und</strong> Seele f<strong>in</strong>det sich bereits bei Aristoteles. Auch Platons<br />

Ideenlehre liegt das Pr<strong>in</strong>zip des Dualismus zugr<strong>und</strong>e: Versuche Dir e<strong>in</strong> Bild davon zu<br />

machen, welche Philosophen e<strong>in</strong>en Dualismus vertraten <strong>und</strong> was sie darunter<br />

verstanden! Schreibt das Ergebnis <strong>in</strong> das 2. Forum auf der Lernplattform Moodle!<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 16 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

TEXT 6:<br />

Passion <strong>und</strong> Tod Christi De rat.Fidei, cap. 49-63<br />

Capitulum septimum:<br />

Qualiter sit accipiendum quod dicitur: verbum Dei esse passum et mortuum et<br />

quod ex hoc nullum <strong>in</strong>conveniens 1 sequitur<br />

[50] Si quis autem obiiciat 2 , quod Deus, cum sit omnipotens, alio modo poterat humanum genus<br />

salvare quam per unigeniti filii sui mortem, considerare debet, qui hoc obiicit, quod <strong>in</strong> factis Dei<br />

considerandum est, quid convenienter fieri potuit 3 , etiam si alio modo id Deus facere potuisset,<br />

alioqu<strong>in</strong> omnia eius opera similis ratio irritabit. Si enim consideretur, quare Deus fecerit caelum<br />

tantae quantitatis, et quare condiderit <strong>in</strong> tali numero stellas, sapienter cogitanti occurret 4 , quod<br />

sic convenienter fieri potuit 5 , licet Deus aliter facere potuisset. Dico autem hoc sec<strong>und</strong>um quod<br />

credimus totam naturae dispositionem et humanos actus div<strong>in</strong>ae providentiae esse subiectam.<br />

Hac enim credulitate sublata, omnis div<strong>in</strong>itatis cultus excluditur. Suscepimus autem praesentem<br />

disputationem ad eos, 6 qui se Dei cultores dicunt, sive s<strong>in</strong>t Christiani, sive Saraceni, sive Iudaei.<br />

Ad eos autem, qui omnia ex necessitate provenisse dicunt a Deo, operosius 7 a nobis alibi<br />

disputatum est.<br />

[52] Primo igitur considerandum occurrit 8 , quod cum Christus humanam naturam assumpserit ad<br />

lapsum hom<strong>in</strong>is reparandum, ut supra iam diximus, ea oportuit Christum pati et agere sec<strong>und</strong>um<br />

humanam naturam, per quae remedium adhiberi posset contra lapsum peccati. Peccatum autem<br />

hom<strong>in</strong>is consistit 9 praecipue <strong>in</strong> hoc, quod bonis corporalibus <strong>in</strong>haerendo, spiritualia bona<br />

praetermittit. Hoc igitur decuit 10 filium Dei <strong>in</strong> natura assumpta hom<strong>in</strong>ibus ostendere 10 per ea,<br />

quae fecit et passus est, ut hom<strong>in</strong>es temporalia bona vel mala pro nihilo ducerent 11 , ne ab eorum<br />

<strong>in</strong>ord<strong>in</strong>ato affectu 12 impediti, spiritualibus m<strong>in</strong>us dediti essent.<br />

[53] Unde Christus pauperes parentes elegit, et tamen virtute perfectos, ne quis de sola carnis<br />

nobilitate et parentum divitiis glorietur. Pauperem vitam gessit, ut divitias doceret contemnere.<br />

Privatus absque dignitate vixit, ut hom<strong>in</strong>es ab <strong>in</strong>ord<strong>in</strong>ato 13 appetitu honorum revocaret. Laborem,<br />

famem, sitim et corporis flagella sust<strong>in</strong>uit, ne hom<strong>in</strong>es voluptatibus et deliciis <strong>in</strong>tenti, propter<br />

asperitates huius vitae retraherentur a bono virtutis. Ad extremum 14 sust<strong>in</strong>uit mortem, ne propter<br />

mortis timorem aliquis veritatem desereret. Et ne aliquis pro veritate vituperabilem mortem<br />

formidaret, exprobratissimum 15 genus mortis elegit, scilicet mortis crucis. Sic ergo conveniens<br />

fuit filium Dei hom<strong>in</strong>em factum mortem pati, ut sui exemplo hom<strong>in</strong>es provocaret ad virtutem, ut<br />

sic verum sit, quod Petrus dicit: Christus passus est pro nobis, vobis rel<strong>in</strong>quens exemplum, ut<br />

sequam<strong>in</strong>i vestigia eius. [...]<br />

[58] Hoc autem erat necessarium reparationi 16 humanae, ut hom<strong>in</strong>es discerent non de se ipsis<br />

superbe confidere, sed de Deo. Hoc enim ad perfectionem humanae iustitiae requiritur 17 ut homo<br />

totaliter se Deo subiiciat, a quo etiam omnia bona consequi speret adipiscenda, et adepta<br />

recognoscat. Ad bona igitur praesentia huius m<strong>und</strong>i contemnenda, et adversa quaelibet toleranda<br />

usque ad mortem, nullo modo melius eius discipuli potuerunt <strong>in</strong>stitui quam per passionem et<br />

mortem Christi: <strong>und</strong>e et ipse eis dicebat <strong>in</strong> Johanne: si me persecuti sunt, et vos persequentur. 18<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 17 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Kommentar:<br />

1 <strong>in</strong>conveniens (n.) : Widerspruch<br />

2 obicio 3M, ieci, iectus: e<strong>in</strong>wenden<br />

3 quid … potuit : „welches Handeln (zu Gott) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em angemessenen VerhÇltnis steht“<br />

4 occurro 3, curri, cursus : vor Augen treten, sich zeigen, klar werden<br />

5 Vergleiche Anm.3.<br />

6 suscepimus … eos : „wir nehmen es eben gerade auf uns, mit jenen die gegenwÇrtige<br />

Diskussion zu fÉhren“<br />

7 operosius (Komp.) : ausfÉhrlicher<br />

8 primo … occurrit : „zuerst muss man also bedenken“<br />

9 consisto 3, stiti : <strong>in</strong> etw. bestehen, sich auf etw. grÉnden, betreffen<br />

10 decuit ostendere: „er musste zeigen (beweisen)“<br />

11 ducere + dopp. Akk. oder O4 … pro + Abl.: jem./etw. fÉr etw. halten<br />

12 <strong>in</strong>ord<strong>in</strong>ato affectu : von e<strong>in</strong>er falschen (verkehrten) Begierde<br />

13 Vergleiche Anm.12.<br />

14 ad extremum : am Ende, zuletzt<br />

15 exprobratissimus 3 : schmachvollster, schÇndlichster, mit der grÜãten Schande verb<strong>und</strong>en<br />

16 reparatio, onis f. : ErlÜsung<br />

17 requiritur : „es ist nÜtig“, „es ist erforderlich“<br />

18 Io 15,20.<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Hat sich die Åberzeugung, dass das Leiden Christi im Widerspruch zur Allmacht Gottes<br />

stehe, durch die AufklÇrung <strong>in</strong> der Neuzeit vertieft oder hat sie gegenÉber dem<br />

Mittelalter an Kraft verloren?<br />

b. Wie argumentiert Thomas von Aqu<strong>in</strong>: Charakterisiere se<strong>in</strong>e Entgegnung <strong>in</strong><br />

methodischer <strong>und</strong> <strong>in</strong>haltlicher Sicht! Ist se<strong>in</strong>e ErklÇrung im aufgeklÇrten Zeitalter noch<br />

vertretbar?<br />

c. Thomas von Aqu<strong>in</strong> bezeichnet (ç 52) die Zweifler als <strong>in</strong>ord<strong>in</strong>ato affectu impediti:<br />

Was ist die wÜrtliche Bedeutung von <strong>in</strong>ord<strong>in</strong>atus affectu impediti ?<br />

Ist die Behauptung gerechtfertigt, dass diese Aussage auch fÉr viele Menschen <strong>in</strong><br />

unserer gegenwÇrtigen Gesellschaft zutreffend ist?<br />

Welche OrientierungsmÜglichkeiten gibt es <strong>in</strong> der heutigen Lebenswelt?<br />

d. Warum musste Christus dem Text nach am Kreuze sterben?<br />

e. Steht der Kreuzestod Christi <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em VerhÇltnis zu se<strong>in</strong>em Leben?<br />

f. Recherchiere im virtuellen Netz nach Lebensberichten anderer Religionsstifter, wÇhle<br />

drei aus <strong>und</strong> unterziehe sie e<strong>in</strong>er vergleichenden Analyse, <strong>in</strong> dem Du Geburt,<br />

LebensumstÇnde <strong>und</strong> Tod auflistest bzw. e<strong>in</strong>ander gegenÉber stellst! Fasse das<br />

Ergebnis De<strong>in</strong>er Analyse <strong>in</strong> wenigen SÇtzen zusammen!<br />

g. Stelle e<strong>in</strong>e der von Dir <strong>in</strong> Aufgabe f. recherchierten Biographien <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Essays<br />

(d.h. der Text sollte von Dir selbst stammen <strong>und</strong> nicht aus dem Internet kopiert oder<br />

aus e<strong>in</strong>em Buch abgeschrieben se<strong>in</strong>) <strong>in</strong>s Forum auf die Lernplattform Moodle <strong>und</strong><br />

vergiss nicht die Quellen anzugeben, aus welchen Du De<strong>in</strong> Wissen geschÜpft hast!<br />

h. Welche zentrale Frage menschlicher Existenz wird durch die Passion Christi <strong>und</strong> das<br />

Bibelzitat aus dem Johannes-Evangelium beantwortet? Ist e<strong>in</strong>e andere Antwort als<br />

die christliche fÉr Dich vorstellbar?<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 18 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

TEXT 7:<br />

Das Mysterium der Eucharistie De rat.Fidei, cap. 64-68<br />

Capitulum octavum : Qualiter sit accipiendum, quod fideles sumunt corpus<br />

Christi et quod ex hoc nullum <strong>in</strong>conveniens sequitur 1<br />

[64] Quia ergo per passionem et mortem Christi hom<strong>in</strong>es a peccato purgantur, ut huius tam<br />

immensi beneficii <strong>in</strong> nobis iugis maneret memoria, filius Dei passione approp<strong>in</strong>quante, suae<br />

passionis et mortis memoriam fidelibus suis reliquit iugiter recolendam, suum corpus et<br />

sangu<strong>in</strong>em tradens discipulis sub speciebus panis et v<strong>in</strong>i, quod usque nunc <strong>in</strong> memoriam illius<br />

venerandae passionis ubique terrarum 2 Christi frequentat Ecclesia. Quam vane autem hoc<br />

sacramentum <strong>in</strong>fideles irrideant, quilibet etiam parum <strong>in</strong>structus <strong>in</strong> Christiana religione de facili<br />

potest attendere 3 .<br />

[65] Non enim dicimus, quod corpus Christi dilaceretur <strong>in</strong> partes 4 , et sic divisum a fidelibus sub<br />

sacramento sumatur, ut oporteat quandoque illud deficere, etiamsi magnitud<strong>in</strong>em montis haberet,<br />

ut dicunt 5 ; sed per conversionem panis <strong>in</strong> corpus Christi dicimus corpus Christi <strong>in</strong> sacramento<br />

Ecclesiae esse et a fidelibus manducari. Ex quo ergo corpus Christi non dividitur, sed <strong>in</strong> ipsum<br />

aliquid convertitur, nulla necessitas est, ut per manducationem 6 fidelium quantitati eius aliquid<br />

subtrahatur.<br />

[66] Si quis autem <strong>in</strong>fidelis dicere velit hanc conversionem impossibilem esse, consideret, si Dei<br />

omnipotentiam confitetur, quod, cum per virtutem 7 naturae possit res una converti <strong>in</strong> aliam<br />

quantum 8 ad formam, sicut quod aer <strong>in</strong> ignem convertitur, dum materia, quae prius erat,<br />

subiecta 9 formae aeris, postmodum formae ignis subicitur 9 ; multo magis virtus 7 omnipotentis<br />

Dei, quae totam rei substantiam <strong>in</strong> esse producit 10 , non solum transmutando sec<strong>und</strong>um formam,<br />

ut facit natura, poterit hoc totum <strong>in</strong> illud totum convertere, ut sic panis <strong>in</strong> corpus Christi<br />

convertatur et v<strong>in</strong>um <strong>in</strong> sangu<strong>in</strong>em.<br />

[67] Si autem huic conversioni repugnare aliquis velit per id, quod sensu apparet, 11 nam nihil<br />

sec<strong>und</strong>um sensum immutatur <strong>in</strong> sacramento altaris, consideret, qui eiusmodi est, 12 sic nobis<br />

omnia div<strong>in</strong>a proponi, ut ad nos sub tegumento visibilium rerum deveniant 13 . Ut igitur corpus<br />

Christi et sanguis spiritualis et div<strong>in</strong>a refectio haberetur, et omn<strong>in</strong>o quasi cibus et potus<br />

communis, non sub propria 14 carnis et sangu<strong>in</strong>is nobis traduntur specie 14 sed sub specie panis et<br />

v<strong>in</strong>i; ne esset etiam horribile 15 humanam carnem comedere et sangu<strong>in</strong>em humanum potare.<br />

[68] Nec tamen hoc sic fieri dicimus, quasi species illae, quae sensibus apparent <strong>in</strong> sacramento<br />

altaris, s<strong>in</strong>t solum <strong>in</strong> phantasia videntium, sicut solet esse <strong>in</strong> praestigiis artium magicarum, quia<br />

veritatis sacramentum nulla fictio decet; sed Deus, qui est substantiae et accidentis creator 16 ,<br />

potest accidentia sensibilia conservare <strong>in</strong> esse, 17 subiectis 18 <strong>in</strong> aliud transmutatis. Potest enim<br />

effectus sec<strong>und</strong>arum causarum per sui omnipotentiam absque causis sec<strong>und</strong>is et producere et <strong>in</strong><br />

esse servare. Si quis vero Dei omnipotentiam non confitetur, contra talem <strong>in</strong> praesenti opere<br />

disputationem non assumpsimus, sed contra Saracenos 19 , et alios, qui Dei omnipotentiam<br />

confitentur. Alia vero huius sacramenti mysteria non sunt hic magis discutienda, quia <strong>in</strong>fidelibus<br />

secreta fidei pandi non debent.<br />

Kommentar:<br />

1 quod ex hoc nullum <strong>in</strong>conveniens sequitur : „dass sich daraus ke<strong>in</strong> Widerspruch ergibt“<br />

2 ubique terrarum: „Éberall auf der Erde“, „Éberall <strong>in</strong> der Welt“<br />

3 quilibet de facili potest attendere : „jeder (Beliebige) kann leicht erkennen“<br />

4 dilaceretur <strong>in</strong> partes : aufgeteilt werden, <strong>in</strong> Teile zerlegt (nach <strong>und</strong> nach) verzehrt werden<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 19 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

5 dicunt : man sagt<br />

6 manducatio, onis f. : Substantiv zu manducare<br />

7 virtus : „Kraft“<br />

8 quantum ad … : „soweit es … betrifft“, „h<strong>in</strong>sichtlich …“<br />

9 subicio 3, ieci, iectus : pass. zugr<strong>und</strong>e liegen<br />

10 <strong>in</strong> esse producit: „<strong>in</strong>s Se<strong>in</strong> ruft“<br />

11 per id, quod sensu apparet: aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drÉcke<br />

12 qui eius modi est : „, der so denkt“<br />

13 ut … deveniant : „dass es im Kleid der sichtbaren D<strong>in</strong>ge zu uns herabkommt“, d.h. dass es uns<br />

nur <strong>in</strong> der Gestalt sichtbarer D<strong>in</strong>ge zugÇnglich ist<br />

14 sub propria specie : Hyperbaton („<strong>in</strong> ihrer eigentlichen Gestalt“)<br />

15 ne esset etiam horribile … : „denn es wÇre ja (geradezu) schrecklich …“<br />

16 substantiae et accidentis creator : „der SchÜpfer (aller) Substanz (Materie) <strong>und</strong> der<br />

Eigenschaften, die jener zukommen“<br />

17 potest accidentia sensibilia conservare <strong>in</strong> esse: „kann (hier wahrnehmbare)<br />

sichtbare Eigenschaften im Se<strong>in</strong> bewahren“<br />

18 subiecta, orum : subst. „das Zugr<strong>und</strong>eliegende“, die Substanz (Materie)<br />

19 Vergleiche Text 2, Anm.4.<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Wor<strong>in</strong> besteht das Geheimnis der Eucharistie?<br />

Formuliere es mit eigenen Worten <strong>und</strong> versuche anschlieãend, denselben Gedanken<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Sprache, die Du erlernst, auszudrÉcken!<br />

Poste De<strong>in</strong>e fremdsprachliche Fassung <strong>in</strong> das 1. Forum auf der Lernplattform Moodle!<br />

b. Thomas von Aqu<strong>in</strong> beruft sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ErklÇrung auf den antiken Philosophen<br />

Aristoteles. Zwar erwÇhnt er diesen nicht namentlich, doch die BezÉge s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>deutig<br />

vorhanden. Sie kommen <strong>in</strong> den çç 67-68 klar zum Ausdruck:<br />

Schlage die Begriffe „Substanz“ <strong>und</strong> „Akzidenzien“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em philosophischen<br />

WÜrterbuch nach <strong>und</strong> erklÇre im GLOSSAR auf der Lernplattform Moodle, was<br />

Aristoteles mit diesen Bezeichnungen me<strong>in</strong>te!<br />

c. Welcher – <strong>in</strong> der Textstelle zweimal ausgesprochene - Gedanke ist Voraussetzung, um<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er BegrÉndung zustimmen zu kÜnnen?<br />

FÉhre die Textbelege im Orig<strong>in</strong>alwortlaut an!<br />

Welcher Gedanke ist dar<strong>in</strong> der zentrale: Kannst Du ihn auf Deutsch erlÇutern?<br />

Warum ist er Voraussetzung fÉr das VerstÇndnis des christlichen Geheimnisses,<br />

das <strong>in</strong> der Eucharistie zum Ausdruck kommt?<br />

d. Thomas von Aqu<strong>in</strong> behauptet sogar, dass es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n mache, das Sakrament der<br />

Eucharistie vor UnglÇubigen zu verteidigen:<br />

Hast Du e<strong>in</strong>e ErklÇrung dafÉr?<br />

E<strong>in</strong> Theologe wird als BegrÉndung vielleicht die Arkandiszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Treffen fÉhren:<br />

Was me<strong>in</strong>t er damit? Wirf e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong>s GLOSSAR auf der Lernplattform Moodle, ob<br />

sich dar<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>e ErklÇrung f<strong>in</strong>det!<br />

e. Welche Bedeutung kommt der Eucharistie im Rahmen der Messfeier <strong>und</strong> im Ritual der<br />

katholischen Kirche ganz allgeme<strong>in</strong> zu?<br />

f. Warum ist das VerstÇndnis der Eucharistie fÉr den christlichen Glauben so wichtig?<br />

Åberlege Dir, welche Funktion diesem Mysterium zukommt, wenn es darum geht, den<br />

eigenen Glauben von anderen Religionen abzugrenzen!<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 20 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

g. Auch die evangelische <strong>und</strong> die altkatholische Kirche feiern die Eucharistie:<br />

Interpretieren sie dieses Mysterium gleich wie die Katholiken oder gibt es<br />

Unterschiede? Haben allfällige Differenzen <strong>in</strong> der Deutung der eucharistischen<br />

Handlung e<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss auf das Glaubensbekenntnis? Liegt <strong>in</strong> ihnen<br />

etwa e<strong>in</strong> unüberw<strong>in</strong>dbarer Widerspruch <strong>in</strong> der Verständigung der christlichen Kirchen<br />

oder handelt es sich bloß um unterschiedliche, jedoch (im H<strong>in</strong>blick auf den Glauben<br />

<strong>in</strong>sgesamt) vernachlässigbare Deutungsmuster, die letztlich ihren Ursprung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

demselben Gedanken haben?<br />

Schreibt das Ergebnis Eurer Recherche <strong>in</strong> das Wiki-Eucharistie auf der Lernplattform<br />

Moodle !<br />

h. Warum me<strong>in</strong>t Thomas von Aqu<strong>in</strong>, dass Muslimen das Geheimnis der Eucharistie nicht<br />

pr<strong>in</strong>zipiell fremd sei <strong>und</strong> sie auf Basis ihres eigenen Glaubensbekenntnisses die<br />

Christen verstehen müssten, während dies für Ungläubige nicht zutrifft?<br />

Gibt es im Islam e<strong>in</strong> der christlichen Eucharistie vergleichbares Mysterium?<br />

F<strong>in</strong>den sich im Islam ebenfalls Handlungen, die man als Mysterium bezeichnen<br />

könnte?<br />

Stellt das Ergebnis Eurer Recherchen <strong>in</strong> das 2. Forum auf der Lernplattform Moodle !<br />

TEXT 8:<br />

Das jüngste Gericht De rat.Fidei, cap. 68-88<br />

Capitulum nonum : Quod est specialis locus, ubi animae purgantur, antequam<br />

vadant ad Paradisum<br />

[68] Nunc restat considerare de op<strong>in</strong>ione quor<strong>und</strong>am dicentium purgatorium non esse post<br />

mortem. Ad quam quidem positionem 1 , ut hom<strong>in</strong>es aliqui devenirent, hoc eis contigisse videtur 2 ,<br />

quod 3 et <strong>in</strong> pluribus 4 aliis contigit 3 multis. Dum enim aliqui errores aliquos <strong>in</strong>caute vitare<br />

voluerunt, <strong>in</strong>ciderunt <strong>in</strong> errores contrarios. Sicut Arius, dum vitare voluit errorem Sabellii<br />

conf<strong>und</strong>entis 5 Sanctae Tr<strong>in</strong>itatis personas, <strong>in</strong>cidit <strong>in</strong> errorem contrarium 6 , ut divideret deitatis<br />

essentiam 7 . Similiter Eutyches 8 , dum vitare voluit errorem Nestorii 9 dividentis <strong>in</strong> Christo<br />

personam Dei et hom<strong>in</strong>is, contrarium errorem <strong>in</strong>stituit, ut confiteretur, unam esse naturam Dei et<br />

hom<strong>in</strong>is. Sic igitur et aliqui dum vitare volunt Origenis errorem 10 ponentis omnes poenas post<br />

mortem purgatorias esse, <strong>in</strong> contrarium prolabuntur 11 errorem, ut dicant nullam poenam post<br />

mortem purgatoriam esse.<br />

[70] Sancta vero Catholica et Apostolica Ecclesia <strong>in</strong>ter errores contrarios media cauto passu<br />

