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Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH

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<strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Politische Kommunikation als massenmediale Deliberation<br />

Projektbericht im Rahmen der Forschungsförderung des Bundesamts für Kommunikation<br />

(BAKOM)<br />

Anne-Chantal Daum<br />

Marianne Fraefel<br />

Thomas Häussler<br />

Bern, im Februar 2007<br />

Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaftliche Fakultät<br />

Institut für Kommunikations-<br />

und Medienwissenschaft


1 EINLEITUNG 5<br />

1.1 Öffentlichkeit und öffentliche Meinung 5<br />

1.2 Politische Kommunikation in der Schweiz 6<br />

1.3 Die Bedeutung dialogischer Formate 9<br />

2 THEORETIS<strong>CH</strong>E VERORTUNG DER UNTERSU<strong>CH</strong>UNG 12<br />

2.1 Einleitung 12<br />

2.2 Deliberative Demokratie: Begriff und Begrifflichkeiten eines Ansatzes 12<br />

2.3 Kritik am deliberativen Modell 16<br />

2.4 Deliberative Demokratie und Öffentlichkeit 18<br />

2.5 Deliberative Demokratie und Massenmedien 20<br />

2.6 Öffentliche und private Deliberation 22<br />

2.7 Empirische Ansätze der Deliberation 24<br />

3 METHODIS<strong>CH</strong>E UMSETZUNG DER ANALYSE 28<br />

3.1 Datenerhebung 28<br />

3.1.1 Auswahlverfahren der Sender und Foren 28<br />

3.1.2 Inhaltliche Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes 30<br />

3.1.3 Formale Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes 31<br />

3.1.4 Zeitlicher Rahmen der Untersuchung 33<br />

3.1.5 Erhebungseinheit, Analyseeinheit und Gewichtung 34<br />

3.2 Untersuchungsfokus und -hypothesen: Sendungen, Sender und Medien 34<br />

3.2.1 Mediengattungen: Klassische Medien und Online-Foren 35<br />

3.2.2 Sender und Foren: Marktstellung der Anbieter 35<br />

3.2.3 Sendungen: <strong>Dialog</strong>format 37<br />

3.3 Inhaltsanalyse: Methodischer Ansatz der Untersuchung 39<br />

3.4 Analysekonzept: Die Kategorien der Deliberation 39<br />

4 BES<strong>CH</strong>REIBUNG DES DATENMATERIALS 48<br />

4.1 Anzahl der dialogischen Formate 48<br />

4.2 Erhebungszeitraum 52<br />

4.3 Dauer, Umfang und Art der dialogischen Formate 54<br />

4.3.1 Klassische Medien 54<br />

4.3.2 Online-Foren 58<br />

4.4 Ort des <strong>Dialog</strong>s 62<br />

4.5 Publikumsbeteiligung 64<br />

4.6 Zwischenfazit: la structure fait la musique 67<br />

5 INKLUSIVITÄT ODER WER ÜBERHAUPT ZU WORT KOMMT 72<br />

5.1 Inklusivität der AkteurInnen 72<br />

5.2 Gesprächsanteile einzelner Akteursgruppen 79<br />

5.3 Gesprächsanteile der AkteurInnen anhand ihrer Position zur Abstimmungsvorlage 86<br />

5.4 Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt 93<br />

6 REZIPROZITÄT ODER OB DIE AKTEURINNEN WIRKLI<strong>CH</strong> MITEINANDER<br />

SPRE<strong>CH</strong>EN 98<br />

6.1 Sprecherwechsel <strong>oder</strong> wie das Wort übergeben wird 99<br />

6.2 Oberflächliche Bezugnahme 103<br />

6.3 Argumentative Bezugnahme 109<br />

2


6.4 Netz der Interaktion 115<br />

6.5 Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen 119<br />

7 THEMATISIERUNG VON GELTUNGSANSPRÜ<strong>CH</strong>EN ODER WIE<br />

BEGRÜNDET UND WORÜBER DIE AKTEURINNEN SPRE<strong>CH</strong>EN 127<br />

7.1 Art der Geltungsansprüche 128<br />

7.2 Begründung von Geltungsansprüchen 136<br />

7.3 Inhaltliche Ausrichtung der Geltungsansprüche 145<br />

7.3.1 Klassifizierung der Geltungsansprüchen: Sachlich, normativ, subjektiv 146<br />

7.4 Thematisches Spektrum 152<br />

7.5 Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen 159<br />

8 KOMMUNIKATIVER RESPEKT ODER WIE HÖFLI<strong>CH</strong> DIE AKTEURINNEN<br />

MITEINANDER SPRE<strong>CH</strong>EN 166<br />

8.1 Kommunikativer Respekt beim Rollenwechsel 166<br />

8.1.1 Sprecherwechsel durch respektverletzende Unterbrechung 167<br />

8.1.2 Versuchte Unterbrechung 172<br />

8.1.3 Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts 177<br />

8.2 Personalisierung und Beleidigung 181<br />

8.3 Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander<br />

sprechen 190<br />

9 FAZIT: STIMMENGEWIRR ODER DIALOG? 199<br />

9.1 Klassische Medien und Online-Foren 201<br />

9.2 Klassische Medien 207<br />

9.2.1 Debatten und Interviews 207<br />

9.2.2 Öffentliche und private Anbieter 209<br />

9.2.3 Radio und Fernsehen 211<br />

9.3 Online-Foren 213<br />

9.4 Sprachregionen 216<br />

9.5 Medienleistung: M<strong>oder</strong>ation 218<br />

10 S<strong>CH</strong>LUSSWORT UND AUSBLICK 221<br />

11 LITERATUR- UND QUELLENVERZEI<strong>CH</strong>NIS 228<br />

11.1 Literatur 228<br />

11.2 Quellen 235<br />

12 DARSTELLUNGSVERZEI<strong>CH</strong>NIS 239<br />

12.1 Tabellenverzeichnis 239<br />

12.2 Grafikverzeichnis 240<br />

3


Vorwort<br />

Erstmals liegt eine Studie vor, in der die politische Kommunikation in <strong>Dialog</strong>sendungen<br />

von Radio und Fernsehen in der Schweiz sowie in Online-Foren untersucht wird. Erstmals<br />

wird der Frage nachgegangen, wie sich der politische Diskurs in der direkten Demokratie<br />

über die Massenmedien überhaupt abwickelt: Welche Medien bieten vor Volksabstimmungen<br />

wann und in welcher Form solche <strong>Dialog</strong>sendungen an? Wer nimmt eigentlich am<br />

Diskurs teil? Gehören die GesprächspartnerInnen dem politischen Zentrum <strong>oder</strong> auch der<br />

Peripherie an? Gehen die DiskutantInnen aufeinander ein? Begründen sie ihre Geltungsansprüche?<br />

Gehen sie respektvoll miteinander um? Kurz: Von welcher Qualität ist der politische<br />

Diskurs?<br />

Am Beispiel der wichtigen aussenpolitischen Volksabstimmungen über die Verträge von<br />

Schengen und Dublin sowie über die Personenfreizügigkeit, die 2005 stattfanden und mit<br />

denen die Schweiz den bilateralen Weg zur stärkeren Anbindung an die Europäische Union<br />

fortsetzte, untersucht die vorliegende Studie <strong>Dialog</strong>sendungen von öffentlich und privat<br />

finanzierten Radio- und Fernsehprogrammen sowie Online-Foren der deutschen und französischen<br />

Schweiz. Damit können Aussagen gemacht werden zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten<br />

von klassischen Medien und dem Internet, von öffentlichen und privaten<br />

audiovisuellen Medien, von Radio und Fernsehen und im Vergleich der Deutschschweiz<br />

und der Romandie. Die Studie ist hauptsächlich zwischen dem Spätherbst 2005 und dem<br />

Spätherbst 2006 entstanden. Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft<br />

der Universität Bern kann damit einen wichtigen Beitrag zur weiteren wissenschaftlichen<br />

Erhellung der politischen Kommunikation in der Schweiz leisten.<br />

Das Hauptverdienst an dieser Studie haben jene, die sie hauptsächlich vorangetrieben und<br />

realisiert haben: Anne-Chantal Daum, Marianne Fraefel und Thomas Häussler. Thomas<br />

Häussler definierte den Forschungsansatz und schrieb den Projektantrag. Anne-Chantal<br />

Daum und Marianne Fraefel erstellten das Kategoriensystem und das Codebuch und erhoben<br />

und interpretierten die Daten. Alle drei wirkten am Schlussbericht mit. Sie wurden<br />

unterstützt durch eine Gruppe von Mitwirkenden, die Strukturdaten sammelten, Aufzeichnungen<br />

sicherstellten und Sendungen <strong>oder</strong> Online-Foren codierten: Patrizia Zurbrügg,<br />

Christa Gubler, Stefan Meier, Rébecca Reymond-Allemand, Daniela Rölli und Yvonna<br />

Schindler. Sie alle verdienen Dank und Anerkennung für die riesige Arbeit.<br />

Die Studie wurde möglich, weil das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) unseren<br />

Projektantrag im Sommer 2005 genehmigt und das Projekt massgeblich finanziell gefördert<br />

hat. Dies ist nicht hoch genug einzuschätzen. Doch reichten die finanziellen Mittel<br />

des BAKOM nicht aus. Ich bin deshalb besonders dankbar, dass uns weitere Gönner unterstützt<br />

haben: Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), Schweizer Radio<br />

DRS, die Oertli-Stiftung, Dr. Alfred Bretscher (Bern) sowie ein ungenannt sein wollender<br />

Förderer aus dem Raum Zürich.<br />

Die Forschung müsste weitergehen. Bislang fehlt der Einbezug der italienischen und der<br />

rätoromanischen Schweiz. Es fehlt die Analyse von Diskurssendungen, die nicht im<br />

Zusammenhang mit Volksabstimmungen stehen, sondern mit Problemen, die vielleicht die<br />

Menschen noch mehr umtreiben als bevorstehende Urnengänge. Es fehlen Erkenntnisse<br />

über das Diskursverhalten an öffentlichen Versammlungen. Es wäre schön, wenn die Institutionen<br />

der Forschungsförderung dazu Hand böten, auf diesen Feldern mehr Wissen über<br />

die politische Kommunikation in der direkten Demokratie zu generieren.<br />

Roger Blum,<br />

Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern<br />

4


Einleitung<br />

1 Einleitung<br />

1.1 Öffentlichkeit und öffentliche Meinung<br />

In der Schweiz stimmen die Bürgerinnen und Bürger mehrmals im Jahr über eine substantielle<br />

Anzahl an Vorlagen auf eidgenössischer, kantonaler und Gemeindeebene ab. Bei<br />

einem stetig schrumpfenden Interesse und Zeitbudget der BürgerInnen, was politische Fragen<br />

anbelangt und einer gleichzeitig wachsenden Bedeutung und Komplexität der Gegenstände,<br />

stellt sich in den vergangenen Jahren immer wieder die Frage nach der Leistungsfähigkeit<br />

direktdemokratischer Verfahren in einer zunehmend globalisierten Welt. Wissen<br />

die BürgerInnen überhaupt genug, um über politische Vorlagen aufgrund gefestigter Meinungen<br />

abstimmen zu können? Haben sie ausser am Abstimmungssonntag noch eine<br />

Chance, sich aktiv in die politische Diskussion einzubringen? Bekommen sie genügend –<br />

und insbesondere genügend ausgewogene Informationen, um sich eine eigene Meinung<br />

bilden zu können? Dies sind mitunter die zentralen Fragen, wenn man Politik und (direkte)<br />

Demokratie aus Sicht der Meinungs- und Willensbildung betrachtet.<br />

Für die Medien als zentrale vermittelnde Instanz im politischen Prozess heisst dies in erster<br />

Linie, dass sie politische Information anbieten müssen, die zwar attraktiv ist aber gleichzeitig<br />

ihre meinungsbildende Funktion nicht einbüsst: Sie soll unterhaltend aber nicht oberflächlich<br />

sein, sie soll eine möglichst breite Schicht ansprechen, ohne sich am kleinsten<br />

gemeinsamen Nenner zu orientieren, und sie soll allen relevanten Positionen eine Vertretung<br />

geben, ohne im Gewirr der Stimmen unterzugehen. Nur wenn den Medien und den im<br />

medialen Diskurs beteiligten AkteurInnen dieser ständigen Balanceakt gelingt, wird öffentliche<br />

Meinung nicht einfach zu einer beliebigen „veröffentlichten Meinung“, sondern bildet<br />

sich erst bei den TeilnehmerInnen und RezipientInnen im Rahmen einer kritischargumentativen<br />

Auseinandersetzung.<br />

Der konkrete Prozess der Meinungsbildung, die daran beteiligten Institutionen und AkteurInnen<br />

und nicht zuletzt der Begriff der öffentlichen Meinung selbst sind dabei einem stetigen<br />

Wandel unterworfen, wie sich etwa anhand der (kulturkritischen) Diskussion im<br />

Rahmen der Einführung des Fernsehens <strong>oder</strong> jüngst des Internets zeigen lässt. So sieht<br />

etwa Jürgen Habermas in einer pessimistischen Einschätzung zu Beginn der 1960er Jahre<br />

die politische Öffentlichkeit weitgehend ihrer kritisch-aufklärerischen Funktionen beraubt,<br />

vom politischen Zentrum zu akklamatorischen Zwecken nur noch inszeniert – die öffentliche<br />

Meinung der Bürgerinnen und Bürger verkommt dabei zu reinen „attitudes“, d.h. nicht<br />

näher begründeten, beliebigen Neigungen (vgl. Habermas 1990).<br />

Solchen pessimistischen Einschätzungen ist indes entgegenzuhalten, dass soziale Bewegungen<br />

zu allen Zeiten immer wieder die Macht des politisch-administrativen Zentrums<br />

herausgefordert haben, dass zudem spätestens seit den späten 1960er Jahren die Öffentlichkeit<br />

durch neue soziale Bewegungen insgesamt „dynamischer“ geworden ist und mindestens<br />

teilweise eine „Revitalisierung“ stattgefunden hat. Und auch auf theoretischer<br />

Ebene mehrt sich die Einsicht, dass gerade die Annahme der manipulativen Intention der<br />

politischen AkteurInnen es notwendig macht, das Bild der passiven, subalternen BürgerInnen<br />

zu korrigieren. 1 Das macht sich nicht zuletzt auch in der sozialwissenschaftlichen Modellbildung<br />

bemerkbar – der/die BürgerIn als KonsumentIn wird immer mehr überlagert<br />

vom/von der BürgerIn als RezipientIn (vgl. Pfetsch 1998) und behaviouristische Annahmen<br />

über das Publikum werden nicht zuletzt durch die Cultural Studies dahingehend kor-<br />

1 Grössere Manipulationsleistungen seitens der RepräsentantInnen des politisch-administrativen Zentrums<br />

sind ja nur dann nötig, wenn der/die BürgerIn ein wachsendes kritisches Bewusstsein entwickelt <strong>oder</strong> zumindest<br />

die Möglichkeiten dazu hat.<br />

5


Einleitung<br />

rigiert, dass Rezeptionsprozesse eine in den Alltagskontext eingebundene Form der sozialen<br />

Praxis sind. Die Betonung der Interaktion als Kernelement des Kommunikationsprozesses<br />

rückt dabei die Beziehungen zwischen Politik und Medien einerseits und den Medien<br />

und den RezipientInnen vermehrt in den Vordergrund. Das Interaktionsgeflecht zwischen<br />

Politik und Medien wird nun nicht mehr nur als Instrumentalisierung der Medien<br />

durch die Politik bzw. den politischen Public Relations gedeutet, sondern in einem komplexen<br />

interdependenten Verhältnis situiert (vgl. Baerns 1985; Bentele et al. 1997). Gleichzeitig<br />

kommt aus demokratietheoretischer Sicht immer mehr zum Tragen, dass die Beziehung<br />

zwischen Medien und RezipientInnen sich nicht im Nachweis der kommunikativen<br />

Diffusion im Sinne etwa des klassischen two-step-flow Modells erschöpfen kann. Habermas<br />

beklagt denn auch bereits im Strukturwandel der Öffentlichkeit, dass „der Begriff einer<br />

sozialpsychologisch in Gruppenbeziehungen aufgelösten öffentlichen Meinung“ den<br />

Anschluss an die kritische Dimension zu verlieren droht, so dass er vollständig ausgehöhlt<br />

werde und damit auch seine Brauchbarkeit für die Forschung einbüsse: „Die Intention der<br />

politisch fungierenden Öffentlichkeit, auf die sich das demokratische Öffentlichkeitsgebot<br />

des Sozialstaates immerhin bezieht, ignoriert ein solcher Begriff so vollständig, dass sich<br />

mit ihm, empirisch gehandhabt, nicht einmal deren Inexistenz nachweisen liesse“ (Habermas<br />

1990: 351). Es muss also gerade aus der Sicht der sozialwissenschaftlichen Forschung<br />

um die adäquate empirische Umsetzung des Begriffs des öffentlichen Räsonnements, mithin<br />

also um die Frage gehen, wie das argumentative Zusammenspiel der öffentlichen Meinungen<br />

in seiner Qualität ausgestaltet ist und welche Bedeutungen es für die privaten Reflexionen<br />

der BürgerInnen haben kann. Dies ist aber nur dann von Bedeutung, wenn der<br />

Begriff der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung kritisch fruchtbar gemacht werden<br />

kann und die BürgerInnen (wieder) als räsonierender – sprich meinungsbildender – Bestandteil<br />

des politischen Prozesses gedacht werden können.<br />

Auf politisch-praktischer Ebene ist dies umso wichtiger für Staaten mit stark verankerten<br />

direktdemokratischen Partizipationsrechten wie der Schweiz. Denn bei ihnen ist es ungleich<br />

schwieriger politische Legitimation aus rein systemtheoretischer Sicht zu begreifen<br />

bzw. auf die korrekte Anwendung verbindlicher Verfahren in Institutionen zu reduzieren<br />

wie es etwa insbesondere durch die Wahl von Parlamenten und Regierungen sowie deren<br />

Zusammenspiel mit der Verwaltung zutage tritt. Hier werden – überspitzt formuliert –<br />

durch den einmaligen Akt der Wahl von Legislative und/<strong>oder</strong> Exekutive gleichsam als<br />

carte blanche alle Handlungen des politisch-administrativen Zentrums innerhalb der jeweiligen<br />

Legislaturperiode legitimiert. In stark direkt-demokratisch verfassten Staaten wird<br />

hingegen ein grosser Teil der (Routine-)Tätigkeiten des politisch-administrativen Zentrums<br />

wieder an das kritische Räsonnement der zivilgesellschaftlichen Peripherie zurückgebunden.<br />

Gerade in Abstimmungen muss sich politische Legitimation daher immer noch als<br />

vorläufiges Resultat eines argumentativen Austausches verstehen, bei dem einzig der<br />

zwanglose Zwang des besseren Arguments herrscht, und der sich also anhand deliberativer<br />

Prinzipien analysieren lässt. Unter dieser kritischen Perspektive geht es dann um „die Erweiterung<br />

des Untersuchungsfeldes […] auf Institutionen der öffentlichen Meinung, nämlich<br />

auf das Verhältnis von Massenmedien und Meinungsprozessen“ (Habermas 1990:<br />

350).<br />

1.2 Politische Kommunikation in der Schweiz<br />

Genau dieser Zusammenhang bzw. den Beitrag, den die Massenmedien für die individuelle<br />

Meinungs- und Willensbildung leisten, steht denn auch im Mittelpunkt des vorliegenden<br />

Projektes. Damit soll nicht nur einer aktuellen Fragestellung nachgegangen, sondern insbesondere<br />

auch ein Beitrag zur Forschung im Bereich dessen geleistet werden, was sich über<br />

die Jahre und Jahrzehnte als interdisziplinäres Feld der „politischen Kommunikation“ etabliert<br />

hat. Politische Kommunikation als eigenes Untersuchungsgebiet ist nämlich trotz der<br />

6


Einleitung<br />

langen Tradition des Forschungszweiges insgesamt in der Schweiz nicht besonders stark<br />

etabliert – trotz <strong>oder</strong> vielleicht gerade wegen des Reichtums an politischen Institutionen<br />

und Diskussionen, die den politischen Alltag bestimmen.<br />

Wie auf internationaler Ebene, so sind auch in der Schweiz Themengebiete und Untersuchungsansätze<br />

uneinheitlich. Befragungen zum Medienkonsum stehen etwa neben Untersuchungen<br />

zur Themenstruktur von Nachrichtensendungen und dem allgemeinen strukturellen<br />

Wandel der Politikvermittlung durch Massenmedien (vgl. Kamber, Imhof 2004;<br />

Windisch 1996; Corboud-Fumagalli 1996). So untersucht etwa Bonfadelli (1995) in einer<br />

Befragung die Informationsleistungen der Schweizer Medien vor der Abstimmung über<br />

den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und kommt dabei zum Schluss,<br />

dass es offensichtlich nicht gelang, die weniger gebildeten und politisch kaum motivierten<br />

Bürgerinnen und Bürger über das komplexe Thema ausreichend zu informieren. Aus Perspektive<br />

der Medien und der RezipientInnen beleuchtet Longchamp (2000) das Zusammenwirken<br />

zwischen Medien- und Bevölkerungsagenda, deren Interaktion bei den Nationalratswahlen<br />

1983-1995 wesentlich von einem durch ereignishafte Dramaturgie aufgebauten<br />

„Klima“ bestimmt wird. Suter et al. (1999) hingegen untersuchen nicht die Dramaturgie<br />

des medialen Diskurses als solchem, sondern gehen der Bedeutung einer bestimmten<br />

Akteursgruppe, den ExpertInnen, in der Berichterstattung zur so genannten Gen-Schutz-<br />

Initiative nach und konzentrieren sich dabei insbesondere auf die vermittelten Wert- und<br />

Normvorstellungen.<br />

Die KommunikatorInnen im engeren Sinn, d.h. die JournalistInnen, stehen hingegen bei<br />

Nyffelers (2000) Studie im Zentrum, die sich u.a. mit der Frage beschäftigt, welchen Stellenwert<br />

die Schweizer Aussenpolitik bei den Schweizer JournalistInnen hat und anhand<br />

welcher journalistischen Konzepte die Aussenpolitik vermittelt wird. Zwar kommt der<br />

Aussenpolitik im Vergleich zu anderen Politikfeldern lediglich eine geringe Bedeutung zu,<br />

so die Schlussfolgerungen, indes sind die JournalistInnen in der Themenselektion relativ<br />

frei, wobei auffällig ist, dass sie sich überwiegend bei Schweizer Printmedien – insbesondere<br />

NZZ und Tages-Anzeiger – informieren. Bonfadellis (2000) Beitrag ergänzt diesen<br />

Blick durch eine Inhaltsanalyse von Schweizer Tageszeitungen und Fernsehnachrichten,<br />

die u.a. ergibt, dass die Informationstätigkeit des Eidgenössischen Departements für auswärtige<br />

Angelegenheiten (EDA) überwiegender Auslöser für die aussenpolitische Berichterstattung<br />

ist.<br />

Sprachregionale Unterschiede in der Aufbereitung und Vermittlung politischer Kommunikation<br />

werden von Corboud-Fumagalli (1996) thematisiert, die den Unterschieden und<br />

Gemeinsamkeiten von Fernsehnachrichtensendungen zwischen Deutschschweiz, Romandie<br />

und dem Tessin nachgeht, wobei die Selektionsmechanismen der einzelnen JournalistInnen<br />

und Redaktionen im Vordergrund stehen. Themenpräferenz und Gestaltung machen<br />

deutlich, dass die Nachrichtensendungen keineswegs zu einer einheitlichen Schweizer<br />

Identität beitragen. Nachrichtenformate stehen auch im Zentrum der Studie von Kamber et<br />

al. (2002), die allerdings nicht so sehr sprachregionale Unterschiede als Unterschiede zwischen<br />

öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehanbietern hinsichtlich ihrer Leistungen<br />

für den Service Public untersuchen. Bei Stalders (2004) Untersuchung zur Berichterstattung<br />

von Radio und Fernsehen vor den eidgenössischen Wahlen 2003 stehen Gender-<br />

Aspekte im Vordergrund. Eine durchwegs schlechtere Medienpräsenz der Kandidatinnen<br />

im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sowie die stärkere Betonung sozialpolitischer<br />

Themen sind neben geschlechtertypischem Konversationsverhalten die Hauptbefunde. In<br />

diesem Zusammenhang ist auch die Studie von Hardmeier und Klöti (2004) zum „Doing<br />

Gender“ bei den eidgenössischen Wahlen 2003 zu nennen, die u.a. zum Schluss kommt,<br />

dass Geschlechterfragen in der Beichterstattung zu den verschiedenen politischen Themenbereichen<br />

wie Wirtschafts- und Umweltpolitik, aber auch bei klassischen Themen der<br />

Gleichstellung wie der Mutterschaftsversicherung, eine untergeordnete Rolle spielen – auf<br />

7


Einleitung<br />

jeden Fall so lange, bis es zu entsprechenden Ereignissen wie der Abwahl von Frauen aus<br />

politischen Ämtern kommt. Dann entlarvt sich die vermeintliche Gleichstellung als reine<br />

Rhetorik. Die mediale Berichterstattung trägt zudem dazu bei, dass bestimmte Politikfelder<br />

wie die Kultur stark weiblich geprägt sind, die Finanzpolitik hingegen als eine eindeutige<br />

Männerdomäne erscheint. Ebenfalls im Forschungsbereich Medien und Gender zu situieren<br />

ist Areggers (1998) Untersuchung zum Gleichstellungsdiskurs in der Schweizer Presse.<br />

Hier liegt der Fokus auf der Berichterstattung zu den beiden Frauenrechtsabstimmungen<br />

von 1959 und 1971, dem Gleichstellungsartikel von 1981 und dem Gleichstellungsgesetz<br />

von 1996. Entgegen der Vermutung, dass die einzelnen Ereignisse eine umfassende Hintergrundberichterstattung<br />

auslösten, erschienen in den untersuchten Zeitungen nur vereinzelte<br />

Hintergrundartikel. Die geschlechtsspezifischen Mängel in der Berichterstattung machen<br />

sich etwa auch dadurch bemerkbar, dass sie eindeutig von männlichen Akteuren dominiert<br />

wird, Frauen hingegen nur in rund einem Fünftel der untersuchten Artikel vorkommen.<br />

Der Beitrag von Kamber und Schranz (2002) ist wie die Untersuchung von Aregger eine<br />

der wenigen Langzeitstudien, die aus einer generellen Perspektive dem Wandel der massemedialen<br />

Politikvermittlung in der Deutschschweizer Presse nachgeht, wobei – so das<br />

Fazit – von einer vermeintlichen Entpolitisierung der medialen Arenen nicht die Rede sein<br />

kann. 2 Ebenfalls als Längsschnitt konzipiert ist Kamber und Imhofs (2004) Untersuchung<br />

der Veränderung der medialen Resonanzstrukturen staatlicher AkteurInnen in den 1960er<br />

Jahren bis in die 1990er Jahre, die als Hauptfazit festhält, dass die mediale Stellung der<br />

Exekutive gegenüber Legislative, Parteien und Verbänden stark zugenommen hat. 3<br />

Im Bereich der Internetforschung scheint der Ertrag zwar auf den ersten Blick ergiebig, der<br />

tatsächliche Forschungsstand ist jedoch weitaus geringer, wenn die stark wirtschaftswissenschaftlich<br />

orientierten Beiträge nicht mit einbezogen werden. Die Forschung zur Online-Kommunikation<br />

scheint in der Schweiz noch ganz am Anfang zu stehen. Denn neben<br />

Untersuchungen von Parlamentswebsites (Filzmaier, Winkel 2003) sind im internationalen<br />

Vergleich einzig noch Beiträge zum „electronic voting“ (Geser 2004) und zum „digital<br />

divide“ (Marr 2003, 2005) sowie kritische Anmerkungen zum Entwicklungspotential von<br />

politischer Öffentlichkeit und Kommunikation im Internet (Jarren 1997) zu nennen. Empirische<br />

Studien zu Diskussionsforen sind praktisch inexistent, sieht man von Wenzlers<br />

(2004) Untersuchung von Online-Foren zur Abstimmung über den Schweizer UNO-<br />

Beitritt ab. Hier decken sich die Resultate weitgehend mit den Ergebnissen der internationalen<br />

Forschung: Die TeilnehmerInnen äussern in erster Linie ihre Meinung, ohne sich um<br />

eine wirkliche Diskussion zu bemühen.<br />

Ebenso wichtig wie die universitäre Forschung ist die Arbeit des SRG SSR Forschungsdienstes,<br />

die zum einen aus regelmässig durchgeführten Studien wie der Analyse der Berichterstattung<br />

zu den National- und Ständeratswahlen besteht (vgl. Forschungsdienst<br />

1999, 2000, 2004). Andererseits werden aber auch singuläre Ereignisse wie etwa die Medienresonanz<br />

zum Tod Lady Dianas untersucht (Forschungsdienst 1998).<br />

Wie diese kurzen Ausführungen bereits deutlich machen, sind die Untersuchungen der<br />

Schweizer Kommunikations- und Medienwissenschaft im Bereich der politischen Kommunikation<br />

gegenüber der internationalen Forschung wesentlich punktueller, der Ertrag als<br />

Gesamtes folglich lückenhafter. Dies hat vielfältige – und nicht zuletzt auch wissenschaftspolitische<br />

– Gründe, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Unabhängig<br />

von den strukturellen Besonderheiten der Schweizer Forschung zur politischen Kommunikation<br />

weist der bisherige Ertrag einige markante Lücken auf.<br />

2 Vgl. auch Imhof, Kamber (2001).<br />

3 Vgl. auch die ältere Studie von Schaller (1989) zur Interdependenzstrukturen von JournalistInnen und PolitikerInnen,<br />

die aber eher als Fallstudie zu gelten hat, sowie Hardmeier (2003), die sich mit dem Propaganda-<br />

Vorwurf gegenüber der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit auseinandersetzt.<br />

8


Einleitung<br />

Zu den offensichtlichen Mängeln gehört, dass in der Schweiz wie auch auf internationaler<br />

Ebene die Untersuchung von Fernsehformaten vorwiegend mit Nachrichtensendungen<br />

gleichsetzt wird. Untersuchungen zu anderen Formaten, zumal dialogischen, finden sich<br />

kaum, sieht man von dem eher sprachwissenschaftlich orientierten Beitrag von Luginbühl<br />

(1999) zur verbalen Gewalt in der Sendung „Arena“ auf SF DRS ab.<br />

Medieninhalte werden in der Schweiz zwar durchaus untersucht, doch vermehrt aus quantitativer<br />

Perspektive. Dies wird indes spätestens dann problematisch, wenn man eigentlich<br />

qualitativen Fragestellungen nachgeht, was ja gerade bei der Untersuchung der politischen<br />

Kommunikation tendenziell vermehrt der Fall ist. Folglich können die Strukturen und Zusammenhänge<br />

zwischen Politik, Medien und Gesellschaft nur unzureichend aufgedeckt<br />

werden. Die Kardinalfrage nach der medialen Leistung zur Integration einer kulturell so<br />

diversifizierten Gesellschaft wird bislang nur ansatzweise gestellt, geschweige denn umfangreich<br />

untersucht. In der Tat zeichnet sich die Schweizer Forschung u.a. auch dadurch<br />

aus, dass sie Vergleichen zwischen den Sprachregionen ebenso wenig Platz einräumt wie<br />

intermediären Untersuchungen. Die „BürgerInnen als RezipientInnen“ bleiben so weitgehend<br />

ausgeblendet, denn die Analyse der Rolle der Medien bei der Politikvermittlung ist<br />

entweder in zu partikulare Kontexte eingebunden <strong>oder</strong> geht kaum über eine Beschreibung<br />

der Oberflächenstruktur hinaus. Nicht zuletzt fehlt es hier wie auch in der internationalen<br />

Forschung an einem geeigneten Rahmen, in dem die komplexen Zusammenhänge zwischen<br />

Politik, Medien und RezipientInnen verortet werden können. Gerade dadurch eröffnet<br />

sich indes für das vorliegende Forschungsprojekt die Möglichkeit, diejenigen Aspekte<br />

auf theoretischer und empirischer Seite in den Vordergrund zu stellen, die bisher vernachlässigt<br />

worden sind.<br />

1.3 Die Bedeutung dialogischer Formate<br />

Um das Zusammenwirken von AkteurInnen, Medien und RezipientInnen zu untersuchen,<br />

ist es sinnvoll, dialogischen Formaten – wie Diskussionssendungen und Interviews – gegenüber<br />

monologischen – wie etwa Nachrichtensendungen – den Vorzug zu geben. Denn<br />

gerade in Diskussionssendungen wird die öffentliche Auseinandersetzung um Positionen<br />

und Argumente besonders offensichtlich: Meinungen und Standpunkte treffen direkt aufeinander<br />

und eröffnen dem/r RezipientIn so die Möglichkeit, sich innert kurzer Zeit mit<br />

verschiedenen Sichtweisen auseinanderzusetzen und zudem zu verfolgen, wie sich diese<br />

Sichtweisen zueinander verhalten. Wenngleich oft plakativer als etwa Reportagen, so sind<br />

dialogische Formate wegen des präsentierten Meinungsspektrums und der zu erwartenden<br />

Dynamik in der Debatte – v.a. in eher konfrontativen dialogischen Formaten – aus RezipientInnensicht<br />

attraktive Medienangebote. Aus ProduzentInnensicht stellen sie zudem<br />

eine verhältnismässig günstige Möglichkeit dar, politische und gesellschaftliche Aktualität<br />

informativ und ohne festgeschriebene Dramaturgie unterhaltend herzustellen (vgl. Clayman,<br />

Heritage 2002). Und für politische AkteurInnen stellen sie schliesslich Plattformen<br />

dar, auf denen sie sich selbst und ihre Position in direkter Auseinandersetzung mit dem<br />

politischen Gegenüber medienwirksam darstellen können. Aus Forschungsperspektive<br />

schliesslich stellen dialogische Formate im Vergleich zu monologischen Sendungen zudem<br />

einen kaum untersuchten Untersuchungsbereich dar. An der diskursiven Qualität der dialogischen<br />

Auseinandersetzungen kann somit auch ein Teil des Beitrages der Medien zur<br />

Meinungs- und Willensbildung abgelesen werden. Durch den Fokus auf dialogische Formate<br />

lässt sich auch die Rolle der Medien im gesellschaftlichen Diskussions- und Vermittlungsprozess<br />

genauer untersuchen und bewerten, da sie anders als etwa in Reportagen<br />

9


Einleitung<br />

nicht lediglich über AkteurInnen berichten, sondern unmittelbar in den jeweiligen Sendungen<br />

mit ihnen interagieren. 4<br />

Mit dem vorliegenden Forschungsprojekt soll diese Forschungslücke – zumindest ansatzweise<br />

– geschlossen werden, indem am Beispiel der Abstimmungsberichterstattung zu den<br />

Bilateralen Verhandlungen I und II, d.h. zum Schengen-Referendum einerseits und dem<br />

Referendum zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, dialogische Formate von Radio,<br />

Fernsehen und dem Internet auf ihre diskursive Qualität hin untersucht werden. Untersucht<br />

wird also, welchen Beitrag die Medien für die individuelle Meinungs- und Willensbildung<br />

leisten, indem sie etwa unterschiedliche AkteurInnen und Positionen präsentieren, Meinungen<br />

und Begründungen hinterfragen und zueinander in Beziehung setzen, usw. Speziell<br />

in der Abstimmungsberichterstattung dürften die Rollen der AkteurInnen – insbesondere<br />

der Medien – besonders klar zum Vorschein kommen, da sie die anderen AkteurInnen und<br />

sich selbst in Bezug auf die vorgebrachten Argumente und Sichtweisen positionieren bzw.<br />

ihre eigene Position erklären und rechtfertigen und die der politischen Gegenüber hinterfragen.<br />

Zudem handelt es sich hierbei um einen Diskurs, dessen Beitrag zur Willensbildung<br />

ganz konkret an die Abstimmung über die beiden Vorlagen geknüpft ist. Das Projekt<br />

will den medialen Beitrag der dialogischen Formate dabei auf drei Hauptebenen untersuchen.<br />

Erstens geht es darum zu klären, inwiefern es qualitative Unterschiede zwischen öffentlichen<br />

und privaten Sendern von Radio und Fernsehen gibt bzw. Online Foren, die an<br />

traditionelle Verlagshäuser gekoppelt sind und jenen, die rein im Rahmen einer Online-<br />

Plattform (hier Google) betrieben werden. Hinter diesem Vergleich steht die Überlegung,<br />

dass sich unterschiedliche Finanzierungsarten bzw. die unterschiedliche Stellung der Foren<br />

in- und ausserhalb eines Cross-Media-Verbundes auf die Struktur der Programme und deren<br />

Inhalte auswirken. Die Service Public Orientierung, auf die sich SF DRS etwa verpflichtet,<br />

beschreibt gleichzeitig eine Produktionslogik, die sich von privat finanzierten<br />

Fernsehsendern unterscheidet. Dem Gebot der Integration durch Inklusivität auch marginaler<br />

AkteurInnen und Sichtweisen stehen die Marktlogik und damit die dramaturgische Attraktivität<br />

von privat finanzierten Sendeprogrammen gegenüber. Diese Unterschiede – so<br />

die Arbeitshypothese – sollte sich auch auf der tieferen Ebene der Diskursstruktur nachweisen<br />

lassen. Das heisst indes nicht, dass Service Public automatisch mit einer höheren<br />

Diskursqualität einhergeht; zu vermuten ist vielmehr, dass die Sender unterschiedliche<br />

Aspekte in der Debatte um die Bilateralen I und II betonen, was letzten Endes zu unterschiedlichen<br />

Ausprägungen in der Diskursstruktur selbst führt.<br />

Neben der Besonderheit des dualen Rundfunksystems zeichnet sich die Schweiz u.a. durch<br />

ihre kulturelle Pluralität aus. Der vielbeschworene „Röstigraben“ etwa wird als Ausdruck<br />

grundlegender Unterschiede zwischen DeutschschweizerInnen und Romands wahrgenommen,<br />

die nicht nur Sprache und gewisse nicht näher bestimmbare Bereiche der Lebensart<br />

umfassen, sondern gerade bei Abstimmungen immer wieder greifbar werden. Will man<br />

diesen Unterschieden auf die Spur kommen, so ist danach zu Fragen, wie die politische<br />

Kultur der beiden Landesteile ausgestaltet ist. Versteht man einerseits Kultur grundlegend<br />

als die Art und Weise, wie sich AkteurInnen zueinander in Beziehung setzen und anderer-<br />

4 Damit soll indes nicht auf naive Weise unterstellt werden, dass dialogische Formate per se höherwertig sind<br />

als monologische, weil sie das Ideal der politischen Agora massenmedial institutionalisieren. Indes weist ihre<br />

Funktion über reine Unterhaltung hinaus. Sie können nicht nur ergänzend zu monologischen Nachrichten-<br />

und Hintergrundsendungen gesehen werden, sondern bieten bei einem wachsenden Medienangebot die Möglichkeit,<br />

sich innert kurzer Zeit mit einem politischen Thema, dessen ExponentInne und Argumenten auseinanderzusetzen.<br />

Für private Sendeanstalten stellen sie zudem einen wichtigen Pfeiler in der politischen Berichterstattung<br />

dar, sind sie doch wesentlich günstiger als etwa Hintergrundreportagen zu produzieren. Und<br />

während die spontane Dramaturgie dialogischer Formate deren Unterhaltungswert bestimmt, bieten sie durch<br />

ihren Plattformcharakter den politischen AkteurInnen genügend Gestaltungsspielraum, um sich und ihre<br />

Positionen zu präsentieren. Daher mag es nicht verwundern, dass sogar die ExponentInnen des politischadministrativen<br />

Zentrums regelmässig in Diskussionsformaten von Regionalsendern auftreten.<br />

10


Einleitung<br />

seits Politik als vorwiegend kommunikatives Interaktionsfeld, so geht es also um die Unterschiede<br />

in der konkreten Ausgestaltung diskursiver Strukturen in der politischen Debatte.<br />

Das vorliegende Projekt untersucht denn auch die Diskursqualität in Radio, Fernsehen<br />

und dem Internet in der Deutschschweiz und der Romandie. Im Vordergrund steht dabei<br />

die Frage nach Unterschieden hinsichtlich der Inklusivität der AkteurInnen wie auch danach,<br />

ob sich signifikante Differenzen in Bezug zu konkreten Argumentationsformen aufzeigen<br />

lassen.<br />

Auf einer dritten Ebene gilt das Erkenntnisinteresse schliesslich dem Verhältnis von „klassischen“<br />

elektronischen Medien – sprich dem Fernsehen und dem Radio – zu den „neuen“<br />

Medien – hier den Online-Foren. Denn mit der „digitalen Revolution“ ist nicht lediglich<br />

eine tiefgreifende technologische Veränderung konstatiert worden, mit ihr wird insbesondere<br />

die Chance auf direkte und umfassende politische Partizipation verbunden. Indes findet<br />

die Idealvorstellung einer globalen virtuellen Agora nicht nur BefürworterInnen, sondern<br />

ist aus theoretischer wie empirischer Sicht ebenso konsequent kritisch hinterfragt<br />

worden. Die Befunde zur „schönen neuen Medienwelt“ sind denn auch insgesamt ambivalent<br />

geblieben, wodurch sich gerade für das vorliegende Projekt die Möglichkeit ergibt,<br />

den Stellenwert des Internets selbst und vor allem im Vergleich zu Radio und Fernsehen zu<br />

untersuchen. Dabei geht es zwar immer um die Diskursqualität der verschiedenen Formate,<br />

die Studie weist aber über eine reine komparative Perspektive hinaus. Ebenso wichtig ist<br />

der Anschluss der empirischen Untersuchung an eine theoretische Basis, die Medien, Öffentlichkeit<br />

und Meinungsbildung aus der Perspektive des politischen Prozesses zu integrieren<br />

vermag und es zudem ermöglicht, ihre (diskursive) Leistung einer kritischen Evaluation<br />

zu unterziehen. Auf diese anspruchsvolle theoretische Grundlage soll im Folgenden<br />

eingegangen werden.<br />

11


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

2 Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

2.1 Einleitung<br />

Öffentlichkeit und ihre konkrete Ausgestaltung ist immer in Zusammenhang mit der vorherrschenden<br />

Ausgestaltung von Politik zu verstehen. Der von Habermas beschriebene<br />

„Strukturwandel der Öffentlichkeit“ steht damit in enger Wechselwirkung mit tiefgreifenden<br />

gesellschaftlichen Veränderungen, die sich ihrerseits auf die Form und das (Selbst-<br />

)Verständnis von Politik und politischem System auswirken (vgl. Habermas 1990). In der<br />

M<strong>oder</strong>ne, d.h. im Übergang von der repräsentativen Öffentlichkeit feudaler Regime und<br />

autoritär verfasster Staaten hin zu einer zunehmend diskursiven Öffentlichkeit demokratischer<br />

Systeme, gewinnen diejenigen Foren und Institutionen ausserhalb des politischen<br />

Machtzentrums an Bedeutung, die Öffentlichkeit herstellen. Innerhalb der M<strong>oder</strong>ne sind<br />

dies zunächst die zum Publikum versammelten Privatleute in den Kaffeehäusern des 18.<br />

Jahrhunderts, bei denen Zeitungen als Stichwortgeber für das öffentliche Räsonnement<br />

fungieren, die jedoch dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts von Massenmedien als „Herstellern<br />

von Öffentlichkeit“ abgelöst werden. Sie sind es, die nun dem politischen Prozess<br />

als intermediäre Instanzen Publizität verleihen – ja die Öffentlichkeit sogar dominieren<br />

(vgl. Habermas 1990). Mit einem zunehmenden diskursiven Verständnis von Öffentlichkeit<br />

und einer immer dominanter werdenden Rolle der Massenmedien erhält auch die allgemeine<br />

Frage nach dem Zustand der öffentlichen Debatte immer mehr Gewicht. Denn die<br />

fortschreitende Rationalisierung politischer Macht bedeutet nicht nur, dass Entscheidungen<br />

und „gute Gründe“ in der öffentlichen Debatte auf ihre Triftigkeit hin kritisch geprüft werden,<br />

sie sind idealerweise auch konstitutiv für die Meinungs- und Willensbildung der Bürgerinnen<br />

und Bürger.<br />

In diesem Spannungsfeld zwischen „privater Meinung“ und „öffentlicher Vernunft“ ist das<br />

vorliegende Projekt anzusiedeln. Damit soll keine direkte, deterministische Verbindung<br />

zwischen öffentlicher Deliberation und privater Meinungs- und Willensbildung postuliert<br />

werden, aber individuelle Präferenzen und Präferenzordnungen stehen zweifelsohne in<br />

einer Wechselwirkung mit dem öffentlichen Austausch von guten Gründen, durch die sie<br />

geformt, reproduziert – aber auch verändert werden können. Die Verschränkung von Demokratie,<br />

Medien und Meinungsbildung legt es dabei nahe, einen deliberativen Ansatz für<br />

die Untersuchung zu wählen. Das vorliegende Projekt basiert damit auf der Einsicht, dass<br />

Politik als öffentliches Räsonnement in m<strong>oder</strong>nen Gesellschaften vor allem vermittels<br />

Massenmedien stattfindet und dass dann insbesondere der Zustand bzw. die diskursive<br />

Beschaffenheit dieses Räsonnements von Interesse ist.<br />

2.2 Deliberative Demokratie: Begriff und Begrifflichkeiten eines Ansatzes<br />

„The essence of democracy itself is now widely taken to be deliberation, as opposed to<br />

voting, interest aggregation, constitutional rights, or even self-government“ bringt Dryzek<br />

(2000: 1, Hervorhebung v. Verf.) die Entwicklung der politischen Theorie in den vergangenen<br />

Jahren und Jahrzehnten auf den Punkt. Der „deliberative turn“ der Demokratietheorie,<br />

so Dryzek, lässt sich zu Beginn der 1990er Jahre festmachen. Natürlich lässt sich der<br />

Grundgedanke der Politik als argumentative Auseinandersetzung historisch bis zu Sokrates<br />

und insbesondere Aristoteles verfolgen: „Aristotle is concerned with the constitution of the<br />

polis and the formation of crucial institutions and practices that support deliberative citizens<br />

and the public sphere […] participation in deliberative politics not only helps citizens<br />

develop the skills to apply the law well to particular cases but also helps ensure that the<br />

12


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

laws that habituate us are good laws. It is through deliberation that belief and narrow interest<br />

are at least potentially exposed to reasoned examination in a democracy” (Terchek,<br />

Moore 2000: 905, 907, Hervorhebung v. Verf.). Später, im Zeitalter der Aufklärung beschäftigt<br />

sich dann u.a. Kant mit der Rolle des öffentlichen Räsonierens als der Vermittlung<br />

zwischen Moral und Politik, so dass Politik im Namen der Moral rationalisiert wird<br />

und „einzig Vernunft Gewalt hat“. 5 Auch Rousseau und später Hegel, Marx, Mill und Tocqueville<br />

haben sich als politische Theoretiker allesamt mit dem Themenkomplex der Struktur<br />

und Funktion öffentlicher Auseinandersetzung, der öffentlichen Meinung und der Öffentlichkeit<br />

selbst beschäftigt (vgl. Habermas 1990, 1992; Steiner et al. 2004). 6<br />

Für die jüngere politische Theorie ist es indes Bernard Manin, der 1987 in einem Aufsatz<br />

die Frage nach der Legitimation politischer Entscheidungen stellt und zum Ergebnis<br />

kommt, dass diese in erster Linie durch die Art und Weise der Erörterungen politischer<br />

Anliegen entsteht: „[T]he source of legitimacy is not the predetermined will of individuals,<br />

but rather the process of its formation, that is, deliberation itself […]” (Manin 1987: 351-<br />

352, Hervorhebung v. Verf.). Joshua Cohen argumentiert zwei Jahre später ganz ähnlich,<br />

als er in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung die legitimierende Kraft demokratischer<br />

Entscheidungen sieht: „The notion of deliberative democracy is rooted in the<br />

intuitive ideal of a democratic association in which the justification of the terms and conditions<br />

of association proceeds through public argument and reasoning among equal citizens“<br />

(Cohen 1989: 21, Hervorhebung v. Verf.). Demokratische Politik bedeutet dabei<br />

auch, dass die Identität der BürgerInnen bzw. ihre Interessen zum grossen Teil durch Deliberation<br />

geformt werden (Cohen 1989) – ja die TeilnehmerInnen unter Umständen ihrer<br />

Präferenzen <strong>oder</strong> Präferenzordnungen erst durch Deliberation gewahr werden. Cohen geht<br />

indes noch einen Schritt weiter als Manin, indem er nicht nur für den Begriff der deliberativen<br />

Demokratie plädiert, sondern auch die Umrisse eines institutionellen Verfahrens<br />

skizziert, das die Legitimität der Entscheidungen garantieren bzw. herbeiführen soll. Das<br />

Augenmerk gilt dabei insbesondere der Deliberation als „Rechtfertigungszusammenhang“<br />

(vgl. Habermas 1992) und kann mit Habermas zusammenfassend folgendermassen charakterisiert<br />

werden: 7<br />

Die Beratung vollzieht sich in argumentativer Form zwischen Parteien, die Vorschläge<br />

einbringen und kritisch prüfen.<br />

Die Beratungen sind inklusiv und öffentlich. Niemand darf ausgeschlossen werden. Alle<br />

von den Beschlüssen möglicherweise Betroffenen haben die gleiche Chance des Zugangs<br />

und der Teilnahme.<br />

5 Bei Kant wie bei Habermas ergibt sich – freilich auf unterschiedliche Weise – aus dem Status und der<br />

Funktion der Deliberation das Prinzip der Öffentlichkeit als einer Sphäre bzw. bei jüngeren Arbeiten von<br />

Habermas als eines Prozesses, der zwischen Staat und Gesellschaft vermittelt (vgl. Habermas 1990, 1992).<br />

6 Wobei Rousseau am wenigsten von allen auf die Kraft der öffentlichen Deliberation setzt, ja sich explizit<br />

dagegen wendet, da der Austausch von Meinungen und Gründen den Willen des Einzelnen verfälscht, Einzelinteressen<br />

den Vorzug gibt und so auf die Gemeinschaft zersetzend wirkt (vgl. Rousseau 1966). Demgegenüber<br />

setzt Kant gerade auf die „zivilisierende Kraft“ der Öffentlichkeit zur Lösung eines Problems, das er<br />

in seinem Entwurf „zum ewigen Frieden“ theoretisch folgendermassen stellt: „eine Menge von vernünftigen<br />

Wesen, die insgeheim allgemein Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber insgeheim sich davon<br />

auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, dass, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen<br />

einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, dass in ihrem öffentlichen Verhalten<br />

der Erfolg ebenderselbe ist, als ob sie keine solche bösen Gesinnungen hätten“ (Kant 1983: 224).<br />

7 Mit diesem vorwiegend formalen Ansatz an die Deliberation unterscheidet sich Cohen wie auch später<br />

Habermas (1992), Bohman (1996), Rheg (1994) u.a. von den sogenannten „Substantivisten“ innerhalb des<br />

deliberativen Paradigmas. Substantivisten, zu deren prominentesten Vertretern Gutmann und Thompson<br />

gehören (1996, 2004), plädieren dafür, dass nicht nur formale Kriterien, sondern eben auch substantielle<br />

Bedingungen Teil des deliberativen Verfahrens sein sollen (vgl. Gutmann und Thompson 1996, 2004; kritisch<br />

dazu Dryzek 2000).<br />

13


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

Die Beratungen sind frei von externen Zwängen. Die TeilnehmerInnen sind insofern souverän,<br />

als sie einzig an die Kommunikationsvoraussetzungen und Verfahrensregeln der<br />

Argumentation gebunden sind.<br />

Die Beratungen sind frei von internen Zwängen, die die Gleichstellung der TeilnehmerInnen<br />

gefährden könnte: Jede/r hat die gleich Möglichkeit, gehört zu werden, Themen einzubringen,<br />

Beiträge zu leisten, Vorschläge zu machen und zu kritisieren. Ja/Nein-<br />

Stellungnahmen sind allein motiviert durch den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“.<br />

Beratungen zielen auf ein rational motiviertes Einverständnis und können im Prinzip unbegrenzt<br />

fortgesetzt <strong>oder</strong> wieder aufgenommen werden. Mit Rücksicht auf Entscheidungszwänge<br />

werden sie indes oft durch Mehrheitsbeschlüsse beendet.<br />

Die Beratungen erstrecken sich auf alles, was im gleichmässigen Interesse aller geregelt<br />

werden kann. Themen „privater“ Natur sind dadurch aber nicht unbedingt von der öffentlichen<br />

Diskussion ausgeschossen. Öffentlich relevant sind insbesondere Fragen der Ungleichverteilung<br />

jener Ressourcen, von denen die faktische Wahrnehmung gleicher Kommunikations-<br />

und Teilnahmerechte abhängt.<br />

Beratungen erstrecken sich auch auf die Interpretation von Bedürfnissen und die Veränderung<br />

vorpolitischer Einstellungen und Präferenzen. Dabei stützt sich die konsenserzielende<br />

Kraft der Argumente keineswegs nur auf einen in gemeinsamen Traditionen und Lebensformen<br />

vorgängig ausgebildeten Wertekonsens.<br />

(Habermas 1992: 370f; vgl. Cohen 1989: 22-23.).<br />

Unter der Annahme unbegrenzter zeitlicher Ressourcen könnte die Beratung dann in einem<br />

Konsens münden. 8 Freilich wird dadurch ein Ideal entworfen, das so in der Realität weder<br />

anzutreffen noch umzusetzen ist. Indes kann dieses Ideal als empirische Folie dienen, auf<br />

der reale Zustände abgebildet und miteinander verglichen werden können. 9<br />

Das „deliberative Ideal“ postuliert aber, wie wir auch weiter unten sehen werden, nicht so<br />

sehr einen idealen Soll-Zustand, sondern präsentiert insbesondere einen deskriptivuniversalistischen<br />

Anspruch, wobei insbesondere die Habermas’sche Version aufzuzeigen<br />

vermag, dass Politik in ihrem Kern immer schon diskursiv angelegt ist. Unabhängig davon,<br />

ob Politik in ihrer konkreten Umsetzung dem skizzierten Ideal möglichst nahe kommt, so<br />

Habermas, ist das deliberative Moment jederzeit – wenngleich unterschiedlich stark – empirisch<br />

wirksam (vgl. Habermas 1992). Es ist genau dieser Sachverhalt, den Dryzek auf<br />

den Punkt bringt, wenn er sagt „[t]he essence of democracy itself is now widely taken to be<br />

deliberation“ (Dryzek 2000: 1, Hervorhebung v. Verf.). Der öffentliche Gebrauch der Vernunft<br />

spielt demnach etwa auch dann eine Rolle, wenn lediglich Regierungsbeschlüsse an<br />

die Öffentlichkeit vermittelt werden. Denn sollen sie nicht als willkürlich gelten, werden<br />

sie von der Regierung vor der Öffentlichkeit begründet – sprich legitimiert –, und zwar<br />

auch ohne direkte Teilhabe des Publikums am Zustandekommen der Entscheidung. Kom-<br />

8 Dabei wäre im Weiteren noch zu entscheiden, ob es sich um einen „genuinen Konsens“, den Habermas<br />

beschreibt, handelt, d.h. ein Konsens, der aus denselben Gründen erzielt wird, <strong>oder</strong> eher um Rawls’ „überlappenden<br />

Konsens“, bei dem die TeilnehmerInnen die erzielte Übereinstimmung an ihre je eigenen Weltanschauungen<br />

rückkoppeln (vgl. Habermas 1992; Rawls 2005).<br />

Hinsichtlich der Chancen für einen Konsens macht Cohen geltend, dass sich selbst unter idealen Bedingungen<br />

nicht ohne weiteres eine Übereinstimmung finden lässt, darüber hinaus in der „realen Welt“ die meisten<br />

Gremien unter einem Entscheidungszwang stehen und daher die Diskussion legitimerweise durch das Mehrheitsprinzip<br />

per Abstimmung vorübergehend beendet werden kann (vgl. Cohen 1989: 23).<br />

9 Wie Peters in Bezug zu normativen Konzeptionen der politischen Öffentlichkeit ausführt, sind diese hinsichtlich<br />

der heuristischen Möglichkeiten reichhaltiger als etwa Luhmanns systemtheoretisches Spiegelmodell<br />

(vgl. Peters 1994; Luhmann 1990). Indes sind bei normativen Modellen grundlegende strukturelle Beschränkungen<br />

zu berücksichtigen, so etwa die Bedingungen für die Gleichheit der Beteiligung und der Beteiligungschancen<br />

am öffentlichen Diskurs <strong>oder</strong> die Offenheit für Themen und Beiträge (vgl. Peters 1994).<br />

14


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

munikative Rationalität und die darin begründeten formalpragmatischen Universalien sind<br />

also die Voraussetzungen politischen Handelns und nicht etwa deren Anhängsel.<br />

Freilich fehlen in Cohen’s Modell wichtige interne Differenzierungen sowie die Antwort<br />

auf die Frage, wie das deliberative Verfahren gesamtgesellschaftlich institutionalisiert bzw.<br />

einzelne deliberative Arenen miteinander verknüpft werden müssen, damit sich politische<br />

Entscheidungen legitimieren lassen (vgl. Habermas 1992, s.u.). Diese Differenzierungen<br />

und Erweiterungen des deliberativen Verfahrens von einer individuellen Praxis auf einen<br />

die gesamte Gesellschaft durchdringenden Kommunikationskreislauf legt Jürgen Habermas<br />

1992 in „Faktizität und Geltung“ vor, worin diskurstheoretische Untersuchungen der<br />

Demokratie mit einer prozeduralen Konzeption von (politischer) Öffentlichkeit verknüpft<br />

werden (vgl. Habermas 1992). 10 In der Folge situiert Habermas deliberative Demokratie<br />

nicht nur wie Cohen als eine institutionelle Praxis, sondern als ein eigenständiges normatives<br />

Modell in der politischen Theorie, das zwischen Liberalismus einerseits und Republikanismus<br />

andererseits zu liegen kommt (Habermas 1996). Mit beiden Modellen teilt es<br />

gewisse Aspekte, grenzt sich von ihnen aber dezidiert auch da ab, wo Habermas Probleme<br />

mit der liberalen bzw. der republikanischen Konzeption von Politik ausmacht. 11 Damit<br />

wird das Modell deliberativer Demokratie aber nicht lediglich eine ideale Schnittmenge<br />

von Liberalismus und Republikanismus, sondern geht klar darüber hinaus, wie im Folgenden<br />

gezeigt werden soll.<br />

In einer idealtypischen Konzeption des Liberalismus übernimmt Politik die Vermittlung<br />

gebündelter privater Interessen gegenüber dem Staat, der seinerseits weitestgehend auf<br />

seine administrativen Funktionen beschränkt ist. Nach republikanischer Auffassung geht<br />

dieses Modell indes nicht weit genug, da Politik gleichbedeutend ist mit dem Vergesellschaftungsprozess<br />

im Ganzen. Der Republikanismus entwirft gegenüber dem liberalen<br />

Ideal demnach eine Kommunikationsgemeinschaft, die sich selber organisiert und in der<br />

die Politik die Rolle eines ethischen Selbstverständigungsprozesses einnimmt, der seinerseits<br />

von einem eingespielten Hintergrundkonsens und der Solidarität der Mitglieder der<br />

Gemeinschaft getragen wird. Meinungs- und Willensbildung konstituieren im Republikanismus<br />

das politische Gemeinwesen, im Liberalismus legitimieren sie lediglich die Ausübung<br />

politischer Macht. Neben der administrativen Macht des Staates und dem Eigeninteresse<br />

der Privatpersonen wird die Solidarität der Zivilgesellschaft so zur dritten Kraft gesellschaftlicher<br />

