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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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medtropole Aktuelles<br />

Nr. 18 Juli 2009<br />

EINE GEFÄHRLICHE KOMBINATION:<br />

Protonenpumpeninhibitoren + Clopidogrel<br />

WER BIN ICH – UND WENN JA, WIE VIELE?<br />

Dissoziative Identitätsstörungen<br />

KOPF-HALS-TUMORE<br />

Mo<strong>der</strong>ne chirurgische Konzepte<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>


Impressum<br />

Redaktion<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

(verantw.)<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

PD Dr. Oliver Detsch<br />

Dr. Birger Dulz<br />

PD Dr. Siegbert Faiss<br />

Dr. Christian Frerker<br />

Dr. Annette Hager<br />

Dr. Susanne Huggett<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />

Dr. Ulrich Müllerleile<br />

Dr. Ursula Scholz<br />

PD Dr. Gunther Harald Wiest<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Cornelia Wolf<br />

Her<strong>aus</strong>geber<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg GmbH<br />

Unternehmenskommunikation<br />

Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />

Rübenkamp 226<br />

22307 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />

Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />

E-Mail:<br />

medtropole@asklepios.com<br />

Auflage: 15.000<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 1863-8341<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Fortschritt in <strong>der</strong> Medizin entsteht durch Fortbildung. Ein Umstand, dem auch<br />

die 18. Ausgabe <strong>der</strong> medtropole gerecht werden möchte. Im vorliegenden Heft<br />

werden unterschiedliche Themen <strong>der</strong> Medizin, denen wir mitunter täglich<br />

begegnen, diskutiert.<br />

Arzneimittelwechselwirkungen spielen eine immer größere Rolle in unserer<br />

täglichen Praxis. Frau Dr. Liekweg und Privatdozent Dr. Faiss machen auf die<br />

gefährliche Kombination von Protonenpumpeninhibitoren und Clopidogrel<br />

aufmerksam.<br />

Professor Dr. Schwenk gibt einen Überblick über die „Fast-track“-Rehabilitation, eine zukunftorientierte<br />

Behandlungsoption. Der plötzliche Herztod ist ein nicht seltenes Ereignis, man erinnere<br />

sich an die Berichte über zwei unserer besten Sportler, die in diesem Jahr akut in jungen Jahren<br />

starben. Dr. Tönnis berichtet über eine erfolgversprechende neue Technik, das „Magnetic Field<br />

Imaging“.<br />

Im nächsten Artikel diskutiert Frau Dr. Dr. Moldzio Dissoziative Identitätsstörungen, psychische<br />

Erkrankungen, bei denen die drei wesentlichen integrierenden Funktionen des Bewusstseins nachhaltig<br />

gestört sind. Neurologische Erkrankungen verursachen häufig Komplikationen im Bereich<br />

des Gastrointestinaltrakts – und umgekehrt. Privatdozent Dr. Christl und Professor Dr. Töpper<br />

geben hierzu einen interessanten Einblick. Pseudarthrosen, Pathophysiologie und Therapie sind<br />

das Thema <strong>der</strong> Übersichtarbeit von Professor Dr. Schildhauer.<br />

Dr. Külkens beschreibt mo<strong>der</strong>ne chirurgische Konzepte <strong>der</strong> Kopf-Hals-Tumore.<br />

Zwei Arbeiten <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Neurologie bzw. Onkologie, zur interdiziplinären Versorgung neuroonkologischer<br />

Patienten von Dr. Kämper et al., sowie zum Schlaganfall von Professor Dr. Arning runden<br />

die 18. Ausgabe ab.<br />

Ich hoffe, dass sie Ihr Interesse findet und verbleibe<br />

mit freundlichen Grüßen<br />

Ihr<br />

Prof. Dr. Christian San<strong>der</strong><br />

Ärztlicher Direktor <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg


Inhalt<br />

676 | PHARMAKOLOGIE/INNERE MEDIZIN<br />

Eine gefährliche Kombination:<br />

Protonenpumpeninhibitoren + Clopidogrel<br />

678 | CHIRURGIE<br />

„Fast-track“-Rehabilitation<br />

682 | KARDIOLOGIE<br />

Magnetic Field Imaging<br />

684| PSYCHIATRIE<br />

Dissoziative Identitätsstörungen<br />

688 | NEUROLOGIE / GASTROENTEROLOGIE<br />

Gehirn und Darm – Neurogastroenterologie<br />

691 | UNFALLCHIRURGIE<br />

Pseudarthrosen: Pathophysiologie und Therapie<br />

694 | PERSONALIA<br />

695 | HALS-NASEN-OHRENHEILKUNDE<br />

Kopf-Hals-Tumore – mo<strong>der</strong>ne chirurgische Konzepte<br />

698 | NEUROCHIRURGIE UND ONKOLOGIE<br />

Interdisziplinäre Versorgung neuroonkologischer Patienten<br />

700 | NEUROLOGIE<br />

Schlaganfall – ein Notfall<br />

704 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />

Hilfe <strong>für</strong> Schwerkranke – die Geschichte <strong>der</strong> Intensivmedizin<br />

S. 682<br />

S. 684<br />

S. 700


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Eine gefährliche Kombination:<br />

Protonenpumpeninhibitoren +<br />

Clopidogrel<br />

Priv.-Doz. Dr. Siegbert Faiss, Dr. Andrea Liekweg<br />

Eine gemeinsame medikamentöse Therapie mit PPI und Clopidogrel als einem <strong>der</strong> vor allem in Kardio- und<br />

Neurologie verwendeten Thrombozytenaggregationshemmer galt bis vor kurzem als völlig unproblematisch.<br />

Die klinische Relevanz <strong>der</strong> Arzneimittelinteraktionen bei<strong>der</strong> Substanzgruppen war bislang wenig bekannt.<br />

Doch in den vergangenen Monaten wurden mehrere klinische Studien publiziert, die ganz erhebliche Arznei -<br />

mittelinteraktionen dieser beiden Substanzgruppen postulieren und das künftige Management im gemeinsamen<br />

Umgang mit PPI und Clopidogrel nachhaltig verän<strong>der</strong>n werden.<br />

Protonenpumpeninhibitoren (PPI, z. B.<br />

Omeprazol, Esomeprazol, Pantoprazol)<br />

und Thrombozytenaggregationshemmer<br />

(z. B. ASS, Clopidogrel) zählen seit einigen<br />

Jahren zu den weltweit meistverordneten<br />

und zugleich umsatzstärksten Arzneimittelgruppen.<br />

In Deutschland hat sich die<br />

Zahl <strong>der</strong> verordneten definierten Tagesdosen<br />

an PPI in den vergangenen 10 Jahren<br />

versechsfacht. [9] Dabei stehen die Omeprazol-Generika<br />

im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

PPI werden vor allem zur Therapie säurebedingter<br />

gastrointestinaler Erkrankungen<br />

wie Ulcera ventriculi et duodeni, gastro -<br />

ösophagealer Refluxerkrankungen sowie in<br />

Kombination mit Antibiotika zur Helico -<br />

bacter-Eradikation eingesetzt. Darüber hin<strong>aus</strong><br />

werden sie leitliniengerecht [2] auch bei<br />

Patienten mit erhöhtem gastrointestinalen<br />

Blutungsrisiko, insbeson<strong>der</strong>e ab einem<br />

Lebensalter von 60 Jahren, prophylaktisch<br />

in <strong>der</strong> Kombination mit nichtsteroidalen<br />

Antirheumatika, Corticosteroiden und bei<br />

<strong>der</strong> Therapie mit oralen Antikoagulantien<br />

eingesetzt.<br />

Clopidogrel findet Einsatz bei Patienten<br />

mit Herzinfarkt, ischämischem Schlaganfall<br />

676<br />

o<strong>der</strong> nachgewiesener peripherer arterieller<br />

Verschlusskrankheit. Auch Patienten mit<br />

akutem Koronarsyndrom profitieren von<br />

diesem Thrombozytenaggregationshemmer<br />

(ADP-Rezeptorantagonist). Kardiologische<br />

und neurologische Therapieleitlinien<br />

differenzieren die Patientenkollektive,<br />

die von Clopidogrel als Monotherapie, in<br />

Kombination mit Acetylsalicylsäure o<strong>der</strong><br />

von Acetylsalicylsäure allein profitieren.<br />

Auch <strong>der</strong> notwendige Anwendungszeit -<br />

raum wird indikationsabhängig beschränkt.<br />

Anfang 2008 beschrieb erstmals eine Studie<br />

eine Interaktion zwischen Clopidogrel und<br />

Omeprazol bei Patienten, die im Anschluss<br />

an eine Stent-Implantation mit einer Kombination<br />

von ASS und Clopidogrel behandelt<br />

wurden. [4] Dabei zeigte sich, dass die<br />

Patienten in <strong>der</strong> Omeprazol-Gruppe<br />

gegenüber <strong>der</strong> Kontrollgruppe einen vermin<strong>der</strong>ten<br />

Clopidogrel-abhängigen Effekt<br />

erreichten, die Aggregationshemmung<br />

durch Clopidogrel also schwächer <strong>aus</strong>geprägt<br />

war (Abnahme des Platelet Reactivity<br />

Index in <strong>der</strong> Placebo-Gruppe um 43,3 %, in<br />

<strong>der</strong> Omeprazol-Gruppe um 32,6 %). Die<br />

Autoren schreiben diesem Effekt eine<br />

große klinische Bedeutung zu, da <strong>der</strong> zur<br />

Risikoabsenkung gefor<strong>der</strong>te PRI-Wert von<br />

< 50 % von 61 % <strong>der</strong> mit Omeprazol behandelten<br />

Patienten nicht mehr erreicht wurde<br />

(vs. 27 % in <strong>der</strong> Placebo-Gruppe).<br />

Eine mögliche Erklärung ist, dass Clopidogrel<br />

als inaktives Prodrug verabreicht wird<br />

und <strong>für</strong> die Aktivierung auf das Cytochrom-<br />

P450-Subenzym 2C19 angewiesen ist.<br />

Omeprazol kann als Cytochrom-P450<br />

2C19-Inhibitor bei gleichzeitiger Gabe die<br />

Umwandlung von Clopidogrel in die aktive<br />

Form hemmen. Die Cytochrom-P450-<br />

Enzyme unterliegen zudem einer erheblichen<br />

genetischen Variabilität. Bei drei bis<br />

fünf Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung ist Cyto -<br />

chrom-P450-2C19 inaktiv, was in einer<br />

langsameren Metabolisierung resultiert.<br />

Diese Erkenntnis schlägt sich jedoch bislang<br />

nicht in konkreten Therapieempfehlungen<br />

nie<strong>der</strong>, da die Identifizierung <strong>der</strong><br />

„Langsam-Metabolisierer“ im klinischen<br />

Alltag bislang noch nicht möglich ist.<br />

Nach Daten <strong>aus</strong> Kohortenstudien sind<br />

diese CYP-2C19-Varianten mit verringerten<br />

Blutspiegeln des aktiven Clopidogrelmetaboliten<br />

und gesteigerter Plättchenaggregation<br />

verbunden. [3,8] Neben genetischen Variabilitäten,<br />

die eine Clopidogrel-Resistenz


erklären können, sind aber auch extrinsische<br />

Ursachen wie Non-Compliance und<br />

Arzneimittelwechselwirkungen in Erwägung<br />

zu ziehen. Wirkstoffe, die dieses<br />

Cytochrom hemmen o<strong>der</strong> um die Bindungsstelle<br />

konkurrieren, behin<strong>der</strong>n die<br />

Umwandlung in den aktiven Metaboliten<br />

und schwächen die Clopidogrel-Wirkung.<br />

Hierzu gehören einige Protonenpumpenhemmer<br />

(Omeprazol, Esomeprazol, Lansoprazol).<br />

In einer weiteren klinischen Studie zur<br />

gleichzeitigen Gabe von Pantoprazol und<br />

Clopidogrel wurde zwischen diesen beiden<br />

Substanzen keine Interaktion beobachtet. [10]<br />

Die mögliche Erklärung hier<strong>für</strong> ist, dass<br />

Pantoprazol eine 10-fach geringere Affinität<br />

zum Cytochrom Subenzym 2C19 hat<br />

als Omeprazol. Pantoprazol wird darüber<br />

hin<strong>aus</strong> vorrangig über das Cytochrom<br />

(CYP) 2C9 verstoffwechselt und interagiert<br />

daher nicht mit dem über CYP 2C19 in seinen<br />

aktiven Metaboliten überführten Clo-<br />

pidogrel. [7]<br />

Seit November letzten Jahres wurden nun<br />

auch bereits mehrere Fall-Kontroll-Studien<br />

publiziert, die an großen Patientenkollektiven<br />

die klinische Auswirkung des Clopidogrel-inhibierenden<br />

Effekts von Protonenpumpenhemmern<br />

untersuchten: Eine Ende<br />

2008 erschienene Studie bezieht sich auf<br />

Daten von 16.690 Patienten einer Online-<br />

Apotheke und ergab <strong>für</strong> die Gruppe <strong>der</strong><br />

Clopidogrel-Patienten, die zusätzlich einen<br />

PPI bekamen, innerhalb eines Jahres ein<br />

um 50 Prozent höheres relatives Risiko <strong>für</strong><br />

schwere kardiovaskuläre Ereignisse. [1]<br />

Bei einer Auswertung von 8.205 Patienten<br />

einer US-Veteranenklinik erreichten 29,8 %<br />

<strong>der</strong> Patienten, die PPI zusammen mit Clopidogrel<br />

einnahmen, den Endpunkt Tod<br />

o<strong>der</strong> Re-Hospitalisierung. In <strong>der</strong> Kontrollgruppe<br />

waren es nur 20,8 %. [5] Wie alle Fall-<br />

Kontroll-Studien unterliegen auch diese<br />

Arbeiten entsprechenden Limitationen.<br />

Außerdem wurde in den Auswertungen<br />

<strong>der</strong> Patientendaten nicht nach den einzelnen<br />

PPI differenziert.<br />

Eine aktuelle kanadische Studie [6] be schreibt<br />

nun erstmals eine differenzierte Heran -<br />

gehensweise an diese Fragestellung, indem<br />

<strong>der</strong> Einfluss von PPI auf die Häufigkeit<br />

von Reinfarkten bei Koronarpatienten<br />

unter Clopidogrel-Therapie untersucht<br />

wird. In die Fall-Kontroll-Studie wurden in<br />

den Jahren 2002 – 2007 insgesamt 13.636<br />

Patienten eingeschlossen, die nach einem<br />

akuten Herzinfarkt Clopidogrel und als<br />

Magenschutz einen Protonenpumpenhemmer<br />

erhielten. Im Anschluss wurde die<br />

Reinfarktrate <strong>der</strong> folgenden 90 Tage beobachtet.<br />

Insgesamt 734 Patienten erlitten im<br />

Beobachtungszeitraum einen Reinfarkt, <strong>der</strong><br />

Vergleich mit 2.057 Kontrollpatienten<br />

brachte ein überzeugendes Ergebnis: Die<br />

Reinfarktrate war unter allen Protonenpumpenhemmern<br />

bis auf Pantoprazol signifikant<br />

erhöht. Das Risiko stieg unter<br />

Omeprazol, Rabeprazol o<strong>der</strong> Lansoprazol<br />

um 40 Prozent, während es unter Pantoprazol<br />

unverän<strong>der</strong>t blieb.<br />

Fazit<br />

Der sehr breite Einsatz von PPI insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Prophylaxe von NSARbedingten<br />

Schädigungen sollte überdacht<br />

werden. Die 2C19 Interaktion kann neben<br />

<strong>der</strong> Clopidogrel-Wirkung auch die Wirksamkeit<br />

an<strong>der</strong>er Arzneimittel (z. B. Diazepam,<br />

Phenytoin, Cyclosporin) verän<strong>der</strong>n.<br />

Der Einsatz von Ranitidin in <strong>der</strong> Prophylaxe<br />

NSAR-bedingter Schädigungen sollte<br />

gegebenenfalls erwogen werden. CAVE!<br />

Cimetidin ist hier keine Option, da es<br />

ebenfalls Cytochrom-P450-2C19 inhibiert!<br />

Besteht weiter eine Indikation <strong>für</strong> einen<br />

PPI, sollte Pantoprazol überall dort eingesetzt<br />

werden, wo eine Cytochrom-P450-<br />

2C19-vermittelte Interaktion mit an<strong>der</strong>en<br />

Arzneimitteln möglich ist. Beim Einsatz<br />

von Clopidogrel in Kombination mit einem<br />

PPI ist daher Pantoprazol den an<strong>der</strong>en PPI<br />

(Omeprazol, Esomeprazol, Lansoprazol)<br />

vorzuziehen.<br />

Ist die gleichzeitige Gabe eines Thrombozytenaggregationshemmers<br />

und eines PPI<br />

erfor<strong>der</strong>lich, ist auch zu prüfen, inwieweit<br />

die Monotherapie mit Acetylsalicylsäure<br />

dem Patienten einen <strong>aus</strong>reichenden Schutz<br />

bietet, da hier keine Interaktionsgefahr<br />

besteht.<br />

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass<br />

kein Interessenkonflikt besteht.<br />

Literatur<br />

Pharmakologie/Innere Medizin<br />

[1] Aubert RE, Epstein RS, Teagarden JR, et al. Proton<br />

pump inhibitors effect on clopidogrel effectiveness: The<br />

Clopidogrel Medco Outcomes Study. Circulation. 2008;<br />

118: S_815.<br />

[2] Fischbach W, Malfertheiner P, Hoffmann JC, et al. S3-<br />

Leitlinie „Helicobacter pylori und gastroduodenal ulcer<br />

disease“. Z Gastroenterol. 2009 Jan; 47(1): 68-102.<br />

[3] Frere C, Cuisset T, Morange PE, et al. Effect of cytochrome<br />

p450 polymorphisms on platelet reactivity after treatment<br />

with clopidogrel in acute coronary syndrome. Am J<br />

Cardiol. 2008 Apr 15; 101(8): 1088-93.<br />

[4] Gilard M, Arnaud B, Cornily JC, et al. Influence of omeprazole<br />

on the antiplatelet action of clopidogrel associated<br />

with aspirin: the randomized, double-blind OCLA (Omeprazole<br />

CLopidogrel Aspirin) study. J Am Coll Cardiol.<br />

2008 Jan 22; 51(3): 256-60.<br />

[5] Ho M, Maddox T, Wang L, et al. Risk of Adverse Outcomes<br />

Associated With Concomitant Use of Clopidogrel and<br />

Proton Pump Inhibitors Following Acute Coronary Syndrome.<br />

JAMA 2009; 301(9): 937-44.<br />

[6] Juurlink DN, Gomes T, Ko DT, et al. A populationbased<br />

study of the drug interaction between proton pump<br />

inhibitors and clopidogrel. CMAJ 2009; 1 80(7): 713-8.<br />

[7] Lau WC, Gurbel PA. The drug-drug interaction between<br />

proton pump inhibitors and clopidogrel. CMAJ. 2009;<br />

180(7): 699-700.<br />

[8] Mega J, Close S, Wiviott S, et al. Cytochrome P-450<br />

Polymorphisms and Response to Clopidogrel. N Engl J<br />

Med. 2009; 360(4): 354-62.<br />

[9] Mössner J. In: Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungsreport<br />

2008; Kapitel 32: 661-90.<br />

[10] Siller-Matula JM, Spiel AO, Lang IM, Kreiner G, Christ<br />

G, Jilma B. Effects of pantoprazole and esomeprazole on<br />

platelet inhibition by clopidogrel. Am Heart J. 2009 Jan;<br />

157(1): 148.e1-5.<br />

Kontakt<br />

Priv.-Doz. Dr. Siegbert Faiss<br />

III. Med. Abteilung<br />

(Gastroenterologie/Hepatologie)<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 38 10<br />

Fax (0 40) 18 18-82 38 19<br />

E-Mail: s.faiss@asklepios.com<br />

Dr. Andrea Liekweg<br />

Krankenh<strong>aus</strong>apotheke<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg GmbH<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Barmbek<br />

Rübenkamp 220, 22291 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 64 72<br />

E-Mail: a.liekweg@asklepios.com<br />

677


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

„Fast-track“-Rehabilitation<br />

Optimierte perioperative Behandlung<br />

zur Beschleunigung <strong>der</strong> Genesung und Vermeidung allgemeiner Komplikationen<br />

