Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
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Ich hatte gedacht, nichts könnte mich nach me<strong>in</strong>er ersten Reise nach Afrika noch derart<br />
aufwühlen.<br />
Da hatte ich mich wohl getäuscht.<br />
14. Juli <strong>1895</strong><br />
Es ist e<strong>in</strong> trauriger Anlass, aus dem ich heute schreibe, denn unser Begleiter „Malcolm“<br />
ist verunglückt.<br />
Nach e<strong>in</strong>igen sehr erfolgreichen Wochen, <strong>in</strong> denen gut vorankamen und überraschend<br />
viele unbekannte Tierarten entdeckten, hatten wir <strong>in</strong> den letzten Tagen e<strong>in</strong>e<br />
ausgesprochene Pechsträne.<br />
Es begann damit, dass e<strong>in</strong>es unserer Kanus aufgrund unter der Wasseroberfläche<br />
verborgener Felsen leck schlug, und endete dar<strong>in</strong>, dass Nagetiere nachts e<strong>in</strong>en Großteil<br />
unserer Essensvorräte ungenießbar machten und sich der Dolmetscher den Fuß<br />
verstauchte.<br />
Gestern wollten wir schließlich e<strong>in</strong>en ruhigen Nebenarm des „Ogooué“ durchquerten.<br />
Um Kraft zu sparen, stakste je e<strong>in</strong> Mann e<strong>in</strong> Kanu mit e<strong>in</strong>er langen Holzstange<br />
vorwärts. Dies ist <strong>in</strong> stillen Gewässern m<strong>in</strong>destens so effektiv wie Rudern, obwohl nur<br />
e<strong>in</strong>e Person arbeiten muss.<br />
Es funktionierte <strong>in</strong> unserem Fall auch anstandslos, bis wir etwas die Mitte des Flusses<br />
erreicht hatten.<br />
Dann g<strong>in</strong>g plötzlich alles sehr schnell. Man hörte e<strong>in</strong>e Art Brüllen, e<strong>in</strong> großes Tier<br />
tauchte aus dem trüben Wasser auf und das Boot vor uns kenterte.<br />
Ich konnte nicht genau erkennen, was passiert war, aber ansche<strong>in</strong>end hatte Malcolm mit<br />
se<strong>in</strong>er Holzstange unter Wasser e<strong>in</strong> Flusspferd getroffen, das daraufh<strong>in</strong> aggressiv wurde<br />
und auftauchte.<br />
Unglücklicherweise war Malcolms Kanu schräg über dem Tier, sodass die leichte<br />
Holzkonstruktion aus dem Gleichgewicht geriet und die drei Männer <strong>in</strong>s Wasser fielen.<br />
Ihr Zappeln und Schreien verärgerte das Flusspferd nur noch mehr, woraufh<strong>in</strong> es Malcolm<br />
e<strong>in</strong>en handlangen Zahn <strong>in</strong> den Bauch stieß.<br />
Es war grauenhaft. Innerhalb weniger Sekunden war das Wasser um Malcolm herum rot<br />
vor Blut.<br />
Der schwarze Gepäckträger, der h<strong>in</strong>ter mir stand, klopfte dem Vieh kurz entschlossen mit<br />
se<strong>in</strong>es Holzstange zwischen die Augen, um es von dem Verletzten abzulenken.<br />
Im Grunde war es ke<strong>in</strong>e schlechte Idee, hatte jedoch zur Folge, dass das Tier nun<br />
geradewegs auf unser Boot zugeschwommen kam.<br />
Wieder wollte die mir altbekannte Panik von mir Besitz ergreifen, doch mit größter Anstrengung<br />
schaffte ich es, e<strong>in</strong>en kühlen Kopf zu bewahren. Was konnten wir tun?<br />
Die Männer konnten nicht schießen, dazu war der Verletzte viel zu nahe am Zielobjekt,<br />
er wäre leicht getroffen worden. E<strong>in</strong>e andere brauchbare Waffe als die Gewehre hatten<br />
wir nicht. Mit weit aufgerissenem Maul kam das Ungeheuer auf mich zu. Ich konnte das<br />
Schimmern der Zähne neben der Zunge erkennen. Gleich würden sie mich aufspießen.