<strong>in</strong>cedit. Sicut enim dist<strong>in</strong>guit personas <strong>in</strong> Tr<strong>in</strong>itate contra Sabellium, et tamen <strong>in</strong> errorem Arii<br />

non decl<strong>in</strong>at, sed unam confitetur trium personarum essentiam 7 ; <strong>in</strong> <strong>in</strong>carnationis vero mysterio e<br />

converso naturas dist<strong>in</strong>guit contra Eutychem, et cum Nestorio personam non separat: sic et <strong>in</strong><br />

statu animarum post mortem poenas quasdam purgatorias confitetur eorum dumtaxat 12 , qui de<br />

hoc saeculo absque peccato mortali recedunt cum caritate et gratia; nec tamen cum Origene<br />

omnes poenas purgatorias confitetur; sed eos, qui cum peccato mortali 13 decedunt, cum Diabolo<br />

et Angelis eius confitetur aeterno supplicio cruciandos.<br />

[71] Ad huius igitur veritatis assertionem primo considerandum videtur, quod illi, qui <strong>in</strong> peccato<br />

mortali 13 decedunt, statim ad <strong>in</strong>fernalia supplicia 14 rapiuntur. Quod aperte ex evangelica<br />

auctoritate probatur: dicitur enim <strong>in</strong> Luca ex ore dom<strong>in</strong>i, quod mortuus est dives epulo, et<br />

sepultus est <strong>in</strong> Inferno; et de cruciatu eius ex ipsius confessione apparet, dum dicit: quia crucior<br />

<strong>in</strong> hac flamma. 15 Per Iob quoque de impiis dicitur: ducunt 16 <strong>in</strong> bonis dies suos, et <strong>in</strong> puncto ad<br />

Inferna descendunt, qui dixerunt Deo: recede a nobis, scientiam viarum tuarum nolumus. 17<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 21 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

[72] Non solum autem impii pro peccatis propriis, sed etiam iusti ante Christi passionem pro<br />

peccato primi parentis 18 <strong>in</strong> morte ad Inferos descendebant: <strong>und</strong>e Iacob dicebat: descendam ad<br />

filium meum lugens <strong>in</strong> Infernum. 19 Unde et ipse Christus moriens ad Inferna descendit, ut <strong>in</strong><br />

symbolo 20 fidei cont<strong>in</strong>etur, sicut ante per prophetam praedictum fuerat: non derel<strong>in</strong>ques animam<br />

meam <strong>in</strong> Inferno 21 , quod et Petrus <strong>in</strong> actibus de Christo 22 exponit. 23 Quamvis alio modo Christus<br />

ad Inferna descenderit, non quasi peccato obnoxius, sed solus <strong>in</strong>ter mortuos liber, ad hoc 24<br />

descendit ut expolians pr<strong>in</strong>cipatus et potestates captivam duceret captivitatem 25 , sicut per<br />

Zachariam fuerat ante praedictum: tu autem <strong>in</strong> sangu<strong>in</strong>e testamenti tui eduxisti v<strong>in</strong>ctos de lacu. 26<br />

[73] Sed quia miserationes Dei sunt super omnia opera eius, 27 multo magis credendum est, quod<br />

illi, qui s<strong>in</strong>e macula moriuntur, statim aeternae retributionis mercedem accipiunt. Et hoc quidem<br />

evidentibus auctoritatibus manifeste probatur. Dicit enim Apostolus <strong>in</strong> II epistola ad Cor<strong>in</strong>thios,<br />

cum de tribulationibus Sanctorum mentionem fecisset: scimus, <strong>in</strong>quit, quoniam si terrestris<br />

domus nostra huius habitationis dissolvatur, quod aedificationem ex Deo habemus, domum non<br />

manufactam 28 , sed aeternam <strong>in</strong> caelis. 29 Ex quibus verbis prima facie <strong>in</strong>spectis hoc videtur<br />

elici 30 posse, quod dissoluto mortali corpore, homo caelesti gloria <strong>in</strong>duatur. Sed ut hic sensus<br />

evidentior fiat, sequentia pertractemus:<br />

[74] Quia enim duo proposuerat 31 , scilicet dissolutionem habitationis terrenae et adeptionem 32<br />

domus caelestis, ostendit quomodo desiderium hom<strong>in</strong>is se habeat 33 ad utrumque, cum quadam<br />

expositione utriusque. Unde primo subiungit de 34 desiderio caelestis domus, et dicit, quod<br />

<strong>in</strong>gemiscimus <strong>in</strong> hoc quasi a nostro desiderio retardati, quod cupimus super<strong>in</strong>dui habitationem<br />

caelestem: 35 per quod etiam dat <strong>in</strong>telligere 36 , quod illa domus caelestis, quam supra dixerat, non<br />

est aliquid ab hom<strong>in</strong>e separatum, sed aliquid hom<strong>in</strong>i <strong>in</strong>haerens. Non enim dicitur homo <strong>in</strong>duere<br />

domum, sed vestimentum; sed dicitur aliquis <strong>in</strong>habitare domum. Cum ergo haec duo coniungit<br />

dicens, super<strong>in</strong>dui habitationem, ostendit, quod illud desideratum et est aliquid adhaerens, quia<br />

<strong>in</strong>duitur, et est aliquid cont<strong>in</strong>ens et excedens, quia <strong>in</strong>habitatur. Quid autem sit illud desideratum,<br />

ex sequentibus patebit.<br />

[75] Sed quia non simpliciter dixerat <strong>in</strong>dui, sed super<strong>in</strong>dui, rationem sui dicti exponit, subdens: si<br />

tamen vestiti et non nudi <strong>in</strong>veniamur, 37 quasi dicat: si anima sic <strong>in</strong>dueretur habitatione caelesti,<br />

quod non exueretur habitatione terrena, adeptio illius habitationis caelestis esset super<strong>in</strong>duitio.<br />

Sed quia oportet, quod exuatur habitatione terrena ad hoc, quod <strong>in</strong>duatur caelesti, non potest dici<br />

super<strong>in</strong>duitio sed <strong>in</strong>duitio simplex. [...]<br />

[77] Posset autem iterum aliquis Apostolo dicere: rationabile apparet, quod nolumus expoliari<br />

terrena habitatione, quae est nobis connaturalis, sed <strong>und</strong>e hoc nobis, quod 38 habitationem<br />

caelestem <strong>in</strong>dui cupiamus? Ad hoc autem respondens subdit 39 : qui autem efficit nos <strong>in</strong> hoc<br />

ipsum, ut desideremus caelestia, Deus est. Et quomodo nos <strong>in</strong> hoc efficiat, ostendit subdens 39 :<br />

qui dedit nobis pignus spiritus. 40 Per Spiritum enim Sanctum, quem accepimus a Deo, certi<br />

sumus de caelesti habitatione adipiscenda sicut per pignus de debito recuperando. Ex hac autem<br />

certitud<strong>in</strong>e <strong>in</strong> desiderium caelestis habitationis elevamur 41 .<br />

[78] Sic ergo duo desideria sunt <strong>in</strong> nobis: unum naturae de 42 terrena habitatione non deserenda;<br />

aliud gratiae de 42 caelesti habitatione consequenda. Sed haec duo desideria simul impleri non<br />

possunt, quia ad caelestem habitationem pervenire non possumus, nisi terrenam deseramus.<br />

Unde cum quadam fiducia firma et audacia desiderium gratiae praeferimus desiderio naturae, ut<br />

velimus terrenam habitationem deserere, et ad caelestem pervenire: et hoc est quod subdit 39 :<br />

audentes igitur semper, et scientes, quoniam, dum sumus <strong>in</strong> hoc corpore, peregr<strong>in</strong>amur a<br />

dom<strong>in</strong>o, audemus et bonam voluntatem habemus magis peregr<strong>in</strong>ari a corpore, et praesentes<br />

esse ad dom<strong>in</strong>um. 43<br />

[79] Aperitur etiam domum non manufactam, sed aeternam <strong>in</strong> caelis: quia ipsum Deum, quem<br />

hom<strong>in</strong>es <strong>in</strong>duunt, vel etiam <strong>in</strong>habitant, dum ei praesentes existunt per speciem (id est videndo<br />

eum, sicut est), peregr<strong>in</strong>antur autem ab ipso, dum per fidem tenent, quod nondum vident.<br />

Desiderant ergo Sancti peregr<strong>in</strong>ari a corpore - id est ut eorum animae per mortem a corporibus<br />

separentur - ad hoc, quod sic peregr<strong>in</strong>antes a corpore, s<strong>in</strong>t praesentes ad dom<strong>in</strong>um. Manifestum<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 22 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

est ergo, quod Sanctorum animae a corporibus absolutae ad caelestem habitationem perveniunt<br />

Deum videntes. Non ergo sanctarum animarum gloria, quae <strong>in</strong> Dei visione consistit, differtur,<br />

usque ad diem iudicii, quo corpora resumunt.<br />

[80] Hoc etiam apparet per dictum Apostoli ad Philippenses, ubi dicit: desiderium habens<br />

dissolvi, et cum Christo esse. 44 Vanum autem esset hoc desiderium, si corpore dissoluto adhuc<br />

Paulus cum Christo non esset, quem tamen constat esse caelis: sunt ergo animae Sanctorum post<br />

mortem cum Christo <strong>in</strong> caelis. Manifeste etiam dom<strong>in</strong>us latroni confitenti <strong>in</strong> cruce dixit: hodie<br />

mecum eris <strong>in</strong> Paradiso, 45 per Paradisum gloriae fruitionem designans. Unde non est credendum,<br />

quod suos fideles Christus remunerare differat, quantum ad 46 gloriam animarum, usque ad<br />

corporum resumptionem. Quod ergo dom<strong>in</strong>us dicit: <strong>in</strong> domo patris mei mansiones multae sunt, 47<br />

ad differentias praemiorum refertur, quibus Sancti <strong>in</strong> caelesti beatitud<strong>in</strong>e remunerantur a Deo,<br />

non enim extra domum, sed <strong>in</strong> ipsa domo.<br />

[81] His autem visis, consequens videtur Purgatorium animarum esse post mortem. Ex multis<br />

enim Sacrae Scripturae auctoritatibus manifeste habetur, quod ad illam caelestem gloriam nullus<br />

pervenire potest cum macula. [...] [82] Cont<strong>in</strong>git autem aliquos <strong>in</strong> hora mortis aliquibus maculis<br />

peccatorum <strong>in</strong>qu<strong>in</strong>ari, propter quae tamen aeternam damnationem Inferni non merentur; sicut<br />

sunt venialia 48 peccata, ut verbum otiosum 49 et alia huiusmodi. Non ergo ad caelestem<br />

beatitud<strong>in</strong>em, qui talibus <strong>in</strong>qu<strong>in</strong>ati decedunt, poterunt pervenire statim post mortem; pervenirent<br />

autem, ut supra probatum est, si huiusmodi maculae <strong>in</strong> eis non essent. Ad m<strong>in</strong>us ergo post<br />

mortem dilationem gloriae patientur propter venialia 48 peccata. Nulla autem ratio est, quare<br />

magis hanc poenam, quam aliam animas post mortem pati concedant; praesertim cum carentia<br />

visionis div<strong>in</strong>ae et separatio a Deo, maior sit poena etiam existentibus <strong>in</strong> Inferno, quam ignis<br />

supplicium; patiuntur ergo anima cum venialibus decedentium Purgatorium ignem post mortem.<br />

[86] H<strong>in</strong>c est etiam quod Apostolus ad Cor<strong>in</strong>thios dicit: uniuscuiusque opus quale fuerit, ignis<br />

probabit. Si cuius opus manserit, quod superaedificavit, mercedem accipiet; si cuius opus<br />

arserit, detrimentum patietur; ipse autem salvus erit, sic tamen quasi per ignem. 50 Non autem<br />

potest hoc <strong>in</strong>telligi de igne Inferni, quia qui illum ignem patiuntur, non salvantur. Oportet ergo<br />

quod <strong>in</strong>telligatur de aliquo igne purgante.<br />

[87] Et quidem potest aliquis dicere hoc esse <strong>in</strong>telligendum de igne, qui praecedet faciem iudicis,<br />

praecipue quia praemittitur: 51 dies dom<strong>in</strong>i declarabit, quia <strong>in</strong> igne revelabitur 52 ; dies autem<br />

dom<strong>in</strong>i <strong>in</strong>telligitur dies ultimi adventus eius, sicut Apostolus <strong>in</strong> I Thessal. dicit, dies dom<strong>in</strong>i sicut<br />

fur <strong>in</strong> nocte, ita veniet. 53 [88] Sed attendendum est, quod, sicut dies iudicii dicitur dies dom<strong>in</strong>i,<br />

quia est dies adventus eius ad iudicium universale totius m<strong>und</strong>i, ita dies mortis uniuscuiusque<br />

dicitur dies dom<strong>in</strong>i, quia <strong>in</strong> morte ad unumquemque venire Christus dicitur remuneraturus vel<br />

condemnaturus. Unde quantum ad 46 remunerationem bonorum dicit <strong>in</strong> Iohanne ad discipulos<br />

suos: si abiero, et praeparavero vobis locum, iterum venio et accipiam vos ad me ipsum, ut ubi<br />

sum ego et vos sitis; 54 quantum 46 vero ad 46 condemnationem malorum dicitur <strong>in</strong> Apocalypsi: age<br />

poenitentiam, et prima opera fac: s<strong>in</strong> autem, venio tibi, et movebo candelabrum tuum de loco<br />

suo. 55 Dies ergo dom<strong>in</strong>i, quo ad universale iudicium veniet, <strong>in</strong> igne revelabitur 52 , qui faciem<br />

iudicis praecedet, quo reprobi ad supplicium aeternum trahentur, et iusti, qui vivi reperientur,<br />

purgabuntur; sed et dies dom<strong>in</strong>i, quo unumquemque <strong>in</strong> sua morte iudicat, <strong>in</strong> igne revelabitur 52 ,<br />

qui purgat bonos, et impios condemnat. Sic ergo patet Purgatorium esse post mortem.<br />

Kommentar:<br />

1 positio, onis f. : Auffassung, Me<strong>in</strong>ung<br />

2 hoc eis contigisse videtur: „ihr sche<strong>in</strong>t dadurch bed<strong>in</strong>gt zu se<strong>in</strong>“<br />

3 quod … contigit : „welcher (mit Bezug auf „Fehler“) … passierte (unterlief)“<br />

4 <strong>in</strong> pluribus : Åbersetze res mit „Streitfragen“<br />

5 conf<strong>und</strong>o 3, fidi, fusus : eig. „zusammengieãen“, hier: nicht deutlich genug unterscheiden,<br />

nicht differenzieren zwischen …“<br />

6 Nach Arius waren Gott-Vater <strong>und</strong> Gott-Sohn nicht wesensgleich, sondern nur wesensÇhnlich<br />

(‘ύςstatt‘ύς). Der nach ihm benannte Arianismus wurde am Konzil von Nikaia 325<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 23 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

n.Chr. verurteilt. Die Lehre des Sabellius (Es gÇbe nur e<strong>in</strong>e gÜttliche Person.) verurteilte das 1.<br />

Konzil von Konstant<strong>in</strong>opel 381 n.Chr.<br />

7 essentia: Wesense<strong>in</strong>heit<br />

8 Der Monophysitismus des Eutyches wurde auf dem Ükumenischen Konzil von Chalkedon 451<br />

n.Chr. zugunsten der Zwe<strong>in</strong>aturenlehre Christi verworfen.<br />

9 Die HÇresie des Nestorius hatte entschiedenen E<strong>in</strong>fluss auf die Bezeichnung der Muttergottes als<br />

ός statt ός. Der Islam verdankte dem so genannten Nestorianismus wichtige<br />

Impulse, ja er wurde sogar als christliche HÇresie nestorianischer PrÇgung bezeichnet.<br />

10 Origenes wurde zwar nicht zum HÇretiker, e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er LehrsÇtze wurden jedoch von Kaiser<br />

Just<strong>in</strong>ian I. verurteilt, so auch die Lehre der Apokatastasis, welche die Ewigkeit der HÜlle leugnet.<br />

Dem Urteil schloss sich die Synode von Konstant<strong>in</strong>opel 543 n.Chr. an.<br />

11 prolabor 3, lapsus sum + Akk.: <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sache geraten, verfallen<br />

12 dumtaxat adv. : natÉrlich, freilich, <strong>und</strong> zwar<br />

13 peccatum mortale : Siehe Lexikon!<br />

14 <strong>in</strong>fernalia supplicia : Beachte im Lexikon die Sonderbedeutung von <strong>in</strong>fernum!<br />

15 Lc. 16,22<br />

16 ducunt ≈ agunt<br />

17 Iob. 21,13-14<br />

18 primus parens : Stammvater<br />

19 Gn. 37,35<br />

30 symbolum : Siehe Lexikon!<br />

21 Ps. 15,10<br />

32 acta : Apostelgeschichte (Auf welche Bedeutung im Lexikon beruht diese Übersetzung?)<br />

23 Vgl. Act. 2,27<br />

24 ad hoc : zu dem Zweck<br />

25 Vgl. Ps. 67,19<br />

26 Vgl. Zach. 9,11<br />

27 Vgl. Ps. 144,9<br />

28 manufactam = manu factam<br />

29 2Cor. 5,1<br />

30 elicio 3M, licui, licitus : „hervorbr<strong>in</strong>gen“, folgern, schlieãen<br />

31 <br />

32 ademptio, onis f. : das Erlangen, Erreichen, E<strong>in</strong>nehmen<br />

33 se habere ad … : sich zu etw. verhalten, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Beziehung zu etw. stehen<br />

34 <strong>und</strong>e primus subiungit de … : daher fÉgt er zuerst etw. h<strong>in</strong>zu Éber / bezÉglich …<br />

35 2Cor. 5,2<br />

36 per quod etiam dat <strong>in</strong>tellegere : dadurch gibt er darÉber h<strong>in</strong>aus noch zu verstehen<br />

37 2Cor. 5,3<br />

38 <strong>und</strong>e hoc nobis, quod : „welchen Anlass haben wir dann, dass …“<br />

39 subdo 3, didi, ditus : „unten anfÉgen“, h<strong>in</strong>zufÉgen, anfÉhren<br />

40 2Cor. 5,5<br />

41 elevamur : eig. „wir werden erweckt (erhoben, aufgemuntert)“ – Åbersetze unpersÜnlich:<br />

haec certitudo … nos elevat: „diese Sicherheit weckt <strong>in</strong> uns …“<br />

42 de + Abl. : h<strong>in</strong>sichtlich, bezÉglich; (+ Ger./Giv.) was das anlangt, dass …<br />

43 2Cor. 5,6-8<br />

44 Phil. 1,23<br />

45 Lc. 23,43<br />

46 quantum ad … : was … betrifft / angeht<br />

47 Io. 14,2<br />

48 venialis, e : verzeihlich<br />

49 otiosus 3 : unbedacht<br />

50 1Cor. 3,13-15<br />

51 1Cor. 3,13<br />

52 relevari : sich offenbaren<br />

55 1 Thess. 5,2<br />

54 Io. 14,3<br />

55 Apc. 2,5<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 24 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Trage die markierten Begriffe mit e<strong>in</strong>er kurzen Erläuterung <strong>in</strong> das GLOSSAR auf der<br />

Lernplattform Moodle e<strong>in</strong>! Sollte dort bereits e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>trag existieren, dann lies ihn<br />

aufmerksam durch <strong>und</strong> überlege, ob Du nicht etwas ergänzen willst!<br />

b. Suche <strong>in</strong> Lexika, theologischen Nachschlagewerken <strong>und</strong> virtuellen Quellen nach<br />

Erläuterungen für Fegefeuer <strong>und</strong> Hölle: Welche verschiedenen Ansichten existieren<br />

darüber <strong>und</strong> woher nehmen die Menschen das Wissen über das, was nach dem Tod<br />

folgt?<br />

Verfasse dann e<strong>in</strong>en eigenen Essay, der m<strong>in</strong>destens auf drei bis fünf verschiedenen<br />

Quellen fußen soll! Präsentiere ihn im Forum auf der Lernplattform Moodle!<br />

c. Welche Vorstellung hatten die antiken Völker der Griechen <strong>und</strong> Römer von dem, was<br />

nach dem Tod folgt?<br />

d. In welcher H<strong>in</strong>sicht hatte die christliche Religion den antiken Glaubensvorstellungen<br />

etwas voraus, das den Niedergang der heidnischen Kulte mitbed<strong>in</strong>gte? Überlege<br />

zudem, welche gesellschaftlichen, politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Faktoren<br />

h<strong>in</strong>zutreten müssen, damit diese religiösen Kriterien an Relevanz gew<strong>in</strong>nen!<br />

e. Welche Konsequenzen hat die Vorstellung über das Jüngste Gericht für das Leben<br />

<strong>und</strong> die diesseitige Welt?<br />

f. Gibt es im Islam oder <strong>in</strong> anderen Religionen Vorstellungen, die dem Jüngsten Gericht,<br />

dem Leben nach dem Tod bzw. der Hölle <strong>und</strong> dem Fegefeuer entsprechen?<br />

g. Woher stammen die christlichen Vorstellungen über das Jüngste Gericht?<br />

Zitiere die Quellen <strong>und</strong> beschreibe kurz, was sie darüber berichten!<br />

Kontrastiere das Jüngste Gericht mit der Apokalypse, zeige Bezüge auf <strong>und</strong><br />

grenze die beiden Begriffe von e<strong>in</strong>ander ab!<br />

h. Lies den im Anhang abgedruckten Ergänzungstext über das <strong>in</strong> der Sixt<strong>in</strong>ischen<br />