Prof. Dr. Wolfgang Schwenk<br />

Die perioperative Behandlung folgt in weiten Bereichen <strong>der</strong> operativen Medizin traditionellen Vorstellungen,<br />

ohne die Erkenntnisse mo<strong>der</strong>ner wissenschaftlicher Untersuchungen zu berücksichtigen. Die Kombination von<br />

Behandlungsmaßnahmen, <strong>der</strong>en Effektivität in randomisierten, kontrollierten klinischen Studien nachgewiesen<br />

wurde, zu einem interprofessionellen, multimodalen und patientenzentrierten klinischen Behandlungspfad nennt<br />

man „Fast-track“-Rehabilitation. Die optimierte perioperative Behandlung vermeidet allgemeine Komplikationen,<br />

beschleunigt die Genesung und stellt die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Patienten rasch wie<strong>der</strong> her.<br />

Interventionelle und minimal-invasive<br />

Techniken reduzierten Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

das Zugangstrauma zahlreicher<br />

Eingriffe und beschleunigten so die Genesung<br />

<strong>der</strong> Patienten. Insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong><br />

Allgemein- und Viszeralchirurgie setzt sich<br />

diese Entwicklung mit <strong>der</strong> Chirurgie natürlicher<br />

Körperöffnungen („Natural Orifice<br />

Surgery“ – NOS) <strong>der</strong>zeit weiter fort.<br />

Dagegen sind die meisten perioperativen<br />

Behandlungskonzepte durch Traditionen<br />

geprägt und halten einer kritischen Überprüfung<br />

in klinischen randomisierten, kontrollierten<br />

Studien (RCT) nicht stand. Eine<br />

mo<strong>der</strong>ne „evidenzbasierte“ perioperative<br />

Therapie unterscheidet sich daher erheblich<br />

von „traditionellen“ Behandlungskonzepten.<br />

Unter „Fast-track“-Rehabilitation<br />

versteht man die sinnvolle Kombination<br />

von Einzelmaßnahmen, <strong>der</strong>en Wirksamkeit<br />

in randomisierten, kontrollierten Studien<br />

nachgewiesen wurde, zu einem patientenzentrierten,<br />

evidenzbasierten, multimodalen<br />

und interprofessionellen Behandlungspfad.<br />

Alle erfolgreichen „Fast-track“-Rehabilitationskonzepte<br />

ruhen auf den Säulen<br />

Patienteninformation und -motivation,<br />

678<br />

Risikooptimierung, bestmögliche Operationsvorbereitung,<br />

mo<strong>der</strong>ne Narkoseführung,<br />

Verzicht auf Sonden, Drainagen und<br />

Katheter, optimale Schmerztherapie, rasche<br />

orale (o<strong>der</strong> enterale) Ernährung, forcierte<br />

Mobilisation (Abb. 1). Am Beispiel <strong>der</strong><br />

elektiven Kolonresektionen lassen sich die<br />

Prinzipien und Effekte gut erklären:<br />

■ Elektive Kolonresektionen sind häufige<br />

Eingriffe.<br />

■ Schwerwiegende chirurgische Komplikationen<br />

sind selten.<br />

■ Die perioperative Behandlung bei elektiven<br />

Kolonresektionen folgt weltweit<br />

chirurgischen Traditionen und ist nicht<br />

evidenzbasiert. [1]<br />

■ Die Inzidenz postoperativer allgemeiner<br />

Komplikationen ist trotz elektiver<br />

Vorbereitung mit 25 – 35 Prozent hoch. [2]<br />

■ Die Patienten genesen unter diesen<br />

Bedingungen nur langsam, sodass die<br />

postoperative Krankenh<strong>aus</strong>verweil -<br />

dauer bei laparoskopischen und konventionellen<br />

Kolonresektionen zwischen<br />

12 und 18 Tagen beträgt. [2,3]<br />

Um die Grundzüge einer optimierten perioperativen<br />

Behandlung am Beispiel <strong>der</strong><br />

elektiven Kolonresektion zu verdeutlichen,<br />

zeigt Tabelle 1 beispielhaft die Unterschiede<br />

zwischen „traditioneller“ Behandlung<br />

und „Fast-track“-Rehabilitation. Zahlreiche<br />

dieser Maßnahmen werden aber in gleicher<br />

Form bei an<strong>der</strong>en Operationen zur Verlaufsoptimierung<br />

eingesetzt. [4]<br />

Präoperative optimierte Behandlung<br />

Patientenschulung und -motivation: Im<br />

präoperativen Arzt-Patienten-Gespräch<br />

werden <strong>der</strong> Patient und seine Angehörigen<br />

auf ihre aktive Rolle im postoperativen<br />

Genesungsprozess hingewiesen. Der optimale<br />

Verlauf nach dem Eingriff und die<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Leistungen des Patienten<br />

zur Beschleunigung <strong>der</strong> Genesung werden<br />

betont, eindeutige Behandlungsziele festgelegt<br />

und <strong>der</strong> Patient als aktiver Partner<br />

im Genesungsprozess gewonnen.<br />

Operationsvorbereitung: In <strong>der</strong> Operationsvorbereitung<br />

werden Autonomie und<br />

Homöostase des Patienten aufrechterhal-


Maßnahme „traditionell“ „Fast-track“<br />

Präoperative Nüchternheit 6 – 8 Stunden 2 Stunden<br />

Darmvorbereitung Spülung mit Polyethylenglykollösung Natriumpicosulfat, Klistier<br />

„liberal“ „restriktiv“<br />

Intraoperative Infusionstherapie orientiert an Urin<strong>aus</strong>scheidung, ZVD<br />

o<strong>der</strong> potenziellen Verlusten in den „3. Raum“<br />

Intraoperativer Temperaturerhalt ? aktive konvektive Wärmezufuhr<br />

Analgesie Systemische Opioide<br />

Thorakale Periduralanalgesie mit Lokalanästhetika-Opioid-Gemisch<br />

und systemische Nicht-Opioid-Analgesie<br />

Längslaparotomie o<strong>der</strong> minimal-invasive Chirurgie Quere Laparotomie o<strong>der</strong> minimal-invasive Chirurgie<br />

Operationstechnik<br />

Intraperitoneale Drainage(n) Keine Drainage<br />

Magensonde / Blasenkatheter Keine Magensonde, kein Blasenkatheter<br />

Postoperative Infusionstherapie<br />

Kostaufbau<br />

3 – 5 Tage am OP-Tag<br />

flüssige Kost nach 1 – 3 Tagen am OP-Tag<br />

feste Kost<br />

Mobilisation<br />

nach 4 – 6 Tagen am 1. Tag<br />

Bettkante / Stuhl am 1. Tag / am 2. Tag am OP-Tag / am OP-Tag<br />

> 8 Stunden <strong>aus</strong> dem Bett am 3. – 5. Tag (?) am 1. – 2. Tag<br />

Entlassungskriterien erfüllt 1 am 7. – 10. Tag am 3. – 5. Tag<br />

Tabelle 1: Unterschiede „traditioneller“ und optimierter, evidenzbasierter „Fast-track“-Rehabilitation bei elektiven Kolonresektionen<br />

ten. Ein wichtiges Ziel ist dabei die intravasale<br />

Normovolämie, sodass auf die<br />

orthograde Darmspülung mit osmotisch<br />

wirksamen Substanzen verzichtet wird<br />

und Patienten bis zwei Stunden vor <strong>der</strong><br />

Operation klare Flüssigkeiten zu sich nehmen<br />

dürfen. Zudem trinken sie am Abend<br />

und zwei Stunden vor dem Eingriff kohlenhydratreiche<br />

Trinklösungen. Eine Prämedikation<br />

beugt bei Risikopatienten dem<br />

Syndrom <strong>der</strong> postoperativen Übelkeit und<br />

des Erbrechens („PONV“-Syndrom –<br />

„postoperative n<strong>aus</strong>ea and vomiting“) vor.<br />

Intraoperative optimierte Behandlung<br />

Interventionelle und minimal-invasive<br />

Operationstechniken reduzieren das<br />

Zugangstrauma und gehen mit geringeren<br />

Schmerzen, einer geringeren posttraumatischen<br />

neuroendokrinen Stressreaktion,<br />

einer besseren Lungenfunktion und einer<br />

rascheren Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> normalen<br />

Magen-Darmfunktion einher. Daher ist die<br />

minimal-invasive Chirurgie ein wesentlicher<br />

Bestandteil <strong>der</strong> „Fast-track“-Rehabilitation.<br />

Darüber hin<strong>aus</strong> kann aber auch die<br />

Art <strong>der</strong> Laparotomie (quere statt mediane<br />

o<strong>der</strong> paramediane Längslaparotomien) mit<br />

geringeren Schmerzen und einer besseren<br />

postoperativen Lungenfunktion einhergehen.<br />

Mo<strong>der</strong>ne Narkoseführung: Bereits kurz<br />

nach total intravenöser Anästhesie o<strong>der</strong><br />

neueren Inhalationsanästhetika sind die<br />

Patienten wie<strong>der</strong> vigilant und nehmen<br />

aktiv am Rehabilitationsprozess teil. Eine<br />

wesentliche Bedeutung <strong>für</strong> den postoperativen<br />

Verlauf haben die intraoperative<br />

Wärme-, Flüssigkeits- und Volumenhomöostase.<br />

Dabei wird <strong>der</strong> Erhalt <strong>der</strong> Normo -<br />

thermie durch aktive Wärmung und <strong>der</strong><br />

Normovolämie durch mo<strong>der</strong>aten Einsatz<br />

von Infusionslösungen angestrebt. Die<br />

Orientierung <strong>der</strong> Infusionsmenge an traditionellen<br />

Parametern wie ZVD, Urin -<br />

<strong>aus</strong>scheidung o<strong>der</strong> Flüssigkeitsverlust in<br />

einen angeblich vorhandenen sogenannten<br />

„Dritten Raum“ führt zu hohen Infusionsmengen<br />

mit verzögertem und komplikativem<br />

postoperativen Verlauf und ist daher<br />

heute obsolet.<br />

Chirurgie<br />

1 Entlassungskriterien: präoperativer Mobilitätsgrad weitestgehend erreicht, mit oraler Analgesie keine o<strong>der</strong> geringe Schmerzen, essen und trinken, keine Infusionen, Stuhlgang.<br />

Postoperative optimierte Behandlung<br />

Verzicht auf Sonden, Drainagen und<br />

Katheter: Eine wesentliche Ursache <strong>für</strong><br />

postoperative Immobilität sind Sonden,<br />

Drainagen und Katheter. Die Verwendung<br />

einer Nasogastralsonde hat auch nach gastrointestinalen<br />

Resektionen keinen nachweisbaren<br />

Vorteil <strong>für</strong> die Patienten, führt<br />

aber zu erheblichen Schmerzen und verzögert<br />

die Auflösung <strong>der</strong> postoperativen Darmatonie.<br />

Intraabdominelle Drainagen sind<br />

bei den meisten abdominalchirurgischen<br />

Operationen nutzlos und behin<strong>der</strong>n<br />

Patienten bei <strong>der</strong> Mobilisation. Sie sollten<br />

daher ebenso wie ein Blasenkatheter vermieden<br />

o<strong>der</strong> möglichst rasch entfernt werden.<br />

Optimale Schmerztherapie: Eine optimale<br />

Analgesie ist Grundvor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong> eine<br />

aktive Kooperation des Patienten in <strong>der</strong><br />

postoperativen Phase. Lokal- und regionalanästhetische<br />

Analgesietechniken ergänzen<br />

daher die systemische Schmerztherapie<br />

und reduzieren postoperative Schmerzen,<br />

die postoperative Darmatonie und die Inzi-<br />

679


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Abb. 1: Säulen <strong>der</strong> „Fast-track“-Rehabilitation Abb. 2: Metaananlyse – Fast-track versus traditionelle Therapie<br />

denz allgemeiner postoperativer Komplikationen.<br />

Rasche orale/enterale Ernährung: Traditionell<br />

folgt auf einen abdominalchirurgischen<br />

Eingriff eine Phase <strong>der</strong> völligen<br />

oralen und enteralen Nahrungskarenz,<br />

anschließend ein abgestufter Kostaufbau.<br />

Im Gegensatz dazu reduziert <strong>der</strong> rasche<br />

postoperative orale/enterale Kostaufbau<br />

nach Operationen am oberen und unteren<br />

Gastrointestinaltrakt die gesamte Komplikationsrate.<br />

Forcierte Mobilisation: Die negativen Auswirkungen<br />

einer verlängerten Bettruhe<br />

nach ärztlichen Interventionen sind lange<br />

bekannt. Die rasche Mobilisation noch am<br />

Operationstag verbessert die postoperative<br />

Lungenfunktion, vermin<strong>der</strong>t das Risiko<br />

thromboembolischer Komplikationen und<br />

för<strong>der</strong>t die Patientenautonomie.<br />

680<br />

Klinische Ergebnisse<br />

Schriftlich formulierte Behandlungspfade<br />

zur optimierten perioperativen Behandlung<br />

liegen heute <strong>für</strong> zahlreiche Operationen<br />

<strong>der</strong> Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und<br />

Thoraxchirurgie sowie <strong>der</strong> Urologie und<br />

Gynäkologie vor. [4] Die größten klinischen<br />

Erfahrungen zur „Fast-track“-Rehabilitation<br />

gibt es heute bei elektiven Kolonresektionen.<br />

Im Gegensatz zur traditionellen<br />

Behandlung sind bei den meisten Patienten<br />

Kostaufbau und Mobilisation bereits nach<br />

2 – 3 Tagen abgeschlossen, die Darmtätigkeit<br />

normalisiert. Eine aktuelle Metaanalyse<br />

belegte die Vorteile <strong>der</strong> „Fast-track“-Be -<br />

handlung gegenüber <strong>der</strong> „traditionellen“<br />

Therapie bei Kolonresektionen eindrucksvoll:<br />

Die Krankenh<strong>aus</strong>verweildauer (als<br />

Maß <strong>der</strong> Rekonvaleszenz) wurde deutlich<br />

reduziert, die Quote postoperativer Komplikationen<br />

um mehr als 40 Prozent gesenkt!<br />

Dabei war die Wie<strong>der</strong>aufnahmequote bei<br />

beiden Formen <strong>der</strong> perioperativen Behandlung<br />

vergleichbar, „Fast-track“-Patienten<br />

werden demnach zwar frühzeitig, aber nicht<br />

verfrüht nach H<strong>aus</strong>e entlassen (Abb. 2). [5]<br />

5 0 -5<br />

10 1 0,1<br />

Der Vergleich deutschlandweiter Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />

unter „traditioneller“<br />

[2,3] und „Fast-track“-Rehabilitation [6,7]<br />

bestätigt die positiven Effekte <strong>der</strong> optimierten<br />

Therapie in gleicher Weise (Tab. 2).<br />

Die positiven Effekte einer optimierten<br />

perioperativen Behandlung hängen zudem<br />

von Risiko und Schweregrad <strong>der</strong> Operation<br />

ab. Bei kleineren Eingriffen bessert die<br />

„Fast-track“-Rehabilitation vor allem durch<br />

die Vermeidung postoperativer Schmerzen<br />

und des PONV-Syndroms den Behandlungskomfort<br />

<strong>der</strong> Patienten. Bei mittelgroßen<br />

Eingriffen senkt die optimierte Therapie<br />

die Inzidenz postoperativer Komplikationen<br />

und bei großen Eingriffen kann die Vermeidung<br />

von Organdysfunktionen unter<br />

Umständen auch die postoperative Sterblichkeit<br />

günstig beeinflussen (Abb. 3).


„traditionell“ „Fast-track“<br />

konventionell laparoskopisch konventionell laparoskopisch<br />

Patienten 2.293 1.311 748 846<br />

Alter (Jahre) 68 (18 – 97) 64 (13 – 94) 70 (26 – 96) 63 (23 – 91)<br />

Weiblich 53,7 % 56,5 % 50 % 57,4 %<br />

ASA Klasse III – IV 43,9 % k. A. 41,3 % 22,4 %<br />

Komplikationen<br />

chirurgisch 21,8 % 14,5 % 20,4 % 8,6 %<br />

allgemein 27,0 % 10,9 % 13,2 % 4,7 %<br />

Postoperativer<br />

Aufenthalt (Tage)<br />

21 (0 – 164) 2 12 (1 – 99) 9 (4 – 93) 7 (3 – 72)<br />

Tab. 2: „Traditionelle“ und „Fast-track“-Rehabilitation in deutschlandweiten freiwilligen<br />

prospektiven Qualitätssicherungsmaßnahmen (2, 3, 6, 8)<br />

2 gesamte Krankenh<strong>aus</strong>verweildauer<br />

Fazit<br />

Die perioperative Behandlung entscheidet<br />

ebenso wie die operative Technik über den<br />

postoperativen Verlauf <strong>der</strong> Patienten. Eine<br />

mo<strong>der</strong>ne multimodale und interprofessionelle,<br />

patientenzentrierte perioperative<br />

Behandlung erhält die Homöostase o<strong>der</strong><br />

stellt sie so rasch wie möglich wie<strong>der</strong> her.<br />

So vermeidet die „Fast-track“-Rehabilitation<br />

Organdysfunktionen und postoperative<br />

allgemeine Komplikationen. Die Autonomie<br />

<strong>der</strong> Patienten wird postoperativ<br />

rasch wie<strong>der</strong>hergestellt, sodass die Entlassung<br />

frühzeitig erfolgen kann, ohne dass<br />

eine ambulante ärztliche Betreuung notwendig<br />

wird o<strong>der</strong> sogar die Rate <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>aufnahmen in die <strong>Klinik</strong> ansteigt.<br />

Literatur<br />

[1] Kehlet H, Beart RW, Billingham RPWR. Care after colonic<br />

operation – is it evidence-based? Results from a multinational<br />

survey in Europe and the United States. J Am Coll<br />

Surg 2006; 202: 45-54.<br />

[2] Marusch F, Koch A, Schmidt U, Zippel R, Geissler S,<br />

Pross M, et al. Prospektive Multizenterstudien „Kolon-<br />

/Rektumkarzinome“ als flächendeckende chirurgische<br />

Qualitätssicherung. Chirurg 2002; 73(2): 138-46.<br />

[3] Marusch F, Gastinger I, Schnei<strong>der</strong> C, Scheidbach H,<br />

Konradt J, Bruch HP, et al. Experience as a factor influencing<br />

the indications for laparoscopic colorectal surgery and<br />

the results. Surgical Endoscopy 2001; 15(2): 116-20.<br />

[4] Schwenk W, Spies C, Müller JM. Fast-track in <strong>der</strong> operativen<br />

Medizin. Perioperative Behandlungspfade <strong>für</strong> Chirurgie,<br />

Anästhesie, Gynäkologie, Urologie und Pflege. Heidelberg:<br />

Springer Medizin Verlag; 2009.<br />

[5] Gouvas N, Tan E, Windsor A, Xynos E, Tekkis PP. Fasttrack<br />

vs standard care in colorectal surgery: a meta-analysis<br />

update. Int J Colorectal Dis 2009 elektronische Publikation<br />

vor Druck DOI 10.1007/s00384-009-0703-5.<br />

[6] Braumann C, Günther N, Wendling P, Engemann R,<br />

Germer CT, Probst W, et al. Multimodal perioperative<br />

rehabilitation in elective conventional resection of colonic<br />

cancer: Results from the german multicenter quality assurance<br />

program 'Fast-Track Colon II'. Dig Surg 2009; 26(2):<br />

123-9.<br />

Abb. 3: Positive Effekte <strong>der</strong> „Fast-track“-Rehabilitation<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Wolfgang Schwenk<br />

1. Chirurgie –<br />

Allgemein- und Viszeralchirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

D-22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 1600<br />

Fax. (0 40) 18 18-81 4907<br />

E-Mail: w.schwenk@asklepios.com<br />

Chirurgie<br />

[7] Schwenk W, Günther N, Wendling P, Schmid M, Probst<br />

W, Kipfmüller K, et al. „Fast-track“ rehabilitation for elective<br />

colonic surgery in Germany – prospective observational<br />

data from a multi-centre quality assurance programme.<br />

International journal of colorectal disease 2008; 23(1): 93-9.<br />

[8] Tsilimparis N, Haase O, Wendling P, Kipfmüller K,<br />

Schmid M, Engemann R, et al. Laparoskopische „Fasttrack“-Sigmaresektion<br />

bei Divertikulitis in Deutschland –<br />

Ergebnisse einer prospektiven Qualitätssicherungsmaßnahme.<br />

2009 unveröffentlichte Daten.<br />

681


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Magnetic Field Imaging<br />