Integration. Mehr noch als im Liberalismus nimmt hier die politische Öffentlichkeit<br />

eine entscheidende Position ein.<br />

Obwohl Habermas die Kritik am Liberalismus in vielen Bereichen teilt, macht er auch<br />

Vorbehalte gegenüber der republikanischen Alternative geltend. Diese richten sich hauptsächlich<br />

gegen die idealistischen Grundannahmen des Republikanismus, der „den demokratischen<br />

Prozess von den Tugenden gemeinwohlorientierte Staatsbürger abhängig macht.<br />

[…] Politik besteht nicht nur, und nicht einmal in erster Linie, aus Fragen der ethischen<br />

Selbstverständigung“ (Habermas 1996: 283, Hervorhebung i.O.). Aus deliberativer Sicht<br />

stellen ethische Selbstverständigungsdiskurse lediglich einen Bereich der Politik dar, zu<br />

denen insbesondere moralische Gerechtigkeitsdiskurse wie auch pragmatische Verhandlungsdiskurse<br />

hinzutreten. Die Diskurstheorie der Demokratie knüpft zwar am republikanischen<br />

Modell an, indem auch unter deliberativen Aspekten den kollektiven Meinungs- und<br />

Willensbildungsprozessen das Hauptinteresse gilt. Nur werden diese nicht als der Aus-<br />

10 Alternative Konzeptionen stellen etwa Rawls „Political Liberalism“ dar, dann aber auch die als „Differenz-Demokratie“<br />

bezeichneten Modelle von Laclau und Mouffe (1991) <strong>oder</strong> Sanders (1996), wie auch das<br />

substantivistische Modell von Gutmann und Thompson (1996, 2004), die neben reinen Verfahrensnormen<br />

auch substantielle Aspekte in ihr Modell aufnehmen.<br />

11 Dabei stellt er klar, dass er seinen eigenen Ansatz zwei stark zugespitzten Formen des Liberalismus bzw.<br />

des Republikanismus gegenüber stellt, um die entscheidenden Unterschiede besser verdeutlichen zu können<br />

(vgl. Habermas 1996).<br />

15


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

druck einer kollektiv handlungsfähigen Bürgerschaft vorgestellt, sondern als Institutionalisierung<br />

entsprechender Beratungsverfahren. Es geht aus deliberativer Sicht also letzten<br />

Endes um die Frage der Ausgestaltung der Interaktion zwischen den TeilnehmerInnen, um<br />

das, was Habermas die „höherstufige Intersubjektivität von Verständigungsprozessen“<br />

(1996: 288, Hervorhebung. i.O.) nennt. Diese Verständigungsprozesse sind als Kommunikationsbedingungen<br />

so zu fassen, dass der mit ihnen begründete politische Prozess die<br />

„Vermutung der Vernünftigkeit“ (Habermas 1996: 291) für sich hat. Praktische Vernunft<br />

wird damit von substantiellen Grundlagen wie etwa den Menschenrechten in die Diskursregeln<br />

und Argumentationsformen selbst (zurück)verlagert. Dabei handelt es sich um diejenigen<br />

Diskursregeln und Argumentationsformen, die wir immer schon voraussetzen müssen,<br />

wenn wir in einen Diskurs eintreten und die also „ihren normativen Gehalt der Geltungsbasis<br />

verständigungsorientierten Handelns, letztlich der Struktur sprachlicher Kommunikation<br />

entlehnen“ (Habermas 1996: 286). 12 Damit sind sowohl die Kommunikation im<br />

politisch-administrativen Zentrum wie auch das weitgespannte Netz politischer Öffentlichkeit<br />

gemeint. Dadurch erfährt auch der republikanische Begriff der Solidarität eine intersubjektivistische<br />

Deutung: Sie bildet nun nicht mehr eine substantielles Substrat, das die<br />

Gemeinschaft voraussetzen muss, sondern entfaltet sich gleichsam „über weit ausgefächerte<br />

autonome Öffentlichkeiten und rechtsstaatlich institutionalisierte Verfahren der demokratischen<br />

Meinungs- und Willensbildung“ (Habermas 1996: 289). Aus dieser deliberativen<br />

Vorstellung von Demokratie ergeben sich auch Konsequenzen für das Verständnis von<br />

Politik, die den Unterschied zur liberalen Konzeption (politischer Prozess als Legitimation)<br />

und zur republikanischen Position (politischer Prozess konstitutiv für die Volkssouveränität)<br />

klar werden lassen. Die beschriebenen Kommunikationsvoraussetzungen und das deliberative<br />

Verfahren führen zu einer diskursiven Rationalisierung von Entscheidungen der<br />

Regierung und Verwaltung – das heisst von administrativer Macht. 13 Deliberative Demokratie<br />

entwirft damit das Bild einer dezentrierten Gesellschaft, in der Souveränität weder<br />

konkretistisch im Volk noch ausschliesslich in verfassungsrechtlichen Kompetenzen verankert<br />

ist. Mit der politischen Öffentlichkeit, so wie sie im nächsten Abschnitt dargestellt<br />

wird, besteht zudem eine Arena für „die Wahrnehmung, Identifizierung und Behandlung<br />

gesamtgesellschaftlicher Probleme“ (Habermas 1996: 291). Gleichzeitig stellt die Rationalisierung<br />

– wie wir weiter unten sehen werden – auch denjenigen Prozess dar, der konstitutiv<br />

ist für die individuelle Meinungs- und Willensbildung, der in Form einer rationalisierten<br />

Lebenswelt dem politischen System entgegenkommt und von dem die Politik ihrerseits<br />

abhängig ist.<br />

2.3 Kritik am deliberativen Modell<br />

Das Konzept der deliberativen Demokratie ist in den letzten Jahren breit diskutiert worden<br />

und hat in diesem Zusammenhang auch kritische Bewertungen erfahren. Einige der Hauptlinien<br />

dieser Kritik sollen an dieser Stelle kursorisch wiedergegeben werden, wobei im<br />

12 In der vorliegenden Untersuchung sind damit in erster Linie die diskursethischen Prämissen gemeint, auf<br />

die sich ein/e AkteurIn einlassen muss, wenn er/sie überhaupt an einer argumentativen Auseinandersetzung<br />

teilnehmen will und die teilweise auch in Cohens Kriterienkatalog vertreten sind. Grob gesagt geht es einerseits<br />

um die formalpragmantischen Geltungsdimensionen der Rede, d.h. worauf sich ein/e SprecherIn bezieht<br />

(objektive Welt, normative Beziehung zwischen AkteurInnen <strong>oder</strong> subjektive „Innenwelt“ des/r Akteurs/in),<br />

wenn er/sie einen Geltungsanspruch erhebt (vgl. Habermas 1981). Andererseits sind damit die eher deliberativen<br />

Aspekte der Rede gemeint, d.h. Reziprozität (inwiefern bezieht sich der/die AkteurIn auf eine/n andere/n<br />

AkteurIn), Reflexivität (inwiefern werden Äusserungen begründet – und wie), wie auch die Frage danach,<br />

wie inklusiv und respektvoll der Diskurs ist (vgl. Habermas 1992). Dies sind denn auch die Kernpunkte<br />

der methodischen Umsetzung (vgl. unten Kapitel 3.4).<br />

13 Wie Habermas ausführt bedeutet Rationalisierung weniger als Konstituierung aber mehr als Legitimation<br />

(vgl. Habermas 1996).<br />

16


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

Folgenden insbesondere die Einwände aus Sicht der Rational Choice und Social Choice<br />

Theory im Vordergrund stehen wie auch die Kritik seitens der „Differenz-Demokratie“.<br />

Aus Sicht der Rational Choice Theory vernachlässigt das deliberative Modell grundsätzlich<br />

die Tatsache, dass politisches Handeln vor allem strategisches Handeln ist, d.h. die politischen<br />

AkteurInnen streben in erster Linie danach, ihre vorgegebenen Präferenzen zu maximieren.<br />

Im Gegensatz zum kommunikativen Aspekt der Politik, der von deliberativer<br />

Seite betont wird, scheint die Rational Choice Theory direkt die Essenz jeglicher Politik zu<br />

beschreiben – das Durchsetzen der eigenen Interessen im Kampf um politische Macht.<br />

Darin wird der deliberative Aspekt von politischen Prozessen zwar nicht gänzlich negiert<br />

aber als Schein-Legitimation von im Grund egoistischen Handlungen entlarvt. Wie sehr<br />

indes der Rational Choice Ansatz den täglichen Erfahrungen mit Politik und politischen<br />

AkteurInnen auch zu entsprechen scheint, so gründet er mit seinem Konzept des egoistischen<br />

Nutzenmaximierers doch auf einer fragwürdigen Grundannahme der menschlichen<br />

Natur. Denn damit die Theorie konsistent bleibt, muss sie voraussetzen, dass die Präferenzen<br />

der AkteurInnen erstens vorgegeben und zweitens gegenüber dem politischen Prozess<br />

invariant sind, d.h. dass sie sich in der politischen Auseinandersetzung nicht ändern. Beiden<br />

Annahmen unterliegt jedoch eine stark behaviouristische Position, die so weder in sich<br />

selbst plausibel wirkt, noch eine genaue Beschreibung der sozialen und politischen Realität<br />

wiederzugeben vermag. Demgegenüber vermag das deliberative Modell nicht nur die Genese<br />

von Präferenzen bzw. Präferenzstrukturen zu erklären, sondern auch diejenigen Interaktionselemente<br />

zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Präferenztransformation ausüben<br />

(vgl. Goodin 2000; Habermas 1992).<br />

Die Social Choice Kritik am Modell der deliberativen Demokratie hingegen fokussiert u.a.<br />

genau auf diesen transformativen Charakter des deliberativen Prozesses. Im Gegensatz zur<br />

Rational Choice Theory hinterfragt die Social Choice Theory nicht so sehr die Relevanz<br />

deliberativer Elemente im politischen Prozess, sondern macht geltend, dass breit institutionalisierte<br />

deliberative Verfahren unter Umständen kontraproduktive Effekte erzielen können.<br />

Dies ist dann der Fall, wenn Deliberation nicht zu einem Konsens, sondern eher dazu<br />

führt, dass weitere und tiefere Differenzen zwischen den AkteurInnen zu Tage gefördert<br />

werden <strong>oder</strong> dass Deliberation in einem unlösbaren Präferenzzyklus mündet. Wenn auch<br />

solche Bedenken durchaus ihre Berechtigung haben, ist es doch grundsätzlich so, dass deliberative<br />

Verfahren eher dazu beitragen, unklare Präferenzordnungen zu entflechten, da<br />

sie es ermöglichen, die Ursachen aufzudecken, die hinter den Präferenzen stehen (vgl.<br />

Dryzek 2000). Natürlich können dadurch ebenso neue Optionen und Aspekte ins Spiel<br />

kommen, aber dadurch muss der politische Prozess nicht automatisch komplexer werden,<br />

noch stellt dies ein konstitutives Merkmal der deliberativen Idee dar. Und selbst wenn<br />

durch eine Diskussion neue Aspekte eines Sachverhaltes zu Tage gefördert werden, so ist<br />

dies kein künstlicher Eingriff von aussen. Vielmehr verhält es sich ja so, dass Deliberation<br />

dazu dienen kann, Konfliktlinien deutlich zu machen und Unstimmigkeiten zu artikulieren<br />

– und sie im Idealfall einem Konsens zuzuführen.<br />

Während die Social Choice Theory in ihrer Kritik vor allem auf die Durchführbarkeit deliberativer<br />

Verfahren bzw. deren unbeabsichtigten Konsequenzen abzielt, geht es „Differenz-Demokraten“<br />

wie etwa Sanders (1996) <strong>oder</strong> Laclau und Mouffe (1991) um den Begriff<br />

der kommunikativen Rationalität, auf dem die Deliberation fusst. Ihrer Meinung nach<br />

führt die rationale Form der Argumentation dazu, dass bestimmte Akteursgruppen durch<br />

das deliberative Verfahren bevorzugt und andere benachteiligt werden – in erster Linie die,<br />

mit einer geringeren Bildung. Trotz des Inklusivitätskriteriums werden sie von der Deliberation<br />

ausgeschlossen, da sie über weniger Fertigkeiten und Erfahrung in der Debattierkunst<br />

verfügen. Mehr noch aber als bestimmte Akteursgruppen schliesst die Deliberation<br />

auch all jene Sichtweisen und affektiven Komponenten gegenüber einem Sachverhalt aus,<br />

die sich nicht so ohne weiteres in die Form rationaler Argumentation übersetzen lassen.<br />

17


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

Damit muss letzten Endes das Modell der deliberativen Demokratie selbst als eine verzerrte<br />

Form der Kommunikation erscheinen – eine Schlussfolgerung, die sowohl das Ziel der<br />

deliberativen Demokratie wie auch die empirische Brauchbarkeit des Modells in Frage<br />

stellt. Denn einerseits würde eine getreue Umsetzung des deliberativen Gedankens in politische<br />

Institutionen und Verfahren zu einer Elitedemokratie führen, die ja gerade den deliberativen<br />

Egalitätsforderungen entgegenlaufen würde. Andererseits scheint es aber auch<br />

unmöglich, die wesentlichen Elemente der politischen Auseinandersetzung anhand des<br />

deliberativen Modells zu erfassen, da es nur einen – zudem verzerrten – Ausschnitt der<br />

Realität zu erfassen vermag. In der Konsequenz würde dies heissen, dass wir nicht nur mit<br />

einer lückenhaften empirischen Datenbasis arbeiten würden, da alles ausserhalb der streng<br />

rational-argumentativen Form der Debatte unberücksichtigt bliebe. Implizit würde damit<br />

auch ein präskriptives Urteil über richtiges und falsches Debattieren gefällt, was dem deliberativen<br />

Modell zuwider läuft, sind darin doch alle jederzeit berechtigt über jedes Thema<br />

(inklusive un- <strong>oder</strong> vorpolitischer Themen) zu sprechen. 14<br />

Nun haben „Differenz-Demokraten“ sicherlich Recht, wenn sie ein robusteres und umfassenderes<br />

Konzept von kommunikativer Rationalität einfordern. Indes führt ihre Position zu<br />

zwei zentralen Schwierigkeiten, die besser im deliberativen als im Differenz-Modell gelöst<br />

werden können. Zunächst sind alle anderen Formen der Kommunikation, seien dies nun<br />

Gedichte, Geschichten, Tänze, o.ä. ebenso verzerrt wie rationale Argumentation, werden<br />

dadurch doch auch diejenigen bevorzugt, die besonders talentiert und erfahren sind. Noch<br />

grundsätzlicher ist aber anzumerken, dass Gedichte, usw. nur dann sinnvolle Mittel der<br />

Deliberation sind, wenn der/die HörerIn die Sprecherintention rekonstruieren kann, d.h. die<br />

Geltungsansprüche ermitteln kann, die durch ein Gedicht <strong>oder</strong> eine Geschichte erhoben<br />

werden. Bereits hier werden also wieder die universalpragmatischen Aspekte jeglicher<br />

Kommunikation offenbar. Wenn es aber SprecherIn und HörerIn nicht gelingt, den intendierten<br />

Sinn zu rekonstruieren, bleibt ihnen nur die Option, sich auf (eine breit definierte)<br />

rationale Argumentation zu verlassen, um die in Frage stehenden Geltungsansprüche zu<br />

thematisieren. Damit soll nicht gesagt sein, dass rationale Argumentation logisch vorrangig<br />

ist vor anderen Formen der Kommunikation, sondern lediglich, dass wir in einen diskursiven<br />

Modus der Sprache wechseln können, wann immer andere Interaktionsformen nicht<br />

genügend erfolgreich erscheinen.<br />

2.4 Deliberative Demokratie und Öffentlichkeit<br />

Mit dem kurzen Überblick über einige der prominentesten Einwände gegen das deliberative<br />

Modell werden zwar die Grundlagen der Deliberation besser herausgearbeitet, jedoch ist<br />

damit noch nichts darüber gesagt, wie Deliberation auf einer gesamtgesellschaftlichen<br />

Ebene funktionieren soll. Das soll nun im Folgenden geschehen, denn einer der Kernpunkte<br />

des Habermas’schen Ansatzes ist die Rolle der Öffentlichkeit im deliberativen Verfahren.<br />

Ist Öffentlichkeit wenigstens dem Sinn nach in der Forderung der Inklusivität bereits<br />

bei der einzelnen Beratung gegeben, so ist indes auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu<br />

klären, wie einzelne deliberative Arenen miteinander zu verknüpfen sind, damit ihre Ergebnisse<br />

die „Vermutung der Vernunft“ für sich haben. Diesen Wechsel von der Mikro-<br />

zur Makroebene vollzieht Habermas, indem er eine an Peters (1994) angelehnte prozedurale<br />

Konzeption von politischer Öffentlichkeit entwirft.<br />

14 Dabei handelt es sich jedoch auch bei (zunächst) unpolitischen Themen natürlich stets um gesellschaftlich<br />

relevante Anliegen. Häusliche Gewalt etwa war lange ein unpolitisches Thema, das sich seinen Weg in die<br />

öffentliche Diskussion erst bahnen musste. Dagegen ist die absteigende Präferenzordnung eines/r bestimmten<br />

Akteurs/in bezüglich seiner Lieblingsspeisen (Perlhuhn > Pasta > Salat) zwar auch unpolitisch, aber in aller<br />

Regel wohl kaum gesellschaftlich relevant.<br />

18


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

Im Gegensatz zu früheren Konzeptionen, wie sie Habermas insbesondere mit dem „Strukturwandel<br />

der Öffentlichkeit“ (vgl. Habermas 1990) entwirft, geht er nun nicht mehr von<br />

einer Vorstellung von Öffentlichkeit als fester Struktur der zum Publikum versammelten<br />

Privatleute aus, die durch den wachsenden Kulturkonsum ihre politische Funktion weitgehend<br />

eingebüsst hat. Öffentlichkeit wird nun selbst als Resultat eines politischen Prozesses<br />

gedacht, der die zivilgesellschaftliche Peripherie mit dem politisch-administrativen Zentrum<br />

in Beziehung setzt. Dies ist eine weitaus differenziertere und dynamischere Sichtweise,<br />

die sich deutlich vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ abgrenzt. Dort hiess es nämlich<br />

noch im eher pessimistischen Tonfall der kritischen Theorie der 1960er Jahre: „Der<br />

Prozess des politisch relevanten Machtvollzugs und Machtausgleichs spielt sich direkt zwischen<br />

den privaten Verwaltungen, den Verbänden, den Parteien und der öffentlichen Verwaltung<br />

ab; das Publikum als solches wird in diesen Kreislauf der Macht sporadisch und<br />

auch dann nur zu Zwecken der Akklamation einbezogen“ (Habermas 1990: 268-269).<br />

Wenn das Publikum aber mehr als nur Zulieferer von Zustimmung sein soll – und sein<br />

kann, d.h. wenn es eine echte Chance auf Einfluss haben soll, dann reicht eine solche starre<br />

Konzeption von Politik und Öffentlichkeit nicht aus. Das deliberative Modell unterscheidet<br />

sich denn auch vor allem in seiner Auffassung von politischer Öffentlichkeit als einem<br />

dynamischen, komplexen gesamtgesellschaftlichen Prozess. Gleichzeitig wird in der deliberativen<br />

Konzeption auch deutlich, dass politische Macht immer einem öffentlichen<br />

Rechtfertigungszwang unterworfen ist – auch und insbesondere im Fall eines eher „akklamatorischen“<br />

Kreislaufs (s.u.).<br />

Schematisch lässt sich der politische Prozess in mehrere Etappen unterteilen: AkteurInnen<br />

der zivilgesellschaftlichen Peripherie wie bspw. lokal institutionalisierte Bürgervereinigungen<br />

verfügen wegen ihrer stärkeren Verankerung in der Lebenswelt über sensiblere<br />

„Antennen“, was gesellschaftliche Probleme anbelangt. Diese nur lose organisierten Vereinigungen<br />

statten zunächst problembezogene Themen mit Beiträgen und Meinungen aus<br />

und dramatisieren sie etwa anhand konkreter Einzelschicksale so, dass sie von kleineren<br />

Teilöffentlichkeiten in grössere gelangen. Dort werden sie von den Massenmedien aufgenommen<br />

und ins politisch-administrative Zentrum getragen. Im Zentrum zwingen der publizistische<br />

Einfluss bzw. die kommunikative Macht den Apparat aus Regierung, Parlament<br />

und Verwaltung von seinem Routinekreislauf auf einen „aussergewöhnlichen“ Problemverarbeitungsmodus<br />

umzustellen, d.h. die artikulierten Probleme aufzunehmen und Lösungen<br />

zu formulieren. Schliesslich werden die erarbeiteten Lösungen via zentrumsnahe Behörden,<br />

Verbände, die Medien usw. wieder an die Peripherie rückgekoppelt. Eine so gedachte<br />

politische Öffentlichkeit, die demokratische Politik als einen gesamtgesellschaftlichen<br />

Prozess entwirft, beschreibt das Ideal eines Machtkreislaufes, der die Peripherie mit<br />

dem Zentrum über verschiedene Kommunikationskanäle und -schleusen als einem komplexen<br />

Netzwerk verbindet (vgl. Habermas 1992: 399 ff.).<br />

Wenn wir diesen idealen Typus der politischen Öffentlichkeit unter dem Eindruck der<br />

grösseren politischen Debatten der letzten Jahre und Jahrzehnte betrachten, so wird zwar<br />

klar, dass die zivilgesellschaftliche Peripherie durchwegs an politischem – d.h. kommunikativem<br />

– Gewicht gewonnen hat. Dennoch ist die Form deliberativer Öffentlichkeit, wie<br />

sie von Habermas skizziert wird, eher die Ausnahme als die Regel. 15 Unabhängig davon<br />

15 Dennoch, so Habermas, gibt es solche Ausnahmen durchaus und die zivilgesellschaftlichen AkteurInnen<br />

können „unter Bedingungen einer wahrgenommenen Krisensituation eine überraschend aktive und folgenreiche<br />

Rolle spielen“ (1992: 460).<br />

Ergänzend ist hier zudem anzumerken, dass Habermas offensichtlich eher an rein repräsentative Formen der<br />

Demokratie denkt, die den BürgerInnen lediglich bei Wahlen der Legislative und der Exekutive die Möglichkeit<br />

der Teilnahme am politischen Prozess zusichern. In der Schweiz stellt sich die Situation durch die direktdemokratischen<br />

Verfahren der Initiative bzw. des obligatorischen und fakultativen Referendums freilich<br />

anders dar. Und auch wenn nicht alle Abstimmungsvorlagen aus der Zivilgesellschaft selbst heraus entstehen,<br />

19


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

haben sich die Massenmedien aber immer mehr zu derjenigen zentralen intermediären Instanz<br />

entwickelt, die Peripherie und Zentrum miteinander in Beziehung setzt. Sie sind ein<br />

wichtiger und wirksamer Bestandteil des Kreislaufes auf der Input- wie auf der Output-<br />

Seite (vgl. Habermas 1992: 399 ff.). Darüber hinaus kommt ihre Rolle aber auch dann zu<br />

tragen, wenn der politische Kreislauf seinen Ursprung nicht in der Peripherie, sondern im<br />

Zentrum hat – was in der überwiegenden Zahl der Fälle zutrifft. 16 Dieser besonderen Stellung<br />

der Medien trägt Habermas Rechnung, indem er die „Publizisten“ als eigene Akteursklasse<br />

identifiziert und ihnen im Falle der Massenmedien eine Mandatarsfunktion zuschreibt.<br />

Diese besteht insbesondere darin, dass sich die Medien „der Anliegen und Anregungen<br />

des Publikums annehmen und den politischen Prozess im Lichte dieser Themen<br />

und Beiträge einem Legitimationszwang und verstärkter Kritik aussetzen“ (1992: 457). 17<br />

Damit wird aber letztlich auch klar, dass die Massenmedien nicht nur als reine Diskursübermittelnde,<br />

sondern viel entscheidender noch als Diskursteilnehmende auftreten. Anhand<br />

dieser Unterscheidung lässt sich dann ein regelmässiger – wenngleich schwächerer –<br />

deliberativer Politikkreislauf entwerfen, in dem die Peripherie durch die Mandatarsfunktion<br />

der Medien kommunikativ präsent ist und das Zentrum einem argumentativen Legitimationsdruck<br />

ausgesetzt wird.<br />

2.5 Deliberative Demokratie und Massenmedien<br />

Bisherige empirische Umsetzungen des deliberativen Verfahrens haben vorwiegend aus<br />

politologischer Perspektive den argumentativen Austausch entweder in demokratischen<br />

Körperschaften des politisch-administrativen Zentrums <strong>oder</strong> dann in lose organisierten<br />

Vereinigungen an der Peripherie fokussiert. 18 Aus medienwissenschaftlicher Sicht verschiebt<br />

sich das Interesse dagegen auf die intermediären Instanzen, insbesondere die Massenmedien,<br />

die im „kommunikativen Kreislauf“ zwischen Peripherie und Zentrum liegen<br />

und bisher mit wenigen Ausnahmen von der Forschung konsequent ausgeklammert worden<br />

sind. 19 Einzig das Internet hat in den letzten Jahren – abermals aber hauptsächlich von poli-<br />

so ist ihre Position im politischen Prozess doch weitaus stärker als die in vergleichbaren Repräsentativ-<br />

Systemen.<br />

16 Habermas unterscheidet neben dem „idealen“ Kreislauf, der von der Peripherie aus beginnt, zwei andere<br />

Typen, die jeweils im Zentrum ihren Ausgang nehmen und entweder der Legitimationsbeschaffung dienen<br />

<strong>oder</strong> lediglich andere Instanzen inklusive der Peripherie über Vorgänge und Entscheidungen informieren<br />

wollen (vgl. Habermas 1992). Dem ist indes noch ein vierter Modus hinzuzufügen. Neben Kreisläufen die<br />

entweder vom Zentrum <strong>oder</strong> der Peripherie initiiert werden, kann der Impuls auch aus dem Bereich dazwischen,<br />

nämlich von den Medien selbst kommen. Diese Möglichkeit entgeht Habermas, da die umfassende<br />

Vorlage von Cobb et al. (1976), auf der er seinen eigenen Ansatz des politischen Kreislaufes entwirft, gemäss<br />

den Autoren sowohl auf nicht-entwickelte Gemeinschaften wie entwickelte Gesellschaften anwendbar sein<br />

soll. Als Folge davon können all jene (potentiellen) Kreisläufe nicht in dem Modell verortet werden, die wie<br />

die Massenmedien eine spezifische Akteursklasse und damit eine spezifische Verlaufsstruktur der (westlichen)<br />

M<strong>oder</strong>ne bilden.<br />

17 Damit ist nicht gesagt, dass die Medien immer und ausschliesslich die Position der Peripherie einnehmen<br />

sollen. Dies ist lediglich für die beiden häufigsten Formen der politischen Öffentlichkeit, die ihren Ausgangspunkt<br />

im Zentrum haben, der Fall.<br />

18 Vgl. den Forschungsüberblick in Kapitel 2.7.<br />

19 Gerhards’ (1997) Untersuchung der Abtreibungsdebatte in Deutschland von 1970-1994 und Kriesis (2005)<br />

Analyse der Abstimmungskommunikation in Deutsch- und Westschweizer Zeitungen zwischen 1981 und<br />

1999 bilden hier in Bezug zu den Printmedien die Ausnahme – wobei Gerhards’ Untersuchung gleichzeitig<br />

einen der ersten Versuche darstellt, das Habermas’sche Modell empirisch fruchtbar zu machen. Problematisch<br />

ist dabei indes, dass Gerhards zwar die mediale Berichterstattung analysiert, die JournalistInnen als<br />

eigenständige AkteurInnen aber explizit ausklammert. Würden sie mit einbezogen, so Gerhards, ergäbe sich<br />

ein anderer – eher deliberativer – Befund der öffentlichen Debatte. Kriesi hingegen beschränkt seine Untersuchung<br />

auf politische Inserate und bezieht die politische Berichterstattung gar nicht erst in seine Untersuchung<br />

mit ein.<br />

20


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

tologischer Seite her – grössere Beachtung gefunden. Hier sind v.a. die Arbeiten zu nennen,<br />

die sich aus der Perspektive der „e-democracy“ mit den neuen Kommunikationstechnologien<br />

befassen (vgl. Kies, Jansen 2005; Dahlberg 2001a, b).<br />

Die meisten dieser Studien konzentrieren sich auf das Ideal des (genuinen) Konsens und<br />

untersuchen etwa, welche Auswirkungen unterschiedliche Rahmenbedingungen auf den<br />

Diskursverlauf haben und/<strong>oder</strong> wie sich die Endergebnisse etwa von parlamentarischen<br />

Debatten unterscheiden, je nach dem wie deliberativ die vorgängige Diskussion verlief. Im<br />

ersten Fall geht es um systematische Unterschiede in den formalen Diskussionsbedingungen<br />

wie etwa die Inklusivität der beteiligten AkteurInnen, die Möglichkeiten des Rollenwechsels<br />

zwischen SprecherIn und HörerIn, Redezeiten, usw., die den Diskussionsverlauf<br />

und mithin die Diskursqualität beeinflussen. Die Überlegung hinter dem zweiten Punkt<br />

hingegen, der bisher v.a. von Steiner et al. (2004) untersucht worden ist, besteht darin, dass<br />

sich konsensuell getroffene Entscheidungen wegen ihrer „Höherwertigkeit“ gegenüber<br />

reinen Mehrheitsentscheiden nicht nur durch ihr Zustandekommen, sondern unter Umständen<br />

auch in ihrem Inhalt unterscheiden. Dieser Aspekt wird in der gängigen theoretischen<br />

Literatur nicht thematisiert. Es liesse sich aber bspw. postulieren, dass Entscheidungen, die<br />

im Konsens erzielt worden sind, eher Rawls’ Differenzprinzip entsprechen <strong>oder</strong> dass sie<br />

sich generell stärker am Allgemeinwohl orientieren. 20<br />

Das vorliegende Projekt nimmt einen Teil dieser Anliegen auf, indem es unterschiedliche<br />

Sprachregionen (Deutschschweiz vs. Romandie), Mediengattungen (Radio und Fernsehen<br />

vs. Internet) und wirtschaftliche Stellung (öffentliche vs. privat finanzierte Sender) untersucht<br />

und danach fragt, wie sich diese medialen Rahmenbedingungen auf den Diskussionsverlauf<br />

auswirken. Im Gegensatz zu den politologischen Ansätzen geht es aber nicht<br />

darum aufzuzeigen, wie nahe die Diskussion in den unterschiedlichen Formaten an einen<br />

Konsens der TeilnehmerInnen führt. Vielmehr interessiert hier, welche AkteurInnen und<br />

Sichtweisen zu Wort kommen, wie sie sich selbst und insbesondere von den Medien zueinander<br />

in Beziehung setzen bzw. gesetzt werden. Hingegen spielt es eine untergeordnete<br />

Rolle, ob Diskussionen überhaupt zu einem konkreten Endergebnis führen, auf das sich<br />

alle Teilnehmenden verständigen können. Denn erstens handelt es sich bei den untersuchten<br />

deliberativen Arenen nicht um staatliche Körperschaften, die unter einem Entscheidungszwang<br />

stehen. Und zweitens besteht die allgemeine Intention der ProduzentInnen der<br />

untersuchten Sendungen wie auch bei den Internetforen ja darin, den RezipientInnen unterschiedliche<br />

Meinungen zu präsentieren und sie miteinander in Verbindung zu setzen. Diese<br />

externe, sprich öffentliche Deliberation, fungiert dann als Input für das interne, private<br />

Abwägen der RezipientInnen, was Robert E. Goodin (2000) „deliberation within“ nennt<br />

und womit er ein Modell der individuellen Meinungs- und Willensbildung beschreibt. Diesem<br />

Zusammenhang zwischen öffentlicher Diskussion und privater Meinungsbildung soll<br />

nun im Folgenden nachgegangen werden.<br />

Im vorliegenden Projekt werden die Medien – d.h. der/die M<strong>oder</strong>atorIn – als eigenständige AkteurInnen<br />

betrachtet und je nach Fragestellung zusammen mit den anderen AkteurInnen <strong>oder</strong> gesondert ausgewertet.<br />

20 Rawls hat das „Differenzprinzip“ im Rahmen seiner Theorie der Gerechtigkeit ausgearbeitet, um aufzuzeigen,<br />

wie eine demokratische Ordnung verfasst sein muss, „wenn man jedermann als moralisches Subjekt<br />

gleich behandeln will und die Anteile der Menschen an den Früchten und Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit<br />

nicht durch gesellschaftliche <strong>oder</strong> natürliche Zufälligkeiten bestimmen lassen möchte“ (Rawls<br />

1979: 95). Das Differenzprinzip greift also dort ein, wo keine eindeutige Regelung besteht und unterschiedliche<br />

Formen der Chancenverteilung möglich sind. Es definiert, „dass die Gesellschaftsordnung nur dann<br />

günstigere Aussichten für Bevorzugte einrichten darf, wenn das den weniger Begünstigten zum Vorteil gereicht“<br />

(vgl. Rawls 1979: 96).<br />

21


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

2.6 Öffentliche und private Deliberation<br />

Es mag zunächst eigentümlich erscheinen, dass Goodin sich auf private Meinungs- und<br />

Willensbildungsprozesse konzentriert, ist doch deliberative Demokratie ihrem Charakter<br />

nach eine Form der öffentlichen Erörterung wie er selbst einräumt: „democracy is quintessentially<br />

a manner of collective decision-making, in which everyone participates on an<br />

equal footing“ (2000: 81, Hervorhebung v. Verf.). Dieser Einsicht entsprechend, hat sich<br />

der theoretische Diskurs vornehmlich auf diese „externen“, kollektiven Prozesse des argumentativen<br />

Austauschs verlegt, denn politische Legitimität ergibt sich ja primär aus der<br />

Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass Deliberation<br />

grundsätzlich das Abwägen eines Für und Wider ist und damit einen Prozess beschreibt,<br />

„[which] can and must take place within the head of each individual“ (Goodin<br />

2000: 81, Hervorhebung v. Verf.). Genau diesen privaten Aspekt der Deliberation will<br />

Goodin nun stärker herausarbeiten, um das deliberative Modell zu entlasten bzw. die bestehenden<br />

Formen und Ansätze zu ergänzen. Denn wie unschwer nachzuvollziehen ist,<br />

besteht ein Grundproblem des deliberativen Ansatzes darin, dass er in Massendemokratien<br />

nicht mehr praktikabel ist – es ist schlichtweg unmöglich, dass alle mit allen über alles<br />

(Politische) beraten und dann noch zu einem Konsens finden. 21 Theoretiker der deliberativen<br />

Demokratie haben für dieses Problem bisher zwar verschiedene Lösungen vorgelegt,<br />

etwa Deliberation in überschaubaren Untergruppen, „Ersatz-Deliberation“ wie sie etwa<br />

durch Parlamente in repräsentativen Demokratien verkörpert wird, usw. – Lösungen, bei<br />

denen Goodin indes jeweils spezifische Defizite ausmacht. Im Zusammenhang des vorliegenden<br />

Projekts ist es insbesondere interessant, dass Goodin auch eine vermittels Massenmedien<br />

stattfindende Deliberation kritisch bewertet, da die Medien unweigerlich zu einer<br />

Art „öffentlicher Pinnwand“ verkommen, auf der alle ihre Meinung kund tun, aber nur<br />

wenige sich mit der Position anderer auseinandersetzen, geschweige denn sich in ihren<br />

eigenen Beiträgen auf die Aussagen von anderen beziehen. Hier sieht Goodin denn auch<br />

einen Defizit in Habermas’ Konzeption, räumt dieser doch den Medien in seinem Modell<br />

eine zentrale Stellung ein. Allerdings übersieht Goodin dabei, dass es Habermas zum einen<br />

darum geht, das deliberative Moment im bestehenden politischen System herauszuarbeiten.<br />

Zum anderen verknüpft Habermas ja unterschiedliche Arenen und Diskussionsmodi – zivilgesellschaftlich,<br />

massenmedial, parlamentarisch, usf. – in der begründeten Vermutung,<br />

dass sich so die Defizite der einzelnen Arenen zwar nicht gänzlich kompensieren, aber die<br />

Ergebnisse letzten Endes immerhin die Vermutung der Vernunft für sich haben. Und<br />

schliesslich ist Goodins pauschale Einschätzung der Medien natürlich dahingehend zu<br />

stark vereinfachend, als dass die Medien auf diese Weise lediglich in ihrer Rolle als Diskursvermittelnde,<br />

nicht aber als eigenständige Akteure wahrgenommen werden, die am<br />

Diskurs teilnehmen. Gerade darum geht es aber im vorliegenden Projekt – um die Rolle<br />

der Medien in ihrer Vermittlung öffentlicher Deliberation und in ihrer Rolle als Diskursteilnehmende,<br />

und zwar innerhalb der öffentlichen Arena aber auch zwischen der öffentlichen<br />

und der privaten Sphäre des Rezipienten/der Rezipientin.<br />

Folgt man Goodins Argument, so ist „deliberation within“ immer schon ein Bestandteil<br />

jeglicher argumentativen Auseinandersetzung, ob nun öffentlich <strong>oder</strong> privat. Daher bildet<br />

sie nicht nur eine Ergänzung zu den bestehenden Formen der Deliberation, sondern ist quasi<br />

die Verbindung zwischen privatem und öffentlichem Raum. 22 Denn in beiden Sphären<br />

versucht der/die RezipientIn <strong>oder</strong> der/die an der Diskussion direkt Teilnehmende, die In-<br />

21 Dahl veranschaulicht das „deliberative Dilemma“ anhand einer einfachen Rechnung: „if an association<br />

were to make one decision a day, allow ten hours a day of discussion, and permitted each member just ten<br />

minutes – rather extreme assumptions […] – then the association could not have more than sixty members”<br />

(Dahl 1972: 68, Hervorhebung v. Verf.).<br />

22 „Internal-reflective deliberations are not a substitute for, but rather an input into, external-collective decision<br />

procedures“ (Goodin 2000: 109, Hervorhebung v. Verf.).<br />

22


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

tention des/der Sprechers/in zu rekonstruieren, um der Aussage Sinn zu verleihen. Wenn<br />

man diesen grundlegenden Aspekt der Kommunikation betont, dass jede/r HörerIn versucht,<br />

den/die SprecherIn kognitiv zu vergegenwärtigen bzw. seine/ihre Intention zu rekonstruieren,<br />

und diesen Aspekt insbesondere auf den/die RezipientIn bezieht, dann verlagert<br />

sich der Fokus des „deliberativen Dilemmas“. Es geht nun nicht mehr darum, allen<br />

AkteurInnen möglichst eine kommunikative Präsenz in der öffentlichen Diskussion zu gewähren,<br />

sondern darum, den/die RezipientIn in die Lage zu versetzen, eine „imaginative“<br />

Präsenz realer (aber auch fiktionaler) AkteurInnen herstellen zu können. Spätestens der<br />

Begriff der „imaginativen Präsenz“, die dadurch zustande kommt, dass der/die Einzelne<br />

reale und fiktionale AkteurInnen bzw. deren Positionen verinnerlicht und miteinander in<br />

Beziehung setzt, zeigt, wie stark Goodin an der Grundidee von Meads (vgl. Mead 2002)<br />

symbolischen Interaktionismus anknüpft. Dabei geht es aber nicht so sehr um kooperative<br />

<strong>oder</strong> kompetitive (Sprach-)Spiele, sondern im Idealfall um eine reflexive Auseinandersetzung<br />

der unterschiedlichen Positionen.<br />

Natürlich ist damit keineswegs garantiert, dass alle Stimmen eine „faire Vertretung“ haben,<br />

die innerhalb des Individuums miteinander im Widerstreit liegen. Im Gegenteil, oftmals<br />

wird es so sein, dass unliebsame Gesichtspunkte nur unzureichend ein inneres Gehör finden,<br />

verkürzt <strong>oder</strong> verzerrt wiedergegeben werden – „[n]o one can imagine someone else’s<br />

interests, position and perspective as richly as that person herself experiences them“<br />

(Goodin 2000: 103, Hervorhebung v. Verf.). Darum, betont Goodin, ist öffentliche Deliberation<br />

der rein privaten überlegen, weil sie anderen AkteurInnen die Chance einräumt, ihren<br />

eigenen Standpunkt darzulegen, Fehlinterpretationen zu korrigieren, usw. 23 „Deliberation<br />

within“ ist lediglich ein anderer Weg, das „deliberative Dilemma“ zu lösen, der zwar<br />

gegenüber den bisherigen Lösungen gewisse Nachteile aufweist, aber eben auch eigene<br />

Vorzüge hat: „[t]he proposal here is to let internal-reflective deliberations inform and<br />

supplement external-collective ones in large groups“ (Goodin 2000: 102, Hervorhebung v.<br />

Verf.). Mehr noch als das, komplettiert die Form der internen-reflexiven Deliberation das<br />

Habermas’sche Modell der politischen Öffentlichkeit als Prozess, indem sie neben der öffentlichen<br />

Debatte den (immer schon vorhandenen) privaten Charakter der Deliberation<br />

betont. Gerade aus der Perspektive des Habermas’schen Policy-Zyklus, der die Zivilgesellschaft<br />

mit dem politisch-administrativen Zentrum in Verbindung setzt, bildet die interne<br />

Deliberation dann nicht nur eine zusätzliche Ebene, die den ganzen Prozess über vorhanden<br />

ist, sondern auch gewissermassen den Anfangs- und Endpunkt eines vollständigen<br />

(idealen) Kreislaufs.<br />

Das vorliegende Projekt untersucht nun zwar in erster Linie den externen, öffentlichen<br />

Diskurs, bezieht dabei aber die interne, private Perspektive mit ein, insofern der öffentliche<br />

Austausch ja auch mindestens einen Teil der Grundlage der internen Deliberation ausmacht.<br />

Von Interesse ist aus dieser Perspektive dann insbesondere, wie dieser öffentliche<br />

Input strukturiert ist, d.h. welche AkteurInnen wie zu Wort kommen, wie sie sich darstellen,<br />

ob und wie sie sich zueinander in Beziehung zueinander setzen bzw. Gegenargumente<br />

aufnehmen, ihre eigenen Standpunkte begründen, usw. Mithin geht es also darum, anhand<br />

der idealen deliberativen Kriterien den realen Zustand der Debatte zu untersuchen, um so<br />

zu Aussagen über die Diskursqualität als einem konstitutiven Aspekt der Meinungs- und<br />

Willensbildung zu gelangen. Dabei steht die Bedeutung der grundlegenden Kontext-<br />

Bedingungen im Vordergrund, d.h. welchen Einfluss der Medientyp (hier v.a. Radio und<br />

Fernsehen gegenüber Internet), der Finanzierungsmodus der Medien (öffentlich gegenüber<br />

privat) wie auch sprachregionale Unterschiede (Deutschschweiz gegenüber Romandie) auf<br />

23 „In real conversation between real people there is a constant cross-checking and renegotiation of meaning<br />

[…] a code of dyadically shared meanings emerges” (Goodin 2000: 101, Hervorhebung v. Verf.).<br />

23


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

die Diskursstruktur haben. 24 Bei Radio und Fernsehen interessiert dabei zusätzlich, inwiefern<br />

die Medien nicht nur eine Plattform für die AkteurInnen aus Politik und Gesellschaft<br />

bereitstellen, sondern selbst als Diskursteilnehmende auftreten. Internetforen hingegen<br />

geben den RezipientInnen die Möglichkeit, die Diskussion selber aktiv mitzugestalten und<br />

so ihre Meinung im Austausch mit anderen Teilnehmenden zu bilden. Hier interessiert<br />

demnach auch, inwiefern sich dieser mediale Diskurs, der durch seine (potentiell) stärkere<br />

Einbindung der Peripherie noch unmittelbarer mit der internen Deliberation verbunden ist,<br />

von den traditionellen elektronischen Medien Radio und Fernsehen unterscheidet.<br />

Dass mit diesem Ansatz weitgehend Neuland in der empirischen Forschung betreten wird,<br />

lässt sich anhand des Standes der existierenden Untersuchungen und ihrer Umsetzungsversuche<br />

zeigen, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden sollen. 25<br />

2.7 Empirische Ansätze der Deliberation<br />

Gerhards’ (1997) Studie über den deutschen Abtreibungsdiskurs zwischen 1970 und 1994<br />

stellt einen der ersten Versuche dar, das deliberative Modell empirisch umzusetzen und gilt<br />

heute immer noch als die einzige grössere diachrone Studie. 26 Gerhards Erkenntnisinteresse<br />

gilt hauptsächlich der Frage, ob die Öffentlichkeit, die durch die Abtreibungsdebatte<br />

konstituiert wird, dem deliberativen Ideal von Habermas’ Modell entspricht <strong>oder</strong> eher mit<br />

der liberalen Konzeption des Markplatzes von Ideen und Argumenten zu vergleichen ist. 27<br />

Die Resultate der Studie weisen überwiegend in die liberale Richtung, wenngleich<br />

Gerhards einräumt, dass seine Schlussfolgerungen anders ausfallen würden, wenn man die<br />

JournalistInnen als eigenständige DiskursakteurInnen gewertet hätte – was genau ihrer<br />

Definition im vorliegenden Projekt entspricht. 28 Gerhards untersucht demnach vornehmlich<br />

den medialen Diskurs – ohne jedoch die Medien selbst in ihrer Rolle als<br />

Diskursteilnehmende in die Untersuchung mit einzubeziehen. Darüber hinaus begreift<br />

Gerhards die Abtreibungsdebatte als ein homogenes Ganzes, wodurch es unmöglich wird,<br />

kollektive Lernprozesse nachzuzeichnen.<br />

Steiner et al. (2004) konzentrieren sich auf Parlaments- und Kommissionsdebatten in der<br />

Schweiz, Grossbritannien, Deutschland und den USA und präsentieren damit bis dato die<br />

einzige international vergleichende Studie über deliberative Verfahren. Ihre Untersuchung<br />

folgt der Fragestellung, wie sich systematische Unterschiede im institutionellen Design auf<br />

den Diskurs auswirken und ob ein Zusammenhang zwischen deliberativer Qualität auf der<br />

einen Seite und den konkreten Ergebnissen der Debatte auf der anderen Seite besteht. Wie<br />

sie feststellen, spielt die Diskursqualität tatsächlich dann eine Rolle, wenn politische<br />

Fragen nur schwach polarisiert sind <strong>oder</strong> wenn der Entscheidungsprozess bereits<br />

24 Vgl. das methodische Vorgehen von Steiner et al. (2004) bei ihrer Untersuchung von Parlamentsdebatten.<br />

Auch hier stand die Frage im Vordergrund, ob und wie sich unterschiedliche politische Systeme als unabhängige<br />

Variable auf die Diskursqualität der Debatten als abhängige Variable auswirken.<br />

25 Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass nicht von der Umsetzung des deliberativen Modells im eigentlichen<br />

Sinn gesprochen werden kann, wie im Folgenden auch zu sehen sein wird.<br />

26 Gerhards’ Artikel ist eine prägnante Zusammenfassung des deutschen Teils eines grösseren Projektes, in<br />

dessen Rahmen die Abtreibungsdiskurse in Deutschland und den USA untersucht wurden (vgl. Ferree et al.<br />

2002; Gerhards et al. 1998).<br />

27 Gerhards wählt die Abtreibungsdebatte, weil sie Habermas’ Konzept des „aussergewöhnlichen Kreislaufs“<br />

entspricht und damit dem deliberativen Ideal eines Politikkreislaufs, der seinen Ursprung in der Peripherie<br />

nimmt, möglichst nahe kommt. Die im vorliegenden Projekt vorgenommene Unterscheidung zwischen den<br />

Medien als Diskursplattform und Diskursteilnehmende erlaubt es indes, auch einen regelmässigen –<br />

wenngleich schwächeren – Kreislauf zu entwerfen, der hinsichtlich seiner Diskursqualität analysiert werden<br />

kann (s.o.).<br />

28 Hierbei ist anzumerken, dass die Datenbasis von Gerhards Studie nicht nur journalistisch aufbereitete<br />

Medienangebote berücksichtigt, sondern ebenso Informationsmaterial von kollektiven AkteurInnen in die<br />

Untersuchung mit einschliesst (vgl. Gerhards 1997).<br />

24


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

signifikante Übereinstimmungen aufweist. Darüber hinaus können sie zeigen, dass der<br />

Terminus der „Diskursqualität“ etwas irreführend ist, indem er eine Homogenität<br />

suggeriert, die sich so empirisch nicht nachzuweisen lässt. Im Gegenteil, Steiner et al.<br />

weisen anhand ihres „Discourse Quality Index“ nach, dass politische Debatten ein<br />

vielschichtiges Phänomen darstellen, das hohe Werte in der einen Dimension aufweisen<br />

kann, während gleichzeitig nur niedrige Werte bezüglich einer anderen Dimension erreicht<br />

werden.<br />

Holzinger (2001) dagegen will auf empirischem Weg die theoretische Frage klären, ob<br />

Verhandeln und Argumentieren tatsächlich gegensätzliche Kommunikationsmodi sind, die<br />

in jeweils unterschiedlichen Kontexten vorkommen. Dazu untersucht sie eine Diskussion,<br />

die im Rahmen eines Mediationsverfahrens zur Klärung eines geeigneten<br />

Abfallwirtschaftskonzepts für den Kreis Neuss (Nordrheinwestfalen) stattfand. Holzinger<br />

geht der Frage nach, ob das Verfahren eher dem Typ der kompromissorientierten<br />

Verhandlung <strong>oder</strong> dem Typ der verständigungsorientierten Argumentation entspricht. Sie<br />

kommt zum Schluss, dass zwar mehr argumentiert als verhandelt wurde, dass sich die<br />

beiden Interaktionsmodi aber nicht voneinander trennen lassen und die Argumentation vor<br />

allem immer im Dienst der jeweiligen Gruppeninteressen stand. Problematisch bei diesem<br />

Ansatz ist mehrerlei. Zunächst handeln die Organisationen alle als InteressenvertreterInnen<br />

und versuchen, ihre Präferenzordnung in möglichst unveränderter Form durchzusetzen.<br />

Dass Argumentieren instrumentell an Verhandeln gebunden ist und sich die<br />

TeilnehmerInnen von den Standpunkten der Anderen kaum überzeugen lassen, ist daher<br />

nicht erstaunlich. Sodann ist die analytische Trennung zwischen Verhandeln und<br />

Argumentieren in dieser Form empirisch nicht umsetzbar. Das räumt Holzinger selber ein,<br />

etwa wenn sie zum Schluss sagt, „dass die Dichotomisierung von Verhandeln und<br />

Argumentieren als oppositionelle Kommunikationsmodi sich nicht halten lässt“ (2001:<br />

442). Das eigentliche Problem ist aber methodischer Natur und betrifft die Anwendung der<br />

Sprechakttheorie bzw. die Zuordnung der vorkommenden Illokutionen entweder zum<br />

Modus der Verhandlung <strong>oder</strong> zum Modus des Argumentierens. Die Zuordnung zur einen<br />

<strong>oder</strong> anderen Kategorie ist nicht durchwegs schlüssig, zweitens nicht trennscharf und<br />

unterstellt drittens dem/der SprecherIn ein semantisches Fingerspitzengefühl bezüglich der<br />

eigenen kommunikativen Intention, das so nicht zutreffen dürfte. Darin mögen denn auch<br />

die Gründe liegen, warum Holzinger keinen Interk<strong>oder</strong>reliabilitätskoeffizienten publiziert<br />

hat.<br />

VertreterInnen der politischen Psychologie wie Fishkin und Luskin (2005) <strong>oder</strong> Conover<br />

und Searing (2005) haben ihre Aufmerksamkeit weg von der institutionellen Politik und<br />

mehr auf alltägliche Argumentationsprozesse gerichtet. Das Forschungsinteresse gilt hier<br />

der Frage, wie „gewöhnliche“ Menschen deliberieren und welche Faktoren sich günstig auf<br />

die Qualität des Diskurses auswirken. Wie etwa Fishkin und Luskin mit ihren „television<br />

polls“ nachweisen konnten, sind „normale BürgerInnen“ durchaus in der Lage, komplexe<br />

Sachverhalte durchwegs auf einem hohen Niveau zu diskutieren, wenn sie über genügend<br />

Zeit und Informationen verfügen, so dass sich tatsächlich der „zwanglose Zwang des<br />

besseren Arguments“ durchsetzt. Problematisch an diesen und ähnlich gelagerten Studien<br />

ist indes, dass sie das deliberative Modell unter künstlichen – und im Fall von Fishkin und<br />

Luskin idealen – Bedingungen testen. Die Resultate dürfen daher kaum überraschen.<br />

Damit soll nicht der Wert dieser Studien geschmälert werden, sondern lediglich darauf<br />

hingewiesen werden, dass es nicht ausreicht, die Diskursqualität von AkteurInnen aus der<br />

Peripherie unter experimentellen Bedingungen zu untersuchen. Wünschenswert sind<br />

insbesondere ethnographische Studien, die Aufschluss über die Diskursqualität von<br />

peripheren AkteurInnen in alltäglichen peripheren Handlungskontexten zu geben<br />

vermögen.<br />

25


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

Ein weiterer Untersuchungsbereich, der zudem in den letzten Jahren wachsende<br />

Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist das Internet, insbesondere im Zusammenhang<br />

mit der deliberativen Qualität von Online-Foren im Kontext der Ansätze zur e-democracy.<br />

Das Interesse gründet auf der Grundannahme, dass die Kommunikationsstruktur des<br />

Internets inklusiver ist als die der klassischen (elektronischen) Medien und Online-<br />

Debatten daher im Stande sein sollten, einen höheren Diskursstandard zu verwirklichen. 29<br />

Die Forschungsresultate weisen hier bisher in unterschiedliche Richtungen. Während etwa<br />

Dahlberg (2001a,b), Wiklund (2005) <strong>oder</strong> Papacharissi (2004) manche der Anforderungen<br />

an einen qualitativ hochstehenden demokratischen Diskurs in Online-Foren bereits<br />

verwirklicht sehen, sind andere wie Waldstein (2005) und Bucy und Gregson (2001) eher<br />

skeptisch. Und auch Habermas selbst hat Vorbehalte gegenüber dem Internet als Teil der<br />

politischen Öffentlichkeit geltend gemacht (vgl. Habermas 2006a). 30 Er befürchtet<br />

insbesondere, dass die Stimme der Intellektuellen kein Gehör mehr findet in den oft<br />

unfokussierten Auseinandersetzungen der virtuellen Arenen. Wenngleich diese<br />

Einschätzung sicherlich einiges für sich hat, so ist es doch wichtig zu sehen, dass das<br />

Internet grundsätzlich verschieden ist von den anderen Medien Radio, Fernsehen und der<br />

Presse, weil es wenigstens auf theoretisch-technischer Basis jenen eine Stimme gibt, die<br />

sich sonst auf RepräsentantInnen verlassen müssen, um Gehör in der öffentlichen<br />

Diskussion zu finden. Das deliberative Potential des Internets mag denn auch gerade darin<br />

zu sehen sein, dass es gegenüber den anderen Medien „näher“ an der Peripherie ist.<br />

Natürlich neutralisiert es dann bis zu einem gewissen Grad den privilegierten Status der<br />

stärker institutionalisierten AkteurInnen der „traditionellen“ politischen Öffentlichkeit. Das<br />

muss nicht automatisch ein Nachteil sein, denn je nachdem wie der Online-Diskurs mit den<br />

anderen Medien gekoppelt ist, kann dadurch die deliberative Qualität der politischen<br />

Öffentlichkeit im Gesamten zunehmen. 31<br />

Schliesslich haben Risse (1999), Ulbert und Risse (2005) sowie Müller (1995) die Rolle<br />

und den Status deliberativer Prozesse auf internationaler Ebene untersucht. Wie Ulbert und<br />

Risse (2005) aufzeigen, hat die argumentative Auseinandersetzung durchaus ihren Platz im<br />

Geflecht internationaler Beziehungen, wobei sie nicht nur dann zu tragen kommt, wenn es<br />

um die Klärung regulativer Fragen geht, sondern auch in distributiven Angelegenheiten<br />

eine Rolle spielt. Dies sind erstaunliche Resultate, denn gerade in diesem letztgenannten<br />

Bereich wäre zu erwarten, dass die strategischen Interessen der AkteurInnen ihr<br />

verständigungsorientiertes Handeln überlagern.<br />

Neben diesen Projekten und Fallstudien haben sich einige Analysen mit einzelnen<br />

Aspekten des deliberativen Modells, mit Habermas’ Konzept der politischen Öffentlichkeit<br />

und mit der „idealen Sprechsituation“ aus kritischer Perspektive auseinander gesetzt.<br />

Während die Arbeiten von Fraser (1999), Benhabib (1999), Ryan (1999) und anderen<br />

wichtige Defizite in Habermas’ Modell der politischen Öffentlichkeit aufdecken, wie er es<br />

im „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ vorlegt, beruht die Kritik anderer wie etwa<br />

Waldstein (2005) eher auf Fehlinterpretationen der theoretischen Grundlagen.<br />

Zusammengefasst lassen sich die empirischen Studien zur deliberativen Demokratie in<br />

zwei Kategorien verorten. Einerseits untersuchen sie Diskussionen und Debatten in stark<br />

institutionalisierten Kontexten des politisch-administrativen Zentrums, andererseits<br />

29 Die teilweise enthusiastischen Hoffnungen gegenüber Formen der e-democracy gründen v.a. darauf, dass<br />

es mit digitalen Mitteln möglich ist, eine virtuelle Agora herzustellen, innerhalb derer sich alle gleichberechtigt<br />

an Rede und Gegenrede beteiligen können. Der asymmetrischen Kommunikation traditioneller Massenmedien<br />

wird also die Vision symmetrischer Auseinandersetzung und direkter demokratischer Partizipation<br />

gegenübergestellt.<br />

30 Vgl. auch Habermas’ (2006b) Dankesrede bei der Verleihung des Bruno Kreisky Preises (vgl.<br />

http://www.renner-institut.at/download/texte/habermas2006-03-09.pdf, 14.07.06).<br />

31 Damit wird an dieser Stelle lediglich auf eine theoretische Implikation hingewiesen, was noch nichts über<br />

die empirische Praxis aussagt.<br />

26


Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

fokussieren sie auf eher schwach organisierte Gruppen an der Peripherie der<br />

Zivilgesellschaft. Als direkte Folge davon werden all jene intermediäre Instanzen<br />

ausgeklammert, die Peripherie und Zentrum erst zueinander in Verbindung setzen – allen<br />

voran ist die Rolle der Medien im demokratischen Prozess stark vernachlässigt worden. 32<br />

Das gilt auch für die Studie von Gerhards, der zwar den Diskurs in den Medien aber nicht<br />

den Diskurs der Medien selbst analysiert. Der Befund dieses blinden Flecks der Empirie ist<br />

umso erstaunlicher, als dass deliberative Demokratie die Bedeutung der öffentlichen<br />

Debatte betont und damit die Medien zu eigentlichen Hauptakteuren in der politischen<br />

Auseinandersetzung werden. Denn sie sind, wie wir gesehen haben, nicht nur<br />

Diskursplattform, auf der sich die anderen politischen AkteurInnen austauschen können,<br />

sondern wichtiger noch eigenständige Diskursteilnehmende, die als solche die politische<br />

Öffentlichkeit erst konstituieren. Gerade diese Rollen und ihre Bedeutung im Kontext der<br />

Meinungs- und Willensbildung will das vorliegenden Projekt in den Mittelpunkt der<br />

Untersuchung rücken und damit Aufschluss darüber erhalten, welche diskursive Qualität<br />

und welche Funktionen die öffentliche Debatte für die privaten Abwägungen der<br />