Kapelle dargestellte Jüngste Gericht:<br />

Was fällt Dir spontan auf, wenn Du ihn mit der Beschreibung des Jüngsten<br />

Gerichtes bei Thomas von Aqu<strong>in</strong> vergleichst?<br />

Welche <strong>in</strong>haltlichen Unterschiede stellst Du sofort fest?<br />

Gibt es auch Unterschiede <strong>in</strong> der Argumentation, Gedankenfolge?<br />

i. Unterziehe anschließend die beiden Texte e<strong>in</strong>er vergleichenden Analyse, <strong>in</strong>dem Du<br />

sie jeweils e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong> zuordnest: Welche Folgen ergeben sich<br />

daraus im H<strong>in</strong>blick auf Inhalt, Darstellung, Textstruktur, Stil <strong>und</strong> Sprache sowie<br />

Argumentation?<br />

j. Notiere Ausdrücke oder Gedankengänge die <strong>in</strong> der Darstellung von Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> wiederholt vorkommen: Wodurch ist ihr mehrfacher Gebrauch bzw. die<br />

Parallelität <strong>in</strong> der Gedankenführung bed<strong>in</strong>gt?<br />

k. Beschreibe nun präzise den Aufbau <strong>und</strong> die Gedankenabfolge im Text von Thomas<br />

von Aqu<strong>in</strong>: Mache Dir dabei bewusst, <strong>in</strong>wiefern die Darstellung des mittelalterlichen<br />

Gelehrten wissenschaftlichen Kriterien entspricht, beziehungsweise def<strong>in</strong>iere, was<br />

e<strong>in</strong>en Text zu e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Abhandlung macht!<br />

l. Nimm abschließend De<strong>in</strong>en Essay über Fegefeuer, Hölle <strong>und</strong> Endzeitvorstellungen<br />

(Aufgabe b.) zur Hand: Lege die <strong>in</strong> Punkt k. bestimmten Kriterien als Maßstab an <strong>und</strong><br />

bewerte, ob bzw. <strong>in</strong> welchem Ausmaß der von Dir verfasste Texte dem Kriterium e<strong>in</strong>er<br />

wissenschaftlichen Arbeit entspricht!<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 25 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

TEXT 9:<br />

Die Willensfreiheit des Menschen De rat.Fidei, cap. 89-97<br />

Capitulum decimum:<br />

Quod praedest<strong>in</strong>atio div<strong>in</strong>a humanis actibus necessitatem non imponat et<br />

qualiter <strong>in</strong> hac quaestione procedendum sit<br />

[89] Nunc ultimo considerandum restat, an per praeord<strong>in</strong>ationem seu praedest<strong>in</strong>ationem div<strong>in</strong>am<br />

humanis actibus necessitas imponatur. In qua quaestione sic caute procedendum est, ut veritas<br />

defendatur, et falsitatis error vitetur. Erroneum enim est dicere, quod humani actus et eventus,<br />

praescientiae et ord<strong>in</strong>ationi div<strong>in</strong>ae non subs<strong>in</strong>t. Nec m<strong>in</strong>us est erroneum dicere, quod ex<br />

praescientia vel ord<strong>in</strong>atione div<strong>in</strong>a humanis actibus necessitas <strong>in</strong>geratur: tolleretur enim libertas<br />

arbitrii, consiliandi opportunitas, legum utilitas, sollicitudo bene agendi, et poenarum et<br />

praemiorum iustitia.<br />

[90] Est igitur considerandum, quod Deus aliter habet scientiam de rebus quam homo. Homo<br />

enim subiectus est tempori, et ideo temporaliter res cognoscit, quaedam respiciens ut praesentia,<br />

quaedam ut praeterita recolens, et quaedam praevidens ut futura. Sed Deus est superior temporis<br />

decursu, et esse suum est aeternum: <strong>und</strong>e et sua cognitio non est temporalis, sed aeterna.<br />

[91] Comparatur autem aeternitas ad tempus sicut <strong>in</strong>divisibile ad cont<strong>in</strong>uum. In tempore enim<br />

<strong>in</strong>venitur diversitas quaedam partium sec<strong>und</strong>um prius et posterius sibi succedentium, sicut <strong>in</strong><br />

l<strong>in</strong>ea <strong>in</strong>veniuntur diversae partes sec<strong>und</strong>um situm ad <strong>in</strong>vicem ord<strong>in</strong>atae: sed aeternitas prius et<br />

posterius non habet, quia res aeternae mutatione carent. Et sic aeternitas est tota simul, sicut et<br />

punctum partibus caret sec<strong>und</strong>um situm dist<strong>in</strong>ctis.<br />

[92] Punctum autem dupliciter ad l<strong>in</strong>eam comparari potest: uno quidem modo sicut <strong>in</strong>tra l<strong>in</strong>eam<br />

comprehensum, sive sit <strong>in</strong> pr<strong>in</strong>cipio l<strong>in</strong>eae, sive <strong>in</strong> medio, sive <strong>in</strong> f<strong>in</strong>e; alio modo ut extra l<strong>in</strong>eam<br />

existens. Punctum igitur <strong>in</strong>tra l<strong>in</strong>eam existens non potest omnibus l<strong>in</strong>eae partibus adesse, sed <strong>in</strong><br />

diversis partibus l<strong>in</strong>eae necesse est diversa puncta signari; punctum vero quod extra l<strong>in</strong>eam est,<br />

nihil prohibet aequaliter omnes l<strong>in</strong>eae partes respicere; ut apparet <strong>in</strong> circulo, cuius centrum, cum<br />

sit <strong>in</strong>divisibile, aequaliter respicit omnes circumferentiae partes, et omnes sibi sunt quodam<br />

modo praesentes, quamvis una earum alteri non sit praesens.<br />

[93] Puncto autem <strong>in</strong>cluso <strong>in</strong> l<strong>in</strong>ea similatur <strong>in</strong>stans 1 , quod est term<strong>in</strong>us temporis, quod quidem<br />

non adest omnibus partibus temporis, sed <strong>in</strong> diversis partibus temporis <strong>in</strong>stantia 2 diversa<br />

signantur. Puncto vero quod est extra l<strong>in</strong>eam, scilicet centro, quodam modo similatur aeternitas:<br />

quae cum sit simplex et <strong>in</strong>divisibilis, totum decursum temporis comprehendit, et quaelibet pars<br />

temporis est ei aequaliter praesens, licet partium temporis una sequatur ad alteram.<br />

[94] Sic igitur Deus, qui de aeternitatis excelso omnia respicit, semper totum temporis decursum<br />

et omnia, quae geruntur <strong>in</strong> tempore, praesentialiter <strong>in</strong>tuetur. Sicut ergo, cum ego video Sortem 3<br />

sedere, <strong>in</strong>fallibilis est et certa est mea cognitio, nulla tamen ex hoc Sorti 3 necessitas sedendi<br />

imponitur; ita Deus omnia, quae nobis sunt vel praeterita vel praesentia vel futura, quasi<br />

praesentia <strong>in</strong>spiciens, <strong>in</strong>fallibiliter et certitud<strong>in</strong>aliter cognoscit, ita tamen, quod cont<strong>in</strong>gentibus<br />

nulla necessitas imponitur existendi.<br />

[95] Huius autem exemplum accipi potest, si comparemus decursum temporis ad transitum viae.<br />

Si quis enim sit <strong>in</strong> via, per quam transeunt multi, videt quidem eos, qui sunt ante se; qui vero<br />

post ipsum veniant, per certitud<strong>in</strong>em scire non potest. Sed si aliquis sit <strong>in</strong> aliquo loco excelso,<br />

<strong>und</strong>e totam viam possit <strong>in</strong>spicere, simul videt omnes, qui pertranseunt viam. Sic igitur homo, qui<br />

est <strong>in</strong> tempore, non potest totum decursum temporis simul videre, sed videt ea solum, quae<br />

coram assistunt, praesentia scilicet, et de praeteritis aliqua; sed ea, quae ventura sunt, per<br />

certitud<strong>in</strong>em scire non potest. Deus autem de excelso suae aeternitatis per certitud<strong>in</strong>em videt<br />

quasi praesentia omnia, quae per totum temporis decursum aguntur, absque hoc, quod rebus<br />

cont<strong>in</strong>gentibus necessitas imponatur.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 26 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

[96] Sicut autem div<strong>in</strong>a scientia cont<strong>in</strong>gentibus necessitatem non imponit, sic nec eius ord<strong>in</strong>atio,<br />

qua provide ord<strong>in</strong>at universa. Sic enim ord<strong>in</strong>at res, sicut agit eas: non enim eius ord<strong>in</strong>atio<br />

cassatur 4 , sed quod per sapientiam ord<strong>in</strong>at, per virtutem exequitur. [97] In actione autem div<strong>in</strong>ae<br />

virtutis hoc considerare oportet, quod operatur <strong>in</strong> omnibus et movet s<strong>in</strong>gula ad suos actus<br />

sec<strong>und</strong>um modum uniuscuiusque, ita quod quaedam ex motione div<strong>in</strong>a ex necessitate suas<br />

actiones perficiunt, ut apparet <strong>in</strong> motibus caelestium corporum; quaedam vero cont<strong>in</strong>genter, et<br />

<strong>in</strong>terdum a propria actione deficiunt, ut apparet <strong>in</strong> actionibus corruptibilium corporum: arbor<br />

enim quandoque a fructificando impeditur, et animal a generando. Sic ergo sapientia div<strong>in</strong>a de<br />

rebus ord<strong>in</strong>at, ut ord<strong>in</strong>ata proveniant sec<strong>und</strong>um modum propriarum causarum.<br />

Est autem hic modus naturalis hom<strong>in</strong>is, ut libere agat, non aliqua necessitate coactus, quia<br />

rationales potestates ad opposita se habent. 5 Sic igitur Deus ord<strong>in</strong>at de actibus humanis, ut tamen<br />

humani actus necessitati non subdantur, sed proveniant ex arbitrii libertate.<br />

Kommentar:<br />

1 <strong>in</strong>stans : die Gegenwart (wörtliche Bedeutung?)<br />

2 <strong>in</strong>stantia: gegenwärtige Augenblicke, Zeitpunkte der Gegenwart<br />

3 Sorti, Sortem = Socrati, Socratem : Die depravierte Schreibung war im Mittelalter üblich.<br />

Die Anführung von Sokrates als Beispiel geht bereits auf Aristoteles zurück.<br />

4 casso 1 : zunichte machen<br />

5 quia rationales potestates ad opposita se habent : Geme<strong>in</strong>t ist, dass sich der Mensch kraft<br />

se<strong>in</strong>er Vernunft sowohl so als auch anders verhalten kann.<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. In welchem gedanklichen Konnex stehen Willensfreiheit des Menschen <strong>und</strong><br />

Annahme der Existenz e<strong>in</strong>er Hölle?<br />

Welche Konsequenz auf die Höllenvorstellung hat es, wenn jemand die<br />

Willensfreiheit des Menschen leugnet?<br />

Setzt der Glaube an die Willensfreiheit des Menschen nicht sogar die<br />

angenommene Existenz des Fegefeuers oder e<strong>in</strong>er anderen Art von Hölle<br />

voraus, damit der Mensch se<strong>in</strong>e ihm zur Verfügung stehende Freiheit nicht<br />

schamlos <strong>und</strong> anderen gegenüber rücksichtslos nützt?<br />

b. Diskutiert <strong>in</strong> der Gruppe folgende Annahme: (1) Es gibt ke<strong>in</strong>e Hölle (auch ke<strong>in</strong><br />

Fegefeuer oder etwas Ähnliches), (2) Der Mensch besitzt die Willensfreiheit.<br />

Welche Schranken gibt es bzw. sollten vom Staat geschaffen werden, dass der<br />

Mensch, der völlig frei von Fremdbestimmung <strong>und</strong> ohne Angst vor göttlicher Strafe<br />

lebt, dennoch so handelt, dass er ke<strong>in</strong>em Anderen durch se<strong>in</strong> Tun Leid oder Schaden<br />

zufügt?<br />

c. Fasst anschließend an Aufgabe b. Eure Gedanken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Paper<br />

zusammen <strong>und</strong> stellt dieses als Postulat Eurer Schule <strong>in</strong> das Forum auf der<br />

Lernplattform Moodle!<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 27 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

TEXT 10:<br />

Epilog De rat.Fidei, cap. 98<br />

[98] Haec igitur sunt, quae ad praesens visa sunt, de propositis quaestionibus conscribenda; quae<br />

tamen alibi diligentius pertractata sunt 1 .<br />

Kommentar:<br />

1 Vorwiegend <strong>in</strong> der Schrift Summa contra Gentiles.<br />

Michelangelo Buonarroti: Das Jüngste Gericht, Fresco, Vatikan, 1536-41<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 28 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anhang I: ErgÄnzungstext zum „JÇngsten Gericht“ (Text 8)<br />

Michelangelos JÄngstes Gericht <strong>in</strong> der Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle (Rom, Vatikan) –<br />

Beschreibung von Radio Vatikan im Orig<strong>in</strong>alwortlaut:<br />

Das Jüngste Gericht steht am Ende e<strong>in</strong>er langen Entwicklung dieses Themas, das gewöhnlich auf<br />

der E<strong>in</strong>gangswand von Kirchen dargestellt wurde, um den aus der Kirche Heraustretenden e<strong>in</strong>e<br />

letzte Mahnung mitzuteilen. Dass das Weltgericht <strong>in</strong> der Sixt<strong>in</strong>ischen Kapelle <strong>in</strong> aufrüttelnder<br />

Weise auf die Altarwand gemalt wurde, ist e<strong>in</strong>e Folge des Schocks, den Rom während des so<br />

genannten Sacco di Roma erlitten hat, den Plünderungen der Söldnertruppen von Karl V. im Jahr<br />

1527. Diese Katastrophe war wie e<strong>in</strong> Letztes Gericht über die Stadt here<strong>in</strong>gebrochen <strong>und</strong> von<br />

vielen Römern genauso empf<strong>und</strong>en worden. Das Thema war also weitaus präsenter als die<br />

Aufnahme Mariens <strong>in</strong> den Himmel, die die Altarwand eigentlich zierte. Michelangelo durfte also<br />

se<strong>in</strong>er auf der Decke vergegenwärtigten Geschichte vom Anfang der Menschheit nun ihr Ende<br />

gegenüberstellen. Wie bei der Deckenbemalung g<strong>in</strong>g er dabei auch hier von der<br />

architektonischen Form aus, die unter den Gewölbezwickeln rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks zwischen dem<br />

Sockel der Jonasfigur je e<strong>in</strong>e bogenfömige Erweiterung freigeben. Die <strong>in</strong>sgesamt etwa 200<br />

Quadratmeter große Bildfläche wird so gleichsam <strong>in</strong> zwei Spalten aufgeteilt - l<strong>in</strong>ks wird die<br />

Auferstehung des Fleisches thematisiert; Engelsgestalten helfen den Menschen, aus der Erde<br />

heraus wieder aufzustehen. Wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sog werden diese Menschen emporgehoben, zu e<strong>in</strong>em<br />

von Engeln getragenen Kreuz <strong>und</strong> den himmlischen Heerscharen. Auf der rechten Seite f<strong>in</strong>det die<br />

Gegenbewegung statt. Abstürzend <strong>und</strong> gedrückt können die Menschen nicht verh<strong>in</strong>dern, dass sie<br />

der Tiefe <strong>und</strong> den dort lauernden Teufeln entgegenstreben. In der Mitte des Riesenfreskos ist<br />

e<strong>in</strong>e absolut beherrschende Christusgestalt. Mit e<strong>in</strong>er entschiedenen Bewegung se<strong>in</strong>er Arme<br />

sche<strong>in</strong>t es, dass dieser Weltenherrscher die Sogwirkung zum Himmel herauf bzw. <strong>in</strong> die Hölle<br />

h<strong>in</strong>unter hervorruft oder zum<strong>in</strong>dest unterstützt. In Michelangelos Darstellung des Weltenrichtes<br />

erkennt man die Bewegung des Laokoon wieder. Nur die Bewegung der Be<strong>in</strong>e ersche<strong>in</strong>t<br />

seitenverkehrt gegenüber denen der berühmten Skulpturengruppe, bei deren Entdeckung am 30.<br />

Januar 1506 Michelangelo zugegen war. Alle Figuren des riesigen Freskos stehen überraschend<br />

plastisch, wie Skulpturen, vor e<strong>in</strong>em lapisblauen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>. 390 s<strong>in</strong>d es an der Zahl, e<strong>in</strong>ige<br />

von ihnen messen über zwei Meter.<br />

Das Bild war von Papst Clemens VII. <strong>in</strong> Auftrag gegeben worden. Dem Papst also, der sich<br />

während des Sacco di Roma nur mit Mühe <strong>in</strong> die Engelsburg retten konnte <strong>und</strong> den die<br />

Söldnertruppen so gerne gezwungen hätten, e<strong>in</strong> Konzil e<strong>in</strong>zuberufen, um die Trennung der<br />

Christenheit seit dem Wittenberger Thesenanschlag zu überw<strong>in</strong>den. Papst Clemens VII. zögerte<br />

genauso, wie Karl V. sich weigerte, ihn zu e<strong>in</strong>em derartigen Schritt zu zw<strong>in</strong>gen. Allerd<strong>in</strong>gs starb<br />

der Papst, bevor Michelangelo mit der Umsetzung se<strong>in</strong>es Auftrages anfangen konnte. Der<br />

Nachfolgerpapst, Paul III., bestätigte den Auftrag für das Jüngste Gericht <strong>und</strong> begann außerdem<br />

sehr bald mit den Vorbereitungen für das Konzil von Trient. Die Themen, die dort behandelt<br />

werden sollten, kl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Michelangelos Darstellung vom Weltenende bereits an. Beispielsweise<br />

die Frage der Rechtfertigung. Michelangelo war überzeugt, dass neben der Gnade Gottes auch<br />

die Verdienstlichkeit des Menschen zu se<strong>in</strong>er Rettung beiträgt. Deshalb stellte er die Märtyrer alle<br />

mit ihren Marterwerkzeugen dar. Etwa Bartholomäus mit der abgezogenen Haut, der<br />

Michelangelo se<strong>in</strong>e eigenen Gesichtszüge verleiht. Oder Laurentius mit dem Rost, Kathar<strong>in</strong>a mit<br />

dem Rad <strong>und</strong> Sebastian mit dem Pfeil. Aber auch andere auf dem Konzil behandelte Themen, wie<br />

etwa die Verehrung Mariens werden hier betont. So darf Michelangelos Maria im Schatten ihres<br />

Sohnes ebenfalls <strong>in</strong> der Gloriole stehen.<br />

E<strong>in</strong>ige Figuren tragen das Porträt bekannter, zeitgenössischer Personen. E<strong>in</strong> Beispiel ist Biagio da<br />

Cesena, päpstlicher Zeremonienmeister. Er war Michelangelo unangenehm aufgefallen, als er<br />

sich abwertend über das noch nicht vollendete Bild des Jüngsten Gerichts äußerte: Es sei gegen<br />

alle Schicklichkeit. Soviel Nacktheit gehöre - wenn überhaupt - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Badestube oder e<strong>in</strong><br />

Wirtshaus. Der Kunstkritiker Giorgio Vasari schreibt dazu: "Michelangelo malte den<br />

Zeremonienmeister, sobald er fort war, als M<strong>in</strong>os <strong>in</strong> der Hölle, die Be<strong>in</strong>e von e<strong>in</strong>er großen<br />

Schlange umw<strong>und</strong>en, umgeben von e<strong>in</strong>er Schar von Teufeln". Allerd<strong>in</strong>gs wurden Michelangelos<br />

Figuren im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert dann doch so übermalt, dass die Körperlichkeit <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

geriet <strong>und</strong> die Figuren mehr den Moralvorstellungen der Zeit entsprachen.<br />

Quelle: http://www.radiovaticana.org/tedesco/Vatikanlexikon/arte/cappella_sist<strong>in</strong>a_michealangelo.htm [Stand: 14.8.2007].<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 29 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anregungen zur Interpretation <strong>und</strong> zum Weiterdenken:<br />

a. Liste <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Tabelle die Namen der <strong>in</strong> Michelangelos Weltgericht dargestellten<br />

Gestalten auf:<br />

Woran erkennt man sie?<br />

Was hat sie fÉr die Darstellung <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Weltgericht prÇdest<strong>in</strong>iert?<br />

b. Was gab Anlass, das Weltgericht auf die Altarwand zu malen: Zeige die ZeitbezÉge<br />

auf <strong>und</strong> stelle sie <strong>in</strong> grafischer Form dar!<br />

c. JÉngstes Gericht <strong>und</strong> Apokalypse waren zu allen Zeiten beliebte Motive <strong>in</strong> der<br />

Bildenden Kunst:<br />

Suche im Internet nach Bildmaterial <strong>und</strong> lege Dir e<strong>in</strong>e Sammlung von Bildern an,<br />

<strong>in</strong>dem Du sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e von Dir angelegte Tabelle importierst. Versieh jedes Bild mit dem<br />

Namen des KÉnstlers, se<strong>in</strong>er Entstehungszeit <strong>und</strong> der Angabe Éber den Standort.<br />

d. Besonders im Mittelalter, der Zeit der groãen Kathedralen, waren JÉngstes Gericht wie<br />

Apokalypse allgegenwÇrtig. In Anlehnung an die Gotik f<strong>in</strong>den sich Darstellungen des<br />

JÉngsten Gerichtes auch hÇufig <strong>in</strong> der Architektur des Historismus: E<strong>in</strong> bevorzugter<br />

Ort, um auf die Endlichkeit des irdischen Dase<strong>in</strong>s h<strong>in</strong>zuweisen, war etwa das<br />

Tympanonfeld an den Westportalen der (neu)gotischen Kirchen -<br />

Forsche im Umkreis De<strong>in</strong>es Wohnortes nach Darstellungen des Jüngsten Gerichts u.a. Motiven:<br />

Mache Dich mit e<strong>in</strong>er Digitalkamera auf den Weg <strong>und</strong> fotografiere alle Reliefs, Wandfresken,<br />

GemÇlde, Stiche, kurz alle kÉnstlerischen Darstellungen, die Du an Kirchenmauern, <strong>in</strong> Museen,<br />

