Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
Mary Kingsley: Meine Zeit in Westafrika 1895
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Ehe er wusste, wie ihm geschah, bestach ich den Mann mit Hilfe des Dolmetschers, uns<br />
für e<strong>in</strong>en Ballen Englischen Tuches zu se<strong>in</strong>em Stamm zu führen. Das war e<strong>in</strong> Fehler, wie<br />
sich später herausstellen sollte.<br />
<strong>Me<strong>in</strong>e</strong>n Begleitern erläuterte ich überzeugt, <strong>in</strong> der Gesellschaft e<strong>in</strong>er Stammesmitglieds<br />
könne uns nichts geschehen, und sie erklärten sich endlich bereit, sich mir anzuschließen.<br />
Ich, naiv wie ich nun e<strong>in</strong>mal war, glaubte wirklich nicht, die Fang würden uns Böses<br />
antun, schließlich hatten wir reichlich Geschenke für sie dabei und viele gute<br />
Erklärungen für unseren Besuch vorbereitet. So g<strong>in</strong>g ich relativ bedenkenlos h<strong>in</strong>ter dem<br />
Fang durch den Regenwald.<br />
Doch als wir zum Dorf kamen, erwartete uns e<strong>in</strong>e böse Überraschung:<br />
Etliche Krieger des Stammes hatten uns bereits seit geraumer <strong>Zeit</strong> umz<strong>in</strong>gelt und trieben<br />
uns nun zum Mittelpunkt der Ansammlung aus kle<strong>in</strong>en Holzhütten, wo e<strong>in</strong> riesiges Feuer<br />
loderte.<br />
Mit Schrecken musste ich erkennen, dass sie unsere Erklärungen ansche<strong>in</strong>end gar nicht<br />
erst anhören, sondern uns gleich verspeisen wollten. Ihr Geschrei war schrecklich, und sie<br />
tanzten mit fliegenden Zöpfen eng um uns herum. Selbst ich bekam <strong>in</strong> dieser Situation<br />
Angst, ganz zu schweigen von me<strong>in</strong>en Führern, die vor Furcht mit den Zähnen klapperten.<br />
Doch neben me<strong>in</strong>er Angst tobte e<strong>in</strong> heftiges Schuldbewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> mir. Wegen me<strong>in</strong>es<br />
Ehrgeizes sollten me<strong>in</strong>e Führer und Begleiter allesamt umgebracht werden. Das durfte ich<br />
nicht zulassen, sie waren schließlich unschuldig!<br />
Ich nahm me<strong>in</strong>en ganzen Mut zusammen, trat mit zitternden Knien auf e<strong>in</strong>en reich<br />
geschmückten Krieger zu, von dem ich annahm, dass er der Anführer war, legte ihm e<strong>in</strong>en<br />
Haufen Perlenketten vor die Füße und sagte laut: „Ich b<strong>in</strong>`s doch nur, <strong>Mary</strong>!“<br />
Die Fang schienen daraufh<strong>in</strong> unsicher zu werden. Vielleicht gab es ja wider Erwarten<br />
doch noch Hoffnung! Schnell überreichten wir ihnen weitere Geschenke und versuchten<br />
zu erklären, dass wir <strong>in</strong> friedlicher Absicht kämen.<br />
Gut, dass wir die Gewehre nicht mitgenommen hatte, dann hätten uns die Fang sicher<br />
nicht vertraut.<br />
So luden sie uns nach langem Gerede zu unserer größten Erleichterung e<strong>in</strong>, die Nacht bei<br />
ihnen zu verbr<strong>in</strong>gen und unsere neugierigen Fragen zu beantworten, was wir natürlich<br />
nicht ausschlagen konnten, auch wenn wir bezüglich e<strong>in</strong>er Übernachtung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Kannibalendorf nicht besonders begeistert waren. Die Fang schenkten uns sogar etwas,<br />
aber es war so ekelhaft, dass ich es bei der nächstbesten Gelegenheit wieder entsorgte. Es<br />
war e<strong>in</strong> Säckchen, <strong>in</strong> dem sich Menschenaugen und -f<strong>in</strong>ger befanden.<br />
Nach dieser Entdeckung schlief ich dementsprechend schlecht, und außerdem war die<br />
Gefahr von Seiten der Fang ja noch nicht gebannt. Vielleicht wollten sie uns mitten <strong>in</strong><br />
der Nacht überfallen, um uns mit weniger Gegenwehr zu braten! Schon alle<strong>in</strong> bei diesem<br />
Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken h<strong>in</strong>unter.<br />
Ich war gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en leichten Dämmerschlaf gefallen, als ich durch lautes Gerede<br />
neben me<strong>in</strong>er Hütte wieder geweckt wurde. Wahrsche<strong>in</strong>lich wollten uns die Kannibalen<br />
jetzt doch noch verspeisen! Verängstigt schlich ich mich zum E<strong>in</strong>gang me<strong>in</strong>er Behausung<br />
und spähte h<strong>in</strong>aus. Dort sah ich zu me<strong>in</strong>er größten Verwunderung den Fangkrieger, den<br />
wir im Wald getroffen hatten, gefesselt neben dem Feuer liegen.