BürgerInnen haben kann.<br />

Im Folgenden gilt es nun, das deliberative Konzept auf Grundlage der bisherigen empirischen<br />

Ansätze für die vorliegende Untersuchung fruchtbar zu machen, d.h. ein Untersuchungsdesign<br />

und ein theoretische fundiertes Analysekonzept zu entwerfen, das die Kernelemente<br />

der politischen Kommunikation aus deliberativer Sicht zu beleuchten vermag.<br />

32 Dieses Ungleichgewicht der empirischen Ansätze mag u.a darin begründet sein, dass der überwiegende<br />

Teil der Forschung von PolitikwissenschaftlerInnen durchgeführt worden ist und daher einerseits einen<br />

stärkeren Fokus auf institutionalisierte Kontexte aufweist, andererseits aber auch an Modellen des egovernments<br />

und dem Potential von Online-Foren interessiert ist.<br />

Die Medien sind Untersuchungsgegenstand von lediglich zwei Studien: Gerhards’ (1997) Analyse des<br />

Abtreibungsdiskurses und Pages (1996) allgemeine Einschätzung des deliberativen Potentials von USamerikanischen<br />

Medien. Während die Vorbehalte gegen Gerhards bereits geltend gemacht wurden, ist Pages<br />

Konzeption von Deliberation nur unzureichend in die bestehende Literatur eingebettet.<br />

27


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

3 Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Um Aussagen zur diskursiven Qualität der politischen Kommunikation machen zu können,<br />

konzentriert sich das vorliegende Projekt auf den Vergleich der Diskursprofile von Sendungen<br />

bzw. Forumsdiskussionen, Sendern bzw. Online-Foren und Mediengattungen.<br />

Grundlegend geht es dabei um die Klärung der Frage, hinsichtlich welcher Aspekte sich<br />

einzelne Formate (bzw. Forumsdiskussionen), Sender (bzw. Foren) und Medien in ihrer<br />

deliberativen Qualität unterscheiden bzw. ergänzen und welche Rolle die Medien dabei<br />

einnehmen. Ergänzend dazu werden mögliche Unterschiede zwischen der deutsch- und der<br />

französischsprachigen Schweiz untersucht. Der Leitgedanke dabei ist, dass unterschiedliche<br />

Rahmenbedingungen jeweils unterschiedliche Aspekte des Diskurses betonen bzw.<br />

abschwächen. 33<br />

Im Folgenden wird der methodische Ansatz der Untersuchung vorgestellt. Dazu wird zunächst<br />

dargelegt, wie das Datenmaterial generiert wurde, um im Anschluss auf die Erhebungs-<br />

und Analyseeinheiten einzugehen. Danach wird der Untersuchungsfokus der vorliegenden<br />

Arbeit anhand der zentralen Vergleichsebenen begründet, wobei entsprechende<br />

Hypothesen abgeleitet werden, die es im empirischen Teil der Arbeit zu testen gilt. Die<br />

Analyse folgt dem methodischen Ansatz der Inhaltsanalyse, der in diesem Kapitel kurz<br />

vorgestellt werden soll. Anhand der zentralen Kategorien der Untersuchung, wird erläutert<br />

wie der methodische Ansatz für die Analyse fruchtbar gemacht wird.<br />

3.1 Datenerhebung<br />

Um den Untersuchungsgegenstand näher fassen zu können, wird zunächst darauf eingegangen,<br />

nach welchen Kriterien das Datenmaterial ausgewählt wurde. Innerhalb der<br />

schweizerischen Medienlandschaft wurde aus der möglichen Grundgesamtheit eine für die<br />

Analyse aussagekräftige Stichprobe an Sendern und Online-Foren bestimmt. Eine weitere<br />

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes wurde über inhaltliche, formale und zeitliche<br />

Kriterien erreicht, die im Folgenden erläutert werden.<br />

3.1.1 Auswahlverfahren der Sender und Foren<br />

Die Datenerhebung orientierte sich an der Zielsetzung des Forschungsprojekts, die diskursive<br />

Qualität in dialogischen Formaten von Radio, Fernsehen und Internet vergleichend zu<br />

untersuchen. Dabei wurden sowohl verschiedene Sprachregionen als auch verschiedene<br />

Mediengattungen und Sendeformate berücksichtigt. Aus forschungsökonomischer Sicht<br />

konzentrierte sich die Auswahl auf Radio- und Fernsehsender bzw. Online-Foren der<br />

Deutschschweiz und der Romandie. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Aussagekraft<br />

der Resultate über die sprachregionalen Grenzen hinausreicht, wenngleich nicht alle<br />

Landesteile berücksichtigt werden. Eine weitere Untersuchungsebene fragt nach dem Zusammenhang<br />

zwischen der diskursiven Qualität der Debatte und der Marktstellung der<br />

Sender bei den klassischen Medien bzw. der Anbieter von Online-Foren im Internet.<br />

Es wurde darauf geachtet, dass sowohl öffentliche als auch private Anbieter (Radio und<br />

Fernsehen) in der Auswahl der Sendungen vertreten sind. Wie die Befunde der Forschung<br />

bezüglich Radio und Fernsehen zeigen, besteht ein Unterschied in der Berichterstattung<br />

zwischen privaten Anbietern, die sich näher am Markt orientieren und öffentlichen Sendeanstalten,<br />

die nicht zuletzt vom Gesetzgeber stärker auf den Service Public verpflichtet<br />

werden.<br />

33 Vgl. hierzu auch aus politologischer Perspektive die Arbeit von Steenbergen et al. (2003), die unterschiedliche<br />

Rahmenbedingungen auf Parlaments- bzw. Kommissionsebene und deren Auswirkungen auf den Diskurs<br />

untersuchen.<br />

28


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Die partizipativen Formen des Internets sind in der Schweiz nach wie vor stark unterentwickelt.<br />

Etablierte Foren mit einem einigermassen regen Diskussionsgrad werden fast ausschliesslich<br />

von Tagszeitungen bereitgestellt. Diskussionsforen von Radio- und Fernsehsendern<br />

waren zum Zeitpunkt der Datenerhebung nachgerade inexistent ebenso wie Diskussionsforen,<br />

die verstärkt in den politisch-institutionellen Rahmen eingebunden sind. 34<br />

Die Online-Foren der Medienverlagshäuser sind eingebunden in eine breitere Informationsplattform<br />

wie sie die verschiedenen Tageszeitungen auf ihren Websites zur Verfügung<br />

stellen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die AkteurInnen in diesen Foren zu<br />

einem guten Teil aus LeserInnen der jeweiligen Print- <strong>oder</strong> Online-Ausgabe zusammensetzen<br />

und dass hier eine Vernetzung zwischen dem Informationsangebot und der Forumsdiskussion<br />

hergestellt wird.<br />

Die einzigen Foren, die eine rege Beteiligung aufweisen und nicht von einem Verlagshaus<br />

bereitgestellt werden, sind verschiedene Usenet Gruppen auf GoogleBeta. Google stellt<br />

eine Plattform bereit, auf denen die NutzerInnen Diskussionen eröffnen können. Der Anbieter<br />

bietet zwar auch einen Nachrichtenservice an, dieser führt jedoch auf externe Informationsquellen<br />

(Tageszeitungen etc.). Eine Verlinkung zwischen der „News“-Rubrik und<br />

den Online-Foren der google.groups wird nicht hergestellt. Die Diskussionen werden in<br />

verschiedenen google.groups in deutscher wie auch französischer Sprache geführt. Gemäss<br />

der inhaltlichen Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes (s.u.) konnten für die vorliegende<br />

Untersuchung indes nur deutschsprachige Foren berücksichtigt werden, da keine<br />

Diskussionen auf Französisch geführt wurden.<br />

In einer ersten Stichprobe wurde die Auswahl der klassischen Medien pro Sprachregion<br />

auf je einen öffentlichen und einen privaten Sender für die Mediengattungen Radio und<br />

Fernsehen beschränkt. Die Auswertung zeigte jedoch, dass die Stichprobe aus methodologischen<br />

Erwägungen drastisch erweitert werden musste, da deutlich weniger dialogische<br />

Formate produziert wurden, als zunächst angenommen, dies v.a. bei den privaten Fernseh-<br />

und Radiostationen. Als Konsequenz wurden bei der Datenerhebung zum einen mehr Sender<br />

berücksichtigt, zum anderen wurde die Untersuchung auch inhaltlich erweitert (s.u.).<br />

Bei den öffentlichen Stationen wurden jeweils die ersten Programme von Radio und Fernsehen<br />

in die Untersuchung integriert. Bei den privaten Stationen wurde ein mehrstufiges<br />

Verfahren gewählt. Für die Deutschschweiz wurden zunächst die fünf grössten privaten<br />

Fernsehsender berücksichtigt. 35 Aufgrund der geringeren Publikumsreichweite der Westschweizer<br />

Sender wurde die Erhebung für die Romandie auf alle sechs privaten Fernsehstationen<br />

ausgeweitet. Die Auswahl der privaten Radiostationen orientierte sich an der<br />

Auswahl der privaten Fernsehsender. Dabei war die Idee leitend, Radio- und Fernsehsender<br />

aus ähnlichen Regionen zu integrieren. In einem ersten Schritt, wurde geprüft, ob die<br />

jeweils grössten Radiosender im geographischen Umkreis einer privaten Fernsehstation<br />

entsprechende Sendungen ausgestrahlt hatten. 36<br />

Trotz der erweiterten Stichprobe zeigte sich indes, dass die privaten Radiosender kaum<br />

Sendungen zum gewählten Untersuchungsgegenstand produziert hatten. Aufgrund dieses<br />

34 Das schweizerische Parlament sowie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten<br />

(EDA) bspw. haben zur Zeit der UNO-Abstimmung auf ihrem Internetauftritt Online-Foren bereitgestellt,<br />

diese Aktivität zwischenzeitlich jedoch wieder eingestellt.<br />

35 Basierend auf einer Zusammenstellung von Radiotele: http://www2.radiotele.ch/fileupload/17200515825_<br />

file.pdf [Stand: 20.10.2005]. Die Daten decken sich – zumindest für die Deutschschweiz – mit denjenigen der<br />

Publica Data AG: Medienkonferenz des Forschungsdienstes der SRG SSR idée suisse vom 28. April 2005 in<br />

Bern: http://www.privatradio.ch/docpub/docs/Ergebnisse%20TC%20Jahr%202004%20<strong>CH</strong>_fr.pdf [Stand:<br />

21.11.2005].<br />

36 Die Radiosender „Radio Freiburg“ und „Radio Chablais“ entsprechen diesen Auswahlkriterien nur bedingt.<br />

„Radio Chablais“ hat keine Sendungen produziert, die in die Analyse integriert werden konnten. Radio<br />

Freiburg wurde aufgrund der disparaten Datenlage in der Deutschschweiz berücksichtigt.<br />

29


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Befundes wurden in einem zweiten Schritt weitere Radiosender in einer jeweiligen Region<br />

ins Sample aufgenommen.<br />

Folgende Sender und Online-Foren wurden bei der Datenerhebung auf vorhandenes Material<br />

geprüft:<br />

Deutschschweiz Romandie<br />

Klassisch Fernsehen Radio Fernsehen Radio<br />

Anbieter<br />

1. Auswahl 2. Auswahl 1. Auswahl 2. Auswahl<br />

Öffentlich SF DRS1 DRS1 TSR1 RSR1 -<br />

Privat<br />

Online<br />

Medienverlagshäuser<br />

TeleZüri Radio 24 Radio Top Canal 9 Rhône FM -<br />

TeleBärn BE1<br />

Radio Extra<br />

Bern<br />

Radio Freiburg<br />

Canal Alpha Radio RTN LuNe<br />

Tele M1 Argovia - Canal Nord Radio Lac<br />

Vaudois Radio RTN<br />

Tele Tell Radio Pila- Radio Suns- ICITV Lausanne FM<br />

tushine<br />

Radio<br />

Chablais<br />

Telebasel Basilisk Radio Basel<br />

1<br />

Espace Medien<br />

TV Léman<br />

Bleu<br />

TV Région<br />

Lausannoise<br />

24 heures<br />

BaZ Tribune de<br />

Genève<br />

Andere Google Google<br />

Tabelle 1: Auswahl der Stichprobe nach Sendern und Online-Foren<br />

Radio One<br />

FM<br />

Radio Lac<br />

Lausanne FM Rouge FM<br />

3.1.2 Inhaltliche Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes<br />

Der Untersuchungsgegenstand ist die politische Kommunikation in Radio, Fernsehen und<br />

dem Internet. Im Rahmen des vorliegenden Projekts richtet sich der Untersuchungsfokus<br />

auf die politische Kommunikation in dialogischen Radio- und Fernsehsendungen und in<br />

Online-Foren zu nationalen Abstimmungsthemen: In einem ersten Schritt wurden die dialogischen<br />

Sendungen und Foren zur Abstimmung über das Schengen/Dublin Dossier vom<br />

5. Juni 2005 (Bilaterale II) erhoben. 37 Aufgrund der eingeschränkten Datenlage wurde die<br />

Untersuchung um Sendungen zu einer zweiten Abstimmung erweitert – es handelt sich um<br />

die Vorlage zur Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens, über die am 25. September<br />

2005 abgestimmt wurde (Bilaterale I). 38 Beide Abstimmungsthemen sind somit im grösseren<br />

Kontext der schweizerischen Europapolitik zu verorten. Bei der ersten Vorlage standen<br />

v.a. sicherheitspolitische, bei der zweiten vermehrt wirtschaftspolitische Fragen im Vor-<br />

37 Das Schengen Dossier regelt Fragen der Personenkontrolle an den Grenzen, die Dublin Verträge hingegen<br />

regeln Fragen der Migrations- bzw. Asylpolitik. Ziel der Abkommen ist eine europaweite Koordination der<br />

Sicherheits- und Asylpolitik.<br />

38 Das Abkommen regelt die schrittweise Ausdehnung der bereits geltenden Personenfreizügigkeit zwischen<br />

der Schweiz und der EU auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten. Gleichzeitig mit dem Abkommen wurde der<br />

Schweizer Stimmebevölkerung eine Verbesserung der „flankierenden Massnahmen“ vorgeschlagen, die<br />

gemäss Bundesrat der Gefahr von Billiglohnarbeit und missbräuchlichen Arbeitsbedingungen vorbeugen soll.<br />

Vgl. zu den beiden Abstimmungen die Dokumentation des Integrationsbüros (EDA/EVD):<br />

http://www.europa.admin.ch/d/index.htm [Stand: 20.10.2006].<br />

-<br />

-<br />

-<br />

30


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

dergrund. Für die Datenauswahl wurden dialogische Sendungen bzw. Teilsequenzen und<br />

Online-Foren berücksichtigt, deren Hauptthema die Bilateralen I und II waren. Bei den<br />

traditionellen elektronischen Medien war der Titel der Sendung entscheidend bzw. wie<br />

Interviews eingeleitet wurden. der Diskussion ausschlaggebend Bei den Online-Foren war<br />

der Titel des jeweiligen „Haupt-Threads“ der Diskussion ausschlaggebend. Die Sendungen<br />

und Foren wurden mittels eines aussagekräftigen Stichwortkatalogs eruiert. 39<br />

3.1.3 Formale Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes<br />

Da das Projekt die Analyse dialogischer Formate in den Vordergrund rückt, wurden bei<br />

den ausgewählten Sendern sowohl die gängigen Diskussionssendungen berücksichtigt und<br />

ausgewertet, als auch diejenigen Formate erhoben, die eine klar identifizierbare dialogische<br />

Teilsequenz in Form einer Debatte <strong>oder</strong>, was häufiger der Fall ist, eines Interviews in die<br />

vorwiegend monologische Programmstruktur integrieren. Als Interview wurden nur jene<br />

Teilsequenzen gewertet, die mindestens drei hörbare Fragen mit Antworten in aufeinander<br />

folgender Form aufwiesen. Eingespielte Diskussionen ohne M<strong>oder</strong>ationsleistung durch den<br />

Sender (z.B. Podiumsgespräche <strong>oder</strong> Sitzungen) wurden nicht als dialogisches Format gewertet.<br />

Berichte mit eingespieltem O-Ton wurden folglich ebenfalls aus der Analyse ausgeschlossen.<br />

Um die ausgestrahlten Diskussionssendungen und dialogischen Teilsequenzen für die gewählten<br />

Sender zu ermitteln, wurde zunächst auf die im Internet zur Verfügung gestellten<br />

Beschreibungen der Sendekonzepte zurückgegriffen. Die auf dieser Basis für relevant erachteten<br />

Sendungen wurden daraufhin geprüft, ob zu den gewählten Abstimmungsthemen<br />

dialogische Formate produziert worden waren. Genuine Nachrichtensendungen zum Tagesgeschehen<br />

wurden bei der Datenauswahl ausgeklammert. Stichproben haben ergeben,<br />

dass in solchen Sendungen kaum Interviews ausgestrahlt werden, die den für die Untersuchung<br />

festgelegten formalen Kriterien entsprechen. Sie bestehen mehrheitlich aus monologischen<br />

Beiträgen. Aus forschungsökonomischen Erwägungen schien es daher nicht angezeigt,<br />

die Nachrichtensendungen aller berücksichtigten Sender auf mögliche Ausnahmen<br />

hin zu prüfen.<br />

Einzelne Sender – insbesondere – die öffentlichen, bieten ein Online-Archiv an, anhand<br />

dessen das relevante Material eruiert werden konnte. Die Datenauswahl bei SF DRS1 erfolgte<br />

über die Suchmaske der SF DRS -Homepage. 40 In der Romandie standen für die<br />

konkrete Auswahl des Datenmaterials von TSR und RSR zusammengestellte Dossiers zu<br />

den Abstimmungsvorlagen zur Verfügung, in denen die ausgestrahlten Sendungen zusammengestellt<br />

waren. 41 Die Datenauswahl konnte m.E. darauf gestützt werden – bei Sendungen,<br />

die gemäss der gesichteten Liste keine Beiträge zu den Abstimmungen ausstrahlten,<br />

aber grundsätzlich dialogisch orientiert sind, wurde die Liste mittels einer Recherche im<br />

Online-Archiv auf deren Richtigkeit geprüft. 42 Radio DRS stellte auf Anfrage einen Auszug<br />

aus der internen Datenbank zur Verfügung, der Auskunft über die für die Untersuchung<br />

relevanten Sendungen gab. Bei den privaten TV-Stationen wurde für die Sender<br />

39 Als zentrale Begriffe wurden folgende Stichworte gewertet: Abstimmung, Bilaterale, Europa, Personenfreizügigkeit,<br />

Schengen, Schengen/Dublin. Insbesondere die Online-Foren von Google erlauben eine Volltextsuche<br />

über alle aufgeschalteten Diskussionen.<br />

40 Nach einer Namensänderung heisst der Sender neu Schweizer Fernsehen (SF). Das Video-Archiv wurde in<br />

die entsprechend überarbeitete Homepage überführt, kann für die letzten Jahre nach einzelnen Sendungen<br />

durchsucht werden und findet sich unter: http://www.sf.tv/archiv/ [Stand: 17.12.2006].<br />

41 Die Liste der Audio- (RSR) und Videodateien (TSR) zur Abstimmung vom 25.10.2005 finden sich unter:<br />

http://www.tsr.ch/tsr/index.html?siteSect=756501&sid=6048413&cKey=1127647523000&rubricId=10202&<br />

Mn=4&lmt=1 [Stand: 20.12.2006]. Jene zur Abstimmung vom 05.06.2005 unter: http://www.tsr.ch/tsr/<br />

idex.html?siteSect=756501&sid=5810309&cKey=1116924153000&rubricId=10200&Mn=7 [Stand:<br />

20.12.2006].<br />

42 Archiv TSR: http://archives.tsr.ch/home [Stand: 20.12.2006].<br />

31


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

TeleZüri und Telebasel ebenfalls auf ein Online-Archiv zurückgegriffen. 43 Alle übrigen<br />

privaten Radio- und Fernsehstationen wurden telefonisch und/<strong>oder</strong> via E-Mail kontaktiert.<br />

Einige der berücksichtigten privaten Fernsehsender hatten zum Zeitpunkt der Datenerhebung<br />

gemäss eigenen Angaben keine dialogischen Formate zu den gewählten nationalen<br />

Abstimmungsvorlagen produziert (Tele M1, Tele Tell, Canal Alpha, Canal Nord Vaudois,<br />

Ici TV und TV Région Lausannoise). Bei den privaten Radiostationen kam bezüglich der<br />

Datenerhebung erschwerend hinzu, dass einige der kontaktierten Sender das gesendete<br />

Material nur kurzfristig archivieren. So wurden in einigen Fällen gemäss eigenen Angaben<br />

zwar dialogische Formate produziert, zum Zeitpunkt der Datenerhebung konnten diese<br />

aber nicht mehr bereitgestellt werden (Radio Basilisk, Chablais, RTN, Rouge FM). In einem<br />

Fall konnte nicht mehr rekonstruiert werden, ob entsprechende Sendungen ausgestrahlt<br />

wurden (Radio Sunshine). Eine ebenfalls grössere Zahl der Privatradios gab an, zu<br />

den nationalen Abstimmungen keine dialogischen Formate produziert zu haben (Radio 24,<br />

BE1, Argovia, Radio Pilatus, Radio Top, Radio Extra Bern, Radio Basel1, Lausanne FM,<br />

LuNe). Dies, weil das Sendekonzept entweder keine Diskussionssendungen vorsieht <strong>oder</strong><br />

weil das Primat auf dem regionalen Fokus liegt und politische Abstimmungen in Form von<br />

dialogischen Formaten ausschliesslich auf der kantonalen Ebene beleuchtet werden. Die<br />

Berichterstattung zu nationalen Abstimmungen erfolgte bei der Mehrheit dieser Sender in<br />

Form von monologischen Beiträgen (vereinzelt finden politische Themen gar keinen Eingang<br />

ins Programm, bspw. wenn es sich um einen reinen „Musiksender“ handelt). Bei dieser<br />

ersten Übersicht fällt auf, dass insbesondere im Westschweizer Privatradio mehr relevante<br />

Sendungen produziert worden wären, als in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt<br />

werden konnten.<br />

Nachstehender Tabelle kann entnommen werden, welche Sender und Sendungen Eingang<br />

in die Analyse fanden:<br />

Sender <strong>Dialog</strong>ische Formate Sendungen mit dialogischen Teilsequenzen<br />

SF DRS1 Arena Rundschau<br />

TSR1 Infrarouge Mise au point<br />

TeleBärn BZ Talk<br />

Telebasel Salon Bâle<br />

TeleZüri<br />

TalkTäglich<br />

SonnTalk<br />

Canal 9<br />

Le Débat<br />

Controverse<br />

TV Léman Bleu 90’ Chrono<br />

DRS1<br />

RSR1<br />

Radio Freiburg Z’ 9i-Talk<br />

Radio Lac Lunch Tendances Eco<br />

Rhône FM Débats<br />

Tagesgespräch Echo der Zeit<br />

Doppelpunkt<br />

Forums Forums<br />

Le Journal du Matin<br />

Tabelle 2: Sender und Sendungen, die in die Analyse einflossen<br />

On en parle<br />

Le Journal de 12h30<br />

43 Das Archiv von TeleZüri findet sich jeweils auf den Unterseiten für die einzelnen Sendungen:<br />

http://www.telezueri.ch/ [Stand: 20.12.2006]. Das Archiv von Telebasel kann von der Homepage aus aufgerufen<br />

werden: http://www.telebasel.ch/ [Stand: 20.12.2006].<br />

32


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Bei den Online-Foren gilt, dass diejenigen Diskussionen Eingang in die Untersuchung fanden,<br />

deren Hauptthema die Bilateralen I und/<strong>oder</strong> II waren. Nicht berücksichtigt wurden<br />

indes Foren, die sich grundsätzlich einem anderen Hauptthema wie etwa „Reisen“ widmeten,<br />

bei denen sich jedoch eine Teildiskussion mit den Abstimmungsthemen beschäftigte.<br />

Des Weiteren wurden nur Online-Foren berücksichtigt, die ein Minimum von 20 Posts<br />

aufwiesen. Dies zum einen aus forschungsökonomischen Gründen, zum anderen jedoch<br />

auch aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit, dass in solchen Foren tatsächlich ein reziproker<br />

<strong>Dialog</strong> stattfindet.<br />

3.1.4 Zeitlicher Rahmen der Untersuchung<br />

Die Berichterstattung zu Abstimmungen setzt bei den elektronischen Medien in der Regel<br />

sechs Wochen vor dem eigentlichen Abstimmungstermin 44 ein. Diese Zeitspanne wurde<br />

auf die Datenerhebung übertragen: Erfasst wurden alle dialogischen Sendungen und Teilsequenzen<br />

die in den Zeiträumen vom 25.04.2005 bis zum 04.06.2005 bzw. vom<br />

15.08.2005 bis zum 24.09.2005 ausgestrahlt wurden. Die Sendungen, vom jeweiligen Abstimmungstag<br />

wurden nicht in die Analyse integriert. Zwar wurden an den Abstimmungssonntagen<br />

im Radio und Fernsehen überdurchschnittlich viele Interviews ausgestrahlt, wie<br />

eine stichprobenartige Analyse ergeben hat, indes kann der Prozess der politischen Meinungsbildung<br />

mit dem Akt der Stimmabgabe als beendet gelten. Die Inhalte dieser dialogischen<br />

Formate dienen denn auch weniger dem Abwägen von Pro- und Contra-Argumenten<br />

als der retrospektiven Analyse des Abstimmungsergebnisses. Wann der massenmediale<br />

Diskurs eine gewisse Dichte und Kontinuität erreicht, kann sich je nach Anbieter erheblich<br />

unterscheiden, wie noch gezeigt wird. Aus methodologischen Überlegungen, die Quantität<br />

der Datengrundlage betreffend, wurden sämtliche während des genannten Zeitraums erhobenen<br />

Sendungen in die Analyse integriert.<br />

Aus Gründen der intermediären Vergleichbarkeit wurde der Untersuchungszeitraum für die<br />

klassischen Medien und die Online-Foren gleich angesetzt. Bei den Online-Foren gilt aus<br />

diesem Grund nicht das ganze Forum als Erhebungseinheit, sondern die Posts, die an einem<br />

Tag aufgeschaltet wurden. Eines der untersuchten Foren von Medienverlagshäusern<br />

(espace.ch) eröffnete die Diskussion zum jeweiligen Abstimmungsthema bereits vor dem<br />

festgelegten Untersuchungszeitraum. Beiträge die vor dem 24.04.2005 bzw. 14.08.2005<br />

aufgeschaltet worden waren, wurden aus der Analyse ausgeklammert. Bei den<br />

google.groups gab es ebenfalls Diskussionen, die bereits vor dem Beginn des Untersuchungszeitraums<br />

eröffnet wurden, im Gegensatz zu den Medienverlagshäusern, wurde diese<br />

nicht in die Untersuchung integriert, da die google.groups anders strukturiert sind: Anders<br />

als in den Medienverlagshäusern wird ein bestimmtes Thema nicht in einem einzigen<br />

Forum diskutiert. Während die Foren der Medienverlagshäuser z.T. in Form von untergeordneten<br />

Threads strukturiert <strong>oder</strong> aber rein chronologisch aufgebaut sind, generiert ein<br />

neuer Thread bei den google.groups eine neue Diskussionsplattform. Entsprechend finden<br />

sich hier in der Regel mehrere „Foren“ zu einem Thema, in denen die Diskussionen kürzer<br />

gehalten sind. Analog zu den klassischen Medien wurden nur jene Diskussionen in die<br />

Analyse integriert, die während des Untersuchungszeitraums neu eröffnet wurden.<br />

Einzelne Foren der Medienverlagshäuser (espace.ch und baz.ch) sind demgegenüber bezüglich<br />

der Anzahl Posts sehr umfangreich. Aus forschungsökonomischen Gründen und<br />

mit Blick auf die Vergleichbarkeit einzelner Untersuchungseinheiten wurde die Datenmenge<br />

bei baz.ch und espace.ch eingeschränkt. So wurde der mittlere Teil der Diskussion<br />

ausgeklammert. Dies aus der Überlegung, dass sowohl Diskussionsstränge aus der Anfangs-<br />

und Endphase der Debatte in die Analyse einfliessen sollten.<br />

44 Die Volksabstimmung über das Referendum zu den Schengen/Dublin-Verträgen fand am 05. Juni 2005,<br />

jene zur Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens am 25. September 2005 statt.<br />

33


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

3.1.5 Erhebungseinheit, Analyseeinheit und Gewichtung<br />

Während die Erhebungseinheit bei den klassischen Medien die während des Untersuchungszeitraums<br />

ausgestrahlten Sendung bzw. die darin enthaltene dialogische Teilsequenz<br />

darstellt, sind es bei den Online-Foren, die an einem bestimmten Tag aufgeschalteten<br />

Posts.<br />

Je nach Untersuchungsebene stellt entweder die Sendung bzw. das Online-Forum, der von<br />

einem/r AkteurIn geäusserte Redebeitrag bzw. der/das geschriebene Post <strong>oder</strong> der erhobene<br />

bzw. kritisierende Geltungsanspruch die grundlegende Analyseeinheit dar. Ein Geltungsanspruch<br />

ist eine thematisch abgegrenzte Aussage, die aus einem <strong>oder</strong> mehreren<br />

Sprechakten 45 besteht, mit denen sich ein/e SprecherIn gegenüber einem/r HörerIn auf die<br />

gemeinsame objektive <strong>oder</strong> soziale Aussenwelt <strong>oder</strong> auf die subjektive Innenwelt des<br />

Sprechers/der Sprecherin selbst, des Hörers/der Hörerin <strong>oder</strong> eines anderen Akteurs/einer<br />

Akteurin beziehen kann (vgl. Habermas 1981; 1989). 46 Die Erhebungs- und Untersuchungseinheit<br />

wird also – je nach Fragestellung – sowohl über formale Merkmale als auch<br />

auf inhaltlicher Ebene definiert. 47<br />

Da sowohl die Anzahl an dialogischen Radio- und Fernsehformaten als auch an Diskussionen<br />

in Online-Foren zwischen Deutschschweiz und Westschweiz beträchtlichen Schwankungen<br />

unterliegen kann, werden die Unterschiede in einem einleitenden Kapitel zum empirischen<br />

Teil der Arbeit diskutiert (Kapitel 4). Gleiches gilt sowohl für die Unterscheidung<br />

zwischen den Mediengattungen als auch der Marktstellung der Anbieter. Auch hier<br />

müssen die Ergebnisse der Analyse entsprechend gewichtet werden, wenn es zu signifikanten<br />

Unterschieden im Anteil an entsprechenden Diskussionssendungen bzw. Online-<br />

Debatten kommt. Unterschiedliche Fallzahlen ergeben sich auch bezogen auf die verschiedenen<br />

Untersuchungseinheiten, wie sie für die Analyse einzelner Kategorien bestimmt<br />

wurden. Denn nicht nur die Anzahl an dialogischen Sendungen und Teilsequenzen hat einen<br />

Einfluss auf die Anzahl der Untersuchungseinheiten, sondern insbesondere auch deren<br />

Dauer bzw. Länge bei den Online-Foren. Unterschiede bei den Untersuchungseinheiten<br />

werden bei der Darstellung und Interpretation der Ergebnisse entsprechend ausgewiesen.<br />

3.2 Untersuchungsfokus und -hypothesen: Sendungen, Sender und<br />

Medien<br />

Im Folgenden werden die Hauptebenen der Untersuchung näher erläutert sowie erkenntnisleitende<br />

Hypothesen für die vergleichende Analyse formuliert.<br />

45 Ein standardisierter Sprechakt besteht auf reiner Text-Ebene aus einer Proposition und einer Illokution,<br />

d.h. grob gesagt, aus dem Satz-Inhalt und der intepersonalen Beziehung, die über den Sprechakt aufgebaut<br />

wird (vgl. Austin 2003; Habermas 1981). Beispielsweise besteht der Sprechakt „Ich möchte dich darauf hinweisen,<br />

dass der Hund bissig ist“ aus dem propositionalen Akt „ [...] der Hund bissig ist“ und dem illokutiven<br />

Akt „Ich möchte dich darauf hinweisen, dass [...]“, was je nach Kontext eine reine Mitteilung, eine Warnung<br />

usw. sein kann. Vervollständigt wird der Sprechakt schliesslich durch den Akt der Äusserung sowie dem<br />

perlokutiven Akt, d.h. dem Effekt, den der Sprechakt auf den Hörer hat.<br />

46 Entsprechend obigen Ausführungen werden die drei Hauptkategorien der Geltungsansprüche anhand des<br />

Datenmaterials weiter verfeinert, um so detailliertere Aussagen über die diskusive Qualität und den Diskursverlauf<br />

machen zu können.<br />

47 Das Gegenteil ist etwa im Bereich der Konversationsanalyse der Fall, wo rein formale Kriterien wie das<br />

„turn constructional unit“ <strong>oder</strong> der „turn at talk“ die analytische Grundeinheit bilden (vgl. Hutchby, Wooffitt<br />

1998).<br />

34


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

3.2.1 Mediengattungen: Klassische Medien und Online-Foren<br />

Eine Hauptebene der vorliegenden Untersuchung bildet der Vergleich zwischen den klassischen<br />

Medien und den Online-Foren. 48<br />

Die „digitale Revolution“ und der zeitweilig damit verknüpfte Enthusiasmus über neue<br />

Partizipationsformen und das demokratische Potential des Internets sind in erster Linie auf<br />

die grundsätzlich andere Kommunikationsstruktur von Online-Angeboten – und hier insbesondere<br />

Online-Foren – gegenüber den traditionellen elektronischen Medien zurückführen.<br />

Wenngleich die Befunde bezüglich des Internets nach wie vor ambivalent sind, so entspricht<br />

die elementare Struktur von Online-Foren allein schon wegen des ungehinderten<br />

Zugangs eher dem deliberativen Ideal des herrschaftsfreien Diskurses als dies bei Radio<br />

und Fernsehen der Fall ist. Besonders der Inklusivität von unterschiedlichen Sichtweisen<br />

und Argumenten scheint das Internet eine grössere Chance einzuräumen als die anderen<br />

elektronischen Medien. Allerdings steht dem höheren Partizipations- und Freiheitsgrad<br />

eine verminderte Organisation des Diskurses insgesamt gegenüber: Ohne M<strong>oder</strong>ation, die<br />

die einzelnen „diskursiven Fäden“ in der Hand hält, droht der Meinungsaustausch in viele<br />

kleine Teildiskussionen zu zerfallen. Zudem hat die Argumentationsfreiheit auch ihre<br />

Kehrseite, denn die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten können zu sehr hitzigen Diskussionen<br />

führen, in denen verbale Angriffe auf die Person die sachliche Auseinandersetzung in<br />

den Hintergrund drängen. Aufgrund dieser grundsätzlichen Überlegungen werden folgende<br />

Hypothesen aufgestellt:<br />

Hypothese 1:<br />

In Online-Foren werden Geltungsansprüche und Argumente präsentiert, die in Radio und<br />

Fernsehen nicht vorkommen.<br />

Hypothese 2:<br />

Der Diskursverlauf in Online-Foren ist gegenüber Radio und Fernsehen weniger reziprok,<br />

d.h. die einzelnen AkteurInnen gehen weniger auf die Argumente der anderen TeilnehmerInnen<br />

ein.<br />

Hypothese 3:<br />

Gegenargumente in Online-Foren zielen häufiger als bei Radio und Fernsehen auf den/die<br />

UrheberIn des Arguments als auf das Argument selbst; der Diskurs ist weniger respektvoll<br />

als in den klassischen Medien.<br />

3.2.2 Sender und Foren: Marktstellung der Anbieter<br />

Bei der Analyse auf Ebene der Sender und Online-Foren stehen die mittelbaren Auswirkungen<br />

der ökonomischen Stellung der Sender und Foren im Markt auf die Diskursqualität<br />

im Fokus des Interesses. Öffentliche Anbieter – bspw. SF DRS und Radio DRS – stehen<br />

zwar etwas weniger unter Druck, sich den Marktbedürfnissen anzupassen als die privaten<br />

Radio- und Fernsehstationen, sie haben aber auch grössere Auflagen, ein dem Service Public<br />

entsprechend ausgewogenes Programm zu präsentieren. Demgegenüber müssen sich<br />

private Anbieter von den öffentlichen und von der Konkurrenz der anderen privaten Anbieter<br />

abheben. Dies hat bereits in den 1990er Jahren zu einer verstärkten Dramatisierung –<br />

Stichwort „Infotainment“ – und Personalisierung der Themen im privaten Rundfunk geführt<br />

(vgl. Wegener 2001a). So liegt die Vermutung nahe, dass sich der Trend bislang ungebrochen<br />

fortsetzt, wenngleich mancherorts eine Annäherung der öffentlichen an die privaten<br />

Anbieter zu beobachten ist (vgl. Wegener 2001b). Die vorliegende Untersuchung<br />

setzt indes nicht bei der Gestaltung des Programms an, sondern auf der Ebene der dialogi-<br />

48 Durch die Analyse, die sich auf die Medieninhalte, die AkteurInnen und die Kommunikationsstruktur konzentriert,<br />

wird dieser bislang unterrepräsentierten intermediär vergleichenden Forschung begegnet.<br />

35


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

schen Sendungen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Medien verhältnismässig wenig<br />

Eigenleistung erbringen müssen. So wird die Qualität einer dialogischen Sendung – im<br />

Gegensatz zur Berichterstattung – weniger dadurch bestimmt, dass genügend Ressourcen<br />

für eine fundierte Recherche zur Verfügung stehen, als dass die Leistung der Anbieter darin<br />

besteht, geeignete GesprächspartnerInnen für die Diskussion zu gewinnen. Potentielle<br />

Unterschiede bestehen vielmehr darin, dass dieselbe Thematik aus dem Blickwinkel unterschiedlicher<br />

Personen und mit unterschiedlicher Akzentuierung diskutiert wird. In Anlehnung<br />

an Befunde bezüglich der allgemeinen Programmgestaltung werden für die dialogischen<br />

Sendungen der öffentlichen und privaten Anbieter folgende Hypothesen aufgestellt.<br />

Hypothese 4:<br />

Die Inklusivität des Diskurses bezogen auf die vorkommenden AkteurInnen ist bei öffentlichen<br />

Radio- und Fernsehanbieter höher als bei privaten Anbietern.<br />

Hypothese 5:<br />

Die Inklusivität des Diskurses bezogen auf die vorkommenden Argumente ist bei öffentlichen<br />

Radio und Fernsehanbietern höher als bei privaten Anbietern.<br />

Hypothese 6:<br />

Bei privaten Radio- und Fernsehanbietern stehen Personenfragen mehr im Vordergrund<br />

als bei öffentlichen Anbietern.<br />

Das Kriterium der Markt(un-)abhängigkeit kann für das Internet nicht gleichermassen zur<br />

Anwendung gelangen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung stand – wie erläutert – nur ein<br />

beschränktes Angebot an Online-Foren mit reger Diskussionsbeteiligung zur Verfügung,<br />

wovon die Mehrheit durch Medienverlagshäuser betrieben wird. Diese Online-Foren sind<br />

in ein breiteres Informationsangebot eingebettet – etwa Online-Ausgaben von Printmedien<br />

– das letztlich kommerziellen Interessen unterliegt. Die Kundenbindung erfolgt potentiell<br />

auf zweifachem Wege: Zum einen können DiskussionsteilnehmerInnen als AbonnentInnen<br />

<strong>oder</strong> LeserInnen der Tageszeitung zum Forum gelangen, andererseits dürfte ein Interesse<br />

für das Betreiben von Online-Foren durch die Medienverlagshäuser darin bestehen, ihre<br />

weiteren Angebote an die NutzerInnen heranzutragen. 49 Den Diskussionsforen der Medienverlagshäuser<br />

stehen die Usenet Gruppen von Google gegenüber. Google ist ebenfalls<br />

ein marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen, das sich vornehmlich über Werbeeinnahmen<br />

finanziert. Die Foren unterscheiden sich in diesem Punkt also kaum, denn sowohl<br />

Medienverlagshäuser als auch Google nutzen die Diskussionsoberfläche zu Werbezwecken.<br />

Der Hauptunterschied liegt vielmehr darin, dass bei den Medienverlagshäusern neben<br />

der Fremd- auch Eigenwerbung betrieben wird. Google bietet zwar auch einen Nachrichtenservice<br />

an, dieser führt jedoch auf externe Informationsquellen (Tageszeitungen<br />

etc.) und zeichnet sich somit nicht durch Eigenleistung aus. Eine Verlinkung zwischen der<br />

„News“-Rubrik und den Online-Foren der google.groups wird überdies nicht hergestellt.<br />

Aus genannten Gründen dürfte sich die Akteursstruktur in den verschiedenen Foren unterscheiden.<br />

Während bei den Medienverlagshäusern der Zugang zum Forum über das eigene<br />

Online-Angebot erfolgt, erfolgt dieser bei Google primär über das Interesse an einer thematisch<br />

ausgerichteten Gruppe. Ein weiterer Unterschied zwischen den Foren von Medienverlagshäusern<br />

und den Foren der google.groups besteht in der Eröffnung der Diskussionen<br />

und damit auch in der Themensetzung der Debatten: Die Foren können entweder<br />

durch den Anbieter <strong>oder</strong> die NutzerInnen selber eröffnet werden. Diese Möglichkeit bestand<br />

zur Zeit der Datenerhebung theoretisch bei baz.ch und ist auch bei 24heures.ch in<br />

49 Die Anmeldung beim Forum der BaZ bspw. verlangt explizit nach den Kundendaten (Abonnement) und –<br />

falls diese nicht vorhanden sind – nach Adressdaten. Vgl. dazu 4.3.2.<br />

36


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

seiner aktuellen Form möglich. Allerdings wurden alle Foren zu den gewählten Abstimmungsthemen<br />

von den Medienverlagshäusern selber initiiert. 50 Bei den google.groups erfolgt<br />

das Eröffnen von Diskussionsforen ausschliesslich über die Diskussionsteilnehmenden<br />

selber. 51 Weiter ist die Obhut zur Wahrung eines gewissen Diskussionsniveaus bei den<br />

Medienverlagshäusern und den google.groups unterschiedlich definiert: Foren, die innerhalb<br />

eines Cross-Media-Verbundes unterhalten werden, publizieren grundlegende Diskursregeln,<br />

an die sich die Teilnehmenden halten sollten. Zuwiderhandeln wird mit dem Löschen<br />

<strong>oder</strong> Editieren des entsprechenden Beitrags allenfalls auch mit dem Ausschluss des/r<br />

VerfasserIn aus dem Forum sanktioniert. Die Foren der Medienverlagshäuser stellen in<br />

Aussicht, die aufgeschalteten Posts auf Regelverletzungen hin zu prüfen – sei es vorbehaltlich<br />

(espace.ch, 24heures.ch) <strong>oder</strong> systematisch (baz.ch, tdg.ch). Bei den google.groups<br />

obliegt die „Sanktionierung“ den Teilnehmenden, die andere Posts mit einer Bewertung<br />

versehen können. Die Medienverlagshäuser nehmen zwar keine m<strong>oder</strong>ierende Rolle ein,<br />

vermitteln aber den Eindruck, auf das Diskussionsniveau über genannte Massnahmen Einfluss<br />

zu üben. Zwischen den verschiedenen Anbietern bestehen somit strukturelle Unterschiede,<br />

die – wie zu zeigen sein wird – einen Einfluss auf die Diskursqualität nehmen<br />

können.<br />

Hypothese 7:<br />

Die Inklusivität des Diskurses bezogen auf die vorkommenden Argumente ist bei den<br />

Foren von Google höher als bei den Foren von Medienverlagshäusern.<br />

Hypothese 8:<br />

Der Diskurs in den Online-Foren der Medienverlagshäuser ist respektvoller als in den<br />

google.groups.<br />

3.2.3 Sendungen: <strong>Dialog</strong>format<br />

Auf der Ebene der einzelnen Sendungen geht es um den unmittelbaren Einfluss des jeweiligen<br />

Formats auf die diskursive Qualität. Ein umfassender Vergleich auf der Sendungsebene<br />

ist in der vorliegenden Untersuchung aufgrund der Vielfältigkeit des Datenmaterials<br />

(19 verschiedene Sendungen) nicht zu leisten. Die Analyse richtet sich jedoch punktuell<br />

auf die Ebene einzelner Sendungen, wobei ein besonderer Fokus auf dem Vergleich zwischen<br />

verschiedenen Arten der dialogischen Formate liegt: 52 Sendungen von Radio und<br />

50 Dies zeigt sich bspw. daran, dass Foren von Medienverlagshäusern oftmals ein bestimmtes Thema <strong>oder</strong><br />

eine bestimmte Sichtweise zur Diskussion stellen und den Diskurs damit bereits zu einem gewissen Grad<br />

vorstrukturieren. Für das baz-Forum über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit umreisst der Anbieter<br />

das Thema wie folgt: „Nützt die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit der Schweizer Wirtschaft und sichert<br />

Arbeitsplätze? Oder befürchten Sie Sozial- und Lohndumping? Wäre die Ausdehnung gut für die Nordwestschweiz?<br />

Schreiben Sie Ihre Meinung ins Forum.“ Damit – obwohl in diesem Beispiel sehr allgemein gehalten<br />

– gibt der Anbieter eine Richtung für die Diskussion vor: Nutzen des Abkommens und Ängste der Menschen.<br />

51 Bei den Medienverlagshäusern besteht teilweise ebenfalls die Möglichkeit, als NutzerIn ein neues Forum<br />

aufzuschalten. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand wurde diese Möglichkeit allerdings nicht genutzt,<br />

möglicherweise, weil die Betreiber bereits aktiv geworden waren.<br />

52 Das Untersuchungsdesign sah zunächst vor, zwischen eher konfrontativen und eher konsensuellen Formaten<br />

bzw. Online-Foren zu unterscheiden. Die „Konsens-Orientierung“ wurde als Arbeitsbegriff in Abgrenzung<br />

zu den konfrontativen Formaten verwendet und sollte nicht in dem Sinne verstanden werden, dass es<br />

Aufgabe der Medien ist, innerhalb konkreter Sendungen auf einen Konsens zwischen den Teilnehmenden<br />

hinzuarbeiten. Dasselbe galt für die konfrontativen Formate – auch hierbei handelte es sich um eine arbeitsbegriffliche<br />

Bestimmung. Wie noch zu zeigen ist, gestaltete es sich als schwierig, eine solide Datenbasis zu<br />

generieren. So wurde u.a. eine grosse Zahl an Sendungen und Sendern auf Daten geprüft, die im ursprünglichen<br />

Sample nicht vorgesehen waren. Dadurch wurde eine Vielzahl von Sendungen in die Untersuchung<br />

einbezogen, deren Diskussionsstil nicht ohne weitergehende Analyse bestimmt werden kann (vgl. Kapitel<br />

3.1). Eine Klassifizierung der Sendungen bzw. Foren nach dem Schema „konfrontativ – konsensuell“ hätte<br />

anhand einer qualitativen Bestimmung der verschiedenen Formate erfolgen müssen, bei den klassischen<br />

37


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Fernsehen, in denen neben der M<strong>oder</strong>ation mehrere Gesprächsteilnehmende am Diskurs<br />

beteiligt sind, können als Debatten gewertet werden. Dies im Gegensatz zu Interviews, in<br />

welchen jeweils nur ein/e GesprächspartnerIn mit der M<strong>oder</strong>ation in den <strong>Dialog</strong> tritt. Die<br />

beiden <strong>Dialog</strong>formate stellen unterschiedliche Anforderungen an die Medien. Wollen die<br />

Medien dem Anspruch auf Objektivität genügen, so müssen in Debatten verschiedene Positionen<br />

zu Wort kommen können. Diesbezüglich interessiert insbesondere, inwiefern die<br />

Medien ihre Rolle als Diskursteilnehmende wahrnehmen und die erhobenen Geltungsansprüche<br />

der AkteurInnen kritisch durchleuchten <strong>oder</strong> ob sie sich auf die Position der reinen<br />

Diskursvermittlung zwischen den AkteurInnen zurückziehen. Bei Interviews mit nur einer<br />

Person kann hingegen davon ausgegangen werden, dass die Medien kompensatorisch wirken<br />

und im Gespräch vermehrt die Gegenposition einnehmen. Genuine KontrahentInnen in<br />

Debatten dürften dabei in der Regel härter miteinander ins Gericht gehen, als dies im Interview<br />

zwischen Gast und M<strong>oder</strong>ation der Fall ist. Dies legt die Vermutung nahe, dass in<br />

Debatten neben den eigentlichen Sach- und Normfragen auch immer die Personen stark im<br />

Vordergrund stehen.<br />

Beim Internet liegt der Fall etwas anders, denn hier ist die grundlegende Ausrichtung der<br />

Diskussion weniger vorgegeben, sondern wird vielmehr schrittweise durch die einzelnen<br />

Beiträge konstruiert. Die Untersuchung bietet hier die Möglichkeit zur Bestimmung struktureller<br />

Unterschiede<br />

Hypothese 9:<br />

In Debatten werden häufiger personenbezogene Argumente vorgebracht als in Interviews.<br />

Hypothese 10:<br />

Respekt, das Eingehen auf die Argumente des Anderen sind in Interviews höher als in<br />

Debatten.<br />

Hypothese 11:<br />

In Interviews nehmen die Medien ihre Rolle als Diskursteilnehmende stärker wahr als in<br />

Debatten.<br />

Hypothese 12:<br />

In Debatten überwiegt die Kritik der Geltungsansprüche zu Ungunsten der Konsensorientierung<br />

der Teilnehmenden. Die eigene Begründung von Geltungsansprüchen ist weniger<br />

ausgeprägt als in Interviews.<br />

Die hier vorgestellten Bereiche und Hypothesen, auf die sich das Projekt fokussiert, werden<br />

gemäss dem methodischen Ansatz der Inhaltsanalyse analysiert. Auf die genaue Vorgehensweise<br />

soll im Folgenden eingegangen werden.<br />

Medien anhand eines detaillierten Sendungskonzepts, wobei dieses Vorgehen einer engen Kooperation mit<br />

den zuständigen Redaktionen bedurft hätte. Aus forschungsökonomischen Gründen wurde auf diese Unterscheidung<br />

verzichtet. Allerdings könnten die in der vorliegenden Untersuchung erhobenen Daten dazu verwendet<br />

werden, eine Kategorisierung der berücksichtigten Sendungen bzw. Foren entlang der ursprünglich<br />

angedachten Dichotomie vorzunehmen. Eine Überlegung, die es diesbezüglich zu beachten gilt ist, dass Sendeformate<br />

keine starr vorgegebene Struktur darstellen, sondern dass die konkrete Interaktion vielmehr erst<br />

durch die Äusserungen der Teilnehmenden hervorgebracht wird. Dies legt die Vermutung nahe, dass Gegensätze<br />

in der grundlegenden Ausrichtung der Sendungen bzw. Foren von den Beteiligten aufgenommen und<br />

durch die Auseinandersetzung (re-)produziert werden. Anhand der vorliegenden Daten könnten mehrere<br />

Indikatoren für eher konfrontatives bzw. konsensuelles Gesprächsverhalten untersucht werden.<br />

38


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

3.3 Inhaltsanalyse: Methodischer Ansatz der Untersuchung<br />

Der Umfang des Datensatzes legt es nahe, eine quantitative Methode der Datenerhebung<br />

und -auswertung zu wählen. In der vorliegenden Untersuchung kommt die Inhaltsanalyse<br />

zur Anwendung. Der Vorteil der standardisierten Inhaltsanalyse besteht darin, grosse Datenmengen<br />

verarbeiten zu können und so die Grundstruktur der medienvermittelten politischen<br />

Information zu erfassen (vgl. Früh 2004; Merten 1995). Zudem zeigt gerade die jüngere<br />

Deliberationsforschung, dass inhaltsanalytische Ansätze durchaus geeignet sind, um<br />

deliberative Formate zu untersuchen (vgl. Steenbergen et al. 2003; Dahlberg 2001a; Kies,<br />

Jansen 2004).<br />

Aufgrund der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes erfordert die konkrete methodische<br />

Umsetzung in Ansätzen eine qualitative Herangehensweise: In der vorliegenden<br />

Untersuchung werden u.a. Bedeutungen und Inhalte klassifiziert und nicht lediglich die<br />

formale Zeichengestaltung und/<strong>oder</strong> Themen. Die Klassifizierung der Untersuchungseinheiten<br />

erfordert somit in diesen Fällen eine sprachpragmatische Analyse der Äusserungen<br />

wie sie vornehmlich in methodischen Ansätzen der Sprachwissenschaften (qualitative Diskursanalyse)<br />

zur Anwendung kommt (u.a. Wilson 1990). Um den Einfluss eines individuell<br />

unterschiedlichen Sprachverständnisses zu minimieren, wird die Interpretationsweise<br />

mit Hilfe der Kategoriendefinitionen und der Codieranweisungen verbindlich gemacht und<br />

offen gelegt. 53 Dadurch wird der Interpretationsspielraum eingegrenzt und kontrollierbar<br />

(Früh 1998: 94). Mit der vorliegenden Untersuchung wird die Komplexität der politischen<br />

Kommunikation bei der Betrachtung berücksichtigt, indem sich der Fokus auf die Argumentation<br />

richtet und in einzelnen Bereichen gar auf die illokutive Funktion einzelner Aussagen<br />

eingegangen wird. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Substanz der<br />

Akteursaussagen nicht ausgeblendet wird. Die daran anknüpfende quantitative Analyse<br />

ermöglicht es, die erhobene Datenmenge innerhalb des gegebenen Zeitraums auszuwerten.<br />

Die qualitativen und quantitativen Aspekte sollen jedoch nicht einfach gleichgewichtig<br />

gekoppelt werden, vielmehr geht es aus forschungsökonomischen Gründen darum, sie so<br />

miteinander zu verbinden, dass sie der Komplexität des Gegenstandes angemessen sind,<br />

gleichzeitig jedoch handhabbar bleiben – was insbesondere für den qualitativen Teil gilt.<br />

Auf den verschiedenen Untersuchungsebenen werden die Redebeiträge/Posts bzw. Geltungsansprüche<br />

dann nach der Mediengattung (Radio/Fernsehen/Internet), nach der<br />

Sprachregion (Deutschschweiz/Westschweiz), nach der Marktstellung des Senders (öffentlich/privat)<br />

bzw. des Forums (google.groups/Medienverlagshäuser) und nach <strong>Dialog</strong>format<br />

(Debatte/Interview) ausgewertet. Die Auswertung erfolgt jeweils für die gemäss den erkenntnisleitenden<br />

Hypothesen fokussierten Vergleichsebenen. Sind auf den übrigen Ebenen<br />

Auffälligkeiten feststellbar, werden diese ebenfalls eingehender diskutiert.<br />

3.4 Analysekonzept: Die Kategorien der Deliberation<br />

Bis vor einigen Jahren schien einer empirischen Anwendung des deliberativen Ansatzes<br />

die schiere Komplexität des Modells im Wege zu stehen. Seit Ende der 1990er Jahre haben<br />

sich indes mehrere Arbeiten mit der Diskursqualität vor allem innerhalb des parlamentarischen<br />

Komplexes und in Online-Foren befasst, so dass sich inzwischen ein einheitlicher<br />

Zugang in der Forschung herausgebildet hat (vgl. Steenbergen et al. 2003; Dahlberg 2001a,<br />

b, c; Kies, Jansen 2005). Wenngleich bezüglich der konkreten Operationalisierung nach<br />

wie vor Unterschiede bestehen, so herrscht doch weitgehend Konsens darüber, auf welche<br />

Elemente des Diskurses sich die Analyse zu konzentrieren hat. Das vorliegende Projekt<br />

knüpft hier an die bestehende Forschung an, legt den Fokus im Gegensatz zu einem<br />

53 Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2 im Anhang.<br />

39


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Grossteil der bisherigen Studien jedoch nicht auf eher begrenzte Teilöffentlichkeiten, sondern<br />

auf die massenmediale Öffentlichkeit. Insgesamt handelt es sich so um sechs analytische<br />

Kategorien bzw. Grundfragen, mittels derer die diskursive Qualität des Diskurses<br />

erfasst werden soll:<br />

• Wie inklusiv ist der Diskurs bezogen auf die vertretenen AkteurInnen und Argumente?<br />

• Wie verläuft der Rollenwechsel?<br />

• Wie stark nehmen die AkteurInnen aufeinander Bezug?<br />

• Welche Geltungsansprüche werden thematisiert bzw. kritisiert?<br />

• Inwiefern begründen die AkteurInnen ihre eigenen Geltungsansprüche?<br />

• Wie respektvoll ist die Interaktion?<br />

Im Folgenden sollen nun sowohl die analytischen Kategorien vorgestellt als auch deren<br />

Umsetzung erläutert werden.<br />

Inklusivität: AkteurInnen und Argumente<br />

Eine der Grundforderungen deliberativer Verfahren ist die Inklusivität des Diskurses, d.h.<br />

alle Betroffenen sollen die Möglichkeit haben, sich zu äussern. Je egalitärer der Zugang<br />

der AkteurInnen, desto deliberativer der Diskurs und desto umfassender die politische Information<br />

– auf diese vereinfachte Formel liesse sich das Modell bringen. Eine vollumfängliche<br />

Inklusivität ist indes weder durchführbar, noch wäre sie empirisch messbar.<br />

Überprüft werden kann hingegen, wie stark sich die einzelnen Medien und Formate hinsichtlich<br />

der Inklusivität voneinander unterscheiden. Das Inklusivitätsprinzip kommt hier<br />

gleich in zweifachem Sinn zum Tragen: Zunächst bezeichnet es den Zugang von AkteurInnen<br />

des Zentrums und der Peripherie zum Diskurs, denn wichtig ist, dass diejenigen AkteurInnen,<br />

die den politischen Prozess als solchen herstellen, direkt <strong>oder</strong> indirekt darin<br />

auch vertreten sind. Mit indirekter Vertretung ist hier gemeint, dass AkteurInnen der Peripherie,<br />

der zivilgesellschaftlichen Organisationen – sofern am Prozess beteiligt – der zentrumsnahen<br />

Verbände auf der In- wie Outputseite, der Verwaltung und des parlamentarischen<br />

Komplexes am Diskurs teilnehmen sollen, will dieser als inklusiv gelten. Zweitens<br />

geht es darum zu klären, inwiefern zivilgesellschaftlich-periphere und zentrumsnahe Argumente<br />

Eingang in den Diskurs finden. Eine zentrumsnahe Sichtweise streicht bspw. die<br />

konkrete Umsetzung einer gesetzlichen Regelung in Verwaltung und Behörden heraus<br />

(„Die Unterzeichnung des Schengen-Abkommens bedeutet in allererster Linie eine grundlegende<br />

Änderung der Arbeitsweise von Polizei und Gerichten“). Die Peripherie-<br />

Perspektive dagegen bezieht sich mehr auf die „Lebenswelt“ der zivilgesellschaftlichen<br />

AkteurInnen („Man darf bei allem, was für das Abkommen spricht, die Ängste der Bevölkerung<br />

nicht einfach ignorieren. Politik zu machen heisst immer noch, für und nicht gegen<br />

das Volk zu handeln“). Es kann davon ausgegangen werden, dass die AkteurInnen vermehrt<br />

jene Perspektive in den Diskurs einbringen, die ihnen augrund ihrer gesellschaftlichen<br />

Position bzw. Funktion nahe liegt. Damit rückt nicht zuletzt auch wieder die Rolle der<br />