Galerien, alten BÉchern oder wo auch immer entdeckst, wenn sie e<strong>in</strong>en Bezug zur Thematik der<br />

Schrift De veritate fidei aufweisen. Stelle De<strong>in</strong>e Fotos (Darstellungen der Hl. Dreifaltigkeit, Passion<br />

Christi, des JÉngsten Gerichts u.a.) mit e<strong>in</strong>er kurzen Beschreibung auf die Lernplattform Moodle<br />

<strong>in</strong> die dafÉr vorgesehene Bilddatenbank <strong>in</strong> Thema 12!<br />

Die beigefÉgten Daten sollen auf jeden Fall den „F<strong>und</strong>ort“ be<strong>in</strong>halten: Gib diesen mÜglichst<br />

genau an – <strong>in</strong> folgender Reihenfolge: Ort (Stadt) – Adresse (Straãe, Platz, …) – Bauwerk (Name<br />

der Kirche, des Museums, …). Den exakten Auff<strong>in</strong>dungsort (z.B. Westportal, Tympanonfeld ODER<br />

Raum bzw. Abteilung im Museum plus Inventarnummer kannst Du dann <strong>in</strong> das Feld „Details“<br />

e<strong>in</strong>tragen. Wenn es Dir mÜglich ist, herauszuf<strong>in</strong>den, wann das Kunstwerk entstanden ist oder von<br />

wem es geschaffen wurde (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em KirchenfÉhrer, Museumskatalog o.Ç.), notiere dieses Wissen<br />

im Feld „Beschreibung“.<br />

Auf diese Weise entsteht auf der Lernplattform Moodle e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kunstdatenbank zu<br />

Motiven, die den Bezug der Kursthematik zum realen Umfeld deutlich machen. Die beigefÉgten<br />

Daten machen es dem Kunstfre<strong>und</strong> zudem mÜglich, die hier (quasi <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em virtuellen Museum)<br />

versammelten Kunstwerke <strong>in</strong> natura aufzusuchen <strong>und</strong> zu betrachten.<br />

Kathedrale von León SeelenwÄgung …<br />

Christus als Weltenrichter <strong>und</strong> HÇllenqualen<br />

QUELLE: http://www.rz.uni-karlsruhe.de/~aj04/santiago/leon-kathedrale/kathedrale.htm<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 30 Ä Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anhang II: E<strong>in</strong>ige Koranzitate (aus der Textedition von Hagemann <strong>und</strong> Glei):<br />

… h<strong>in</strong>sichtlich Dreifaltigkeit <strong>und</strong> Gottes Gestalt<br />

Koran 4,171<br />

Glaubt an Gott <strong>und</strong> sagt nicht: Drei! HÄrt auf, das ist besser fÅr euch. Gott ist nur e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>ziger. Gepriesen sei er! (Er ist darÅber erhaben) e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu haben. Ihm gehÄrt<br />

(alles), was im Himmel <strong>und</strong> auf Erden ist, <strong>und</strong> Gott genÅgt als Sachwalter.<br />

Koran 5,73<br />

UnglÇubig s<strong>in</strong>d diejenigen, die sagen: Gott ist e<strong>in</strong>er von dreien. Es gibt ke<strong>in</strong>en Gott<br />

auÉer e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Gott. Und wenn sie mit dem, was sie sagen, nicht aufhÄren, so<br />

wird diejenigen von ihnen, die unglÇubig s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e schmerzhafte Strafe treffen. *<br />

* Diese Invektive richtet sich zwar vorrangig gegen den altarabischen Polytheismus,<br />

er trifft jedoch h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>er Aussage ebenso den christlichen Gottesbegriff.<br />

… h<strong>in</strong>sichtlich Zeugung e<strong>in</strong>es Sohnes<br />

Koran 5,116<br />

Und (dann), wenn Gott sagt: Jesus, Sohn der Maria! Hast du (etwa) zu den Leuten<br />

gesagt: Nehmt euch auÉer Gott mich <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Mutter zu GÄttern? …<br />

Koran 6,101<br />

(Er ist) der SchÄpfer von Himmel <strong>und</strong> Erde. Wie sollte er zu K<strong>in</strong>dern kommen, wo er<br />

doch ke<strong>in</strong>e GefÇhrt<strong>in</strong> hatte (die sie ihm hÇtte zur Welt br<strong>in</strong>gen kÄnnen) <strong>und</strong> (von sich<br />

aus) alles geschaffen hat (was <strong>in</strong> der Welt ist)? Er weiÉ Åber alles Bescheid.<br />

… h<strong>in</strong>sichtlich Kreuzestod Christi<br />

Koran 4,157<br />

[Als Antwort auf die Behauptung der Juden] „Wir haben Christus Jesus, den Sohn<br />

der Maria <strong>und</strong> Gesandten Gottes, getÄtet“ – Aber sie haben ihn (<strong>in</strong> Wirklichkeit) nicht<br />

getÄtet <strong>und</strong> (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (e<strong>in</strong> anderer) Çhnlich<br />

(so dass sie ihn mit Jesus verwechselt <strong>und</strong> tÄteten). Und diejenigen, die Åber ihn<br />

une<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d im Zweifel Åber ihn. Sie haben ke<strong>in</strong> Wissen Åber ihn, gehen<br />

vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getÄtet. Ne<strong>in</strong>,<br />

Gott ist mÇchtig <strong>und</strong> weise.<br />

Weitere BezÅge:<br />

Koran 3,145: Gott habe ihn errettet.<br />

Koran 29,34: E<strong>in</strong> schmachvoller Tod e<strong>in</strong>es Gesandten widerspricht der Ehre Gottes.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 31 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Anhang III: Der Gelehrte Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>in</strong> Wort <strong>und</strong> Bild<br />

Alle D<strong>in</strong>ge werden zu e<strong>in</strong>er Quelle der Lust, wenn man sie liebt.<br />

Das Staunen ist e<strong>in</strong>e Sehnsucht nach Wissen.<br />

Das Ger<strong>in</strong>gste an Erkenntnis, das e<strong>in</strong>er über die erhabensten D<strong>in</strong>ge zu gew<strong>in</strong>nen vermag,<br />

ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen D<strong>in</strong>gen.<br />

Die größte Wohltat, die man e<strong>in</strong>em Menschen erweisen kann, besteht dar<strong>in</strong>,<br />

dass man ihn vom Irrtum zur Wahrheit führt.<br />

Die Vernunft ist dem Menschen Natur.<br />

Was also immer wider die Vernunft ist, das ist wider des Menschen Natur.<br />

Die Rechtheit der Absicht alle<strong>in</strong> macht nicht schon den ganzen guten Willen.<br />

Gutes ohne Böses kann es geben; Böses ohne Gutes aber kann es nicht geben.<br />

Vornehmer als angreifen ist standhalten.<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong>, (1224 - 1274), eigentlich Thomas Aqu<strong>in</strong>as, italienischer Philosoph <strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>ikanerpater<br />

Quelle: http://www.aphorismen.de/<strong>in</strong>dex.php [Stand: 14.8.2007].<br />

Triumph der katholischen Kirche<br />

Personifikation <strong>in</strong> der Gestalt des Hl. Thomas von Aqu<strong>in</strong><br />

Florenz, Santa Maria Novella<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 32 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Nachwort …<br />

a. zum <strong>in</strong>terreligiÖsen Dialog * :<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist zwar nicht gerade der Theologe, der e<strong>in</strong>em als erster <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n kommt,<br />

wenn es um den <strong>in</strong>terreligiÉsen Dialog geht, da er selbst kaum als prof<strong>und</strong>er Kenner des Islam<br />

bezeichnet werden kann. Um so tiefer setzte er sich aber mit dem christlichen Glauben<br />

ause<strong>in</strong>ander, was ihn zum<strong>in</strong>dest befÄhigte, scharfs<strong>in</strong>nig <strong>und</strong> markant die zentralen GegensÄtze<br />

der beiden monotheistischen Religionen nicht nur zu erkennen, sondern auch sachlich <strong>und</strong><br />

sprachlich auf den Punkt zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Was se<strong>in</strong>e Schrift De rationibus fidei besonders auszeichnet, ist die sachliche, nÅchterne <strong>und</strong><br />

geradl<strong>in</strong>ige Interpretation, die, alles NebensÄchliche beiseite lassend, sich auf die wesentlichen<br />

Gedanken beschrÄnkt, diese nach streng logischen Gesichtspunkten ordnet <strong>und</strong> trotz der Tiefe<br />

ihrer BegrÅndung <strong>in</strong> schlichter, klarer, gut verstÄndlicher Sprache zum Ausdruck br<strong>in</strong>gt. So fasst<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> am Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Schrift <strong>in</strong> KÅrze <strong>und</strong> hÉchst prÄzise zusammen, was den<br />

christlichen von dem muslimischen Glauben scheidet, um diese Kerngedanken dann, gleichsam<br />

auf e<strong>in</strong>er Perlenschnur aufgereiht, e<strong>in</strong>zeln <strong>und</strong> systematisch abzuhandeln:<br />

Die Christologie – die Bezeichnung Christi als Sohn Gottes<br />

Die Tr<strong>in</strong>itÄtslehre – die E<strong>in</strong>heit von Gott-Vater, Sohn <strong>und</strong> Heiliger Geist<br />

Die Soterologie – die ErlÉsung der Menschheit durch den Kreuzestod Christi<br />

Die Transsubstantiationslehre – das Geheimnis des Sakraments der Eucharistie<br />

Die Eschatologie – die Existenz des Fegefeuers zur Re<strong>in</strong>igung der Seelen nach dem Tod<br />

Die PrÄdest<strong>in</strong>ation – der Widerspruch zwischen der Willensfreiheit des Menschen <strong>und</strong><br />

der gÉttlichen Vorsehung<br />

Die signifikante Gliederung, die kompakte Darstellung der KonfliktgrÅnde, wobei jeder<br />

Gedanke als geschlossenes Ganzes abgehandelt wird, die stilistische <strong>und</strong> methodische<br />

Orientierung an dem unverkennbar hervorleuchtenden Vorbild, Aristoteles, heben Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> von den zahlreichen anderen mittelalterlichen Autoren, die sich dem Thema der<br />

GlaubensgegensÄtze widmeten, deutlich <strong>und</strong> wohltuend ab.<br />

KÅrze <strong>und</strong> PrÄgnanz der GedankenfÅhrung resultieren wohl auch daraus, dass es sich bei dieser<br />

Schrift nicht im eigentlichen S<strong>in</strong>ne um e<strong>in</strong>e gelehrte Darstellung aller AusfÅhrlichkeit handelt,<br />

sondern um e<strong>in</strong> Reskript auf Fragen e<strong>in</strong>es nicht nÄher bezeichneten „Cantor Antiochenus“, der<br />

Ordensbruder oder Bischof gewesen se<strong>in</strong> kÉnnte. Thomas von Aqu<strong>in</strong> kam, wie es sche<strong>in</strong>t, der<br />

Bitte nach, e<strong>in</strong>en Ratsuchenden <strong>in</strong> der Apologie des Christentums gegenÅber dem Islam zu<br />

<strong>in</strong>struieren. Im Sprachgebrauch des angebrochenen 21. Jahrh<strong>und</strong>erts wÅrde man den<br />

mittelalterlichen Gelehrten am ehesten als Coach bezeichnen, der e<strong>in</strong>en sich unsicher fÅhlenden<br />

Priester <strong>in</strong> der ErfÅllung se<strong>in</strong>er seelsorglichen Pflichten unterstÅtzen will. Er tut dies, <strong>in</strong>dem er<br />

ihm e<strong>in</strong> praktisches Werkzeug an die Hand gibt, das den, der es gebraucht, fÅr den Alltag rÅstet.<br />

Durch die schriftliche Abfassung <strong>und</strong> kompakte Aufbereitung der Thematik kÉnnte man <strong>in</strong> der<br />

Schrift daher ebenso e<strong>in</strong> Handbüchle<strong>in</strong> erkennen, das jedem „guten Hirten“, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Geme<strong>in</strong>de nicht nur mit Christen zu tun hatte, nÅtzliche Dienste zu leisten vermochte.<br />

* Die Darstellung basiert im Wesentlichen auf der kommentierten Textausgabe von Ludwig Hagemann <strong>und</strong><br />

Re<strong>in</strong>hold Glei (1987).<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 33 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Nun ist gerade letzterer Gedanke e<strong>in</strong>es „Pocket-Ratgebers“ nicht so abwegig, wie der moderne<br />

Begriff vermuten lassen wÅrde. Thomas von Aqu<strong>in</strong> war Dom<strong>in</strong>ikaner, gehÉrte also e<strong>in</strong>em jener<br />

beiden Ordensgeme<strong>in</strong>schaften an, die <strong>in</strong> den Wirren christlicher Verirrungen, zurÅckzufÅhren<br />

auf den zunehmenden Machtanspruch der Kirche mit e<strong>in</strong>hergehender Verweltlichung <strong>und</strong><br />

Verlagerung der Ziele, weg von der Seelsorge h<strong>in</strong> zu prunkvoller ReprÄsentation, Åppiger<br />

LebensfÅhrung <strong>und</strong> Auskosten der erreichten sozialen Position, im europÄischen Mittelalter<br />

unter der Bezeichnung „Bettelorden“ entstanden waren <strong>und</strong> sich seit Beg<strong>in</strong>n des 13.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts fÅr missionarische Aufgaben zu <strong>in</strong>teressieren begannen.<br />

Wer der Adressat der diesem Skriptum zugr<strong>und</strong>e gelegten Schrift war, ist daher nicht wirklich<br />

<strong>in</strong>teressant. Dieselbe, hier <strong>in</strong> ÄuÇerster KÅrze abgehandelte, Thematik war von Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> schon um e<strong>in</strong>iges ausfÅhrlicher, wohl aber auch <strong>in</strong>folge der Wissenschaftlichkeit (e<strong>in</strong>e<br />

enorme Breite sowie auf Vollkommenheit h<strong>in</strong>zielende TiefgrÅndigkeit der Behandlung<br />

bed<strong>in</strong>gend) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fÅr den tÄglichen Gebrauch schwer zugÄnglichen Form, <strong>in</strong> dem<br />

umfangreichen theologischen Werk der Summa contra Gentiles erÉrtert worden. Die Abfassung<br />

der kle<strong>in</strong>en, handlichen Schrift dÅrfte bald nach, jedenfalls nicht vor dem GroÇwerk erfolgt se<strong>in</strong>,<br />

da Thomas von Aqu<strong>in</strong> an mehreren Stellen auf die ausfÅhrliche Darstellung verweist. Handelt es<br />

sich bei dem wesentlich kle<strong>in</strong>eren Opusculum vielleicht Åberhaupt um die Kurzfassung, modern<br />

gesprochen e<strong>in</strong>e Art „Studienausgabe“ fÅr den beruflichen Alltag, gewidmet dem tÄtigen<br />

Priester, dem im entscheidenden Moment die Zeit fehlte, das komplexe wissenschaftliche Werk<br />

zu studieren?<br />

Die Frage, ob es sich beim „Cantor Antiochenus“ um e<strong>in</strong>e historische PersÉnlichkeit handelt,<br />

sche<strong>in</strong>t mir daher nicht wirklich von Bedeutung zu se<strong>in</strong>. * Anfragen <strong>und</strong> Ñberlegungen, wie man<br />

AndersglÄubigen erfolgreich begegnen kann, s<strong>in</strong>d schlieÇlich fÅr e<strong>in</strong>en Missionsorden<br />

allgegenwÄrtig. Auf das Konto von Thomas von Aqu<strong>in</strong> gehen neben den beiden mehrbÄndigen<br />

Hauptwerken der Summa theologiae <strong>und</strong> der Summa contra Gentiles sowie e<strong>in</strong>igen anderen<br />

wissenschaftlichen Abhandlungen zahlreiche kle<strong>in</strong>ere Lehr- <strong>und</strong> StudienbÅcher. Der<br />

Dom<strong>in</strong>ikanerorden entwickelte nicht zuletzt gerade durch Thomas von Aqu<strong>in</strong> - aber auch durch<br />

dessen Lehrer Albertus Magnus - e<strong>in</strong>em Åberaus aktiven Schulbetrieb, der e<strong>in</strong>e solche<br />

Vermutung nahe liegend macht.<br />

Mit dem Auftreten der Dom<strong>in</strong>ikaner erfuhr zugleich auch die Art der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

dem Islam e<strong>in</strong>e entscheidende Wende: War die erste Phase der Begegnung zwischen Christen<br />

<strong>und</strong> Muslimen von gegenseitiger Ignoranz, Verachtung wie spÉttischer Polemik geprÄgt, so<br />

entwickelte sich nun e<strong>in</strong>e gehobene, nahezu wissenschaftliche Kontroverse, getragen von dem<br />

Bestreben der neu auftretenden Missionare, nicht ab- <strong>und</strong> auszugrenzen, sondern mit den<br />

AndersglÄubigen <strong>in</strong> Dialog zu treten, den Gesprächspartner mit den Mitteln der<br />

theologischen Argumentation von der Wahrheit des christlichen Standpunktes zu<br />

überzeugen. Das setzte freilich e<strong>in</strong>e subtile theologische Bildung, weiters die Kenntnis der<br />

eigenen wie der fremden Sprache, schlieÇlich e<strong>in</strong>en Kommunikationsstil voraus, der den Disput<br />

auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tellektuell hohen Niveau ermÉglichte. Den Dom<strong>in</strong>ikanern gelang dies durch<br />

GrÅndung eigener Sprachschulen. Damit ergibt sich e<strong>in</strong> recht gutes Bild des geistig-kulturellen<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>es, vor dem die Abhandlung De rationibus fidei entstanden ist.<br />

* Der Verdacht, dass es sich bei der Widmung an den so genannten Cantor Antiochenus um e<strong>in</strong>en anonymen<br />

Adressaten handeln kÉnnte, der als Stellvertreter fÅr den missionarisch tÄtigen Priester schlechth<strong>in</strong> fungiert, ist<br />

persÉnliche Interpretation des Skript-Verfassers.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 34 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

b. zur didaktischen Zielsetzung:<br />

Gerade die Geisteswelt, <strong>in</strong> welche die vorliegende Schrift e<strong>in</strong>gebettet ist, lässt die Lektüre<br />

des mittelalterlichen Autors vom gegenwärtigen Standpunkt aus <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht<br />

lohnenswert ersche<strong>in</strong>en:<br />

Die Begegnung zwischen Christentum <strong>und</strong> Islam erfährt zum Anbruch des dritten<br />

Jahrtausends e<strong>in</strong>e Intensivierung, deren Höhepunkt sicher erst bevorsteht. Hier kann das<br />

Aufspüren von Reibungsflächen <strong>in</strong> thematischer H<strong>in</strong>sicht, vor allem aber das Reflektieren<br />

der Kommunikationsstrukturen das Wahrnehmungsvermögen sensibilisieren.<br />

So wie im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert ist auch heute die Kontroverse von zwei Faktoren geprägt: Im<br />

Vordergr<strong>und</strong> steht e<strong>in</strong>e stark auf Polemik <strong>und</strong> Vorurteilen beruhende Ablehnung der<br />

jeweils anderen Glaubensgeme<strong>in</strong>schaft, die gar nicht so sehr auf die Glaubensgr<strong>und</strong>züge<br />

abzielt, sondern e<strong>in</strong> Ventil öffnet für die Kompensation nicht bewusster oder gesellschaftlich<br />

tabuisierter Ängste. Manifest wird dieses Verhalten vor allem im Alltag, im<br />

Aufe<strong>in</strong>andertreffen sche<strong>in</strong>bar verfe<strong>in</strong>deter Glaubensbrüder, <strong>in</strong> Wirklichkeit aber eher<br />

dissozierter Menschen im sozioökonomischen Umfeld. Ihre unreflektierten Gedanken bis<br />

h<strong>in</strong> zu Hassparolen machen sich populistisch agierende Politiker hier wie radikale<br />

F<strong>und</strong>amentalisten dort zu eigen, da die Mehrheit der Bevölkerung dafür empfänglicher ist<br />

als für die differenzierte, für den E<strong>in</strong>zelnen oft nicht nachvollziehbare, da sehr komplexe<br />

Argumentation.<br />

Organisationen <strong>und</strong> Personen, die gesellschaftliche Verantwortung tragen oder kirchliche<br />

Funktionen besetzen, erkennen dagegen sehr wohl die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er echten, von<br />

Sachkenntnissen geprägten Debatte. Folglich machen sie sich (wie Thomas von Aqu<strong>in</strong>) für<br />

die Auflösung der kulturbed<strong>in</strong>gten Widersprüche auf <strong>in</strong>tellektueller Ebene stark. Der<br />

<strong>in</strong> Österreich zur Zeit heftig geführte Streit um Gesamtschule, E<strong>in</strong>wanderungsbeschränkung<br />

<strong>und</strong> Bildungsoffensive für sozial Benachteiligte legt davon e<strong>in</strong> beredtes<br />

Zeugnis ab. Wie die Jugendlichen-Krawalle <strong>und</strong> Studentenunruhen <strong>in</strong> Frankreich vor gut<br />

e<strong>in</strong>em Jahr zeigten, handelt es sich bei diesem Phänomen nicht so sehr um e<strong>in</strong> die gesamte<br />

Gesellschaft erfassendes, sondern e<strong>in</strong> gewisse Regionen betreffendes, dort aber immer<br />

dr<strong>in</strong>glicher werdendes Integrationsproblem, das nach e<strong>in</strong>er Mission verlangt, der es gel<strong>in</strong>gt<br />

durch das Nom<strong>in</strong>ieren von Werten Identifikationsmöglichkeiten zu stiften.<br />

Jedoch auch die gesamteuropäische Politik begegnet der latenten, allgegenwärtigen Gefahr<br />

des Terrorismus durch verstärktes Bemühen um e<strong>in</strong>e differenzierte Kontroverse auf<br />

kommunikativer <strong>und</strong> sachlich f<strong>und</strong>ierter Ebene. Man hat heute wie damals zu Beg<strong>in</strong>n<br />

des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts erkannt, dass man mit Verachtung <strong>und</strong> negierender Ignoranz, ebenso<br />

wenig mit re<strong>in</strong> politischer (e<strong>in</strong>schließlich militärischer) Agitation den Konflikt zwischen<br />

den Religionen, der sich auf gesellschaftlich-politischer Ebene manifestiert <strong>und</strong> im<br />