Risikostratifizierung des plötzlichen Herztodes<br />

Dr. Tobias Tönnis<br />

Der plötzliche Herztod (PHT) ist definiert als unerwarteter, natürlicher Tod <strong>aus</strong> kardialer Ursache<br />

(meist ventri kuläre Tachykardien beziehungsweise Kammerflimmern). Nach wie vor ist <strong>der</strong> PHT eine <strong>der</strong><br />

wesentlichen Todes ursachen in den industrialisierten Län<strong>der</strong>n. Pro Jahr versterben daran in Deutschland<br />

ungefähr 100.000, in den USA etwa 300.000 Menschen.<br />

Als therapeutisches Mittel zur Verhin<strong>der</strong>ung<br />

des plötzlichen Herztodes steht <strong>der</strong><br />

implantierbare Cardioverter-Defibrillator<br />

(ICD) zur Verfügung. Durch ihn lässt sich<br />

in Risikogruppen eine signifikante Verringerung<br />

<strong>der</strong> Mortalität erreichen. [1,2,3,4] Bisher<br />

werden die Risikopatienten aufgrund <strong>der</strong><br />

Ergebnisse großer multizentrischer Studien<br />

im Wesentlichen durch die linksventrikuläre<br />

Auswurffraktion (EF) identifiziert.<br />

Diese ist als alleiniges Kriterium jedoch<br />

we<strong>der</strong> son<strong>der</strong>lich sensitiv noch spezifisch.<br />

So zeigt sich zum Beispiel in <strong>der</strong> SCD-HeFT-<br />

Studie nur bei etwa 20 Prozent <strong>der</strong> Patienten,<br />

die prophylaktisch einen Defibrillator<br />

implantiert bekommen, im Beobachtungszeitraum<br />

von 45 Monaten eine adäquate<br />

ICD-Therapie. Im gleichen Zeitraum<br />

kommt es außerdem bei zehn Prozent zu<br />

einer inadäquaten Therapie. [3] Ähnliche<br />

Zahlen finden sich <strong>für</strong> die an<strong>der</strong>en großen<br />

Studien zur primärprophylaktischen ICD-<br />

Versorgung. Es gilt somit eine diagnostische<br />

Methode zu finden, die die Patienten<br />

im Vor<strong>aus</strong> identifizieren kann, die ein<br />

rhythmogenes Ereignis bekommen werden,<br />

das zum PHT führen kann. Damit<br />

682<br />

Abb. 1:<br />

Inzidenz des plötzlichen Herztodes<br />

nach Bevölkerungsgruppen<br />

(nach Huikuri HV, et al., NEJM 345:<br />

1473 - 1482, 2001)<br />

ließe sich <strong>für</strong> viele Patienten eine nicht notwendige<br />

ICD-Therapie/-Implantation vermeiden.<br />

Der größte absolute Teil <strong>der</strong> Patienten, die<br />

am PHT versterben, wird allerdings über<br />

die bisherigen Kriterien gar nicht identifiziert<br />

(Abb. 1). Ein geeigneter Parameter<br />

zur Risikostratifizierung des PHT sollte<br />

folglich auch die Individuen identifizieren<br />

können, die nach den bisherigen Kriterien<br />

nicht mit einem ICD versorgt werden, aber<br />

dennoch ein erhöhtes Risiko <strong>für</strong> den PHT<br />

aufweisen.<br />

Bisherige Risikostratifizierungsmethoden<br />

(Microvolt T-Wave-Alternans, Signal Average-ECG,<br />

Heartrate-Turbulence, Heartrate-Variability)<br />

konnten bislang entwe<strong>der</strong><br />

keine wesentliche Besserung gegenüber<br />

<strong>der</strong> alleinigen Verwendung <strong>der</strong> EF beweisen<br />

o<strong>der</strong> waren in <strong>der</strong> klinischen Routine<br />

nicht anwendbar. Vielversprechende<br />

Ansätze ergeben sich <strong>aus</strong> einer Kombination<br />

dieser Parameter, prospektive und insbeson<strong>der</strong>e<br />

randomisierte Studien liegen<br />

dazu aber noch nicht vor.<br />

Magnetic Field Imaging (MFI)<br />

Die Methode <strong>der</strong> Registrierung magnetischer<br />

Signale des Herzens existiert seit<br />

mehr als 30 Jahren. Bei den bisherigen Systemen<br />

mit einem o<strong>der</strong> wenigen Sensoren<br />

wurde diese Messmethode in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

in <strong>der</strong> Regel als Magnetokardiographie<br />

bezeichnet. Die Signale entstehen<br />

parallel zur elektrischen Zellaktivität. Im<br />

Gegensatz zur Elektrokardiographie (EKG)<br />

werden die magnetischen Signale durch<br />

das umliegende Gewebe weniger beeinflusst<br />

und die Magnetfeldmessung nimmt<br />

kreisende Ströme wahr, die im EKG nicht<br />

gemessen werden können.<br />

Die Magnetfeldmessung mit dem MFI-System,<br />

einer Weiterentwicklung <strong>der</strong> Magnetokardiographie,<br />

geschieht mittels 55 hochempfindlicher<br />

SQUID-Sensoren. Sie sind in<br />

einer hexagonalen Matrix in <strong>der</strong> Sensoreinheit<br />

über dem Patienten lokalisiert und<br />

können Magnetfel<strong>der</strong> von bis zu 10 -15 Tesla<br />

nachweisen. Die Aufnahme dauert nur<br />

fünf Minuten. Während <strong>der</strong> Untersuchung<br />

liegt <strong>der</strong> Patient auf einer Liege unter dem<br />

Sensor (Abb. 3). Die Messung wird durch


die Kleidung des Patienten nicht gestört, er<br />

muss nur alle metallischen Gegenstände<br />

ablegen, da diese die Messung stark beeinträchtigen<br />

würden. Die Untersuchung ist<br />

komplett berührungslos und strahlungsfrei,<br />

es werden keine elektromagnetischen<br />

Signale abgegeben. Um externe Störeinflüsse<br />

so gering wie möglich zu halten, ist das<br />

Aufnahmesystem in einem magnetisch<br />

abgeschirmten Raum untergebracht.<br />

Bei einem MFI zur Risikoeinschätzung des<br />

PHT wird <strong>aus</strong> allen Signalen <strong>der</strong> 55 Sensoren<br />

über den gesamten Aufnahmezeitraum<br />

die QRS-Fragmentation ermittelt (Abb. 4).<br />

In mehreren Studien zeigte sich bereits,<br />

dass sich mithilfe <strong>der</strong> Magnetsignalaufnahme<br />

und dem Parameter <strong>der</strong> QRS-Fragmentation<br />

zusätzlich zur Bestimmung <strong>der</strong> Ejektionsfraktion<br />

mit guter Sensitivität und<br />

Spezifität Patienten identifizieren ließen,<br />

die im weiteren Verlauf arrhythmogene<br />

Ereignisse (VT, VF) bekamen. [5,6] Dabei<br />

zeigte sich, dass bei Patienten mit stark<br />

„fragmentiertem“ magnetischen Signal<br />

das arrhythmogene Risiko erhöht ist.<br />

Zur Validierung dieser Ergebnisse mit dem<br />

MFI-System <strong>der</strong> Firma BMDSys wird<br />

aktuell eine prospektive Studie (MFI-RiSti)<br />

durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie<br />

werden Patienten, die ein ICD-Aggregat<br />

implantiert bekommen, vor <strong>der</strong> Implanta-<br />

tion mit dem MFI-System untersucht. Über<br />

einen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren<br />

werden dann die Ergebnisse <strong>der</strong> QRS-<br />

Fragmentation mit <strong>der</strong> Ereignishäufigkeit<br />

in den ICD-Abfragen verglichen.<br />

Ein ähnliches Studienkonzept besteht in<br />

<strong>der</strong> multizentrisch durchgeführten MARII<br />

Intra-QRS-Studie <strong>der</strong> Firma Biotronik. Die<br />

Messung <strong>der</strong> QRS-Fragmentation erfolgt<br />

dabei mithilfe eines älteren Magnetokardiographiesystems<br />

an <strong>der</strong> Physikalisch<br />

Technischen Bundesanstalt in Berlin.<br />

Ergebnisse bei<strong>der</strong> Studien sind frühestens<br />

in ein bis zwei Jahren zu erwarten. Bis<br />

dahin kann die Messung <strong>der</strong> QRS-Fragmentation<br />

nur als zusätzlicher Hinweis bei<br />

Anwendung <strong>der</strong> bestehenden Leitlinien<br />

zur Prävention des plötzlichen Herztodes<br />

herangezogen werden.<br />

Kontakt<br />

Dr. Tobias Tönnis<br />

Kardiale Magnetfelddiagnostik<br />

ICD- und Herzschrittmacherambulanz<br />

II. Medizinische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 44 67/-85 24 56<br />

Fax (0 40) 18 18-85 44 07<br />

E-Mail: t.toennis@asklepios.com<br />

Literatur<br />

Kardiologie<br />

Abb. 2: Magnetische Signale <strong>der</strong> 55 SQUID-Sensoren Abb. 3: Untersuchungsaufbau mit dem MFI-System Abb. 4: QRS-Fragmentation eines herzgesunden Probanden<br />

(oben) und eines Patienten mit einer ischämischen<br />

Kardiomyopathie vor einer primärprophylaktischen<br />

ICD-Implantation (unten)<br />

[1] An<strong>der</strong>son JL, Hallstrom AP, Epstein AE, et al. Design<br />

and results of the antiarrhythmics vs implantable defibrillators<br />

(AVID) registry. The AVID Investigators. Circulation 99<br />

(13); 1999; 1692-9.<br />

[2] Siebels J, Kuck KH. Implantable cardioverter defibrillator<br />

compared with antiarrhythmic drug treatment in cardiac<br />

arrest survivors (the Cardiac Arrest Study Hamburg).<br />

Am Heart J. 1994; 127(4 Pt 2): 1139-44.<br />

[3] Moss AJ, Zareba W, Hall WJ, et al. Multicenter Automatic<br />

Defibrillator Implantation Trial II Investigators. Prophylactic<br />

implantation of a defibrillator in patients with myocardial<br />

infarction and reduced ejection fraction. N Engl J<br />

Med. 2002; 346(12): 877-83. Epub 2002 Mar 19.<br />

[4] Bardy GH, Lee KL, Mark DB, et al. Sudden Cardiac<br />

Death in Heart Failure Trial (SCD-HeFT) Investigators.<br />

Amiodarone or an implantable cardioverterdefibrillator for<br />

congestive heart failure. N Engl J Med. 2005; 352(3): 225-<br />

37.<br />

[5] Müller H-P, Gödde P, Czerski K, et al. Magnetocardiographic<br />

analysis of the two-dimensional distribution of<br />

intra-QRS fractioned activation. Phys Med Biol 1999: 44:<br />

105-20.<br />

[6] Korhonen P, Husa T, Tierala I, et al. Increased Intra-<br />

QRS Fragmentation in Magnetocardiography as a Predictor<br />

of Arrhythmic Events and Mortality in Patients with Cardiac<br />

Dysfunction After Myocardial Infarction. J Cardiovasc<br />

Electrophysiol 2006: 17: 1-6.<br />

683


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?<br />

Dissoziative Identitätsstörungen<br />

Dr. Dr. Andrea Moldzio<br />

Der vielversprechende Titel eines Buches von Precht, [15] das eine Einführung in die philosophischen<br />

Fragestellungen unserer Menschheitsgeschichte gibt, bringt die zentrale Problematik von Menschen mit<br />

Dissoziativen Identitätsstörungen auf den Punkt: Nicht zu wissen, wer man ist, in wie viele verschiedene<br />

Anteile man überhaupt aufgeteilt ist, und vor allem, wie man wie<strong>der</strong> eine Person wird.<br />

Das Phänomen <strong>der</strong> ursprünglich sogenannten<br />

„Multiplen Persönlichkeit“ wurde<br />

bereits im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t rege von Psychiatern<br />

und Philosophen diskutiert, da diese<br />

wun<strong>der</strong>liche Krankheit doch eng mit unserem<br />

Verständnis von „Persönlichkeit“,<br />

„Bewusstsein“ o<strong>der</strong> unserem „Ich“ verbunden<br />

ist.<br />

Der französische Psychiater Pierre Janet<br />

(1859 – 1947) prägte den Begriff <strong>der</strong> „Dissoziation“,<br />

wobei er diese als einen „komplexen<br />

psychophysischen Prozess, bei dem es<br />

zu einer Desintegration und Fragmentierung<br />

des Bewusstseins kommt“, verstand. [12]<br />

Betroffen seien die normalerweise inte -<br />

grativen psychischen Funktionen des<br />

Bewusstseins wie das Gedächtnis, die<br />

Wahrnehmung von sich selbst und <strong>der</strong><br />

Umwelt sowie das Identitätserleben. Die<br />

Persönlichkeit wurde von ihm als eine<br />

Struktur aufgefasst, die <strong>aus</strong> verschiedenen<br />

Systemen von Ideen und Funktionen<br />

besteht. [13,22,5] Dieses Verständnis von Persönlichkeit<br />

als ein „Bündel von Systemen“<br />

ist heute noch aktuell und findet sich bei-<br />

684<br />

spielsweise in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Systemtheorie<br />

wie<strong>der</strong>.<br />

Als Dissoziative Störungen werden heute<br />

psychische Erkrankungen bezeichnet, bei<br />

denen die drei wesentlichen integrierenden<br />

Funktionen des Bewusstseins, namentlich<br />

das Gedächtnis, die Wahrnehmung von<br />

sich und <strong>der</strong> Umwelt und das Identitäts -<br />

erleben, nachhaltig gestört sind. Diese integrierenden<br />

Funktionen dienen dazu, die<br />

verschiedensten Erfahrungen mit sich und<br />

<strong>der</strong> Umwelt als einen persönlichen Ge -<br />

samtzusammenhang zu subsumieren und<br />

sich selbst im Verlaufe des Lebens mit sich<br />

selbst identisch zu empfinden.<br />

Gewandelt hat sich jedoch im Laufe <strong>der</strong><br />

Jahrhun<strong>der</strong>te die nosologische Zuordnung<br />

des Phänomens Dissoziation. Bis etwa 1980<br />

wurden fast alle in <strong>der</strong> (Fach-)Literatur<br />

beschriebenen Fälle unter den Diagnosen<br />

„Hysterie“, „traumatische Neurose“ o<strong>der</strong><br />

auch „Schizophrenie“ subsumiert. Der<br />

1895 von Josef Breuer und Sigmund Freud<br />

in den „Studien über Hysterie“ beschriebe-<br />

ne Fall <strong>der</strong> Anna O. (alias Bertha Pappenheim)<br />

stellt unter <strong>der</strong> damals mo<strong>der</strong>nen<br />

Bezeichnung <strong>der</strong> „Hysterie“ eigentlich eine<br />

klassische Patientin mit Dissoziativer Identitätsstörung<br />

dar. [16] So schil<strong>der</strong>t Breuer<br />

einen typischen dissoziativen Zustand seiner<br />

Patientin Anna O. wie folgt: „Es zeigten<br />

sich zwei ganz getrennte Bewusstseins -<br />

zustände, die sehr oft und unvermittelt ab -<br />

wechselten und sich im Laufe <strong>der</strong> Krankheit<br />

immer schärfer schieden. In dem einen<br />

kannte sie ihre Umgebung, war traurig<br />

und ängstlich, aber relativ normal. Im<br />

an<strong>der</strong>en halluzinierte sie, war ungezogen,<br />

d. h. schimpfte, warf Kissen …“. Sie klagte,<br />

„ihr fehle Zeit“ sowie über eine „tiefe Fins -<br />

ternis ihres Kopfes, wie sie nicht denken<br />

könne, blind und taub werde, zwei Ichs<br />

habe, ihr wirkliches und ein schlechtes,<br />

was sie zu Schlimmem zwinge …“. [8]<br />

Damit erfüllt die berühmte „hysterische“<br />

Patientin Anna O. die Kriterien einer Dissoziativen<br />

Identitätsstörung nach DSM-IV: [1]


■ 1. Vorhandensein von zwei o<strong>der</strong> mehr<br />

unterscheidbaren Identitäten o<strong>der</strong> Persönlichkeitszuständen<br />

(jeweils mit<br />

einem eigenen, relativ überdauernden<br />

Muster <strong>der</strong> Wahrnehmung von <strong>der</strong><br />

Beziehung zur und dem Denken über<br />

die Umgebung und das Selbst)<br />

■ 2. Mindestens zwei dieser Identitäten<br />

o<strong>der</strong> Persönlichkeitszustände übernehmen<br />

wie<strong>der</strong>holt die Kontrolle über das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Person.<br />

■ 3. Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche<br />

Informationen zu erinnern, die zu<br />

umfassend ist, um durch gewöhnliche<br />

Vergesslichkeit erklärt zu werden.<br />

■ 4. Die Störung geht nicht auf direkte<br />

körperliche Wirkung einer Substanz<br />

o<strong>der</strong> eines medizinischen Krankheitsfaktors<br />

zurück.<br />

Dabei steht die dissoziative Identitätsstörung<br />

am Ende eines langen Kontinuums<br />

dissoziativer Phänomene, das mit normalen,<br />

gesunden „Alltagsdissoziationen“<br />

beginnt. Je<strong>der</strong> von uns muss, will er seine<br />

Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache<br />

lenken, die restliche Umgebung samt allen<br />

Sinneseindrücken <strong>aus</strong>blenden, also „wegdissoziieren“.<br />

Auch kann uns nicht zu<br />

jedem Zeitpunkt unsere gesamte Vergangenheit<br />

präsent sein. Sie muss in den Hin -<br />

tergrund treten, um Patz <strong>für</strong> die Gegenwart<br />

zu schaffen. Zu den weniger gesunden,<br />

aber noch leichteren dissoziativen Phänomenen<br />

gehören die Depersonalisation und<br />

die Derealisation.<br />

Der Zustand <strong>der</strong> Depersonalisation umfasst<br />

das Gefühl, nicht in seinem Körper zu sein<br />

beziehungsweise diesen als fremd o<strong>der</strong><br />

abgespalten von seinem restlichen Erleben<br />

wahrzunehmen. Oft berichten Patienten in<br />

diesen sehr quälenden Zuständen, dass sie<br />

„neben sich stehen“, sich selbst nicht mehr<br />

spüren können, ihren Körper nicht mehr<br />

wahrnehmen o<strong>der</strong> auch einzelne Körperteile<br />

wie abgespalten erleben. [7]<br />

Das Phänomen <strong>der</strong> Derealisation hingegen<br />

bezieht sich auf eine Störung <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Umwelt, die nur schemenhaft,<br />

völlig verzerrt und fremd o<strong>der</strong> als nicht<br />

Psychiatrie<br />

vorhanden empfunden wird. Bei <strong>der</strong> dissoziativen<br />

Fugue, einem weiteren Schritt auf<br />

dem Kontinuum <strong>der</strong> Dissoziation, finden<br />

sich die Patienten plötzlich an Orten wie<strong>der</strong>,<br />

die sie nicht erinnern können, angesteuert<br />

zu haben. Plötzliches Weglaufen,<br />

oft mit Zeitverlusten verbunden, ist <strong>für</strong><br />

diese Manifestationsart <strong>der</strong> Dissoziation<br />

charakteristisch.<br />

Eine weitere graduelle Steigerung findet<br />

sich in <strong>der</strong> dissoziativen Amnesie, bei <strong>der</strong><br />

bestimmte Erinnerungen dauerhaft nicht<br />

mehr zugänglich sind, sosehr sich die Person<br />

auch bemüht, sich zu erinnern. Dies<br />

kann von kurzen biografischen Zeitspannen<br />

bis hin zum „Vergessen“ <strong>der</strong> gesamten<br />

Identität inklusive <strong>der</strong> eigenen Biografie<br />

gehen. In <strong>der</strong> Literatur gibt es eindrucksvolle<br />

Beispiele von Menschen, die ihre<br />

gesamte Identität nicht mehr erinnern können<br />

und beispielsweise ein neues Leben<br />

unter neuem Namen mit einer an<strong>der</strong>en<br />

Identität beginnen (z. B. <strong>der</strong> Fall „Ansel<br />

Bourne“). [6]<br />

685


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Am Ende des dissoziativen Kontinuums<br />

steht die schwerste Manifestation, die Dissoziative<br />

Identitätsstörung. Hierbei sind<br />

nicht nur die bereits beschriebenen Ge -<br />

dächtnisfunktionen o<strong>der</strong> die Wahrnehmung<br />

von sich selbst und <strong>der</strong> Umwelt gestört,<br />

son<strong>der</strong>n auch das Identitätserleben selbst:<br />

Die Persönlichkeit wird in verschiedene<br />

Persönlichkeits- o<strong>der</strong> Selbstzustände „aufgespalten“,<br />

die wechselweise die Kontrolle<br />

über das Erleben und Verhalten <strong>der</strong> Betroffenen<br />

übernehmen und oft eigene Namen<br />

haben. Typischerweise ist <strong>der</strong> Wechsel vom<br />

einen Zustand in den nächsten mit einer<br />

Amnesie verbunden, die von den Patienten<br />

als beson<strong>der</strong>s quälend empfunden wird, da<br />

sie mit Gefühlen des Kontrollverlustes und<br />

<strong>der</strong> Ohnmacht einhergeht.<br />

So entdecken die Patienten plötzlich Spuren<br />

von bestimmtem Verhalten (z. B. Selbstverletzungen),<br />

eigene Tagebuchnotizen, Bil<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> auch Gegenstände in ihrem Besitz, an<br />

die sie sich nicht erinnern können. Oft<br />

wird ihnen auch von an<strong>der</strong>en Menschen<br />

ihr eigenes Verhalten rückgemeldet, das<br />

ihnen völlig fremd und nicht erinnerlich<br />

ist. In diesem Zusammenhang können<br />

ihnen plötzlich auch ganze Eigenschaften<br />

o<strong>der</strong> Fähigkeiten (wie eine be stimmte<br />

Fremdsprache, Klavierspielen) mit Wechsel<br />

<strong>der</strong> Zustände ent- o<strong>der</strong> neu zufallen. Diese<br />