Medien in den Vordergrund, besteht ihre Aufgabe doch gerade darin, die Redeanteile der<br />

verschiedenen AkteurInnen zu regulieren und die vorgebrachten Argumente kritisch, d.h.<br />

auch aus der jeweils anderen Perspektive, zu reflektieren. 54<br />

54 Dass das Zentrum überrepräsentiert ist und die Peripherie im politischen Prozess nur marginal Vertretung<br />

findet, ist eine Tatsache. So kommen etwa Cobb et al. (1976), die den Verlauf von politischen Themen untersuchen,<br />

zum Schluss, dass nur in einem von drei modellhaften Fällen, der zudem nur äusserst selten vorkommt,<br />

die Themen von AkteurInnen ausserhalb des politischen Systems in dieses hineingetragen werden<br />

(vgl. auch Habermas 1992: 458 f.).<br />

40


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Beide Ausprägungen der Inklusivität werden inhaltsanalytisch erfasst. Die AkteurInnen<br />

durch Zuordnung ihrer Position auf der Zentrums-Peripherie-Achse, wobei folgende Akteursgruppen<br />

unterschieden werden: Zentrum (BundesrätInnen und übrige), zentrumsnah,<br />

peripherienah, Peripherie, ExpertInnen und JournalistInnen. In einem ersten Schritt wird<br />

analysiert, wie stark sich die verschiedenen Akteursgruppen rein personell am Diskurs<br />

beteiligen können. Die vorkommenden AkteurInnen wurden pro Sendung bzw. Teilsequenz<br />

<strong>oder</strong> Forum entlang dieses Schemas verortet. Es ist somit möglich, dass sich eine<br />

Person verschiedene Plattformen zu Nutze machte bzw. machen konnte, um über den gegeben<br />

Sachverhalt zu debattieren und einer Akteursgruppe folglich mehrfach zugeordnet<br />

wurde. Dieses Vorgehen begründet sich dadurch, dass aus der Perspektive der RezipientInnen<br />

davon auszugehen ist, dass nicht die gesamte zur Verfügung stehende mediale Auseinandersetzung<br />

verfolgt wird, sondern nur einzelne Sendungen <strong>oder</strong> Foren.<br />

In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie stark sich die verschiedenen AkteurInnen an<br />

der Diskussion tatsächlich beteiligen und damit, welches Gewicht den potentiell unterschiedlichen<br />

Argumentationen zukommt. Als Untersuchungseinheit gilt hier zunächst der<br />

einzelne Redebeitrag bzw. Post. Ein Redebeitrag umfasst das Gesagte eines Sprechers/einer<br />

Sprecherin bis eine nächste Person zu reden anfängt. Bei gleichzeitigem <strong>oder</strong><br />

überlappendem Sprechen wurden zusammenhängende Aussagen als ein Redebeitrag codiert.<br />

Unterbrechungsversuche, in denen keine sinnstiftende Aussage gemacht wird, wurden<br />

nicht als Redebeiträge gewertet. Die Bestimmung eines Beitrags in den Online-Foren<br />

ergibt sich über die typographische Gestaltung der jeweiligen Internetseiten, anhand derer<br />

wechselnde AutorInnen erkennbar sind.<br />

Die Intensität der Beteiligung wurde weiter anhand der Rededauer bzw. der Länge der<br />

Posts pro Akteursgruppe bestimmt. Diese wurde pro codierten Redebeitrag in Sekunden<br />

bzw. pro Post in Anzahl Wörter erhoben. Denn von Bedeutung ist nicht nur, wie oft jemand<br />

zu Wort kommt sondern auch – insbesondere in den Debatten von Radio und Fernsehen<br />

– ob eine eigene Argumentation aufgebaut und verteidigt werden kann, wozu es einer<br />

gewisse Rededauer bedarf.<br />

Der inhaltliche Untersuchungsgegenstand – Debatten zu nationalen Abstimmungsvorlagen<br />

– lässt erwarten, dass sich eine Vielzahl der AkteurInnen dichotom entweder als GegnerInnen<br />

<strong>oder</strong> als BefürworterInnen der Vorlage verorten lassen. Ihre Beteiligung am Diskurs ist<br />

insbesondere für die Bestimmung der Medienleistung von Bedeutung, denn der Anspruch<br />

auf Objektivität verlangt nach einer ausgewogenen Berücksichtigung beider Positionen.<br />

Des Weiteren kann anhand dieser Grösse ermittelt werden, ob der Diskurs im Internet eine<br />

kompensatorische Funktion gegenüber der medialen Arena von Radio und Fernsehen einnimmt<br />

und inwiefern die TeilnehmerInnen den Diskurs in den Online-Foren selber regulieren.<br />

Zu diesem Zweck wurde allen AkteurInnen entweder die Position BefürworterIn <strong>oder</strong><br />

GegnerIn zugeordnet bzw. ihre Position wurde als nicht ersichtlich <strong>oder</strong> ambivalent codiert.<br />

Sämtliche (Rede-)beiträge werden auf diese Kategorie hin analysiert.<br />

Bezüglich der Frage nach der Inklusivität der Argumente werden die geäusserten Geltungsansprüche<br />

zum einen nach unterschiedlichen Ebenen unterschieden (s.u.). Zum anderen<br />

wird erhoben, welche Themen in den einzelnen Geltungsansprüchen im Vordergrund<br />

stehen. Die Codierung stützte sich auf einen vorgegebenen Themenkatalog aus dem pro<br />

Geltungsanspruch maximal zwei Themen vergeben wurden.<br />

Idealer Rollenwechsel<br />

Dem deliberativen Ideal entsprechend soll es für die AkteurInnen möglich sein, am Diskurs<br />

teilzunehmen. Das bedeutet auch, dass sie ganz allgemein gesagt sowohl SprecherIn<br />

als auch HörerIn sind bzw. frei zwischen diesen Rollen wechseln. Nehmen sie indes nur<br />

eine der beiden Rollen ein, so ist dies ein Indiz dafür, dass der Diskurs systematisch verzerrt<br />

ist. Bei Radio und Fernsehen sind insbesondere die M<strong>oder</strong>atorInnen der Sendungen<br />

41


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

dafür zuständig, dass dies nicht geschieht; beim Internet hingegen ist dies wiederum eine<br />

Dimension, die von der Fähigkeit der Teilnehmenden abhängt, den Diskurs selbst zu regulieren.<br />

Hier weist der Diskurs abermals eine medienspezifische Besonderheit auf: Da es<br />

beim Internet nicht wie in Radio und Fernsehen möglich ist, diskursive Dominanz über die<br />

unverhältnismässige Betonung der Sprecherrolle auszuüben, kann nur versucht werden, die<br />

anderen AkteurInnen an der Teilnahme zu hindern, indem ihnen Kommunikationsrechte<br />

abgesprochen werden („Wer so wie du keine Ahnung hat, sollte lieber den Mund halten,<br />

anstatt die Diskussion zu stören“). 55<br />

Die Art wie der Sprecherwechsel erfolgt, lässt zudem Rückschlüsse über die Art der Gesprächsführung<br />

zu. Bei den Online-Foren stellt sich insbesondere die Frage, ob die Teilnehmenden<br />

versuchen einen <strong>Dialog</strong> aufrechtzuerhalten, indem sie andere DiskussionsteilnehmerInnen<br />

dazu auffordern, eine Replik zu verfassen. Der Diskurs kann eher als deliberativ<br />

gelten, wenn sich die Teilnehmenden darum bemühen, eine Argumentation auf deren<br />

Plausibilität hin zu prüfen. Das wechselseitige Auffordern zur <strong>Dialog</strong>beteiligung verweist<br />

auf ein diesbezügliches Engagement. Bei den klassischen Medien unterminieren die Teilnehmenden<br />

mit solchem Verhalten zwar die für alle Beteiligten bekannte Rolle der M<strong>oder</strong>ation,<br />

56 bringen damit jedoch gleichwohl ein gesteigertes Interesse am Meinungsaustausch<br />

mit spezifischen DiskursteilnehmerInnen zum Ausdruck.<br />

Da es hier um die Dominanz einzelner AkteurInnen geht, wird diese Dimension einerseits<br />

durch die Auswertung der Inklusivität der vorkommenden AkteurInnen und ihrer Gesprächsanteile<br />

(Rolle als SprecherIn) analysiert (s.o.). Des Weiteren wird untersucht, wie<br />

der Wechsel zwischen den Rollen zustande kommt, wobei ein besonderes Augenmerk auf<br />

der Medienleistung und auf der diskursregulierenden Fähigkeit der InternetnutzerInnen<br />

liegt. Zu diesem Zweck wurde erhoben, ob die Teilnehmenden das Wort selber ergreifen<br />

<strong>oder</strong> ob sie es durch andere, d.h. entweder durch die M<strong>oder</strong>ation <strong>oder</strong> durch eine/n andere/n<br />

TeilnehmerIn erteilt bekommen haben. Untersuchungseinheit ist der einzelne (Rede-<br />

)beitrag.<br />

Reziprozität<br />

Ein deliberativer Diskurs zeichnet sich durch Reflexivität aus. Da kaum bestimmt werden<br />

kann, inwiefern die Teilnehmenden die vorgebrachten Geltungsansprüche tatsächlich reflektieren,<br />

wird diese Dimension in erster Linie anhand des Grades an Reziprozität beleuchtet.<br />

Die Bezugnahme der AkteurInnen aufeinander kann gewissermassen als Ausdruck<br />

und Vorbedingung für ein vertieftes Verständnis gelten. Denn das Erheben von Geltungsansprüchen<br />

kann geschehen, ohne dass sich der/die SprecherIn auf andere Positionen<br />

<strong>oder</strong> Argumente beziehen muss. Demgegenüber ist ein Diskurs dann bereits eher als deliberativ<br />

zu bezeichnen, wenn ein/e AkteurIn auf die Argumente seines Gegenübers eingeht,<br />

wodurch der Diskurs seinen dialogischen Charakter ja erst erwirbt („Sie reden immer von<br />

einer unvermeidlichen Verschlechterung unserer Sicherheit, dabei ist doch gerade dieser<br />

Punkt gar nicht bewiesen“). Der Reziprozität kommt dabei über die deliberative Sichtweise<br />

55 Wie Davis (1999) aufzeigt, sind solche Ausgrenzungs-Strategien in Online Foren durchaus an der Tagesordnung.<br />

Sie betreffen indes nicht nur den Disput zwischen TeilnehmerInnen mit unterschiedlichen Meinungen,<br />

sondern sind ebenso ein Merkmal des Umgangs zwischen „etablierten“ DiskursteilnehmerInnen und<br />

„Neulingen“ (vgl. Davis 1999: 149 ff.).<br />

56 In den massenmedialen Formaten von Radio und Fernsehen sind der Diskurs und die verfügbaren Rollen<br />

bereits zu einem gewissen Grad institutionalisiert, was sich vor allem an der besonderen Stellung der M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

zeigt. Was Konversationsanalytiker mit „turn type pre-allocation“ bezeichnen, ist nichts anderes<br />

als die Beschreibung dieser Rollen aus kommunikativer Sicht, also etwa dem bisweilen exklusiven Rechts<br />

der M<strong>oder</strong>ation, Fragen zu stellen und der moralischen Pflicht der Befragten, zu antworten (vgl. Clayman,<br />

Heritage 2002; Greatbatch 1988). Zuwiderhandeln gegen diese vorab definierte Struktur bedroht dann nicht<br />

nur den Kommunikationsfluss, sondern die Rolle der AkteurInnen selbst. [wie im Weiteren auch das Format<br />

selbst, das sich ja aus dem Interaktionsprozess ergibt].<br />

42


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

hinaus weitere Bedeutung zu, indem sie auch dazu dient, die AkteurInnen voneinander<br />

abzugrenzen und es so den RezipientInnen ermöglicht, die TeilnehmerInnen im Diskursfeld<br />

der verschiedenen Positionen zu situieren. Allerdings stellt sich die Frage, ob die AkteurInnen<br />

wirklich auf die Argumente des Gegenübers eingehen <strong>oder</strong> sie als „Schein-<br />

Reflexivität“ nur Erwähnung finden, die eigentliche Aussage dann aber einen anderen,<br />

nicht damit verknüpften Geltungsanspruch in den Vordergrund rückt.<br />

Die Unterscheidung zwischen einer tatsächlichen Bezugnahme und einer Schein-<br />

Bezugnahme erfordert eine verhältnismässig hohe kognitive Leistung, insbesondere wenn<br />

„spontane Sprache“ auf genanntes Kriterium hin codiert werden soll. Um Abweichungen<br />

zu minimieren und bei der Codierung eine gewissen Effizienz zu erreichen, wurde die Kategorie<br />

„Bezugnahme“ zunächst weit gefasst: Pro Redebeitrag bzw. Post wurde ein Bezugnahme<br />

codiert, wenn a) eine argumentative Bezugnahme hergestellt wurde, b) eine thematische<br />

Anknüpfung an zuvor Gesagtes/Geschriebenes erkennbar war <strong>oder</strong> sprachliche Verknüpfungen<br />

hergestellt wurden und c) wenn sich ein (Rede-)beitrag direkt auf andere Gesprächsteilnehmende<br />

bezog, z.B. durch direkte Anrede. Eine offensichtliche Form der Bezugnahme<br />

besteht bei einigen Online-Foren in der Möglichkeit, vorangegangene Diskussionsteile<br />

automatisiert zu zitieren. Zwar muss im Folgenden, d.h. im neuen Text keine weitere<br />

Bezugnahme mehr hergestellt werden, aus Perspektive der RezipientInnen ist jedoch<br />

davon auszugehen, dass in diesen Fällen eine Bezugnahme interpretiert wird. Kam diese<br />

Möglichkeit zur Anwendung, so wurde eine Bezugnahme codiert. Werden die Online-<br />

Beiträge in einer Baumstruktur dargestellt, so wird über die Antwortfunktion ebenfalls eine<br />

Art von Bezugnahme hergestellt, denn die NutzerInnen müssen sich entscheiden, auf wessen<br />

Post sie eine Antwort bzw. Ergänzung verfassen. Stichproben haben ergeben, dass diese<br />

Funktion jedoch nicht in jedem Fall zweckgebunden genutzt wird – einzelne Teilnehmende<br />

„antworten“ scheinbar zufällig auf einen Beitrag, um ihre eigene Sichtweise darzulegen.<br />

Aus diesem Grund ist die dargestellte Strukturierung kein eindeutiger Gradmesser<br />

für eine Bezugnahme und wurde bei der Codierung nicht als solche angesehen.<br />

Die Auswertung der Ergebnisse bestätigt, dass der Kategorie „Bezugnahme“ – wie oben<br />

ausgeführt – zu weit gefasst ist. Daher kommt eine zweite Operationalisierung der Kategorie<br />

zur Anwendung: Unabhängig von der hier vorgestellten Analyseebene wurde für das<br />

gesamte Datenmaterial erhoben, welche kommunikative Handlungsabsicht die Diskursteilnehmenden<br />

mit ihren Geltungsansprüchen verfolgen. In Anlehnung an sprachwissenschaftliche<br />

Forschungsansätze (vgl. Searle 1999; Austin 2003; Sperber, Wilson 2004) wurden<br />

unter der Kategorie „Intentionen“ verschiedene mögliche illokutive Sprechakte der AkteurInnen<br />

unterschieden, 57 wovon einige auf eine argumentative Bezugnahme hindeuten:<br />

Wenn Diskursteilnehmende die Meinung anderer konkret aufgreifen und argumentativ<br />

ausdifferenzieren, wenn sie eine geäusserte Argumentation verbal hinterfragen bzw. zu<br />

widerlegen versuchen <strong>oder</strong> Fragen stellen, die andere dazu auffordern ihre Geltungsansprüche<br />

zu präzisieren, kann von einer vertieften Auseinandersetzung mit der Meinung<br />

anderer ausgegangen werden. Bei Redebeiträgen bzw. Posts, in denen einem <strong>oder</strong> mehreren<br />

Geltungsansprüchen einzelne der obgenannten Intentionen zugeordnet wurden, kann<br />

eine argumentative Auseinandersetzung mit dem zuvor Gesagten bzw. Geschriebenen zugeschrieben<br />

werden, dementsprechend wird eine „echte“ Bezugnahme klassifiziert. Dies<br />

etwa im Gegensatz dazu, wenn die eigene Meinung im Vordergrund steht, anderen DiskursteilnehmerInnen<br />

lediglich widersprochen wird ohne eine Begründung anzuführen <strong>oder</strong><br />

wenn auf bereits geäusserten Geltungsansprüchen beharrt wird.<br />

57 Vgl. Kapitel 3.1 und 3.2 im Anhang.<br />

43


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

Thematisierung bzw. Kritik von Geltungsansprüchen<br />

Dies stellt quasi die Hauptdimension der Untersuchung dar, besteht doch ein Diskurs –<br />

unabhängig davon, ob deliberativ <strong>oder</strong> nicht – darin, eigene Geltungsansprüche zu erheben<br />

bzw. diejenigen des Gegenübers zu kritisieren. Die grundlegende Klassifizierung dieser<br />

Geltungsansprüche orientiert sich an der von Habermas (1981) vorgenommenen Einteilung,<br />

in der Sprechende und Hörende sich grundsätzlich über drei verschiedene Aspekte<br />

der Welt verständigen können: 1.) über (objektive) Tatsachen und Vorgänge, die wahr <strong>oder</strong><br />

unwahr sind, 2.) über die Richtigkeit normativer Fragen, die als richtig bzw. angemessen<br />

<strong>oder</strong> falsch bewertet werden können, und schliesslich 3.) über die subjektive Welt des/r<br />

Sprechenden <strong>oder</strong> Hörenden bzw. dessen Glaubwürdigkeit, die als wahrhaftig <strong>oder</strong> eben<br />

unwahrhaftig eingestuft werden kann. 58<br />

Durch diese Klassifikation wird es möglich, die grundlegende Struktur des Diskurses offen<br />

zu legen. Insbesondere interessiert dabei, ob sich die Diskussion um Sachfragen dreht<br />

(bspw. „Das Schengen-Abkommen verschlechtert die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung“),<br />

ob eher normative Fragen im Vordergrund stehen („Unsere Souveränität verbietet<br />

es, EU-Recht zu übernehmen“) <strong>oder</strong> ob eine Personalisierung der Debatte stattfindet („Sie<br />

sind doch nur dafür, damit Sie in ihrer Partei nicht noch weiter marginalisiert werden“).<br />

Anhand dieser Kategorie können quantitative Aussagen zur Dominanz gewisser Argumentationsformen<br />

gemacht werden: Insbesondere interessiert das Verhältnis zwischen sachlicher<br />

und personalisierter Diskussion, wobei auch die Frage gestellt wird, inwiefern die<br />

Lebenswelt der AkteurInnen Eingang in die Diskussion findet <strong>oder</strong>, ob die Auseinandersetzung<br />

auf der subjektiven Ebene lediglich dem Angriff auf andere am Diskurs beteiligte<br />

Personen dient. Von Interesse ist diesbezüglich auch, ob die Medien hier eine ausgleichende<br />

Rolle einnehmen.<br />

Für das gesamte Untersuchungsmaterial wurden zu diesem Zweck alle vorkommenden<br />

Geltungsansprüche codiert und nach erhebenden und kritisierenden Geltungsansprüchen<br />

unterschieden. Kritik wurde nur als solche gewertet, wenn sie diskursimmanent war, d.h.<br />

wenn sie sich gegen die Aussagen anderer DiskursteilnehmerInnen <strong>oder</strong> auf diese Personen<br />

selber richtete. Weiter wurde differenziert, ob es sich um sachliche, normative <strong>oder</strong> subjektive<br />

Geltungsansprüche handelt. Es ist möglich, dass ein Geltungsanspruch sowohl normative<br />

wie auch sachliche und subjektive Aussagen vereint. Gleiches gilt für das Klassifizieren<br />

eines Geltungsanspruchs als kritisierend <strong>oder</strong> erhebend. In beiden Fällen kam bei der<br />

Codierung das Prinzip der Gewichtung zum Zug, d.h. ein Geltungsanspruch wurde nach<br />

den dominierenden Aussagen als sachlich, subjektiv <strong>oder</strong> normativ bzw. als erhebend <strong>oder</strong><br />

kritisierend erfasst.<br />

Die subjektiven Geltungsansprüche dienen zudem als Anhaltspunkt, um die Frage zu klären,<br />

inwiefern die Lebenswelt der AkteurInnen zum Thema der Diskussion wird und wie<br />

stark der Diskurs personalisiert wird – dazu werden genannte Unterkategorie mit der Kategorie<br />

„Begründung“ gekoppelt. Um herauszufinden, ob personenbezogene Argumente in<br />

den Vordergrund der Diskussion treten, wurde zudem das Argumentum ad hominem codiert.<br />

Dabei handelt es sich um eine Stilfigur, die sich nicht auf die zur Diskussion stehende<br />

Behauptung auf der sachlich-thematischen Ebene, sondern auf den Menschen bezieht,<br />

58 Habermas entwirft anhand dieser drei verschiedenen Typen von Geltungsansprüchen sowie einem vierten,<br />

dem übergeordneten Geltungsanspruch der Verständigung, eine Sprechakttypologie, die sozusagen das Herzstück<br />

der Universalpragmatik ist (vgl. Habermas 1981, 1989). Gerade in Bezug auf das Internet mit seinen<br />

gruppenspezifischen Jargons kann dieser letztgenannte Geltungsanspruch auf Verständlichkeit von besonderem<br />

Interesse sein.<br />

44


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

der diese aufgestellt hat. 59 Das Argumentum ad hominem wurde ebenfalls pro Geltungsanspruch<br />

codiert.<br />

Da eine Grundbedingung der politischen Meinungs- und Willensbildung die Auseinandersetzung<br />

mit dem jeweiligen Politikum ist – unabhängig davon, ob dies aus der sachlichen,<br />

normativen <strong>oder</strong> subjektiven Perspektive geschieht – wurde jeder Geltungsanspruch zudem<br />

entweder als themenrelevant <strong>oder</strong> themenfremd codiert.<br />

Begründung von Geltungsansprüchen<br />

Zielt die Reziprozität auf den Einbezug des vorab Geäusserten ab, so handelt es sich bei<br />

der Begründung der Geltungsansprüche um die Rationalität des Diskurses und zwar bezogen<br />

auf die eigene Position. Das heisst, es geht in erster Linie darum, ob der erhobene bzw.<br />

kritisierende Geltungsanspruch im Weiteren auch begründet wird <strong>oder</strong> unbegründet stehen<br />

bleibt („Ich bin für einen Beitritt zum Schengener Abkommen, denn es gibt uns die Möglichkeit,<br />

Sicherheitsfragen auf einer gesamteuropäischen Ebenen zu koordinieren. Der Nationalstaat<br />

– und das wissen wir alle – kann diese Herausforderungen allein nicht mehr<br />

lösen“).<br />

Jeder Geltungsanspruch wird als begründet <strong>oder</strong> unbegründet klassifiziert. 60 Die Codierung<br />

wurde wiederum gewichtet vorgenommen, d.h. wenn einzelne Sprechakte innerhalb eines<br />

Geltungsanspruchs begründet waren, andere hingegen nicht, so war der dominierende Teil<br />

entscheidend für die entsprechend Zuordnung. Die Plausibilität der Begründung steht bei<br />

dieser Kategorie nicht im Vordergrund, denn zum einen ist es aus forschungsökonomischen<br />

Gründen nicht zu bewerkstelligen, den Gehalt einer Begründung zu ermitteln. Zum<br />

zweiten ist es – berücksichtigt man die Perspektive der RezipientInnen – auch nicht angezeigt,<br />

Begründungen in Abrede zu stellen, die zwar nicht plausibel sind, aber als solche<br />

wahrgenommen werden. Dies insbesondere, weil es sich beim Untersuchungsgegenstand<br />

um spontane Sprache handelt und dem Publikum bei den klassischen Medien nur eine begrenzte<br />

Zeit zur kognitiven Verarbeitung des Gesagten zur Verfügung steht. Offensichtliche<br />

Zirkelschlüsse wurden indes nicht als Begründung gewertet („es ist gut, weil es gut<br />

ist“). Eine darüber hinausgehende Analyse bezüglich der Frage, ob eine Begründung<br />

schlüssig ist, wurde nicht vorgenommen. Dies insbesondere auch deshalb, weil der deliberative<br />

Ansatz es nahe legt, die Perspektive der Teilnehmenden einzunehmen. Gefragt wird<br />

also nicht nach der Gültigkeit einer Begründung in argumentationstheoretischen Termini,<br />

59 Einige Beispiele: In einer Sendung „Forums“ (RSR1) dreht sich die Diskussion um Personenkontrollen.<br />

Oscar Freysinger äussert die Befürchtung, dass in Zukunft alle ihre Identitätskarten auf sich tragen müssen.<br />

Die M<strong>oder</strong>ation wirft ein, dass dies heute schon der Fall sei. Freysinger verneint, er trage sie nicht die ganze<br />

Zeit mit sich herum. Darauf die M<strong>oder</strong>ation: „Parce que vos êtes connu Monsieur Freysinger. Vous êtes un<br />

star“ Hier steht nun die Person Freysingers im Vordergrund der Diskussion, nicht mehr das Thema der Personenkontrollen.<br />

?“ (Pascal Decaillet [M<strong>oder</strong>ation] in RSR1, „Forums“, 09.05.2005, 0:34:54). Ein weiteres<br />

Beispiel stammt aus der Teilsequenz ‚Der heisse Stuhl’ in der Sendung ‚Rundschau’ (SF DRS1): Das Interview<br />

mit Rita Fuhrer dreht sich um eine Rede Christoph Blochers in Rafz und die Situation an den Grenzen.<br />

Die M<strong>oder</strong>ation stellt folgende Frage: „Ich möchte aber noch einen Aspekt der Rede erwähnen. Sie wurden<br />

als Märtyrerin erwähnt, die im Kanton Zürich einen Maulkorb trägt. Fühlen Sie sich gebraucht“. Im Folgenden<br />

geht es um die Person Fuhrers. (Reto Brennwald [M<strong>oder</strong>ation] in SF DRS1, Rundschau, „Der heisse<br />

Stuhl“, 11.05.2005, 0:10:12).<br />

60 Steenbergen et al. (2003) gehen hier weiter, indem sie eine Abstufung definieren, die in vier Schritten von<br />

„no justification“ bis zur „sophisticated justification“ reicht. Im Rahmen des vorliegenden Projekts sind die<br />

Schattierungen der Begründung indes nicht ausschlaggebend für die Bestimmung des Diskursverlaufs bzw.<br />

dessen qualitative Ausgestaltung. Zudem ist das Code-Schema von Steenbergen et al. für Parlamentsdebatten<br />

entwickelt worden, d.h. es handelt sich hierbei grösstenteils um „geplante“ Aussagen, die dem geschriebenen<br />

Text sehr ähnlich sind. Gerade dies ist zumindest bei Radio und Fernsehen weitaus weniger der Fall. Daher<br />

wird hier zunächst eine einfachere Variante der Codierung vorgeschlagen, die gegebenenfalls weiter differenziert<br />

werden kann, sofern sie handhabbar bleibt.<br />

45


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

sondern vielmehr danach, ob die vorgebrachten Gründe für die TeilnehmerInnen triftig<br />

sind. 61<br />

Innerhalb der begründeten Argumentation nimmt das Begründen von Kritik eine gewisse<br />

Sonderstellung ein. Dies, weil begründete Kritik auf einen reflexiven Prozess hinweist. Es<br />

kann davon ausgegangen werden, dass zumindest ein gewisses Mass an reflektierter Auseinandersetzung<br />

mit dem Gesagten/Geschriebenen stattfinden muss, bevor eine begründete<br />

Gegenargumentation formuliert werden kann.<br />

Von besonderem Interesse bezüglich der genannten Kategorie ist zudem die Rolle der Medien.<br />

Insbesondere stellt sich die Frage, ob die M<strong>oder</strong>ation aktiv darum bemüht ist, die<br />

AkteurInnen zu begründeten Aussagen zu bewegen.<br />

Respekt<br />

Die respektvolle Interaktion ist ein weiteres Kriterium zur Bestimmung der Diskursqualität.<br />

Der kommunikative Respekt ist eine Voraussetzung dafür, dass die AkteurInnen ihre<br />

Argumentation tatsächlich ausführen und die HörerInnen derselben auch aufmerksam folgen<br />

können. Fallen sich die Teilnehmenden hingegen dauernd ins Wort, wird das eigentliche<br />

Ziel des Meinungsaustausches torpediert. Das Prinzip der freien Meinungsäusserung<br />

wird unterminiert, wenn sich die KommunikationspartnerInnen als solche nicht respektieren,<br />

indem anderen AkteurInnen diskursive Kompetenz abgesprochen <strong>oder</strong> DiskursteilnehmerInnen<br />

zum Objekt der Aussagen werden. Ein solches Gesprächsklima steht im Widerspruch<br />

zur theoretisch begründeten Konsensfindung als Ziel der Meinungs- und Willensbildung.<br />

Die Kategorie des Respekts wird ex negativo erhoben: Ein Merkmal mangelnden kommunikativen<br />

Respekts ist übermässiges Unterbrechen anderer GesprächsteilnehmerInnen. Bei<br />

den klassischen Medien wird auf Ebene des Redebeitrags bei jedem Sprecherwechsel erhoben,<br />

ob dieser durch Unterbrechung zustande kam. Die Codierung unterschied zwischen<br />

„respektverletzender“ und „entschuldigter“ Unterbrechung. Unter Letzterer wurden wörtlich<br />

jene Unterbrechungen gewertet, für die sich der/die AkteurIn entschuldigt und die<br />

kommunikativen Regeln somit zwar nicht faktisch, aber dennoch prinzipiell akzeptiert. Als<br />

„entschuldigte“ Unterbrechungen wurden überdies bestimmte Gesprächsschritte der M<strong>oder</strong>ation<br />

gewertet, denen eine funktionale Bedeutung für den Diskurs zukommt. Unterbrechungen<br />

zum Zweck des Verständnisses (akustisch und/<strong>oder</strong> inhaltlich) wurden nicht als<br />

respektverletzend gewertet. Ebenso wurden Unterbrechungen, die der angemessenen Verteilung<br />

des Rederechts dienen (idealer Rollenwechsel) <strong>oder</strong> durch äussere Restriktionen<br />

wie der begrenzten Sendungsdauer begründet sind, nicht als mangelnder Respekt gewertet.<br />

Ein weiteres Merkmal für den mangelnden kommunikativen Respekt sind beleidigende<br />

Äusserungen, die auf die Person bzw. auf deren Argument abzielen. Um die intermediäre<br />

Vergleichbarkeit zu gewährleisten wurde in beiden Mediengattungen erhoben, ob die<br />

Kommunikationsrechte anderer direkt am Diskurs beteiligter AkteurInnen bzw. dieselben<br />

in ihrer Person angegriffen wurden. Die erhobenen argumenti ad homini 62 wurden auf despektierliche<br />

Äusserungen hin untersucht und – falls diskursimmanent – als solche codiert.<br />

63 Dabei können die Äusserungen sehr kurz sein wie „Ja, so ein Blödsinn!“ 64 , „Das ist<br />

doch völliger Mist, was Sie hier erzählen!“ 65 <strong>oder</strong> „Man muss [die Statistik] nicht nur lesen<br />

61<br />

Dies entspricht im Übrigen auch eher dem Ansatz der informellen Logik, wie sie durch Toulmin (2003)<br />

begründet wurde.<br />

62<br />

Vgl. Walton (2001); Kienpointner (1983).<br />

63<br />

Diese Fälle des „Argumentum ad hominem“ wurden in einem zweiten Schritt daraufhin geprüft, ob sie<br />

despektierlich sind <strong>oder</strong> nicht. Vgl. Kapitel 3.1 und .3.2 im Anhang.<br />

64<br />

Peter Spuhler in SF DRS1, „Arena“, 02.09.2005, 0:25:38.<br />

65<br />

Christoph Mörgeli in ZeleZüri, „TalkTäglich“, 30.05.2005, 0:06:48.<br />

46


Methodische Umsetzung der Analyse<br />

können, sondern auch interpretieren“ 66 und auf die Argumentation abzielen. Sie können<br />

aber auch mehr Raum in Anspruch nehmen wie folgendes Zitat zeigt: „Entschuldigung, ich<br />

verteidige die Interessen der Schweizer und der Schweizerinnen. Sie [Ueli Mauerer] nicht,<br />

obwohl Sie sich hier als Patriot vorstellen. Sie verteidigen nicht die Interessen der Arbeitnehmer<br />

und Arbeitnehmerinnen. Das sind die Gewerkschaften und diese sind dafür. Sie<br />

vertreten nicht die Interessen der Wirtschaft und die economiesuisse ist dafür und Sie sind<br />

dagegen. Sie vertreten nicht die Interessen der Schweiz“. 67 Die ganze Argumentation zielt<br />

in diesem Beispiel auf die Person Maurers bzw. dessen Glaubwürdigkeit ab.<br />

66 Serge Gaillard in SF DRS1, „Arena“, 02.09.2005, 0:42:29.<br />

67 Micheline Calmy-Rey in SF DRS1, „Arena“ , 09.09.2005, 0:03:33.<br />

47


Beschreibung des Datenmaterials<br />

4 Beschreibung des Datenmaterials<br />

In diesem Kapitel wird die Untersuchungsanlage festgelegt und damit genauere Angaben<br />

zum Datenmaterial gemacht. Dabei wird zunächst der Umfang der berücksichtigten dialogischen<br />

Formate und Online-Foren aufgezeigt. Da diesbezüglich insbesondere die Vergleichsebene<br />

der Sprachregionen deutliche Unterschiede aufweist, steht diese hier im Vordergrund.<br />

Da keine Grundgesamtheit, sondern nur eine Stichprobe aus der schweizerischen<br />

Medienlandschaft ausgewertet wird, lassen die Ergebnisse vielmehr deskriptive als analytische<br />

Aussagen zu. Bezüglich einzelner Vergleichsebenen können jedoch Tendenzen ausgemacht<br />

werden, insbesondere, was die Beliebtheit dialogischer Formate als Sendekonzept<br />

angeht.<br />

Für die Sendungen der traditionellen elektronischen Medien wird zudem auf die Verteilung<br />

des Datenmaterials über den Erhebungszeitraum sowie auf den Ort des <strong>Dialog</strong>s und auf die<br />

Publikumsbeteiligung eingegangen. 68<br />

Ein Grundprinzip demokratischer Gesellschaften ist die politische Partizipation der BürgerInnen<br />

an politischen Entscheidungsprozessen. Um dieser Beteiligung nachkommen zu<br />

können, ist die Zugänglichkeit zu relevanten Informationen Voraussetzung. In m<strong>oder</strong>nen<br />

Gesellschaften wird die politische Öffentlichkeit in erster Linie durch die Massenmedien<br />

hergestellt. In diesem Zusammenhang interessiert nun der zeitliche Rahmen, in dem die<br />

politische Information zur Verfügung gestellt wird. Das Agenda-Setting-Konzept beschreibt,<br />

dass die Massenmedien einen Effekt darauf haben, worüber die RezipientInnen<br />

nachdenken. Das heisst, die Massenmedien beeinflussen die öffentliche Aufmerksamkeit<br />

für bestimmte Themen. Damit in Verbindung steht die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen<br />

das Interesse des Publikums auf bestimmte Themen gelenkt wird. 69 Die Frage nach<br />

dem Ort des <strong>Dialog</strong>s gibt einen ersten Anhaltspunkt dafür, wer überhaupt am Gespräch<br />

teilnehmen kann, regelt doch die Örtlichkeit des Gesprächs den Zugang zu demselben. 70<br />

Die Publikumsbeteiligung, die diesbezüglich von besonderem Interesse ist, vermag bereits<br />

Auskunft über die Inklusivität des Diskurses zu geben und zeigt auf, inwiefern die Berücksichtigung<br />

der Peripherie auf der Ebene einzelner Sendungen konzipiert ist.<br />

4.1 Anzahl der dialogischen Formate<br />

An dieser Stelle wird die Stichprobe, also der Umfang der in der Analyse berücksichtigten<br />

Sendungen, Teilsequenzen und Online-Foren beschrieben. Dabei wird vorgestellt, wie sich<br />

das Datenmaterial auf die verschiedenen Mediengattungen aufteilt, wobei ebenfalls die<br />

jeweilige ökonomische Stellung der Anbieter berücksichtigt wird. Anhand dieser Aufstellung<br />

wird ersichtlich, welche Leistung die berücksichtigten Sender und Forenbetreiber in<br />

Bezug auf dialogische Formate rein anzahlmässig erbracht haben, welchen Stellenwert sie<br />

also in der politischen Berichterstattung einnehmen.<br />

68 Die nachfolgenden Ausführungen betreffen jeweils das Datenmaterial, wie es tatsächlich in die Analyse<br />

eingeflossen ist. Weitere Sendungen in Fernsehen und Radio, in denen eine Berichterstattung in monologischer<br />

Form, die Medienleistung der Printmedien <strong>oder</strong> weitere Informationsangebote im Internet werden indes<br />

nicht behandelt.<br />

69 Diese Frage der Wirkungsdynamik ist wesentlich, da dadurch die Wahl des Zeitrahmens für die Berichterstattung<br />

bestimmt wird. Laut Eichhorn fallen die Ergebnisse der Agenda-Setting-Forschung bezüglich des<br />

Faktors Zeit allerdings nicht konsistent aus: Es werden sowohl kurzfristige Effekte von zwei Tagen als auch<br />

Wirkungen bei einer Zeitspanne von zwei bis sechs Wochen nachgewiesen (Eichhorn 1995: 49f.).<br />

70 Durch die Örtlichkeit wird zusätzlich auch bestimmt, ob ein Gespräch privat, halböffentlich <strong>oder</strong> öffentlich<br />

stattfindet <strong>oder</strong> ob die Diskussion unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wird. (Henne,Rehbock 1995:<br />

31-38).<br />

48


Beschreibung des Datenmaterials<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Für die Untersuchung wurden insgesamt 57 dialogische Sendungen bzw. Teilsequenzen 71<br />

und 24 Online-Foren ausgewählt 72 und inhaltsanalytisch analysiert. Dabei stammt aus der<br />

Deutschschweiz rund 49.4% des Datenmaterials, 50.6% aus der Romandie. Auffällig ist<br />

allerdings, dass es zwischen den beiden untersuchten Sprachregionen beträchtliche Unterschiede<br />

gibt: Die Anzahl an Diskussionssendungen in Radio und Fernsehen sowie Debatten<br />

in den Online-Foren ist zwischen Deutschschweiz und Westschweiz keineswegs ausgewogen,<br />

wie der folgenden Grafik entnommen werden kann.<br />

52.5%<br />

Klassisch Online<br />

Verteilung in der Deutschschweiz (n = 40)<br />

47.5%<br />

Grafik 1: Datenmaterial in den Sprachregionen nach Mediengattung<br />

7.3%<br />

92.7%<br />

Klassich Online<br />

Verteilung in der Westschweiz (n = 41)<br />

Die Differenz zwischen den Mediengattungen ist in der Deutschschweiz wesentlich geringer<br />

als in der Romandie. In der deutschsprachigen Schweiz stammen 47.5% des Datenmaterials<br />

aus den traditionellen elektronischen Medien, 52.5% aus dem Internet. In der Romandie<br />

wurden nur gerade drei Online-Diskussionsforen im Untersuchungszeitraum eröffnet.<br />

Daher sind 92.7% des untersuchten Materials aus Radio und Fernsehen.<br />

In diesem Zusammenhang gilt es allerdings festzuhalten, dass – was den Umfang betrifft –<br />

eine Sendung nicht mit einem Forum gleichgesetzt werden kann. 73 Zusätzlich gilt es zu<br />

beachten, dass es innerhalb der Online-Foren wie auch innerhalb der Sendungen bezüglich<br />

des Umfangs und der Sendedauer erhebliche Unterschiede gibt. 74 Im Folgenden werden die<br />

beiden Mediengattungen daher jeweils eingehender betrachtet.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter / Radio und Fernsehen<br />

Auf Ebene der klassischen Medien ist die Verteilung zwischen öffentlichen und privaten<br />

Anbietern interessant. Insgesamt stammen 68.4% der untersuchten Sendungen von öffentlichen,<br />

31.6% von privaten Sendern (39 bzw. 18 Sendungen). Obschon für die öffentlichen<br />

Anbieter jeweils nur die ersten Programme beider Sprachregionen und Mediengattungen<br />

berücksichtigt wurden (insgesamt vier Sender), während dialogische Formate von insgesamt<br />

acht privaten Radio- und Fernsehstationen in die Untersuchung einflossen, haben die<br />

öffentlichen mehr als doppelt so viele dialogische Formate beigesteuert als die privaten.<br />

Dies erstaunt insofern, als aufgrund der verhältnismässig tiefen Produktionskosten hätte<br />

erwartet werden können, dass sich die Privaten dieses Format vermehrt für die Aufbereitung<br />

politischer Themen zunutze machen. Wiederum ist ein deutlicher Unterschied zwi-<br />

71 Wenn im Folgenden von Sendungen gesprochen wird, ist die Unterscheidung von Sendungen und Teilsequenzen<br />

mitgedacht, wird aber nicht mehr formuliert.<br />

72 Zur Auswahl des Datenmaterials vgl. Kapitel 3.1.<br />

73 Intermediär vergleichbar sind die Untersuchungseinheiten Redebeitrag/Post und Geltungsanspruch. Siehe<br />

dazu Kapitel 3.1.5.<br />

74 Siehe dazu Kapitel 4.3.<br />

49


Beschreibung des Datenmaterials<br />

schen den beiden Landesteilen ersichtlich. In der Deutschschweiz wurden 42.1% der untersuchten<br />

Sendungen bei den öffentlichen Sendern ausgestrahlt, 57.9% bei privaten Anbietern.<br />

In der Romandie dagegen hat die SRG SSR idée suisse rund vier Fünftel (81.6%) der<br />

ausgestrahlten dialogischen Formate produziert, die privaten Anbieter lediglich knapp einen<br />

Fünftel (18.4%).<br />

Insgesamt wurden 36 dialogische Radio- und 21 Fernsehsendungen untersucht (63.2%<br />

bzw. 36.8% des gesamten Datenmaterials). Berücksichtig man zusätzlich die ökonomische<br />

Stellung der Anbieter kann ein deutliches Übergewicht der Radiosender DRS1/RSR1 festgestellt<br />

werden. Von den untersuchten Sendungen stammen 52.6% von den öffentlichen<br />

Radiostationen, 15.8% von den öffentlichen Fernsehanbietern, 10.5% von den privaten<br />

Radiosendern und 21.1% von den privaten Fernsehanbietern.<br />

Die Detailanalyse zeigt, dass die Verteilung hinsichtlich der ökonomischen Stellung der<br />

Radio- und Fernsehanbieter in der Deutsch- und Westschweiz sehr unterschiedlich aussieht.<br />

47.4%<br />

10.5%<br />

21.1%<br />

21.1%<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich<br />

Radio privat Fernsehen privat<br />

Verteilung in der Deutschschweiz (n = 40)<br />

13.2%<br />

10.5%<br />

7.9%<br />

68.4%<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich<br />

Radio privat Fernsehen privat<br />

Verteilung in der Westschweiz (n = 41)<br />

Grafik 2: Datenmaterial der öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehanbieter nach Sprachregion<br />

Augenfällig ist der Unterschied der öffentlichen Radiosender zwischen der Deutschschweiz<br />

und der Romandie: DRS1 produzierte in der Deutschschweiz gut einen Fünftel der<br />

ausgestrahlten Sendungen (21.1%), RSR1 in der Romandie dagegen 68.4%. Bei den öffentlichen<br />

Fernsehsendern ist der Unterschied weit weniger deutlich: von SF DRS1 stammen<br />

21.1% der analysierten Sendungen, von TSR1 13.2%. Bei den privaten Radioanbietern<br />

gibt es keine Differenz zwischen den beiden Sprachregionen (jeweils 10.5%). 75 Auffällig<br />

ist dagegen der Unterschied bei den privaten Fernsehanbietern: In der deutschsprachigen<br />

Schweiz wurde knapp die Hälfte aller Sendungen von den drei privaten Stationen TeleBärn,<br />

Telebasel und TeleZüri ausgestrahlt (47.4%). In der Romandie wurden bei Canal 9<br />

und Léman Bleu gerade 7.9% aller dialogischer Formate gezeigt.<br />

Interessant ist diesbezüglich nicht nur der prozentuale Vergleich, sondern auch die absolute<br />

Verteilung. Die öffentlichen Fernsehstationen (SF DRS1 und TSR1) strahlten ähnlich viele<br />

Sendungen aus: Die „Arena“ (SF DRS1) wurde zu den genannten Themen dreimal produziert,<br />

„Infrarouge“ (TSR1) viermal. Beide Sendungen ähneln sich im Konzept stark. 76<br />

Demgegenüber wurden auf DRS1 lediglich vier Sendungen ausgestrahlt, während bei<br />

RSR1 auf insgesamt 26 Sendungen zurückgegriffen werden konnte. Bei den privaten Fernsehstationen<br />

der Westschweiz produzierte Canal 9 zwei Sendungen, Léman Bleu eine,<br />

während sich TeleZüri, Telebasel und TeleBärn in der Deutschschweiz mit je drei Sendun-<br />

75 Diesbezüglich muss angefügt werden, dass die beiden Westschweizer Radiostationen Chablais und RTN<br />

dialogische Sendungen zu den beiden Abstimmungsvorlagen gemacht haben, die sind jedoch nicht mehr<br />

verfügbar.<br />

76 Vgl. dazu Kapitel 4.5.<br />

50


Beschreibung des Datenmaterials<br />

gen in der Analyse niederschlagen. Hingegen konnte bei den privaten Radiostationen in<br />

der Romandie auf zwei Sender mit jeweils zwei Sendungen zurückgegriffen werden, in der<br />

Deutschschweiz auf nur einen Sender, ebenfalls mit zwei Sendungen.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Anzahl der untersuchten Sendungen der traditionellen elektronischen<br />

Medien zeigt einige Tendenzen auf. Obschon in der Stichprobe mehr private Sender<br />

berücksichtigt wurden als öffentliche, haben Letztere einen Grossteil aller Sendungen<br />

produziert, was insbesondere auf den Westschweizer Sender RSR1 zurückzuführen ist, der<br />

im Vergleich zu allen anderen Sendern ein vielfaches an Sendungen produziert hat. Die<br />

meisten der berücksichtigten Sender produzierten lediglich zwei bis drei dialogische Formate<br />

zu den Abstimmungsthemen. In der Deutschschweiz nehmen demgegenüber die privaten<br />

Fernsehstationen ein stärkeres Gewicht ein als in der Romandie, wenngleich jeder<br />

der berücksichtigten Deutschschweizer Privatsender die gleiche Anzahl Sendungen produzierte<br />

wie SF DRS1, nämlich drei. Die privaten Radiostationen nehmen hingegen in der<br />

Romandie ein leicht stärkeres Gewicht ein. Was die beiden Mediengattungen betrifft kann<br />

anhand der Stichprobe festgestellt werden, dass im Radio häufiger dialogische Formate<br />

ausgestrahlt werden als im Fernsehen. Die reine Anzahl der Sendungen sagt jedoch noch<br />

nicht über deren Umfang aus.<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Auf Ebene der Online-Foren ist die Verteilung zwischen den google.groups und Foren von<br />

Medienverlagshäusern ähnlich wie bei den klassischen Medien (s.o.). Von den untersuchten<br />

Diskussionsforen wurden insgesamt 70.8% bei den google.groups, 29.2% von Medienverlagshäusern<br />

aufgeschaltet (17 bzw. 7 Foren). Allerdings sind die Foren der verschiedenen<br />

Anbieter unterschiedlich in den beiden Sprachregionen verteilt. Folgende Grafik zeigt<br />

die Unterschiede zwischen den Landesteilen.<br />

19.0%<br />

81.0%<br />

Google Medienverlagshäuser<br />

Verteilung in der Deutschschweiz (n = 21)<br />

0%<br />

100%<br />

Google M edienverlagshäuser<br />

Verteilung in der Westschweiz (n = 3)<br />

Grafik 3: Datenmaterial der google.groups und Foren von Medienverlagshäusern nach Sprachregion<br />

In der Deutschschweiz machen die google.groups rund vier Fünftel (81.0%), die Foren von<br />

Medienverlagshäusern rund einen Fünftel (19.0%) der untersuchten Diskussionsforen aus.<br />

Diese erheblichen Unterschiede begründen sich allerdings zu einem grossen Teil dadurch,<br />

dass bei den google.groups im Gegensatz zu den übrigen Foren gewissermassen „Teildiskussionen“<br />

eröffnet wurden. Diese konnten von den UserInnen selbst gestartet werden,<br />

wohingegen die untersuchten Foren der Medienverlagshäuser ausschliesslich durch den<br />

Anbieter aufgeschaltet wurden. In der Westschweiz wurden lediglich drei Diskussionsforen<br />

im gesamten Untersuchungszeitraum eröffnet, die allesamt von Medienverlagshäusern<br />

bereitgestellt wurden. Wie bereits erwähnt, sagt die blosse Anzahl der Foren noch nichts<br />

über deren Umfang aus (s.u.).<br />

Kurzzusammenfassung: Rein von der Anzahl der Stichprobe her kann festgestellt werden,<br />

dass die google.groups die meisten Diskussionsforen im Untersuchungszeitraum bereitge-<br />

51


Beschreibung des Datenmaterials<br />

stellt haben. Bei diesem Anbieter können die UserInnen selbst ein Forum eröffnen und<br />

zwar auch gewissermassen als neue Schwerpunktsetzung via Mausklick aus einer bestehenden<br />

Diskussion heraus. Dies ist bei den Foren von Medienverlagshäusern nicht in dieser<br />

Art möglich. Sie wurden im vorliegenden Fall durch die Forenbetreiber eröffnet und<br />

wieder geschlossen.<br />

4.2 Erhebungszeitraum<br />

Der Untersuchungszeitraum umfasst jeweils die letzten sechs Wochen vor der Abstimmung<br />

über das Abkommen zu Schengen und Dublin bzw. über die Ausdehnung des Personenfreizügigkeitsabkommens.<br />

Gerade im Kontext der politischen Willensbildung interessiert,<br />

wann die traditionellen elektronischen Medien ihre Sendungen ausstrahlen. 77 Dabei<br />

wird genauer auf die ökonomische Stellung der Radio- und Fernsehanbieter eingegangen.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter / Radio und Fernsehen<br />

Anhand nachstehender Grafik ist nicht nur ersichtlich, welcher Anbieter wie viele dialogische<br />

Sendungen im Untersuchungszeitraum produziert hat, sondern auch zu welchem Zeitpunkt<br />

diese ausgestrahlt wurden. Dabei wurden die Daten der beiden Abstimmungen zusammengezogen.<br />

Das Ergebnis verweist in der Tendenz auf unterschiedliche Schwerpunktsetzungen<br />

hinsichtlich des Ausstrahlungszeitpunkts. 78<br />

absolute Häufigkeit<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

6 5 4 3 2 1<br />

Woche<br />

öffentlich privat<br />

Grafik 4: Verteilung der Sendungen über die sechs Wochen vor den Abstimmungen nach Anbieter<br />

Aus Grafik 4 ist ersichtlich, dass die SRG SSR idée suisse kontinuierlich den Anteil an<br />

dialogischen Formaten zu den Abstimmungsthemen erhöht, bis sie vier Wochen vor der<br />

Abstimmung die meisten Sendungen ausstrahlt (18 Sendungen bzw. 46.2%). In der zweitletzten<br />

Woche vor der Abstimmung ist noch einmal ein leichter Anstieg auszumachen. Im<br />

Gegensatz dazu steht der Verlauf bei den privaten Anbietern: In den Wochen sechs bis vier<br />

vor der Abstimmung werden im Durchschnitt eine bis zwei dialogische Sendungen ausgestrahlt.<br />

Der Hauptteil der Diskussionssendungen und Interviews wird in der dritt- und<br />

77 Für die Online-Foren ergibt es wenig Sinn zu erfassen, wann wie viele Foren eröffnet wurden. In diesem<br />

Zusammenhang wäre es interessant zu untersuchen, wann sich die Diskussionsteilnehmenden hauptsächlich<br />

über die Themen austauschen. Aus forschungsökonomischer Sicht konnte jedoch auf diesen Punkt nicht<br />

eingegangen werden.<br />

78 Um zu gesicherten Aussagen über die Intensität der Berichterstattung im Rahmen von dialogischen Formaten<br />

zu gelangen, müssten freilich die Daten für eine grössere Zahl von Abstimmungen analysiert werden.<br />

52


Beschreibung des Datenmaterials<br />

zweitletzten Woche vor dem Abstimmungssonntag ausgestrahlt (zusammen 11 Sendungen<br />

bzw. 61.1%).<br />

Die differenzierte Aufstellung nach Mediengattungen, wie sie unten stehender Grafik zu<br />

entnehmen ist, zeigt, dass sich v.a. das private und öffentliche Fernsehen voneinander unterscheiden.<br />

Die Verteilung innerhalb der Mediengattung Radio ist zwar nicht identisch,<br />

aber doch sehr ähnlich. Demgegenüber zeigt sich beim Fernsehen für die beiden Anbieter<br />

ein deutlich unterschiedliches Bild, das beim öffentlichen Fernsehen eine verstärkte Medienleistung<br />

rund drei Wochen vor der Abstimmung erkennen lässt, während dieser Peak<br />

bei den Privaten später einsetzt. Die öffentlichen Anstalten und die Mediengattung Radio<br />

generell, unterbreiten den RezipientInnen bereits verhältnismässig früh ein Informationsangebot<br />

in Form von Debatten und Interviews und üben mit diesem Angebot potentiell<br />

Einfluss auf die politische Meinungs- und Willensbildung einer grösseren Anzahl BürgerInnen.<br />

Die privaten Fernsehsender üben dagegen potentiell verstärkt Einfluss auf die kurz<br />

vor der Abstimmung noch unentschiedenen WählerInnen.<br />

absolute Häufigkeit<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

6 5 4 3 2 1<br />

Woche<br />

Radio öffentlich-rechtlich Fernsehen öffentlich-rechtlich Radio privat Fernsehen privat<br />

Grafik 5: Verteilung der Sendungen über die sechs Wochen vor den Abstimmungen nach Radio- und<br />

Fernsehanbieter<br />

Kurzzusammenfassung: Die öffentlichen und privaten Anbieter wählen für die Ausstrahlung<br />

der dialogischen Formate einen unterschiedlichen zeitlichen Rahmen: Die SRG SSR<br />

idée suisse setzt einerseits eher auf Kontinuität, andererseits richtet sie ihr Hauptaugenmerk<br />

auf die Zeitspanne von einem Monat vor dem Abstimmungssonntag. Die privaten<br />

Anbieter dagegen konzentrieren sich für die Ausstrahlung der dialogischen Formate auf die<br />

Zeit kurz vor der Abstimmung und setzen damit auf einen kurzfristigen Effekt. Beide Ergebnisse<br />

treffen insbesondere für die Mediengattung Fernsehen zu. Dies deutet darauf hin,<br />

dass die privaten Anbieter eher am Aktualitätsfaktor ausgerichtet sind.<br />

53


Beschreibung des Datenmaterials<br />

4.3 Dauer, Umfang und Art der dialogischen Formate<br />

Da das Datenmaterial sehr heterogen ist, wird an dieser Stelle bei den traditionellen elektronischen<br />

Medien auf das <strong>Dialog</strong>format und die Dauer der verschiedenen Sendungen eingegangen,<br />

bei den neuen elektronischen Medien interessiert der Umfang der Diskussionsforen.<br />

4.3.1 Klassische Medien<br />

In die Analyse fliessen insgesamt 57 Sendungen der traditionellen elektronischen Medien.<br />

In der Westschweiz wurden im Untersuchungszeitraum doppelt so viele dialogische Formate<br />

ausgestrahlt wie in der Deutschschweiz (38 bzw. 19 Sendungen). Somit gibt es bereits<br />

alleine aufgrund der Anzahl ausgestrahlter Sendungen einen erheblichen Unterschied<br />

zwischen den Landesteilen. Im Folgenden interessiert nun, wie diese Formate ausgestaltet<br />

werden.<br />

<strong>Dialog</strong>format: Debatten und Interviews<br />

Insgesamt wurden innerhalb des Untersuchungszeitraums im Rahmen der beiden Abstimmungen<br />

33 Debatten (57.9%) und 24 Interviews (42.1%) ausgestrahlt. Erneut sind interessante<br />

Unterschiede zwischen den Landesteilen feststellbar: In der Deutschschweiz liegt ein<br />

eindeutiges Gewicht auf Diskussionssendungen: Insgesamt handelt es sich bei 84.2% der<br />

untersuchten dialogischen Formate um Debatten. Nur gerade drei Interviews wurden gesendet<br />

(15.8%). In der Westschweiz ist dieses Verhältnis ausgeglichener: Die Diskussionssendungen<br />

machen einen Anteil von 44.7% aus, Interviews 55.3% (17 bzw. 21 Sendungen).<br />

Interessant sind auch die Unterschiede zwischen den Mediengattungen: 55.6% der untersuchten<br />

dialogischen Radioformate sind Interviews. Das Fernsehen setzt demgegenüber<br />

eindeutig auf Debatten (81.0% aller untersuchten dialogischen Fernsehformate).<br />

<strong>Dialog</strong>format Radio Fernsehen<br />

Debatten 44.4% 81.0%<br />

Interviews 55.6% 19.0%<br />

Tabelle 3: <strong>Dialog</strong>format nach Radio und Fernsehen<br />

n = 36 n = 21<br />

Auf der Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter lassen sich ebenfalls Unterschiede<br />

bezüglich des <strong>Dialog</strong>formats feststellen, wie nachstehender Grafik entnommen werden<br />

kann. So sind die öffentlichen Radiosender die einzigen, die mehr Interviews als Debatten<br />

produziert haben (66.7% bzw. 33.3%). Die privaten Radiostationen haben dagegen kein<br />

einziges Interview gesendet. Das ist relativ erstaunlich, ist doch das Interview eine preiswerte<br />

Form der Sendungsgestaltung, da es insbesondere im Radio unkompliziert via Telefon<br />

durchgeführt werden kann (Friedrichs, Schwinges 1999:13).<br />

54


Beschreibung des Datenmaterials<br />

absolute Häufigkeit<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Debatte Interview<br />

n = 33 n = 24<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich Radio privat Fernsehen privat<br />

Grafik 6: <strong>Dialog</strong>format nach Radio- und Fernsehanbieter<br />

Die öffentlichen und privaten Fernsehanbieter realisierten beide mehrheitlich Debatten (7<br />

Sendungen bzw. 77.8% öffentlich, 10 Sendungen bzw. 83.3% privat). Für das audiovisuelle<br />

Medium bietet sich ein Gespräch mit mehreren Personen an, ist doch das Fernsehen<br />

in erster Linie auf Bilder angewiesen.<br />

Kurzzusammenfassung: Die dialogischen Formate werden – bezogen auf die Stichprobe –<br />

unterschiedlich ausgestaltet. In der Deutschschweiz werden in erster Linie Debatten produziert,<br />

in der Romandie mehrheitlich Interviews, obwohl das Verhältnis zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten<br />

insgesamt ausgeglichener gestaltet wird als in der deutschsprachigen Schweiz.<br />

Das Fernsehen ist das Medium, das eindeutig das Gewicht auf Diskussionssendungen legt.<br />

Für die Mediengattung Radio lassen sich diesbezüglich keine eindeutigen Aussagen treffen:<br />

Zwar strahlt das Radio insgesamt mehrheitlich Interviews aus, allerdings wurden 95%<br />

aller Radiosendungen in der Romandie produziert, während das Deutschschweizer Radio<br />

dieses <strong>Dialog</strong>format nicht gleichermassen präferiert: In der Romandie sind 63.3% aller<br />