Religiösen lediglich se<strong>in</strong>en nach außen besser zu kommunizierenden Meta-Identifikationspunkt<br />

hat, weder lösen noch vermeiden kann.<br />

Die gegenwärtige Weltlage der globalisierten Wirtschaft schuf vielmehr e<strong>in</strong>e derartige<br />

Verflechtung sozioökonomischer Bed<strong>in</strong>gungen, dass die Politik der gegenseitigen Abkehr<br />

wie Missachtung der <strong>in</strong> Glaubensaspekten nur f<strong>und</strong>ierten Differenzen sogar e<strong>in</strong><br />

zusätzliches Konfliktpotential darstellt, was spätestens seit dem 11. September 2001 <strong>in</strong><br />

das Bewusstse<strong>in</strong> der breiten Öffentlichkeit trat.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 35 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Seitdem mutierte - vÉllig unbeabsichtigt (<strong>und</strong> daher auch nicht bewusst wahrgenommen) -<br />

<strong>in</strong> den westlichen Industrienationen die Religion, die <strong>in</strong>folge der AufklÄrung kont<strong>in</strong>uierlich<br />

aus der Politik ausgeklammert worden war <strong>und</strong> nur mehr Randersche<strong>in</strong>ung der Privatheit<br />

menschlichen Lebens zu se<strong>in</strong> schien, versteckt oder offen zum Impulsgeber politischer<br />

Agitationen. Versteckt fungiert sie dort, wo sie <strong>in</strong> Form von „Kle<strong>in</strong>kriegen“ wie Kopftuchstreit,<br />

Kulturkampf oder Bildungsdebatte im Untergr<strong>und</strong> dah<strong>in</strong>brodelt, ohne die Weltpolitik<br />

zu prÄgen, dafÅr um so mehr mediale Aufmerksamkeit <strong>und</strong> politische KrÄfte im<br />

realen Umfeld an sich b<strong>in</strong>dend (Asylpolitik, Umgang mit Fremden, Wohn- <strong>und</strong> Sozialpolitik,<br />

Sprach- <strong>und</strong> Kulturpolitik). Offen tritt sie dort zutage, wo die Religion wie <strong>in</strong> den<br />

Vere<strong>in</strong>igten Staaten wieder zu e<strong>in</strong>er maÅgeblichen Komponente politischer Willensbildung<br />

gerÄt <strong>und</strong> religiÉse KrÄfte ursprÅnglich politisch (z.B. TerritorialansprÅche) oder<br />

Ékonomisch (Kampf um Ressourcen wie ErdÉl u.a.) bed<strong>in</strong>gte Konfliktpotentiale verdrÄngen<br />

beziehungsweise besetzen (Krisenherde <strong>in</strong> Afghanistan, Irak, Iran, …).<br />

Zu letzterem trÄgt nicht wenig das Schwarz-WeiÅ-Denken bei. Dieses zeichnet<br />

depravierte Demokratien gleichermaÇen aus wie Diktaturen. Die Ursache ist <strong>in</strong> beiden<br />

Staatsformen e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dieselbe, bloÇ <strong>in</strong> den Entstehungsfaktoren liegt die unterschiedliche<br />

Nuancierung. In der Demokratie hat die Delegierung von Entscheidungsgewalt nach unten<br />

(wobei Åber die BefÄhigung der VerantwortungstrÄger zugleich von unten bef<strong>und</strong>en wird),<br />

bei s<strong>in</strong>kendem Bildungsbewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>pendeln der Anspruchslimits auf ger<strong>in</strong>gem<br />

Niveau zur Folge, was e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschrÄnkte Wahrnehmung komplexer Faktoren, e<strong>in</strong>e<br />

vere<strong>in</strong>fachende, auf Schlagworte reduzierende Sprache, schlieÇlich die F<strong>und</strong>amentalisierung<br />

der Interessenspolitik <strong>und</strong> Radikalisierung ihrer AnhÄnger zur Folge hat. In<br />

Autokratien dagegen ist der f<strong>und</strong>amentale <strong>und</strong> radikale Fanatismus auf das <strong>in</strong>folge<br />

ausgeprÄgter hierarchischer Struktur konstant niedrige Bildungsniveau der BevÉlkerungsmehrheit<br />

zurÅckzufÅhren. In beiden Staatsformen s<strong>in</strong>d Argumente sowie daraus resultierende<br />

politische MaÇnahmen umso leichter vor der Allgeme<strong>in</strong>heit beziehungsweise vor<br />

dem Volk zu vertreten, je weniger komplex sie begrÅndet <strong>und</strong> je verallgeme<strong>in</strong>ernder sie<br />

dargestellt werden.<br />

Wer aufmerksam die Argumentation des amerikanischen PrÄsidenten George W. Bush<br />

verfolgt, fÅhlt sich daran er<strong>in</strong>nert, dass gerade diese God–Devil-Antithese e<strong>in</strong>e zutiefst<br />

f<strong>und</strong>amentalistische, zum (pseudo)religiÉsen Fanatismus h<strong>in</strong>tendierende Denkweise verrÄt,<br />

die im mittelalterlichen Himmel-HÉlle-Dualismus ihre Entsprechung hat.<br />

Weshalb der Glaubenskonflikt <strong>in</strong> den westlichen Demokratien e<strong>in</strong>e so dom<strong>in</strong>ante Position<br />

(im meist medial bestimmten) Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>nimmt, selbst dort wo er <strong>in</strong> der Tagespolitik<br />

<strong>und</strong> erst recht <strong>in</strong> der gehobenen Politik <strong>in</strong> der Tat nur e<strong>in</strong> Schattendase<strong>in</strong> fÅhrt, liegt<br />

vielmehr dar<strong>in</strong>, dass sich <strong>in</strong> ihm politische, gesellschaftliche wie Ékonomische<br />

GegensÄtze der gegenwÄrtigen Welt spiegeln <strong>und</strong> sich hier wie nirgendwo sonst manifest<br />

machen lassen. Dies deshalb, weil sie im Vokabular <strong>und</strong> den sprachlichen Mustern<br />

bereits vorgeprÄgt s<strong>in</strong>d, wÄhrend die sprachlichen „Werkzeuge“ - also Begriffe, Denkbzw.<br />

Kommunikationsmuster - im eigentlichen Konfliktfeld (Kapitalisierung der Welt,<br />

Globalisierung <strong>in</strong>dividueller <strong>und</strong> âkonomisierung ideeller Werte) noch weitgehend fehlen.<br />

In der Sprache liegt jedoch die Vorstufe des Denkens. Sprachbewusstse<strong>in</strong> ist das<br />

F<strong>und</strong>ament der Geisteshaltung, weil nur das, was sprachlich erfasst wird, <strong>in</strong> das<br />

Bewusstse<strong>in</strong> dr<strong>in</strong>gen kann. Erst auf dieser Ebene ist es dem Denken, <strong>in</strong> weiterer Folge der<br />

rationalen Aufarbeitung zugÄnglich, die wiederum Voraussetzung fÑr e<strong>in</strong>e angemessene<br />

KonfliktlÉsung ist, so diese nicht auf angeborene (nonverbale), also aggressive Verhaltensweisen<br />

setzt: Wo nicht diskutiert wird, sprechen die FÄuste.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 36 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

c. zum Argumentationsstil:<br />

Im letzten Punkt der didaktischen Zielsetzungen schließt sich abermals der Bogen vom 21.<br />

zum 13. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> von Thomas von Aqu<strong>in</strong> zur Gegenwart: War es doch gerade jener<br />

Scholastiker, der e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung des religiÉsen Zwiespaltes<br />

(Åbrigens mit e<strong>in</strong>er beachtlichen politischen <strong>und</strong> Ékonomischen Dimension, die der heutigen<br />

unter BerÅcksichtigung der ProportionaliÄt <strong>in</strong> nichts nachsteht) auf sprachlicher <strong>und</strong> damit auf<br />

<strong>in</strong>tellektueller Ebene leistete.<br />

Das Mittelalter pochte im Wesentlichen auf Autoritäten. Sie spielen heute ebenso e<strong>in</strong>e Rolle, <strong>in</strong><br />

politischen wie <strong>in</strong> religiÉsen Fragen. Besonders im Islam (im Westen bekannt s<strong>in</strong>d vor allem<br />

jene FÅhrer wie Osama b<strong>in</strong> Laden, die den Terror organisieren), aber auch <strong>in</strong> den Demokratien<br />

Europas ist e<strong>in</strong> im Keim vorhandener Personenkult nicht zu Åbersehen: Charismatische PersÉnlichkeiten<br />

wie der jÅngst <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Amt gewÄhlte franzÉsische PrÄsident Nicolas Sarkozy, aber<br />

auch der vor kurzem abgetretene britische Premierm<strong>in</strong>ister Tony Blair oder vor wenigen Jahren<br />

der deutsche B<strong>und</strong>eskanzler Helmut Kohl, noch vor ihm Franäois Mitterrand <strong>in</strong> Frankreich, erst<br />

recht der âsterreicher Bruno Kreisky, der nicht nur wÄhrend se<strong>in</strong>er Kanzlerschaft 1970-1983<br />

Åber Jahrzehnte die sozialdemokratische <strong>und</strong> gesamtÉsterreichische Politik prÄgte, machen dies<br />

deutlich. Politiker von diesem Format stechen spielend ihre Parteien sowie deren ideologischen<br />

Backgro<strong>und</strong>. Insbesondere <strong>in</strong> Zeiten sich auflÉsender Strukturen <strong>und</strong> zerbrechender Ordnungssysteme,<br />

dort wo ke<strong>in</strong> Berufen auf GesetzbÅcher <strong>und</strong> sittliche Normen mÉglich ist, gew<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />

Ermangelung e<strong>in</strong>er statischen Absicherung (auch BrÄuche, die sich <strong>in</strong> Kulthandlugen, Riten <strong>und</strong><br />

Gewohnheiten manifestieren, s<strong>in</strong>d gleich den schriftlich fixierten Gesetzen e<strong>in</strong>e quasi materielle<br />

StÅtze) Namen <strong>und</strong> Personen als dynamische Reflexionsbasis zunehmende Bedeutung.<br />

Was GlaubensautoritÄten betrifft, reicht dem Christen e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf die Heilige Schrift, um<br />

e<strong>in</strong>en Gedanken absolut zu setzen. Dort, wo die Bibel ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutigen Schluss zulÄsst, treten<br />

an ihre Stelle (<strong>in</strong> der katholischen Kirche) die KirchenvÄter <strong>und</strong> groÇe Kirchengelehrte, die im<br />

Laufe des 10.-13. Jahrh<strong>und</strong>erts immer stÄrker kanonisiert wurden. Durch die unter Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> zum HÉhepunkt gelangte Scholastik reifte die erstarrte <strong>und</strong> verkrustete Bibelexegese zum<br />

unangreifbaren Dogma. Nicht anders verhÄlt es sich heute mit jenem Katalog von Rechten <strong>und</strong><br />

Freiheiten, der im Jahrh<strong>und</strong>erte dauernden Kampf von e<strong>in</strong>em liberal gestimmten BÅrgertum<br />

sukzessive erstritten wurde. An der Wende zum dritten Jahrtausend verkrustete diese<br />

Manifestation e<strong>in</strong>es gelebten Humanismus zu e<strong>in</strong>em Normenkatalog, der heute re<strong>in</strong> materiellen<br />

Wert zu besitzen sche<strong>in</strong>t: Jedermann beruft sich zwar darauf, doch, dass man Werte nur Åben<br />

kann, ist kaum jemandem gegenwÄrtig. Wie sich der Glaube von der SpiritualitÄt nÄhrt, so leben<br />

die Menschenrechte von ihrer Verwirklichung im Handlungsgeschehen. Andernfalls laufen sie<br />

Gefahr – man kann es tÄglich beobachten – im Streit um juristische Spitzf<strong>in</strong>digkeiten<br />

ause<strong>in</strong>ander genommen <strong>und</strong>, losgelÉst von ihrer philosophischen Basis, im Reibungsprozess der<br />

Handlungspraxis bis zu ihrem gÄnzlichen Verschw<strong>in</strong>den fragmentiert zu werden. Ist doch das<br />

geistesgeschichtliche F<strong>und</strong>ament, die Antriebskraft der aufgeklÄrten Philosophie, <strong>in</strong>sbesondere<br />

der jungen Generation (nicht zuletzt <strong>in</strong>folge der âkonomisierung der Bildungswerte) so gut wie<br />

ke<strong>in</strong> Begriff mehr. Wer BÅrger- <strong>und</strong> Menschenrechte jedoch nicht (gleich dem Glauben im<br />

heilsgeschichtlichen) im entwicklungsgeschichtlichen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erdet, erliegt der Versuchung,<br />

sie nach GutdÅnken <strong>und</strong> zweckentfremdet auszulegen, Ähnlich den PharisÄern <strong>und</strong> streng<br />

glÄubigen Bibelexegeten, die nicht der im Abstrakten des Guten grÅndenden Idee, sondern der<br />

Herrschaft, Macht <strong>und</strong> der mit ihrer Hilfe zu gew<strong>in</strong>nenden irdischen GÅter <strong>und</strong> AnsprÅche<br />

wegen, ihre Geltung <strong>in</strong>s Treffen fÅhrten.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 37 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> – obgleich F<strong>und</strong>ament der katholischen Dogmatik – war selbst nie<br />

Dogmatiker im S<strong>in</strong>ne dieses starren F<strong>und</strong>amentalismus, vielmehr Aufklärer im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

rationalen Welterklärung wie sie die AnfÄnge der bÅrgerlichen Philosophie <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

suchte, noch unbehelligt vom DÅnkel der absoluten Unfehlbarkeit des menschlichen Verstandes.<br />

Besonders deutlich wird dieser Ansatz e<strong>in</strong>er rationalistischen ErklÄrung dort, wo bisher die<br />

unreflektierte (e<strong>in</strong>en Mythos spiegelnde) Auffassung vorherrschte, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rechtfertigung<br />

christlicher Standpunkte gegenÅber AndersglÄubigen: Nirgendwo pocht er mit erhabener, auf die<br />

UnglÄubigen herabschauender Miene auf die Absolutheit se<strong>in</strong>es Standpunktes, stets beschrÄnkt<br />

er sich darauf, kraft Gebrauch des menschlichen Verstandes die Zweifel auszurÄumen <strong>und</strong> die<br />

PlausibilitÄt der christlichen Lehre zu bek<strong>und</strong>en. Abgesehen von dem Kapitel Åber die VorhÉlle,<br />

<strong>in</strong> dem er mit andersglÄubigen Christen <strong>in</strong> den Disput tritt, verzichtet er ausnahmslos auf jede<br />

Berufung auf AutoritÄten, vertraut vielmehr ausschlieÇlich der Vernunft, <strong>in</strong> der Gewissheit, dass<br />

selbst der UnglÄubige die Autorität des menschlichen Geistes nicht anzweifeln kann.<br />

In der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Muslimen war nicht zuletzt die Berufung auf das christliche<br />

Glaubensf<strong>und</strong>ament fruchtlos, da jene weder die Evangelien noch deren Auslegung durch<br />

anerkannte KirchenmÄnner als AutoritÄt akzeptieren konnten. Wenig Åberraschend hatten<br />

Christen daher zuvor erst gar nicht erst den Versuch unternommen, sich den Glaubensfe<strong>in</strong>den zu<br />

erklÄren. Das Beharren auf eigenen Standpunkten ist zwar bequem, jedoch <strong>in</strong> vielen Lebenslagen<br />

vÉllig wirkungslos. Wer die „Sarazenen“ nicht bloÇ mied, sie alle<strong>in</strong> mit Waffengewalt zu<br />

bezw<strong>in</strong>gen oder zu vertreiben suchte – die KreuzzÅge hatten die EuropÄer gelehrt, dass dies nur<br />

bed<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> nicht auf Dauer von Erfolg se<strong>in</strong> kann –, musste sich e<strong>in</strong>er auch Nicht-Christen<br />

zugänglichen Kommunikationsbasis bedienen. Diese konnte alle<strong>in</strong>e auf rationalen, also der<br />

menschlichen Vernunft e<strong>in</strong>sichtigen, Kriterien beruhen. Genau an diesem Punkt setzt die Schrift<br />

De rationibus fidei an.<br />

Wie effektvoll wÄre eben diese Art der Selbstdarstellung <strong>in</strong> der heutigen Zeit! Die FragilitÄt<br />

unserer hoch technisierten Welt dr<strong>in</strong>gt uns immer mehr <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> – dort, wo die<br />

verme<strong>in</strong>tliche Sicherheit, die sich im Wesentlichen auf technische Ñberlegenheit stÅtzt, durch<br />

Gewalt <strong>in</strong> Frage gestellt <strong>und</strong> erst recht mit den Mitteln des Terrorismus auÇer Kraft gesetzt wird.<br />

Gegen diese f<strong>und</strong>amentalen KrÄfte nehmen sich die Gesetze des Kapitalismus <strong>und</strong> die gelehrten<br />

Worte kapitalistischer âkonomen ebenso wirkungslos aus, wie se<strong>in</strong>erzeit die BibelsprÅche <strong>und</strong><br />

Kirchenlehrerzitate gegen die Glaubenskrieger aus dem islamisierten Osten. Das Empire-State-<br />

Build<strong>in</strong>g als Symbol der kommerziellen Weltherrschaft noch e<strong>in</strong> paar Meter hÉher zu bauen, ist<br />

nicht im Ger<strong>in</strong>gsten effektvoller als das Streben mittelalterlicher Bauherrn, die Kathedralen noch<br />

hÉher <strong>in</strong> den Himmel wachsen zu lassen. Es zeugt hÉchstens von e<strong>in</strong>em vom Menschen<br />

abgehobenen Gigantismus, damals dem Gottesbild e<strong>in</strong>er ÅbermÄchtigen Kirche, heute dem alles<br />

beherrschenden Kapitalmarkt huldigend.<br />

Noch schlimmer ist alle<strong>in</strong> die Situation dort, wo die ideellen humanistischen Gedanken gepaart<br />

mit re<strong>in</strong> Ékonomischen Zielsetzungen auftreten, gerÄt doch das Ideelle dann zu e<strong>in</strong>em bloÇen<br />

Lippenbekenntnis, zur leeren propagandistischen Rechtfertigung im Dienste e<strong>in</strong>er verantwortungslosen<br />

Machtpolitik. Ihr Pendant f<strong>in</strong>den die nichtigen Parolen, die den Menschenrechtsgedanken<br />

gleich e<strong>in</strong>er Halluz<strong>in</strong>ation nur vorspiegeln, <strong>in</strong> den mediÄvistischen Aufrufen zu<br />

den KreuzzÅgen, die nur der Wirkung auf den e<strong>in</strong>fachen Mann wegen im Namen Gottes<br />

stattfanden, <strong>in</strong> Wahrheit jedoch Strategie <strong>und</strong> Weg e<strong>in</strong>es mit dem Kaiser <strong>und</strong> der weltlichen<br />

Macht ausgetragenen Wettr<strong>in</strong>gens um Herrschaft <strong>und</strong> Bevorm<strong>und</strong>ung war. HÄtte man tatsÄchlich<br />

die Route <strong>in</strong>s Heilige Land <strong>und</strong> den Zugang zu den christlichen KultstÄtten sichern wollen, wÄre<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 38 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

es mit groÇer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit zielfÅhrender gewesen, sich der Strategie e<strong>in</strong>e Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> zu bedienen, was nichts anderes bedeutet hÄtte, als den Dialog zu beg<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> sich auf<br />

die geme<strong>in</strong>samen Glaubensparameter zu bes<strong>in</strong>nen. Nicht anders sieht sich die Gesellschaft am<br />

Anbruch des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts gezwungen, auf e<strong>in</strong>e ebensolche rationalistische Methode die<br />

Åbrige Welt (demokratische „HÄretiker“ wie autoritÄr Denkende) von der Richtigkeit des<br />

aufgeklÄrten politischen Systems als „wahres Heil“ fÅr die Menschen zu Åberzeugen, im S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong>es ideellen Wahrheitsanspruches, der an die Stelle des materiellen Anspruches auf die<br />

Welt(vor)herrschaft tritt.<br />

Dass Thomas von Aqu<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>eswegs nur unchristlichen Muslime im Auge hatte, sondern<br />

pr<strong>in</strong>zipiell AndersglÄubige, d.h. auch abtrÅnnige Christen, die sich nicht der kanonisierten<br />

rÉmischen, also der katholischen Lehre anschlossen, macht der Verweis auf die christlichen<br />

HÄretiker (Text 8) augenfÄllig. Umso mehr darf das apologetische Opusculum des berÅhmten<br />

Scholastikers als allgeme<strong>in</strong>e Handreichung fÅr den missionarisch TÄtigen aufgefasst werden.<br />

E<strong>in</strong>es Ähnlichen missionarischen Konzeptes bedÅrften wir heute, nicht ausschlieÇlich im<br />

Umgang mit der islamisierten BevÉlkerung <strong>und</strong> dem religiÉs-politischen F<strong>und</strong>amentalismus,<br />

sondern nichts desto weniger <strong>in</strong> der Begegnung mit destabilisierten, immer offener zur Gewalt<br />

neigenden Jugendlichen <strong>und</strong> Aussteigern aus unserer - alle<strong>in</strong> bei Beuteilung nach<br />

marktwirtschaftlichen Kriterien – als „heil“ empf<strong>und</strong>enen Welt.<br />

Das Kapitel Åber das Fegefeuer (Text 8) zeigt dagegen im besonderen MaÇe, wie souverÄn<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> Argumentationsmethoden verwendet: Er durchbricht hier, e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal<br />

<strong>in</strong> der gesamten Schrift, das Konzept der re<strong>in</strong> philosophischen Argumentation, <strong>in</strong>dem er auf<br />

Schriftbeweise zurÅckgreift. Dass hier andere Adressaten, christliche HÄretiker, angesprochen<br />

s<strong>in</strong>d, ist die schlÅssige BegrÅndung, da es sich um e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerchristliche Debatte handelte:<br />