„neuen“ Eigenschaften o<strong>der</strong> Fähigkeiten<br />

sind dann im normalen Alltagsbewusstsein<br />

nicht vorhanden und werden von den<br />

Betroffenen so erlebt, als ob es eine fremde<br />

Person sei. Man kann sich leicht vorstellen,<br />

dass dies mannigfaltige Probleme im sozialen<br />

Bereich und vor allem in nahen Beziehungen<br />

hervorruft, die oft <strong>der</strong> Anlass sind,<br />

dass sich die Betroffenen unter hohem Leidensdruck<br />

in Behandlung begeben.<br />

Durchschnittlich haben die Patienten acht<br />

bis zehn verschiedene Persönlichkeitszu -<br />

stände, unter Umständen sogar auch er -<br />

heblich mehr. [19] Charakteristischerweise<br />

gibt es dabei eine im Alltag gut funktionierende<br />

und sozial angepasste Persönlichkeit,<br />

den sogenannten „anscheinend normalen<br />

Persönlichkeitszustand“ (ANP), und<br />

an<strong>der</strong>e sogenannte „emotionale Persönlichkeits<br />

zustände“ (EPs), die häufig traumatische<br />

Erinnerungen und Gefühle bestimmter<br />

Lebensphasen in sich tragen, die meist<br />

686<br />

jünger sind und sich sehr im Denken, Fühlen<br />

und Wahrnehmen von <strong>der</strong> ANP unterscheiden.<br />

Die Bewusstheit und Kommunikation<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Selbstanteile<br />

kann sehr unterschiedlich <strong>aus</strong>geprägt sein<br />

und reicht von wechselseitiger Unkenntnis<br />

(vollständige Amnesie) bis hin zu einem<br />

Co-Bewusstsein mit transparenter Wahrnehmung<br />

und gegebenenfalls auch Steuerung<br />

des jeweils an<strong>der</strong>en Zustandes.<br />

Unabhängig von <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> „Innenpersonen“<br />

lassen sich bestimmte Funktionen<br />

unterscheiden, die zu Gruppen zu -<br />

sammengefasst werden können. Neben <strong>der</strong><br />

ANP existiert fast immer eine Gruppe von<br />

„Kin<strong>der</strong>n“, „Beschützern“, „täterloyalen<br />

Anteilen“ und „Beobachtern“, die im<br />

Gesamtsystem <strong>der</strong> Persönlichkeit und in<br />

<strong>der</strong> dysfunktionalen Verarbeitung <strong>der</strong> traumatischen<br />

Erlebnisse in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

ihre jeweilig wichtige Funktion und Bedeutung<br />

hatten, <strong>für</strong> die Funktionalität in <strong>der</strong><br />

Gegenwart aber kontraproduktiv sind.<br />

Die Abspeicherung traumatischer Erlebnisse<br />

in den emotionalen Persönlichkeitsanteilen<br />

deutet bereits auf die Genese <strong>der</strong><br />

Störung hin.<br />

Zahlreiche Studien zeigten inzwischen,<br />

dass in etwa 75 – 94 % aller Fälle sexuelle<br />

und zu 74 – 82 % physische Traumatisierungen<br />

im frühen Kindesalter Hintergrund <strong>für</strong><br />

die Entstehung <strong>der</strong> dissoziativen Identitätsstörung<br />

sind. [2,18,21] Erklärt wird dies<br />

dadurch, dass traumatisierte Kin<strong>der</strong> aufgrund<br />

ihrer mangelnden Persönlichkeitsreife<br />

und ihrer Bewältigungsmechanismen<br />

noch nicht in <strong>der</strong> Lage sind, schwere traumatische<br />

Erfahrungen zu integrieren und<br />

zu verarbeiten. Aufgrund <strong>der</strong> begrenzten<br />

kindlichen Integrationsfähigkeit kommt es<br />

dann zur „Abspaltung“ zu Zuständen kondensierter<br />

Erfahrungen, die nicht kompatibel,<br />

zuordbar und dissonant zu an<strong>der</strong>en<br />

Erfahrungen sind, insofern unintegriert<br />

neben dem eigentlichen Selbstzustand<br />

(ANP) stehen und zunehmend ihr Eigen -<br />

leben führen.<br />

Wenngleich die Diagnose <strong>der</strong> Dissoziativen<br />

Identitätsstörung (vor allem in den USA)<br />

kontrovers gesehen wird, und sie in ihrem<br />

Ausmaß auch als iatrogen o<strong>der</strong> kulturspezifisch<br />

verursacht [3] diskutiert wird, zeigen<br />

neue Forschungsbefunde doch, dass die<br />

Diagnose valide und von an<strong>der</strong>en Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />

abzugrenzen ist. Vor allem ist<br />

sie keineswegs so selten wie früher angenommen.<br />

Aktuelle Studien belegen, dass<br />

0,5 – 1,5 % <strong>der</strong> Allgemeinbevölkerung [9,11,14]<br />

und bis zu 5 % in stationären Stichproben<br />

die Kriterien einer Dissoziativen Identitätsstörung<br />

erfüllen. Dabei findet sich ein<br />

Geschlechterbias von neun Frauen zu<br />

einem Mann. [10]<br />

Typischerweise haben diese Patienten auch<br />

eine hohe Komorbidität mit affektiven Störungen,<br />

vor allem Major Depression (98 %),<br />

schizoaffektiven Störungen (74 %) sowie<br />

Angststörungen, vor allem Panikstörungen<br />

(89 %). [4] Für die hohe Dysfunktionalität<br />

und den massiven Leidensdruck dieser<br />

Patienten sind auch diffuse psychosomatische<br />

Beschwerden, Essstörungen, selbstverletzendes<br />

Verhalten o<strong>der</strong> süchtiges Verhalten<br />

mitverantwortlich. Häufig begeben<br />

sich die Patienten deshalb überhaupt erstmals<br />

in Behandlung. Aufgrund <strong>der</strong> sehr<br />

wechselhaften Dysfunktionalität haben die<br />

Patienten oft eine lange psychiatrische und<br />

psychosomatische Vorgeschichte, meist mit<br />

mehreren Vor- und Fehldiagnosen (wie<br />

Depression, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung,<br />

Angststörung, Anpassungsstörung,<br />

Substanzmissbrauch, Somatisierungsstörung)<br />

und häufigem Versagen<br />

bisheriger Therapien.<br />

Die Behandlung <strong>der</strong> Patienten mit einer<br />

Dissoziativen Identitätsstörung unterscheidet<br />

sich naturgemäß in ihrer Komplexität<br />

von an<strong>der</strong>en psychiatrischen Krankheitsbil<strong>der</strong>n,<br />

wobei eine differenzierte Beschreibung<br />

<strong>der</strong> Behandlung diesen Artikel sprengen<br />

würde. Allgemein lässt sich aber sagen,<br />

dass die Dissoziative Identitätsstörung auf<br />

störungsspezifische Therapieverfahren, wie<br />

sie insbeson<strong>der</strong>e <strong>für</strong> die Behandlung von<br />

Traumafolgestörungen entwickelt worden<br />

sind, gut anspricht. [19,20] Mit dem übergeordneten<br />

Therapieziel <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong><br />

abgespaltenen Selbstanteile in das Be -<br />

wusstsein und in die eigene Wahrnehmung<br />

kommen auch hier die gleichfalls bereits<br />

bei Janet postulierten drei Phasen <strong>der</strong> Traumatherapie<br />

mit psychosozialer Stabilisierung,<br />

Traumabearbeitung und Integration<br />

zur Anwendung.


Vor diesem Hintergrund versteht es sich<br />

von selbst, dass die Schwere und Komplexität<br />

<strong>der</strong> Erkrankung eine unter Umständen<br />

langjährige Psychotherapie in Form<br />

stationärer Intervalltherapie und/o<strong>der</strong><br />

ambulanter Psychotherapie erfor<strong>der</strong>t.<br />

Ziel <strong>der</strong> Therapie sollte sein, dass sich <strong>der</strong><br />

Patient so fühlt, wie es <strong>für</strong> uns selbstverständlich<br />

ist: als eine Person, die trotz<br />

unterschiedlicher Erlebnisse, Intentionen,<br />

Rollen, Gefühle und Gedanken „Herr im<br />

eigenen H<strong>aus</strong>“ ist.<br />

Literatur<br />

[1] Saß H. et al. Diagnostisches und Statistisches Manual<br />

Psychischer Störungen – Textrevision – DSM-IV-TR.<br />

Hogrefe, Göttingen 2003.<br />

[2] Boon S, Draijer N. The differentiation of patients with<br />

MPD or DDNOS from patients with a cluster B personality<br />

disor<strong>der</strong>. Dissociation 1993; 6: 126–35.<br />

[3] Dilling H, Mombour W, Schmidt MH. Internationale<br />

Klassifikation psychischer Störungen ICD-10.2. korrigierte<br />

Auflage. Bern: Huber 1993: 182<br />

[4] Ellason JW, Ross CA. Two-year follow-up of in patients<br />

with dissociative identity disor<strong>der</strong>. Am J Psychiat 1997; 154:<br />

832-9.<br />

[5] Ellenberger HF. Die Entdeckung des Unbewussten.<br />

Band I. Bern: Huber 1973: 449 ff.<br />

[6] Ellenberger HF. Die Entdeckung des Unbewussten.<br />

Band I. Bern: Huber 1973: 198 ff.<br />

[7] Fiedler P. Dissoziative Störungen und Konversion.<br />

Weinheim: Beltz. Psychologie Verlagsunion 1999.<br />

[8] Freud S, Breuer J. Studien über Hysterie. Erst<strong>aus</strong>gabe:<br />

Leipzig und Wien: Franz Deuticke 1895. Neudruck: Frankfurt:<br />

Fischer TB 6. Auflage 1991. 22-3.<br />

[9] Gast U, Rodewald F. Prävalenz dissoziativer Störungen.<br />

In: Reddemann L, Hofmann A, Gast U. (Hrsg.). Psychotherapie<br />

<strong>der</strong> dissoziativen Störungen. Krankheitsmodelle und<br />

Therapiepraxis – störungsspezifisch und schulenübergreifend.<br />

Stuttgart: Thieme 2003: 37-46.<br />

[10] Gast U, Rodewald F, Nickel V, Emrich HM. Prevalence<br />

of dissociative disor<strong>der</strong>s among psychiatric inpatients in a<br />

German University Clinic. J Nerv Ment Dis 2001; 189: 249-59.<br />

[11] Hoffmann SO, Eckhardt-Henn A. Dissoziative<br />

Bewusstseinsstörungen. Theorie, Symptomatik, Therapie.<br />

Stuttgart: Schattauer 2004.<br />

[12] Janet P. L’automatisme psychologique. Paris: Félix<br />

Alcan 1889. Reprint: Société Pierre Janet, Paris, 1889/1973.<br />

[13] Janet P. The Major Symptoms Of Hysteria. London:<br />

Macmillan 1907: 332.<br />

[14] Johnson JG, Cohen P, Kasen S, Brook JS. Dissociation<br />

disor<strong>der</strong>s among adults in the community, impaired functioning,<br />

and axis I and II comorbidity: J Psychiat Res 2006;<br />

40: 131-40.<br />

[15] Precht RD. Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Eine<br />

philosophische Reise. Goldmann 2007.<br />

[16] Putnam FW. Altered States. The Sciences 1992; 32: 30-7.<br />

[17] Putnam FW. Diagnostik und Behandlung <strong>der</strong> Disso -<br />

ziativen Identitätsstörung. Pa<strong>der</strong>born: Junfermann 2003.<br />

Original: Putnam FW. Diagnosis And Treatment Of Multiple<br />

Personality Disor<strong>der</strong>. New York: Guilford Press 1989.<br />

[18] Putnam FW, Guroff JJ, Silberman EK, Barban L, Post<br />

RM. The clinical phenomenology of multiple personality<br />

disor<strong>der</strong>. A review of 100 recent cases. J Clin Psychiat 1986;<br />

47: 285-93.<br />

[19] Reddemann L, Engl V, Lücke S. Imagination als<br />

heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit<br />

ressourcenorientierten Verfahren. Klett-Cotta 13. Auflage<br />

2007. Leben Lernen: 141.<br />

[20] Richter-Appelt H, Moldzio A. Psychotherapie mit<br />

Patientinnen nach sexueller Traumatisierung. In: Sexueller<br />

Missbrauch. Band 1: Grundlagen und Konzepte. Körner W,<br />

Lenz A. (Hrsg.). Göttingen: Hogrefe 2004: 413-32.<br />

[21] Ross CA, Norton GR, Wozney K. Multiple personality<br />

disor<strong>der</strong>: An analysis of 236 cases. Can J Psychiat 1989; 34:<br />

413-8.<br />

[22] Van <strong>der</strong> Hart O, Nijenhuis ERS, Steele K. Das verfolgte<br />

Selbst. Strukturelle Dissoziation und die Behandlung chronischer<br />

Traumatisierung. Pa<strong>der</strong>born: Junfermann 2008: 17.<br />

Kontakt<br />

Dr. med. Dr. phil. Andrea Moldzio<br />

Ltd. Oberärztin <strong>der</strong> II. Psychiatrischen<br />

Fachabteilung Persönlichkeitsstörung/<br />

Trauma<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord - Ochsenzoll<br />

Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />

22419 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 23 38<br />

Fax (0 40) 18 18- 87 29 33<br />

E-Mail: a.moldzio@asklepios.com<br />

Psychiatrie<br />

687


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Gehirn und Darm –<br />

Neurogastroenterologie<br />

Priv.-Doz. Dr. Stefan U. Christl, Prof. Dr. Rudolf Töpper<br />

Nervensystem und Gastrointestinaltrakt sind in vielfältiger Weise miteinan<strong>der</strong> verbunden. Neurologische<br />

Erkrankungen verursachen deshalb häufig Komplikationen im Bereich des Gastrointestinaltrakts und umgekehrt<br />

(Abb. 1). Beispiele hier<strong>für</strong> sind zerebrale Komplikationen gastroenterologischer Erkrankungen wie M. Crohn<br />

o<strong>der</strong> M. Whipple o<strong>der</strong> die funikuläre Myelose bei Vitamin-B12-Mangel aufgrund einer chronisch-atrophischen<br />

Gastritis. [1] Unter Neurogastroenterologie im engeren Sinne versteht man die Physiologie und Funktionsstörungen<br />

des autochthonen Nervensystems des Magen-Darm-Traktes sowie seiner Verschaltungen mit vegetativem und<br />

zentralem Nervensystem. Im weiteren Sinne gehören auch die Einflüsse neurologischer Systemerkrankungen und<br />

ihrer Therapie auf den Gastrointestinaltrakt dazu.<br />

Physiologie<br />

Das Gehirn des Darms, das enterische Nervensystem<br />

(ENS), besteht <strong>aus</strong> dem innenliegenden<br />

Plexus myentericus (Meißner)<br />

und dem äußeren Auerbachschen Plexus.<br />

Beide reichen vom Oropharynx bis zum<br />

Anus. Sie enthalten etwa 100 Millionen<br />

Nervenzellen mit unterschiedlichen Funktionen.<br />

Das hochintegriert verschaltete System<br />

ist in <strong>der</strong> Lage, autochthon, also ohne<br />

übergeordnete Regulierung durch das<br />

ZNS, die komplexe Motorik sowie die exokrine<br />

und endokrine Sekretion des Magen-<br />

Darm-Traktes zu steuern. Die Funktionen<br />

des ENS werden durch humorale und neurohumorale<br />

Faktoren (Peptidhormone,<br />

Serotonin) sowie durch efferente parasympathische<br />

und sympathische Fasern moduliert.<br />

[2] Afferente Signale <strong>aus</strong> multimodalen<br />

nocizeptiven Rezeptoren werden über<br />

vagale vegetative Bahnen an das ZNS vermittelt<br />

(Abb. 2). Störungen dieses Systems<br />

treten entwe<strong>der</strong> primär auf mit dann im<br />

Vor<strong>der</strong>grund stehen<strong>der</strong> gastrointestinaler<br />

Symptomatik (e.g. Achalasie, Pseudoobstruktion),<br />

o<strong>der</strong> als Manifestation einer<br />

neurologischen Systemerkrankung (M.<br />

Parkinson, Polyneuropathie)<br />

688<br />

Achalasie<br />

Die Achalasie ist charakterisiert durch<br />

einen progredienten Verlust <strong>der</strong> propulsiv<br />

koordinierten Peristaltik des tubulären<br />

Ösophagus, verbunden mit einer nicht<br />

zeitgerechten schluckreflektorischen Relaxation<br />

des unteren Sphinkters. Längerfristig<br />

entsteht eine Ösophagusdilatation mit<br />

Dysphagie, Retention und ernsthaften<br />

Ernährungsproblemen. Zugrunde liegt<br />

eine Degeneration <strong>der</strong> intramuralen Ganglienzellen<br />

bisher unklarer Ursache.<br />

Die Diagnosestellung bereitet im Vollbild<br />

eines Megaösophagus keine Probleme.<br />

Allerdings ist auch bei typischem Bild im<br />

Breischluck (Abb. 3) eine Ösophagogastroskopie<br />

zum Ausschluss eines Cardia -<br />

tumors zwingend erfor<strong>der</strong>lich. Beson<strong>der</strong>s<br />

frühe Stadien bieten sowohl in <strong>der</strong> Endoskopie<br />

als auch im Breischluck mitunter nur<br />

uncharakteristische Verän<strong>der</strong>ungen, weshalb<br />

bei entsprechendem Verdacht immer<br />

eine Ösophagusmanometrie durchgeführt<br />

werden sollte. Da sich die zugrunde liegende<br />

Motilitätsstörung bisher nicht beeinflussen<br />

lässt, besteht die Therapie in <strong>der</strong> Dehnung<br />

bzw. Öffnung <strong>der</strong> spastischen Cardia<br />

durch Pneumodilatation o<strong>der</strong> lokale Injektion<br />

von Botulinumtoxin. Bei <strong>aus</strong>bleibendem<br />

Erfolg bleibt noch die operative Cardiomyotomie.<br />

In frühen Krankheitsstadien<br />

ohne Dilatation des Ösophagus kann eine<br />

medikamentöse Therapie mit einem Kalziumkanalblocker<br />

(z. B. Nifedipin) versucht<br />

werden.<br />

Intestinale Pseudoobstruktion<br />

Unter diesem Begriff werden pathophysiologisch<br />

und klinisch verschiedene Krankheitsbil<strong>der</strong><br />

zusammengefasst, die eine<br />

schwerwiegende intestinale Passagestörung<br />

ohne mechanisches Hin<strong>der</strong>nis verursachen.<br />

Differenziert werden familiäre,<br />

kongenitale (z. B. Aganglionose Hirschsprung)<br />

und erworbene neurodegenerative<br />

Formen. Letztere können sich hypermotil<br />

manifestieren mit unkoordinierten, teilweise<br />

hochamplitudigen und dann auch<br />

schmerzhaften Kontraktionen, o<strong>der</strong> hypomotil<br />

mit zunehmen<strong>der</strong> Dilatation des<br />

Darmlumens. Diagnostisch ist zunächst<br />

eine mechanische Obstruktion <strong>aus</strong>zuschließen,<br />

gegebenenfalls sichert eine Manometrie<br />

die Funktionsstörung. Die Therapie ist<br />

schwierig. In Einzelfällen ist durch die


Abb. 1: Neurologie und Gastroenterologie, Ursachen gastrointestinaler Komplikationen neurologischer Erkrankungen<br />