Radiosendungen Interviews, in der Deutschschweiz nur 16.7%. Die öffentlichen Anbieter<br />

bieten beide Gesprächsformen an. Das öffentliche Radio produzierte mehrheitlich Interviews,<br />

das öffentliche Fernsehen in erster Linie Debatten. Die privaten Radio- und Fernsehanbieter<br />

setzten dagegen eindeutig auf Debatten.<br />

Sendedauer: Sprachregionen / Anbieter<br />

Ein wesentlicher Punkt für die Beschreibung des Datenmaterials betrifft die Sendedauer. 79<br />

Insgesamt wurden rund 24.3 Stunden Sendezeit analysiert. Die bisherige Beschreibung des<br />

Datenmaterials hat gezeigt, dass die Ebene der Sprachregionen ein aussagekräftiges Unterscheidungsmerkmal<br />

darstellt. Von der Sendedauer der untersuchten Sendungen fallen rund<br />

45% auf die Deutschschweiz, 55% auf die Romandie. Interessanterweise wurden in der<br />

Westschweiz zwar doppelt so viele Sendungen ausgestrahlt als in der deutschsprachigen<br />

Schweiz, dafür aber lediglich 1.2-mal soviel Sendezeit benötigt. In der Romandie wurden<br />

folglich vor allem kürzere Sendungen produziert. Die folgende Tabelle gibt Aufschluss<br />

über die durchschnittliche Sendezeit der dialogischen Formate in den beiden Sprachregionen.<br />

79 Die Sendedauer wurde ohne Trailer bzw. Abspann gemessen.<br />

55


Beschreibung des Datenmaterials<br />

Sendezeit Anzahl Sendungen<br />

Deutschschweiz<br />

(n = 19)<br />

< 10 Min 11% 53%<br />

10-20 Min 21% 11%<br />

20-30 Min 42% 16%<br />

30-40 Min 5% 3%<br />

40-50 Min 0% 3%<br />

50-60 Min 0% 5%<br />

60-70 Min 0% 5%<br />

70-80 Min 0% 5%<br />

80-90 Min 5% 0%<br />

> 90 Min 16% 0%<br />

Anzahl Sendungen<br />

Westschweiz<br />

(n = 38)<br />

Tabelle 4: Durchschnittliche Sendedauer der dialogischen Formate nach Sprachregion<br />

Aus Tabelle 4 ist ersichtlich, dass in der Deutschschweiz knapp die Hälfte der ausgestrahlten<br />

Sendungen zwischen 20 und 40 Minuten dauern, gut ein Fünftel sogar länger als 80<br />

Minuten. In der Westschweiz nehmen dagegen die kurzen Sendungen unter 10 Minuten<br />

den Haupanteil ein, nämlich 53% (gegenüber lediglich 11% in der Deutschschweiz). Nur<br />

gerade 10% der Formate dauern in der Romandie über eine Stunde.<br />

Gleichermassen stellt sich die Frage, ob es zwischen öffentlichen und privaten Radio- und<br />

Fernsehanbietern einen Unterschied in Bezug auf die Sendedauer gibt.<br />

Sendezeit Anzahl Sendungen<br />

Öffentlich<br />

(n = 39)<br />

< 10 Min 52.5% 5.9%<br />

10-20 Min 12.5% 17.6%<br />

20-30 Min 10.0% 58.8%<br />

30-40 Min 0% 11.8%<br />

40-50 Min 0% 5.9%<br />

50-60 Min 2.5% 5.9%<br />

60-70 Min 5.0% 0%<br />

70-80 Min 5.0% 0%<br />

80-90 Min 2.5% 0%<br />

> 90 Min 7.5% 0%<br />

Anzahl Sendungen<br />

Privat<br />

(n = 18)<br />

Tabelle 5: Durchschnittliche Sendedauer der dialogischen Formate nach Anbieter<br />

Es zeigen sich aufgrund der untersuchten Sendungen deutliche Unterschiede zwischen den<br />

öffentlichen und privaten Anbietern. Bei den Privaten dauern knapp drei Fünftel der untersuchten<br />

Sendungen zwischen zwanzig und dreissig Minuten (58.8%). Die öffentlichen Anbieter<br />

dagegen legen das Hauptgewicht der Sendungen auf eine Dauer unter zehn Minuten<br />

(52.5%). Trotzdem weisen sie eine etwas ausgeglichenere Struktur hinsichtlich der Sendedauer<br />

auf. Insbesondere findet sich ein guter Teil an dialogischen Formaten mit einer Sendedauer<br />

von mindestens einer Stunde (20%), während die Sendungen bei den Privaten eine<br />

maximale Dauer von bis zu einer Stunde erreichen. Eine längere Sendedauer bildet eine<br />

Grundlage, um Argumente ausführlich diskutieren zu können und auch, um mehreren Personen<br />

die Gelegenheit zu geben, ihre Sichtweise darzulegen. Es wurde bereits festgestellt,<br />

dass es erhebliche Unterschiede zwischen Deutsch- und Westschweiz gibt. Der folgenden<br />

Grafik sind die durchschnittlichen Sendezeiten pro Sendung nach Sprachregion zu entnehmen.<br />

56


Beschreibung des Datenmaterials<br />

Sendung<br />

Salon Bâle<br />

Echo der Zeit<br />

Z' 9i-Talk<br />

Mittelwert<br />

Tagesgespräch<br />

BZ Talk<br />

TalkTäglich/SonnTalk<br />

Rundschau<br />

Doppelpunkt<br />

Arena<br />

0:00 0:14 0:28 0:43 0:57 1:12 1:26 1:40<br />

Sendezeit<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich<br />

Radio privat Fernsehen privat<br />

Durchschnittliche Sendezeit in der Deutschschweiz<br />

Sendung<br />

Lunch Tendances Eco<br />

90' Chrono<br />

Débat/Controverse<br />

Mittelwert<br />

Forums<br />

Le Journal du Matin<br />

On en parle<br />

Le Journal de 12h30<br />

Mise au point<br />

Débats<br />

Infrarouge<br />

0:00 0:14 0:28 0:43 0:57 1:12 1:26 1:40<br />

Sendezeit<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich<br />

Radio privat Fernsehen privat<br />

Durchschnittliche Sendezeit in der Westschweiz<br />

Grafik 7: Durchschnittliche Sendezeit pro Sendung nach Anbieter und Sprachregion<br />

Wie aus oben stehender Grafik ersichtlich wird, handelt es sich bei den untersuchten Sendungen<br />

um sehr unterschiedliche Formate bezüglich der Sendezeit. Ausserdem kann festgestellt<br />

werden, dass die Sendedauer nicht gattungsspezifisch ist.<br />

Bezüglich der ökonomischen Stellung der Sender lässt sich Folgendes festhalten: In der<br />

Deutschschweiz ist die Sendedauer der dialogischen Formate von öffentlichen Radio- und<br />

Fernsehanbietern rund doppelt so lange wie die der privaten (46:20 bzw. 24:03 Minuten).<br />

Der Mittelwert liegt bei knapp 35 Minuten, in der Romandie dagegen bei rund 21 Minuten.<br />

Die Sendungen aus der Westschweiz sind, wie bereits erwähnt, insgesamt kürzer. Aber<br />

noch ein weiterer Unterschied besteht zwischen den Landesteilen: In der Westschweiz ist<br />

die Sendezeit der dialogischen Formate von privaten Radio- und Fernsehanbieter länger als<br />

von öffentlichen (32:47 bzw. 21:33 Minuten). Dies liegt mitunter an der grösseren Anzahl<br />

an Teilsequenzen bei den öffentlichen Sendern der Romandie.<br />

Kurzzusammenfassung: Insgesamt lässt sich für die beiden Landesteile eine unterschiedliche<br />

Programmstruktur für dialogische Radio- und Fernsehformate feststellen: In der<br />

Deutschschweiz werden halb so viele dialogische Formate ausgestrahlt wie in der Romandie.<br />

Dabei handelt es sich vor allem um eigenständige Sendungen, nur zwei davon sind<br />

klar identifizierbare dialogische Teilsequenzen. Des Weiteren gibt es praktisch keine Inter-<br />

57


Beschreibung des Datenmaterials<br />

views. Das Hauptgewicht liegt auf tendenziell längeren Diskussionssendungen. In der<br />

Westschweiz dagegen werden etwas mehr Interviews als Debatten gesendet. Auffällig ist,<br />

dass – vor allem bei RSR1 – häufig kurze dialogische Teilsequenzen in das Programm aufgenommen<br />

werden (63.2%). Hiermit lässt sich festhalten, dass das Format respektive die<br />

Sendedauer die Kommunikation prägt, denn bei den kürzeren Sendungen von unter 10<br />

Minuten handelt es sich in 81.0% um Interviews. In kurzen Sendungen ist es jedoch<br />

schwieriger, eine Auseinandersetzung um Positionen und Argumente zu führen. Im Gegenzug<br />

kommen in längeren Sendungen eher mehr Personen zu Wort, was wiederum<br />

Auswirkung auf die Dauer der Redezeit hat. 80 Abschliessend lässt sich festhalten, dass die<br />

Sendedauer weder gattungsspezifisch ist noch zwingend mit der ökonomischen Stellung<br />

der Anbieter zusammenhängt. Im Durchschnitt sind die dialogischen Formate in der<br />

deutschsprachigen Schweiz länger als in der Romandie. In der Deutschschweiz stammen<br />

die längeren Sendungen von den öffentlichen Anbietern, in der Westschweiz von den privaten.<br />

4.3.2 Online-Foren<br />

Ebenso wie bei den traditionellen elektronischen Medien gibt es auch bei den Online-Foren<br />

erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Umfang. Die folgende Grafik gibt einen Überblick<br />

über die Grösse der Foren. Sie basiert auf den Daten innerhalb des Untersuchungszeitraums<br />

und weist jeweils auf den Durchschnittswert pro Forum hin.<br />

Forum<br />

google.ch<br />

tdg.ch<br />

24heures.ch<br />

baz.ch<br />

0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 100<br />

0<br />

Anzahl posts<br />

Durchschnittliche Anzahl Posts pro Forum<br />

Forum<br />

tdg.ch<br />

24heures.ch<br />

espace.ch<br />

google.ch<br />

espace.ch<br />

110<br />

0<br />

baz.ch<br />

0 2 4 6 8 10<br />

Anzahl posts<br />

Durchschnittliche Anzahl Posts/TeilnehmerIn<br />

Grafik 8: Umfang der Online-Foren<br />

Forum<br />

baz.ch<br />

google.ch<br />

24heures.ch<br />

tdg.ch<br />

espace.ch<br />

0 50 100 150 200 250<br />

Anzahl Teilnehmer<br />

Durchschnittlich Anzahl Teilnehmende/Forum<br />

Forum<br />

google.ch<br />

baz.ch<br />

tdg.ch<br />

24heures.ch<br />

espace.ch<br />

0 20 40 60 80<br />

Anzahl Tage<br />

Durchschnittliche Anzahl Tage pro Forum<br />

Anhand oben stehender Grafik ist ersichtlich, dass sich weder aufgrund der Marktstellung<br />

der Forenanbieter noch aufgrund der Sprachregionen konsistente Unterschiede im Umfang<br />

feststellen lassen. Die Foren sind sehr unterschiedlich aufgebaut: Die Reichweite reicht<br />

von durchschnittlich 56 Posts (24heures.ch) bis 1010 Posts (espace.ch), von durchschnitt-<br />

80 Vgl. dazu Kapitel 5.2.<br />

58


Beschreibung des Datenmaterials<br />

lich 13 bis 235 TeilnehmerInnen (24heures.ch bzw. espace.ch) und von durchschnittlich 7<br />

bis 69 Tagen (google.ch bzw. espace.ch). In diesem Zusammenhang gilt es anzufügen,<br />

dass google.ch 17 verschiedene Foren angeboten hat. Diese sind ebenfalls sehr heterogen:<br />

Das kleinste untersuche Forum umfasst 20 Posts bzw. 9 Teilnehmende, das grösste 191<br />

Posts und 22 TeilnehmerInnen.<br />

Die Daten lassen vermuten, dass die Diskussion im Forum baz.ch am konstantesten verläuft,<br />

da ein/e UserIn mit durchschnittlich 9 Posts im Vergleich zu den anderen Foren am<br />

meisten Posts verfasst. Das deutet auf eine gewisse Reziprozität. 81<br />

Da die analysierten Foren sehr unterschiedlich bezüglich ihres Umfangs sind, wird im Folgenden<br />

beschreibend auf die einzelnen Unterscheidungsmerkmale eingegangen, um mögliche<br />

bestimmende Faktoren aufzuzeigen.<br />

Durchschnittliche Anzahl Posts und Anzahl Teilnehmende<br />

Eine aussagekräftige Grösse, um die Foren trotz ihrer Unterschiedlichkeit hinsichtlich Umfang<br />

und Anzahl UserInnen vergleichen zu können, ist der Durchschnittswert für die Anzahl<br />

Posts, die pro Tag in einem Forum publiziert werden.<br />

Forum Durchschnittliche<br />

Anzahl Posts pro Tag<br />

Identifikation Strukturelle Vorgaben<br />

espace.ch 20.4 nein Baumstruktur<br />

baz.ch 14.5 ja Baumstruktur<br />

google.groups 9.9 ja Baumstruktur<br />

tdg.ch 7.1 ja chronologisch<br />

24heures.ch 1.9 ja chronologisch<br />

Tabelle 6: Durchschnittliche Anzahl Posts pro Tag, Identifikation und Grundstruktur nach Foren<br />

Die Aufstellung zeigt, dass bei espace.ch die meisten Posts pro Tag verfasst werden, knapp<br />

11-mal mehr als bei 24heures.ch (20.4 bzw. 1.9). Um mögliche Einflussfaktoren für diese<br />

deutliche Differenz ausmachen zu können, werden diese beiden Foren im Folgenden exemplarisch<br />

näher betrachtet.<br />

Espace.ch, das grösste der untersuchten Foren, weist durchschnittlich am meisten Posts<br />

und am meisten Teilnehmende auf (1010 Posts, 235 Teilnehmende). 82 Bei diesem Forum<br />

gibt es bei der Identifikation weder optionale noch Pflichtfelder. Es wird lediglich ein Benutzername<br />

benötigt, eine Registrierung ist nicht erforderlich. Die E-Mail-Adresse kann<br />

fakultativ angegeben werden, wird aber nicht überprüft. Von den strukturellen Vorgaben<br />

her ist es sehr einfach, in die Diskussion einzusteigen. Es besteht eine Selektionsmöglichkeit,<br />

mit Hilfe derer Textausschnitte aus der ursprünglichen Nachricht ausgewählt werden,<br />

die automatisch in das Antwortfeld übertragen werden. Die Diskussion wird mittels<br />

Threads nach Unterthemen geordnet. Mit Hilfe einer Navigation können einzelne Beiträge<br />

aus der Website einfach gefunden werden.<br />

24heures.ch, das kleinste der untersuchten Foren, verfügt im Durchschnitt über die kleinste<br />

Anzahl Posts und Teilnehmende (56 Posts, 13 Teilnehmende). Bei diesem Forum ist eine<br />

Registrierung erforderlich. Dabei müssen Benutzername, E-Mail-Adresse und ein Passwort<br />

angegeben werden. Die Antworten werden – im Gegensatz zu espace.ch – zunächst validiert<br />

und erst dann aufgeschaltet. 24heures.ch verfügt zudem über einen chronologischen<br />

Aufbau, das neueste Post erscheint zuerst. Das bedeutet, dass es keine automatisierte Antwortmöglichkeit<br />

gibt. Da man nicht auf ausgewählte Posts antworten kann, werden die<br />

81 Vgl. dazu Kapitel 6.<br />

82 Siehe dazu Grafik 8.<br />

59


Beschreibung des Datenmaterials<br />

Beiträge nicht nach Unterthemen geordnet. Zudem verfügt die Site über keine Navigation,<br />

die UserInnen können lediglich vor- und zurückblättern.<br />

Sowohl die Art der Registrierung als auch die strukturellen Vorgaben sind bei espace.ch<br />

und 24heures.ch unterschiedlich. Tabelle 6 zeigt, dass die beiden rein chronologisch aufgebauten<br />

Foren am wenigsten Posts pro Tag aufweisen. Eine rege Beteiligung ist also v.a.<br />

in jenen Foren festzustellen, die ausgefeiltere technische Möglichkeiten bereitstellen. Die<br />

Medienverlagshäuser, bei denen das der Fall ist (espace.ch und baz.ch), werden intensiver<br />

genutzt als die google.groups, die einen ähnlichen technischen Standard aufweisen. Die<br />

Erklärung dieses Ergebnisses bedürfte einer genaueren Untersuchung.<br />

Durchschnittliche Dauer<br />

Es kann festgestellt werden, dass zwischen der Dauer, während der ein Forum aufgeschaltet<br />

ist, und dessen Nutzung kein zwingender Zusammenhang besteht. Dies ist bspw. anhand<br />

von 24heures.ch ersichtlich. 83 Dieses Diskussionsforum war am zweitlängsten, nämlich<br />

während rund 40 Tagen für eine Beteiligung offen, verzeichnet aber am wenigsten<br />

Posts (56). Im Gegensatz dazu steht das Forum baz.ch: Es war durchschnittlich 84 nur gerade<br />

während der Dauer von rund 20 Tagen aufgeschaltet, in denen jedoch im Schnitt 269<br />

Beiträge gepostet wurden.<br />

Durchschnittliche Anzahl Posts pro TeilnehmerIn<br />

Für die Deliberation interessant ist die durchschnittliche Anzahl Posts pro TeilnehmerIn.<br />

Daran ist ersichtlich, wie stark sich die UserInnen an der Diskussion beteiligen. Bei Personen,<br />

die lediglich einen Beitrag leisten, deutet wenig auf einen wechselseitigen Bezug zwischen<br />

SprecherIn und HörerIn hin. Schliesslich kann ein wechselseitiger Austausch erst ab<br />

einem Minimum von zwei Posts erfolgen. Zwar kann sich auch der/die einmalige UserIn<br />

auf einen vorangegangenen Beitrag beziehen, bei so genannten One-Postern wird jedoch<br />

die Diskussion jeweils von anderen Teilnehmenden fortgeführt.<br />

Im Forum baz.ch werden im Durchschnitt neun Beiträge pro TeilnehmerIn gepostet. 85 Das<br />

deutet darauf hin, dass ein Austausch von Meinungen, also eine wirklich Diskussion stattfinden<br />

kann. Im Forum tdg.ch hingegen verabschiedet sich der/die Diskussionsteilnehmende<br />

durchschnittlich nach 3.3 Posts. 86 Die Foren tdg.ch und 24heures.ch sind die einzigen<br />

Foren, die keine Antwortmöglichkeit anbieten, sie wurden zum Zeitpunkt der Datenerhebung<br />

rein chronologisch geführt. Dadurch ist es für die Teilnehmenden schwerer ersichtlich,<br />

wer mit wem über was diskutiert. Ausserdem verfügen die untersuchten Westschweizer<br />

Foren über keine Threads, die die Diskussion nach Unterthemen ordnen und bieten<br />

keine Navigation, die die Suche innerhalb des Forums erleichtern würde. Es kann lediglich<br />

vor- und zurückgeblättert <strong>oder</strong> nach einem bestimmten Post gesucht werden.<br />

Ergibt sich nun aufgrund der technischen Struktur der Foren die Möglichkeit, mehrere Beiträge<br />

aufzuschalten bzw. direkt auf einzelne Beiträge zu antworten und dadurch eine Diskussion<br />

zu führen, wird von diesem Potenzial trotzdem unterschiedlich Gebrauch gemacht.<br />

87 Nicht allein die strukturellen Vorgaben entscheiden demnach darüber, ob tendenziell<br />

mehrere Beiträge pro Person gepostet werden. Der Zugang zum Forum, d.h. die Re-<br />

83<br />

Siehe dazu Grafik 8.<br />

84<br />

Es handelt sich jeweils um den durchschnittlichen Wert pro Anbieter. Bei baz.ch wurden bspw. drei Foren<br />

zur Abstimmungsthematik bereitgestellt.<br />

85<br />

Siehe dazu Grafik 8.<br />

86<br />

In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass hier lediglich die durchschnittliche Anzahl Posts pro<br />

TeilnehmerIn angegeben wird. Wie sich die Posts dann tatsächlich auf die Teilnehmenden verteilen, wird in<br />

Kapitel 5.2, S. 79ff. behandelt.<br />

87<br />

Vgl. die Foren espace.ch und google.ch, die über eine automatisierte Antwortmöglichkeit, eine Baumstruk-<br />

tur und eine Navigation verfügen.<br />

60


Beschreibung des Datenmaterials<br />

gistrierung und Identifikation der UserInnen scheint darauf ebenfalls Einfluss zu haben.<br />

Das Forum baz.ch weist die grösste Anzahl Posts pro TeilnehmerIn auf. Bei diesem Forum<br />

wird bei der Registrierung zwischen AbonnentInnen und Nicht-AbonnentInnen der Basler<br />

Zeitung unterschieden. AbonenntInnen müssen die Kundendaten angeben, Nicht-<br />

AbonenntInnen den vollen Namen, Adresse und Telefonnummer. Die Angabe der E-Mail-<br />

Adresse ist für alle UserInnen obligatorisch und wird überprüft. Obwohl die Teilnehmenden<br />

durch ihren Nickname für die anderen anonym bleiben, scheint die detaillierte Registrierung<br />

insofern Einfluss auf das Diskussionsverhalten zu haben, als sie das Mass an<br />

Wechselhäufigkeit potentiell positiv beeinflusst. Wie anhand des Forums tdg.ch ersichtlich<br />

ist, scheint die Baumstruktur jedoch eine Vorbedingung zu sein. Bei tdg.ch müssen die<br />

NutzerInnen ebenfalls detaillierte Angaben machen, wie bei baz.ch wird auch zwischen<br />

AbonenntInnen und Nicht-AbonenntInnen unterschieden. Dennoch werden lediglich 3.3<br />

Beiträge pro UserIn gepostet. Wie bereits erwähnt verfügt tdg.ch über einen chronologischen<br />

Aufbau ohne automatisierte Antwortmöglichkeit. Daran zeigt sich, dass die strukturellen<br />

Vorgaben den Diskurs bzw. das Mass an Wechselhäufigkeit fördern <strong>oder</strong> hemmen<br />

können.<br />

Kurzzusammenfassung: Die untersuchten Online-Foren sind sehr heterogen. Die Analyse<br />

hat gezeigt, dass der Umfang der Foren nicht zwingend mit den verschiedenen Anbietern<br />

(Google bzw. Medienverlagshäuser) zusammenhängt. Ebenso ist die Sprachregion kein<br />

bestimmendes Merkmal für die Grösse der Foren. Auch besteht zwischen der Dauer, wie<br />

lange ein Forum aufgeschaltet ist, und dessen Nutzung kein zwingender Zusammenhang.<br />

Demgegenüber scheinen zwei andere Grössen Einfluss auf den Umfang der Foren und das<br />

Nutzungsverhalten der UserInnen zu haben, die strukturellen Vorgaben und die Art der<br />

Registrierung. Rein chronologisch aufgebaute Foren, die keine Antwortmöglichkeit, keine<br />

Baumstruktur und keine Navigation kennen, erfordern für den wechselseitigen Austausch<br />

von Meinungen zwischen bestimmten Personen, dass diese klar ausweisen, mit wem sie<br />

kommunizieren. Diese Foren verzeichnen am wenigsten Posts pro Tag auf. Eine rege Beteiligung<br />

konnte demgegenüber in den Foren festgestellt werden, die über ausgefeiltere<br />

technische Möglichkeiten verfügen. Die Antwortmöglichkeit, die Strukturierung der Diskussion<br />

mittels Threads und eine Navigation, mit Hilfe derer einzelne Beiträge einfach<br />

gefunden werden können, unterstützen eine wechselseitige Diskussion. Die strukturellen<br />

Vorgaben von Foren können demnach die Intensität der Diskussion begünstigen <strong>oder</strong> erschweren.<br />

Nebst der technischen Struktur von Foren scheint auch die Registrierung und<br />

Identifikation einen gewissen Einfluss auf die Diskussion zu haben. Es konnte festgestellt<br />

werden, dass eine schwache Registrierung zu vielen UserInnen und vielen Posts führt.<br />

Werden die verschiedenen Ergebnisse zueinander in Beziehung gesetzt, kann folgende<br />

Hypothese hinsichtlich einer regen Foren-Kommunikation getroffen werden: Ein Forum<br />

mit einer strikten Registrierung und guten technischen Vorgaben scheint das Mass an<br />

Wechselhäufigkeit zu begünstigen und damit den Austausch von Meinungen zu fördern.<br />

Zur Verifizierung dieser These wäre ein Vergleich mit der Anzahl Zugriffe auf die einzelnen<br />

Websites aufschlussreich, eine detailliertere Untersuchung zum Einfluss struktureller<br />

Unterschiede erscheint wünschenswert. Um Aussagen über die Qualität der Wechselseitigkeit<br />

machen zu können, bedarf es allerdings einer inhaltlichen Analyse der Aussagen, wie<br />

sie für die Online-Foren als Mediengattung insgesamt in der vorliegenden Untersuchung<br />

an späterer Stelle geleistet wird. 88<br />

88 Vgl. Kapitel 6.3.<br />

61


Beschreibung des Datenmaterials<br />

4.4 Ort des <strong>Dialog</strong>s<br />

Den traditionellen elektronischen Medien stehen verschieden Möglichkeiten offen, wie und<br />

wo sie mit unterschiedlichen Menschen in den <strong>Dialog</strong> treten. Je nachdem wo das Gespräch<br />

stattfindet, sind die GesprächspartnerInnen vorgegeben, da sie eingeladen <strong>oder</strong> telefonisch<br />

kontaktiert werden bzw. eher zufällig wie bspw. das Publikum in einem Saal. Für die Frage,<br />

wer überhaupt zu Wort kommen könnte, dient die Örtlichkeit somit als erster Anhaltspunkt.<br />

Die Beteiligung der BürgerInnen an politischen Entscheidungsprozessen ist ein<br />

Grundprinzip demokratischer Gesellschaften. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die<br />

Frage, wie der meinungsbildende, öffentliche Diskurs geregelt wird. Da dieser Diskurs in<br />

erster Linie durch die Massenmedien hergestellt wird, muss er sich auf eine geringe Zahl<br />

an AkteurInnen beschränken. Die Örtlichkeit des <strong>Dialog</strong>s ist von diesem Standpunkt her<br />

ein erstes Kriterium für die Auswahl der AkteurInnen in der Medienarena. Ausserdem lässt<br />

sie Aussagen über die Gestaltung einzelner Sendungen zu. Im Folgenden wird zuerst auf<br />

mögliche Unterschiede zwischen der Deutsch- und Westschweiz eingegangen, danach interessiert<br />

die Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter.<br />

Sprachregionen<br />

Insgesamt finden rund 60.0% der untersuchten Sendungen im Studio statt, in 35.0% der<br />

Fälle werden die GesprächspartnerInnen telefonisch kontaktiert bzw. ruft das Publikum in<br />

die Sendung an. Lediglich in 5.0% ist der/die M<strong>oder</strong>atorIn „ausser Haus“, um das Gespräch<br />

vor Ort zu führen. In der folgenden Grafik ist ersichtlich, wie sich die Kommunikationssituation<br />

in den beiden Landesteilen unterscheidet.<br />

10.5%<br />

10.5%<br />

78.9%<br />

im Studio am Telefon vor Ort<br />

Örtlichkeit in der Deutschschweiz (n = 19)<br />

Grafik 9: Örtlichkeit der Sendungen nach Sprachregion<br />

47.4%<br />

2.6%<br />

im Studio am Telefon vor Ort<br />

Örtlichkeit in der Westschweiz (n = 38)<br />

In der Deutschschweiz ergibt sich ein eindeutiges Bild: über drei Viertel der dialogischen<br />

Formate finden im Studio statt (79.9%), bei 10.5% findet das Gespräch zumindest teilweise<br />

am Telefon statt, die restlichen 10.5% ereignen sich vor Ort. Das deutet darauf hin, dass<br />

die GesprächspartnerInnen meistens ausgewählt, also vorher bestimmt sind. Im Studio<br />

melden sich allerdings potentiell auch Personen aus dem Publikum zu Wort. 89<br />

In der Westschweiz liegt der Anteil der im Studio geführten Gespräche bei 50.0%. Auffällig<br />

ist, dass in knapp der Hälfte aller dialogischen Formate am Telefon gesprochen wird<br />

(47.4%). In diesen Sendungen wird entweder das ganze Gespräch am Telefon geführt –<br />

was in der Deutschschweiz nie der Fall ist – <strong>oder</strong> es handelt sich um das so genannte Phone-In-Konzept.<br />

Dabei werden ZuschauerInnen bzw. ZuhörerInnen aufgefordert, die Redaktion<br />

telefonisch zu kontaktieren, um ihre Meinung zu einem Thema darzulegen. Die Anru-<br />

89 Vgl. dazu Kapitel 4.5.<br />

50.0%<br />

62


Beschreibung des Datenmaterials<br />

ferInnen werden schliesslich live in die Sendung integriert. Dieses Format erlaubt es, eine<br />

grössere Bandbreite an Personen zu Wort kommen zu lassen. Auf der anderen Seite ist die<br />

Kommunikationssituation schwerer zu kontrollieren. Vor Ort wird das Gespräch lediglich<br />

in 2.6% der Fälle geführt.<br />

Ökonomische Stellung der Anbieter / Radio und Fernsehen<br />

Es wurde bereits ein Unterschied in Bezug auf die Örtlichkeit der Kommunikationssituation<br />

zwischen den beiden Landesteilen festgestellt. Nun interessiert die Frage, ob nicht nur<br />

zwischen den Sprachregionen, sondern auch hinsichtlich der ökonomischen Stellung des<br />

Senders Unterschiede bei dem Ort der Kommunikation bestehen.<br />

Örtlichkeit Öffentlich Privat<br />

im Studio 48.7% 83.3%<br />

am Telefon 46.2% 11.1%<br />

vor Ort 5.1% 5.6%<br />

Tabelle 7: Örtlichkeit der Sendungen nach Anbieter<br />

n = 40 n = 17<br />

Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der Örtlichkeit zwischen den öffentlichen<br />

und privaten Anbietern. Die meisten der untersuchten dialogischen Formate finden<br />

zwar im Studio statt, bei den öffentlichen Sendern in knapp der Hälfte aller Sendungen,<br />

(48.7%), bei den privaten in über vier Fünftel (83.3%).<br />

Aus der folgenden Grafik gehen die Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Radio-<br />

und Fernsehanbietern hervor.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Radio<br />

öffentlich<br />

Fernsehen<br />

öffentlich<br />

Radio<br />

privat<br />

im Studio am Telefon vor Ort im Studio am Telefon vor Ort<br />

Örtlichkeit in der Deutschschweiz (n = 19)<br />

Fernsehen<br />

privat<br />

Grafik 10: Örtlichkeit der Sendungen nach Radio- und Fernsehanbieter<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Radio<br />

öffentlich<br />

Fernsehen<br />

öffentlich<br />

Örtlichkeit in der Westschweiz (n = 38)<br />

DRS1 ist der einzige Sender in der Deutschschweiz, der die Gespräche zu den Abstimmungsthemen<br />

sowohl im Studio als auch vor Ort führt. Das Privatfernsehen TeleZüri ist<br />

der einzige Sender in der deutschsprachigen Region, der mit Live-Calls arbeitet. In der<br />

Westschweiz ist es der öffentliche Sender RSR1, der die dialogischen Formate sowohl im<br />

Studio als auch – und vor allem – am Telefon bzw. durch das Phone-In gestaltet. Der private<br />

Radioanbieter Rhône FM nutzte als einziger eine weitere Möglichkeit und verlegte die<br />

Kommunikationssituation ausserhalb des Studios.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Örtlichkeit hat dergestalt Einfluss auf die Kommunikationssituation<br />

als dass es sich dabei um ein erstes Kriterium für die Auswahl der AkteurInnen in<br />

Radio<br />

privat<br />

Fernsehen<br />

privat<br />

63


Beschreibung des Datenmaterials<br />

der Medienarena handelt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die GesprächspartnerInnen –<br />

aufgrund der Wahl des Orts des <strong>Dialog</strong>s – mehrheitlich vorgegeben sind. Allerdings konnte<br />

festgestellt werden, dass in der Westschweiz andere Formate produziert werden als in<br />

der Deutschschweiz. Das Phone-In-Konzept, bei dem AnruferInnen live in die Sendung<br />

geschaltet werden, fehlt in der deutschsprachigen Schweiz praktisch. Dieses erlaubt es allerdings,<br />

ein breiteres Spektrum an Personen anhören zu können. Ebenso wenig wie das<br />

Phone-In angewendet wird, werden in der Deutschschweiz Interviews am Telefon geführt.<br />

Auf der Ebene der ökonomischen Stellung konnten ebenfalls einige Unterschiede hinsichtlich<br />

der Örtlichkeit festgestellt werden. Es sind in erster Linie die öffentlichen Radiostationen,<br />

die die Kommunikationssituationen unterschiedlich gestalten. DRS1 verlegt das Gespräch<br />

teilweise ausser Haus, RSR1 führt die Diskussion am Telefon bzw. integriert AnruferInnen<br />

in die Sendung. Die privaten Sender dagegen führen den <strong>Dialog</strong> in vier Fünftel<br />

aller Sendungen im Studio. Die unterschiedlichen Kommunikationssituationen haben letztlich<br />

Einfluss auf die Kommunikation selbst. Welche AkteurInnen die klassischen elektronischen<br />

Medien bevorzugt einladen, wird im nächsten Kapitel behandelt. 90<br />

4.5 Publikumsbeteiligung<br />

Die medialen Rollen M<strong>oder</strong>atorIn, AkteurInnen und Publikum sind in den Sendungen fix<br />

vorgegeben. Doch nicht alle Sendungen schaffen Öffentlichkeit durch aktiven Einbezug<br />

des Publikums. Die interaktiven Möglichkeiten der traditionellen Massenmedien konzentrieren<br />

sich in den untersuchten Sendungen auf ein Studiopublikum und Live-Calls, vereinzelt<br />

wird auch eine Interaktion über SMS-Mitteilungen hergestellt („Infrarouge“). Dem<br />

Studiopublikum fällt häufig die Rolle zu, durch Zustimmungs- <strong>oder</strong> Ablehnungsbekundungen<br />

Stimmung zu schaffen. Es hat lediglich beschränkt die Möglichkeit, in das Geschehen<br />

einzugreifen. Dabei ist zu erwähnen, dass es sich beim Studiopublikum um ein spezielles<br />

Publikum handelt. Einerseits verfolgt es das Gespräch live mit, dessen Verlaufsmuster<br />

zwar bekannt ist, dessen Ausgang aber niemand kennt, da die Gesprächsteilnehmenden<br />

autonom sind. Andererseits wird auch das Studiopublikum vom Sender eingeladen und ist<br />

somit – zumindest teilweise – ausgewählt. Beim Konzept des Phone-In werden Kommentare,<br />

Diskussionsbeiträge <strong>oder</strong> Fragen der ZuhörerInnen bzw. ZuschauerInnen telefonisch<br />

an die Gesprächsrunde übermittelt und dienen häufig als Gesprächsanstoss.<br />

In insgesamt 29.8% aller untersuchten Formate wird das Radio- und Fernsehpublikum an<br />

den Sendungen aktiv beteiligt. In der Deutschschweiz kommt das Publikum in 31.6 %, in<br />

der Westschweiz in 28.9% der Sendungen zu Wort. Bei den öffentlichen Anbietern wird<br />

das Publikum in 38.5% der Sendungen eingebunden, bei den privaten lediglich in 11.1%.<br />

Einen weiteren Unterschied hinsichtlich der Publikumsbeteiligung gibt es zwischen den<br />

Mediengattungen: Im Radio kommt das Publikum in 22.2% der Sendungen zu Wort, im<br />

Fernsehen in 42.9%. Die folgende Grafik zeigt den Anteil der Sendungen mit Publikumsbeteiligung<br />

in den beiden Landesteilen bei den öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehanbietern.<br />

90 Vgl. Kapitel 5.1.<br />

64


Beschreibung des Datenmaterials<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Radio<br />

öffentlich<br />

Fernsehen<br />

öffentlich<br />

Radio<br />

privat<br />

Kein Publikum Publikum Kein Publikum Publikum<br />

Örtlichkeit in der Deutschschweiz (n = 19)<br />

Fernsehen<br />

privat<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Radio<br />

öffentlich<br />

Fernsehen<br />

öffentlich<br />

Örtlichkeit in der Westschweiz (n = 38)<br />

Grafik 11: Sendungen mit Publikumsbeteiligung bei Radio- und Fernsehanbietern nach Sprachregion<br />

Sowohl in der Deutschschweiz wie auch in der Romandie weist das öffentliche Fernsehen<br />

den grössten Anteil an Formaten mit Publikumsbeteiligung auf. In den grossen Diskussionssendungen<br />

„Arena“ und „Infrarouge“ werden Stimmen aus dem Publikum eingeholt.<br />

Die ZuschauerInnen können Statements abgeben <strong>oder</strong> sich direkt mit einer Frage an die<br />

GesprächsteilnehmerInnen wenden. Im Folgenden wird dieses Präsenzpublikum kurz näher<br />

betrachtet. Die „Arena“ kennt für das Studiopublikum das Konzept der ersten und<br />

zweiten Reihe: In der ersten Reihe hinter den HauptprotagonistInnen sitzen gewissermassen<br />

unterstützend Personen, die grundsätzlich eine ähnliche Haltung vertreten und die sich<br />

ebenfalls zu Wort melden können. Dahinter sitzen „unbeteiligte“ Personen, die in den<br />

meisten Fällen nur die Rolle des Hörens einnehmen und sich allenfalls bei konkreter Anfrage<br />

an Wortmeldungen aus dem Publikum am Diskurs beteiligen. „Infrarouge“ kennt ein<br />

ähnliches Konzept: Hinter den HauptprotagonistInnen sitzen jeweils deren unterstützende<br />

Personen in der ersten Reihe. Um sich an der Diskussion zu beteiligen, erhalten sie entweder<br />

ein Mikrophon <strong>oder</strong> sie treten in die Mitte des Studios. In den beiden Reihen dahinter<br />

sitzen am Gespräch allenfalls marginal beteiligte Personen. „Infrarouge“ bezieht im Gegensatz<br />

zum Deutschschweizer Pendant zudem SMS und E-Mails in die Sendung ein. Diese<br />

werden entweder eingeblendet <strong>oder</strong> von der/dem M<strong>oder</strong>atorIn vorgelesen.<br />

Vergleicht man die öffentlichen Radiosender kann festgestellt werden, dass bei RSR1 das<br />

Publikum im Vergleich zu DRS1 häufiger zu Wort kommt, was durch das Konzept des<br />

Phone-In zu erklären ist. Bei den privaten Anbietern ist es lediglich der Sender TeleZüri,<br />

welcher AnruferInnen live in die Sendung schaltet.<br />

Kurzzusammenfassung: Der Einbezug von Publikum soll generell den Live-Charakter einer<br />

Sendung vermitteln. Vor allem im öffentlichen Fernsehen wird dafür auf ein Studiopublikum<br />

gesetzt. Dieses erlebt die Atmosphäre im Studio und gibt den ZuschauerInnen zu<br />

Hause das Gefühl „dabei zu sein“. Das Studiopublikum sorgt für eine gewisse Resonanz<br />

des Gesprächs, indem es bspw. mit Belustigung <strong>oder</strong> Empörung, mir Beifall <strong>oder</strong> Missfallensbekundungen<br />

auf das Gesagte reagiert. Allerdings sind es jeweils die unterstützenden<br />

Personen hinter den HauptprotagonistInnen, die direkt Fragen an die Gäste stellen <strong>oder</strong><br />

Kommentare abgeben. Das beteiligte Präsenzpublikum ist – im Gegensatz zu den Live-<br />

Calls – teilweise ausgewählt. Dies gilt insbesondere für die TV-Debatten bei den öffentlichen<br />

Sendeanstalten, die eine „zweite Reihe“ von AkteurInnen besetzen. Bei Phone-In-<br />

Sendungen können sich HörerInnen <strong>oder</strong> ZuschauerInnen telefonisch an den Sendungen<br />

beteiligen. Mit diesem Programmformat soll ebenso die Echtheit und Glaubwürdigkeit<br />

erhöht werden. Im Gegensatz zum am Gespräch beteiligten Studiopublikum, werden die<br />

Radio<br />

privat<br />

Fernsehen<br />

privat<br />

65


Beschreibung des Datenmaterials<br />

AnruferInnen nicht eingeladen, wohl aber selektioniert (z.B. als BefürworterInnen <strong>oder</strong><br />

GegnerInnen). In diesem Sinne kommen die „gewöhnlichen“ BürgerInnen zu Wort, die<br />

sich in der Regel weniger diplomatisch ausdrücken als das ausgewählte Studiopublikum,<br />

also die Personen, die die HauptprotagonistInnen gewissermassen unterstützen, und damit<br />

zur Spannung der Sendung beitragen sollen.<br />

Insgesamt ermöglicht der öffentliche Anbieter SRG SSR idée suisse einen offeneren Zugang<br />

zu den Sendungen als die privaten Sender. Beim öffentlichen Fernsehsender beteiligen<br />

sich diejenigen an der Diskussion, die die HauptprotagonistInnen unterstützen, beim<br />

öffentlichen Radiosender können sich „normale“ BürgerInnen zu Wort melden. Durch diese<br />

HörerInnen- bzw. ZuschauerInnenbeteiligung liegt eine Demokratisierung einzelner<br />

Sendegefässe vor.<br />

66


Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

4.6 Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

Durch die Beschreibung der Untersuchungsanlage können bereits einige Charakteristika<br />

für die einzelnen Untersuchungsebenen aufgezeigt werden.<br />

In einem ersten Schritt wurde die Anzahl der dialogischen Formate hinsichtlich der Hauptanalyseebenen<br />

betrachtet, d.h. hinsichtlich der Sprachregionen, der Finanzierungsart und<br />

hinsichtlich des Unterschieds zwischen Radio und Fernsehen gegenüber dem Internet. Für<br />

die Untersuchung wurden insgesamt 57 dialogische Sendungen bzw. Teilsequenzen und 24<br />

Online-Foren ausgewählt und inhaltsanalytisch untersucht. Das Datenmaterial verteilt sich<br />

gleichmässig auf die beiden Sprachregionen: 49.4% des Datenmaterials stammt aus der<br />

Deutschschweiz rund, 50.6% aus der Romandie. Allerdings gibt es zwischen den beiden<br />

untersuchten Sprachregionen beträchtliche Differenzen: Die Anzahl an Diskussionssendungen<br />

in Radio und Fernsehen sowie Debatten in Online-Foren ist zwischen Deutschschweiz<br />

und Westschweiz sehr unterschiedlich. In der deutschsprachigen Schweiz stammen<br />

47.5% des Datenmaterials aus den traditionellen elektronischen Medien, 52.5% aus<br />

dem Internet. In der Romandie hingegen wurden nur gerade drei Online-Diskussionsforen<br />

im Untersuchungszeitraum eröffnet – 92.7% des untersuchten Materials stammen aus Radio<br />

und Fernsehen. Die reine Anzahl der Sendungen und Foren sagt jedoch noch nicht über<br />

deren Umfang bzw. Dauer aus.<br />

Die Stichprobe der Sendungen aus den traditionellen elektronischen Medien deutet darauf<br />

hin, dass in der Romandie häufiger dialogische Formate ausgestrahlt werden als in der<br />

Deutschschweiz, insbesondere beim öffentlichen Radio. Im Untersuchungszeitraum haben<br />

die Öffentlichen insgesamt mehr als doppelt so viele dialogische Formate ausgestrahlt als<br />

die Privaten. In der Deutschschweiz wurden mehr als zwei Fünftel der untersuchten Sendungen<br />

bei den öffentlichen Sendern ausgestrahlt, knapp drei Fünftel bei privaten Anbietern.<br />

In der Romandie dagegen hat die SRG SSR idée suisse rund vier Fünftel der ausgestrahlten<br />

dialogischen Formate produziert, die privaten Anbieter lediglich knapp einen<br />

Fünftel. Das Untersuchungsmaterial zeigt ausserdem die Tendenz, dass in der Gattung Radio<br />

eher dialogische Formate ausgestrahlt werden als im Fernsehen. Werden die verschiedenen<br />

Ebenen gemeinsam betrachtet, so lässt die Stichprobe die Folgerung zu, dass einerseits<br />

die privaten Anbieter in der Deutschschweiz eine stärkere Rolle spielen als in der<br />

Westschweiz: In beiden Landesteilen haben jeweils vier private Sender dialogische Formate<br />

zu den beiden Abstimmungsthemen ausgestrahlt, allerdings lag die durchschnittliche<br />

Anzahl an dialogischen Formaten in der Deutschschweiz bei 2.75 Sendungen pro Sender,<br />

in der Westschweiz bei 1.75. Andererseits hat aber der öffentliche Anbieter SRG SSR idée<br />

suisse in der Romandie weit mehr dialogische Sendungen produziert als in der Deutschschweiz.<br />

Die Stichprobe der Online-Foren zeigt ebenfalls vor allem hinsichtlich der Sprachregionen<br />

Unterschiede: In der Deutschschweiz machen die google.groups rund vier Fünftel, die<br />

Foren von Medienverlagshäusern rund einen Fünftel der untersuchten Diskussionsforen<br />

aus. In der Westschweiz wurden lediglich drei Diskussionsforen im gesamten Untersuchungszeitraum<br />

eröffnet, die allesamt von Medienverlagshäusern bereitgestellt wurden.<br />

Wird lediglich die Anzahl Foren betrachtet, kann festgestellt werden, dass die<br />

google.groups die meisten Diskussionsforen im Untersuchungszeitraum bereitgestellt haben,<br />

was strukturell bedingt ist: Bei diesem Anbieter können die UserInnen selbst ein Forum<br />

eröffnen, wobei dies v.a. bei einer neuen inhaltlichen Schwerpunktsetzung gemacht<br />

wird, weil die Struktur keine „neuen“ Threads zulässt, sondern nur solche, die an den ursprünglichen<br />

Beitrag anschliessen. Dies ist bei den Foren von Medienverlagshäusern nicht<br />

in der gleichen Art möglich. Im vorliegenden Fall wurden alle Diskussionen durch die Fo-<br />

67


Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

renbetreiber eröffnet und wieder geschlossen. In einigen Foren dieser Anbieter könnten<br />

auch die Teilnehmenden neue Foren eröffnen, allerdings sind diese thematisch in sich geschlossen.<br />

In einem zweiten Schritt wurde analysiert, wie sich das Untersuchungsmaterial der traditionellen<br />

elektronischen Medien über den Untersuchungszeitraum erstreckt. Dieser umfasst<br />

jeweils die letzten sechs Wochen vor der Abstimmung über das Abkommen zu<br />

Schengen und Dublin bzw. über die Ausdehnung des Personenfreizügigkeitsabkommens.<br />

Gerade im Kontext der politischen Willensbildung interessiert, wann die traditionellen<br />

elektronischen Medien ihre Sendungen ausstrahlen. Um sich politisch zu beteiligen, ist die<br />

die Zugänglichkeit zu relevanten Informationen Voraussetzung. Nicht zuletzt die Agenda-<br />

Setting-Forschung hat gezeigt, dass die Massenmedien gerade im Rahmen der politischen<br />

Berichterstattung einen Effekt auf die RezipientInnen haben. Damit in Verbindung steht<br />

die Frage, in welchem zeitlichen Rahmen das Interesse des Publikums auf bestimmte<br />

Themen gelenkt wird. Die öffentlichen und privaten Anbieter wählen für die Ausstrahlung<br />

der dialogischen Formate einen unterschiedlichen zeitlichen Rahmen: Die SRG SSR idée<br />

suisse setzt einerseits eher auf Kontinuität über die sechs Wochen vor der Abstimmung,<br />

andererseits richtet sie ihr Hauptaugenmerk auf die Zeitspanne von einem Monat vor dem<br />

Abstimmungssonntag. Die privaten Anbieter dagegen konzentrieren sich für die Ausstrahlung<br />

der dialogischen Formate auf die Zeit kurz vor der Abstimmung. Während sich der<br />

massenmediale Effekt der öffentlichen Anbieter potentiell bei allen Stimmberechtigten und<br />

Interessierten auswirkt, richtet er sich bei den privaten eher auf die – was die Abstimmung<br />

angeht – unentschlossenen WählerInnen und setzen damit auf einen kurzfristigen Effekt.<br />

Dies deutet darauf hin, dass die privaten Anbieter eher am Aktualitätsfaktor ausgerichtet<br />

sind bzw., dass die öffentlichen Sender den Service Public Auftrag nicht nur als inhaltliche,<br />

sondern wenn man so will auch als „zeitliche Ausgewogenheit“ wahrnehmen, indem<br />

die Berichterstattung über geplante Ereignisse früher als bei den privaten einsetzt.<br />

Da das Untersuchungsmaterial sehr heterogen ist wurden die beiden Mediengattungen separat<br />

genauer betrachtet. Die untersuchten Sendungen der traditionellen elektronischen<br />

Medien weisen zwei <strong>Dialog</strong>formate auf. In der einen Form findet das Gespräch als Diskussion<br />

zu einem gegebenen Thema zwischen dem/r GastgeberIn und mehreren Gästen bzw.<br />

GesprächspartnerInnen als Debatte statt. In der zweiten Form wird das Gespräch als Interview<br />

geführt. Insgesamt wurden im Rahmen der beiden Abstimmungen 33 Debatten<br />

(knapp drei Fünftel) und 24 Interviews (über zwei Fünftel) ausgestrahlt. Die klassischen<br />

Medien scheinen die Debatte für die Diskussion politischer Themen zu bevorzugen. Erneut<br />

sind interessante Unterschiede zwischen den Landesteilen feststellbar: In der Deutschschweiz<br />

liegt ein eindeutiges Gewicht auf Diskussionssendungen: Insgesamt handelt es<br />

sich bei über vier Fünftel der untersuchten dialogischen Formate um Debatten. Nur gerade<br />

drei Interviews wurden gesendet, was weniger als einem Fünftel entspricht. In der Westschweiz<br />

ist dieses Verhältnis ausgeglichener: Die Debatten machen einen Anteil von mehr<br />

als zwei Fünftel der französischsprachigen dialogischen Formate aus, die Interviews weniger<br />

als drei Fünftel. Interessant sind auch die Unterschiede zwischen den beiden Gattungen:<br />

über die Hälfte der untersuchten dialogischen Radioformate sind Interviews, was allerdings<br />

auf eine klare Dominanz der Interviews beim Westschweizer Radio zurückzuführen<br />

ist. Das Fernsehen setzt demgegenüber in beiden Sprachregionen eindeutig auf Debatten,<br />

bei über vier Fünftel aller untersuchten Fernsehsendungen handelt es sich um dieses<br />

<strong>Dialog</strong>format. Auf der Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter lassen sich ebenfalls<br />

Unterschiede bezüglich des <strong>Dialog</strong>formats feststellen: So sind die öffentlichen Radiosender<br />

die einzigen, die mehr Interviews als Debatten produziert haben. Die privaten Radiostationen<br />

haben dagegen kein einziges Interview gesendet. Die öffentlichen und privaten<br />

68


Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

Fernsehanbieter realisierten beide mehrheitlich Debatten. Abschliessend lässt sich deshalb<br />

feststellen, dass die dialogischen Formate unterschiedlich ausgestaltet werden. In der<br />

Deutschschweiz werden in erster Linie Diskussionssendungen produziert, in der Romandie<br />

mehrheitlich Interviews, obwohl das Verhältnis zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten insgesamt<br />

ausgeglichener gestaltet wird als in der deutschsprachigen Schweiz. Die öffentlichen Anbieter<br />

versuchen beide Gesprächsformen anzubieten. Das öffentliche Radio produzierte<br />

mehrheitlich Interviews, das öffentliche Fernsehen in erster Linie Debatten. Die Privaten<br />

Radio- und Fernsehanbieter setzten dagegen eindeutig auf Debatten.<br />

Die Sendungen der traditionellen elektronischen Medien sind bezüglich der Sendedauer<br />

sehr heterogen. Insgesamt wurden rund 24.3 Stunden Sendezeit analysiert. Wiederum lässt<br />

sich für die beiden Sprachregionen eine unterschiedliche Programmstruktur für dialogische<br />

Radio- und Fernsehformate feststellen: In der Deutschschweiz werden halb so viele dialogische<br />

Formate ausgestrahlt wie in der Romandie. Dabei handelt es sich vor allem um eigenständige<br />

Sendungen, nur zwei davon sind klar identifizierbare dialogische Teilsequenzen.<br />

Des Weiteren gibt es praktisch keine Interviews. Das Hauptgewicht liegt auf tendenziell<br />

längeren Diskussionssendungen. In der Westschweiz dagegen werden etwas mehr<br />

Interviews als Debatten gesendet. Auffällig ist, dass – vor allem bei RSR1 – häufig kurze<br />

dialogische Teilsequenzen in das Programm aufgenommen werden. Interessanterweise<br />

stammen zwar doppelt so viele der untersuchten Sendungen aus der Westschweiz wie aus<br />

der deutschsprachigen Schweiz, diese benötigen aber lediglich 1.2-mal soviel Sendezeit.<br />

Hiermit lässt sich festhalten, dass das Format respektive die Sendedauer die Kommunikation<br />

prägt. Bei den kürzeren Sendungen von unter 10 Minuten handelt es sich in über vier<br />

Fünftel um Interviews. In kurzen Sendungen ist es jedoch schwieriger, eine Auseinandersetzung<br />

um Positionen und Argumente zu führen. Im Gegenzug kommen in längeren Sendungen<br />

eher mehr Personen zu Wort, was wiederum Auswirkung auf die Dauer der Redezeit<br />

hat. Aufgrund der untersuchten Sendungen zeigen sich des Weiteren deutliche Unterschiede<br />

zwischen den öffentlichen und privaten Anbieter. Bei den Privaten dauern knapp<br />

drei Fünftel aller untersuchten Sendungen zwischen zwanzig und dreissig Minuten. Die<br />

öffentlichen Anbieter dagegen legen das Hauptgewicht auf Sendungen unter zehn Minuten,<br />

das trifft auf über die Hälfte der Sendungen zu. Allerdings integrierten die öffentlichen<br />

auch eine beträchtliche Anzahl an Sendungen, deren Dauer eine Stunde überstieg (ein<br />

Fünftel). Die Sendungen der privaten Anbieter überschreiten eine Dauer von maximal einer<br />

Stunde hingegen gar nicht. Dies spricht wiederum für eine grössere Bedeutung dialogischer<br />

Formate bei den öffentlichen Sendern. Ausserdem lässt sich festhalten, dass die Sendedauer<br />

nicht gattungsspezifisch ist.<br />

Die untersuchten Online-Foren weisen hinsichtlich ihres Umfangs signifikante Unterschiede<br />

auf. Die Aufstellung hat gezeigt, dass der Umfang der Foren weder gattungsspezifisch<br />

ist, noch zwingend mit der Marktstellung der Anbieter zusammenhängt. Ebenso ist<br />

die Sprachregion kein bestimmendes Merkmal für die Grösse der Foren. Auch besteht zwischen<br />

der Dauer, wie lange ein Forum aufgeschaltet ist, und dessen Nutzung kein zwingender<br />

Zusammenhang. Allerdings lassen sich andere bestimmende Faktoren ausmachen.<br />

Der Zugang zum Forum, d.h. die Registrierung und Identifikation der UserInnen hat einen<br />

Einfluss auf die Beteiligung an der Diskussion. Eine schwache Zugangskontrolle führt zu<br />

vielen UserInnen und vielen Posts – was allerdings noch nichts über die Qualität der Diskussion<br />

aussagt. Ausserdem haben die strukturellen Vorgaben der Foren Einfluss auf die<br />

Diskussion. Sie können eine Diskussion begünstigen <strong>oder</strong> erschweren. Die Antwortmöglichkeit,<br />

die Strukturierung der Diskussion mittels Threads und eine Navigation, mit deren<br />

Hilfe einzelne Beiträge einfach gefunden werden können, unterstützen eine wechselseitige<br />

Diskussion zumindest oberflächlich betrachtet und fördern eine rege Beteiligung. Rein<br />

chronologisch aufgebaute Foren, die keine Antwortmöglichkeit, keine Baumstruktur und<br />

69


Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

keine Navigation kennen, erfordern hingegen einen aktiven Meinungsaustausch, in dem die<br />

Bezugnahme auf andere expliziert werden muss, um von allen erkannt werden zu können.<br />

Abschliessend können diese Merkmale auf die Formel gebracht werden: Je einfacher die<br />

strukturellen Vorgaben, um Beiträge zu Verfassen, desto mehr Personen beteiligen sich an<br />

der Diskussion und desto mehr Posts werden verfasst. Werden die verschiedenen Ergebnisse<br />

zueinander in Beziehung gesetzt, kann folgende Hypothese hinsichtlich einer regen Foren-Kommunikation<br />

getroffen werden: Ein Forum mit einer strikten Registrierung und<br />

guten technischen Vorgaben scheint das Mass an Wechselhäufigkeit, also die Anzahl<br />

Posts, die pro UserIn verfasst wird, zu begünstigen und damit den Austausch von Meinungen<br />

zu fördern.<br />

Um mehr über die Formate der Sendungen der traditionellen elektronischen Medien zu<br />

erfahren, wurde der Ort des <strong>Dialog</strong>s analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass die Sprachregionen<br />

ein relevantes Unterscheidungskriterium sind. Zwar werden in beiden Landesteilen<br />

die meisten der untersuchten Sendungen im Studio abgehalten. In der deutschsprachigen<br />

Schweiz ist dies in knapp vier Fünftel der Fall, in der Romandie in der Hälfte. Das<br />

deutet darauf hin, dass die GesprächspartnerInnen meistens ausgewählt, also vorher bestimmt<br />

sind. Interessant ist, dass in der Westschweiz andere Formate als in der Deutschschweiz<br />

produziert werden. Das Phone-In-Konzept, bei dem AnruferInnen live in die Sendung<br />

geschaltet werden, findet sich in der deutschsprachigen Schweiz nur vereinzelt. Im<br />

Gegensatz zu manchen Westschweizer Sendungen sind dadurch keine spontanen Rückmeldungen<br />

und Diskussionsbeiträge möglich, zudem ist das Spektrum der AkteurInnen<br />

schmaler. Ebenso wenig wie das Phone-In-Format kennen die untersuchten Deutschschweizer<br />

Sendungen das Interview am Telefon. Wie noch zu sehen sein wird, haben diese<br />

unterschiedlichen Kommunikationssituationen letztlich einen Einfluss auf die Kommunikation<br />

selbst.<br />

Die Untersuchungsebene der ökonomischen Stellung der Anbieter zeigt ebenfalls Unterschiede<br />

hinsichtlich der Örtlichkeit. Bei den öffentlichen Sendern findet knapp die Hälfte<br />

aller Sendungen im Studio statt, bei den privaten in über vier Fünfteln der Fälle. Es sind in<br />

erster Linie die öffentlichen Radiostationen, die die Kommunikationssituationen unterschiedlich<br />

gestalten. Während DRS1 eine Gesprächssendung schon mal ausser Haus verlegt,<br />

führt RSR1 regelmässig Gespräche am Telefon und integriert AnruferInnen via Phone-In<br />

in die Sendung. Letztere Form ist bei den privaten Fernsehstationen nur bei einem<br />

Sender der Fall.<br />

Die Publikumsbeteiligung gibt ebenfalls Hinweise auf die Formate. In knapp einem Drittel<br />

aller untersuchten Sendung wird das Radio- und Fernsehpublikum aktiv beteiligt. Der Einbezug<br />

von Publikum soll generell den Live-Charakter einer Sendung vermitteln. Die<br />