Wenn es nur das Paradies fÅr die absolut Re<strong>in</strong>en <strong>und</strong> die HÉlle als Kontrapunkt gibt, <strong>in</strong> der die<br />

Ruchlosen der ewigen Verdammnis verfallen s<strong>in</strong>d, was passiert dann mit all denjenen, die<br />

verzeihliche SÅnden begangen haben? Die Vorstellung e<strong>in</strong>er zeitlich begrenzten Strafe <strong>in</strong> der<br />

Form e<strong>in</strong>es re<strong>in</strong>igenden Fegefeuers ist logische Konsequenz, bis heute aber umstrittene<br />

Quellen<strong>in</strong>terpretation. Da die Annahme des Purgatoriums auf Endzeitvorstellungen aus der<br />

Apokalypse beruht, kann Thomas von Aqu<strong>in</strong> wieder auf die bewÄhrte Methode der<br />

Sprachreflexion zurÅckgreifen: Der „Tag des Herrn“ mÅsse nicht unbed<strong>in</strong>gt den Tag des<br />

Weltengerichts, also die Endzeit, den Weltuntergang me<strong>in</strong>en. Auch der <strong>in</strong>dividuelle Todestag<br />

e<strong>in</strong>es Menschen kÉnne so bezeichnet werden, an dem jeder E<strong>in</strong>zelne vor das gÉttliche Gericht<br />

treten <strong>und</strong> sich vor Christus als Richter verantworten muss. Somit steht das Feuer, <strong>in</strong> dem sich<br />

„der Tag des Herrn“ offenbaren werde, e<strong>in</strong>mal fÅr den apokalyptischen Weltuntergang <strong>und</strong><br />

bezeichnet das andere Mal das den sÅndigen Menschen nach se<strong>in</strong>em Tode erwartende Fegefeuer.<br />

Alle<strong>in</strong> jene, die an überhaupt nichts glauben, s<strong>in</strong>d aus der Verteidigungsschrift ausgenommen.<br />

Ihre Kritik setzt viel f<strong>und</strong>amentaler an. Wer nicht an die Existenz irgende<strong>in</strong>es Gottes<br />

(gleichgÅltig welches Gottes) glaubt, kann sich <strong>in</strong> der Argumentation nicht auf Wirkpr<strong>in</strong>zipien<br />

wie die gÉttliche Allmacht (Text 7, ã67) berufen. Hier werden Pr<strong>in</strong>zipien <strong>in</strong> Zweifel gezogen,<br />

die e<strong>in</strong>em AndersglÄubigen, sei er nun christlicher HÄretiker oder sei er muslimischer<br />

Koranexeget, f<strong>und</strong>amental <strong>und</strong> selbstverstÄndlich s<strong>in</strong>d. Doch e<strong>in</strong>em solchen Menschen, e<strong>in</strong>em<br />

Nihilisten <strong>und</strong> Atheisten nach dem Zuschnitt e<strong>in</strong>es neuzeitlichen Philosophen wie Friedrich<br />

Nietzsche, konnte der Christ im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert gewiss nicht begegnen. Der mittelalterliche<br />

GlÄubige sah sich konfrontiert mit e<strong>in</strong>em eben so GlÄubigen, hier e<strong>in</strong>em Christen <strong>in</strong> der Gestalt<br />

e<strong>in</strong>es Arianers oder Nestorianers, dort den orthodoxen Griechen, im Orient den muslimischen<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 39 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Kriegern. So wie heute das Geld die Welt regiert (mÉgen sich auch WÄhrungen beziehungsweise<br />

Wirtschaftssysteme unterscheiden), so war Gott damals allgegenwärtig, nur Benennungen,<br />

Gottesauslegung wie religiÉse Rituale differierten.<br />

Daraus erklÄrt sich auch die Argumentationsmethode, die Thomas von Aqu<strong>in</strong> im<br />

<strong>in</strong>terreligiÉsen Dialog empfiehlt: Nicht die christlichen Gr<strong>und</strong>sÄtze als solche sollten verteidigt<br />

<strong>und</strong> durch strenge BeweisfÅhrung <strong>in</strong> ihrer Existenz nachgewiesen werden, sondern die als<br />

f<strong>und</strong>amental zugr<strong>und</strong>e gelegten Glaubenspr<strong>in</strong>zipien sollten erklÄrt <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrem Zusammenhang<br />

sowie <strong>in</strong> ihrer Begrifflichkeit erlÄutert <strong>und</strong> damit anderen GlÄubigen zugÄnglich gemacht<br />

werden.<br />

Eben dadurch lassen sich dank der von Thomas von Aqu<strong>in</strong> angewandten Methode sÄmtliche<br />

geltend gemachten WidersprÅche aus dem Weg schaffen:<br />

Die Christologie beruht auf dem MissverstÄndnis der Gottessohnschaft im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

menschlichen Zeugung, wÄhrend sie als re<strong>in</strong> geistiger Akt verstanden werden muss.<br />

Die Tr<strong>in</strong>itätslehre wird von den Muslimen so gedeutet, dass die Christen an drei<br />

GÉtter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person glauben, weil sie die Wesense<strong>in</strong>heit nicht verstehen.<br />

Die Soterologie weckt (nicht nur bei Muslimen) UnverstÄndnis, weil e<strong>in</strong> allmÄchtiger<br />

Gott doch das Menschengeschlecht auch frei von SÅnden erschaffen oder den sÅndigen<br />

Menschen auf andere Weise erlÉsen hÄtte kÉnnen.<br />

Die Transsubstantiationslehre wird von Muslimen, welche die Christen als<br />

Kannibalen verspotten, <strong>in</strong> der Weise missverstanden, dass sie me<strong>in</strong>en, jene verspeisten<br />

tatsÄchlich den Leib Christi <strong>und</strong> trÄnken Blut.<br />

Die Eschatologie wird ausschlieÇlich <strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit christlichen<br />

HÄretikern erÉrtert, da Griechen <strong>und</strong> Armenier die Existenz des Fegefeuers leugnen,<br />

wÄhrend h<strong>in</strong>gegen im Islam Ähnliche Vorstellungen existieren.<br />

Die Prädest<strong>in</strong>ation, der sche<strong>in</strong>bare Widerspruch zwischen der Willensfreiheit des<br />

Menschen <strong>und</strong> der gÉttlichen Vorsehung, wird von Thomas von Aqu<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>en<br />

Analogieschluss aus der Geometrie auÇer Kraft gesetzt.<br />

WÄre nicht gerade das Bestreben, anders Denkenden (mag sich diese Divergenz auf den<br />

Glauben, die Sprache <strong>und</strong> Kultur oder auf Wirtschaftsdenken <strong>und</strong> Politik beziehen), die „eigene<br />

Welt“ zu erklÄren, d.h. die der eigenen Weltvorstellung zugr<strong>und</strong>e liegenden Paradigmen zu<br />

entschlÅsseln, im Abwehrkampf gegen Terrorismus (als globale Spielart) <strong>und</strong> selbstsÅchtige<br />

Ignoranz (als Ausdruck der <strong>in</strong>dividuellen Psyche) - beides Exponenten e<strong>in</strong>es une<strong>in</strong>geschrÄnkten<br />

Egozentrismus - das e<strong>in</strong>zig Erfolg versprechende, den Frieden sichernde Konzept?<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> beschrÄnkt sich <strong>in</strong> allen Gesichtspunkten darauf, die <strong>in</strong>nere Widerspruchsfreiheit<br />

der Glaubenssätze zu beweisen. Ihr Auftreten sei entweder auf rationale<br />

WidersprÅche im VerstÄndnis zurÅckzufÅhren. Oder der Irrtum grÅnde <strong>in</strong> der sprachlichen<br />

Reflexion, die durch missverstandene Begriffe die Sicht auf die wahren VerhÄltnisse trÅbe.<br />

Dabei geht es dem Autor nicht darum, zw<strong>in</strong>gende letzte GrÅnde <strong>in</strong>s Treffen zu fÅhren. Im<br />

hermeneutischen Diskurs, im semantischen Umfeld des Glaubens, der als solcher nicht <strong>in</strong> Frage<br />

steht, besteht gar nicht erst die Notwendigkeit, die primÄre Wahrheit der GlaubenssÄtze<br />

beweisen zu mÅssen (dies wÄre die Aufgabe e<strong>in</strong>em Atheisten gegenÅber). FÅr den an sich<br />

GlÄubigen ist der Wahrheitsbeweis schon erbracht, wenn der Gedanke <strong>in</strong> sich stimmig ist, weil<br />

mangels WidersprÅchlichkeit <strong>in</strong> der Interpretation se<strong>in</strong>e Falschheit nicht erwiesen werden kann.<br />

Dasselbe passiert heute, wenn die Weltwirtschaft kommentierende âkonomen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

gegenseitigen Diskurs geraten, ohne die Relevanz des MonetÄren an sich <strong>in</strong> Frage zu stellen. Bis<br />

heute nehmen (nicht nur religiÉs bed<strong>in</strong>gte) Konflikte ihren Ausgang vielfach <strong>in</strong> nicht wirklich<br />

unÅberbrÅckbaren GegensÄtzen. Unkenntnis, mangelndes Verstehen(wollen) <strong>und</strong> Miss<strong>in</strong>ter-<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 40 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

pretation, dazu e<strong>in</strong>e gehörige Portion Eigen<strong>in</strong>teresse <strong>und</strong> Machtstreben s<strong>in</strong>d die bei weitem<br />

häufiger anzutreffenden Konfliktauslöser. Weil die tatsächlichen Gründe, Habgier <strong>und</strong><br />

Eigennutz, jedoch negativ konnotiert s<strong>in</strong>d, werden sie mit hehren Zielen verbrämt, die<br />

egoistische Bestrebungen im Gegensatz zu ihrem realen Ursprung als Idealismus ersche<strong>in</strong>en<br />

lassen. Dieser Umstand zeichnete die Kreuzzüge genauso aus wie spätere Glaubenskonflikte bis<br />

<strong>in</strong> die jüngste Vergangenheit.<br />

Nichts ist daher zu Beg<strong>in</strong>n des dritten Jahrtausends so notwendig, wie die menschlichen<br />

Gr<strong>und</strong>werte an sich außer Streit zu stellen. Anders gesagt: Dass der Mensch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

natürlichen Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> völlig unabhängig von Herkunft, sozialer Akzidenzien <strong>und</strong><br />

ökonomischer Maßstäbe, an <strong>und</strong> für sich schützenswert ist, muss ebenso unangefochten se<strong>in</strong>,<br />

wie es für den mittelalterlichen Menschen diesseits <strong>und</strong> jenseits des Bosporus klar war, dass Gott<br />

existiert, mochte er auch hier wie dort mit unterschiedlichem Namen angerufen werden. Wie es<br />

Thomas von Aqu<strong>in</strong> nicht als notwendig erachtete, Beweise für die Existenz Gottes vorzulegen,<br />

so wenig gilt es heute, die ideelle Komponente des Menschse<strong>in</strong>s, den Wert des Menschen<br />

schlechth<strong>in</strong>, das spezifisch Humane als messbare, naturwissenschaftlich nachweisbare Größe zu<br />

beweisen <strong>und</strong> immer weiter nach letzten belegbaren Gründen zu suchen. Sie werden sich<br />

weder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an der Neurobiologie orientierenden juristischen Interpretation (Ab welchem<br />

Zeitpunkt ist der Mensch im rechtlichen S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> Mensch, erst als denkendes, verantwortungsbewusst<br />

handelndes Individuum oder schon im frühen Zellstadium im Mutterleib?), noch <strong>in</strong> der<br />

biologisch-physischen Manifestation etwa e<strong>in</strong>er bestimmten genetischen Kodierung (neueste<br />

Forschungen bestätigen, dass die Gene alle<strong>in</strong> nicht das Wesen ausmachen) f<strong>in</strong>den lassen, erst<br />

recht nicht <strong>in</strong> der kulturellen, sozialen <strong>und</strong> politischen Konvention. Vielmehr muss die<br />

Diskussion darüber geführt werden, welche Konsequenzen aus der Absolutheit der Unantastbarkeit<br />

des Menschen zu ziehen s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> noch mehr, wie diese im Widerstreit<br />

rivalisierender Mächte (die psychischen Triebe des handelnden Individuums mit e<strong>in</strong>geschlossen)<br />

umgesetzt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gefordert werden können.<br />

Abgesehen von diesen Argumentationsmethoden (autoritätsbetonte, term<strong>in</strong>ologischsprachreflektorische<br />

sowie philosophisch-rationale), lassen sich aus der Lektüre des Textes<br />

weitere methodologische Kenntnisse gew<strong>in</strong>nen, die <strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht didaktisch<br />

genutzt werden können:<br />

Die Ause<strong>in</strong>andersetzung im <strong>in</strong>terreligiösen (<strong>in</strong>terkulturellen) Dialog verleitet dazu, sich<br />

Argumentationsmethoden bewusst zu machen, nach Alternativen zu suchen, kommunikative<br />

Verteidigungsstrategien gezielt zu entwickeln sowie dem jeweiligen Gesprächspartner oder<br />

Zweck anzupassen. Um dieses Ziel zu erreichen, empfiehlt es sich, <strong>in</strong>sbesondere die Texte 3 - 6<br />

zu lesen.<br />

Die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Begriffen <strong>und</strong> dem sachlichen Verständnis von<br />

Glaubensfragen ist e<strong>in</strong>e gute Schulung <strong>in</strong> der Methode wissenschaftlichen Arbeitens, weil sie<br />

die Prägnanz im Ausdruck fördert, die Erfordernis von Begriffsdef<strong>in</strong>itionen sowie E<strong>in</strong>deutigkeit<br />

<strong>in</strong> der Benennung von Phänomenen aufzeigt, schlechth<strong>in</strong> den Blick auf die logische Darstellung<br />

(also die Gliederung <strong>und</strong> Strukturierung, die sachlich richtige Abfolge <strong>und</strong> die Widerspruchsfreiheit<br />

der Gedanken bis <strong>in</strong> die sprachliche Ausformulierung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>) fokusiert. Dafür<br />

eignen sich <strong>in</strong> besonderer Weise die Texte 7 - 9, die den Orig<strong>in</strong>altext nur wenig gekürzt<br />

wiedergeben <strong>und</strong> der philosophischen Argumentation breiten Raum lassen.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 41 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

d. zur Konfliktlösungskompetenz:<br />

Schließlich lassen sich aus der Gesamtthematik als Früchte der reflektierenden Lektüre<br />

Konfliktlösungsstrategien herausdestillieren, die im <strong>in</strong>terkulturellen Dialog ebenso ihre<br />

Gültigkeit haben wie <strong>in</strong> der politischen Debatte oder <strong>in</strong> der persönlichen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

im privaten Umfeld. Sie seien hier im Bild e<strong>in</strong>es Siebenstufenmodells vorgestellt,<br />

das e<strong>in</strong>em analogen Aufbau gehorcht: Zuerst wird auf der Textreflexion basierend e<strong>in</strong><br />

Gedanke entwickelt, dann im logischen Zusammenhang als methodischer Schritt<br />

dargestellte, um dessen Anwendung sowie Praxisrelevanz beispielhaft an e<strong>in</strong>zelnen<br />

Inhalten aus der Textvorlage aufzuzeigen:<br />

Verantwortungsbereitschaft: Bereitschaft zur Verantwortung zu entwickeln, ist e<strong>in</strong>e<br />

f<strong>und</strong>amentale Erfordernis der Konfliktbere<strong>in</strong>igung. Die KonfliktbewÄltigung scheitert oft<br />

schon im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> daran, dass e<strong>in</strong> Konfliktpartner die „Das-ist-eben-so“-Position<br />

e<strong>in</strong>nimmt: Dann lÄsst sich schlichtweg nichts Ändern. In diesem Falle ist jedes Bestreben,<br />

den Konflikt zu lÉsen vergebens. Hier gilt es zuerst die Bereitschaft zu entwickeln, fÅr<br />

das, was man tut oder denkt, Verantwortung zu Åbernehmen. Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong><br />

aber bedeutet, Åber se<strong>in</strong>e Gedanken, Worte <strong>und</strong> Handlungen jederzeit vor sich selbst<br />

sowie vor Anderen Rechenschaft ablegen zu wollen. Sie basiert auf Reflexion <strong>und</strong> setzt<br />

folglich die FÄhigkeit voraus, zur eigenen Position auf Distanz gehen zu kÉnnen.<br />

Der 1. Schritt auf dem Weg zur KonfliktbewÉltigung ist daher, sich selbst die Motive<br />

fÑr die eigene Position klar zu machen. Wer Rechenschaft gibt, muss nach den <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Inneren verborgenen GrÑnden suchen <strong>und</strong> diese nach auÖen kommunizieren.<br />

Dies erfolgt durch sprachliche Reflexion, also durch die Verbalisierung der eigenen<br />

Handlungsmotive. Dadurch dass der Streitende (Andersdenkende oder gegensÉtzlich<br />

Handelnde) sich das eigene Verhalten <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> ruft, schafft er die<br />

Voraussetzung dafÑr, dem Konfliktgegner konstruktiv zu begegnen. Dies ist<br />

ausschlieÖlich auf rationaler Ebene mÜglich. Bleiben beide Kontrahenten (oder auch<br />

nur e<strong>in</strong>er von ihnen) Gefangene e<strong>in</strong>es mythischen Systems - mythisches Denken<br />

bedeutet immer ganzheitliche Sicht, abseits der analytischen Betrachtung mit<br />

HerauslÜsung oder Gewahrwerdung e<strong>in</strong>zelner Faktoren – ist KonfliktlÜsung unmÜglich.<br />

KonfliktbewÉltigung beg<strong>in</strong>nt immer bei der eigenen Person. Fehlt das gr<strong>und</strong>sÉtzliche<br />

„ICH will …“ (me<strong>in</strong>en Beitrag zur LÜsung leisten <strong>und</strong> b<strong>in</strong> folglich auch bereit, me<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>stellung zu h<strong>in</strong>terfragen), ist jedes BemÑhen um Konfliktbere<strong>in</strong>igung (auch bei<br />

Mediation von auÖen) vergeblich.<br />

In der Schrift De rationibus fidei von Thomas von Aqu<strong>in</strong> ist diese Bereitschaft, an<br />

sich selbst zu arbeiten, implizit vorhanden. Sie wird deutlich durch die<br />

Mite<strong>in</strong>beziehung des geistigen Kontextes, <strong>in</strong> dem sie verfasst wurde: Die<br />

Dom<strong>in</strong>ikaner wollten nicht bloÉ (AndersglÇubige) ablehnen <strong>und</strong> angreifen. An die<br />

Stelle der gegen den Fe<strong>in</strong>d gerichteten Aggression, an die Stelle der <strong>in</strong>vektiven<br />

Sprache trat die rationale BegrÅndung des eigenen Standpunktes, das „Sich-Selbst-<br />

ErklÇren“.<br />

Achtungsbezeigung: Alle<strong>in</strong> dadurch, dass sich e<strong>in</strong> Gegner auf das GesprÄch, die<br />

Diskussion, den Dialog e<strong>in</strong>lÄsst, gesteht er dem Anderen pr<strong>in</strong>zipielle<br />

VerstÄndnisfÄhigkeit zu. Wer sich e<strong>in</strong>fach abwendet oder gar zuschlÄgt, bedeutet dem<br />

Anderen, dass es ohnedies ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n mache, mit ihm zu reden, auch wenn die<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 42 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Konversation unter UmstÄnden an der eigenen UnzulÄnglichkeit scheitert. Pr<strong>in</strong>zipiell<br />

verbirgt sich h<strong>in</strong>ter jeder nicht ausdiskutierten Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheit, sofern sie nicht<br />

primÄr an mangelnder Verantwortungsbereitschaft scheitert, e<strong>in</strong> kommunikatives<br />

UnvermÉgen. Dieses kann an e<strong>in</strong>em Mangel von Begriffsbildung <strong>in</strong> der eigenen Sprache<br />

<strong>und</strong> damit im soziokulturellen Umfeld begrÅndet se<strong>in</strong>, es kann ebenso am<br />

e<strong>in</strong>geschrÄnkten persÉnlichen Wortschatz, an der <strong>in</strong>tellektuellen UnfÄhigkeit, GefÅhle<br />

<strong>und</strong> Abstraktes <strong>in</strong> Worten auszudrÅcken, schlieÇlich an nicht vorhandenen syntaktischen<br />

Mustern <strong>und</strong> sprachlichen Argumentationsstrategien liegen.<br />

Der 2. Schritt auf dem Weg zur KonfliktbewÉltigung ist die FÉhigkeit, dem anderen <strong>in</strong>s<br />

Auge sehen zu kÜnnen. Die Konfliktpartner mÑssen (geht es doch nicht darum, dass<br />

e<strong>in</strong>er Ñber den anderen triumphiert) e<strong>in</strong>ander auf e<strong>in</strong>er Ebene begegnen. Dies wird im<br />

Umfeld des eigentlichen Konfliktherdes nur schwer mÜglich se<strong>in</strong> (die Pattstellung ist ja<br />

nicht Ziel des Kampfes). Wenn jedoch die Ause<strong>in</strong>anderetzung auf die Ebene<br />

sprachlicher Reflexion verlagert wird (die Betonung liegt auf Reflexion: damit ist auch<br />

klar, dass e<strong>in</strong> primÉr <strong>in</strong> sprachlichem Kontext entstandenes Wortgefecht so bere<strong>in</strong>igt<br />

werden kann), ist dies jederzeit mÜglich, weil diese die dem Menschen schlechth<strong>in</strong><br />

zueignende FÉhigkeit ist. Wer sich der Reflexion verweigert, kann sich nicht mehr auf<br />

das Menschse<strong>in</strong> berufen. Ohne Reflexion rekurriert alles Verhalten auf Intuition,<br />

