EXPEDITION GRIMM - Schulmaterialien
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DR. JöRG WESTERBURG, HISTORIKER / DR. REINHOLD LÜTGEMEIER-DAVIN, LEHRER / DR. CATRIN SIEDENBIEDEL, LEHRERIN<br />
geschichte / politik<br />
Die Brüder Grimm und die historisch-politischen<br />
Entwicklungen ihrer Zeit<br />
KiNdhEit UNd JUGENd iN<br />
haNaU UNd stEiNaU<br />
Jacob und Wilhelm Grimm wurden am 4. Januar 1785 bzw.<br />
24. Februar 1786 in eine kinderreiche Familie geboren. Der Vater<br />
Philipp Wilhelm Grimm war mit seinem Jurastudium dem familiär<br />
vorgezeichneten Lebensweg als Beamter gefolgt. Zunächst Hofgerichtsadvokat<br />
und ab 1782 Stadt- und Landschreiber in Hanau<br />
– dem Regierungssitz des Erbprinzen Wilhelm, seit 1785 Landgraf<br />
Wilhelm IX. –, wurde er 1791 Amtmann in Steinau. Dort versah er<br />
Verwaltung und Gerichtsbarkeit und repräsentierte die landesherrliche<br />
Territorialpolitik. Der Vater der Grimms hatte mit seinem<br />
Rechtsstudium den traditionellen Weg vieler seiner Familienmitglieder<br />
beschritten, dem auch Jacob und Wilhelm folgen sollten.<br />
Wie viele bürgerliche Beamtenfamilien waren die Grimms Teil<br />
eines Netzes aus persönlichen und familiären Verbindungen, zu<br />
dem auch seine im Februar 1783 geschlossene Ehe mit der Kanzleiratstochter<br />
Dorothea Zimmer aus Kassel zählte. Damit besaßen<br />
die Grimms eine in der Zukunft immer wieder genutzte Verbindung<br />
in die Residenz Kassel. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus,<br />
was, Nachrichten über Ausstattung und Lebenshaltung zufolge,<br />
auf einen gewissen Wohlstand hindeutet.<br />
Die Berufung des Vaters nach Steinau zwang am 13. Januar<br />
1791 zum Umzug. Die Söhne wurden in dem als Wohn- und Arbeitshaus<br />
genutzten Amtshaus beständig Zeugen der väterlichen<br />
Arbeit und der daraus fließenden Autorität. Die Zugehörigkeit zu<br />
den sog. „schriftsässigen“ Familien, die seit Generationen im Beamten-<br />
und Pfarrdienst der hessischen Landesherren tätig waren,<br />
schärfte Landespatriotismus. Die Schulausbildung unterforderte<br />
die beiden, was auch am beschränkten Lehrstoff und an mangelhafter<br />
Lehrerbildung lag. Der Tod des Vaters am 10. Januar 1796<br />
bedeutete für die Familie und die Lebensplanung Jacobs und Wilhelms<br />
einen dramatischen Einschnitt, da ohne Auskommen und<br />
durch eingeschränkte gesellschaftliche Verbindungen der Abstieg<br />
drohte. In der Steinauer Zeit gerieten die außenpolitischen Entwicklungen<br />
seit der Französischen Revolution 1789 immer stärker<br />
in den Gesichtskreis der Brüder. Die Beteiligung landgräflicher<br />
Truppen an den Revolutionskriegen seit 1792 wurde gerade um<br />
Hanau bemerkbar.<br />
6<br />
dEr UmzUG Nach KassEL UNd<br />
das stUdiUm iN marBUrG<br />
Die Vermittlung ihrer Tante Henriette Zimmer, Kammerfrau<br />
der Landgräfin Wilhelmine Karoline in Kassel, versetzte die Brüder<br />
Grimm im September 1798 nach Kassel. Die Residenz und das<br />
politische Zentrum der Landgrafschaft war das Gegenteil Steinaus,<br />
das die Brüder zukünftig mit Heimat und behüteter Kindheit<br />
verbinden sollten. Hier besuchten sie das Lyceum Fridericianum<br />
– eine dem aufgeklärten Bildungsideal der Zeit verpflichtete Neugründung<br />
–, das sie in verkürzter Zeit durchliefen, um dem Familienplan<br />
folgend in Marburg das Jurastudium aufzunehmen. Jacob<br />
verließ 1802, Wilhelm 1803 vor der Zeit die Schule.<br />
Das Studium bedeutete für Jacob die schmerzlich empfundene<br />
vorübergehende Trennung von Wilhelm. Die Teilnahme der<br />
Brüder an den Vorlesungen des jungen Prof. Friedrich Carl von<br />
Savigny eröffnete neue Horizonte. Fasziniert von dessen Vortragstil<br />
und seiner auf dem Studium historischer Quellen beruhenden<br />
Lehr- und Lernmethode wandten sie sich der Lektüre mittelalterlicher<br />
Rechtsquellen und Fragen der schriftlichen wie mündlichen<br />
Überlieferung zu. Die Brüder nutzten die Bibliothek Savignys und<br />
studierten Editionen mittelalterlicher Handschriften sowie Literatur,<br />
die parallel zu einer schon vor 1800 in Literatur und Kunst bemerkbaren<br />
Hinwendung zum Mittelalter ursprüngliches Textmaterial<br />
und Rechtsquellen wissenschaftlich erschließen und frei von<br />
späterer Überlieferung bearbeiten wollte. Die Brüder beschlossen<br />
den Aufbau ihrer literarisch-wissenschaftlichen Bibliothek.<br />
Auf seine Einladung begleitete Jacob Savigny von Januar bis<br />
September 1805 zu Quellenrecherchen nach Paris. Jacob erlebte<br />
eine beglückende Archiv- und Bibliotheksarbeit, nahm aber<br />
die Weltstadt Paris – in dieser Zeit das Ziel zahlloser deutscher<br />
Reisender – rein intellektuell ablehnend als leichtlebig und oberflächlich<br />
wahr. Was von Jacob als Studienunterbrechung gedacht<br />
war, beförderte seinen Entschluss, das Jurastudium aufzugeben<br />
und sich der Philologie und Sprachwissenschaft zu widmen. Die<br />
kränkelnde, 1805 nach Kassel übergesiedelte Mutter und die Tante<br />
Henriette Zimmer willigten widerstrebend ein, während Wilhelm im<br />
Mai 1805 den Universitätsabschluss machte.