Hauptunterschiede sind bei der ökonomischen Stellung der Anbieter und bei den Mediengattungen<br />

festzustellen: Vor allem im öffentlichen Fernsehen wird dafür auf ein Studiopublikum<br />

gesetzt. Dieses erlebt die Atmosphäre im Studio und gibt den Zuschauern zu<br />

Hause das Gefühl „dabei zu sein“. Das Studiopublikum liefert mit seinen Reaktionen für<br />

die übrigen RezipientInnen eine Interpretation des Gesagten. Allerdings ist es jeweils die<br />

„zweite Reihe“ die vornehmlich Kommentare abgibt, während das übrige Publikum allenfalls<br />

von der M<strong>oder</strong>ation zur Gesprächsbeteiligung aufgefordert wird. Das beteiligte Präsenzpublikum,<br />

also in erster Linie die zweite Reihe, ist – im Gegensatz zu den Live-Calls –<br />

ausgewählt. Bei Phone-In-Sendungen können sich HörerInnen <strong>oder</strong> ZuschauerInnen telefonisch<br />

an den Sendungen beteiligen. Mit diesem Programmformat soll ebenso die Echtheit<br />

und Glaubwürdigkeit erhöht werden. Im Gegensatz zum am Gespräch beteiligten Studiopublikum,<br />

werden die AnruferInnen nicht eingeladen, wohl aber selektioniert. In diesem<br />

Sinne kommt „der Mann/die Frau von der Strasse“ zu Wort, der/die sich in der Regel<br />

70


Zwischenfazit: la structure fait la musique<br />

weniger diplomatisch ausdrückt als das eingeladene Studiopublikum und damit zur Spannung<br />

der Sendung beitragen soll. Insgesamt ermöglicht der öffentliche Anbieter SRG SSR<br />

idée suisse einen offeneren Zugang zu den Sendungen als die privaten Sender. Beim öffentlichen<br />

Fernsehsender beteiligen sich v.a. Personen an der Diskussion, die die HauptprotagonistInnen<br />

unterstützen, beim öffentlichen Radiosender können sich verstärkt „normale“<br />

BürgerInnen zu Wort melden. Durch diese HörerInnen- bzw. ZuschauerInnenbeteiligung<br />

liegt eine Demokratisierung im Sinne einer höheren Inklusivität einzelner Sendegefässe<br />

vor.<br />

71


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

5 Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Eines der zentralen Unterscheidungsmerkmale bei der Bestimmung von diskursiven Qualitätsunterschieden<br />

ist die Inklusivität der AkteurInnen. Dabei interessiert, ob der Diskurs<br />

von bestimmten Akteursgruppen dominiert wird <strong>oder</strong> allen am politischen Prozess beteiligten<br />

Personen offen steht. Bei Fernsehen und Radio wird die Inklusivität wesentlich durch<br />

die Medien bestimmt, da die Teilnahme am <strong>Dialog</strong> zu einem grossen Teil auf Einladung<br />

erfolgt, während eine „spontane“ Diskursbeteiligung allenfalls einem Publikum im Studio<br />

<strong>oder</strong> via Phone-in möglich ist. Die Beteiligung in einem Online-Forum steht hingegen allen<br />

interessierten Personen offen, es gibt lediglich technische Zugangsbeschränkungen. Für<br />

die politische Meinungs- und Willensbildung ist ein Austausch zwischen Personen mit<br />

potentiell divergierenden Interessen bedeutsam, da so die Möglichkeit gewahrt wird, einen<br />

Konsens zu finden, der von möglichst vielen Personen getragen werden kann.<br />

Im Folgenden wird zunächst analysiert, welche Akteursgruppen in welchen Mediengattungen<br />

wie stark vertreten sind. In einem zweiten Schritt wird untersucht, in welchem Mass<br />

die verschiedenen Akteursgruppen in die Diskussion eingreifen. Aufgrund des Untersuchungsgegenstandes<br />

– dialogische Formate zu Abstimmungsvorlagen – werden die DiskursteilnehmerInnen<br />

in einem dritten Schritt anhand ihrer Einstellung zu den gewählten<br />

Abstimmungen unterschieden. D.h. es wird zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen<br />

der Vorlage differenziert. Diejenigen AkteurInnen, die keine eindeutige Position einnehmen,<br />

werden unterschieden in solche, deren Einstellung zur Vorlage nicht ersichtlich ist<br />

und solche, deren Haltung ambivalent ist, ihre Meinung also noch nicht gefasst haben. 91<br />

Eine Unterscheidung nach Positionen lässt gewisse Rückschlüsse auf die Inklusivität der<br />

Argumente zu, denn die beiden politischen Lager verfolgen meist mehrere identifizierbare<br />

Argumentationslinien, die im Diskurs idealerweise zur Sprache kommen.<br />

5.1 Inklusivität der AkteurInnen<br />

Die Unterscheidung der Akteursgruppen erfolgt anhand der Achse „Zentrum – Peripherie“.<br />

Zentrum<br />

Bundesrat Übrige<br />

Zentrumsnah Peripherienah Peripherie ExpertInnen JournalistInnen<br />

Die Akteursgruppe „Zentrum“ bezeichnet DiskursteilnehmerInnen, die als RepräsentantInnen<br />

der Politik auftreten (national, kantonal, kommunal, einzelne Parteien) <strong>oder</strong> der Verwaltung<br />

<strong>oder</strong> dem Gerichtswesen angehören. In der vorliegenden Untersuchung wird zwischen<br />

RepräsentantInnen der Regierung (Bundesrat) und übrigen VertreterInnen des Zentrums<br />

unterschieden. Dies aufgrund der Annahme, dass sich zwischen diesen beiden Personengruppen<br />

Unterschiede bezüglich ihrer Beteiligung am Diskurs ausmachen lassen, da<br />

den RegierungsvertreterInnen in der Regel mit einem gewissen Mass an Respekt begegnet<br />

wird. Unter „Zentrumsnah“ werden in der vorliegenden Untersuchung insbesondere die<br />

organisierten Spitzenverbände in der Schweiz verstanden (z.B. Arbeitgeberverband, economiesuisse,<br />

Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Travail Suisse). Unter der Akteursgruppe<br />

„Peripherienah“ werden Verbände gefasst, die Partikularinteressen vertreten. Kulturelle<br />

Einrichtungen wie z.B. Schriftstellerverbände gehören ebenso zu dieser Kategorie<br />

wie Berufsverbände und public interest groups, die Kollektivinteressen in Sachen Umwelt,<br />

Verbraucher etc. vertreten. Kirchen und karitative Verbände werden ebenfalls als peripherienah<br />

bezeichnet, genauso wie spontan entstandene Vereinigungen, Organisationen und<br />

Bewegungen. In der vorliegenden Studie wurden bspw. das Wirtschaftskomitee Schengen<br />

91 AkteurInnen, die möglicherweise ihre Meinung im Verlauf der Diskussion ändern, werden nicht gesondert<br />

erfasst.<br />

72


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Nein, die Organisation Solidarité sans Frontières <strong>oder</strong> das syndicat des gardes frontières<br />

et de douaniers als peripherienahe AkteurInnen erfasst. Die Kategorie „Peripherie“ bezeichnet<br />

hingegen Diskursteilnehmende, die keinen erweiterten Personenkreis repräsentieren,<br />

d.h. Einzelpersonen, die sich am Meinungsaustausch primär aus persönlicher Perspektive<br />

beteiligen (vgl. dazu Gerhards 1997: 3; Gerhards et al. 1998: 32f.). „ExpertInnen“ und<br />

„JournalistInnen“ bilden zwei weitere Akteursgruppen, die in der Analyse eine gesonderte<br />

Stellung einnehmen. Zum einen sind sie auf der Achse „Zentrum – Peripherie“ nicht eindeutig<br />

zu verorten. Zum anderen ist zu erwarten, dass Personen wie bspw. UniversitätsprofessorInnen,<br />

die als „ExpertInnen“ zum Diskussionsgegenstand der Abstimmungsvorlagen<br />

eingeladen werden, keine klare Position punkto Abstimmungsempfehlung einnehmen – im<br />

Gegensatz zu den übrigen Teilnehmenden.<br />

Akteursgruppen im Überblick<br />

Über das gesamte Untersuchungsmaterial hinweg, verteilen sich die Anteile der einzelnen<br />

Akteursgruppen wie folgt:<br />

0.7%<br />

7.4%<br />

72.3%<br />

1.1% 12.7% 1.4%<br />

4.4%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

AkteurInnen gesamt (n = 996)<br />

Grafik 12: Akteursgruppen nach Zugehörigkeit auf der Achse „Zentrum – Peripherie“<br />

Mit 72.3% nehmen die peripheren AkteurInnen auf den ersten Blick ein überraschend hohes<br />

Gewicht ein. Mit gerade mal 13.8% bildet das Zentrum, also PolitikerInnen, RepräsentantInnen<br />

der Verwaltung usw. zusammen mit den VertreterInnen der Regierung die zweitstärkste<br />

Akteursgruppe, gefolgt von den JournalistInnen mit 7.4%. Das Übergewicht der<br />

Peripherie erklärt sich durch die im Vergleich sehr unterschiedliche Struktur der Teilnehmenden<br />

in den klassischen Medien und den Online-Foren. Aus diesem Grund werden sie<br />

im Folgenden gesondert analysiert.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Von den insgesamt 720 AkteurInnen aus der Peripherie beteiligen sich 660 in den Online-<br />

Foren (91.6%) gegenüber 60 Personen (8.3%) in den klassischen Medien. Betrachtet man<br />

die vorkommenden AkteurInnen in der Mediengattung Internet gesondert, kann festgestellt<br />

werden, dass der Diskurs in den Online-Foren fast ausschliesslich zwischen AkteurInnen<br />

aus der Peripherie geführt wird (99.7%). In keinem der untersuchten Online-Foren lassen<br />

die Selbstbeschreibungen der TeilnehmerInnen weitere Rückschlüsse über allfällige repräsentative<br />

Funktionen zu, d.h. die AkteurInnen treten in den Foren fast ausschliesslich als<br />

Privatpersonen auf. Die einzigen Ausnahmen bilden ein Kommunalpolitiker, der sich im<br />

Forum baz.ch in einem einzigen Post als solcher zu erkennen gibt sowie ein Webmaster,<br />

der/die sich in 24heures.ch in eben dieser Funktion einmalig in die Diskussion einschaltet,<br />

73


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

um den Diskurs zu kommentieren. 92 Die Forenbetreiber wirken somit nicht erkennbar auf<br />

den Diskurs ein, indem sie diesen mittels eigener Beiträge m<strong>oder</strong>ieren.<br />

Eine weitere mögliche Form der Einflussnahme besteht darin, dass die Anbieter Beiträge<br />

von Diskursteilnehmenden kürzen, löschen <strong>oder</strong> gar nicht erst publizieren. Die Westschweizer<br />

Foren 24heures.ch und tdg.ch stellen tatsächlich als Einzige in Aussicht, einzelne<br />

Posts zu editieren. Die Deutschschweizer Foren von Medienverlagshäusern behalten<br />

sich hingegen vor, einzelne Posts zu löschen. Demgegenüber funktionieren die googlegroups<br />

nach dem Prinzip der Selbstregulierung. Ob in den Foren der Medienverlagshäuser<br />

tatsächlich Posts von einer Redaktion gelöscht wurden, weil sie beleidigend <strong>oder</strong> themenfremd<br />

waren, lässt sich nicht unmittelbar nachprüfen. Der Anteil an Posts, die nicht themenspezifisch<br />

zur Diskussion beitragen, lässt diesbezüglich allerdings Rückschlüsse zu. In<br />

allen Foren sind themenfremde Beiträge zu lesen, was nicht dafür spricht, dass eine redaktionelle<br />

Bearbeitung erfolgte. Am niedrigsten waren die Werte in einem der Foren von<br />

baz.ch 93 sowie in den Westschweizer Foren tdg.ch und 24.heures.ch. 94 Insgesamt kann<br />

konstatiert werden, dass die Medienverlagshäuser kaum regulativ auf den Diskurs einwirken.<br />

Die Medien treten weder als Diskursteilnehmende noch als Diskursübermittelnde auf,<br />

sondern reduzieren sich auf die Rolle als Forumsbetreiber, indem sie die technische Infrastruktur<br />

zur Verfügung stellen.<br />

Der in der Mediengattung Internet geführte Diskurs ist also insofern nicht inklusiv, als die<br />

überwiegende Mehrheit der Akteursgruppen darin nicht vertreten ist. Der Diskurs wird<br />

beinahe ausschliesslich von VertreterInnen der Peripherie getragen. Ein Austausch zwischen<br />

BürgerInnen und VerteterInnen der Politik, von Spitzenverbänden <strong>oder</strong> Interessensgruppen<br />

findet hier nicht statt. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass periphere AkteurInnen<br />

im Gegensatz zu AkteurInnen des Zentrums in der Regel frei von inneren und äusseren<br />

Zwängen sind, d.h. ihre Meinung frei von ideologischen Einengungen <strong>oder</strong> Interessen<br />

von Organisationen und Institutionen äussern können. Aufgrund der von der Peripherie<br />

dominierten Akteursstruktur nähern sich die Online-Foren somit dem Ideal des „herrschaftsfreien“<br />

Diskurses an (vgl. Habermas 1992; Gerhards 1997).<br />

Im Gegensatz zur homogenen Akteursstruktur bei den Online-Foren erweisen sich die<br />

klassischen Medien mit Blick auf die Diversität der vorkommenden AkteurInnen als inklusiver.<br />

Die gesamte Bandbreite an Akteursgruppen ist hier, wenngleich in unterschiedlichem<br />

Masse, vertreten:<br />

92 Forum von 24heures.ch zur Abstimmung über das Schengen/Dublin-Dossier, Webmaster, [11.05.2005,<br />

ohne Zeitangabe], http://www.24heures.ch/vqhome/interactif_24/forum/schengen.html [Stand: 06.06.2005].<br />

93 Baz.ch: „Ausdehnung der Personenfreizügigkeit“ [2. Teil], http://www.baz.ch/forum/list.cfm?forum=578<br />

[Stand: 19.11.2005].<br />

94 Vgl. Kapitel 7.1.<br />

74


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

2.1%<br />

18.0%<br />

21.9%<br />

12.9%<br />

3.3%<br />

4.2%<br />

37.7%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

Akteursgruppen klassische Medien ( n = 334)<br />

Grafik 13: Akteursgruppen in den klassischen Medien<br />

Wie der Grafik entnommen werden kann, ist das Zentrum mit 37.7% in den klassischen<br />

Medien am stärksten vertreten, gefolgt von den JournalistInnen mit 21.9% und den AkteurInnen<br />

aus der Peripherie mit 18.0%. Kollektive VertreterInnen – also Personen, die z.B.<br />

die Mitglieder einer Organisation <strong>oder</strong> eines Verbandes vertreten – sind auf der peripherienahen<br />

Ebene mit 12.9% rund dreimal stärker vertreten als jene auf der zentrumsnahen<br />

Ebene mit 4.2%. Die ExpertInnen sind mit 2.1% nur schwach vertreten.<br />

Kurzzusammenfassung: Betrachtet man die Bandbreite der vorkommenden AkteurInnen so<br />

sind die klassischen Medien wesentlich inklusiver als die Online-Foren. Auf dem Spektrum<br />

„Zentrum – Peripherie“ beteiligen sich alle Akteursgruppen am Diskurs. Legt man das<br />

Primat hingegen auf die Frage, in welchem Mass die BürgerInnen am Diskurs teilnehmen<br />

können, so verschiebt sich das Ergebnis zugunsten der Online-Foren. Die VertreterInnen<br />

der Peripherie bestreiten die Diskussion beinahe exklusiv untereinander – andere AkteurInnen<br />

beteiligen sich nur in seltenen Ausnahmen am Diskurs. Im Vergleich zu den klassischen<br />

Medien ist der Zugang der Peripherie zum Diskurs in den Online-Foren eindeutig<br />

gewährleistet. In den traditionellen elektronischen Medien ist die Peripherie mit knapp<br />

einem Fünftel aller AkteurInnen eher schwach vertreten, v.a. aber nur halb so stark wie das<br />

Zentrum, was gegen einen egalitären Diskurs spricht.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Ein Vergleich zwischen öffentlichen und privaten Anbietern lässt kleinere Verschiebungen<br />

in der Teilnahme der verschiedenen Akteursgruppen am Diskurs erkennen:<br />

2.7%<br />

20.2%<br />

19.0%<br />

14.3%<br />

3.5%<br />

4.7%<br />

35.7%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

Akteursgruppen bei den öffentlichen Anbietern (n =<br />

258)<br />

0.0%<br />

31.6%<br />

10.5%<br />

7.9%<br />

2.6%<br />

2.6%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

Grafik 14: Akteursgruppen in den klassischen Medien nach Anbieter<br />

44.7%<br />

Akteursgruppen bei den privaten Anbietern (n =<br />

76)<br />

75


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Die Akteursstruktur bei den öffentlichen Anbietern entspricht annähernd der Verteilung für<br />

alle ausgewerteten Sendungen der klassischen Medien. Dies liegt zum einen daran, dass<br />

die öffentlichen Sender mehr dialogische Formate ausgestrahlt haben, die in die Untersuchung<br />

einbezogen werden konnten, 95 nämlich 39 Sendungen im Vergleich zu 18 Sendungen<br />

bei den privaten Anbietern. Dementsprechend nimmt die Verteilung bei den öffentlichen<br />

Sendungen in der Akteursstruktur für die klassischen Medien insgesamt ein stärkeres<br />

Gewicht ein. Zum anderen sind bei den öffentlichen Sendeanstalten im Schnitt mehr AkteurInnen<br />

am <strong>Dialog</strong> beteiligt als bei den privaten, nämlich mehr als sechs Personen pro<br />

Sendung im Gegensatz zu etwas mehr als vier bei den Privaten.<br />

Nachstehende Grafik verdeutlicht, dass das Spektrum möglicher Akteursgruppen bei den<br />

öffentlichen Sendern ausgeglichener abgedeckt ist. Demgegenüber stehen sich bei den privaten<br />

Sendern zu einem guten Teil JournalistInnen und VertreterInnen des Zentrums gegenüber.<br />

Das Zentrum ist bei den Privaten stärker vertreten als in den öffentlichen Sendern<br />

(47.3% vs. 39.2%). Die AkteurInnen, welche der Peripherie zugeordnet werden können<br />

<strong>oder</strong> als VertreterInnen von peripherienahen Organisationen und Verbänden in Erscheinung<br />

treten, sind demgegenüber in den Sendungen der privaten Stationen im Vergleich zu<br />

den öffentlichen stärker unterrepräsentiert. Bei den privaten Stationen sind die genuin peripheren<br />

AkteurInnen mit nur 10.5% vertreten, bei den öffentlichen mit 20.2% fast doppelt<br />

so stark. Bei den öffentlichen Anbietern ist der Anteil an Sendungen, deren Konzept eine<br />

Publikumsbeteiligung vorsieht mit 38.5% höher als bei den privaten mit 11.1%, was sich<br />

bei der Beteiligung peripherer AkteurInnen bis zu einem gewissen Masse niederschlägt.<br />

Der Anteil ist allerdings kleiner als die Publikumsbeteiligung erwarten liesse, weil sich<br />

insbesondere in den Sendungen des öffentlichen Fernsehens „Arena“ und „Infrarouge“ das<br />

Publikum zu einem guten Teil aus VertreterInnen von Organisationen und Verbänden zusammensetzt,<br />

die nicht als zentrale DiskursteilnehmerInnen auftreten, sondern aus der so<br />

genannten „zweiten Reihe“ agieren. RegierungsvertreterInnen nehmen sowohl bei den öffentlichen<br />

als auch bei den privaten Sendern am Diskurs teil, bei Ersteren etwas öfter.<br />

Durchschnittliche Anzahl<br />

AkteurInnen pro Sendung<br />

2.50<br />

2.00<br />

1.50<br />

1.00<br />

0.50<br />

0.00<br />

Bundesrat<br />

Zentrum übrige<br />

Zentrumsnah<br />

Peripherienah<br />

Peripherie<br />

öffentlich (n=258) privat (n=76)<br />

Experten<br />

Journalisten<br />

Grafik 15: Durchschnittliche Beteiligung der verschiedenen Akteursgruppen pro Sendung nach Anbieter<br />

Obschon das Zentrum bei beiden Anbietern stärker vertreten ist als die Peripherie, ist die<br />

Schere bei den privaten doch etwas grösser. Bei den öffentlichen Sendern nehmen insgesamt<br />

zudem mehr AkteurInnen am Diskurs teil und bieten somit eine breitere Meinungsvielfalt.<br />

Der Diskurs kann bei den öffentlichen Anbietern aus dieser Perspektive als egalitärer<br />

gelten als bei den privaten.<br />

95 Vgl. Kapitel 4.1.<br />

76


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Betrachtet man die beiden Mediengattungen Radio und Fernsehen im Detail, so ist der Zugang<br />

zum Diskurs im Radio egalitärer als beim Fernsehen. Die peripheren AkteurInnen<br />

sind beim Radio mit 21.3% stärker vertreten als im Fernsehen mit 14.7%. Dies ist insofern<br />

überraschend als ein Sendekonzept mit Publikumsbeteiligung im Radio bei 22.2% aller<br />

Sendungen zum Tragen kommt, während dies beim Fernsehen in 42.9% der Fall ist. Dies<br />

deutet darauf hin, dass im Radio das Publikum – welches sich oftmals aus peripheren AkteurInnen<br />

zusammensetzt – verhältnismässig stark eingebunden wird, sofern es anwesend<br />

ist. Dies ist v.a. bei den Sendungen der Fall, in denen eine Debatte „vor Ort“ geführt wird<br />

wie auch bei Sendungen, deren Konzept ein Phone-In vorsieht, in denen sich also „normale“<br />

BürgerInnen telefonisch zu Wort melden. Im Fernsehen hingegen nimmt das Publikum<br />

verstärkt die Rolle des Zuhörens ein. Wiederum stellt die „zweite Reihe“ bei den Diskussionssendungen<br />

des öffentlichen Fernsehens eine Einflussgrösse dar. Das Konzept des Phone-in<br />

nimmt im Fernsehen zudem eine untergeordnete Rolle ein. 96 Die AkteurInnen des<br />

Zentrums werden mit 44.7% im Fernsehen öfters als GesprächspartnerInnen eingeladen als<br />

im Radio mit 37.2%. Somit ist das Zentrum im Fernsehen rund dreimal stärker vertreten<br />

als die Peripherie, im Radio weniger als doppelt so stark.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Da ein Grossteil der untersuchten Radiosendungen in der Westschweiz ausgestrahlt wurde<br />

(83.3%), erstaunt es nicht, dass die Ergebnisse in Bezug auf den Zugang der Akteursgruppen<br />

zwischen den Sprachregionen ähnlich ausfallen wie diejenigen des Vergleichs zwischen<br />

den Mediengattungen Radio und Fernsehen: Die AkteurInnen der Peripherie sind in<br />

den Sendungen der Westschweiz mit 19.4% stärker vertreten als in der deutschsprachigen<br />

Schweiz mit 15,9%. Ausserdem kommt ihnen proportional zu den VertreterInnen des Zentrums<br />

eine grössere Bedeutung zu, denn in der Romandie ist das Zentrum schwächer vertreten<br />

als in der Deutschschweiz (37.8% bzw. 45.7%).<br />

Kurzzusammenfassung: Insgesamt ist das Zentrum in den klassischen Medien stärker vertreten<br />

als die Peripherie. Dies gilt sowohl für die öffentlichen Sender als auch für die privaten,<br />

wobei die Diskrepanz bei den privaten ausgeprägter ist. Bei den öffentlichen Fernseh-<br />

und Radiosendern nehmen im Durchschnitt eine grössere Anzahl AkteurInnen am Diskurs<br />

teil, somit finden mehr Meinungen Eingang in den Diskurs. Zudem sind VertreterInnen<br />

von zentrums- und peripherienahen Verbänden und Organisationen in den Sendungen der<br />

öffentlichen Stationen stärker vertreten, wodurch der Diskurs insgesamt als egalitärer gelten<br />

kann. Im Vergleich zwischen den Mediengattungen Radio und Fernsehen, kann festgehalten<br />

werden, dass der Diskurs im Radio egalitärer ausgerichtet ist: Die peripheren AkteurInnen<br />

sind personell stärker vertreten als im Fernsehen, zudem sind sie im Vergleich zu<br />

den AkteurInnen des Zentrums weniger deutlich unterrepräsentiert. Wenngleich weniger<br />

deutlich, lassen sich ähnliche Ergebnisse auch im Vergleich zwischen der Deutschschweiz<br />

und der Romandie feststellen, da die in der Deutschschweiz die Mediengattung Fernsehen<br />

ein stärkeres Gewicht einnimmt, in der französischsprachigen Schweiz hingegen das Radio.<br />

Online-Foren: Anbieter / Sprachregionen<br />

Bezüglich der Frage nach der Inklusivität der AkteurInnen konnten weder zwischen den<br />

google.groups und den Foren der Medienverlagshäuser noch zwischen den beiden Sprachregionen<br />

Unterschiede festgestellt werden. Alle Online-Foren zeichnen sich einhellig dadurch<br />

aus, dass der Diskurs von der Peripherie bestimmt wird.<br />

96 Vgl. Kapitel 4.5.<br />

77


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Exkurs: Inklusivität nach Geschlecht<br />

Die erhobenen Daten zur Akteursstruktur können Aufschluss darüber geben, wie sich das<br />

Verhältnis von Akteuren zu Akteurinnen in den verschiedenen Mediengattungen gestaltet.<br />

Zwar wurden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine Hypothesen aufgestellt, ob<br />

und inwiefern sich die Kategorie „Geschlecht“ auf die Diskursqualität auswirken könnte.<br />

Diese Frage hätte eine weitere Untersuchungsebene eröffnet, die eine darauf zugeschnittene<br />

konzeptionelle Ausrichtung erfordert hätte, was hier weder intendiert noch zu leisten<br />

war. Dennoch lassen sich auf der Basis der erhobenen Daten Aussagen zur Inklusivität der<br />

AkteurInnen entlang der Dichotomie „männlich – weiblich“ treffen.<br />

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den klassischen Medien und dem Internet besteht<br />

darin, dass die DiskursteilnehmerInnen in den Online-Foren nicht zwangsläufig identifizierbar<br />

sind, was sowohl für den Namen als auch das Geschlecht gilt. 97 In sämtlichen untersuchten<br />

Online-Foren waren 42.6% der Teilnehmenden nicht nach Geschlecht identifizierbar.<br />

Vergleicht man nun den prozentualen Frauenanteil unter den identifizierbaren UserInnen,<br />

ergibt sich folgendes Bild:<br />

Geschlecht Klassische Medien<br />

absolut<br />

Klassische Medien prozentual<br />

Online<br />

absolut<br />

Männer 279 83.5% 366 96.3%<br />

Frauen 55 16.5% 14 3.7%<br />

Tabelle 8: Anzahl Teilnehmende in den Mediengattungen nach Geschlecht<br />

Online prozentual<br />

Sowohl in den klassischen Medien als auch im Internet ist der Frauenanteil unter den Diskursteilnehmenden<br />

verhältnismässig gering. Mit 3.7% ist der Anteil an Akteurinnen in den<br />

Online-Foren jedoch wesentlich geringer als im Fernsehen und Radio, wo er mit 16.5%<br />

immerhin rund 4.5-Mal höher liegt. Von Interesse ist diesbezüglich vor allem der Umstand,<br />

dass Online-Foren keine Zugangskriterien kennen – Jeder und Jede kann an der Diskussion<br />

teilnehmen. Offensichtlich werden Internet-Foren von Frauen für den politischen<br />

Meinungsaustausch jedoch kaum genutzt (bei den google.groups sind es gerade mal 0.4%),<br />

ein Ergebnis, dessen nähere Untersuchung durchaus lohnenswert erscheint. Während eine<br />

Begründung für die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Nutzung der Online-Foren hier<br />

rein spekulativ ausfallen müsste, können für die klassischen Medien folgende Annahmen<br />

getroffen werden: Bei dialogischen Formaten zu Abstimmungsvorlagen sind Fernsehen<br />

und Radio bei der Auswahl ihrer GesprächsteilnehmerInnen vermutlich darum bemüht,<br />

Personen einzuladen, die einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, sei es in der<br />

Politik <strong>oder</strong> als VertreterInnen von bestimmten Interessensgruppen. Die untersuchten Sendungen<br />

berühren wirtschaftspolitische Themen, daher erscheint es plausibel, dass die geschlechtsspezifische<br />

Verteilung bis zu einem gewissen Masse die Verhältnisse in Politik<br />

und Wirtschaft widerspiegelt. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass insbesondere NationalrätInnen<br />

im medialen Diskurs der klassischen Medien regelmässig als AkteurInnen in<br />

Erscheinung treten. Gemessen am Frauenanteil im Nationalrat (aktuell bei 25%) sind Frauen<br />

in den klassischen Medien mit 16.5% jedoch deutlicher unterrepräsentiert als dies in der<br />

nationalen Politik der Fall ist.<br />

97 Bei der Datenerhebung wurden detaillierte Kategorien aufgestellt, um Unterschiede bezüglich der Identifikation<br />

der Teilnehmenden feststellen zu können. Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2 im Anhang.<br />

78


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

5.2 Gesprächsanteile einzelner Akteursgruppen<br />

Für die Diskursqualität entscheidend ist nicht nur, wer als AkteurIn am Diskurs beteiligt<br />

ist, sondern auch, inwiefern eine Person überhaupt zu Wort kommt. Aus diesem Grund<br />

interessiert, wie hoch der Redeanteil für die jeweiligen Akteursgruppen ausfällt.<br />

Aufgrund der homogenen Akteursstruktur bei den Online-Foren, ist eine nähere Untersuchung<br />

nach Akteursgruppen für diese Mediengattung hinfällig. Allerdings sei an dieser<br />

Stelle auf einen wesentlichen Unterschied zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren<br />

verwiesen, dem für die Diskursqualität entscheidende Bedeutung zukommt.<br />

In den dialogischen Formaten von Radio und Fernsehen besteht durch die jeweils gegebene<br />

Sendezeit eine klare zeitliche Beschränkung der Diskussion, wodurch die Redezeit der<br />

einzelnen AkteurInnen entsprechend begrenzt ist bzw. wird. Je nach Diskussionsklima<br />

wird das Rederecht daher hart umkämpft. Demgegenüber können sich Diskussionen in<br />

Online-Foren über einen sehr langen Zeitraum erstrecken. 98 In der Regel werden die Foren<br />

geschlossen, wenn die Beteiligung stark nachlässt, d.h. wenn ein Thema aus Sicht der<br />

Teilnehmenden erschöpfend behandelt wurde <strong>oder</strong> nicht mehr von Interesse ist. Online-<br />

Foren sind, die Beteiligungsmöglichkeit betreffend, zudem egalitär ausgerichtet. Während<br />

in den klassischen Medien die Redezeit beschränkt ist, können die TeilnehmerInnen in<br />

Online-Foren beliebig viele Posts platzieren, deren Länge zumindest in den untersuchten<br />

Foren nicht beschränkt wird.<br />

Nichts desto trotz kann das „Rederecht“ auch in Online-Foren umkämpft werden. Wenngleich<br />

es nicht möglich ist, andere Teilnehmende zu unterbrechen <strong>oder</strong> an der Wortergreifung<br />

zu hindern, so können in den Online-Foren andere Ausschlussmechanismen festgestellt<br />

werden. Über die Beurteilung des Geschriebenen <strong>oder</strong> der Person können einzelne<br />

UserInnen dazu bewegt werden, sich nicht mehr weiter an der Diskussion zu beteiligen. Es<br />

könnte durchaus vorkommen, dass einzelne DiskursteilnehmerInnen solange beleidigt<br />

werden, bis sie ihr Recht auf eine Diskussionsbeteiligung aufgeben. 99<br />

Im Folgenden wird für die klassischen Medien analysiert, mit wie vielen Redebeiträgen<br />

sich die verschiedenen AkteurInnen in die Diskussion einbringen können. Dabei gilt es zu<br />

beachten, dass ein Redebeitrag auch aus wenigen Worten bestehen kann, indem etwa lediglich<br />

eine Zwischenbemerkung eingebracht <strong>oder</strong> dem Vorangegangenen widersprochen<br />

wird. Um die eigene Argumentation entwickeln zu können, muss jedoch genügend Redezeit<br />

zur Verfügung stehen. Die Redezeit wird daher ebenfalls einer näheren Betrachtung<br />

unterzogen, um festzustellen, ob der Diskurs von bestimmten Akteursgruppen dominiert<br />

wird. Um eine Vergleichbarkeit mit den klassischen Medien herstellen zu können, wird die<br />

Frage nach der Dominanz für die Online-Foren auf der personellen Ebene bestimmt, indem<br />

ermittelt wird, wie viele Personen sich wie stark am Diskurs beteiligen.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Die Dominanz einzelner Akteursgruppen kann bei den Online-Foren aufgrund mangelnder<br />

Disparität nicht bestimmt werden. Dennoch interessiert, ob bei diesem – was den Diskussionszugang<br />

angeht – grundsätzlich egalitären Medium, eine Ausgewogenheit in der Diskussionsteilnahme<br />

besteht <strong>oder</strong> ob der Diskurs von einzelnen Personen dominiert wird und<br />

inwiefern sich die Online-Foren in diesem Punkt von den klassischen Medien unterscheiden.<br />

Von einer Dominanz kann dann gesprochen werden, wenn einzelne AkteurInnen<br />

98 Vgl. Das Kapitel 4.3.2.<br />

99 Ob dies in den untersuchten Online-Foren der Fall, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Aus<br />

forschungsökonomischen Gründen wurde darauf verzichtet, den Verlauf der Diskussion einer eingehenden<br />

Analyse zu unterziehen. Respektverletzendes Verhalten, das zu einem Verzicht an der Diskussionsbeteiligung<br />

führen kann, wurde hingegen auf der quantitativen Dimension erfasst. Vgl. Kapitel 8.2.<br />

79


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

überproportional viele Posts aufschalten bzw. Redebeiträge leisten, während sich ein<br />

Grossteil der übrigen Diskursteilnehmenden in geringem Masse zu Wort meldet.<br />

Nachstehender Tabelle kann entnommen werden, wie hoch die Zahl der TeilnehmerInnen<br />

ist, die nur sehr wenige, mittelmässig <strong>oder</strong> sehr viele Posts bzw. Redebeiträge in die Diskussion<br />

einbringen.<br />

Anzahl Posts /<br />

Redebeiträge pro<br />

Person<br />

Anzahl Teilnehmende<br />

absolut<br />

(Online)<br />

Anzahl Teilnehmende<br />

prozentual<br />

(Online)<br />

Anzahl Teilnehmende<br />

absolut<br />

(Klassisch)<br />

1 361 54.5% 57 17.1%<br />

2 86 13.0% 36 10.8%<br />

3-4 88 13.3% 41 12.3%<br />

5-9 81 12.2% 75 22.5%<br />

10-29 37 5.6% 98 29.3%<br />

30-49 7 1.1% 16 4.8%<br />

50-70 1 0.2% 7 2.1%<br />

> 70 1 0.2% 4 1.2%<br />

Total 662 100.1% 334 100.1%<br />

Tabelle 9: Anzahl Posts/Redebeiträge pro DiskursteilnehmerIn nach Mediengattungen<br />

Anzahl Teilnehmende<br />

prozentual<br />

(Klassisch)<br />

Wie aus Tabelle 9 deutlich hervorgeht, beteiligen sich in den Online-Foren mehr als die<br />

Hälfte aller UserInnen mit nur einem einzigen Post an der Diskussion (54.5%). Möglicherweise<br />

verfolgen sie das Forum über eine längere Zeit, begnügen sich jedoch damit, nur<br />

einmal aktiv in die Diskussion einzugreifen, um ihre Meinung abzugeben <strong>oder</strong> eine Frage<br />

in den Raum zu stellen. Dieses Ergebnis deckt sich mit anderen Untersuchungen (Plake et<br />

al. 2001: 104f; Wenzler 2003: 58f.), in denen ein ähnliches Nutzungsverhalten konstatiert<br />

wurde, wobei dort die Zahl der singulären TeilnehmerInnen <strong>oder</strong> One-Poster mit gegen<br />

70% deutlich höher war. In den klassischen Medien ist der Wert der einmaligen Diskursteilnahme<br />

mit 17.1% wesentlich tiefer.<br />

Ein wechselseitiger Austausch kann erst ab einem Minimum von zwei Posts erfolgen.<br />

Zwar kann sich ein/e einmalige/r NutzerIn auf einen vorangegangenen Post beziehen und<br />

Replik darauf nehmen, ein <strong>Dialog</strong> erfolgt jedoch erst, wenn diese Replik wiederum kommentiert<br />

wird. In den Online-Foren wechseln 13.0% der Teilnehmenden potentiell zweimal<br />

zwischen den Rollen als HörerIn und SprecherIn. 100 In den klassischen Medien ist dieser<br />

Wert mit 10.8% etwas tiefer. Die Mehrheit der Teilnehmenden in den klassischen Medien<br />

wechselt mehrfach zwischen diesen Rollen und führt somit tatsächlich einen <strong>Dialog</strong><br />

(72.2%). In den Online-Foren sind es demgegenüber nur 32.6% der NutzerInnen. 101 Hierin<br />

besteht ein wesentlicher qualitativer Unterschied zwischen den klassischen Medien und<br />

den Online-Foren.<br />

In den Online-Foren beteiligt sich ein/e UserIn im Durchschnitt mit 3.6 Posts an der Diskussion.<br />

Gemessen an dieser Zahl können diejenigen TeilnehmerInnen, die zehn und mehr<br />

Beiträge verfassen bereits als dominant gelten, da sie sich mehr als doppelt so stark in die<br />

Diskussion einbringen als der Durchschnitt der Teilnehmenden. Dies ist bei 7.1% aller<br />

TeilnehmerInnen der Fall. Zu berücksichtigen ist, dass auch extreme Werte feststellbar<br />

sind: In einem Forum (espace.ch) verfasste ein Teilnehmer 131 Posts, was knapp 28% aller<br />

in diesem Forum verfassten Beiträge entspricht. 76.2% aller TeilnehmerInnen in diesem<br />

Forum verfassten demgegenüber nur einen einzigen Beitrag. In den klassischen Medien<br />

100 Zumindest potentiell, weil in dieser Aufstellung nicht berücksichtigt werden kann, ob sich die Teilneh-<br />

menden tatsächlich auf andere Beziehen.<br />

101 Vgl. dazu auch Kapitel 6.<br />

80


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

beteiligen sich die Teilnehmenden im Durchschnitt mit 11.7 Redebeiträgen, die Beteiligung<br />

ist somit konstanter als in den Online-Foren. Bezüglich der Dominanz einzelner Teilnehmenden<br />

lässt sich feststellen, dass insbesondere die M<strong>oder</strong>atorInnen Extremwerte mit<br />

vielen Redebeiträgen erzielen, was aufgrund ihrer Funktion nicht erstaunt. Geht man davon<br />

aus, dass eine Dominanz wiederum bei mehr als doppelt so vielen Redebeiträgen wie dem<br />

Durchschnittswert ansetzt (30 und mehr), so wird der Diskurs in den untersuchten dialogischen<br />

Radio- und Fernsehformaten von 8.1% aller Teilnehmenden dominiert. Bezüglich<br />

dieses Wertes unterscheiden sich die Online-Foren somit nur unwesentlich von den klassischen<br />

Medien.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Ergebnisse hinsichtlich der Dominanz einzelner AkteurInnen<br />

lassen zwei Folgerungen zu. Erstens findet in Online-Foren trotz ihrer offenen Struktur<br />

kein ausgewogener Meinungsaustausch statt. Einzelne TeilnehmerInnen weisen eine sehr<br />

viel höhere Präsenz auf als der Durchschnitt, wodurch die Kommunikation asymmetrisch<br />

verläuft. Bei den klassischen Medien konnte eine überproportionale Präsenz (insbesondere<br />

der M<strong>oder</strong>ation) eher erwartet werden, die Werte sind im Vergleich zu den Online-Foren<br />

jedoch ähnlich. Zweitens ist die Zahl derjenigen Teilnehmenden, die sich nur mit einem<br />

Beitrag an der Diskussion beteiligen, mit mehr als der Hälfte in den Online-Foren sehr<br />

hoch und deutlich höher als in den klassischen Medien. Hinsichtlich der Diskursqualität<br />

stellt sich somit die grundsätzliche Frage, ob bei den Online-Foren überhaupt von einer<br />

Diskussion gesprochen werden kann. Zwar ist es möglich, dass der Diskurs von wechselnden<br />

UserInnen fortgesetzt wird, bezüglich des Meinungsbildungsprozesses ist dieser Umstand<br />

aber zumindest als problematisch zu bezeichnen.<br />

Klassische Medien<br />

An dieser Stelle interessiert die Frage nach der Ausgewogenheit des Diskurses in den traditionellen<br />

elektronischen Medien hinsichtlich der unterschiedenen Akteursgruppen. Vergleicht<br />

man, wie stark einzelne Akteursgruppen in den klassischen Medien rein personell<br />

vertreten sind mit der Anzahl Redebeiträge, die die einzelnen Akteursgruppen in die Diskussion<br />

einbringen, werden einige Verschiebungen in der Verteilung deutlich.<br />

Wie bereits festgestellt wurde, sind die AkteurInnen des Zentrums (PolitikerInnen und BehördenvertreterInnen)<br />

zusammen mit den zentrumsnahen VertreterInnen von Spitzenverbänden<br />

mit insgesamt 45.2% stärker vertreten als die AkteurInnen der Peripherie (einzelne<br />

BürgerInnen) und VertreterInnen von peripherienahen Verbänden und Organisation mit<br />

30.9%. Die Schere zwischen Zentrum/zentrumsnah und Peripherie/peripherienah wird jedoch<br />

um einiges grösser, wenn man die jeweiligen Gesprächsanteile am Diskurs betrachtet:<br />

Die Anzahl Redebeiträge liegt für Erstere bei 47.6% gegenüber 9.0% für Letztere. Anders<br />

formuliert: Das Zentrum kommt gemeinsam mit den zentrumsnahen AkteurInnen fast<br />

fünfmal mehr zu Wort als die Peripherie zusammen mit den peripherienahen AkteurInnen.<br />

Diese Verschiebung erfolgt zugunsten der JournalistInnen, die mit 42.6% einen fast ebenso<br />

hohen Anteil an Redebeiträgen aufweisen wie das Zentrum. Personell sind sie jedoch nur<br />

mit 21.9% der AkteurInnen am Diskurs beteiligt. Die hohen Gesprächsanteile der JournalistInnen<br />

begründen sich dadurch, dass diese in der Mehrheit als M<strong>oder</strong>atorInnen der Diskussion<br />

fungieren (nur vier der insgesamt 73 JournalistInnen agieren als VertreterInnen der<br />

Medien und wurden in dieser Funktion in eine Sendung eingeladen). Wie noch zu zeigen<br />

ist, erfolgt der Diskursverlauf zu einem grossen Teil über die Drehscheibe „M<strong>oder</strong>ation“: 102<br />

Die Medien übernehmen die Aufgabe der Gesprächsführung, indem sie einzelne Statements<br />

an andere Teilnehmende weitergeben, Fragen stellen usw. Aufgrund dieser Funktion<br />

verzeichnen die JournalistInnen einen überproportional hohen Anteil an Redebeiträgen.<br />

102 Vgl. Kapitel 6.1.<br />

81


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Dies muss jedoch nicht zwangsläufig mit einem hohen Anteil an der Gesamtredezeit einhergehen,<br />

wie nachstehenden Diagrammen entnommen werden kann.<br />

2.1%<br />

18.0%<br />

21.9%<br />

12.9%<br />

3.3%<br />

4.2%<br />

37.7%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

Verteilung der Akteursgruppen (n = 334)<br />

42.6%<br />

0.7%<br />

3.7%<br />

5.3%<br />

6.9%<br />

2.5%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

38.2%<br />

Redebeiträge pro Akteursgruppe (n = 3941)<br />

5.0%<br />

1.2%<br />

7.8%<br />

22.2%<br />

4.6%<br />

10.0%<br />

49.2%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

Redezeit pro Akteursgruppe (n = 24:02:30)<br />

Grafik 16: Akteursgruppen, Anzahl Redebeiträge und Redezeit pro Akteursgruppe in den klassischen<br />

Medien<br />

Wie angenommen wurde, verzeichnen die JournalistInnen einen hohen Anteil an Redebeiträgen.<br />

Sie kommen oft zu Wort, benötigen allerdings dafür mit 22.2% verhältnismässig<br />

wenig Redezeit. Ganz anders bei den AkteurInnen des Zentrums: Diese sind rein personell<br />

stark vertreten und können das Rederecht stärker für sich in Anspruch nehmen als alle anderen<br />

Akteursgruppen, sowohl was die Anzahl Redebeiträge als auch die Redezeit betrifft.<br />

Mit insgesamt 63.8% beansprucht das Zentrum zusammen mit den zentrumsnahen AkteurInnen<br />

deutlich mehr als die Hälfte der gesamten Redezeit. Die peripheren und peripherienahen<br />

AkteurInnen verzeichnen demgegenüber lediglich einen Redezeitanteil von 12.8%.<br />

Dies entspricht nur knapp einem Fünftel der Zeit, die den Akteursgruppen „Zentrum“/“zentrumsnah“<br />

zur Verfügung steht. Betrachtet man die Peripherie etwas genauer<br />

fällt auf, dass die VerteterInnen der peripherienahen Organisationen und Verbände etwas<br />

mehr Redezeit in Anspruch nehmen als die AkteurInnen der Peripherie. Hört und sieht man<br />

sich einzelne Sendungen an, lässt sich dieser Unterschied qualitativ wie folgt erklären: Die<br />

AkteurInnen der Peripherie beteiligen sich an der Diskussion vielfach via Phone-In <strong>oder</strong><br />

aus dem Publikum in Debatten, wobei sie die Rolle der FragestellerInnen einnehmen und<br />

sich nach der gestellten Frage wiederum aus der Diskussion ausklinken bzw. nicht weiter<br />

daran teilnehmen können. Demgegenüber sind die peripherienahen AkteurInnen bereits<br />

nachhaltiger in die Diskussion eingebunden. Die ExpertInnen als weitere Akteursgruppe<br />

sind insgesamt schwach vertreten, verzeichnen wenige Redeanteile und beanspruchen insgesamt<br />

mit 1.2% auch kaum Redezeit. Nachstehende Grafik gibt Aufschluss darüber, wie<br />

viel Redezeit den einzelnen Akteursgruppen im Durchschnitt zur Verfügung steht.<br />

82


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

durchschnittliche Rededauer<br />

0:20:00<br />

0:18:00<br />

0:16:00<br />

0:14:00<br />

0:12:00<br />

0:10:00<br />

0:08:00<br />

0:06:00<br />

0:04:00<br />

0:02:00<br />

0:00:00<br />

13:08<br />

05:38 04:42 04:23 04:19<br />

Akteursgruppen<br />

02:37 02:33 01:12<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah JournalistInnen Mittelwert Peripherienah ExpertInnen Peripherie<br />

Grafik 17: Durchschnittliche Rededauer (in Minuten) in den klassischen Medien nach Akteursgruppen<br />

In den untersuchten Radio- und Fernsehsendungen steht den AkteurInnen im Durchschnitt<br />

4:23 Minuten Redezeit zur Verfügung. Leicht über diesem Mittelwert liegen die zentrumsnahen<br />

AkteurInnen mit 4:42 Minuten pro Person, bereits über eine Minute mehr Redezeit<br />

steht einem/r VertreterIn des Zentrums (ohne Bundesrat) zur Verfügung.<br />

Die BundesrätInnen wurden in der Analyse gesondert betrachtet, aufgrund der Annahme,<br />

dass ihnen mehr Redezeit eingeräumt wird. Diese Vermutung hat sich mehr als deutlich<br />

bestätigt, denn die Redezeit eines Bundesratsmitglieds liegt mit 13:08 Minuten dreimal<br />

über dem Mittelwert. Ist in einer Sendung ein Bundesrat / eine Bundesrätin zugegen, so<br />

gehört er/sie zu den HauptgesprächsteilnehmerInnen. Dies ist bspw. in den Fernsehsendungen<br />

„Arena“ <strong>oder</strong> „Infrarouge“ der Fall, in denen die Debatte jeweils von einem kleinen<br />

Kreis von AkteurInnen geführt wird und weitere Teilnehmende nur punktuell in die<br />

Diskussion eingreifen. In diesem Zusammenhang kann die Hypothese aufgestellt werden,<br />

dass das Rederecht der RegierungsvertreterInnen von den übrigen TeilnehmerInnen (inklusive<br />

M<strong>oder</strong>ation) weniger angetastet wird als dasjenige der anderen AkteurInnen. 103<br />

Leicht unter dem Mittelwert liegt die durchschnittliche Redezeit der M<strong>oder</strong>ation mit 4:19<br />

Minuten. Bereits deutlich darunter liegen die durchschnittlichen Redezeiten der peripherienahen<br />

AkteurInnen mit 2:37 Minuten sowie der ExpertInnen mit 2:33 Minuten pro Person.<br />

Einem/r AkteurIn aus der Peripherie steht im Schnitt nur gerade 1:12 Minuten zur Verfügung,<br />

das entspricht in etwa der Zeit, die benötigt wird, um eine knappe Frage zu stellen.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Inklusivität weder in Bezug<br />

auf die Akteursgruppen noch in Bezug auf das von ihnen beanspruchte Rederecht gegeben<br />

ist. Die AkteurInnen des Zentrums sind stark vertreten und können im Verhältnis einen<br />

hohen Anteil an Beiträgen und viel Redezeit verbuchen, während insbesondere die AkteurInnen<br />

der Peripherie personell leicht untervertreten sind, ihr Anteil an Redebeiträgen gegenüber<br />

dem Zentrum deutlich kleiner ist und sie kaum Redezeit für sich in Anspruch<br />

nehmen können.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Auf der Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter lassen sich einige Unterschiede<br />

feststellen. Mit Blick auf die Inklusivität der AkteurInnen zeigte sich bereits, dass die<br />

Streuung bei den öffentlichen Sendern ausgewogener ausfällt als bei den privaten. Der<br />

103 Die Hypothese könnte anhand der erhobenen Daten verifiziert werden, was den Rahmen der vorliegenden<br />

Arbeit jedoch sprengen würde.<br />

83


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Anteil des Zentrums inkl. Der zentrumsnahen AkteurInnen ist mit 43.9% geringfügig niedriger<br />

als bei den privaten Sendern mit 49.9%. Demgegenüber ist der Anteil der peripheren<br />

und peripherienahen AkteurInnen mit 34.5% deutlich höher als bei den privaten Sendern<br />

mit nur 18.4%. In den untersuchten Sendungen kommen bei den privaten im Gegensatz zu<br />

den öffentlichen Anbietern keine ExpertInnen zu Wort, hingegen wurden mehr MedienvertreterInnen<br />

eingeladen, die zusammen mit den M<strong>oder</strong>atorInnen einen Prozentsatz von<br />

31.6% erreichen – deutlich höher als bei den öffentlichen mit 19.0%.<br />

Die vergleichsweise schwache personelle Vertretung der Peripherie inkl. peripherienahen<br />

AkteurInnen in den Sendungen der privaten Anbieter setzt sich bei den Gesprächsanteilen<br />

wie auch bei der dafür zur Verfügung stehenden Redezeit fort. In beiden Fällen ist der Anteil<br />

mit 4.9% (Redebeiträge) und 7.4% (Redezeit) etwas weniger als halb so gross als bei<br />

den öffentlichen Sendern mit 11.2% (Redebeiträge) und 15.2% (Redezeit). In den Sendungen<br />

der öffentlichen Anbieter beanspruchen die VertreterInnen des Zentrums (ohne zentrumsnahe<br />

AkteurInnen) etwas mehr als das achtfache der Redebeiträge der peripheren AkteurInnen<br />

(ohne peripherienahe AkteurInnen). Bei den privaten Anbietern klettert dieser<br />

Wert knapp auf das dreissigfache. Betrachtet man die Werte für die Redezeit, wird die<br />

Diskrepanz noch ausgeprägter: Das Zentrum kommt bei den öffentlichen Sendern mehr als<br />

achtmal länger zu Wort als die Peripherie, bei den privaten Sendern, spricht das Zentrum<br />

über 40-mal länger.<br />

2.7%<br />

20.2%<br />

19.0%<br />

14.3%<br />

3.5%<br />

4.7%<br />

35.7%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

Akteursgruppen bei den öffentlichen Anbietern (n =<br />

258)<br />

43.1%<br />

1.1%<br />

4.7%<br />

6.5%<br />

8.4%<br />

2.9%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

33.3%<br />

Redebeiträge pro Akteursgruppe bei den öffentlichen<br />

Anbietern (n = 2574)<br />

0.0%<br />

31.6%<br />

10.5%<br />

7.9%<br />

2.6%<br />

2.6%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

Jo urnalistInnen<br />

44.7%<br />

Akteursgruppen bei den privaten Anbietern (n =<br />

76)<br />

41.6%<br />

0.0%<br />

1.8%<br />

4.1%<br />

47.5%<br />

3.1%<br />

Bundesrat<br />

Peripherienah<br />

Zentrum übrige<br />

1.9%<br />

Peripherie<br />

Zentrumsnah<br />

ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

Redebeiträge pro Akteursgruppe bei den privaten<br />

Anbietern (n = 1340)<br />

84


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

1.8%<br />

6.6%<br />

8.6%<br />

21.5%<br />

4.8%<br />

11.4%<br />

45.3%<br />

Bundesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

Peripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

Anteil Rededauer pro Akteursgruppe bei den öffentlichen<br />

Anbietern (n = 16:29:21)<br />

0.0% 23.8%<br />

1.5%<br />

5.9%<br />

4.1%<br />

6.9%<br />

57.6%<br />

B undesrat Zentrum übrige Zentrumsnah<br />

P eripherienah Peripherie ExpertInnen<br />

JournalistInnen<br />

Anteil Rededauer pro Akteursgruppe bei den privaten<br />

Anbietern (n = 7:33:02)<br />

Grafik 18: Akteursgruppen, Anzahl Redebeiträge und Rededauer pro Akteursgruppe nach Anbieter<br />

Es kann festgehalten werden, dass die öffentlichen Sendungen hinsichtlich aller untersuchten<br />

Grössen (Akteursgruppe, Redebeiträge, Redezeit) in Bezug auf die Inklusivität eine<br />

bessere Ausgewogenheit aufweisen als die privaten, wenngleich, wie oben erwähnt, in den<br />

klassischen Medien die Peripherie im Vergleich zum Zentrum insgesamt deutlich unterrepräsentiert<br />

ist.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Während die peripheren AkteurInnen im Radio personell zwar deutlich stärker vertreten<br />

sind als im Fernsehen, kommen sie doch nur geringfügig mehr zu Wort (4.1% der Redebeiträge<br />

vs. 3.4% im Fernsehen). Ihr Anteil an der gesamten Redezeit ist im Fernsehen mit<br />

5.0% gar minimal höher als im Radio mit 4.9%. Nimmt man die peripherienahen AkteurInnen<br />

hinzu, so verschieben sich die Werte zugunsten des Fernsehens: Die peripheren und<br />

peripherienahen AkteurInnen sind zusammen stärker vertreten als im Radio (33.5% vs.<br />

28.0%), beanspruchen 9.9% der Redebeiträge und 14.5% der Redezeit gegenüber 8.0% der<br />

Redebeiträge und 10.8% der Redezeit im Radio. Was die Ausgewogenheit zwischen Zentrum<br />

und Peripherie angeht, sind die Unterschiede zwischen den beiden Mediengattungen<br />

eher gering. In erster Linie zeigt sich also, dass die AkteurInnen der Peripherie sowohl im<br />

Fernsehen als auch im Radio nur selten zu Wort kommen und gleichermassen wenig Redezeit<br />

eingeräumt bekommen, auch wenn sich im Radio deutlich mehr „BürgerInnen“ am<br />

Diskurs beteiligen können.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Im Vergleich zwischen der Deutschschweiz und der Westschweiz kann in Bezug auf die<br />

Inklusivität ein Hauptunterschied festgestellt werden: In der Deutschschweiz sind die JournalistInnen<br />

mit 15.9% aller AkteurInnen weniger stark vertreten als in der Westschweiz<br />

mit 26.0%. Ein Grund dafür liegt darin, dass es in der Westschweiz insgesamt 12 Sendungen<br />

gibt, die von zwei M<strong>oder</strong>atorInnen geführt werden. Dieses Konzept ist in der Deutschschweiz<br />

nicht anzutreffen. Obwohl diese Akteursgruppe in den französischsprachigen Sendungen<br />

personell stärker vertreten ist als in der Deutschschweiz, verfügt sie nicht über einen<br />

höheren Gesprächsanteil. In beiden Sprachregionen liegt der Anteil an Redebeiträgen<br />

für die Akteursgruppe der JournalistInnen um die 40% (41.0% Deutschschweiz bzw.<br />

43.7% Romandie). Die peripheren und peripherienahen AkteurInnen sind in der Romandie<br />

etwas stärker vertreten als in der deutschsprachigen Schweiz (31.6%) bzw. 29.7%). Die<br />

VertreterInnen des Zentrums und der zentrumsnahen Organisationen nehmen in der<br />

Deutschschweiz hingegen personell ein etwas stärkeres Gewicht ein (52.2% gegenüber<br />

40.0% in der Westschweiz). In Bezug auf die Anzahl Redebeiträge dieser Akteursgruppen<br />

nähern sich die beiden Sprachregionen leicht an (51.1% zu 45.3%). Die Peripherie inkl.<br />

85


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

peripherienahe AkteurInnen können in der Westschweiz hingegen mehr Redebeiträge lancieren<br />

als in der Deutschschweiz (10.1% vs. 7.5%). Was die Redezeit betrifft, so kommen<br />

die peripheren und peripherienahen AkteurInnen in der Romandie auch länger zu Wort<br />

(15.0% der Redezeit) als in der Deutschschweiz (10.1%). VertreterInnen der Politik und<br />

Verwaltung (Zentrum) kommen in der Romandie rund zehnmal länger zu Wort als die<br />

BürgerInnen (Peripherie), in der Deutschschweiz rund 15-mal.<br />

Kurzzusammenfassung: Bezüglich des Vergleichs zwischen den Anbietern kann festgehalten<br />

werden, dass die öffentlichen Sendungen hinsichtlich aller untersuchten Grössen (Akteursgruppe,<br />

Redebeiträge, Redezeit) in Bezug auf die Inklusivität der AkteurInnen und<br />

ihrer Gesprächsbeteiligung eine bessere Ausgewogenheit aufweisen als die privaten. Allerdings<br />

gilt für beide Anbieter, dass die Peripherie im Vergleich zum Zentrum insgesamt<br />

deutlich unterrepräsentiert ist. Gleiches gilt auch für die Unterscheidung zwischen den<br />

Mediengattungen Fernsehen und Radio. Im Radio sind die peripheren AkteurInnen zwar<br />

personell stärker vertreten als im Fernsehen, sie kommen jedoch nur geringfügig öfter und<br />

gar weniger lang zu Wort als im Fernsehen. Die peripheren AkteurInnen sind zusammen<br />

mit den peripherienahen AkteurInnen in Bezug auf die untersuchten Grössen im Fernsehen<br />

etwas stärker am Diskurs beteiligt als im Radio. Ein wesentlicher Unterschied zwischen<br />

den Sprachregionen liegt im Konzept der M<strong>oder</strong>ation. In der Romandie werden etwas<br />

mehr als ein Viertel der Sendungen von zwei M<strong>oder</strong>atorInnen bestritten. Die Inklusivität<br />

auf der Achse „Zentrum – Peripherie“ weist ebenfalls Unterschiede auf: So kommt der<br />