Triebhaftigkeit oder konditionierte Reaktion. ãber alle drei Faktoren ist der Mensch<br />

pr<strong>in</strong>zipiell erhaben. Wo er sich nicht <strong>in</strong> reflektierender Weise mit se<strong>in</strong>en Handlungsimpulsen<br />

ause<strong>in</strong>andersetzt, agiert der Mensch gleich dem Tier (ohne allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> Tier<br />

zu werden – daher ist se<strong>in</strong> Verhalten auch nicht entschuldbar). Er mag dann wie jenes<br />

dank grÜÖerer physischer Kraft oder schnellerer Reaktion (langsame Reaktion ist oft<br />

auf Nachdenklichkeit <strong>und</strong> reflektorische Hemmung zurÑckzufÑhren) den Sieg err<strong>in</strong>gen.<br />

Wer sich dem Gegner unterlegen fÑhlt, weicht dem Kampf aus, sei es durch physische<br />

Flucht <strong>in</strong> Form des RÑckzugs aus dem Gefecht, sei es durch Flucht <strong>in</strong> alternative<br />

Handlungsweisen e<strong>in</strong>er Form von Aggression. Beide Reaktionen machen die LÜsung<br />

e<strong>in</strong>es aufgetretenen Konfliktes unmÜglich, wie auch erstere des Sieges im physischen<br />

Kampf. Zur Illustration: der Zweite Weltkrieg war e<strong>in</strong>e Reaktion auf den <strong>und</strong><br />

absehbare Folge des Ersten Weltkrieges, weil die dar<strong>in</strong> ausgetragenen Konflikte nicht<br />

gelÜst, sondern prolongiert, ja sogar GrÉben vertieft wurden, was das Gewaltpotential<br />

enorm steigerte.<br />

Auch der zweite Schritt ist der Schrift De rationibus fidei von Thomas von Aqu<strong>in</strong><br />

immanent: Sie äußert sich <strong>in</strong> der gr<strong>und</strong>sätzlichen Bereitschaft der Dom<strong>in</strong>ikaner,<br />

sich mit Ungläubigen (im Verständnis des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts gleichbedeutend mit<br />

Gläubigen, die e<strong>in</strong>e im Vergleich zur eigenen andere Auffassung haben) auf die<br />

Glaubenskontroverse, die Konfrontation auf sprachlicher Ebene, e<strong>in</strong>zulassen.<br />

Rationabilitätsstreben: Auch <strong>in</strong> alltÄglichen Konfliktsituationen sowie emotionalen<br />

Wortgefechten geht es <strong>in</strong> der Regel nicht darum (oder ist es gar nicht mÉglich), e<strong>in</strong>en<br />

absoluten Konsens herzustellen, weil die InteressensgegensÄtze auf unterschiedlichen<br />

IdentitÄten beruhen. Nicht das Ziel selbst steht <strong>in</strong> Frage, sondern nur der Weg, wie die<br />

Kontrahenten dorth<strong>in</strong> gelangen: D.h. man kann durchaus e<strong>in</strong> <strong>und</strong> dasselbe Ziel verfolgen<br />

(Verehrung Gottes, allgeme<strong>in</strong>er Wohlstand, …), der Konflikt resultiert e<strong>in</strong>zig aus<br />

Auffassungsunterschieden, wie dieses Ziel erreicht werden soll (Welche Gottesvorstellung<br />

<strong>und</strong> Kulthandlungen? Kapitalismus oder Kommunismus? …). Oder man strebt<br />

gr<strong>und</strong>sÄtzlich unterschiedliche Ziele an, kommt sich am Weg dorth<strong>in</strong> aber <strong>in</strong> die Quere<br />

(z.B. Anspruch auf e<strong>in</strong> bestimmtes Territorium). Die Ausgangssituation wÄre <strong>in</strong> dem<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 43 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

e<strong>in</strong>en Fall mit e<strong>in</strong>er Weggabelung, im zweiten mit e<strong>in</strong>er Wegkreuzung zu umschreiben.<br />

Am Scheidepunkt bl<strong>in</strong>d (d.h. ohne die Entscheidung zu reflektieren) <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>e wie die<br />

andere Richtung zu laufen, wäre ebenso s<strong>in</strong>nlos, wie an der Wegkreuzung frontal auf den<br />

Anderen loszugehen. Hier gilt es zunächst außer Streit stehende Komponenten zu<br />

def<strong>in</strong>ieren, wie es im Alltag etwa durch die Straßenverkehrsordnung, durch Spielregeln,<br />

Staatsgesetze oder andere festgelegte Rahmenbed<strong>in</strong>gungen passiert. Im emotionalen oder<br />

ideologischen Streit, schlicht überall dort, wo es ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlichen Normen<br />

gibt, müssen diese daher erst im Streit selbst gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> von den Kontrahenten<br />

verhandelt werden. Im Klartext bedeutet dies, dass Abmachungen, wie beispielsweise <strong>in</strong><br />

der Ause<strong>in</strong>andersetzung auf Schimpfworte, beleidigende Äußerungen oder bewusste<br />

Kränkungen (die z.B. die äußere Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>er Person oder ihr Ansehen<br />

herabwürdigen) zu verzichten, nicht nur legitim, sondern sogar notwendig s<strong>in</strong>d.<br />

Der 3. Schritt auf dem Weg zur Konfliktbewältigung setzt die Bereitschaft der Konfliktpartner,<br />

sich an bestimmte Spielregeln zu halten, voraus. Diese können <strong>in</strong> gesetzlichen<br />

Bestimmungen bestehen, sie können soziale oder ideologische Übere<strong>in</strong>kunft se<strong>in</strong> wie<br />

Vere<strong>in</strong>sregeln <strong>und</strong> Glaubensgr<strong>und</strong>sätze, sie können auf Konvention <strong>und</strong> stillschweigender<br />

Übere<strong>in</strong>kunft beruhen (beispielsweise <strong>in</strong> der Kulturzugehörigkeit oder im Standesdenken<br />

basierend), sie können freilich auch an Dritte abgegeben werden, wie dies <strong>in</strong><br />

der Mediation der Fall ist. Am schwierigsten gestaltet sich dieser Schritt dort, wo<br />

weder Muster vorgegeben s<strong>in</strong>d, auf die e<strong>in</strong>e Regression möglich ist, noch e<strong>in</strong> Unbeteiligter<br />

als neutraler Vermittler zur Verfügung steht, also z.B. im Ehestreit oder<br />

geschwisterlichen Kampf <strong>in</strong> den eigenen vier Wänden. Dass ke<strong>in</strong>e Kampfregeln an der<br />

Wand hängen, bedeutet jedoch nicht, dass es dieser nicht bedarf. Ganz im Gegenteil:<br />

Wer me<strong>in</strong>t, er käme ohne diese aus, stelle sich e<strong>in</strong>en sportlichen Wettkampf, e<strong>in</strong><br />

Fußballspiel, auch nur das simpelste Würfelspiel ohne Regeln vor. Er wird sogleich<br />

merken, dass ohne Regeln ke<strong>in</strong> Spiel <strong>und</strong> auch ke<strong>in</strong> Kampf möglich ist, so dieser nicht<br />

auf <strong>in</strong>humane Vernichtung abzielt, wie etwa die zur Schau gestellte Tötung von<br />

Christen im antiken Amphitheater (gesteigert <strong>in</strong> der bestialischen Vernichtung der<br />

Juden im Dritten Reich). In e<strong>in</strong>em Ritterkampf zu unterliegen, e<strong>in</strong> Duell zu verlieren,<br />

war dagegen, so gravierend der Ausgang war, durchaus ehrenhaft, weil beides<br />

strengen Regeln unterworfen war. Funktion der Kampfregeln ist nichts anderes, als<br />

beide Seiten an dieselbe(n) Kampftechnik(en) zu b<strong>in</strong>den, weil jede primäre Ungleichheit<br />

(z.B. ungleiche Bewaffnung oder die Konfrontation e<strong>in</strong>es Wehrlosen mit e<strong>in</strong>em<br />

Bewaffneten) jedem zivilisierten Kampf die unabd<strong>in</strong>gbare Fairness rauben würde.<br />

Im freien (noch nicht normierten) Kampf gilt es quasi erst die Sprossen e<strong>in</strong>er Leiter<br />

zu zimmern, an der man sich dann h<strong>in</strong>aufhandeln kann. Jene schaffen Haltegriffe,<br />

auf die sich beide Seiten verlassen können. Geeignet dafür s<strong>in</strong>d im verbal<br />

ausgetragenen Streit (<strong>und</strong> nur um den geht es hier) alle für beide Seiten<br />

e<strong>in</strong>sichtigen Kriterien. Diese Kriterien müssen für beide Streitparteien nachvollziehbar,<br />

d.h. sichtbar oder real vorstellbar se<strong>in</strong>. In der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem<br />

Islam beruft sich der christliche Autor Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift De<br />

rationibus fidei stets auf Ankerpunkte, die Christen <strong>und</strong> Muslimen gleichermaßen<br />

zugänglich s<strong>in</strong>d: die Existenz Gottes an sich, die Allmacht Gottes, die Teilhabe<br />

Gottes am Geschick der Menschen, die Gleichsetzung Gottes mit dem sittlich Guten.<br />

Auch dar<strong>in</strong>, dass Jesus Christus <strong>und</strong> Maria als historische Persönlichkeiten<br />

anerkannt werden, tritt die beiderseitige Akzeptanz zu Tage, letztlich <strong>in</strong> jedem<br />

Punkt, an dem sich christlicher <strong>und</strong> muslimischer Glaube berühren. Sie verleihen<br />

e<strong>in</strong>em im Ganzen unbegreiflichen Geschehen (Eucharistie z.B.) oder dem <strong>in</strong> das<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 44 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Geschehen e<strong>in</strong>gebetteten Verständnis e<strong>in</strong>er Sache oder Person (wie der trotz<br />

Wesense<strong>in</strong>heit angenommenen Dreigestaltigkeit Gottes, die Vorstellung das Gott<br />

e<strong>in</strong>en Sohn zeugen konnte) e<strong>in</strong>en rationalen Kern, der nicht wegzuleugnen ist.<br />

Damit ergibt sich bereits (auch wenn es die Streitenden nicht gerne zugeben<br />

werden) e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an gegenseitigem Konsens, der im weiteren Gesprächsverlauf<br />

ausbaufähig ist.<br />

Konsensf<strong>und</strong>amentierung: Unter den von beiden Parteien als real (nachvollziehbar)<br />

e<strong>in</strong>gestuften Beweggründen gilt es nun jenen herauszufiltern, der gleich dem kle<strong>in</strong>sten<br />

geme<strong>in</strong>samen Nenner <strong>in</strong> der Arithmetik die festeste Gr<strong>und</strong>lage für die weitere<br />

Kontroverse bietet. Es geht also darum, e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Ausgangsbasis zu schaffen,<br />

e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>konsens herzustellen. Oder anders gesprochen: Die im dritten Schritt<br />

gef<strong>und</strong>enen Ankerpunkte zu erden, die Sprossen der künftigen Leiter mit e<strong>in</strong>ander zu<br />

verb<strong>in</strong>den <strong>und</strong> auf den Boden zu stellen, so dass sie nicht frei im Raum herumschweben,<br />

sondern ihnen e<strong>in</strong> fester Platz zukommt.<br />

Der 4. Schritt auf dem Weg zur Konfliktbewältigung gleicht somit dem Stiften e<strong>in</strong>es<br />

geme<strong>in</strong>samen Rahmens oder e<strong>in</strong>er Handlungsstruktur, den man mit dem E<strong>in</strong>schlagen<br />

von Wandhaken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e steile Felswand vergleichen kann. Dieser Schritt kann <strong>in</strong> der<br />

Formulierung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Metaziels ebenso bestehen wie <strong>in</strong> der Fixierung<br />

e<strong>in</strong>zelner Komponenten, denen e<strong>in</strong>e Wertigkeit zugeordnet wird. Sie muss ke<strong>in</strong>esfalls<br />

auf beiden Seiten identisch se<strong>in</strong>. Alle<strong>in</strong> dadurch, dass gewissen Faktoren (die auch dem<br />

Gegner als solche begreiflich s<strong>in</strong>d) e<strong>in</strong> gewisses Gewicht zukommt <strong>und</strong> jene zue<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> Bezug gesetzt werden, wird im weiteren Gesprächsverlauf der <strong>in</strong>nere<br />

Zusammenhang klar. Aus losen Bauste<strong>in</strong>en entsteht so das Gr<strong>und</strong>gerüst e<strong>in</strong>es<br />

Gedankengebäudes, ähnlich den tragenden Mauern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus. Wenn ich weiß, wie<br />

das Haus me<strong>in</strong>es Gegenübers aussieht, verstehe ich auch, warum er die konstruktiven<br />

Elemente so <strong>und</strong> nicht anders setzt. Daraus resultiert die E<strong>in</strong>sicht, warum für den<br />

Anderen e<strong>in</strong> mir unbedeutendes Element von enormer Wichtigkeit se<strong>in</strong> kann. Aus<br />

ursprünglich re<strong>in</strong> faktischen (nach Zufallspr<strong>in</strong>zip zustande gekommenen) Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />

entstehen Vektoren <strong>und</strong> Gedankenrichtungen, die Folgehandlungen<br />

plausibel ersche<strong>in</strong>en lassen.<br />

Im Dialog kann das bedeuten, dass der Andere e<strong>in</strong>e Sache (die unbestreitbar ist)<br />

zwar gr<strong>und</strong>sätzlich anders sieht, denn Gegner jedoch im Kontext se<strong>in</strong>er Handlung<br />

verstehen kann, weil er erkannt hat, dass dessen Faktoren anders gewichtet s<strong>in</strong>d.<br />

Um es wieder an e<strong>in</strong>em konkreten Beispiel zu erörtern, sei die Gestalt von Jesus<br />

Christus aus der Schrift De rationibus fidei von Thomas von Aqu<strong>in</strong> herausgegriffen:<br />

Sie wird <strong>in</strong> allen drei großen monotheistischen Religionen (Christentum,<br />

Judentum, Islam) als existent betrachtet (Ebene 3), doch <strong>in</strong> jeder dieser drei<br />

Konfessionen kommt ihr e<strong>in</strong>e andere Bedeutung zu (Ebene 4): Während Christus im<br />

Islam e<strong>in</strong>e Randersche<strong>in</strong>ung ist, spielt er im Judentum e<strong>in</strong>e zentrale, wenn auch<br />

nicht die überragende Rolle. Im Christentum ist er der Messias schlechth<strong>in</strong>, der im<br />

Begriff der Dreifaltigkeit mit Gott zu e<strong>in</strong>em Wesen verschmilzt. Letzteres mag auf<br />

rationaler Ebene noch unbegreiflich bleiben. Doch wer den unterschiedlichen<br />

Konnex kennt, sich die Relevanz e<strong>in</strong> <strong>und</strong> desselben Faktums im Geiste des jeweils<br />

Anderen vorstellen kann, vermag den Anderen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln zu begreifen,<br />

ohne persönlich dieser Auffassung zu erliegen. Nicht der Gegner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit<br />

wird begreiflich, sondern Teilaspekte se<strong>in</strong>es Agierens werden e<strong>in</strong>sichtig, der<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 45 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Gegner kann im Kontext se<strong>in</strong>er Denkmuster, Gefühle <strong>und</strong> Handlungen verstanden<br />

werden. Dieses gegenseitige Verständnis kommt Andockstellen gleich, über welche<br />

die Konfliktpartner aufe<strong>in</strong>ander zugehen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ander treffen können. Auf dem<br />

geme<strong>in</strong>samen F<strong>und</strong>ament e<strong>in</strong>er Schriftreligion sowie des Monotheismus lassen sich<br />

so die, im Detail durchaus divergierenden, Glaubenspr<strong>in</strong>zipien der jeweils anderen<br />

Religion aufbauen <strong>und</strong> verstehen.<br />

Konkretisierungsbemühen: Im Schritt 3 wurden Ñbere<strong>in</strong>stimmungen festgestellt <strong>und</strong><br />

als Ankerpunkte nom<strong>in</strong>iert (z.B. Gott wird nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Existenz <strong>in</strong> Frage gestellt,<br />

Glaube an die Offenbarung, an die Allmacht Gottes, …). Im Schritt 4 wurden diese<br />

fixiert, dadurch dass sie <strong>in</strong> ihrer Relation zue<strong>in</strong>ander bestimmt <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Basis geerdet<br />

wurden. Nun ist es an der Zeit, die dem Gegner nicht nachvollziehbaren <strong>und</strong> daher nicht<br />

verstÄndlichen KonfliktgrÅnde <strong>in</strong> diesen Raster e<strong>in</strong>zuordnen, zu den realen Bezugspunkten<br />

<strong>in</strong> Beziehung zu setzen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Gesamtkonflikt<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Komponenten zerlegt <strong>und</strong> jede nicht e<strong>in</strong>sichtige Verhaltensweise e<strong>in</strong>em Rationalisierungsprozess<br />

zugefÅhrt wird. Dabei kÉnnen die bereits fixierten „Sprossen“ oder<br />

„Haltegriffe“ ihrerseits als F<strong>und</strong>ament des E<strong>in</strong>zelgeschehens fungieren, so dass die<br />

Gegner von diesem aus <strong>in</strong> jedem e<strong>in</strong>zelnen Aspekt des Konflikts e<strong>in</strong> partielles<br />

VerstÄndnis der Art aufbauen kÉnnen, dass sie zwar nicht e<strong>in</strong>- <strong>und</strong> dieselbe Me<strong>in</strong>ung<br />

haben, aber die Haltung des Anderen wechselseitig e<strong>in</strong>sichtig wird, was die Akzeptanz<br />

als reale HandlungsmÉglichkeit zur Folge hat.<br />

Der 5. Schritt auf dem Weg zur KonfliktbewÉltigung bewirkt, dass durch die reale<br />

F<strong>und</strong>ierung der E<strong>in</strong>zelhandlung isolierte Teilaspekte des gesamten Geschehens oder<br />

GedankengebÉudes nach <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>sichtig werden, weil die zahllosen kle<strong>in</strong>en MissverstÉndnisse<br />

aus dem Wege geschafft sowie die vÜllige Unkenntnis h<strong>in</strong>sichtlich<br />

mancher Komponenten durch Instruktion gemildert werden kann. Dies kommt e<strong>in</strong>em<br />

Schaffen von Klarheit nahe, das man mit dem Wegziehen e<strong>in</strong>es Nebels vergleichen<br />

kÜnnte, der nach <strong>und</strong> nach den Blick auf e<strong>in</strong> zuerst vÜllig verschleiertes Geschehen frei<br />

gibt, von welchem bisweilen aber auch noch Reste fortbestehen mÜgen. Was vorher<br />

ke<strong>in</strong>em Ankerpunkt zugewiesen werden konnte, bekommt nunmehr Gestalt, BezÑge<br />

werden sichtbar. Aus dem groben Raster entsteht e<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>struktur, die e<strong>in</strong> sich auf<br />

e<strong>in</strong>ander Abstimmen (ohne Preisgabe der eigenen partikulÉren Haltung oder gar<br />

gesamten PersÜnlichkeit) ermÜglicht. Vergleichbar ist dies mit dem, was Musiker im<br />

Orchester mit ihren Instrumenten machen: Trotz Beibehaltung der eigenen IdentitÉt<br />

wird aus e<strong>in</strong>em zunÉchst an Dissonanzen reichen „Kampf“ der Instrumente<br />

gegene<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong> harmonisches Zusammenspiel. Wie aber auch hier niemals der<br />

E<strong>in</strong>zelne se<strong>in</strong> Instrument zugleich nach allen anderen Instrumenten stimmen kann,<br />

sondern sich auf e<strong>in</strong>en Ton konzentrieren muss, so verhÉlt es sich auch im realen<br />

Konfliktfall: Je komplexer e<strong>in</strong> Konflikt ist, d.h. je mehr Faktoren auf ihn e<strong>in</strong>wirken,<br />

um so dr<strong>in</strong>gender wird die Erfordernis, nicht den Gesamtkonflikt auf e<strong>in</strong>mal lÜsen zu<br />

wollen (was mit Sicherheit scheitert), sondern jenen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne Konfliktfelder<br />

aufzuspalten <strong>und</strong> diese nach e<strong>in</strong>ander, jeden fÑr sich e<strong>in</strong>er LÜsung zuzufÑhren.<br />

Genau dies macht Thomas von Aqu<strong>in</strong>, wenn er die mehrfach vorhandenen<br />

Konfliktpotentiale zwischen Christen <strong>und</strong> Muslimen nicht durch e<strong>in</strong>e globale<br />

Antwort aus dem Wege zu räumen versucht, sondern sie e<strong>in</strong>er Perlenschnur gleich<br />

aufreiht <strong>und</strong> jeden Teilkonflikt für sich als rationalen Irrtum <strong>in</strong>folge missverstandener<br />

Interpretation entlarvt. Um dies wieder an e<strong>in</strong>em konkreten Textzitat<br />

aus De rationibus fidei aufzuzeigen: Christus als Person ist anerkannt (3. Ebene der<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 46 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

KonfliktbewÇltigung), se<strong>in</strong>e Funktion im Rahmen der christlichen Religion wurde<br />

abgesteckt (4. Ebene), die enge Verb<strong>in</strong>dung zu Gott, die ihn Åber die anderen<br />

Menschen h<strong>in</strong>aushebt also e<strong>in</strong>sichtig, doch das VerhÇltnis zwischen Gott-Vater <strong>und</strong><br />

Gott-Sohn ist nach wie vor rÇtselhaft. Im 5. Schritt wird die Ebene 3 zum<br />

F<strong>und</strong>ament, die Ebene 4 zum Vektor, der zum richtigen VerstÇndnis fÅhrt. Auf<br />

dieser Basis kann die sprachphilosophische Reflexion e<strong>in</strong>setzen, die besagt, dass der<br />

Akt der Zeugung nicht als sexueller Kontakt Gottes mit Maria missverstanden<br />

werden darf. „Zeugung“ ist <strong>in</strong> diesem Kontext bloÉ e<strong>in</strong>e Chiffre, e<strong>in</strong>e Metapher, e<strong>in</strong>e<br />

sprachliche Denotation fÅr e<strong>in</strong>en Akt, fÅr den es ke<strong>in</strong> passendes Lexem <strong>in</strong> der<br />

verwendeten Sprache gibt.<br />

Offenheit: Schritt fünf setzt noch <strong>in</strong>tensiver als die Schritte drei <strong>und</strong> vier die<br />