(links), Ursachen neurologischer Komplikationen gastrointestinaler Erkrankungen (rechts)<br />

Resektion beson<strong>der</strong>s betroffener Darmsegmente<br />

eine deutliche Besserung zu erreichen,<br />

sonst kann eine parenterale Ernährung<br />

notwendig werden.<br />

Von den chronischen Formen ist die auch<br />

als Ogilvie-Syndrom bekannte akute intestinale<br />

Pseudoobstruktion abzugrenzen, die<br />

bei schweren Allgemeinerkrankungen, kritischer<br />

Kreislaufsituation o<strong>der</strong> Polypharmakotherapie<br />

auftreten kann. Sie betrifft<br />

überwiegend das Kolon und kann dort<br />

auch spontane Perforationen verursachen.<br />

Therapeutischer Standard ist hier die<br />

koloskopische Absaugung mit Platzierung<br />

einer Dekompressionssonde, die bis zu<br />

einer klinischen Stabilisierung in situ<br />

bleibt.<br />

Reizdarm, funktionelle Dyspepsie<br />

Diese sehr häufigen und mittlerweile gut<br />

untersuchten Störungen <strong>der</strong> gastrointestinalen<br />

Motorik und Reizwahrnehmung<br />

bestehen zum einen in Alterationen von<br />

Ablauf, Geschwindigkeit und Amplituden<br />

peristaltischer Aktionen. Zum an<strong>der</strong>en ist<br />

die Wahrnehmungsschwelle <strong>für</strong> Schmerzen<br />

und Missempfindungen im Bereich des<br />

Magen-Darm-Traktes herabgesetzt. Häufig<br />

haben diese Patienten zusätzlich psychische<br />

Erkrankungen o<strong>der</strong> Belastungsreaktionen.<br />

Die Diagnose wird auf Basis <strong>der</strong> im Vor -<br />

<strong>der</strong>grund stehenden Symptomatik gestellt.<br />

Hierzu sowie zur Klassifikation dienen die<br />

Rom-III-Kriterien (Tabelle). Die notwendige<br />

Ausschlussdiagnostik wird auf naheliegende<br />

Differentialdiagnosen (Ulkuskrankheit,<br />

chronisch entzündliche Darmerkrankungen,<br />

Sprue, Laktoseintoleranz etc.) und<br />

Alarmsymptome fokussiert. Grundvor<strong>aus</strong>setzung<br />

<strong>für</strong> eine erfolgreiche Therapie ist<br />

eine adäquate Aufklärung. Die Behandlung<br />

ist ansonsten symptomatisch und<br />

orientiert sich am klassifizierten Typ (Diätberatung,<br />

Stuhlregulierung, Spasmolytika,<br />

ggf. PPI). Eine Psychotherapie ist in vielen<br />

Fällen hilfreich. [3]<br />

Polyneuropathie<br />

Polyneuropathien sind die häufigsten neurologischen<br />

Erkrankungen mit gastrointestinalen<br />

Motilitätsstörungen. Alle Polyneuropathien<br />

können zu einer autonomen<br />

Beteiligung und damit zu gastrointestina-<br />

Neurologie / Gastroenterologie<br />

Abb. 2: Verschaltungen des enterischen Nervensystems<br />

len Symptomen führen. Neben chronischen<br />

Polyneuropathieformen begleiten solche<br />

Symptome auch akute entzündliche Er -<br />

krankungen des zentralen Nervensystems<br />

wie das parainfektiöse Guillain-Barré-Syndrom.<br />

Die diabetische autonome Neuropathie<br />

des Gastrointestinaltraktes ist die häufigste<br />

chronische Neuropathie und verursacht<br />

zahlreiche Beschwerden wie Völlegefühl,<br />

abdominelle Schmerzen, Übelkeit und<br />

Erbrechen sowie Obstipation und Diarrhoe.<br />

Etwa 40 Prozent <strong>der</strong> Patienten mit<br />

einem langjährigen Diabetes mellitus<br />

geben diese Symptome an. Eine autonome<br />

Neuropathie ist zu vermuten, wenn eine<br />

eindeutige sensomotorische Neuropathie<br />

vorliegt und eine kardiale autonome Neuropathie<br />

nachzuweisen ist. Die Therapie ist<br />

symptomorientiert, <strong>der</strong> Blutzucker sollte<br />

optimal eingestellt werden. Bei diabetischer<br />

Gastroparese ist niedrig dosiertes<br />

Erythromyzin als Motilinagonist spezifisch<br />

wirksam. Seltene Ursachen <strong>der</strong> Polyneuropathie<br />

sind Porphyrien und Amyloidosen,<br />

bei denen neben <strong>der</strong> autonomen Polyneuropathie<br />

noch viele an<strong>der</strong>e gastroenterologische<br />

Symptome auftreten können.<br />

689


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Funktionelle Dyspepsie<br />

Mindestens eines <strong>der</strong> folgenden Symptome während<br />

mindestens drei Monaten und vor mindestens<br />

sechs Monaten erstmals aufgetreten:<br />

■ störendes postprandiales Völlegefühl<br />

■ beschleunigtes Sättigungsgefühl<br />

■ epigastrische Schmerzen<br />

■ epigastrisches Brennen<br />

■ keine Anhaltspunkte <strong>für</strong> eine strukturelle<br />

Pathologie (inkl. normale Gastroskopie), welche<br />

die Symptomatik erklären könnte<br />

Reizdarmsyndrom<br />

Abdominale Schmerzen o<strong>der</strong> Unwohlsein an mindestens<br />

drei Tagen pro Monat während <strong>der</strong> vorangegangenen<br />

drei Monate, Beginn vor mindestens<br />

sechs Monaten mit mindestens zwei <strong>der</strong> folgenden<br />

Zeichen:<br />

■ Besserung durch Defäkation<br />

■ Beginn mit Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Stuhlfrequenz<br />

■ Beginn mit Än<strong>der</strong>ung von Stuhlkonsistenz und<br />

-<strong>aus</strong>sehen<br />

Tabelle: Funktionelle Dyspepsie und Reizdarm;<br />

definierende Symptomatik (Rom-III-Kriterien)<br />

M. Parkinson<br />

Gastrointestinale Funktionsstörungen sind<br />

bei Patienten mit M. Parkinson häufig. Sie<br />

werden in <strong>der</strong> Regel aber weit weniger<br />

beachtet als die motorischen Symptome,<br />

obwohl sie die Lebensqualität <strong>der</strong> Betroffenen<br />

ebenso einschränken. Pathologischanatomisch<br />

findet sich bei diesen Patienten<br />

neben <strong>der</strong> Degeneration <strong>der</strong> dopaminergen<br />

Neurone in <strong>der</strong> Substantia nigra auch ein<br />

Neuronenverlust im peripheren autonomen<br />

Nervensystem. Neben Blasenentleerungsstörungen<br />

und einer posturalen<br />

Hypotension beklagen Parkinson-Patienten<br />

eine Obstipation, <strong>der</strong> eine verlangsamte<br />

gastrointestinale Passage o<strong>der</strong> ein beeinträchtigter<br />

Defäkationsreflex zugrunde liegen<br />

können. Ursache <strong>der</strong> gastrointestinalen<br />

Beschwerden können neben <strong>der</strong> autonomen<br />

Dysfunktion auch die Nebenwirkungen<br />

<strong>der</strong> dopaminergen und anticholinergen<br />

Medikation sein.<br />

690<br />

Abb. 3: Kontrastmitteldarstellung einer Achalasie.<br />

Geschlossene Pfeile: tertiäre (nicht propulsive) Kontraktionen,<br />

offene Pfeile: enggestelltes Cardiasegment ohne<br />

KM-Passage<br />

Therapeutisch ist Parkinson-Patienten eine<br />

reichliche Flüssigkeitszufuhr zu empfehlen.<br />

Pflanzliche Ballaststoffe (Leinsamen, Weizenkleie)<br />

eignen sich bei mil<strong>der</strong>en Formen<br />

<strong>der</strong> Obstipation. Macrogol als osmotisches<br />

Laxans ist Mittel <strong>der</strong> Wahl bei schwereren<br />

Formen. Zur Verbesserung <strong>der</strong> Motilität im<br />

oberen Gastrointestinaltrakt eignet sich <strong>der</strong><br />

<strong>aus</strong>schließlich peripher wirksame Dopaminantagonist<br />

Domperidon (MotiliumR).<br />

Er lin<strong>der</strong>t Völlegefühl und vorzeitiges<br />

Sättigungsempfinden. Blasenstörungen,<br />

posturale Hypotension und Störungen <strong>der</strong><br />

Schweißsekretion sind an<strong>der</strong>e Symptome<br />

einer Beeinträchtigung des autonomen<br />

Nervensystems. Oft ist es <strong>für</strong> den Arzt<br />

schwierig, Symptome <strong>der</strong> Erkrankung von<br />

Nebenwirkungen <strong>der</strong> Parkinson-Medikation<br />

zu unterscheiden. Die typische Blasenstörung<br />

des Parkinson-Patienten, die Detrusor-<br />

Hyperreflexie, führt zu einem häufigen<br />

und imperativen Harndrang und wird mit<br />

peripher wirksamen, den Blasenmuskel<br />

dämpfenden Anticho linergika behandelt.<br />

Vor<strong>aus</strong>setzung einer solchen Therapie ist<br />

aber die vorherige urologische Untersuchung<br />

und <strong>der</strong> Ausschluss einer signifikanten<br />

Restharnbildung.<br />

Fazit<br />

Die hier exemplarisch dargestellten Er -<br />

krankungen belegen, wie eng Nervensystem<br />

und Gastrointestinaltrakt miteinan<strong>der</strong><br />

verknüpft sind. Aufgrund <strong>der</strong> wechselseitigen<br />

Komplikationen ist <strong>für</strong> eine qualitativ<br />

hochwertige Behandlung eine enge und<br />

vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />

Gastroenterologen und Neurologen von<br />

großer Bedeutung.<br />

Literatur<br />

[1] Berges W, Töpper R. Gastrointestinaltrakt. In: P. Berlit<br />

and P.T. Sawicki (Eds.), Neurologie – Innere Medizin interdisziplinär.<br />

Stuttgart: Georg Thieme Verlag 2004; 97-135.<br />

[2] Goyal RK, Hirano J. The enteric nervous system. New<br />

Engl J Med. 1996; 334: 1106-14.<br />

[3] Mayer EA. Irritable Bowel syndrome. New Engl J Med<br />

2008; 1692-9.<br />

Kontakt<br />

Priv.-Doz. Dr. Stefan U. Christl<br />

2. Medizinische Abteilung –<br />

Gastroenterologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 22 26<br />

Fax (0 40) 18 18-86 30 78<br />

E-Mail: s.christl@asklepios.com<br />

Prof. Dr. Rudolf Töpper<br />

Neurologische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 25 52<br />

Fax (0 40) 18 18-86 30 92<br />

E-Mail: r.toepper@asklepios.com


Pseudarthrosen:<br />

Pathophysiologie und Therapie<br />

Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer<br />

Im medizinisch-wissenschaftlichen Sinne<br />

spricht man erst von einer <strong>aus</strong>gebildeten<br />

Pseudarthrose, wenn eine Fraktur nach<br />

einem Zeitraum von mehr als sechs bis<br />

neun Monaten nicht verheilt ist. Dabei<br />

unterscheidet man die durch Instabilität<br />

begründete hypertrophe Pseudarthrose mit<br />

guten biologischen Heilungsvor<strong>aus</strong>setzungen<br />

von <strong>der</strong> oligo- und atrophen Pseudarthrose<br />

mit schlechter lokaler Vaskulari -<br />

sation, wie sie bei offenen Frakturen,<br />

Weichteildefekten, traumatisierenden offenen<br />

Osteosynthesen und Re-Operationen<br />

auftreten kann. Auch metabolische Erkrankungen<br />

und Medikamente spielen eine<br />

Rolle in <strong>der</strong> Genese <strong>der</strong> atrophen Pseudarthrose<br />

und sollten in therapieresistenten<br />

Fällen abgeklärt werden. Weiter bekannt<br />

sind die Infekt-Pseudarthrose, die eigentlich<br />

auch einer oligo-/atrophen Pseudarthrose<br />

aufgrund septischer Mikrothrombosen<br />

entspricht, und die synoviale Pseudarthrose,<br />

die durch eine echte Falschgelenkbildung<br />

nach lang bestehen<strong>der</strong> Instabilität<br />

charakterisiert ist.<br />

Im Prinzip ist <strong>aus</strong> praktisch-chirurgischer<br />

Sicht unbedingt noch eine weitere Pseudarthrosegruppe<br />

hinzuzufügen: die <strong>der</strong><br />

„drohenden Pseudarthrose“. Im Interesse<br />

<strong>der</strong> Patienten ist es nicht zu verantworten,<br />

zunächst auf eine Frakturheilung zu hoffen,<br />

wenn schon klare Vor<strong>aus</strong>setzungen <strong>für</strong> die<br />

Entwicklung einer Pseudarthrose bestehen.<br />

Dazu gehören unter an<strong>der</strong>em eine instabile<br />

Osteosynthese (zum Beispiel ungebohrter<br />

Marknagel mit unzureichen<strong>der</strong> Verriegelung<br />

bei metaphysären Frakturen), Muskelinterposition<br />

bei konservativer Frakturbehand-<br />

Unfallchirurgie<br />

Noch bis vor etwa zehn Jahren standen Pseudarthrosen nach offenen Osteosynthesen, insbeson<strong>der</strong>e im Unterschenkelbereich<br />

mitsamt ihren Fehlstellungen und Defekten, im Vor<strong>der</strong>grund. Heute findet man sie in großer Zahl<br />

nach „biologischen“ und „minimal-invasiven“ Osteosynthesen, zunehmend auch im Oberarmbereich, etwa nach<br />

ungebohrten Nagelosteosynthesen mit unzureichend stabiler Verriegelung (Abb. 1). Um die verschiedenen Therapiemöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Pseudarthrosen einzuordnen, muss man zunächst <strong>der</strong>en Pathophysiologie verstehen.<br />

Abb. 1: Hypertrophe Pseudarthrose nach Humerusmarknagelung<br />

mit Instabilität bei unzureichen<strong>der</strong> Verriegelung<br />

Abb. 2: Immanente Pseudarthrose bei Instabilität und<br />

Fehlstellung im proximalen Bruchbereich und Distraktion<br />

im distalen Frakturanteil<br />

lung (zum Beispiel proximale Humerus-<br />

Spiralfraktur), Knochendefekte über vier<br />

Millimeter sowie Weichteildefekte und Verletzungen<br />

(Abb. 2). In all diesen Situationen<br />

sollte unverzüglich adäquat operativ interveniert<br />

und nicht erst ein Auftreten einer<br />

Pseudarthrose abgewartet werden.<br />

691


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Abb. 3: (a) Hypertrophe Diaphysenpseudarthrose mit dünnem Nagel in einem zu weiten Kanal sowie Zustand nach<br />

Dynamisierung mit resultieren<strong>der</strong> Instabilität (b): Eine stabile Osteosynthese mit einem dickeren gebohrten Mark -<br />

nagel und additiver Anti-Rotationsplatte führte zur Ausheilung.<br />

Therapieverfahren sind in Abhängigkeit<br />

von <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Pseudarthrose zu diskutieren.<br />

Eine hypertrophe Pseudarthrose muss<br />

mit einer rigiden Osteosynthese behandelt<br />

werden. Bei <strong>der</strong> typischen hypertrophen<br />

Diaphysenpseudarthrose nach ungebohrter<br />

Nagelung ist ein gebohrter Nagel o<strong>der</strong> eine<br />

kurze additive Plattenosteosynthese ohne<br />

Ausräumung des osteogenetisch aktiven<br />

Pseudarthrosengewebes indiziert (Abb. 3).<br />

In Bezug auf die Tibia ist an eine Fibula -<br />

osteotomie zu denken. Im metaphysären<br />

Bereich sind als stabilisierende Maßnahmen<br />

kurze additive Platten in einer zweiten<br />

Ebene o<strong>der</strong> Umstellungsosteotomien (proximales<br />

Femur) in Erwägung zu ziehen.<br />

692<br />

a<br />

Bei <strong>der</strong> hypotrophen Pseudarthrose muss<br />

die Weichteil- und Perfusionssituation<br />

optimiert werden, bevor ein radikales<br />

Debridement mit angrenzen<strong>der</strong> Dekortikation<br />

des endständig sklerosierten Knochens<br />

vorgenommen wird (Abb. 4). Dem folgt<br />

eine rigide Osteosynthese – typischerweise<br />

mit einer winkelstabilen Platte. Bei bestehen<strong>der</strong><br />

PNP ist allerdings ein Ilizarov-Fixateur<br />

das Verfahren <strong>der</strong> Wahl. Zur Verbesserung<br />

<strong>der</strong> lokalen Osteogenese stehen als<br />

osteoinduktive Verfahren die autologe<br />

Spongiosatransplantation, <strong>der</strong> vaskularisierte<br />

Fibulatransfer sowie neuerdings<br />

auch die mesenchymale Stammzelltherapie,<br />

die Transplantation kultivierter peri-<br />

b c<br />

Abb. 4: Instabile hypotrophe Becken-Pseudarthrose im<br />

vor<strong>der</strong>en und hinteren Beckenring; stabile Ausheilung<br />

nach rigi<strong>der</strong> Osteosynthese und Anlage cortico-spongiöser<br />

Späne; (a) prä-operativ, (b) post-operativ nach Revisionseingriff,<br />

(c) Nachuntersuchung nach acht Monaten<br />

ostaler Zellen und die Implantation von<br />

Wachstumsfaktoren zur Verfügung. Eine<br />

Überlegenheit <strong>der</strong> letztgenannten kosten -<br />

trächtigen Methoden konnte jedoch bis<br />

heute nicht eindeutig aufgezeigt werden.<br />

Synoviale Pseudarthrosen werden reseziert,<br />

<strong>der</strong> Defekt rigide osteosynthetisch<br />

stabilisiert und mit Dekortizierung und<br />

autologer Spongiosaanlagerung therapiert<br />

(Abb. 5). Bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Infekt-<br />

Pseudarthrosen spielt die chirurgische<br />

Infektbekämpfung die zentrale Rolle. Eine<br />

antibiotische Therapie ist nur als begleitend<br />

zu verstehen, nicht als sanierend.<br />

Ansonsten gelten die gleichen Behand-<br />

a<br />

b


Abb. 5: Typische synoviale Pseudarthrose im radiologischen und klinischen Bild<br />

lungsschritte wie <strong>für</strong> eine atrophe Pseudarthrose.<br />

Allerdings wird zur Stabilisierung<br />

ein Ilizarov-Fixateur aufgrund seiner Fixations-Vielfältigkeit<br />

und Stabilität favorisiert.<br />

Interne Implantate sind mit einer<br />

erhöhten Gefahr <strong>der</strong> Infektpersistenz vergesellschaftet.<br />

Zu adjuvanten Behandlungsformen zählen<br />

die extrakorporale Stoßwellentherapie, die<br />

Ultraschalltherapie und die elektrische<br />

Stimulation. Allerdings steht die generelle<br />

Etablierung dieser Verfahren <strong>aus</strong> unterschiedlichen<br />

Gründen bis heute <strong>aus</strong>.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Thomas Armin Schildhauer<br />

Zentrum <strong>für</strong> Unfall- und<br />

Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 22 86<br />

Fax (0 40) 18 18-85 37 70<br />

E-Mail: t.schildhauer@asklepios.com<br />

Unfallchirurgie<br />

693


Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz Dr. Christoph Külkens<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord:<br />