Bereitschaft voraus, dem anderen zuzuhören <strong>und</strong> sich auf se<strong>in</strong>e Argumente e<strong>in</strong>zulassen,<br />

was nicht nur e<strong>in</strong>e gehörige Portion Konzentration, sondern auch viel Zeit <strong>und</strong> Geduld<br />

erfordert. Ist diese Offenheit nicht vorhanden, können weder Ankerpunkte geschaffen,<br />

noch beiderseitige Andockstellen ausf<strong>in</strong>dig gemacht werden. Das Gespräch der Konfliktpartner<br />

wird sich folglich im Kreis drehen, ohne dass auch nur Ansätze e<strong>in</strong>er Lösung<br />

sichtbar werden.<br />

Der 6. Schritt der Konfliktbewältigung setzt zwar bereits früher e<strong>in</strong>, entfaltet jedoch<br />

se<strong>in</strong>e volle Wirkung umso mehr, je näher sich der Konflikt dem Ende zuneigt. Wer<br />

nicht bereit ist, die aufgezeigten Ankerpunkte des Gegners, quasi se<strong>in</strong>e ausgestreckte<br />

Hand (<strong>in</strong> mehrfacher Weise), zu ergreifen, sich auf se<strong>in</strong>e detaillierte Argumentation<br />

e<strong>in</strong>zulassen (Steht nicht heute ständig die Forderung im Raum, das Gesagte möglichst<br />

kurz zu umreißen <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der Diktion auf Schlagwörter zu beschränken?), wird<br />

gebetsmühlenartig eigene Standpunkte wiederholen, ohne dass sich an der Ausgangslage<br />

etwas ändert. Konfliktbewältigung verlangt beiden Seiten die Bereitschaft zur<br />

gegenseitigen Annäherung ab. Wer sich nur vom Anderen e<strong>in</strong> Näherrücken <strong>und</strong> die<br />

Absorption der eigenen Argumente erwartet, wird den Kontrahenten am Ende über den<br />

Tisch gezogen, aber ke<strong>in</strong>en Partner gewonnen haben. Erst die für die Überzeugungen<br />

des Anderen an den Tag gelegte Offenheit ermöglicht den Aufbau e<strong>in</strong>er mentalen<br />

Infrastruktur, die gleich Verkehrswegen Brücken zum Standpunkt des Anderen schlägt.<br />

E<strong>in</strong>e solche Offenheit legt Thomas von Aqu<strong>in</strong> <strong>in</strong> De rationibus fidei an den Tag,<br />

wenn er sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Argumentation Muslimen gegenÅber eben nicht auf Schriftbeweise<br />

beruft. Was christlichen HÇretikern gegenÅber gerechtfertigt ist, wÇre den<br />

von Gr<strong>und</strong> auf AndersglÇubigen gegenÅber e<strong>in</strong> Affront <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nloses Zeug. Er greift<br />

daher auf die rationale Argumentationsmethode zurÅck, wie sie Aristoteles <strong>und</strong> die<br />

antike Philosophie begrÅndet haben, wie wohl Thomas von Aqu<strong>in</strong> die Berufung auf<br />

AutoritÇten sehr bewusst dort e<strong>in</strong>setzt, wo sie S<strong>in</strong>n macht, nÇmlich <strong>in</strong> der Praefatio,<br />

<strong>in</strong> der er sich an die eigenen GlaubensbrÅder wendet: An den Anfang se<strong>in</strong>er Schrift<br />

(Text 1) stellt er den programmatischen Ausruf aus dem ersten Petrusbrief „Seid<br />

stets zur Verantwortung bereit!“ Hier referiert er mit groÉer Öberzeugung <strong>und</strong><br />

Wirkkraft die Worte des Apostels. Wie jener Vertreter des Urchristentums schon<br />

damals den Standpunkt vertrat, dass der Mensch bereit se<strong>in</strong> mÅsse, fÅr se<strong>in</strong>en<br />

Glauben e<strong>in</strong>zutreten, <strong>in</strong>dem er Skeptikern den christlichen Standpunkt zu erklÇren<br />

versucht <strong>und</strong> nicht verachtend auf sie herabblickt. Den Muslimen gegenÅber<br />

bedient sich der Scholastiker jedoch ausschlieÉlich rationalistischer Methoden wie<br />

Sprachreflexion <strong>und</strong> Logik. Er ist bereit, se<strong>in</strong>e Sprache <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Denken dem<br />

jeweiligen Adressaten anzupassen <strong>und</strong> erwartet nicht, dass jener versucht, ihn <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er eigenen Geisteswelt zu verstehen. Die Anstrengung des Verstehenwollens<br />

wird nicht vom Gegner erwartet, sondern der Schritt dazu wird selbst getan.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 47 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Entkoppelung von der eigenen PersÉnlichkeit: die offene Diskussionsform zielt nicht<br />

darauf ab, den Gegner zu besiegen, ihm die eigenen Gedanken quasi aufzudrÄngen <strong>und</strong><br />

ÅberzustÅlpen, den Kontrahenten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Denkart zu vernichten. Sie macht es sich<br />

vielmehr zum Anliegen, den Andersdenkenden von der rationalen Richtigkeit, also im<br />

Falle vernÅnftiger Ñberlegung von der Nachvollziehbarkeit <strong>und</strong> folglich<br />

Unwiderlegbarkeit der eigenen Gedanken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er jenem zugÄnglichen Sprache zu<br />

Åberzeugen. In manchen Fragen muss man auch damit leben kÉnnen, dass der andere<br />

se<strong>in</strong>e Sicht der D<strong>in</strong>ge behÄlt – wichtig ist, die geme<strong>in</strong>same Basis (oder das geme<strong>in</strong>sam<br />

Ziel) nicht aus den Augen zu verlieren. Sie garantiert, dass sich auch Menschen, die<br />

unterschiedlicher nicht denken kÉnnten, stets als gleichberechtigte Partner im Diskurs<br />

wieder f<strong>in</strong>den. Wer sich automatisch <strong>in</strong> dem Moment als Verlierer sieht, als es ihm nicht<br />

gelungen ist, se<strong>in</strong>en Diskussionspartner „nieder“ zu reden, wird nicht anders kÉnnen, als<br />

die totale Vernichtung des Anderen anzustreben. Wer die eigene Unterlegenheit <strong>in</strong> Form<br />

mangelnder Durchsetzungskraft <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass er den Anderen im GesprÄch nicht<br />

besiegt hat, als eigene Niederlage wertet, geht beschÄmt aus e<strong>in</strong>em Kampf hervor.<br />

Folglich wird er nur auf den nÄchstbesten Zeitpunkt s<strong>in</strong>nen, dafÅr Rache zu nehmen. Wer<br />

aber gelernt hat, den Standpunkt se<strong>in</strong>es Gegners zu akzeptieren <strong>und</strong> mit ihm wie Åber<br />

BrÅcken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Gedankenaustausch zu treten, kann aus e<strong>in</strong>er Diskussion, die ohne Sieg<br />

fÅr ihn geendet hat, sogar bereichert hervorgehen.<br />

7. Schritt: Zu welchem Ergebnis führt diese Art Konfliktbewältigung? Sie endet<br />

bestenfalls mit der Überzeugung des Gegners <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>nahme für die eigene<br />

Position aus vernünftiger Überlegung heraus, schlimmstenfalls mit der Gew<strong>in</strong>nung<br />

e<strong>in</strong>es kritisch argumentierenden Partners, <strong>in</strong> jedem Falle e<strong>in</strong>es Mitstreiters, der noch<br />

immer eigenständig denkt. Dieses Resultat trifft sich haargenau mit dem sokratischen<br />

Dialog, dessen Ziel es niemals war, den Gegner zu überwältigen, sondern e<strong>in</strong>en<br />

überzeugten Weggefährten zu f<strong>in</strong>den, mit der eigenen Bereitschaft, anzuerkennen,<br />

dass es nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Wahrheit gibt. Oder wenn es diese gibt, sie e<strong>in</strong> theoretisches<br />

Ideal bleibt, <strong>in</strong> der Praxis aber unerreichbar ist. Darüber traurig zu se<strong>in</strong>, ist absolut<br />

ke<strong>in</strong> Anlass: Wer die Größe besitzt, vom eignen Standpunkt abrücken zu können, ohne<br />

diesen aufzugeben, hat wahrlich e<strong>in</strong>en Vorteil gegenüber dem, der me<strong>in</strong>t, e<strong>in</strong>en<br />

Standpunkt absolut setzen zu können. Denn die Absolutheit e<strong>in</strong>er Lösung, die<br />

Annahme, dass es <strong>in</strong> jedem Streit nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige richtige Antwort geben kann, der<br />

Wahrheitsanspruch (selbstverständlich der jeweils eigenen Me<strong>in</strong>ung) kennt e<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>zigen Ausgang: Sieg <strong>und</strong> Niederlage. Unweigerlich muss es <strong>in</strong> diesem Kampf e<strong>in</strong>en<br />

Verlierer geben. So wird aus jedem Streit, der auch aus noch so banalem Gr<strong>und</strong>e<br />

begonnen haben mag, e<strong>in</strong> Kampf auf Leben <strong>und</strong> Tod.<br />

Die Bereitschaft, den anderen nicht um jedem Preis bezw<strong>in</strong>gen zu mÅssen, ist im<br />

Text der apologetischen Schrift von Thomas von Aqu<strong>in</strong> schon dadurch gegeben, dass<br />

der Gelehrte ja ke<strong>in</strong>em AndersglÇubigen gegenÅbersteht, sondern dessen physische<br />

Existenz bloÉ theoretisch voraussetzt. Dennoch wird das Ziel se<strong>in</strong>er Schrift De<br />

rationibus fidei <strong>in</strong> dem programmatischen Aufruf zu Beg<strong>in</strong>n deutlich. Dort heiÉt es<br />

eben nicht: „Bezw<strong>in</strong>gt den UnglÇubigen!“ oder „Wenn Du Dich an diese Handreichungen<br />

hÇltst, wirst Du den Andersdenkenden umstimmen.“ Die wahre Absicht<br />

se<strong>in</strong>es literarischen Unternehmens, das ZÅge e<strong>in</strong>er Lehrschrift <strong>und</strong> philosophischen<br />

Instruktion trÇgt, liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz anderen Aspekt, der im ersten Kapitel des<br />

Werkes augenfÇllig wird: Quo f<strong>und</strong>amento <strong>in</strong> corde collocato, heiÉt es da, contra<br />

omnes impugnationes aut irrisiones <strong>in</strong>fidelium tuti esse poterimus (Text 1). Das Ziel<br />

des Christen soll es se<strong>in</strong>, den eigenen Glauben immer <strong>und</strong> Åberall, fest <strong>und</strong> standhaft,<br />

stark <strong>in</strong> der eigenen Öberzeugung <strong>und</strong> gewandt <strong>in</strong> der Argumentation zu<br />

verteidigen. Dies er<strong>in</strong>nert an die Standfestigkeit e<strong>in</strong>es Sokrates <strong>und</strong> an das Ideal<br />

stoischer Philosophie, steht jedoch fernab von dem, was die Christenheit <strong>in</strong> den<br />

KreuzzÅgen zum politischen Programm auserkoren hat.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 48 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

e. zum Erwerb von Schlüsselkompetenzen:<br />

Horizonterweiterung: Wer sich mit der von dem Scholastiker <strong>in</strong>tendierten Bereitschaft auf<br />

e<strong>in</strong>e Diskussion e<strong>in</strong>lässt, wird <strong>in</strong> jedem Fall daraus nicht ärmer, sondern unter Umständen<br />

sogar reich beschenkt hervorgehen, hat er doch den Horizont der ihm zugänglichen<br />

Gesichtspunkte <strong>und</strong> Handlungsweisen, je tiefgründiger der Konflikt war, umso mehr<br />

erweitern können.<br />

Problemlösungskompetenz: Wem es gel<strong>in</strong>gt, se<strong>in</strong>en eigenen Erfahrungshorizont beständig<br />

zu erweitern <strong>und</strong> fremde Standpunkte zu <strong>in</strong>halieren, hat e<strong>in</strong> beträchtliches Potential<br />

gewonnen, um künftige Konflikte <strong>und</strong> Probleme jeder Art positiv zu bewältigen.<br />

Orientierungsvermögen: Wer sich verteidigen muss, wer sich schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Lage<br />

versetzt sah, se<strong>in</strong> Wesen, se<strong>in</strong>e Gedankengänge, Me<strong>in</strong>ungen <strong>und</strong> Werte, se<strong>in</strong>e Worte, se<strong>in</strong>e<br />

Handlungen oder se<strong>in</strong>e Verhaltensweise schlechth<strong>in</strong> anderen gegenüber rechtfertigen zu<br />

müssen, wird daraus gestärkt hervorgegangen se<strong>in</strong>. Sprachliche Reflexion schafft Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> festigt den eigenen Standpunkt. Mag dieser von dem früher bezogenen nun<br />

abweichen oder mit jenem ident se<strong>in</strong>, er wird bewusster e<strong>in</strong>genommen werden als jemals<br />

zuvor. Das Zulassen von Kritik <strong>und</strong> die Bereitschaft, sich auf e<strong>in</strong>en Kampf <strong>in</strong> konstruktiver<br />

Weise e<strong>in</strong>zulassen, führt nicht zur Verunsicherung, sondern verhilft im Gegenteil, die eigene<br />

Orientierung <strong>in</strong> der Vielfalt zu f<strong>in</strong>den.<br />

Kooperationsbereitschaft: Trotz Wahrung der eigenen Haltung wächst die Bereitschaft, den<br />

Anderen so zu akzeptieren, wie er ist. Dadurch dass sich ursprünglich fremd gegenüberstehende<br />

Wesen lernen, durch Erklärung der eigenen Situation Verständnis beim Anderen zu<br />

wecken <strong>und</strong> umgekehrt für dessen Standpunkte offen zu se<strong>in</strong>, werden Brücken geschlagen,<br />

die aus e<strong>in</strong>er pr<strong>in</strong>zipiellen Gegnerschaft e<strong>in</strong>e strategische Partnerschaft entstehen lassen.<br />

Teamgeist: In der Weise, dass sich die Begegnung mit dem Anderen auf wechselseitige<br />

Akzeptanz <strong>und</strong> Wertschätzung gründet, gibt es h<strong>in</strong>ter dem vordergründigen Anlass tiefere<br />

oder höhere Aspekte, die e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames H<strong>in</strong>arbeiten auf Metaziele selbst dort<br />

ermöglichen, wo primär unterschiedliche Interessen bestehen.<br />

Zivilcourage: Nicht Wegschauen <strong>und</strong> verächtliches Ignorieren ist das von Thomas von<br />

Aqu<strong>in</strong> empfohlene Ziel se<strong>in</strong>er apologetischen Schrift, sondern der Aufruf zur mutigen<br />

Verteidigung des eigenen Standpunktes, ohne dabei den Gegner zu verletzen. Vielmehr geht<br />

es darum, ihm aufmerksam <strong>und</strong> offen zu begegnen <strong>und</strong> statt Angst <strong>und</strong> Hass Verständnis <strong>und</strong><br />

Interesse bei ihm zu wecken.<br />

Gewissenhaftigkeit, Gründlichkeit <strong>und</strong> Ernsthaftigkeit: Beides, dem Gegner offenherzig<br />

gegenüber zu treten <strong>und</strong> dem gegenseitigen Kennenlernen breiten Raum zu geben, kostet<br />

freilich e<strong>in</strong> beträchtliches Maß an Anstrengung <strong>und</strong> tief schürfender Argumentation, wie sie<br />

die Schrift De rationibus fidei, selbst nur Abglanz der großen wissenschaftlichen Werke aus<br />

der Scholastik, erahnen lässt. Mit der Rekurrierung auf oberflächlich formulierte Schlagwörter<br />

lässt sich ke<strong>in</strong> Dialog führen, weil gerade dieser jenes Konfliktpotential heraufbeschwören<br />

würde, dem hier der Kampf angesagt ist.<br />

E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der Pluralität: Es kann nicht S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er multikulturellen Gesellschaft se<strong>in</strong>, sich<br />

gegenseitig e<strong>in</strong> Zwangskorsett anzulegen. Vielmehr geht es darum, <strong>in</strong> der Pluralität E<strong>in</strong>heit<br />

im S<strong>in</strong>ne von für alle akzeptablen Identifikationsmerkmalen zu stiften. Wie fruchtbr<strong>in</strong>gend<br />

<strong>und</strong> erfrischend hat sich kulturelle Vielfalt stets <strong>in</strong> der Geschichte für die Menschen<br />

ausgewirkt, sofern diese nicht ausschließlich auf eigennützige Ziele bedacht waren!<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 49 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig


Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Demokratiebewusstse<strong>in</strong>: Letztlich ist diese Art der Standfestigkeit, der e<strong>in</strong> überzeugtes<br />

Auftreten sowie E<strong>in</strong>treten für die eigenen Werte zueignet, unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung e<strong>in</strong>er<br />

funktionierenden Demokratie. Mag auch die demonstrierte Haltung hier vor e<strong>in</strong>em religiösen<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> aufgezeigt werden, entspricht sie dennoch exakt jenem rationalistischen Denken,<br />

das die Aufklärung hervorgebracht <strong>und</strong> sich (historisch) <strong>in</strong> der Demokratie verwirklicht hat<br />

sowie (politisch) <strong>in</strong> der Handlungspraxis stets aufs Neue bewähren muss. Ke<strong>in</strong>es F<strong>und</strong>aments<br />

bedarf die Demokratie so sehr, wie gründlich recherchierender, im Herzen jedoch treuer,<br />

geme<strong>in</strong>samen Werten verpflichteter, im eigentlichen S<strong>in</strong>ne kritisch denkender Bürger.<br />

Bildungsbewusstse<strong>in</strong>: E<strong>in</strong>e aufgeklärte Demokratie setzt e<strong>in</strong>e entsprechend hohe Bildung<br />

der Bevölkerung voraus, weil nur diese zu jenem verantwortungsbewussten Handeln, das auf<br />

Reflexion <strong>und</strong> Rechenschaft abzielt, befähigt. Um die Wurzeln jener Irrme<strong>in</strong>ungen<br />

aufzuspüren, die der Islam über Christen vertrat, mussten die Christen erst e<strong>in</strong>mal Arabisch<br />

lernen <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> die Denkweise der Muslimen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen, schließlich diese so wie<br />

ihren eigenen Glauben e<strong>in</strong>er reflektierenden Analyse unterziehen. Basis der Reflexionsbereitschaft<br />

ist die philosophische Geistesbildung, die solide sprachliche Bildung wieder die<br />

Voraussetzung, um überhaupt der Reflexion fähig zu se<strong>in</strong>.<br />

Wissenschaftlichkeit: Sie wieder gründet alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Reflexionsfähigkeit auf e<strong>in</strong>er sehr<br />

hohen Stufe. Was e<strong>in</strong>en wissenschaftlichen Standpunkt auszeichnet ist letztlich das Abgehen<br />

von emotionaler oder <strong>in</strong>dividueller Involviertheit, seien dafür politische, kulturelle (religiöse)<br />

oder sozioökonomische Gründe ausschlaggebend. Erst wer sich jeder unreflektierten<br />

Äußerung enthält, kann für sich <strong>in</strong> Anspruch nehmen, wissenschaftlich zu argumentieren.<br />

Wissenschaftliches Denken ist daher gleichzusetzen mit logischen, re<strong>in</strong> rationalem, also<br />

ausschließlich sich an Sachkriterien orientierendem Denken, das bekannten Gesichtspunkten<br />

folgt <strong>und</strong> sowohl die angelegten Maßstäbe offen legt wie an e<strong>in</strong>mal bestimmten Parametern<br />

festhält.<br />

Gerade dar<strong>in</strong> liegt e<strong>in</strong> unschätzbarer Wert dieser kle<strong>in</strong>en Schrift aus der Feder des größten<br />

mittelalterlichen Gelehrten: weil sie <strong>in</strong> der Abgeschlossenheit des Thematik, <strong>in</strong> der Kürze <strong>und</strong><br />

Prägnanz der Gedankenführung, <strong>in</strong> der Beispielhaftigkeit an struktureller Gliederung <strong>und</strong><br />

logischer Durchführung, schließlich <strong>in</strong> der Klarheit ihrer Aussage wie Nüchternheit ihrer<br />

Sprache <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiger Weise jungen Menschen am Gymnasium vor Augen zu führen vermag,<br />

was Wissenschaftlichkeit bedeutet. Ist jene doch immer noch das erklärte Ziel der AHS, selbst<br />

wenn die <strong>in</strong> diesem Schultyp abgelegte Reifeprüfung schon seit Jahren <strong>und</strong> völlig zu recht<br />

ke<strong>in</strong>eswegs mehr als Garant der gern gepriesenen Studierfähigkeit gilt.<br />

Bibliographie:<br />

Textgr<strong>und</strong>lage (mit ger<strong>in</strong>gfügigen Änderungen):<br />

http://www.corpusthomisticum.org/ocg.html [Stand: 11. Mai 2007].<br />

Kommentar <strong>und</strong> Übersetzung:<br />

T h o m a s v o n Aq u i n , De rationibus fidei, kommentierte late<strong>in</strong>sich-deutsche Textausgabe von Ludwig Hagemann /<br />

Re<strong>in</strong>hold Glei, (<strong>in</strong>: Corpus Islamo-christianum CISC, Series Lat<strong>in</strong>a Bd. 2) CIS-Verlag, Altenberge 1987.<br />

Literaturtipps:<br />

G a b r i e l , M a r k A. , Jesus <strong>und</strong> Mohammed. Erstaunliche Unterschiede <strong>und</strong> überraschende Ähnlichkeiten, Gräfelf<strong>in</strong>g 2006.<br />

L e i m g r u b e r , S t e p h a n / W i m m e r , S t e f a n J . , Von Adam bis Muhamad, Stuttgart 2005.<br />

S c h w e i z e r , G e r h a r d , Ungläubig s<strong>in</strong>d immer die anderen. Weltreligionen zwischen Toleranz <strong>und</strong> Fanatismus,<br />

2. aktualisierte Aufl., Stuttgart 2002.<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 50 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig

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