Neuer Chefarzt <strong>der</strong> Gynäkologie<br />

Seit Juli leitet Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz<br />

die Abteilung <strong>für</strong> Gynäkologie <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg. Schwarz<br />

wurde 1964 in Jülich geboren, ist verheiratet<br />

und hat zwei Söhne. Sein Medizinstudium<br />

absolvierte er an <strong>der</strong> Universität Brescia<br />

und <strong>der</strong> RWTH Aachen. Die Weiterbildung<br />

zum Facharzt <strong>für</strong> Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

absolvierte Schwarz in den Frauenkliniken<br />

<strong>der</strong> TU München und des UKE sowie<br />

in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Geburtsmedizin <strong>der</strong> Berliner<br />

Charité. 1999 wurde Schwarz Oberarzt<br />

<strong>der</strong> Frauenklinik im UKE, 2003 habilitierte<br />

er sich mit dem Thema „Untersuchungen<br />

zur Bedeutung <strong>der</strong> Positronen-Emissions-<br />

Tomographie mit F-18 Fluordeoxyglukose<br />

(FDG-PET) in <strong>der</strong> Diagnostik des Mammakarzinoms“<br />

und erhielt die Venia Legendi<br />

<strong>für</strong> das Fach Gynäkologie und Geburtshilfe.<br />

Von 2003 bis 2009 war Schwarz Leiten<strong>der</strong><br />

Oberarzt und Stellvertreter des Direktors<br />

<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Gynäkologie an <strong>der</strong><br />

Frauenklinik des UKE sowie ab 2007 Leiter<br />

des Schwerpunktes Operative Onkologie<br />

und plastisch-rekonstruktive Chirurgie.<br />

Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind<br />

FDG-PET in <strong>der</strong> Diagnostik des Mammaund<br />

Ovarialkarzinoms, die Therapie des<br />

Ovarialkarzinoms, klinische Untersuchungen<br />

zu Zervix- und Vulvakarzinom, Lichen<br />

sklerosus sowie die operative Therapie bei<br />

Zervixdysplasie. Zu seinen klinischen<br />

Schwerpunkten zählen alle abdominalen,<br />

vaginalen und minimal-invasiven Operationsverfahren<br />

<strong>der</strong> operativen Gynäkologie,<br />

die radikale Chirurgie des Ovarialkarzinoms<br />

(Debulking), nervenschonende und minimal-invasive<br />

Operationsverfahren bei Zervix-<br />

und Endometriumkarzinom, organerhaltende<br />

und radikale Operationsverfahren<br />

bei Vulva- und Vaginalkazinom mit plastischer<br />

Rekonstruktion von Vulva und Vagi-<br />

694<br />

na, die Sentineltechnik, alle gängigen plastischen<br />

Verfahren an <strong>der</strong> Brust sowie rekonstruktiven<br />

Verfahren im Bereich <strong>der</strong> Brust<br />

und des Genitale mit Ausnahme freier<br />

Lappenplastiken, die operative Therapie<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Transformation bei Transsexualität<br />

sowie die Diagnostik und Therapie<br />

von Krebsvorstufen im Genitale (Kolposkopie)<br />

einschließlich Laserchirurgie.<br />

Kontakt<br />

PD Dr. Jörg Schwarz<br />

Abteilung <strong>für</strong> Gynäkologie und Brustzentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400, 22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 31 26<br />

Fax (0 40) 18 18-87 31 27<br />

E-Mail: joe.schwarz@asklepios.com<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord:<br />

Neuer Chefarzt <strong>für</strong> HNO-Heilkunde,<br />

Kopf- und Halschirurgie<br />

Seit Februar leitet Dr. Christoph Külkens<br />

die HNO-Abteilung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />

Nord – Heidberg. Er wurde in Osnabrück<br />

geboren, studierte an <strong>der</strong> Julius-Maximilians-Universität<br />

zu Würzburg und <strong>der</strong><br />

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,<br />

absolvierte das PJ unter an<strong>der</strong>em in Zürich<br />

und San Francisco. Seine HNO-fachärztliche<br />

Ausbildung begann Külkens 1995 an <strong>der</strong><br />

<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde,<br />

Kopf- und Halschirurgie <strong>der</strong> Christian-<br />

Albrechts-Universität zu Kiel. 1998 wechselte<br />

Külkens an die Philipps-Universität<br />

zu Marburg, wo er nach <strong>der</strong> Facharzt-<br />

Anerkennung 2000 zum Oberarzt ernannt<br />

wurde. Hier absolvierte er auch ein berufsbegleitendes<br />

Aufb<strong>aus</strong>tudium „Health Care<br />

Management“. 2003 erlangte Külkens die<br />

Zusatzbezeichnung „Plastische Operationen“<br />

sowie die Fakultative Weiterbildung<br />

„Spezielle HNO-Chirurgie“, 2004 die Aner-<br />

Personalia<br />

kennung als DEGUM-Ausbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sektion<br />

Kopf/Hals. Nach Hospitationen <strong>für</strong><br />

plastische und ästhetische Gesichtschirurgie<br />

in den USA und Norwegen wechselte<br />

er 2005 als Oberarzt an die <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Hals-,<br />

Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals -<br />

chirurgie <strong>der</strong> Johannes-Gutenberg-Universität<br />

zu Mainz. Dr. Külkens ist Mitglied<br />

zahlreicher nationaler und internationaler<br />

Fachgesellschaften. Er verfügt über ein<br />

breites Kompetenzprofil in allen Themen<br />

seines Fachgebietes, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong><br />

mikroskopischen und endoskopischen<br />

Nasennebenhöhlenchirurgie, <strong>der</strong> organerhaltenden<br />

Laserchirurgie bei <strong>der</strong> Behandlung<br />

von Kopf-Hals-Tumoren, <strong>der</strong> sanierenden<br />

und hörverbessernden Ohrchirurgie,<br />

<strong>der</strong> Chirurgie <strong>der</strong> Speicheldrüsen sowie<br />

<strong>der</strong> plastisch-rekonstruktiven und ästhetischen<br />

Gesichtschirurgie. In Heidberg möchte<br />

er vor allem <strong>für</strong> die Patienten im Norden<br />

Hamburgs sowie im Süden Schleswig-Holsteins<br />

das gesamte Spektrum <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und<br />

Halschirurgie anbieten und durchführen.<br />

Ein erfahrenes Team sowie mo<strong>der</strong>nste<br />

technische Ausstattung und Methoden sorgen<br />

<strong>für</strong> ein Höchstmaß an diagnostischer<br />

und operativer Sicherheit. Hierzu werden<br />

ab Oktober 2009 ein neuer OP-Trakt sowie<br />

neue Behandlungs- und Untersuchungsräume<br />

im Kopfzentrum erstellt.<br />

Kontakt<br />

Dr. Christoph Külkens<br />

Abteilung <strong>für</strong> HNO-Heilkunde,<br />

Kopf- und Halschirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400, 22417 Hamburg<br />

Tel. (040) 18 18-87 34 64<br />

Fax (040) 18 18-87 33 72<br />

E-Mail: c.kuelkens@asklepios.com


Kopf-Hals-Tumore –<br />

mo<strong>der</strong>ne chirurgische Konzepte<br />

Dr. Christoph Külkens<br />

Die Prognose <strong>der</strong> Plattenepithelkarzinome<br />

<strong>der</strong> oberen Luft- und Speisewege ist nach<br />

wie vor häufig ungünstig und konnte über<br />

die vergangenen Jahrzehnte trotz optimierter<br />

Resektions- und Rekonstruktionstechniken<br />

sowie Weiterentwicklung <strong>der</strong> Radiound<br />

Chemotherapiekonzepte nicht wesentlich<br />

verbessert werden. Dies erklärt sich<br />

vor allem durch die bei Diagnosestellung<br />

bereits vorhandene hohe zervikale lymphogene<br />

Metastasierungsrate, aber auch durch<br />

die vorwiegend im späteren Krankheitsverlauf<br />

auftretenden Fernmetastasen.<br />

Deshalb haben sich in den vergangenen<br />

20 Jahren die Therapiekonzepte verän<strong>der</strong>t.<br />

Die chirurgische Radikalität wurde sowohl<br />

bei <strong>der</strong> Therapie des Primärtumors als auch<br />

<strong>der</strong> lokoregionären Metastasen zunehmend<br />

zugunsten organ- und funktionserhalten<strong>der</strong><br />

Strategien verlassen, um bei gleich bleibenden<br />

onkologischen Ergebnissen die operationsbedingten<br />

Funktionseinschränkungen<br />

zu reduzieren und damit die Lebensquali -<br />

tät <strong>der</strong> Patienten zu verbessern.<br />

Therapie des Primärtumors<br />

Die Behandlung maligner Tumoren <strong>der</strong><br />

oberen Luft- und Speisewege ist aufgrund<br />

<strong>der</strong> komplexen Anatomie und Organfunktionen<br />

(Gesichtsästhetik, Schluckfunktion,<br />

Atmung, Sprache, Stimme) problematisch.<br />

Radikale Blockresektionen führen nicht selten<br />

zu erheblichen Funktionseinschränkungen.<br />

Um funktionelle Einschränkungen zu<br />

reduzieren, wurde seit Mitte <strong>der</strong> 80er-Jahre<br />

die transorale Lasermikrochirurgie mit<br />

dem CO2-Laser entwickelt und zunehmend<br />

zur Behandlung von Karzinomen <strong>der</strong><br />

Mundhöhle, des Oro- und Hypopharynx<br />

sowie des Larynx angewandt. Durch die<br />

transorale Tumorexposition kann auf einen<br />

Zugangsweg von außen verzichtet werden,<br />

<strong>der</strong> vielfach mit einer Durchtrennung muskulärer<br />

und nervaler sowie zum Teil knöcherner<br />

Strukturen verbunden ist.<br />

Wesentlicher Vorteil <strong>der</strong> CO2-Laserchirur gie ist das berührungsfreie und im kapillären<br />

Bereich blutungsarme Schneiden <strong>der</strong><br />

Schleimhaut, was eine sehr gute intraoperative<br />

Übersicht ermöglicht. Die transorale<br />

Laserchirurgie wird standardmäßig unter<br />

mikroskopischer Kontrolle durchgeführt.<br />

Der CO2-Laser wird hier<strong>für</strong> an ein Operationsmikroskop<br />

angekoppelt und <strong>der</strong><br />

Laserstrahl über einen Mikromanipulator<br />

ins Gewebe appliziert. Der Fokus des<br />

Laserstrahls wird durch den Mikromanipulator<br />

auf 0,25 mm reduziert, was ein<br />

leistungsreduziertes Schneiden ermöglicht<br />

und die thermische Schädigung benachbarter<br />

Gewebe minimiert.<br />

Das operative Ziel <strong>der</strong> Lasermikrochirurgie<br />

ist, wie bei den konventionell-chirurgischen<br />

Techniken, die vollständige Entfernung<br />

des Primärtumors. Allerdings werden<br />

die Resektionsgrenzen im Gegensatz<br />

zur konventionellen Chirurgie durch dessen<br />

Lokalisation und Größe bestimmt.<br />

Intraoperativ ermöglicht das Operationsmikroskop<br />

in <strong>der</strong> Regel eine gute Differenzierung<br />

zwischen gesundem und tumorösem<br />

Gewebe und somit die Erkennung <strong>der</strong><br />

Tumorgrenzen. Die thermische Versiegelung<br />

kleinerer Blut- und Lymphgefäße<br />

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde<br />

Das Plattenepithelkarzinom ist <strong>der</strong> häufigste maligne Tumor im Bereich <strong>der</strong> Schleimhäute <strong>der</strong> oberen Luft- und<br />

Speisewege. Hauptursache ist <strong>der</strong> synergistische Effekt eines langjährigen Alkohol- und Tabakabusus, <strong>der</strong> zu einer<br />

toxischen Schleimhautschädigung und einer Feldkanzerisierung führen kann. [1]<br />

ermöglicht eine gute intraoperative Übersicht.<br />

So lassen sich die Tumorgrenzen besser<br />

erkennen und <strong>der</strong> Gewebedefekt durch<br />

Anpassung <strong>der</strong> Resektion möglichst klein<br />

halten. Kleinere und überwiegend oberflächliche<br />

Karzinome lassen sich als Ganzes<br />

umschneiden, größere Tumoren müssen<br />

in Teilen reseziert werden, wobei auch<br />

die Tiefeninfiltration beurteilt werden<br />

kann.<br />

Im Gegensatz zur konventionellen En-bloc-<br />

Resektion erfolgt die Schnittführung bei<br />

<strong>der</strong> laserchirurgischen Resektion großer<br />

Tumore teilweise durch den Tumor, wobei<br />

die thermische Versiegelung <strong>der</strong> Lymphgefäße<br />

am Schnittrand eine relevante Tumorzell<strong>aus</strong>saat<br />

verhin<strong>der</strong>t. Somit wird <strong>der</strong><br />

Operateur bei <strong>der</strong> Resektion weitgehend<br />

von <strong>der</strong> Tumor<strong>aus</strong>dehnung geleitet und<br />

kann im Gegensatz zur Blockresektion viel<br />

gesundes Gewebe schonen. Das verbleibende<br />

Gewebe ermöglicht im Kopf-Hals-<br />

Bereich den Organerhalt und damit die<br />

Aufrechterhaltung einer guten Schluckund<br />

Stimmfunktion. Darüber hin<strong>aus</strong> kann<br />

in den meisten Fällen auf einen Luftröhrenschnitt<br />

verzichtet werden. Die Versiegelung<br />

<strong>der</strong> Schnittkanten erübrigt eine<br />

Deckung des Gewebedefektes (Abb. 1).<br />

Literatur und eigene Erfahrungen zeigen,<br />

dass die onkologischen Ergebnisse <strong>der</strong><br />

Laserchirurgie den konventionell-chirurgischen<br />

Techniken o<strong>der</strong> <strong>der</strong> primären Strahlentherapie<br />

gleichwertig und zum Teil<br />

sogar überlegen sind. [2,3] Zugleich lässt sich<br />

mit dieser Technik eine deutlich bessere<br />

Funktionalität und somit Lebensqualität<br />

695


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Abb. 1: Supraglottisches Larynxkarzinom vor und unmittelbar nach Laserresektion sowie 10 Wochen postoperativ<br />

erzielen. [4] Die transorale, mikroskopischkontrollierte<br />

CO2-Laserchirurgie ist daher<br />

bei <strong>der</strong> Behandlung von begrenzten und<br />

oberflächlich gewachsenen Karzinomen<br />

<strong>der</strong> oberen Luft- und Speisewege die<br />

Methode <strong>der</strong> Wahl. Auch <strong>aus</strong>gedehntere<br />

Karzinome lassen sich komplett resezieren,<br />

dies ist aber beson<strong>der</strong>s an die Erfahrung<br />

und Expertise des Operateurs gebunden.<br />

Therapie <strong>der</strong><br />

Halslymphknotenmetastasierung<br />

Die Prognose von Patienten mit Plattenepithelkarzinomen<br />

im Kopf-Hals-Bereich wird<br />

maßgeblich durch das Vorhandensein von<br />

Halslymphknotenmetastasen bei <strong>der</strong> Diagnosesicherung<br />

bestimmt. So halbieren<br />

sich die Überlebensraten <strong>der</strong> Patienten mit<br />

nachgewiesenen zervikalen Filiae. Eine<br />

weitere Prognoseverschlechterung tritt mit<br />

histopathologischem Nachweis einer Kapselruptur<br />

o<strong>der</strong> einer Lymphangiosis carcinomatosa<br />

ein. [5] Daher kommt Diagnostik<br />

und Therapie <strong>der</strong> zervikalen Metastasierung<br />

eine ganz wesentliche Bedeutung zu.<br />

Der Lymphabfluss von den verschiedenen<br />

Lokalisationen <strong>der</strong> oberen Luft- und Speisewege<br />

erfolgt entlang relativ konstanter und<br />

vorhersehbarer Richtungen in bestimmte<br />

Lymphknotengruppen. Deren Einteilung<br />

erfolgte auf Basis dieser bevorzugten Metas<br />

tasierungsrichtungen. Aktuell werden die<br />

circa 300 Lymphknoten des Halses in sieben<br />

Regionen eingeteilt (Abb. 2). [6,7]<br />

696<br />

Diagnostik Halslymphknoten<br />

Vor dem Hintergrund des sich wandelnden<br />

chirurgischen Managements <strong>der</strong> Halslymphknotenmetastasierung<br />

wird die Diagnostik<br />

zervikaler Lymphknoten seit vielen<br />

Jahren kontrovers diskutiert. Die Erhebung<br />

des Halslymphknotenstatus durch alleinige<br />

Palpation ist zur validen Erfassung von<br />

Metastasen völlig unzureichend. Bildgebende<br />

Verfahren wie CT und MRT ermöglichen<br />

neben einer Beurteilung des Primärtumors<br />

auch eine gute Beurteilung <strong>der</strong> Halslymphknoten.<br />

Zahlreiche vergleichende Untersuchungen<br />

zeigten jedoch, dass die B-Sonografie<br />

diesen Verfahren gleichwertig o<strong>der</strong><br />

überlegen ist. [8]<br />

Die Aussagekraft bei <strong>der</strong> Beurteilung zervikaler<br />

Raumfor<strong>der</strong>ungen lässt sich durch<br />

Kombination mit einer Punktionszytologie<br />

weiter verbessern. Mit <strong>der</strong> sonografischkontrollierten<br />

Feinnadelpunktion (FNP)<br />

lassen sich insbeson<strong>der</strong>e kleinere und in<br />

tieferen Halsschichten lokalisierte Raumfor<strong>der</strong>ungen<br />

sicher unter Sicht punktieren.<br />

Damit lässt sich die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Halslymphknotenmetastasierung<br />

prätherapeutisch besser einschätzen. [9]<br />

Therapie Halslymphknoten<br />

Die chirurgische Behandlung des regionären<br />

Lymphabflusses erfolgt in <strong>der</strong> Regel in<br />

Form einer sogenannten Neck dissection.<br />

Die 1906 von Crile erstmals beschriebene<br />

radikale Neck dissection (RND) stellte jahrzehntelang<br />

das Standardverfahren zur<br />

Behandlung von zervikalen Lymphknoten-<br />

metastasen dar. Dabei wurden die Halslymphknotenregionen<br />

I-V mit gleichzeitiger<br />

Entfernung des M. sternocleidomastoideus,<br />

<strong>der</strong> V. jugularis interna und des N. accessorius<br />

<strong>aus</strong>geräumt. Dementsprechend war<br />

dieses radikale Operationsverfahren mit<br />

starken funktionellen Einschränkungen<br />

verbunden.<br />

Analog zur weniger invasiven Chirurgie<br />

des Primärtumors wurde die Radikalität<br />

<strong>der</strong> Neck dissection zur Verbesserung <strong>der</strong><br />

postoperativen Funktionalität schrittweise<br />

durch selektive Formen ersetzt. Abhängig<br />

von den Hauptmetastasierungsrichtungen<br />

des Primärtumors werden bei <strong>der</strong> selektiven<br />

Neck dissection (SDN) nur noch einzelne<br />

Lymphknotenregionen (Abb. 2)<br />

<strong>aus</strong>geräumt und <strong>der</strong> M. sternocleidomastoideus,<br />

<strong>der</strong> N. accessorius und die V. jugularis<br />

interna erhalten. Das minimiert die<br />

funktionellen Einschränkungen bei gleichem<br />

onkologischem Ergebnis deutlich<br />

und verbessert so die Lebensqualität.<br />

Analog zum beispielhaft gezeigten supraglottischen<br />

Larynxkarzinom würden hierbei<br />

lediglich die Regionen II bis IV <strong>aus</strong> -<br />

geräumt. [10]<br />

Die Neck dissection kann grundsätzlich<br />

unter zwei Zielsetzungen erfolgen: Bei klinisch<br />

eindeutigem Vorliegen von Metastasen<br />

(N+ Hals) wird sie mit kurativer Intention<br />

durchgeführt werden. Je nach Ausmaß<br />

<strong>der</strong> Metastasierung erfolgt eine modifiziert<br />

radikale Neck dissection (MRND) o<strong>der</strong><br />

eine SND. [11]


Zum an<strong>der</strong>en kann die Neck dissection mit<br />

dem Ziel eines operativen Staging-Verfahrens<br />

(elektive Neck dissection) erfolgen,<br />

da in bis zu 20 Prozent <strong>der</strong> Fälle okkulte<br />

Metastasen vorliegen, die einer Diagnostik<br />

nicht zu gänglich sind (N0 Hals). Beson<strong>der</strong>s<br />

bei Primärtumoren mit hoher Metastasierungsfrequenz<br />

(Oro- und Hypopharynkarzinome,<br />

supraglottische Karzinome) sollte<br />

eine elektive Neck dissection durchgeführt<br />

werden. Der histopathologischen Beurteilung<br />

des Präparates (N+ o<strong>der</strong> N0) kommt<br />

zudem beson<strong>der</strong>e Bedeutung hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Notwendigkeit einer postoperativen<br />

Strahlentherapie zu. Alternativ zur elektiven<br />

chirurgischen Behandlung des Halses<br />

kann bei kleinen Karzinomen eine „wait<br />

and see policy“ diskutiert werden, was<br />

aber eine regelmäßige sonografische Nachsorge<br />

durch einen erfahrenen Untersucher<br />

vor<strong>aus</strong>setzt.<br />

Fazit<br />

IA<br />

Die Behandlung von Plattenepithelkarzinomen<br />

des oberen Aerodigestivtraktes und des<br />

zervikalen Lymphabflusses hat sich in den<br />

vergangenen Jahren zugunsten weniger<br />

IB<br />

VI<br />

Abb. 2: Schemazeichnung <strong>der</strong> anatomischen Begrenzungen <strong>der</strong> 6 Halslymphknotenregionen<br />

und 3 Unterregionen (in Anlehnung an Robbins et al. 2008)<br />

IV<br />

III<br />

IIA<br />

IIB<br />

VB<br />

VA<br />

radikaler, mehr organ- und funktionserhalten<strong>der</strong><br />

Techniken verän<strong>der</strong>t. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei Patienten mit weit fortgeschrittenen<br />

Primärtumoren und/o<strong>der</strong> Halslymphknotenmetastasierungen<br />

ist eine radikale chi -<br />

rurgische Sanierung aber weiter erfor<strong>der</strong>lich,<br />

wobei neue Resektionstechniken und<br />

rekonstruktive Maßnahmen vielfach auch<br />

in diesen Fällen die postoperative Funktionalität<br />

verbessern (mikroanastomosierte<br />

Lappentechniken, Stimmprothesen nach<br />

Laryngektomie).<br />

In vielen Fällen ist nach erfolgter chirurgischer<br />

Sanierung des Primärtumors und <strong>der</strong><br />

Lymphabflusswege eine ergänzende Radioo<strong>der</strong><br />

Radiochemotherapie erfor<strong>der</strong>lich. In<br />

Abhängigkeit von Tumorlokalisation und<br />

-größe kann auch prä- o<strong>der</strong> postoperativ<br />

eine Chemo- o<strong>der</strong> Antikörpertherapie sinnvoll<br />

erscheinen. Daher sollte nach Diagnose<br />

und Staging das individuelle Therapiekonzept<br />

im Rahmen einer interdisziplinären<br />

onkologischen Konferenz festgelegt werden.<br />

Literatur<br />

Kontakt<br />

Dr. Christoph Külkens<br />

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde<br />

[1] Johnson N, Warnakulasuriy S, Tavassoli M. Hereditary<br />

and environmental risk factors: clinical and laboratory risk<br />

markers for head and neck especially oral, and precancer.<br />

Eur J Cancer Prev 1996; 5: 5-17.<br />

[2] Ambrosch P. Lasers in the upper aerodigestive tract in<br />

malignant diseases. Laryngorhinootologie. 2003 May; 82<br />

(Suppl 1): 114-43.<br />

[3] Steiner W. Endoskopische Laserchirurgie <strong>der</strong> oberen<br />

Luft- und Speisewege. Stuttgart-New York: Thieme Verlag<br />

1997.<br />

[4] Werner JA, Dunne AA, Folz BJ, Lippert BM. Transoral<br />

laser microsurgery in carcinomas of the oral cavity, pharynx,<br />

and larynx. Cancer Control 2002 Sep-Oct; 9(5): 379-<br />

86. Review.<br />

[5] Richard JM, Sancho-Garnier H, Micheau C, Saravane<br />

D, Cachin Y. Prognostic factors in cervical lymph node<br />

metastasis in upper respiratory and digestive tract carcinomas:<br />

study of 1,713 cases during a 15-year period. Laryngoscope<br />

1987; 97: 97-101.<br />

[6] Robbins KT, Clayman G, Levine PA, et al. Neck dissection<br />

classification update: revisions proposed by the American<br />

Head and Neck Society and the American Academy<br />

of Otolaryngology-Head and Neck Surgery. Arch Otolaryngol<br />

Head Neck Surg. 2002 Jul; 128(7): 751-8.<br />

[7] Robbins KT, Shaha AR, Medina JE, et al. Committee for<br />

Neck Dissection Classification, American Head and Neck<br />

Society. Consensus statement on the classification and terminology<br />

of neck dissection. Arch Otolaryngol Head Neck<br />

Surg. 2008 May; 134(5): 536-8.<br />

[8] Lippert BM, Külkens C. Möglichkeiten und Grenzen<br />

<strong>der</strong> sonographischen Lymphknotendiagnostik. In: Lippert<br />

BM, Rathcke IO, Werner JA (Hrsg): Lymphologie gegen<br />

Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Aachen; Shaker 1999: 54-9.<br />

[9] Lippert BM, Külkens C. Untersuchungsmethoden. In:<br />

Werner JA (Hrsg): Lymphknotenerkrankungen im Kopf-<br />

Hals-Bereich. Berlin; Springer 2002: 87-159.<br />

[10] Kuntz AL, Weymuller EA Jr. Impact of neck dissection<br />

on quality of life. Laryngoscope 1999; 109: 1334-8.<br />

[11] Werner JA. Aktueller Stand <strong>der</strong> Versorgung des<br />

Lymph abflusses maligner Kopf-Hals-Tumoren. Eur Arch<br />

Otorhinolaryngol 1997; Suppl I: 47-85.<br />

Abteilung <strong>für</strong> Hals-Nasen-Ohrenheilkunde,<br />

Kopf- und Halschirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 34 64<br />

Fax (0 40) 18 18-87 33 72<br />

E-Mail: c.kuelkens@asklepios.com<br />

697


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Interdisziplinäre Versorgung<br />

neuroonkologischer Patienten<br />

Dr. Michael Kämper, Dr. Dietrich Braumann, Dr. Jörg Dahle, Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen an die Behandlung (hirn-)tumorerkrankter Patienten werden zunehmend schwieriger und<br />

komplexer. Zum einen steigt die Zahl <strong>der</strong> Erkrankten, vor allem aufgrund <strong>der</strong> demografischen Entwicklung,<br />

die flächendeckend verfügbaren Screening-Untersuchungen und die sensitivere Diagnostik bringen zudem viele<br />

Tumoren bereits im Frühstadium zutage. Zum an<strong>der</strong>en verringern die rasanten Fortschritte <strong>der</strong> onkologischen<br />

Therapie die Mortalität. Die gesellschaftlichen For<strong>der</strong>ungen nach einer umfassenden, ganzheitlichen und<br />

kompetenten Versorgung onkologischer Patienten finden ein großes Echo. Es wird ein bestqualifizierter Standard<br />

erwartet. Dessen Umsetzung <strong>für</strong> Hirntumor-Patienten erfolgt in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona in <strong>der</strong><br />

„Interdisziplinären neuroonkologischen Konferenz“.<br />

Tumorboards<br />

Interdisziplinäre Tumorboards sind die<br />

Antwort auf die hohen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Tumorbehandlung. Sie ermöglichen<br />

die rasche Festlegung eines individualisierten<br />

Therapiekonzepts <strong>für</strong> den<br />

jeweiligen Patienten und gewährleisten<br />

eine kontinuierliche, langfristige Betreuung.<br />

Das Zusammenwirken von Experten<br />

<strong>aus</strong> verschiedenen Disziplinen schafft<br />

kurze Wege, ermöglicht Synergien und<br />

vermin<strong>der</strong>t Redundanzen. Sie erarbeiten<br />

verbindliche evidenzbasierte Konzepte<br />

und können auf geän<strong>der</strong>te Situationen<br />

während des Krankheitsverlaufs rasch reagieren.<br />

Unter dem Dach des im Dezember<br />

2008 von <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong><br />

Hämatologie und Onkologie zertifizierten<br />

Onkologischen Zentrums <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong> Altona haben sich zusätzlich die<br />

Neuroonkologische Konferenz, das Mammaund<br />

das Darmzentrum <strong>aus</strong>gebildet.<br />

Neuroonkologie<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die ermutigenden Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Stupp-Studie <strong>aus</strong> dem Jahr 2005 [4]<br />

haben in Neurochirurgie und -onkologie<br />

eine Neubewertung <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />

adjuvanter Therapien bei malignen hirneigenen<br />

Tumoren bewirkt. In ihrer Folge<br />

wurde eine große Zahl neuer Protokolle<br />

und Verfahren entwickelt, die Hoffnung<br />

698<br />

Sprechstunden<br />

Stationen<br />

nie<strong>der</strong>gelassene<br />

<strong>Ärzte</strong>/Ärztinnen<br />

Abb. 1: Flussdiagramm <strong>der</strong> Anmeldungswege<br />

Anmeldung<br />

zur Konferenz<br />

machen, aber auch kritischer Würdigung<br />

bedürfen. Die raschen Fortschritte auf allen<br />

Gebieten unterstreichen die For<strong>der</strong>ung<br />

nach einer umfassenden interdisziplinären<br />

Betreuung. Diesen Entwicklungen in <strong>der</strong><br />

Gruppe <strong>der</strong> Hirntumorerkrankungen trug<br />

die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona vor fünf Jahren<br />

durch Gründung <strong>der</strong> interdisziplinären<br />

neuroonkologischen Tumorkonferenz<br />

(IDNOK) Rechnung. Der Anteil neuroonkologischer<br />

Erkrankungen liegt mit etwa<br />

zwei Prozent aller Tumorerkrankungen<br />

recht niedrig. Da sich die Patienten aber in<br />

hochspezialisierten Zentren sammeln,<br />

rekrutieren diese Einrichtungen entsprechend<br />

hohe Fallzahlen. Der großen Gefahr<br />

seltener Einzelentscheidungen in diesem<br />

immer unübersichtlicher werdenden Feld<br />

begegnen sie durch ein erfahrenes und<br />

interdisziplinäres Team. Die Gruppe <strong>der</strong><br />

Hirntumorerkrankungen ist sehr heterogen<br />

und weist eine Reihe von Beson<strong>der</strong>heiten<br />

Tumorboard<br />

trifft verbindliche<br />

Entscheidungen<br />

1 x pro Woche<br />

individuelle<br />

Therapie<br />

auf, die spezielle diagnostische und therapeutische<br />

Verfahren verlangen. So finden<br />

sich in etwa gleichem Umfang Hirntumore<br />

im eigentlichen Sinne (Gliome, Meningeome,<br />

Hypophysentumore etc.) wie metastatische<br />

Erkrankungen.<br />

Zentrale Einrichtung <strong>für</strong> die Tumorbehandlung<br />

im Neurozentrum ist die interdisziplinäre<br />

neuroonkologische Konferenz<br />

(IDNOK). Sie wird einmal wöchentlich<br />

abgehalten und ist <strong>für</strong> jeden Anmel<strong>der</strong><br />

offen. <strong>Ärzte</strong> <strong>aus</strong> dem nie<strong>der</strong>gelassenen<br />

Bereich o<strong>der</strong> <strong>aus</strong> an<strong>der</strong>en <strong>Klinik</strong>en können<br />

dort Patienten vorstellen (Abb. 1).<br />

Die Anmeldung kann je<strong>der</strong>zeit unkompliziert<br />

über das Sekretariat o<strong>der</strong> die Hirn -<br />

tumorsprechstunde erfolgen. Die jährlich<br />

steigenden Fallzahlen belegen die Akzeptanz<br />

(Abb. 2).


Teilnehmer <strong>der</strong> interdisziplinären<br />

Konferenz<br />

Die Besetzung <strong>der</strong> IDNOK rekrutiert sich<br />

<strong>aus</strong> Experten verschiedener Fachdisziplinen,<br />

die beson<strong>der</strong>e Expertise bei <strong>der</strong> Be -<br />

handlung Hirntumorerkrankter aufweisen.<br />

Neuroradiologie: Die mo<strong>der</strong>ne Bildgebung<br />

entwickelt sich rasch und ist in <strong>der</strong> Interpretation<br />

ihrer Befunde hochkomplex. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Beurteilung <strong>der</strong> NMR-Bil<strong>der</strong><br />

im Rezidivfall ist oft hoch diffizil.<br />

(Neuro-)Pathologie: Sie präsentiert nach<br />

<strong>der</strong> aktuellen WHO-Klassifikation die <strong>aus</strong><br />

Hirntumoroperationen und stereotaktischen<br />

Probebiopsien gewonnenen histologischen<br />

Befunde, auf <strong>der</strong>en Basis die Therapien<br />

aufbauen. Bei seltenen und unklaren Fällen<br />

besteht ein enger Kontakt zu entsprechenden<br />

Referenzzentren.<br />

Neurochirurgie: Die Neurochirurgische<br />

Abteilung deckt das gesamte Spektrum <strong>der</strong><br />

mikrochirurgischen Tumoroperationen mit<br />

einem großen Volumen ab. Dazu gehören<br />

alle wichtigen OP-Methoden wie Mikrochirurgie,<br />

Neuronavigation, Stereotaxie,<br />

intraoperativer Ultraschall und lokale<br />

Chemotherapie.<br />

Onkologie: Der beson<strong>der</strong>en Biologie <strong>der</strong><br />

hirneigenen Tumoren ist bei <strong>der</strong> systemischen<br />

Therapie ebenso Rechnung zu tragen<br />

wie den metastatischen Erkrankungen.<br />

Hierzu ist eine hochspezialisierte Onkologische<br />

Abteilung nötig, die beide Gebiete<br />

breit abdeckt.<br />

Strahlentherapie: Die dritte therapeutische<br />

Säule besteht <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Radiotherapie. Hier<br />

haben sich die Behandlungsoptionen in<br />

den vergangenen Jahren deutlich erweitert<br />

(z. B. stereotaktische Radiatio). Bestrahlungsmethoden<br />

und -arten müssen kritisch<br />

und kompetent in ihren Möglichkeiten und<br />

Grenzen eingeschätzt werden. Die Kolleginnen<br />

und Kollegen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Radiologischen<br />

Allianz Mörkenstraße nehmen an<br />

den Konferenzen regelmäßig teil.<br />

Neurologie: Die neurologischen Kollegen<br />

stehen <strong>der</strong> Konferenz beispielsweise be -<br />

züglich <strong>der</strong> Anfallstherapie bei Tumor -<br />

erkrankungen zur Seite.<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Abb. 2: Entwicklung <strong>der</strong> Fallzahlen, die in <strong>der</strong> Neuro -<br />

onkologischen Konferenz abgehandelt wurden<br />

Ablauf<br />

2005 2006 2007 2008<br />

Die Protokollerstellung und somit das<br />

Erarbeiten einer individualisierten Behandlungsstrategie<br />

erfolgt im kritischen Dialog.<br />

Jede Expertengruppe stellt sicher, dass die<br />

aktuellsten, evidenzbasierten Verfahrensweisen<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Fachdisziplinen Einzug<br />

in die Therapieentscheidung finden.<br />

Es erfolgt eine „Online“-Protokollierung<br />

mit Beteiligung aller Diskutanten (Abb. 3).<br />

Das erstellte Protokoll ist <strong>für</strong> die Konferenzteilnehmer<br />

bindend. Je<strong>der</strong> Patient wird<br />

dem Epidemiologischen Krebsregister <strong>der</strong><br />

Freien und Hansestadt Hamburg gemeldet<br />

und alle Teilnehmer erhalten jeweils zwei<br />

Fortbildungspunkte.<br />

Da die Betreuung <strong>der</strong> Patienten ganzheitlich<br />

erfolgt, ist sie auch nach Ausschöpfen<br />

aller Therapieoptionen nicht beendet.<br />

Die psychologische und seelsorgerische<br />

Begleitung erfolgt während <strong>der</strong> gesamten<br />

Behandlungsphase.<br />

Die Qualität interdisziplinärer Tumorboards<br />

war in letzter Zeit Gegenstand mehrerer<br />

Untersuchungen, die belegen, dass sie einen<br />

klaren Einfluss auf die Therapieentscheidung<br />

haben und nicht lediglich zum „guten Ton“<br />

einer großen <strong>Klinik</strong> gehören. [1,2,3]<br />

Literatur<br />

Neurochirurgie und Onkologie<br />

Abb. 3: Protokoll eines Glioblastompatienten<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Neurochirurgische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 71<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />

E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />

Tumorsprechstunde:<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 75<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 86<br />

[1] Gattcliffe TA, Coleman RL. Tumor board: more than<br />

treatment planning – a 1 year prospective survey. J Cancaer<br />

Educ, 2008; 23(4): 235-7.<br />

[2] Katalinic A, Meyer M. Krebs in Deutschland-Häufig -<br />

keiten und Trends. 28. Deutscher Krebskongress-Berlin,<br />

20 – 23.02.2008.<br />

[3] Perry JK, Vetto JT. Beyond doughnuts: tumor board<br />

recommendations influence patient care. J Cancer Educ.<br />

2002; 17: 97-100.<br />

[4] Stupp R. et al. Radiotherapy plus concomitant and<br />

adjuvant temozlomide for glioblastoma. N Engl J Med 2005<br />

Mar 10; 352(10): 987-96.<br />

699


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Schlaganfall – ein Notfall<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

„Time is brain“ – je früher die Behandlung erfolgt, desto besser sind die Ergebnisse. Dabei ist zu beachten,<br />

dass „<strong>der</strong> Schlaganfall“ ja keine Entität, son<strong>der</strong>n ein gleichartiges klinisches Bild bei ganz unterschiedlichen<br />

Erkrankungen darstellt: Ischämie o<strong>der</strong> Blutung, Infarkt bei kranken Hirngefäßen o<strong>der</strong> durch Embolie in völlig<br />

gesunde Arterien, Gefäßproblem in vorgeschalteten Arterien o<strong>der</strong> abführenden Venen. Maßnahmen zur<br />

Akuttherapie o<strong>der</strong> Sekundärprävention können umso gezielter ergriffen werden, je mehr über die Ursache<br />

des Schlaganfalls bekannt ist.<br />

Diagnostische Fragen<br />

und therapeutische Konsequenzen<br />

Bei akutem Schlaganfall sind fünf Fragen<br />

zu klären:<br />

1. Liegt überhaupt ein vaskuläres Ereignis<br />

vor?<br />

In etwa zehn Prozent <strong>der</strong> Fälle handelt es<br />

sich um eine an<strong>der</strong>e Diagnose, zum Beispiel:<br />

■ Todd’sche Parese (funktionelle<br />

Lähmung) nach Krampfanfall<br />

■ Enzephalitis<br />

■ Migräne mit Aura<br />

■ Hirntumor mit Einblutung<br />

■ Akuter MS-Schub<br />

■ Periphere Lähmung<br />

(z. B. N. facialis, N. radialis)<br />

■ Psychogene Lähmung<br />

2. Ist <strong>der</strong> Schlaganfall durch Ischämie<br />

(85 %) o<strong>der</strong> Blutung verursacht (15 %)?<br />

Dazu erfolgt notfallmäßig ein CCT: Eine<br />

Blutung ist im CT sofort erkennbar, bei<br />

Ischämie sind Frühzeichen nachweisbar<br />

o<strong>der</strong> das CT ist unauffällig (Abb. 1).<br />

700<br />

3. Welche Maßnahmen sind notwendig zur Akutbehandlung?<br />

Zum Beispiel bei Ischämie die systemische Thrombolyse o<strong>der</strong> bei Blutung die operative<br />

Entlastung<br />

Indikation zur systemischen Thrombolyse<br />

■ Akuter Hemisphäreninfarkt mit Beginn <strong>der</strong> Symptome < 4,5 Stunden vor Lysebeginn 1)<br />

■ Ausfälle mittelschwer bis schwer (klinische Analyse nach <strong>der</strong> National Institute of Health Stroke Scale NIHSS)<br />

1) Protokoll <strong>der</strong> Hamburger Arbeitsgemeinschaft Schlaganfall: Thrombolyse bis 6 Stunden nach Beginn <strong>der</strong><br />

Symptome, wenn im multimodalen CT o<strong>der</strong> MRT (mit Perfusionssequenzen) ein „Mismatch“ zwischen<br />

funktionell und strukturell geschädigtem Hirngewebe nachgewiesen wird. Im Einzelfall erfolgt alternativ<br />

o<strong>der</strong> ergänzend die lokale Katheter-Thrombolyse. [1]<br />

Kontraindikationen <strong>der</strong> systemischen Thrombolyse<br />

■ Schwangerschaft; Alter > 80 Jahre<br />

■ Koma; initialer Krampfanfall<br />

■ Gerinnungsstörung o<strong>der</strong> laufende Antikoagulation (Heparin/Marcumar)<br />

■ Florides Ulcus ventriculi/duodeni<br />

■ Arterielle Punktion o<strong>der</strong> Lumbalpunktion in den letzten 3 Tagen<br />

■ Große OP/schweres Trauma in den letzten 2 Wochen<br />

■ GI-Blutung/Harnwegsblutung in den letzten 3 Wochen<br />

■ Hirninfarkt in den letzten 4 Wochen<br />

■ Hirnblutung/SHT/ZNS-OP in den letzten 3 Monaten<br />

■ Kolitis/Ösophagusvarizen/Aortenaneurysma<br />

■ Schwere diabetische Retinopathie<br />

■ Klinische Zeichen <strong>der</strong> Endokarditis<br />

Indikation zur frühen operativen Behandlung einer intrazerebralen Blutung<br />

■ Progrediente Bewusstseinsstörung bei raumfor<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Hemisphärenblutung<br />

■ Verdacht auf Aneurysmablutung (Klärung mit DSA)<br />

■ Raumfor<strong>der</strong>nde Kleinhirnblutung mit Verschluss-Hydrozephalus<br />

■ Ventrikeleinbruch mit Hydrozephalus


a b c<br />

Abb. 1: CCT bei akuter Hemiparese,<br />

a: intrazerebrale Blutung, b: subakutes Subduralhämatom, c: akute zerebrale Ischämie (im CT noch nicht erkennbar)<br />

4. Sind Blutdruck, Blutzucker o<strong>der</strong><br />

Elektrolyte entgleist o<strong>der</strong> ist gleichzeitig<br />

ein Herzinfarkt aufgetreten?<br />

Internistische Basisdiagnostik<br />

■ Klinische Untersuchung<br />

■ EKG (Vorhofflimmern? Kardiale Ischämie?)<br />

■ Labor: Blutbild, Gerinnung, BZ, Elektrolyte,<br />

Nierenwerte, CRP, CK<br />

■ Im Einzelfall: Thorax-Röntgen<br />

5. Welche Maßnahmen sind notwendig<br />

zur Sekundärprävention?<br />

Die Sekundärprävention eines Schlaganfalls<br />

ist bei geringer und vorübergehen<strong>der</strong><br />

Symptomatik (TIA) beson<strong>der</strong>s wichtig,<br />

deshalb sollte die erfor<strong>der</strong>liche Diagnostik<br />

sofort erfolgen bzw. beginnen. [2]<br />

Blutung (Abb. 2): Zu unterscheiden sind<br />

primäre (hypertensive) Blutungen und<br />

sekundäre Hämorrhagien, zum Beispiel<br />

bei Angiom, Vaskulitis, Tumor o<strong>der</strong> Sinus -<br />

thrombose, denn hier sind unterschiedliche<br />

Therapiemaßnahmen erfor<strong>der</strong>lich. Verdächtig<br />

auf eine symptomatische Form<br />

sind atypisch lokalisierte Blutungen (nicht<br />

im Bereich von Stammganglien, Thalamus<br />

o<strong>der</strong> Pons), insbeson<strong>der</strong>e bei Patienten mit<br />

a<br />

Normotonie. Bei diesem Blutungstyp ist<br />

die ätiologische Klärung mit zerebraler<br />

Bildgebung und Gefäßdiagnostik erfor<strong>der</strong>lich<br />

(Gefäß-Ultraschall und MRA, evtl.<br />

DSA).<br />

Ischämie: Für eine effiziente Sekundärprävention<br />

sollte die Pathogenese bekannt<br />

sein (Mikroangiopathie, hämodynamisch<br />

bedingte Ischämie o<strong>der</strong> Embolie). Die Dif-<br />

Neurologie<br />

Abb.2: intrazerebrale Blutung, a: primäre Blutung bei art. Hypertonie, Lokalisation in den Stammganglien (hier mit<br />

Ventrikeleinbruch), b: sekundäre Blutung in atypischer Lokalisation bei duraler AV-Fistel<br />

b<br />

ferenzierung erfolgt nach <strong>der</strong> Infarktlokalisation<br />

im Diffusions-MRT beziehungsweise<br />

postakut im CCT (Abb. 3) sowie nach klinischen<br />

und sonografischen Kriterien.<br />

Hämodynamisch bedingte Ischämien erfor -<br />

<strong>der</strong>n Blutdruckstabilisierung und sofortige<br />

Ultraschall-Gefäßdiagnostik mit <strong>der</strong> möglichen<br />

Konsequenz einer (bei kleinem<br />

Schlaganfall frühzeitigen) Gefäßinterven-<br />

701


Medtropole | Ausgabe 18 | Juli 2009<br />

Kriterien <strong>für</strong> die Erkennung <strong>der</strong> Ischämie-Pathogenese<br />

tion. Bei Hirnarterienembolie stellt sich die<br />

Frage nach einer fortbestehenden arteriellen<br />

o<strong>der</strong> kardialen Emboliequelle (notwendig<br />

sind EKG-Monitoring sowie Herz- und<br />

Gefäß-Ultraschall). Beson<strong>der</strong>e Pathologien<br />

wie Dissektion, Vaskulitis o<strong>der</strong> Sinusvenenthrombose<br />

sollten nicht übersehen werden,<br />

da sich spezifische Therapiemöglichkeiten<br />

ergeben. [4] Wichtig ist die Erkennung<br />

einer mehrzeitigen Symptomatik, die Hinweis<br />

auf einen beson<strong>der</strong>s ungünstigen<br />

Spontanverlauf sein kann (z. B. Basilaristhrombose).<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Notfalldiagnostik führen<br />

unmittelbar zu therapeutischen Entscheidungen.<br />

Sofort nach Blutungs<strong>aus</strong>schluss<br />

werden Thrombozytenaggregationshemmer<br />

eingesetzt, sofern keine Indikation zu<br />

Thrombolyse o<strong>der</strong> Antikoagulation besteht.<br />

Die frühe Marcumarisierung und Über -<br />

brückung mit Heparin im Hemmbereich<br />

erfolgt bei Dissektion und Ischämie durch<br />

Vorhofflimmern ohne (größeren) Infarkt.<br />

Symptomatische Karotisstenosen sollten<br />

frühzeitig operiert o<strong>der</strong> endovaskulär<br />

behandelt werden. Bei symptomatischen<br />

Stenosen intrakranieller Gefäße ist das<br />

Risiko einer Intervention höher. Die Indikation<br />

muss <strong>für</strong> jeden Einzelfall sorgfältig<br />

702<br />

Mikroangiopathie Embolie, kardiogen o<strong>der</strong> arterioarteriell Low flow-Ischämie (hämodynamisch)<br />

Hirninfarktmuster in MRT/CT (Abb. 3) lakunär (meist unter Balkenniveau, nie kortikal) territorial (Kortex oft einbezogen)<br />

Klinisches Syndrom lakunäres Syndrom (z. B. „pure motor stroke“)<br />

Gefäß-Ultraschall dilatative Arteriopathie o<strong>der</strong> unauffällig<br />

geprüft werden, ist bei progredienter <strong>Klinik</strong><br />

insbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong> A. basilaris aber<br />

sicherlich gegeben. [5]<br />

In <strong>der</strong> postakuten Phase des Schlaganfalls<br />

sind zahlreiche weitere Maßnahmen zur<br />

Sekundärprävention von Bedeutung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Ausschaltung o<strong>der</strong> Behandlung<br />

vaskulärer Risikofaktoren.<br />

Therapie vor <strong>Klinik</strong>aufnahme<br />

kortikale Symptome<br />

(Aphasie, Apraxie, Alexie, Neglect, ...)<br />

Nachweis Emboliequelle<br />

(bei arterioarterieller Embolie)<br />

Abgesehen von symptomatischen Maßnahmen<br />

(wie Blutdruckeinstellung) ist keine<br />

sinnvolle Therapie möglich, solange die<br />

oben genannten Fragen nicht geklärt sind.<br />

Der Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern<br />

sollte erst nach Ausschluss<br />

einer Blutung erfolgen. Die Gabe von<br />

Heparin kann das Risiko einer Thrombolyse<br />

erhöhen. Der Schlaganfall lässt sich erst<br />

in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> wirksam behandeln, deshalb<br />

soll die Einweisung schnellstmöglich erfolgen!<br />

Endstrominfarkt<br />

(parietal, oberhalb Balkenniveau)<br />

fluktuierende gleichartige Symptomatik<br />

sehr hochgradige Stenose<br />

und unzureichende Kollateralversorgung<br />

Warnsymptome („red flags“) bei Schlaganfall<br />

■ Bewusstseinsstörung:<br />

Hirndruck?<br />

Raumfor<strong>der</strong>nde Blutung?<br />

Basilaristhrombose?<br />

■ Kopfschmerz:<br />

Intrakranielle Blutung?<br />

Dissektion?<br />

Riesenzellarteriitis?<br />

Sinusvenenthrombose?<br />

Enzephalitis?<br />

■ Drehschwindel – akut einsetzend und anhaltend:<br />

Kleinhirninfarkt?<br />

■ Akute Verwirrtheit:<br />

Posteriorinfarkt?<br />

Enzephalitis?<br />

■ Mehrzeitige Symptomatik (z. B. „crescendo-TIA“):<br />

Emboliequelle?<br />

Hämodynamisches Problem (Makroangiopathie)?<br />

Basilaristhrombose?<br />

■ Laufende Antikoagulation:<br />

Blutung?<br />

■ Schädeltrauma in <strong>der</strong> jüngeren Vorgeschichte:<br />

Subduralhämatom?


a b c<br />

Abb. 3: Infarktmuster im MRT (CT) und Pathogenese des ischämischen Schlaganfalls (modifiziert nach Ringelstein et al. [3] ),<br />

a: lakunäre Infarkte bei Mikroangiopathie: Kleine Läsionen in Stammganglien, Pons o<strong>der</strong> Marklager (meist unterhalb des Balkennive<strong>aus</strong>), niemals im Kortex<br />

b: Endstrominfarkte bei offenem Hirngefäß, aber erheblichem Druckabfall durch vorgeschaltete Gefäßstenose und unzureichende Kollateralversorgung;<br />

Lokalisation oberhalb des Balkennive<strong>aus</strong><br />

c: Territorialinfarkte durch (meist) embolischen Verschluss <strong>der</strong> Hirnbasisarterien o<strong>der</strong> ihrer Äste; typisch ist eine Beteiligung des Kortex;<br />

die Größe des Infarkts hängt ab von <strong>der</strong> Lokalisation des Gefäßverschlusses (Hauptstamm, Arterienast)<br />

Literatur<br />

[1] Rosenkranz M, Arning C, Müller-Jensen A, Zeumer H,<br />

Gerloff C. Evidenzbasierte Akuttherapie des ischämischen<br />

Schlaganfalls – Jede Minute zählt! Hamburger <strong>Ärzte</strong>blatt.<br />

2007; 61: 454-6.<br />

2009 aktualisiert: www.hamburger-ag-schlaganfall.de<br />

[2] Rothwell PM, Giles MF, Chandratheva A et al. Effect of<br />

urgent treatment of transient ischaemic attack and minor<br />

stroke on early recurrent stroke (EXPRESS study): a prospective<br />

population-based sequential comparison. Lancet<br />

2007; 370: 1432-42.<br />

[3] Ringelstein EB, Zeumer H, Schnei<strong>der</strong> R. Fortschr Neurol<br />

Psychiatr 1985; 53: 315-36.<br />

[4] Arning C, Rieper J, Kazarians H. Nicht arteriosklerotische<br />

Erkrankungen <strong>der</strong> Halsarterien. Ultraschall Med 2008;<br />

29: 576-93.<br />

[5] Eckert B, Koch C, Thomalla G et al. Aggressive therapy<br />

with intravenous abciximab and intra-arterial rtPA and<br />

additional PTA/stenting improves clinical outcome in acute<br />

vertebrobasilar occlusion: combined local fibrinolysis and<br />

intravenous abciximab in acute vertebrobasilar stroke treatment<br />

(FAST): results of a multicenter study. Stroke. 2005;<br />

36: 1160-5.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

Abteilung Neurologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />

Alphonsstr. 14, 22043 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-83 14 13<br />

Fax (0 40) 18 18-83 16 31<br />

E-Mail: c.arning@asklepios.com<br />

Neurologie<br />

703


ISSN 1863-8341<br />

Hilfe <strong>für</strong> Schwerkranke –<br />

die Geschichte <strong>der</strong> Intensivmedizin<br />

Jens O. Bonnet<br />

Sie wurde als „Lady mit <strong>der</strong> Lampe“<br />

bekannt, die 1854 beim Schein ihrer Petroleumlampe<br />

unermüdlich die verletzten britischen<br />

Soldaten des Krimkrieges betreute:<br />

Florence Nightingale. Als sie die Schwerstverletzten<br />

in einem Areal zusammenlegen<br />

ließ, um sie in <strong>der</strong> kritischen Phase besser<br />

überwachen zu können, setzte die britische<br />

Krankenschwester einen <strong>der</strong> ersten Meilensteine<br />

zur Entwicklung <strong>der</strong> Intensivmedi-<br />

zin. [1]<br />

Dass Schwer- und Todkranke überhaupt<br />

medizinisch versorgt werden sollten, hatte<br />

erst im Zuge <strong>der</strong> Aufklärung Eingang in<br />

die ärztliche Ethik gefunden. Von <strong>der</strong> Antike<br />

bis ins 18. Jahrhun<strong>der</strong>t lehnten die meisten<br />

<strong>Ärzte</strong> die Behandlung schwer und<br />

unheilbar Erkrankter ab, damit ihnen <strong>der</strong><br />

Tod des Patienten nicht angelastet wurde.<br />

So lautete die Empfehlung des Hippokrates<br />

im ergänzenden Corpus Hippokraticum:<br />

„Aber er wage sich nicht an die heran,<br />

die schon von <strong>der</strong> Krankheit gezeichnet<br />

sind.“ [2] Im Mittelalter kümmerten sich<br />

christliche Einrichtungen mehr um die<br />

Schwer- und Todkranken, allerdings dienten<br />

die Wachen im Krankensaal kaum <strong>der</strong><br />

medizinischen Versorgung: Sie stellten<br />

vielmehr sicher, dass rechtzeitig <strong>der</strong> Priester<br />

<strong>für</strong> die Erteilung <strong>der</strong> Sterbesakramente<br />

geholt wurde. [3] Mit Einführung <strong>der</strong> Anästhesie<br />

im Operationssaal geriet auch die<br />

postoperative Überwachung in den Fokus,<br />

blieb aber zunächst Aufgabe <strong>der</strong> Krankenschwestern.<br />

Anfang <strong>der</strong> 1930er-Jahre richteten<br />

Martin Kirschner in Tübingen und<br />

Ferdinand Sauerbruch an <strong>der</strong> Charité so -<br />

genannte Wachstationen zur zentralisierten<br />

Überwachung Frischoperierter ein. Die<br />

Geschichte <strong>der</strong> internistischen Intensivmedizin<br />

begann mit den großen Polioepidemien<br />

<strong>der</strong> 1940er-Jahre, unter an<strong>der</strong>em im<br />

Allgemeinen Krankenh<strong>aus</strong> Hamburg-Altona:<br />

Zur Behandlung <strong>der</strong> Atemlähmung<br />

waren viele Poliomyelitispatienten auf eine<br />

www.medtropole.de<br />

Poliopatienten im AK Altona<br />

künstliche Dauerbeatmung in <strong>der</strong> Eisernen<br />

Lunge angewiesen. [4] 1947 ließ Axel Dönhardt<br />

im Auftrag seines Chefs Reinhard<br />

Aschenbrenner die erste Eiserne Lunge<br />

Deutschlands auf <strong>der</strong> Deutschen Werft<br />

Hamburg-Finkenwer<strong>der</strong> bauen. Ihr „Bauplan“<br />

war ein Foto des 1928 in Boston entwickelten<br />

Drinker-Respirators. [5] In diesem<br />

Sommer griff die Polioepidemie auf die<br />

Hansestadt über, 450 Hamburgerinnen und<br />

Hamburger erkrankten. Das AK Hamburg-<br />

Altona wurde zum Zentralkrankenh<strong>aus</strong> <strong>für</strong><br />

alle jugendlichen und erwachsenen Patienten<br />

bestimmt. Das bedeutete, dass die Hälfte<br />

des durch Bomben schwer beschädigten<br />

<strong>Klinik</strong>ums allein <strong>für</strong> diese Patienten reserviert<br />

wurde (Foto). Unter den 229 aufgenommenen<br />

Poliopatienten litten 31 an<br />

schwerer Atemlähmung. Dönhardt gelang<br />

es mit den Werftingenieuren und -arbeitern,<br />

innerhalb von drei Tagen eine funktions -<br />

fähige Eiserne Lunge <strong>aus</strong> einem Torpedorohr,<br />

dem Blasebalg einer Feldschmiede,<br />

dem Getriebe eines Fischkutters und einem<br />

alten Elektromotor zu bauen. Mit diesem<br />

Gerät und seinen verbesserten Nachfolgern<br />

gelang es, die Letalität <strong>der</strong> Atemlähmung<br />

bis 1955 auf rund 50 Prozent zu senken.<br />

Auch bei den Instrumenten zur Überwachung<br />

mussten die Altonaer improvisieren:<br />

Für die Blutgasanalyse bauten sie 1948 <strong>aus</strong><br />

selbstgeblasenen Glaskolben, die vom<br />

Motor eines <strong>aus</strong>gedienten Plattenspielers<br />

geschüttelt wurden, eine Analyseeinheit<br />

und <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Bildröhre eines Nachtsichtgerätes<br />

entstand 1949 <strong>der</strong> erste Monitor. [6]<br />

Neben <strong>der</strong> Beatmung von Poliopatienten<br />

wurden die Beatmungseinheiten, zunächst<br />

in Skandinavien, zunehmend auch <strong>für</strong> die<br />

Behandlung schwerer Vergiftungen<br />

genutzt. [7] Dass sich auch die Letalität des<br />

akuten Herzinfarktes durch intensive<br />

Überwachung senken ließ, zeigten die<br />

ersten Coronary Care Units, die 1962 in<br />

Kansas City und Toronto eingerichtet wurden.<br />

[8,9] Viele weitere technische, bauliche<br />

und medizinische Meilensteine führten<br />

schließlich zur mo<strong>der</strong>nen Intensivmedizin<br />

mit all ihren Facetten und Möglichkeiten.<br />

Literatur<br />

[1] Nightingale F. Notes on hospitals, edn 3. London:<br />

Longman&Green 1863: p89.<br />

[2] Geroulanos S. Grenzen <strong>der</strong> Medizin. In: Swiss Med 5.<br />

1983: 25-33.<br />

[3] Lawin P. Praxis <strong>der</strong> Intensivbehandlung. 6. Aufl. Stuttgart,<br />

New York 1993.<br />

[4] Aschenbrenner R, Dönhardt A, Foth K. Künstliche<br />

Dauerbeatmung in <strong>der</strong> Eisernen Lunge. MMW 1953; 95:<br />

748-51, 777-80.<br />

[5] medtropole 12: 512.<br />

[6] Dönhardt A. Beatmung in <strong>der</strong> Eisernen Lunge. In:<br />

Lawin P, Peter K, Scherer R (Hrsg.). Maschinelle Beatmung<br />

gestern – heute – morgen. Stuttgart, New York. Thieme<br />

1984: 20.<br />

[7] Clemmesen C, Nilsson E. Therapeutic trends in the<br />

treatment of barbiturate poisoning. The Scandinavian<br />

method. Clin Pharmacol Ther. 1961; 2: 220-9.<br />

[8] Brown KW, MacMillan RL, Forbath N, Melgrano F,<br />

Scott JW. Coronary unit: an intensive-care centre for acute<br />

myocardial infarction. Lancet. 1963 Aug 17; 2(7303): 349-52.<br />

[9] Day HW. History of coronary care units. Am J Cardiol.<br />

1972; 30(4): 405-7.

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