Peripherie in den klassischen Medien der Romandie eine grössere Bedeutung zu als in der<br />

Westschweiz. Dieses Ergebnis lässt auf sprachregionale Unterschiede schliessen, zumal es<br />

sich nicht auf die in der Westschweiz dominierende Mediengattung Radio zurückführen<br />

lässt, in der die peripheren zusammen mit den peripherienahen AkteurInnen weniger Redebeiträge<br />

lancieren und weniger Redezeit zur Verfügung haben als im Fernsehen.<br />

5.3 Gesprächsanteile der AkteurInnen anhand ihrer Position zur Abstimmungsvorlage<br />

Wie eingangs erläutert, ist es für den Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung<br />

wichtig, dass alle Betroffenen am Diskurs teilhaben können, damit eine möglichst<br />

umfassende politische Information gewährleistet werden kann bzw. ein möglicher Konsens<br />

breit abgestützt wird. In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Inklusivität entlang<br />

der Achse „Zentrum – Peripherie“ untersucht, da die verschiedenen Akteursgruppen potentiell<br />

eine unterschiedliche Sichtweise auf den Sachverhalt einbringen. Bei einer Abstimmung<br />

handelt es sich aber immer auch um eine politische Entscheidungsmöglichkeit – bei<br />

den Vorlagen zum Abkommen zu Schengen und Dublin bzw. zum Abkommen über die<br />

Ausdehnung der Personenfreizügigkeit handelt es sich um die Entscheidung, ob die entsprechenden<br />

bilateralen Verträge mit der EU von der Schweiz unterzeichnet werden sollten<br />

<strong>oder</strong> nicht. Für die StimmbürgerInnen bestehen bei einer Abstimmung die Möglichkeiten<br />

Ja zu stimmen, Nein zu stimmen, sich der Stimme zu enthalten <strong>oder</strong> nicht abzustimmen.<br />

Dementsprechend treten die AkteurInnen in den untersuchten dialogischen Formaten entweder<br />

als BefürworterInnen bzw. GegnerInnen der Vorlage auf <strong>oder</strong> sie sind keiner dieser<br />

Positionen zuordenbar, weil sie sich noch nicht entschieden haben <strong>oder</strong> ihre politische Entscheidung<br />

nicht bekannt geben möchten. Die Medien haben die Aufgabe, die verschiedenen<br />

Positionen ausgeglichen darzustellen.<br />

Klassische Medien und Online Foren<br />

Über das gesamte Untersuchungsmaterial hinweg sind die BefürworterInnen mit 36.0%,<br />

die GegnerInnen mit 31.2% und jene AkteurInnen, deren Einstellung zur Vorlage nicht<br />

86


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

erkennbar ist (M<strong>oder</strong>atorInnen nicht mitgerechnet) 104 mit 32.8% ähnlich stark vertreten.<br />

Von besonderem Interesse ist jedoch, ob die Online-Foren eine andere Verteilung aufweisen<br />

als die klassischen Medien. Während das Prinzip des objektiven Journalismus in den<br />

Mediengattungen Radio und Fernsehen eine ausgewogene Präsenz von BefürworterInnen<br />

und GegnerInnen erwarten lässt, lassen sich diesbezüglich für die Online-Foren keine<br />

Hypothesen aufstellen, zumal über die Beweggründe der NutzerInnen von Online-Foren zu<br />

politischen Themen keine a priori Aussagen gemacht werden können. Denkbar ist einerseits,<br />

dass die UserInnen vornehmlich Informationen beziehen möchten. Als AkteurInnen<br />

können sie jedoch auch eine persuasive Intention verfolgen, indem sie versuchen, andere<br />

davon zu überzeugen gleich abzustimmen wie sie selbst. Des Weiteren kann die Plattform<br />

dazu genutzt werden, um wahrgenommene Defizite in der politischen und/<strong>oder</strong> medialen<br />

Diskussion zu kompensieren (s.u.). 105 Die Unterschiede hinsichtlich der personellen Stärke<br />

nach Einstellung zu den Abstimmungsvorlagen zwischen Online-Foren und den klassischen<br />

Medien können nachstehender Grafik entnommen werden:<br />

41.9%<br />

2.3% 7.5%<br />

BefürworterInnen GegnerInnen<br />

48.3%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

AkteurInnen nach Einstellung in den klassischen<br />

Medien (n = 265)<br />

47.6%<br />

0.6%<br />

4.0%<br />

B efürworterInnen GegnerInnen<br />

47.8%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

Redebeiträge nach Einstellung der AkteurInnen in<br />

den klassisch Medien(n = 2278)<br />

41.1%<br />

0.9%<br />

26.9%<br />

B efürworterInnen GegnerInnen<br />

31.1%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

AkteurInnen nach Einstellung in den Online-Foren<br />

(n = 662)<br />

0.4%<br />

27.9%<br />

29.0%<br />

B efürworterInnen GegnerInnen<br />

42.7%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

Posts nach Einstellung der AkteurInnen Online (n<br />

= 2375)<br />

Grafik 19: AkteurInnen nach Einstellung, Anzahl Redebeiträge/Posts nach Position in den Mediengattungen<br />

(nur Teilnehmende)<br />

Die BefürworterInnen sind sowohl in den klassischen Medien als auch in den Online-Foren<br />

personell leicht stärker vertreten als die GegnerInnen der Vorlagen. Auffallend ist, dass<br />

diejenigen Diskursteilnehmenden, deren Abstimmungsabsicht nicht bekannt ist, weniger zu<br />

104<br />

Die M<strong>oder</strong>atorInnen wurden hinsichtlich dieses Aspekts von der Analyse ausgeschlossen, da sie nicht ihre<br />

eigene Meinung vertreten.<br />

105<br />

Wenzler (2003: 99) weist in seiner Untersuchung zur Nutzung von Online-Foren in Bezug auf die UNO-<br />

Abstimmung auf die Ventilfunktion hin, die diese einnehmen können. Die Untersuchung zeigt, dass die Beitritts-GegnerInnen,<br />

die in den Medien unterrepräsentiert waren, in den Foren stärker vertreten waren als die<br />

BefürworterInnen.<br />

87


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Wort kommen, als die positionierten AkteurInnen. Besonders deutlich ist dies bei den Online-Foren<br />

der Fall, denn obschon 42.0% der UserInnen nicht positioniert sind, beläuft sich<br />

ihr Anteil an allen Redebeiträgen auf lediglich 28.3%. Dies lässt den Rückschluss zu, dass<br />

sowohl in den traditionellen wie auch in den neuen elektronischen Medien v.a. eine Pro-<br />

Contra-Debatte geführt wird. Allerdings ist der Anteil der Diskussion, die zwischen Teilnehmenden<br />

stattfindet, deren Abstimmungsabsicht nicht bekannt ist, in den Online-Foren<br />

deutlich grösser als in den klassischen Medien mit 3.9%. Bezüglich der Diskursqualität<br />

besteht ein grosses Potential der Online-Foren darin, dass eine Diskussion geführt werden<br />

kann, die sich nicht primär an bereits gefassten Positionen orientiert, da eine Positionierung<br />

der Teilnehmenden – im Sinne bspw. einer parteipolitischen Ausrichtung – im Gegensatz<br />

zu AkteurInnen in den klassischen Medien eine geringere Bedeutung einnimmt. Die Auseinandersetzung<br />

über bestimmte Argumente ist daher potentiell eher auf Inhalte und weniger<br />

auf Positionen ausgerichtet. 106<br />

Klassische Medien<br />

Bei den klassischen Medien fällt auf, dass ein Grossteil der AkteurInnen positioniert ist.<br />

Nur 9.8% der Teilnehmenden lassen sich nicht im Pro-Contra-Schema verorten. Dies lässt<br />

erwarten, dass der Diskurs in den klassischen Medien eher konfrontativ ausgerichtet ist, da<br />

sich politisch opponierende Kräfte tendenziell eher kritisieren, als neutrale. Diese Hypothese<br />

gilt es allerdings zu testen. 107 Ebenso kann die Hypothese aufgestellt werden, dass die<br />

Gäste in den politischen Debatten im Radio und Fernsehen eher nach dem Pro-Contra-<br />

Schema ausgewählt werden, um damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass eine „angeregte“<br />

Diskussion entsteht. Diese Hypothese müsste anhand einer qualitativen Untersuchung<br />

verifiziert werden, was aus forschungsökonomischen Gründen an dieser Stelle nicht<br />

geleistet werden kann. Mit 48.3% sind die BefürworterInnen in den klassischen Medien<br />

etwas stärker vertreten als die GegnerInnen mit 41.9%.<br />

Dieses leichte Übergewicht zugunsten der BefürworterInnen lässt sich nicht unmittelbar<br />

erklären. Eine erste Vermutung legte nahe, dass die bundesrätliche Einstellung zur Vorlage<br />

eine Rolle spielen könnte. Die Mitglieder des Bundesrats vertreten die vom gesamten Bundesrat<br />

gefasste Position zu einer Vorlage und werden als VertreterInnen der Regierung in<br />

einigen Sendungen regelmässig als DiskussionspartnerInnen eingeladen. Wie festgestellt<br />

werden konnte, stehen einem/r BundesrätIn mehr Redebeiträge und mehr Redezeit zur<br />

Verfügung als einem/r anderen AkteurIn. Betrachtet man indes jene Sendungen und Teilsequenzen,<br />

in denen ausschliesslich eine Position zu Wort kommt, fällt etwas anderes auf:<br />

Es gibt deutlich mehr Sendungen, in denen ausschliesslich BefürworterInnen zu Wort<br />

kommen als GegnerInnen, nämlich in zehn gegenüber vier Sendungen. Dabei ist augenfällig,<br />

dass es sich bei den TeilnehmerInnen, die eine positive Einstellung zur Vorlage aufweisen,<br />

vornehmlich um zentrums- <strong>oder</strong> peripherienahe AkteurInnen handelt. Nur in 3<br />

Fällen ist hier das Zentrum vertreten. In den Sendungen in denen nur GegnerInnen vertreten<br />

sind, gehören diese ausschliesslich dem Zentrum an. Eine mögliche Erklärung für das<br />

Übergewicht der BefürworterInnen liegt darin, dass die Spitzenverbände der Wirtschaft<br />

wie auch die Gewerkschaften, die in den genannten Fällen stark vertreten sind, die Vorlage<br />

befürworteten. Dies zeigt, dass eine höhere Inklusivität in Bezug auf die Akteursgruppen<br />

unter Umständen ein Ungleichgewicht bei der Inklusivität der Positionen generieren<br />

kann. 108<br />

106 Vgl. Kapitel 7.<br />

107 Vgl. Kapitel 7.1.<br />

108 Um dies abschliessend zu verifizieren wäre freilich eine eingehendere Untersuchung des Datenmaterials<br />

notwendig, in der v.a. auch die Verteilung der unterschiedlichen Positionen innerhalb einzelner Sendungen<br />

berücksichtigt werden müsste.<br />

88


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Ein weiteres Ergebnis ist, dass die BefürworterInnen prozentual gesehen etwas mehr Redebeiträge<br />

zu verzeichnen haben und mehr Redezeit beanspruchen als die GegnerInnen.<br />

Hier kommt nun zum Tragen, dass der Bundesrat für beide Vorlagen die Ja-Parole gefasst<br />

hat und dass seine VertreterInnen im Durchschnitt deutlich mehr Redebeiträge in die Diskussion<br />

einbringen und mehr Redezeit zur Verfügung gestellt bekommen als die übrigen<br />

AkteurInnen. Während der einem/r AkteurIn im Durchschnitt rund 12 Redebeiträge zugestanden<br />

werden, können die BundesrätInnen beinahe 25 Redebeiträge lancieren. Der Mittelwert<br />

der Redezeit pro Person steht wie erwähnt bei etwas mehr als vier Minunten, die<br />

BundesrätInnen beanspruchen demgegenüber mehr als 13 Minuten.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Zwischen den verschiedenen Anbietern lassen sich bezüglich der Ausgewogenheit der Positionen<br />

kleinere Unterschiede feststellen: Sowohl in den öffentlichen als auch in den privaten<br />

Fernseh- und Radiosendungen sind die BefürworterInnen personell leicht stärker<br />

vertreten als die GegnerInnen. Bei den öffentlichen Sendern ist das Verhältnis mit 47.1%<br />

zu 41.9% jedoch ausgewogener als bei den privaten, bei denen 52.7% BefürworterInnen<br />

41.8% GegnerInnen gegenüberstehen. In den Sendungen der öffentlichen Anbieter wird<br />

das personelle Ungleichgewicht weitgehend über die Redeanteile ausgeglichen. Zwar steht<br />

den BefürworterInnen insgesamt mit 53.1% mehr Redezeit zur Verfügung als den GegnerInnen<br />

mit 42.8%, beide Positionen können indes nahezu gleich viele Redebeiträge platzieren<br />

(47.8% vs. 47.6%). Dieses Ergebnis spricht auf den ersten Blick für die Medienleistung<br />

der öffentlichen Stationen, da die M<strong>oder</strong>ation insbesondere Einfluss auf die Wortmeldungen<br />

nehmen kann. Um diesbezüglich gezielte Aussagen machen zu können, müsste die<br />

Analyse allerdings auf der Ebene einzelner Sendungen ansetzen. In den Sendungen der<br />

privaten Anbieter wird eine Ausgewogenheit über die Anzahl gewährter Redebeiträge<br />

nicht ganz erreicht. Die BefürworterInnen können sich mit 55.7% etwas stärker in den<br />

Diskurs einbringen als die GegnerInnen mit 41.7%. Zudem können sie mit 58.1% auch<br />

deutlich mehr Redezeit beanspruchen als die GegnerInnen mit 40.1%. Da die Regierung in<br />

den Sendungen der privaten Anbieter personell weniger stark vertreten ist als bei den öffentlichen,<br />

kann dieses Ergebnis nicht über diese gesonderte Akteursgruppe erklärt werden.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Die Ergebnisse für den Vergleich zwischen den Mediengattungen Radio und Fernsehen<br />

präsentieren sich wie folgt: In beiden Mediengattungen sind die BefürworterInnen personell<br />

etwas stärker am <strong>Dialog</strong> beteiligt, im Radio mit 44.4% gegenüber 38.5% GegnerInnen,<br />

im Fernsehen mit 51.4% bzw. 44.5%. Im Radio ist das Verhältnis leicht ausgewogener.<br />

Gleiches gilt bei den jeweiligen Redeanteilen, im Radio beanspruchen die BefürworterInnen<br />

3.4% mehr Redebeiträge als die GegnerInnen, im Fernsehen sind es demgegenüber<br />

6.4% mehr. Bezüglich der Verteilung der Redezeit lassen sich kaum Unterschiede feststellen:<br />

In beiden Mediengattungen werden die BefürworterInnen bevorzugt, im Radio um<br />

12.2% und im Fernsehen um 13.0%.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen den beiden Sprachregionen lassen sich keine<br />

Besonderheiten feststellen, die Verteilung ist nahezu identisch, in beiden Sprachregionen<br />

sind die BefürworterInnen etwas stärker vertreten (Deutschschweiz: BefürworterInnen<br />

48.7%, GegnerInnen 43.7%, in der Romandie: 48.0% und 40.4%).<br />

Kurzzusammenfassung: In den klassischen Medien ist die überwiegende Mehrheit aller<br />

Teilnehmenden positioniert. Dabei sind die BefürworterInnen in den Sendungen etwas<br />

stärker vertreten als die GegnerInnen der Vorlagen. Eine mögliche Erklärung dafür liefern<br />

die VertreterInnen von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Deren Präsenz sorgt<br />

mit Blick auf die Inklusivität der AkteurInnen für eine grössere Ausgewogenheit, genannte<br />

89


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Organisationen hatten jedoch für die Abstimmung die Ja-Parole gefasst, was sich auf die<br />

Ausgewogenheit der berücksichtigten Positionen auswirkt. Auf Ebene der Gesprächsanteile<br />

wirkt sich zusätzlich das privilegierte Rederecht der BundesrätInnen aus, die ebenfalls<br />

die befürwortende Position vertraten. Die öffentlichen Anbieter stellen bezüglich der Teilnehmerstruktur<br />

nach Einstellung zur Abstimmungsvorlage eine grössere Ausgewogenheit<br />

her als die privaten Anbieter, wenngleich auch hier die BefürworterInnen überwiegen. Zudem<br />

erreichen sie trotz des personellen Ungleichgewichts auf der Ebene der Redebeiträge<br />

ein Gleichgewicht zwischen den BefürworterInnen und den GegnerInnen, wenngleich die<br />

Redezeit nicht für beide Positionen ausgeglichen ist. Den privaten Anbietern gelingt dies<br />

nicht gleichermassen. Im Vergleich zwischen den Mediengattung Radio und Fernsehen ist<br />

die Verteilung im Radio insgesamt etwas ausgeglichener. Um abschliessende Aussagen<br />

über die Medienleistung machen zu können, müssten jedoch einzelne Sendungen und/<strong>oder</strong><br />

Sender analysiert werden.<br />

Online-Foren<br />

Wie der Aufstellung in Grafik 19 entnommen werden kann, sind die Pro- und Contra-<br />

Positionen in den Online-Foren im Gegensatz zu den klassischen Medien nicht dominierend.<br />

Mit 41.1% machen die AkteurInnen, deren Abstimmungsentscheidung nicht ersichtlich<br />

ist, den grössten Teil aus, gefolgt von den BefürworterInnen mit 31.1% und den GegnerInnen<br />

mit 26.9%. Die opponierenden Positionen sind somit ziemlich ausgeglichen vertreten,<br />

zumal Online-Foren nicht m<strong>oder</strong>iert werden und die Beteilung somit einzig über die<br />

Teilnehmenden selber bestimmt wird. Aufgrund dieses Ergebnisses können verschiedene<br />

Annahmen getroffen werden. Ein möglicher Grund besteht darin, dass die NutzerInnen von<br />

Online-Foren nicht in erster Linie darauf bedacht sind, persönliche Abstimmungsabsichten<br />

zu diskutieren <strong>oder</strong> Abstimmungsempfehlungen abzugeben, sondern sich primär über einen<br />

bestimmten Sachverhalt austauschen. Diese Hypothese kann empirisch gestützt werden.<br />

Anzahl Posts mit Abstimmungsempfehlung<br />

Absolut Prozentual<br />

keine Empfehlung 2104 88.6%<br />

stimm' ja 173 7.3%<br />

stimm' nein 98 4.1%<br />

Total 2375 100.0%<br />

Tabelle 10: Anzahl Posts mit Abstimmungsempfehlung<br />

Nur in 11.4% aller untersuchten Posts wird überhaupt eine Abstimmungsempfehlung abgegeben,<br />

d.h. mit der Teilnahme an der Diskussion wird eine persuasive Intention verfolgt.<br />

Ein weiterer Grund für den hohen Anteil an Personen, deren Position zur Abstimmung<br />

nicht bekannt ist, besteht darin, dass sich in manchen Online-Foren eine beträchtliche Anzahl<br />

Personen am Diskurs beteiligt, ohne jedoch das eigentliche Thema zu diskutieren – in<br />

all diesen Beiträgen kann dementsprechend keine Positionierung ausgemacht werden. Dies<br />

kommt insbesondere bei den Foren von Google zum Ausdruck, in denen die nicht positionierten<br />

Teilnehmenden 60.3% ausmachen (gegenüber nur 29.6% in den übrigen Foren).<br />

Die hohe Zahl korreliert mit der Zahl der themenfremden Diskursanteile, die für die<br />

google.groups deutlich höher liegt als bei den Foren der Medienverlagshäuser. 109<br />

Wie bereits erwähnt, können Online-Foren eine Ventil-Funktion einnehmen, indem dort<br />

Personen ihre Meinung austauschen, die in der politischen bzw. massenmedialen Öffentlichkeit<br />

(vermeintlich) weniger Beachtung finden. Die GegnerInnen der beiden Vorlagen<br />

109 Vgl. Kapitel 7.1.<br />

90


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

sind in den untersuchten Sendungen der klassischen Medien zwar leicht unterrepräsentiert,<br />

haben aber durchaus die Möglichkeit sich in den Diskurs einzubringen. In den analysierten<br />

Online-Foren ist denn auch kein Ventil-Effekt erkennbar – im Gegenteil, die BefürworterInnen<br />

sind auch hier leicht im Vorteil. 110 Einzige Ausnahme bilden diesbezüglich die Online-Foren<br />

der Westschweiz.<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Die sprachregionalen Unterschiede bei den Online-Foren können, bezogen auf die Einstellung<br />

zu den Abstimmungsvorlagen, folgender Grafik entnommen werden:<br />

43.8%<br />

1.1%<br />

24.3%<br />

BefürworterInnen GegnerInnen<br />

30.8%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

AkteurInnen nach Einstellung in der Deutschschweiz<br />

(n = 571)<br />

30.9%<br />

0.5%<br />

25.2%<br />

Befürwo rterInnen GegnerInnen<br />

43.4%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

Posts nach Einstellung in der Deutschschweiz<br />

(n = 2050)<br />

0.0%<br />

24.2%<br />

42.9%<br />

BefürworterInnen GegnerInnen<br />

33.0%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

AkteurInnen nach Einstellung in der Westschweiz<br />

(n = 91)<br />

52.9%<br />

0.0% 8.6%<br />

B efürwo rterInnen GegnerInnen<br />

38.5%<br />

Einstellung ambivalent Einstellung nicht ersichtlich<br />

Posts nach Einstellung in der Westschweiz<br />

(n = 325)<br />

Grafik 20: AkteurInnen nach Einstellung und Posts nach Position in den Sprachregionen<br />

Die prozentualen Verteilungen verdeutlichen, dass in der Westschweiz wesentlich mehr<br />

Diskursteilnehmende positioniert sind als in der Deutschschweiz. Dies kann durch die hohe<br />

Anzahl nicht positionierter DiskursteilnehmerInnen bei den google.groups erklärt werden,<br />

die auf die Ergebnisse der Westschweiz keinen Einfluss nehmen. Die GegnerInnen sind in<br />

den französischsprachigen Foren mit 42.9% gegenüber 33.0% BefürworterInnen stärker<br />

vertreten. Zudem engagieren sich die GegnerInnen mit mehr als der Hälfte aller Posts stärker<br />

in der Diskussion. In der Deutschschweiz sind hingegen die BefürworterInnen stärker<br />

vertreten (30.8% bzw. 24.3% GegnerInnen) und beteiligen sich auch deutlich stärker an<br />

der Diskussion als die GegnerInnen (43.4% bzw. 25.2%). In Bezug auf die Leistung der<br />

klassischen Medien in der Westschweiz kann die Ventil-Funktion als Erklärung nur bedingt<br />

herangezogen werden: Zwar besteht in den untersuchten dialogischen Radio- und<br />

Fernsehformaten ein leichtes Ungleichgewicht zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen<br />

(der Unterschied beträgt 7.4%), in der Deutschschweiz ist dies jedoch ebenfalls der<br />

110 Bei den google.groups um 6.9% bei allen Foren der Medienverlagshäuser zusammen um 2.6%.<br />

91


Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Fall (um 5.0%), die GegnerInnen sind zudem nur um 3.3% stärker vertreten als in der Romandie.<br />

111 Wieso die Online-Foren der Westschweiz diesbezüglich kompensierend wirken,<br />

während in den Foren der Deutschschweiz die BefürworterInnen, wie in den klassischen<br />

Medien dominieren, kann nicht unmittelbar erklärt werden. Es kann allerdings vermutet<br />

werden, dass die vorherrschende öffentliche Meinung einen Einfluss hatte: Beide Abstimmungen<br />

wurden von den Westschweizer Kantonen angenommen, mit Ausnahme des Kantons<br />

Wallis, deutlich höher als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. 112<br />

111 Nicht im Untersuchungsmaterial integriert sind allerdings die Leistungen der Printmedien sowie Nachrichtensendungen<br />

in Fernsehen und Radio. Möglicherweise hätte sich hier ein anderes Bild geboten.<br />

112 Berücksichtigt wurden die Abstimmungsergebnisse in den Kantonen, Freiburg, Waadt, Wallis, Neuenburg,<br />

Genf, Jura. Die Daten stammen für die Abstimmung zu Schengen/Dublin von Engeli, Tresch (2005)<br />

und für die Abstimmung über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit aus NZZ, 26.09.2005.<br />

92


Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

5.4 Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

In diesem Teil der Untersuchung wurde analysiert, ob sich in Bezug auf die Inklusivität der<br />

AkteurInnen Unterschiede zwischen den verschiedenen Mediengattungen, -anbietern und<br />

Sprachregionen feststellen lassen. Zu diesem Zweck wurde erhoben, wie stark die verschiedenen<br />

Akteursgruppen rein personell in den jeweiligen Sendungen und Online-Foren<br />

vertreten sind und wie oft und wie lange sie sich in den Diskurs einbringen können. Ein<br />

besonderes Augenmerk galt dabei der Frage, ob entlang der Achse „Zentrum – Peripherie“<br />

ein egalitärer Zugang zum Diskurs gewährleistet ist <strong>oder</strong> die Diskussion von einzelnen<br />

Akteursgruppen dominiert wird. Um festzustellen, inwiefern differierende Argumente potentiell<br />

Eingang in die Diskussion finden, wurde zudem das Verhältnis zwischen TeilnehmerInnen<br />

mit unterschiedlichen Positionen zur jeweiligen Abstimmungsvorlage analysiert.<br />

Ausgehend von den erkenntnisleitenden Hypothesen richtet sich der Fokus insbesondere<br />

auf den Vergleich zwischen den öffentlichen und den privaten Anbietern. Es konnten indes<br />

auch Erkenntnisse bezüglich der unterschiedlichen Diskursqualität in den klassischen Medien<br />

und den Online-Foren sowie sprachregionale Besonderheiten festgestellt werden, die<br />

im Folgenden zusammenfassend vorgestellt werden.<br />

Der Vergleich zwischen Radio und Fernsehen sowie den Online-Foren verweist auf wesentliche<br />

Unterschiede zwischen den klassischen und den neuen elektronischen Medien.<br />

Zieht man ausschliesslich das Kriterium der Inklusivität anhand der vorkommenden AkteurInnen<br />

heran, so weisen die klassischen Medien in diesem Punkt eine höhere Diskursqualität<br />

auf als die Online-Foren, denn die Teilnehmenden gehören unterschiedlichen Akteursgruppen<br />

an, die in Bezug auf die Abstimmung potentiell unterschiedliche Argumentationslinien<br />

verfolgen. So sind hier neben den Medien selber Personen aus der Politik, von Spitzenverbänden<br />

der Wirtschaft und der ArbeitnehmerInnen, von einzelnen Interessengruppen<br />

sowie vereinzelt ExpertInnen am Diskurs beteiligt. Einzelne Bürgerinnen und Bürger bringen<br />

sich in den dialogischen Radio- und Fernsehformaten ebenfalls ein, sind aber mit<br />

knapp einem Fünftel aller am <strong>Dialog</strong> beteiligten Personen relativ schwach vertreten. Entlang<br />

der Achse „Zentrum – Peripherie“ sind die AkteurInnen des Zentrums in den klassischen<br />

Medien doppelt so stark vertreten wie die peripheren AkteurInnen. Ein ganz anderes<br />

Bild zeichnet sich dagegen bei den Online-Foren. Hier wird der Diskurs von den zivilgesellschaftlichen<br />

AkteurInnen dominiert. Lediglich wenige Ausnahmen gehören einer anderen<br />

Akteursgruppe an. Die peripheren AkteurInnen, die den politischen Prozess mehrheitlich<br />

als stimmberechtigte Bevölkerung herstellen, sind für den Diskurs in den Online-Foren<br />

also bestimmend, allerdings findet hier kein Meinungsaustausch mit anderen, am politischen<br />

Prozess massgeblich beteiligten Personen statt. Vielmehr stellen die Online-Foren<br />

eine Plattform der politischen Meinungs- und Willensbildung dar, die den medialen Diskurs<br />

komplementieren und bezüglich der Beteiligung der Peripherie kompensatorisch wirken.<br />

Gleichwohl handelt es sich auch hier um eine Teilöffentlichkeit, die auf einen Kreis<br />

interessierter NutzerInnen beschränkt bleibt. Insgesamt tauschen sich absolut gesehen in<br />

den Online-Foren zwar deutlich mehr Personen aus als in den klassischen Medien, um wen<br />

es sich dabei handelt bleibt jedoch weitgehend verborgen. Ein mögliches Identifikationsmerkmal<br />

bildet das Geschlecht der UserInnen, das etwas mehr als der Hälfte aller Teilnehmenden<br />

zugeordnet werden konnte. Anhand dieser Kategorie konnte exemplarisch gezeigt<br />

werden, dass die Online-Foren keinesfalls gesamtgesellschaftliche Repräsentanz für<br />

sich beanspruchen können. So ist der weibliche Teil der Bevölkerung in den untersuchten<br />

Plattformen mehr als deutlich unterrepräsentiert. Die klassischen Medien, deren Akteursstruktur<br />

einen hohen Anteil an PolitikerInnen aufweist, vermögen die realen Verhältnisse<br />

eher zu widerspiegeln. Zwar sind Frauen – gemessen beispielsweise an der Verteilung im<br />

93


Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Nationalrat – auch hier unterrepräsentiert jedoch deutlich stärker vertreten als in den Online-Foren.<br />

Die personelle Präsenz verschiedener AkteurInnen bedeutet jedoch nicht, dass sich alle<br />

Akteursgruppen gleichermassen am politischen Meinungsaustausch beteiligen können. In<br />

den klassischen Medien wird die Schere zwischen Zentrum und Peripherie deutlich ausgeprägter,<br />

wenn man die Anteile der lancierten Redebeiträge zwischen den beiden Polen vergleicht.<br />

Das Zentrum kommt zusammen mit den zentrumsnahen AkteurInnen fast fünfmal<br />

mehr zu Wort als die Peripherie zusammen mit den peripherienahen AkteurInnen. Ähnlich<br />

sieht die Verteilung der Redezeit aus, auch hier dominieren die AkteurInnen in Richtung<br />

Zentrum, wobei die VertreterInnen des Bundesrates überproportional viel Redezeit für sich<br />

in Anspruch nehmen können, gut dreimal mehr als der Durchschnitt aller AkteurInnen.<br />

Den meisten BürgerInnen steht hingegen in etwa die Zeit zur Verfügung, die reicht, um<br />

eine knappe Frage zu stellen. Die klassischen Medien sind demnach in Bezug auf den Zugang<br />

zum Diskurs keineswegs egalitär. Aufgrund der homogenen Akteursstruktur ist eine<br />

analoge Unterscheidung für die Online-Foren hinfällig. Eine Vergleichbarkeit zu den klassischen<br />

Medien konnte jedoch hergestellt werden, indem untersucht wurde, ob und in welchem<br />

Masse einzelne Personen den Diskurs dominieren, indem sie überproportional viele<br />

Gesprächsanteile aufweisen.<br />

Bei den klassischen Medien konnte eine überproportionale Präsenz einzelner Personen<br />

erwartet werden, insbesondere der M<strong>oder</strong>ation. Wie sich am Beispiel der BundesrätInnen<br />

zeigt, hat sich diese Annahme auch für diese gesonderte Akteursgruppe bestätigt. Die Online-Foren<br />

zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass die Teilnehmenden selber bestimmen,<br />

wie intensiv sie sich an der Diskussion beteiligen. Trotz der offenen Struktur findet auch in<br />

den Online-Foren kein ausgewogener Meinungsaustausch statt. Einzelne Personen weisen<br />

eine deutlich höhere Präsenz auf als der Durchschnitt, wodurch die Kommunikation teilweise<br />

asymmetrisch verläuft. Im direkten intermediären Vergleich ist die Dominanz einzelner<br />

DiskussionsteilnehmerInnen in den klassischen Medien und den Online-Foren ähnlich<br />

ausgeprägt. Den dominierenden GesprächsträgerInnen stehen jene Personen gegenüber,<br />

die sich kaum am Meinungsaustausch beteiligen (können) – wie die peripheren AkteurInnen<br />

in den klassischen Medien. Hinsichtlich der Diskursqualität tritt hier allerdings<br />

ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren<br />

zu Tage: Die Zahl derjenigen TeilnehmerInnen, die sich nur mit einem Beitrag an der Diskussion<br />

beteiligen, ist mit mehr als der Hälfte aller Teilnehmenden in den Online-Foren<br />

sehr hoch und deutlich höher als in den klassischen Medien. Somit stellt sich die grundsätzliche<br />

Frage, ob bei den Online-Foren überhaupt von einer Diskussion gesprochen werden<br />

kann. Zwar ist es möglich, dass ein bereits vorgebrachtes Argument von verschiedenen<br />

UserInnen fortgeführt, verteidigt <strong>oder</strong> kritisiert wird. Mit Blick auf den politischen Meinungsbildungsprozesses<br />

ist dieser Umstand aber als problematisch zu bezeichnen, da die<br />

Diskussion wenig Kontinuität aufweist. Eine detailliertere Analyse könnte bezüglich der<br />

personellen Struktur in den Online-Foren weitere Ergebnisse zu Tage fördern. So wäre es<br />

beispielsweise interessant, die Teilnehmenden anhand ihres Nutzungsverhaltens zu charakterisieren.<br />

Dabei stellte sich die Frage, in wie vielen verschiedenen Foren sich die UserInnen<br />

beteiligen und welche Themen dabei im Vordergrund stehen. Weiter könnten die Teilnehmenden<br />

danach unterschieden werden, ob sie sich zur eigentlichen Thematik äussern<br />

<strong>oder</strong> das Forum vielmehr für den genuin persönlichen Austausch mit Anderen nutzen. Bezüglich<br />

der Kontinuität des Diskurses liesse die Frage, ob sich diejenigen NutzerInnen, die<br />

mehrere Beiträge verfassen, dies nur zu einem spezifischen Aspekt <strong>oder</strong> zu verschiedenen<br />

Argumentationslinien tun, weitere Rückschlüsse über die Diskursstruktur zu.<br />

Wie bereits betont wurde, liegt das Potential der Online-Foren hinsichtlich der politischen<br />

Meinungsbildung darin, dass sie kompensatorisch zum übrigen medialen Diskurs wirken<br />

können. Aufgrund des gewählten Untersuchungsgegenstandes stellte sich die Frage, ob<br />

94


Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

sich die BefürworterInnen und GegnerInnen der jeweiligen Abstimmungsvorlagen gleichermassen<br />

in den Diskurs einbringen können und wie stark die Beteiligung von Personen<br />

ist, deren Abstimmungsabsicht im Verborgenen bleibt. Dies mit Blick auf die Frage, ob die<br />

Online-Foren eine Ventil-Funktion einnehmen, indem sich allenfalls jene Position stärker<br />

zu Wort meldet, die in den klassischen Medien unterrepräsentiert ist. Wiederum konnten<br />

einige unterschiedliche Merkmale zwischen den Mediengattungen festgestellt werden.<br />

In den klassischen Medien sind die BefürworterInnen personell leicht stärker vertreten als<br />

die GegnerInnen und können auch etwas mehr Redeanteile für sich beanspruchen. Was die<br />

Anzahl der Redebeiträge betrifft, dürfte das – im Vergleich zu anderen AkteurInnen – weniger<br />

angetastete Rederecht der BundesrätInnen einen Einfluss haben. Ein möglicher<br />

Grund für das personelle Übergewicht liegt indes darin, dass wesentliche zentrums- und<br />

peripherienahe Verbände zur Abstimmung über das Schengen/Dublin-Dossier wie auch<br />

zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten die Ja-Parole gefasst<br />

hatten. Mit Blick auf die Inklusivität der AkteurInnen ist es als positiv zu werten, dass genannte<br />

Organisationen in den dialogischen Formaten vertreten sind. Das Ergebnis zeigt<br />

jedoch, dass eine höhere Inklusivität in Bezug auf die Akteursgruppen unter Umständen<br />

ein Ungleichgewicht bei der Inklusivität der Positionen generieren kann. Die Online-Foren<br />

dienen in Bezug auf die untersuchten Abstimmungen nicht als kompensatorische Plattform,<br />

insgesamt waren die BefürworterInnen auch hier leicht überrepräsentiert.<br />

In den klassischen Medien ist die grosse Mehrheit der Teilnehmenden als BefürworterIn<br />

<strong>oder</strong> GegnerIn der Vorlage positioniert – die Einstellung zur Abstimmung ist dem Publikum<br />

meist bereits aufgrund von vorgängig publizierten Abstimmungsparolen bekannt. In<br />

den Online-Foren hingegen beteiligt sich eine Vielzahl Personen, deren Abstimmungsabsicht<br />

während der Diskussion verborgen bleibt. Der Austausch erfolgt jedoch in allen Mediengattungen<br />

vornehmlich zwischen den positionierten TeilnehmerInnen, d.h. sowohl in<br />

den klassischen Medien als auch in den Online-Foren ist die Pro-Contra-Diskussion vorherrschend.<br />

Allerdings sind die Teilnehmenden, deren Position zur Abstimmungsvorlage<br />

verborgen bleibt, in den Online-Foren nicht nur personell stärker vertreten, sie engagieren<br />

sich auch stärker am Meinungsaustausch. Aufgrund der Akteursstruktur ist es hier möglich,<br />

dass sich die Diskussion weniger an den Positionen zur Abstimmung orientiert, sondern<br />

an den Argumenten. So werden in den Online-Foren auch kaum Abstimmungsempfehlungen<br />

abgegeben. Dieser Umstand kann sich auf die Diskursqualität positiv auswirken,<br />

insofern als die besten Argumente die Abstimmungsentscheidung bestimmen sollten und<br />

nicht die vorgefassten Positionen. Allerdings ist dies nur dann relevant, wenn sich die<br />

Teilnehmenden auch tatsächlich über die Abstimmungsvorlage austauschen.<br />

Für die Frage der Diskursqualität gilt es zwischen verschiedenen Online-Foren zu unterscheiden.<br />

In den google.groups ist der Anteil an Personen, die ihre Abstimmungsabsicht<br />

nicht bekannt geben, höher als in den übrigen Foren. Allerdings äussert sich hier eine Vielzahl<br />

der DiskursteilnehmerInnen nicht zum eigentlichen Sachverhalt, so dass eine Positionierung<br />

zum Abstimmungsgegenstand hinfällig ist. Wenngleich die inhaltliche Auseinandersetzung<br />

jenseits von (parteipolitischen) Positionierungen also eine potentielle Qualität<br />

der Online-Foren darstellt, ist diese Qualität bei den google.groups aufgrund des hohen<br />

Anteils an themenfremder Diskussion nicht gegeben. In den übrigen Foren tauschen die<br />

Teilnehmenden ebenfalls Meinungen aus, die mit dem Abstimmungsthema nichts zu tun<br />

haben – öfters als in den klassischen Medien, jedoch seltener als in den google.groups. In<br />

Relation gesehen, weisen die Ergebnisse jedoch darauf hin, dass hier ein Austausch unabhängig<br />

von vorgefassten Positionen möglich ist. Bezüglich der Inklusivität der vorkommenden<br />

AkteurInnen konnten hingegen keine Unterschiede zwischen den Anbietern festgestellt<br />

werden, alle Foren werden von der Peripherie dominiert.<br />

95


Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

Innerhalb der klassischen Medien werden die Ergebnisse im Vergleich zwischen den öffentlichen<br />

und den privaten Anbietern zusammengefasst. In den öffentlichen Sendern<br />

sind pro Sendung durchschnittlich mehr Personen am Diskurs beteiligt als bei den privaten<br />

Anbietern. Somit können potentiell mehr Meinungen berücksichtigt werden, was mit Blick<br />

auf die Diskursqualität von Vorteil ist. Darüber hinaus wird das Akteursspektrum zwischen<br />

Zentrum und Peripherie bei den öffentlichen Anbietern ausgeglichener abgebildet. Während<br />

bei den privaten zu einem guten Teil JournalistInnen und VertreterInnen des Zentrums<br />

die Diskussion bestreiten, können sich periphere AkteurInnen bei den öffentlichen<br />

Sendern doppelt so oft am Diskurs beteiligen als dies bei den privaten der Fall ist. Ebenso<br />

sind VertreterInnen von peripherienahen Verbänden in den Sendungen der öffentlichen<br />

Anbieter deutlich präsenter. Die öffentlichen Sender können mit Blick auf den Zugang<br />

zum Diskurs insgesamt als egalitärer bezeichnet werden. Dieses Ergebnis setzt sich fort,<br />

wenn man die jeweiligen Anteile an Redebeiträgen und der gesamten Redezeit betrachtet.<br />

Auch in diesen Punkten ist der Diskurs bei den öffentlichen Anbietern zwar nicht egalitär,<br />

aber deutlich ausgewogener als bei den privaten.<br />

Bezüglich der Frage, ob die Argumente der BefürworterInnen und GegnerInnen ausgewogen<br />

berücksichtigt werden, können lediglich Tendenzen aufgezeigt werden. Die öffentlichen<br />

Anbieter stellen bezüglich der Teilnehmerstruktur eine grössere Ausgewogenheit her<br />

als die privaten Sender. Zudem können sie trotz des personellen Ungleichgewichts – die<br />

BefürworterInnen sind etwas stärker vertreten – durch die Berücksichtigung von befürwortenden<br />

und ablehnenden Meinungen bezogen auf die Anzahl Redebeiträge ein Gleichgewicht<br />

erreichen, wenngleich die Redezeit nicht für beide Positionen ausgeglichen ist. Den<br />

privaten Anbietern gelingt dies über alle Sender und Sendungen hinweg gesehen nicht in<br />

gleichem Masse. Um abschliessende Aussagen über die Medienleistung machen zu können,<br />

müssten einzelne Sendungen hinsichtlich der vertretenen Positionen analysiert werden.<br />

Die Hypothesen, dass die Inklusivität des Diskurses bezogen auf die vorkommenden<br />

AkteurInnen und Argumente bei den öffentlichen Radio- und Fernsehanbietern<br />

höher ist als bei den privaten Anbietern, kann unter genannter Einschränkung bestätigt<br />

werden.<br />

Eine weitere Vergleichsebene bilden die Mediengattungen Radio und Fernsehen. Der<br />

Zugang zum Diskurs ist im Radio egalitärer – das Verhältnis zwischen AkteurInnen aus<br />

dem Zentrum und der Peripherie ist ausgeglichener als im Fernsehen. PolitikerInnen und<br />

andere VertreterInnen des Zentrums sind in letztgenannter Mediengattung rein personell<br />

rund dreimal stärker vertreten. Allerdings kommen die AkteurInnen der Peripherie im Radio<br />

nur unwesentlich mehr zu Wort – was die Anteile an allen Redebeiträgen und der gesamten<br />

Redezeit betrifft gleichen sich die beiden Mediengattungen an – in beiden kann die<br />

Peripherie nur marginal in den Diskurs eingreifen. Nimmt man die peripherienahen AkteurInnen<br />

hinzu, verschieben sich die Werte gar zugunsten des Fernsehens. Die Dominanz des<br />

Zentrums bleibt zwar bestehen, die Peripherie kommt aber im Verhältnis gesehen im Fernsehen<br />

etwas öfter und länger zu Wort als im Radio, die Unterschiede sind jedoch eher<br />

klein.<br />

Im Vergleich zwischen den untersuchten Sprachregionen konnten ebenfalls einige Unterschiede<br />

festgestellt werden. Die AkteurInnen der Peripherie sind in der Westschweiz stärker<br />

vertreten als in der Deutschschweiz. Allerdings muss offen bleiben, ob es sich hierbei<br />

um eine sprachregionale Besonderheit handelt, denn das Ergebnis korreliert mit dem Ergebnis<br />

für die Mediengattung Radio, die aufgrund der Datenlage für die Romandie eine<br />

grössere Rolle spielt. Die Peripherie ist in der Westschweiz auch hinsichtlich der Redeanteile<br />

stärker vertreten als in der deutschsprachigen Schweiz, insbesondere proportional zu<br />

den Redeanteilen des Zentrums gesehen. Da das Ergebnis in diesem Punkt für die Medien-<br />

96


Zwischenfazit: Inklusivität <strong>oder</strong> wer überhaupt zu Wort kommt<br />

gattung Radio anders ausfällt, kann gefolgert werden, dass der Peripherie in den dialogischen<br />

Formaten der Westschweiz insgesamt eine höhere Bedeutung zukommt. Aufgrund<br />

der homogenen Akteursstruktur in den Online-Foren liefert die Untersuchung in dieser<br />

Frage für die neuen elektronischen Medien keine Ergebnisse.<br />

Die Analyse der Online-Foren auf Ebene der Sprachregionen verweist hingegen auf eine<br />

andere Besonderheit: Im Gegensatz zu den Foren der Deutschschweiz wie auch zu den<br />

klassischen Medien, sind die GegnerInnen in den Online-Foren der Romandie stärker repräsentiert<br />

als die BefürworterInnen und verzeichnen deutlich mehr Gesprächsanteile. In<br />

den klassischen Medien dagegen sind die BefürworterInnen sowohl in der Westschweiz als<br />

auch in der Deutschschweiz leicht vorherrschend. Dadurch kann die Vermutung geäussert<br />

werden, dass die Online-Foren in der Romandie als Ventil-Funktion genutzt wurden, da die<br />

befürwortenden Meinungen in der nicht-medialen Öffentlichkeit ebenfalls zahlreicher waren,<br />

zumindest wurden beide Abstimmungen in der Romandie deutlicher angenommen als<br />

in der Deutschschweiz.<br />

Der zentrale Unterschied zwischen den Sprachregionen besteht jedoch im M<strong>oder</strong>ationskonzept.<br />

Die Akteursgruppe der JournalistInnen ist in der Westschweiz deutlich stärker<br />

vertreten als in der Deutschschweiz. Dies liegt mitunter daran, dass in der Romandie eine<br />

grosse Zahl an Sendungen von zwei Personen m<strong>oder</strong>iert wurde. Dieses Konzept ist in der<br />

Deutschschweiz nicht anzutreffen. Nichts desto trotz leitet auch in der Romandie schwerpunktmässig<br />

letztlich ein/e M<strong>oder</strong>atorIn durch die Sendungen.<br />

Bezüglich der Rolle der M<strong>oder</strong>ation kann für alle klassischen Medien Folgendes festgehalten<br />

werden. Im Gegensatz zu den Online-Foren, in denen die Anbieter keine m<strong>oder</strong>ierende<br />

Rolle einnehmen, stellen die JournalistInnen in den klassischen Medien eine verhältnismässig<br />

starke Akteursgruppe dar. Gut ein Fünftel aller am Diskurs beteiligten Personen<br />

sind MedienvertreterInnen. Davon fungiert die Mehrheit in der Rolle der M<strong>oder</strong>ation, der<br />

Anteil an JournalistInnen, die tatsächlich als VertreterInnen der Medien am Diskurs teilhaben,<br />

ist hingegen klein.<br />

Die M<strong>oder</strong>atorInnen sind jedoch nicht nur personell relativ stark vertreten, sondern bestreiten<br />

auch einen grossen Teil der Diskussion, zumindest was den Anteil an Redebeiträgen<br />

betrifft – gemessen an der Redezeit, schrumpft ihre Beteiligung am Diskurs hingegen. Die<br />

Medien fungieren somit vornehmlich als Drehscheibe der Diskussion.<br />

97


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

6 Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander<br />

sprechen<br />

Im vorangehenden Kapitel wurde betrachtet, wer in der medialen Öffentlichkeit kommuniziert.<br />

In diesem Kapitel richtet sich der Blick auf die Frage, wie die Kommunikation gestaltet<br />

wird. Das diskursive Modell beschreibt in erster Linie die Verfahrenskriterien, d.h.<br />

auf welche Art und Weise diskutiert werden sollte und bezieht sich weniger auf die Inhalte<br />

der Debatte.<br />

Der Diskurs ist eine ganz bestimmte Form <strong>oder</strong> Ebene des Gesprächs, auf das die TeilnehmerInnen<br />

wechseln, wenn der reguläre Kommunikationsverlauf gestört ist, d.h. wenn<br />

die erhobenen Geltungsansprüche angezweifelt <strong>oder</strong> hinterfragt werden. Im Kern geht es<br />

dabei darum, die dem erhobenen Geltungsanspruch zugrunde liegenden guten Gründe, die<br />

seine Gültigkeit ja garantieren sollten, zu explizieren, d.h. die Gültigkeit des Geltungsanspruchs<br />

qua Argumentation zu untermauern. Eigentliches Ziel des Diskurses ist es dann,<br />

dass SprecherIn und HörerIn 113 über eine argumentative Auseinandersetzung hinsichtlich<br />

des problematisierten Geltungsanspruchs zu einem Konsens gelangen und so wieder auf<br />

die Ebene des kommunikativen Handelns wechseln können (vgl. Habermas 1981). Im Idealfall<br />

ist der/die SprecherIn bereit, eine Aussage mit Argumenten zu begründen bzw. zu<br />

verteidigen. Geschieht dies nicht, so verläuft der Diskurs nicht rational und ist für die politische<br />

Meinungsbildung nicht förderlich, da die Sichtweise anderer nur bedingt nachvollzogen<br />

werden kann. Wird eine Aussage von anderen Gesprächsteilnehmenden kritisiert,<br />

angezweifelt, bestritten <strong>oder</strong> modifiziert, sollte dies ebenfalls unter Nennung von Gründen<br />

geschehen. 114 Nur so entwickelt sich ein Diskurs mit deliberativer Qualität, in Folge dessen<br />

ein Konsens bzw. eine begründete Mehrheitsentscheidung entstehen können (vgl. dazu<br />

Gerhards et al. 1998: 36).<br />

Zwei wichtige Merkmale von idealen Diskursen sind demnach die wechselseitige Bezugnahme<br />

der Beiträge aufeinander und ihr antithetischer bzw. begründeter Charakter – mit<br />

anderen Worten: Theoretisch wird das Für und Wider solange abgewogen, bis sich alle<br />

DiskursteilnehmerInnen auf das beste Argument geeinigt haben. Solange sich die Teilnehmenden<br />

nicht aufeinander beziehen, beschränkt sich die Kommunikation hingegen auf<br />

das Postulieren verschiedener Meinungen ohne dass ein Austausch über die Plausibilität<br />

der Argumentation erfolgt.<br />

In diesem Kapitel interessiert zunächst einmal die Struktur der öffentlichen Kommunikation.<br />

Es geht also um die Frage, ob sich die AkteurInnen der Medienarena aufeinander beziehen,<br />

ob das Spiel von Rede und Gegenrede tatsächlich stattfindet <strong>oder</strong> ob die mediale<br />

Plattform lediglich zur „Parolenabgabe“ genutzt wird. Sind die TeilnehmerInnen von Interview-<br />

und Diskussionssendungen bzw. Online-Foren überhaupt an einem Meinungsaustausch<br />

interessiert <strong>oder</strong> nur an der eigenen Meinungsabgabe und der Verlautbarung ihrer<br />

Position? 115 Damit sich ein/e DiskursteilnehmerIn überhaupt auf andere AkteurInnen beziehen<br />

kann, muss er/sie zunächst einmal das Rederecht erhalten. Deshalb wird im ersten<br />

113 Ist in dieser Untersuchung von SprecherIn und HörerIn die Rede sind sowohl die Diskutierenden in Radio<br />

und Fernsehen als auch die Diskursteilnehmenden von Online-Foren gemeint.<br />

114 Vgl. dazu Kapitel 7.2.<br />

115 Vgl. Neidhart (1994), der drei Idealtypen von öffentlichen Kommunikationsmuster ausmacht: 1) Das<br />

„Verlautbarungsmodell“, in dem die AkteurInnen lediglich monologartig ihre Statements abliefern, ohne sich<br />

mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen, 2) das „Agitationsmodell“, das sich insbesondere durch gegenseitige<br />

Angriffe und mehr <strong>oder</strong> minder offene Diskreditierung konkurrierender Positionen und Personen auszeichnet,<br />

und 3) schliesslich das an Habermas angelehnte „Diskursmodell“, das die argumentative Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Position und derjenigen des Gegenübers beschreibt (vgl. Neidhart 1994; vgl. auch<br />

Habermas‘ Unterscheidung zwischen „manipulativer“ und „demonstrativer“ Öffentlichkeit im „Struktkurwandel<br />

der Öffentlichkeit“ 1990).<br />

98


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Unterkapitel auf den Sprecherwechsel eingegangen, danach wird anhand der verschiedenen<br />

Untersuchungsebenen analysiert, wie stark sich die AkteurInnen aufeinander beziehen.<br />

6.1 Sprecherwechsel <strong>oder</strong> wie das Wort übergeben wird<br />

Der Begriff „idealer Rollenwechsel“ beschreibt, dass die AkteurInnen die Rolle als SprecherIn<br />

sowie als HörerIn einnehmen und zwischen diesen Rollen wechseln. Nehmen sie<br />

nur eine Rolle ein, ist dies ein Indiz dafür, dass der Diskurs systematisch verzerrt ist. In<br />

den massenmedialen Formaten der traditionellen elektronischen Medien sind sowohl der<br />

Diskurs als auch die Rollen bereits zu einem gewissen Grad institutionalisiert (vgl. Clayman,<br />

Heritage 2002). Bei Radio und Fernsehen gehört es zur Aufgabe des/der M<strong>oder</strong>atorIn<br />

dafür zu sorgen, dass es zu keiner Verzerrung des Gesprächs kommt. Im Internet dagegen<br />

hängt es von der Fähigkeit der AkteurInnen ab, den Diskurs selbst zu regulieren. Es kann<br />

nicht davon ausgegangen werden, dass ein/e DiskursteilnehmerIn die Rolle der Diskussionsleitung<br />

übernehmen kann und in dieser Funktion von allen akzeptiert wird. Daher kann<br />

bei diskursiver Dominanz nur versucht werden, mittels Ausgrenzungsstrategien anderen<br />

Teilnehmenden das Kommunikationsrecht abzusprechen. 116<br />

Grundeinheit des Gesprächs ist der Gesprächsschritt, also der Redebeitrag bzw. das Post.<br />

Mit jedem Rede- bzw. Forumsbeitrag kommen die Teilnehmenden der Rolle als SprecherIn<br />

nach, den Gesprächsschritten anderer folgen sie potentiell als HörerInnen. Inwiefern sie<br />

diese Rolle einnehmen, kann ermittelt werden, indem untersucht wird, wie oft sie sich auf<br />

das Gesagte beziehen. Wie stark sich jemand in der Rolle als SprecherIn in die Diskussion<br />

einbringt, kann – wie in Kapitel 5 bereits behandelt – stark differieren.<br />

Der Sprecherwechsel ist eine Voraussetzung für das Zustandekommen eines <strong>Dialog</strong>s. Denn<br />

<strong>Dialog</strong>e, „in denen kein Sprecherwechsel mehr vorkommt, sind eben keine <strong>Dialog</strong>e mehr“<br />

(Schwitalla 1979: 54). Der Sprecherwechsel bezeichnet also das für ein Gespräch konstitutive<br />

Wechseln von der Hörer- in die Sprecherrolle. Er ist damit die „zentrale Schaltstelle<br />

des Gesprächs“ und beantwortet die Frage, wie die GesprächsteilnehmerInnen nacheinander<br />

zu Wort kommen, ohne dass ein verbales Durcheinander entsteht (Linke et al. 2004:<br />

300). Der Sprecherwechsel ist damit charakteristisch für das Gespräch. Dessen verschiedene<br />

Formen lassen Aussagen über die Eigenschaften des Gesprächs zu. Bei einem Interview<br />

ist der Rollenwechsel leichter vorherzusehen als in einer Diskussion, in der einem/r SprecherIn<br />

mehrere HörerInnen gegenüberstehen. Es steht folglich nicht unbedingt immer fest,<br />

wer als nächstes das Wort ergreifen wird. Hier interessiert also die Art, wie dieser Rollenwechsel<br />

zustande kommt; es geht um die Organisationsform des Gesprächs. Zu diesem<br />

Zweck wurde für jeden Redebeitrag bzw. Post erhoben, wie die Sprecherrolle übernommen<br />

worden ist. Es können zwei Fälle unterschieden werden: Der/die augenblickliche SprecherIn<br />

wurde vom/von der vorangegangenen SprecherIn als neue/r RednerIn bestimmt<br />

(Fremdwahl) <strong>oder</strong> der/die aktuelle SprecherIn beginnt den Gesprächsschritt von sich aus,<br />

hat also das Gespräch eigeninitiativ übernommen (Selbstwahl) (vgl. dazu Linke et al. 2004:<br />

301). Bei der Fremdwahl wird bei den klassischen Medien zudem unterschieden, wer das<br />

Wort erteilt hat, die M<strong>oder</strong>ation <strong>oder</strong> ein/e ander/e AkteurIn.<br />

Sprecherwechsel in den klassische Medien<br />

Die Sprechenden können sich an zwei Grundregeln des Gesprächs orientieren: Erstens, es<br />

spricht jeweils nur ein/e GesprächsteilnehmerIn und zweitens, jene Person, die nach einem<br />

Gesprächsbeitrag als erste das Wort ergreift, hat das Anrecht auf den Redebeitrag (vgl.<br />

116 Vgl. Kapitel 5.2 und 8.2, S. 79ff. bzw. 187ff. Wie Davis (1999) aufzeigt, sind solche Ausgrenzungs-<br />

Strategien in Online-Foren durchaus an der Tagesordnung. Sie betreffen indes nicht nur den Disput zwischen<br />

Teilnehmenden mit unterschiedlichen Meinungen, sondern sind ebenso ein Merkmal des Umgangs zwischen<br />

„etablierten“ DiskursteilnehmerInnen und „Neulingen“ (vgl. Davis 1999: 149ff.).<br />

99


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Linke et al. 2004: 301). Obwohl alle GesprächsteilnehmerInnen zu Wort kommen möchten,<br />

ist allen bekannt, dass das Rederecht einem/r SprecherIn für eine gewisse Zeit zusteht,<br />

nachdem es einmal vergeben ist. Denn damit alle sachlich relevanten Punkte vorgebracht<br />

werden können, sollte man den anderen ausreden lassen. Daher sind alle AkteurInnen daran<br />

interessiert, dass das Rederecht für eine gewisse Mindestdauer gewährt wird: Denn<br />

würden sie sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, könnte niemand von ihnen das Publikum<br />

von sich bzw. von den eigenen (politischen) Ansichten überzeugen. (Holly et al.<br />

1986: 63). Bei den klassischen Medien hat die Gesprächsleitung verschiedene Aufgaben zu<br />

erfüllen. Eine der gesprächsorganisatorischen Aufgaben ist es, das Rederecht an die Gesprächsteilnehmenden<br />

zu verteilen und die Ausgewogenheit der Redezeiten herzustellen. 117<br />

Aufgrund der gesprächsleitenden Funktion wird (a) die M<strong>oder</strong>ation gesondert betrachtet<br />

und (b) bei der Fremdwahl zwischen M<strong>oder</strong>atorInnenwahl und TeilnehmerInnenwahl differenziert.<br />

In den dialogischen Radio- und Fernsehformaten übernimmt die M<strong>oder</strong>ation das<br />

Rederecht mehrheitlich eigeninitiativ (97.4%) und wird praktisch nicht von anderen dazu<br />

aufgefordert, es zu übernehmen und somit nicht als eigentliche DiskursteilnehmerIn behandelt.<br />

Daran zeigt sich, dass der/die M<strong>oder</strong>atorIn in erster Linie die Rolle der Gesprächsübermittlung<br />

einnimmt (s.u.). Die Teilnehmenden ihrerseits erhalten das Wort in<br />

über der Hälfte aller Sprecherwechsel von der M<strong>oder</strong>ation erteilt (55.8%), übernehmen es<br />

in rund zwei Fünfteln eigeninitiativ (41.8%). Von anderen Teilnehmenden werden sie selten<br />

aufgefordert, sich in das Gespräch einzubringen (2.5%). Im Folgenden wird betrachtet,<br />

ob es hinsichtlich des Sprecherwechsels Unterschiede auf sprachregionaler Ebene bzw. auf<br />

Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter zu verzeichnen gibt.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

An dieser Stelle interessiert nun, ob die Diskussion in den beiden Sprachregionen jeweils<br />

über die M<strong>oder</strong>ation läuft <strong>oder</strong> ob sich die Teilnehmenden gegenseitig auffordern, Stellung<br />

zu beziehen <strong>oder</strong> eine Frage zu beantworten. Die folgende Aufstellung zeigt, wie die Sprechenden<br />

das Rederecht erhalten.<br />

Sprecherwechsel M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Deutschschweiz Deutschschweiz Westschweiz Westschweiz<br />

(n = 589)<br />

(n = 960)<br />

(n = 973)<br />

(n = 1317)<br />

Selbstwahl 99.2% 47.6% 96.4% 37.5%<br />

Wort durch M<strong>oder</strong>ation<br />

erteilt<br />

0.0% 49.9% 2.6% 60.1%<br />

Wort durch TeilnehmerIn<br />

erteilt<br />

0.8% 2.5% 1.0% 2.4%<br />

Tabelle 11: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Sprachregion<br />

Aus Tabelle 11 wird ersichtlich, dass die M<strong>oder</strong>ation von den Teilnehmenden kaum aktiv<br />

in den <strong>Dialog</strong> eingebunden wird. Die Teilnehmenden fordern die Diskussionsleitung lediglich<br />

in 0.8% (Deutschschweiz) bzw. in 1.0% (Westschweiz) dazu auf, sich in den <strong>Dialog</strong><br />

einzubringen. Die M<strong>oder</strong>ation ergreift jeweils selbst das Wort und verteilt ihrerseits das<br />

Rederecht an die Diskussionsteilnehmenden. Das bedeutet, dass das Gespräch in beiden<br />

Landesteilen vor allem über den/die M<strong>oder</strong>atorIn läuft. Die Teilnehmenden in der<br />

Deutschschweiz erhalten das Rederecht in knapp der Hälfte aller Sprecherwechsel von der<br />

M<strong>oder</strong>ation (49.9%), in der Romandie gar in drei Fünfteln (60.1%). Die stärkere Präsenz<br />

der M<strong>oder</strong>ation in den Sendungen der Westschweiz kann durch das Verhältnis von Interviews<br />

und Debatten in den beiden Sprachregionen erklärt werden. In Interviews kommt der<br />

M<strong>oder</strong>ation eine stärkere Bedeutung zu (s.u.) – dieses <strong>Dialog</strong>format hat in der West-<br />

117 Vgl. Kapitel 5.2.<br />

100


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

schweiz einen stärkeren Einfluss als in der Deutschschweiz. 118 Einen gewissen Einfluss<br />

dürfte auch der Umstand haben, dass einzelne Sendungen in der Romandie von zwei M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

geführt werden. Interessant ist ausserdem, dass sich die Teilnehmenden generell<br />

nur zu einem geringen Teil gegenseitig auffordern, Stellung zu beziehen <strong>oder</strong> einander<br />

eine Frage stellen (2.5% in der Deutschschweiz, 2.4% in der Romandie). Wählt ein/e SprecherIn<br />

am Ende des Gesprächsschritts keine/n andere/n SprecherIn, so hat die Person, die<br />

sich zuerst zu Wort meldet, das Rederecht. In der Deutschschweiz übernehmen die Teilnehmenden<br />

in 47.6%, in der Westschweiz in 37.5% das Gespräch eigeninitiativ.<br />

Klassische Medien: <strong>Dialog</strong>format<br />

Wie bereits erwähnt, hat das <strong>Dialog</strong>format Einfluss auf den Sprecherwechsel und damit auf<br />

die Kommunikation. Die Abfolge der Redebeiträge ist in Interviews strukturierter als in<br />

Debatten, in denen sich mehrere Personen gegenüberstehen, die alle zu Wort kommen<br />

möchten. In Interviews ist der Sprecherwechsel durch die besondere Form des Gesprächs<br />

leichter vorhersehbar als in Debatten, in denen nicht immer feststeht, wer als nächstes das<br />

Wort ergreifen wird. Unten stehender Tabelle kann entnommen werden, wie in den beiden<br />

<strong>Dialog</strong>formaten das Rederecht übernommen wird.<br />

Sprecherwechsel M<strong>oder</strong>ation Debatten<br />

(n = 1268)<br />

Teilnehmende<br />

Debatten<br />

(n = 1980)<br />

M<strong>oder</strong>ation Interviews<br />

(n = 294)<br />

Selbstwahl 97.4% 46.3% 97.6% 11.4%<br />

Wort durch M<strong>oder</strong>ation<br />

erteilt<br />

1.5% 51.1% 2.0% 86.9%<br />

Wort durch TeilnehmerIn<br />

erteilt<br />

1.1% 2.6% 0.3% 1.7%<br />

Tabelle 12: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format<br />

Teilnehmende<br />

Interviews<br />

(n = 297)<br />

Die M<strong>oder</strong>ation verhält sich hinsichtlich des Rollenwechsels interessanterweise in Debatten<br />

und Interviews sehr ähnlich. In Ersteren erhält sie das Wort etwas häufiger durch die<br />

Teilnehmenden erteilt als in Interviews (1.1% bzw. 0.3%). Wie bereits erwähnt, ist durch<br />

die strukturiertere Gesprächsform und die geringere Anzahl an Sprechenden auch für die<br />

Beteiligten eher ersichtlich, wer den nächsten Gesprächsschritt übernimmt. Wie die Teilnehmenden<br />

ihrerseits das Rederecht erhalten, unterscheidet sich in den beiden <strong>Dialog</strong>formaten<br />

demgegenüber deutlich. Sowohl in Interviews als auch in Debatten erhalten sie zwar<br />

das Wort vornehmlich durch die M<strong>oder</strong>ation erteilt, in Debatten jedoch in gut der Hälfte<br />

aller Sprecherwechsel (51.1%), in Interviews dagegen in über vier Fünfteln (86.9%). Daran<br />

kann abgelesen werden, dass Interviews strukturierter sind respektive, dass die M<strong>oder</strong>ation<br />

eindeutig mehr Gewicht einnimmt als in Debatten, in denen der <strong>Dialog</strong> phasenweise einzig<br />

zwischen den Teilnehmenden wechselt.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Hinsichtlich der Unterscheidungsebene nach ökonomischer Stellung der Anbieter lässt sich<br />

feststellen, dass in den Sendungen der öffentlichen Anbieter der Diskurs etwas stärker über<br />

die M<strong>oder</strong>ation läuft als in den privaten: Die TeilnehmerInnen erhalten das Wort durch die<br />

Gesprächsleitung in 58.8% (öffentlich) bzw. in 50.2% (privat) erteilt. Dieser Unterschied<br />

ist damit zu erklären, dass das <strong>Dialog</strong>format bei der SRG SSR idée suisse stärker vertreten<br />

ist als bei den Privaten. 119<br />

118<br />

In der Deutschschweiz stammen 6.0% aller Redebeiträge aus Interviews, in der Westschweiz 19.0% (nur<br />

Teilnehmende).<br />

119<br />

In den Sendungen der öffentlichen Anbieter stammen 17.2% der Redebeiträge aus Interviews, in denjeni-<br />

gen der privaten 5.6% (nur Teilnehmende).<br />

101


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Kurzzusammenfassung: Der Diskurs läuft in beiden Landesteilen vor allem über den/die<br />

M<strong>oder</strong>atorIn. Er/sie ist Dreh- und Angelpunkt des Diskurses, ist aber selbst wenig in das<br />

Gespräch eingebunden und nimmt vor allem die Rolle als GesprächsleiterIn war, die das<br />

Rederecht verteilt. Die M<strong>oder</strong>ation des Diskurses ist augenscheinlich mit einer Art Übernahme-Privileg<br />

beim Sprecherwechsel verknüpft. In dieser Funktion sind die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

nämlich jeweils der/die potentiell nächste Sprecher/In, sei es, um das Wort lediglich<br />

weiterzugeben, Stimmen zusammenzufassen <strong>oder</strong> einen Themenwechsel vorzunehmen.<br />

Die Teilnehmenden in der Deutschschweiz erhalten das Rederecht in knapp der Hälfte aller<br />

Sprecherwechsel von der M<strong>oder</strong>ation, in der Romandie gar in drei Fünfteln. In der<br />

Deutschschweiz übernehmen sie das Gespräch in knapp der Hälfte der Sprecherwechsel<br />

eigeninitiativ, in der Romandie in knapp zwei Fünfteln. Gegenseitig fordern sie sich in<br />

beiden Sprachregionen selten zum Sprechen auf. Für die Diskursqualität bedeutet das, dass<br />

die Teilnehmenden in der Tendenz keine vertiefte Auseinandersetzung lancieren. Die stärkere<br />

Einflussnahme durch die M<strong>oder</strong>ation in der Westschweiz kann durch das unterschiedliche<br />

Verhältnis von Interviews und Debatten in den beiden Sprachregionen sowie die personell<br />

stärkere Präsenz der M<strong>oder</strong>ation in der Romandie erklärt werden. Auf Ebene des<br />

<strong>Dialog</strong>formats sind die Hauptunterschiede hinsichtlich des Sprecherwechsels wie folgt<br />

feststellbar. Bei den Interviews ist die M<strong>oder</strong>ation stärker präsent als in den Debatten, in<br />

denen die Teilnehmenden das Gespräch öfter eigeninitiativ übernehmen. Diese Unterschiede<br />

haben sowohl Auswirkungen auf die Untersuchungsebene der Sprachregionen als<br />

auch auf die Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter.<br />

Online-Foren: Sprachregionen / Anbieter<br />

In den Online-Foren beschränkt sich der Sprecherwechsel auf die Selbst- und Fremdwahl<br />

(TeilnehmerInnenwahl). Bei der Selbstwahl hat der/die vorhergehende AutorIn im eigenen<br />

Post niemand anderen dazu aufgefordert, eine Replik zu verfassen. Die Person, die nun als<br />

nächste postet, hat eigeninitiativ entschieden, auf einen Beitrag zu antworten. Bei der<br />

Fremdwahl wurde der/die gegenwärtige AutorIn hingegen zum Verfassen eines Beitrags<br />

aufgefordert. Insgesamt liegt der Anteil der Selbstwahl bei 92.0%, die Fremdwahl bei<br />

8.0%.<br />

In der folgenden Tabelle ist die prozentuale Häufigkeitsverteilung der Sprecherwechsel in<br />

den beiden Landesteilen ersichtlich, jener Ebene, auf welcher die grössten Unterschiede<br />

auszumachen sind.<br />

Sprecherwechsel Online gesamt<br />

(n = 2350)<br />

Deutschschweiz<br />

(n = 2028)<br />

Selbstwahl 92.0% 92.4% 89.8%<br />

durch TeilnehmerIn 8.0% 7.6% 10.2%<br />

aufgefordert<br />

Tabelle 13: Sprecherwechsel in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

Westschweiz<br />

(n = 322)<br />

Der Anteil der Fremdwahl ist in der Romandie mit 10.2% etwas höher als in der Deutschschweiz<br />

mit 7.6%. Dieses Ergebnis lässt den Rückschluss zu, dass die Forumsstruktur einen<br />

Einfluss auf den Sprecherwechsel hat. Da die Foren in der Westschweiz keine automatisierte<br />

Antwortmöglichkeit kennen und damit einen chronologischen Aufbau aufweisen,<br />

ist die Notwendigkeit der Fremdwahl eher gegeben: Für andere NutzerInnen ist lediglich<br />

über den Inhalt erkennbar, dass andere Teilnehmende mit Ihnen in den <strong>Dialog</strong> treten.<br />

Durch eine Baumstruktur ist für die UserInnen hingegen sofort ersichtlich, wer sich auf das<br />

eigene Post bezieht. Eine Erwiderung darauf ist durch die Möglichkeit auf ausgewählte<br />

Posts zu antworten sehr einfach. Fehlt diese Struktur jedoch, muss der andere Teilnehmende<br />

„fremd-gewählt“ werden, um mit ihm in einen <strong>Dialog</strong> zu treten. Hinsichtlich des Ver-<br />

102


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

gleichs zwischen den google.groups und den Online-Foren von Medienverlagshäusern lassen<br />

sich in diesem Zusammenhang keine nennenswerten Unterschiede feststellen.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Wie bereits erwähnt, gehört es bei Radio und Fernsehen zur Aufgabe der M<strong>oder</strong>ation dafür<br />

zu sorgen, dass es hinsichtlich des Wechsels zwischen SprecherIn und HörerIn zu keiner<br />

systematischen Verzerrung des Gesprächs kommt. Im Internet dagegen müssen die AkteurInnen<br />

den Diskurs selbst regulieren. Aufgrund der verschiedenen Rollenausprägungen ist<br />

im Vergleich zwischen den beiden Mediengattungen insbesondere die Fremdwahl durch<br />

die TeilnehmerInnen interessant: Auffällig ist, dass der Anteil der Teilnehmendenwahl im<br />

Internet mit 8% deutlich höher ausfällt als in Radio und Fernsehen (2.5%). Das liegt daran,<br />

dass in den Online-Foren die Rolle der M<strong>oder</strong>ation nicht definiert ist. Trotzdem ist der<br />

Anteil derer, die sich gegenseitig auffordern ihre Meinung abzugeben, immer noch relativ<br />

gering. Die Fremdwahl ist in den Diskussionsforen faktisch die einzige Möglichkeit, den<br />

<strong>Dialog</strong> zu forcieren. Viele Teilnehmende greifen, wie gezeigt werden konnte mehr als die<br />

Hälfte aller UserInnen, allerdings ohnehin nur punktuell in die Diskussion ein. Die so genannten<br />

One-Poster beteiligen sich mit nur einem einzigen Post an der Diskussion (54.5%<br />

der NutzerInnen). Möglicherweise verfolgen sie das Forum über eine längere Zeit, begnügen<br />

sich jedoch damit, nur einmal aktiv in die Diskussion einzugreifen, um ihre Meinung<br />

abzugeben <strong>oder</strong> eine Frage in den Raum zu stellen. 120 Von solchen UserInnen kann ein m<strong>oder</strong>ierendes<br />

Diskursverhalten nicht erwartet werden. Immerhin gibt es unter den übrigen<br />

Teilnehmenden einige Personen, die die Problematik der Nicht-M<strong>oder</strong>ation erkennen und<br />

durch Aufforderung versuchen etwas dagegen zu unternehmen.<br />

Kurzzusammenfassung: Da die M<strong>oder</strong>ation in Diskussionsforen fehlt, müssen die UserInnen<br />

die Sprecherwahl selbst regulieren. Dadurch ist der Anteil der TeilnehmerInnenwahl<br />

im Internet gut dreimal höher als in Radio und Fernsehen. Verglichen mit der Leistung der<br />

M<strong>oder</strong>ation ist die gegenseitige Aufforderung zu posten in den Foren dennoch relativ gering.<br />

Die Resultate deuten darauf hin, dass die Teilnehmenden den kontinuierlichen Meinungsaustausch<br />

mit anderen eher selten dezidiert vorantreiben. In den Foren der Westschweiz<br />

wird der/die AutorIn etwas häufiger durch die Fremdwahl bestimmt als in der<br />

Deutschschweiz. Dies ist anhand der Forenstruktur erklärbar. Stellen die Foren keine Antwortmöglichkeiten<br />

zur Verfügung, müssen sich die UserInnen gegenseitig zum Verfassen<br />

auffordern, um den <strong>Dialog</strong> zu forcieren.<br />

Der Sprecherwechsel allein sagt jedoch nur beschränkt etwas darüber aus, inwiefern die<br />

Teilnehmenden miteinander sprechen <strong>oder</strong> eher darauf bedacht sind, ihre eigenen Ansichten<br />

zu produzieren. Deshalb wird in den folgenden Subkapiteln darauf eingegangen, wie<br />

stark sich die Gesprächsbeteiligten aufeinander beziehen.<br />

6.2 Oberflächliche Bezugnahme<br />

Die Reziprozität zeigt das Ausmass, zu welchem die Teilnehmenden die Aussagen der<br />

Anderen rezipieren (zuhören bzw. lesen) und einander antworten. In diesem Zusammenhang<br />

muss betont werden, dass in dieser Untersuchung nicht die Reflexivität, sondern die<br />

Reziprozität erhoben wurde. Reflexivität bezeichnet einen inneren Prozess, zielt also auf<br />

die Frage ab, welche kognitive Leistung die AkteurInnen erbringen. Damit ist sie schwer<br />

messbar, wie beispielsweise von Dahlberg eingeräumt wird: „Unfortunately, reflexivity is<br />

difficult to detect given that it is largely an internal process and changes in people’s positions<br />

take place over long periods of time“ (Dahlberg 2001 c: 5, Hervorhebung v. Verf.).<br />

Reziprozität dagegen zeigt, ob ein Bezug zu einem anderen Beitrag hergestellt wird, be-<br />

120 Vgl. dazu Kapitel 5.2, S. 79ff.<br />

103


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

zeichnet also „the degree to which a conversation is a real ‚discussion’, and present a first<br />

level of understanding“ (Janssen / Kies 2004: 12, Hervorhebung v. Verf.).<br />

Anhand der Reziprozität kann also bestimmt werden, inwiefern der Diskurs eine „echte“<br />

Diskussion darstellt, in der sich die Gesprächsteilnehmenden tatsächlich austauschen.<br />

Denn eine Äusserung kann auch getätigt werden, ohne dass sich der/die Sprechende auf<br />

andere Positionen <strong>oder</strong> Argumente bezieht. Seinen dialogischen Charakter erwirbt ein Diskurs<br />

aber erst durch eine Bezugnahme der AkteurInnen aufeinander. Die Beiträge der einzelnen<br />

GesprächspartnerInnen sollten sich – zumindest für eine kurze Zeit – thematisch<br />

aufeinander beziehen. Findet keine inhaltliche Bezugnahme auf einen vorgängigen Beitrag<br />

statt, ist der/die Sprechende nicht an einem Austausch von Meinungen interessiert, vielmehr<br />

geht es in erster Linie darum, die eigene Präferenzordnung kundzutun.<br />

Hier zeigt sich nun eine Schwierigkeit der gesprochenen Sprache bzw. der „spontanen<br />

Sprache“, die in der Regel weniger strukturiert ist als „geplante Sprache“ wie sie bspw. in<br />

Parlamentsreden zur Anwendung kommt. Spontane Sprache meint allerdings nicht, dass<br />

die Sprechenden unvorbereitet an den Diskussionssendungen und Interviews teilnehmen,<br />

sondern Spontaneität wird verstanden im Sinne nicht zuvor festgelegter Formulierungen.<br />

In der geplanten Sprache hat der/die Sprechende mehr Zeit, seine Aussagen argumentativ<br />

zu stützen. 121 Nichts desto trotz wird auch in der spontanen Sprache eine zumindest „oberflächliche“<br />

Bezugnahme oftmals hergestellt. Das ist bspw. der Fall, wenn auf eine Frage<br />

der M<strong>oder</strong>ation „geantwortet“, wenn mit Floskeln ein Bezug hergestellt wird <strong>oder</strong> auch<br />

nur, indem man sich zu einem zur Diskussion gestellten Thema äussert. Um diese qualitativen<br />

Unterschiede der Bezugnahme zu bestimmen ist eine relativ hohe interpretatorische<br />

Leistung nötig, da die Übergänge zwischen Bezugnahme, Teilbezugnahme und „Schein-<br />

Bezugnahme“ zuweilen fliessend sind. Aufgrund dieser Unschärfe generiert eine solche<br />

Unterscheidung potentiell eine hohe Fehlerquote. In der vorliegenden Untersuchung wurde<br />

daher die Bezugnahme zunächst weit gefasst, d.h. jedwede Art von Bezugnahme wurde als<br />

solche gewertet sowohl oberflächliche, also rein sprachliche und thematische als auch argumentative.<br />

Nun liegt für die Online-Foren die Vermutung nahe, dass die Sprache, da schriftlich, eher<br />

geplant ist als die gesprochene Sprache. Die UserInnen haben in der zeitversetzten Foren-<br />

Kommunikation mehr Zeit als die Beteiligten in Debatten und Interviews, die Argumente<br />

der Anderen aufzunehmen und darauf zu antworten. Dennoch wird hier die Annahme vertreten,<br />

dass der Diskursverlauf in Online-Foren gegenüber Radio und Fernsehen weniger<br />

reziprok ist. Einerseits wird vermutet, dass die Sprechenden im Internet weniger geübte<br />

„RednerInnen“ sind als diejenigen in den klassischen Medien. Andererseits ist die Foren-<br />

Kommunikation trotz ihres schriftlichen Mediums eher dem Charakter des mündlichen<br />

Gesprächs verpflichtet. 122 Differenziert man zwischen Text und Gespräch, so sind die Foren-Beiträge<br />

dem Gespräch sehr ähnlich, was sich u.a. in der Wortwahl und der Satzstruktur<br />

zeigt. Es kann also davon ausgegangen werden kann, dass in der Online-<br />

Kommunikation wie bei der spontanen Sprache generell, oberflächliche Bezugnahmen<br />

hergestellt werden. Da die Kommunikation aber weniger kontinuierlich ist als in den klassischen<br />

Medien (wechselnde TeilnehmerInnen), wird davon ausgegangen, dass die Werte<br />

bei den Online-Foren niedriger ausfallen.<br />

Eine Bezugnahme ist jeweils dann gegeben, wenn ein Thema aus einem vorangegangenen<br />

Redebeitrag bzw. Post thematisch aufgegriffen wird. Aus dem gegenwärtigen Beitrag muss<br />

klar hervorgehen, dass ein Bezug zu einer Aussage eines anderen Teilnehmenden gemacht<br />

wird. Ersichtlich ist dies (a) durch einen thematischen Bezug auf einen vorangehenden<br />

121 Zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit vgl. Schwitalla 2003.<br />

122 Storrer hat dies für die Kommunikationsform des Chattens aufgezeigt. Im Unterschied zur Foren-<br />

Kommunikation handelt es sich beim Chat jedoch um zeitgleiche, dialogische Kommunikation (vgl. Storrer<br />

2001).<br />

104


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Redebeitrag bzw. Post, indem an eine zuvor geäusserte Aussage angeknüpft wird, (b)<br />

durch eine argumentative Bezugnahme <strong>oder</strong> (c) durch einen Bezug auf den Autor bspw.<br />

durch eine direkte Anrede eines Gesprächspartners. Diese Art der Operationalisierung ist<br />

an das Empfinden der ZuhörerInnen und ZuschauerInnen angelehnt. Während Diskussionssendungen<br />

und Interviews live verfolgt werden, besteht allenfalls ansatzweise die Möglichkeit,<br />

die qualitativen Unterschiede der Bezugnahme als solche zu erfassen. 123<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Als Erstes interessiert, ob sich auf der Ebene der Mediengattungen Unterschiede hinsichtlich<br />

des Masses an Reziprozität ausmachen lassen.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

Klassisch Online<br />

n = 3761 n = 1985<br />

Grafik 21: Reziprozität nach Mediengattung<br />

Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

n = 2574<br />

Erwartungsgemäss ist der Anteil an Redebeiträgen bzw. Posts, in denen ein Bezug zu einem<br />

vorgängigen Beitrag hergestellt wird relativ hoch, da – wie bereits erwähnt – sowohl<br />

oberflächliche, also rein sprachliche und inhaltliche als auch argumentative Bezugnahmen<br />

als solche gewertet wurden (79.9% der Redebeiträge, 81.9% der Posts).<br />

Interessanterweise ist das Kommunikationsverhalten in Radio und Fernsehen und im Internet<br />

sehr ähnlich, wie in oben stehender Grafik ersichtlich ist. Es ist somit praktisch kein<br />

Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation festzustellen. Diese<br />

Resultat bestätigt die Annahme, dass nicht so sehr die Art der Ausdrucksweise, also die<br />

Schriftlichkeit <strong>oder</strong> Mündlichkeit, Einfluss auf die Reziprozität hat, als vielmehr die Spontaneität<br />

der Sprache.<br />

Bei den klassischen Medien interessiert in erster Linie, ob sich ein Unterschied zwischen<br />

der Gesprächsleitung und den Teilnehmenden feststellen lässt.<br />

123 Für die Bestimmung der Bezugnahme wurden nur noch die themenrelevanten Redebeiträge berücksich-<br />

tigt. Vgl. dazu Kapitel 7.1.<br />

105


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n = 1600 n = 2161<br />

Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

Grafik 22: Reziprozität in den klassischen Medien nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

Aus oben stehender Grafik wird ein deutlicher Unterschied zwischen M<strong>oder</strong>ation und<br />

Teilnehmenden ersichtlich. Insgesamt stellt die Diskussionsleitung in 37,1% keine Bezugnahme<br />

zu anderen Redebeiträgen her, die Teilnehmenden lediglich in 7.5%. Wie erwartet,<br />

ist der Anteil der Redebeiträge ohne Bezugnahme bei der M<strong>oder</strong>ation höher als bei den<br />

übrigen GesprächspartnerInnen. Denn die Aufgaben der Diskussionsleitung haben Auswirkungen<br />

auf die Reziprozität: Die M<strong>oder</strong>ation verzichtet bspw. auf eine Bezugnahme,<br />

wenn ein neues Thema gesetzt, also die Diskussion in eine andere Richtung gesteuert wird<br />

<strong>oder</strong> wenn sie das Rederecht verteilt. Da der Unterschied zwischen M<strong>oder</strong>ation und TeilnehmerInnen<br />

sehr deutlich ist, lohnt sich ein Vergleich zwischen den Teilnehmenden der<br />

beiden Mediengattungen. Die TeilnehmerInnen in den klassischen Medien stellen in 7.5%<br />

keinen Bezug zu einem vorangegangenen Redebeitrag her, die UserInnen in Online-Foren<br />

gar in 18.1%. Da die Online-Foren über keine M<strong>oder</strong>ation verfügen, verschmelzen die beiden<br />

Rollen bis zu einem gewissen Grad. Eröffnen die UserInnen einen neuen Thread, setzen<br />

sie also ein neues Unterthema, übernehmen sie damit eine Aufgabe, die in den klassischen<br />

Medien hauptsächlich von der M<strong>oder</strong>ation wahrgenommen wird. Entsprechend sind<br />

sich die Werte im direkten Vergleich mit den klassischen Medien (Grafik 21) sehr ähnlich.<br />

Ob hinter jenen Beiträgen, in denen keine Bezugnahme hergestellt wurde immer eine funktionale<br />

Begründung (m<strong>oder</strong>ierende Rolle) steht, kann an dieser Stelle nicht genauer beziffert<br />

werden. Der Vergleich innerhalb der Online-Foren legt jedoch nahe, dass dies nicht<br />

der Fall ist (s.u.).<br />

Klassisch: Sprachregionen / Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Auf der Ebene der Sprachregionen und auf Ebene der ökonomischen Stellung der Sender<br />

sind keine grossen Unterschiede hinsichtlich der oberflächlichen Reziprozität feststellbar.<br />

Klassisch: <strong>Dialog</strong>format<br />

Das <strong>Dialog</strong>format dagegen hat Einfluss auf die Kommunikation. In Debatten stellen die<br />

AkteurInnen eher einen oberflächlichen Bezug zu einem vorangegangenen Redebeitrag her<br />

als in Interviews (80.5% bzw. 76.8% aller Bezugnahmen). In Interviews wird demnach<br />

häufiger auf eine Bezugnahme verzichtet als in Debatten (23.2% bzw. 19.6%). Die M<strong>oder</strong>ation<br />

verhält sich jeweils ähnlich, in Interviews verzichtet sie eher auf einen Bezug. Interessant<br />

auf Ebene des <strong>Dialog</strong>formats ist das Gesprächsverhalten der Teilnehmenden. Sie<br />

weisen in Debatten einen 2.8-mal höheren Anteil an Redebeiträgen auf, in denen keine<br />

Bezugnahme erfolgt als dies in Interviews der Fall ist. In Debatten sind die Teilnehmenden<br />

demnach eher daran interessiert, eigene Themenschwerpunkte zu setzen denn in Interviews.<br />

106


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Im Gegensatz zu den klassischen Medien hat die Marktstellung der Forenanbieter Einfluss<br />

auf die Reziprozität, wie der nachstehenden Grafik zu entnehmen ist.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

Google Medienverlagshäuser<br />

n = 679 n = 1306<br />

Grafik 23: Reziprozität nach Forenanbieter<br />

Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

In oben stehender Grafik ist ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Forenanbietern<br />

ersichtlich. In den google.groups beziehen sich die UserInnen in 97.5% zumindest<br />

oberflächlich aufeinander. Der Prozentsatz der Redebeiträge ohne Bezugnahme ist mit<br />

2.5% erstaunlich niedrig. In den Foren der Medienverlagshäuser liegt dieser bei 26.3%, die<br />

oberflächliche Bezugnahme bei 73.7%.<br />

Hier könnte das Nutzungsverhalten der Teilnehmenden eine Erklärung für diese Differenz<br />

liefern. Nachstehende Tabelle zeigt das Mass an Wechselseitigkeit, also wie viele Beiträge<br />

ein/e TeilnehmerIn verfasst.<br />

Anzahl Posts pro<br />

Person<br />

Teilnehmende Google<br />

(n = 247)<br />

1 40.1% 63.1%<br />

2 18.2% 9.9%<br />

3-4 17.4% 10.8%<br />

5-9 16.2 9.9%<br />

10-29 6.5% 5.1%<br />

30-49 1.2% 1.0%<br />

> 50 0.4% 0.2%<br />

Tabelle 14: Anzahl Posts pro TeilnehmerIn nach Forenanbieter<br />

Teilnehmende Medienverlagshäuser<br />

(n = 415)<br />

Wie aus Tabelle 14 hervorgeht, ist der Anteil derer, die nach einem Post das Forum verlassen,<br />

in den Foren der Medienverlagshäuser mit 63.1% gut eineinhalb Mal höher als in den<br />

google.groups mit 40.1%. Das bedeutet, dass die google.groups ein höheres Mass an<br />

Wechselseitigkeit aufweisen und damit eine höhere Reziprozität. Denn bei einer Teilnahme<br />

mit einem einzigen Post deutet wenig auf einen wechselseitigen Bezug zwischen Sprechenden<br />

und Hörenden hin. Schliesslich kann ein wechselseitiger Austausch erst ab einem<br />

Minimum von zwei Posts erfolgen. Zwar kann sich auch der/die einmalige UserIn auf einen<br />

vorangegangenen Beitrag beziehen. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass je höher<br />

das Mass an Wechselseitigkeit ist desto höher auch der Anteil an Beiträgen, die eine Bezugnahme<br />

aufweisen. Die Foren von google.groups weisen praktisch immer eine Bezugnahme<br />

auf, die Foren von Medienverlagshäusern in weniger als drei Viertel aller Redebei-<br />

107


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

träge. Ein möglicher Grund für das hohe Mass an – zumindest oberflächlicher – Reziprozität<br />

ist, dass bei google.groups deutlich weniger so genannte One-Poster teilnehmen, die<br />

sich nach einem Beitrag wieder aus dem Forum verabschieden, als es bei den übrigen Foren<br />

der Fall ist (zwei Fünftel bzw. über drei Fünftel aller UserInnen).<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Auf Ebene der Sprachregionen können ebenfalls Unterschiede hinsichtlich der Reziprozität<br />

festgestellt werden.<br />

Reziprozität Online gesamt<br />

(n = 1985)<br />

Deutschschweiz<br />

(n = 1664)<br />

Bezugnahme 81.9% 84.7% 66.4%<br />

keine Bezugnahme 18.1% 15.1% 33.6%<br />

Tabelle 15: Reziprozität in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

Westschweiz<br />

(n = 321)<br />

In den Deutschschweizer Foren beziehen sich die UserInnen in 84.7% zumindest oberflächlich<br />

aufeinander. Der Prozentsatz der Redebeiträge ohne Bezugnahme liegt bei<br />

15.1%. In den Foren der Romandie ist er relativ hoch bei 33.6%, die oberflächliche Bezugnahme<br />

bei 66.4%. Dieser Unterschied zwischen den Sprachregionen ist mit den strukturellen<br />

Vorgaben der Foren erklärbar. Um dies zu verifizieren, können die Foren der Medienverlagshäuser<br />

nach Sprachregion betrachtet werden. Dabei weisen diejenigen der Deutschschweiz<br />

eine Bezugnahme von 76.1% auf, diejenigen der Romandie lediglich 66.4%. Die<br />

Foren in der Westschweiz kennen keine automatisierte Antwortmöglichkeit und weisen<br />

einen chronologischen Aufbau auf. Damit ist bspw. der thematische Verlauf einer Teildiskussion<br />

nicht ohne weiteres ersichtlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass die UserInnen lediglich<br />

die neuesten Posts im Forum lesen, ist relativ hoch. Dadurch ist es für sie auch nicht<br />

ersichtlich, wenn bereits jemand zu einem bestimmten Aspekt etwas geschrieben hat und<br />

sie nehmen demnach darauf nicht Bezug. Die Deutschschweizer Foren verfügen alle über<br />

eine Antwortmöglichkeit. Durch die Baumstruktur ist das Navigieren innerhalb des Forums<br />

leichter, verschiedene Diskussionsstränge sofort ersichtlich.<br />

Kurzzusammenfassung: Sowohl in den traditionellen elektronischen Medien wie auch im<br />

Internet wird sehr häufig eine – zumindest oberflächliche – Bezugnahme zu vorangegangen<br />

Beiträgen hergestellt (je in rund vier Fünfteln aller Bezugnahmen). Diese in beiden<br />

Mediengattungen ähnlichen Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass es sich bei der Foren-Kommunikation<br />

insgesamt nicht um geplante Sprache handelt, sondern dass sie eher<br />

dem Charakter des mündlichen Gesprächs verpflichtet ist. Das Resultat zeigt, dass die<br />

Möglichkeit des Internets, die Aussagen dank ihrer Schriftlichkeit zu „planen“, anscheinend<br />

nicht genutzt wird. Die Annahme, dass der Diskursverlauf im Internet gegenüber Radio<br />

und Fernsehen weniger reziprok ist, dass also die einzelnen AkteurInnen weniger auf<br />

die anderen Teilnehmenden eingehen, bestätigt sich demnach bislang nicht.<br />

Erwartet wurde, dass die Bezugnahme ein charakteristisches Unterscheidungskriterium ist,<br />

dass es also Personen gibt, die vor allem daran interessiert sind, die eigene Meinung zu<br />

verlautbaren ohne auch nur einen oberflächlichen Bezug zu anderen Teilnehmenden herzustellen.<br />

Dies ist jedoch selten der Fall. In den traditionellen elektronischen Medien ist es in<br />

erster Linie die M<strong>oder</strong>ation, die auf eine Bezugnahme verzichtet, was durch die gesprächsleitenden<br />

Aufgaben erklärbar ist. Der hohe Anteil an Reziprozität bei den Teilnehmenden<br />

in den klassischen Medien lässt sich auf die Mündlichkeit der Sprache zurückführen. In der<br />

gesprochenen Sprache wird rasch eine Bezugnahme hergestellt, unter anderem durch das<br />

back-channel-behaviour, also das Rückmeldeverhalten des/r ehemaligen HörerIn. Die bisherigen<br />

Resultate zeigen, dass bei den traditionellen elektronischen Medien weder die<br />

Ebene der Sendung noch der ökonomischen Stellung der Sender, sondern vielmehr die<br />

108


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Mediengattung Einfluss auf die Reziprozität<br />

haben. Des Weiteren hat das <strong>Dialog</strong>format Einfluss auf das Gesprächsverhalten. Insgesamt<br />

stellen die AkteurInnen in Debatten eher einen oberflächlichen Bezug zu einem vorangegangenen<br />

Redebeitrag her als in Interviews. Allerdings ist ein Unterschied zwischen M<strong>oder</strong>ation<br />

und Teilnehmenden zu verzeichnen. Während die M<strong>oder</strong>ation in Interviews eher<br />

auf eine Bezugnahme zu einem vorangegangen Redebeitrag verzichtet, sind es die Teilnehmenden<br />

in Debatten, die rund dreimal häufiger keinen Bezug herstellen.<br />

Im Vergleich mit den Teilnehmenden in den Sendungen der klassischen Medien weisen die<br />

UserInnen der Online-Foren einen knapp zweieinhalb Mal höheren Anteil an Beiträgen<br />

ohne Bezugnahme auf. Dies ist durch die Verschmelzung der Rollen im Internet erklärbar,<br />

dass also die UserInnen Aufgaben der M<strong>oder</strong>ation übernehmen. Die Gesprächsbeteiligten<br />

in den google.groups beziehen sich zumindest oberflächlich eineinhalb Mal häufiger aufeinander<br />

als die Teilnehmenden in Foren der Medienverlagshäuser. Eine plausible Erklärung<br />

dafür ist das höhere Mass an Wechselseitigkeit bzw. die höhere Kontinuität im Verfassen<br />

von Posts in den Diskussionsforen der google.groups. Des Weiteren konnte ein Unterschied<br />

auf sprachregionaler Ebene festgestellt werden. Die UserInnen der Westschweizer<br />

Foren verzichten doppelt so häufig auf eine Bezugnahme wie diejenigen in den<br />

Deutschschweizer Foren. Eine plausible Erklärung dafür sind die strukturellen Vorgaben<br />

der Foren. In der Romandie verfügen die Foren über keine Antwortmöglichkeit und damit<br />

über einen chronologischen Aufbau. Dieser erschwert eine – zumindest oberflächliche –<br />

Bezugnahme. Für die UserInnen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wenn bspw. zu einem<br />

Aspekt bereits Posts publiziert wurden, können sich demnach auch nicht darauf beziehen<br />

und nehmen daher möglicherweise eine „neue“ Themensetzung erneut vor.<br />

6.3 Argumentative Bezugnahme<br />

Wie einleitend erwähnt, gibt es bei der Bezugnahme auf andere Redebeiträge und Posts<br />

qualitative Unterschiede. 124 Nur weil ein/e SprecherIn auf den Beitrag eines Vorredners /<br />

einer Vorrednerin reagiert, heisst das noch nicht, dass er/sie sich auf die zuvor dargelegte<br />

Positionen <strong>oder</strong> Argumentation bezieht. Ein Diskurs erwirbt aber seinen deliberativen Charakter<br />

erst, wenn ein/e AkteurIn auf die Argumente des Gegenübers eingeht und sich damit<br />

auseinandersetzt. Gerade um festzustellen, was die Teilnehmenden eigentlich im Wesentlichen<br />

sprachlich tun, wurden die Intentionen der Geltungsansprüche erhoben. Damit wird<br />

die inhaltliche Funktion des Gesagten bzw. Geschrieben, also die sprachlichen Handlungsmuster<br />

erfasst. Die Intentionen helfen bei der Bestimmung der qualitativen Unterschiede<br />

der Bezugnahme: Wenn jemand lediglich seine Meinung verlautbaren möchte,<br />

widerspricht <strong>oder</strong> auf seinem Standpunkt beharrt, ist dies für die Diskursqualität anders zu<br />

werten als wenn er auf die Meinung der GesprächspartnerInnen eingeht, die Argumentation<br />

hinterfragt bzw. widerlegt <strong>oder</strong> Fragen zur Präzisierung stellt. Letzteres wird im Folgenden<br />

„echte“ bzw. „argumentative“ Bezugnahme genannt. Zunächst wird ein intermediärer<br />

Vergleich angestellt, um anschliessend die beiden Mediengattungen der traditionellen<br />

und neuen elektronischen Medien einzeln zu betrachten.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Als Erstes interessiert, ob es Unterschiede zwischen den Mediengattungen hinsichtlich der<br />

Qualität der Bezugnahme gibt. Schliesslich steht die Annahme im Raum, dass der Diskursverlauf<br />

in Online-Foren gegenüber Radio und Fernsehen weniger reziprok ist. Die folgende<br />

Grafik zeigt die prozentuale Häufigkeitsverteilung von oberflächlicher, echter und keiner<br />

Bezugnahme.<br />

124 Vgl. dazu Kapitel 6.2.<br />

109


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

18.8%<br />

20.1%<br />

oberflächliche Bezugnahme echte B ezugnahme<br />

keine B ezugnahme<br />

61.1%<br />

Reziprozität in den klassischen Medien (n = 3761)<br />

Grafik 24: Qualität der Bezugnahme nach Mediengattung<br />

20.1%<br />

18.1%<br />

o berflächliche Bezugnahme echte Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

61.7%<br />

Reziprozität in den Online-Foren (n = 1985)<br />

Erstaunlicherweise sind keine grossen Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen einerseits<br />

und dem Internet andererseits auszumachen. In den klassischen Medien findet in<br />

18.8% aller Bezugnahmen eine echte Bezugnahme statt, in den Online-Foren in 20.1%.<br />

Damit liegt der Anteil an echter Bezugnahme im Internet – wenngleich unwesentlich –<br />

höher. Die häufigste Art der Reziprozität in beiden Mediengattungen ist eine oberflächliche,<br />

also rein sprachlich bzw. thematisch hergestellte Bezugnahme. Die AkteurInnen stellen<br />

zwar einen Bezug zu einer vorangegangenen Aussage her, rücken dann aber einen anderen,<br />

nicht damit verknüpften Geltungsanspruch in den Vordergrund. In lediglich rund<br />

einem Fünftel aller Redebeiträge/Posts wird eine argumentative Bezugnahme hergestellt.<br />

Aber gerade das Eingehen auf die Argumente der Anderen ist aus deliberativer Sicht bedeutsam,<br />

da es den RezipientInnen ermöglicht, die TeilnehmerInnen im Diskursfeld der<br />

verschiedenen Positionen zu situieren. Wird nicht eine Auseinandersetzung um die Argumente<br />

geführt, wie es das Prinzip des idealen Diskurses verlangt, wie kann das beste Argument<br />

gewinnen?<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Auf der Ebene der traditionellen elektronischen Medien interessiert erneut, ob sich ein Unterschied<br />

hinsichtlich der Qualität der Bezugnahme zwischen der Gesprächsleitung und<br />

den Teilnehmenden feststellen lässt.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n = 1600 n = 2161<br />

oberflächliche Bezugnahme<br />

argumentative Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

Grafik 25: Qualität der Bezugnahme nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

110


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Wie bereits festgestellt wurde, ist der Anteil der Redebeiträge ohne Bezugnahme bei der<br />

M<strong>oder</strong>ation knapp fünf Mal höher als bei den übrigen Gesprächsteilnehmenden. 125 Das<br />

hätte zur Annahme führen können, dass der Anteil an argumentativer Bezugnahme dementsprechend<br />

geringer sein würde. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Der/die Gesprächsleitende<br />

stellt in 22.0% eine argumentative Bezugnahme her, die TeilnehmerInnen lediglich<br />

in 17.4%. Dieses Ergebnis ist doch erstaunlich, da mit vielen Aufgaben der Gesprächsleitung<br />

eine oberflächliche Bezugnahme verbunden ist: Wortmeldungen sammeln, Denkimpulse<br />

geben, Fragen nach Information, subjektiver Einschätzung <strong>oder</strong> Positionierung sowie<br />

gesprächsorganisatorische Schritte. Trotzdem lässt dieses Resultat den Schluss zu, dass<br />

der/die M<strong>oder</strong>atorIn zu einem guten Teil ÜbermittlerIn und nicht GesprächsteilnehmerIn<br />

ist, da der Anteil an argumentativer Bezugnahme insgesamt lediglich bei gut einem Fünftel<br />

liegt, bei zwei Fünfteln der Sprecherwechsel ist die Bezugnahme oberflächlicher Art. Die<br />

Teilnehmenden dagegen beschränken sich in drei Viertel der Fälle auf eine oberflächliche,<br />

also rein sprachliche <strong>oder</strong> thematische Bezugnahme. Die wirkliche Auseinandersetzung<br />

mit den Argumenten der Anderen steht für die Teilnehmenden nicht im Vordergrund, sondern<br />

die Motivation, in erster Linie den eigenen Standpunkt, die eigene Meinung in den<br />

Raum zu stellen. Für die Bestimmung der Diskursqualität ist die echte Bezugnahme aber<br />

wichtig, da dadurch den RezipientInnen ein Abwägen und Bewerten der Argumente und<br />

Positionen ermöglicht wird.<br />

Da der Unterschied zwischen M<strong>oder</strong>ation und TeilnehmerInnen hinsichtlich der echten<br />

Bezugnahme sehr deutlich ist, drängt sich ein Vergleich zwischen den Teilnehmenden der<br />

Mediengattungen Radio bzw. Fernsehen und Internet auf. Die Gesprächsteilnehmenden in<br />

den klassischen Medien stellen in 17.4% eine argumentative Bezugnahme her, die UserInnen<br />

in den Diskussionsforen in 20.1%. Da sowohl der Anteil an Posts, in denen keine Bezugnahme<br />

als auch der Anteil derer, in denen eine argumentative Bezugnahme zu einem<br />

vorangegangenen Beitrag hergestellt wird im Internet höher ist als in den klassischen Medien,<br />

lässt darauf schliessen, dass die UserInnen Aufgaben der M<strong>oder</strong>ation übernehmen.<br />

Aufgrund der bisherigen Ergebnisse muss der Schluss gezogen werden, dass der Diskursverlauf<br />

in Online-Foren reziproker bzw. die Qualität höher ist als in Radio und Fernsehen.<br />

Klassisch: Sprachregionen / Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Auf der sprachregionalen Ebene und auf Ebene der ökonomischen Stellung der Sender sind<br />

keine nennenswerten Unterschiede hinsichtlich der Qualität der Bezugnahme feststellbar.<br />

In den Sendungen der öffentlichen Anbieter wird die argumentative Auseinandersetzung<br />

leicht stärker geführt als in denjenigen der privaten.<br />

Klassisch: <strong>Dialog</strong>format<br />

Es wurde bereits festgestellt, dass in Debatten häufiger eine oberflächliche Bezugnahme<br />

hergestellt wird als in Interviews. Der Anteil an argumentativer Bezugnahme ist nur unwesentlich<br />

höher (19.4% bzw. 18.9%). Allerdings konnte bereits im vorangehenden Subkapitel<br />

ein in den <strong>Dialog</strong>formaten unterschiedliches Gesprächsverhalten zwischen M<strong>oder</strong>ation<br />

und Teilnehmenden festgehalten werden.<br />

125 Vgl. Kapitel 6.2, S. 105ff.<br />

111


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

n=1299 n = 1919 n = 301 n = 242<br />

M<strong>oder</strong>atorIn Teilnehmende M<strong>oder</strong>atorIn Teilnehmende<br />

Debatten Interviews<br />

oberflächliche Bezugnahme<br />

argumentative Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

Grafik 26: Qualität der Bezugnahme von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format<br />

Aus oben stehender Grafik ist ersichtlich, dass sich die M<strong>oder</strong>ation in den <strong>Dialog</strong>formaten<br />

hinsichtlich der Qualität der Bezugnahme sehr ähnlich verhält. In Interviews verzichtet sie<br />

eher auf einen Bezug und stellt häufiger eine argumentative Bezugnahme her als in Debatten<br />

(24.4% bzw. 21.4%). Die Teilnehmenden verhalten sich gerade umgekehrt: In Debatten<br />

sind sie deutlich stärker – wenn auch weniger als die M<strong>oder</strong>ation – um eine Auseinandersetzung<br />

mit den Aussagen der Anderen bemüht als in Interviews (18.9% bzw. 13.7%).<br />

Das bedeutet, dass die Teilnehmenden in Interviews eher darauf bedacht sind, ihre eigene<br />

Position darzustellen.<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Es wurde bereits festgestellt, dass es hinsichtlich der Reziprozität Unterschiede zwischen<br />

den google.groups und den Foren der übrigen Anbieter gibt. Die UserInnen in den<br />

google.gourps beziehen sich eineinhalb Mal häufiger aufeinander als die Teilnehmenden in<br />

den Foren der Medienverlagshäuser (s.o.). Im Folgenden interessiert die Qualität dieser<br />

Bezugnahme.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

Google Medienverlagshäuser<br />

n = 679 n = 1306<br />

Grafik 27: Qualität der Bezugnahme nach Forenanbieter<br />

oberflächliche Bezugnahme<br />

argumentative Bezugnahme<br />

keine Bezugnahme<br />

Die UserInnen in den Foren der google.groups beziehen sich häufiger aufeinander als in<br />

den Foren baz.ch, espace.ch, tdg.ch und 24heures.ch. Wenngleich also die Vernetzung des<br />

Diskurses bei den google.groups insgesamt dichter ist, kann daraus noch nicht abgeleitet<br />

werden, wie hoch der Anteil an argumentativen Bezugnahmen, die für die Verständigung<br />

112


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

wichtig sind, ist: Der Anteil an echter Bezugnahme liegt in den google.groups bei 22.2%,<br />

in den Foren der Medienverlagshäuser bei 18.9%. Das bedeutet, dass der Anteil an Personen,<br />

die um eine richtige Diskussion bemüht sind bzw. der Anteil an argumentativer Auseinandersetzung<br />

innerhalb des Diskurses ungefähr gleich hoch ist. Die Foren differieren<br />

lediglich in der oberflächlichen Bezugnahme bzw. im Verzicht auf eine Bezugnahme. Auf<br />

die Auseinandersetzung mit respektive Bezugnahme auf die Argumente der anderen Diskussionsbeteiligten<br />

hat der Anbieter keinen Einfluss. Die verschiedenen Foren eines Anbieters<br />

unterscheiden sich in diesem Punkt zudem deutlich voneinander. Diesbezüglich<br />

wäre es aufschlussreich, zu untersuchen, ob sich in den einzelnen Foren jeweils andersartige<br />

Communities bilden.<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Wie bereits festgestellt werden konnte, gibt es hinsichtlich der oberflächlichen Reziprozität<br />

Unterschiede auf sprachregionaler Ebene, die auf die unterschiedliche technische Struktur<br />

der Foren zurückgeführt werden konnten (s.o.).<br />

Reziprozität Online gesamt<br />

(n = 1985)<br />

Deutschschweiz<br />

(n = 1664)<br />

oberflächliche Bezugnahme 61.7% 64.2% 49.1%<br />

argumentative Bezugnahme 20.1% 20.6% 17.2%<br />

keine Bezugnahme 18.1% 15.1% 33.6%<br />

Tabelle 16: Qualität der Bezugnahme in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

Westschweiz<br />

(n = 321)<br />

Bezüglich der argumentativen Bezugnahme hätte erwartet werden können, dass diese in<br />

den rein chronologisch geführten Foren höher ist. Denn während die Antwortmöglichkeiten,<br />

d.h. die Strukturierung der Threads bereits einen ersten Anhaltspunkt liefern, auf wen<br />

sich eine UserIn potentiell bezieht, kann eine Bezugnahme bei den chronologischen Foren<br />

nur verbal hergestellt werden. Ähnlich wie in einem Comic, bei dessen Lektüre die Abfolge<br />

der Bilder in Bezug zueinander gesetzt wird und die LeserInnen den Sinn der Aussage<br />

inferieren, können solche Inferenzen auch bei der Lektüre von Threads hergestellt werden<br />

(vgl. Sperber, Wilson 2004). Ob dies tatsächlich geschieht <strong>oder</strong> nicht, kann gemäss der hier<br />

angewandten Methode nicht operationalisiert werden. Dennoch ist es plausibel anzunehmen,<br />

dass die UserInnen in einigen Fällen darauf vertrauen, dass eine Bezugnahme hergestellt<br />

wird, wenngleich diese nicht expliziert wird und sie deshalb vermehrt oberflächliche<br />

Bezugnahmen herstellen.<br />

Diese Annahme bestätigt sich indes nicht: Wie die oberflächliche Bezugnahme ist auch der<br />

Anteil an argumentativer Bezugnahme in der Westschweiz niedriger als in der Deutschschweiz<br />

(17.2% bzw. 20.6%). Wiederum lassen die Unterschiede innerhalb der chronologischen<br />

und der strukturierten Foren keine abschliessenden Aussagen über die Ursachen<br />

dieses Ergebnisses zu.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Annahme, dass der Diskursverlauf in Online-Foren gegenüber<br />

Radio und Fernsehen weniger reziprok ist, dass also die einzelnen Teilnehmenden weniger<br />

auf die Argumente der Anderen eingehen, hat sich nicht bestätigt. Allerdings ist die Reziprozität<br />

sowohl in den traditionellen elektronischen Medien wie auch im Internet überwiegend<br />

vordergründig. Dieser vordergründig responsive Charakter einer Äusserung wird<br />

sprachlich <strong>oder</strong> thematisch signalisiert, ohne dass aber ein weitergehender argumentativer<br />

Bezug damit verbunden wäre. Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Anderen<br />

findet in beiden Mediengattungen lediglich in knapp einem Fünftel aller Bezugnahmen<br />

statt. Aufgrund der ähnlichen Ergebnisse im intermediären Vergleich bestätigt sich des<br />

Weiteren die Annahme, dass die Foren-Kommunikation trotz ihrer medialen Schriftlichkeit<br />

eher der spontanen Sprache zuzurechnen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Fra-<br />

113


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

ge, worin sich die getippten <strong>Dialog</strong>e von den mündlichen unterscheiden, was allerdings<br />

nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein kann.<br />

In den traditionellen elektronischen Medien bezieht sich die M<strong>oder</strong>ation weniger häufig<br />

auf einen vorangegangenen Redebeitrag als die Teilnehmenden, was durch die Funktion<br />

der Gesprächsleitung zu erklären ist. Dagegen weist sie eine höhere Qualität der Bezugnahme<br />

auf: Die M<strong>oder</strong>ation nimmt häufiger auf die Argumente der Gesprächsteilnehmenden<br />

Bezug als diese. Trotzdem ist die M<strong>oder</strong>ation in erster Linie Übermittlerin und nur in<br />

beschränktem Mass Diskursteilnehmerin. Die Teilnehmenden ihrerseits sind weniger am<br />

argumentativen Bezug interessiert, ihre Redebeiträge weisen vornehmlich einen oberflächlich<br />

responsiven Charakter auf. Dieser wird sprachlich signalisiert bzw. rein thematisch<br />

hergestellt ohne dabei wirklich auf die Argumente des Gegenübers einzugehen. Diese Resultate<br />

lassen den Schluss zu, dass die öffentliche Kommunikation in Radio und Fernsehen<br />

nur in begrenztem Masse eine Kommunikation zwischen den Sprechenden darstellt. Die<br />

Untersuchung hat gezeigt, dass das <strong>Dialog</strong>format Einfluss auf die Kommunikation ausübt.<br />

Die M<strong>oder</strong>ation verzichtet in Interviews eher auf eine Bezugnahme, stellt jedoch häufiger<br />

einen argumentativen Bezug zu einem vorangegangenen Redebeitrag her als in Debatten.<br />

In diesem Zusammenhang kann vermutet werden, dass sich die Sendedauer auf das Gesprächsverhalten<br />

auswirkt. In den durchschnittlich kürzeren Interviewsendungen werden in<br />

der Regel ebenfalls mehrere Aspekte eines Themas diskutiert. Bei der jeweiligen neuen<br />

Themensetzung wird häufig auf eine Bezugnahme verzichtet. Die Teilnehmenden ihrerseits<br />

stellen in Debatten häufiger einen argumentativen Bezug her als in Interviews. Das<br />

deutet darauf hin, dass sie in Interviews eher ihre eigenen Ansichten darlegen.<br />

Aufgrund der Unterschiede zwischen M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden in den klassischen<br />

Medien ist eine Gegenüberstellung der Teilnehmenden in den Mediengattungen Radio und<br />

Fernsehen einerseits und Internet andererseits interessant: Diese lässt den Rückschluss zu,<br />

dass die UserInnen in den Online-Foren eher um eine Diskussion bemüht sind als die Teilnehmenden<br />

in den traditionellen elektronischen Medien, denen es vor allem um eine Parolenabgabe<br />

geht. Da die argumentative Bezugnahme bei der M<strong>oder</strong>ation höher ist als bei<br />

den Teilnehmenden kann vermutet werden, dass die Gesprächsleitung streckenweise versucht,<br />

Defizite der Diskussion auszugleichen. Insofern ist also eine Medienleistung erkennbar.<br />

Allerdings funktioniert dieser Ausgleich im selbstregulierenden Diskurs der Online-Foren<br />

ebenso. Dieser Befund würde darauf hindeuten, dass durch m<strong>oder</strong>ierte Foren die<br />

Qualität der Bezugnahme in der Foren-Kommunikation gesteigert werden könnte.<br />

Innerhalb der Gattung Internet konnte ein Unterschied auf Ebene der Forenanbieter festgestellt<br />

werden. Die Teilnehmenden in den Diskussionsforen der google.groups beziehen sich<br />

insgesamt deutlich häufiger auf einen vorangegangen Beitrag als in Foren der Medienverlagshäuser.<br />

Dabei handelt es sich jedoch meistens um eine oberflächliche Bezugnahme.<br />

Ein argumentativer Bezug wird lediglich in rund einem Fünftel hergestellt, in den<br />

google.groups liegt der Anteil etwas höher als in den übrigen Foren. Die Foren differieren<br />

damit lediglich in der oberflächlichen Bezugnahme bzw. im Verzicht auf eine Bezugnahme.<br />

Auf die argumentative Auseinandersetzung der Diskussionsbeteiligten hat der Anbieter<br />

somit keinen Einfluss. Des Weiteren konnten Unterschiede auf sprachregionaler Ebene<br />

festgestellt werden, die jedoch, was die oberflächliche Bezugnahme angeht, in erster Linie<br />

auf die Struktur der Foren zurückzuführen ist. Die Foren der Romandie schneiden in diesem<br />

Punkt schlechter ab. Bei der argumentativen Bezugnahme wurde hingegen erwartet,<br />

dass diese in chronologisch geführten Foren höher ist, da eine Bezugnahme zu anderen<br />

Posts nur verbal hergestellt werden kann. Zu einem guten Teil, beschränken sich die Teilnehmenden<br />

auch in den rein chronologischen Foren der Westschweiz auf eine thematische<br />

Anknüpfung <strong>oder</strong> stellen mittels Floskeln einen vordergründigen Bezug her. Die technischen<br />

Möglichkeiten bieten aufgrund grosser Differenzen innerhalb der strukturierten und<br />

chronologisch geführten Online-Foren keinen Erklärungsansatz für die genannten Unter-<br />

114


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

schiede hinsichtlich der argumentativen Bezugnahme. Für die Vernetzung des Diskurses<br />

mittels oberflächlicher Bezugnahmen sind die strukturierten Foren indes förderlicher.<br />

6.4 Netz der Interaktion<br />

In den vorangehenden Subkapiteln wurde auf den Sprecherwechsel und die Qualität der<br />

Bezugnahme eingegangen. Im Folgenden soll die Wechselbeziehung der Teilnehmenden,<br />

also ihre Interaktion betrachtet werden. Die Frage lautet nun, wer sich auf wen bezieht, und<br />

nicht mehr, wer nacheinander das Wort ergreift. Es geht also um den „Fluss“ der turns:<br />

Beziehen sich die AkteurInnen wechselseitig aufeinander? Läuft die Diskussion jeweils<br />

über den/die M<strong>oder</strong>atorIn? Diese Kategorie ist damit auch relevant für die Rolle der M<strong>oder</strong>ation:<br />

Wie stark steuert sie den Diskurs? 126<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Der intermediäre Vergleich zeigt erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Mediengattungen.<br />

In den Sendungen der traditionellen elektronischen Medien wird im Schnitt 8.6mal<br />

auf eine Person Bezug genommen, im Internet lediglich 2.9-mal. Wie aus den obigen<br />

Audführungen hervorgeht, gibt es insgesamt bezüglich der Qualität der Bezugnahme keine<br />

grossen Unterschiede zwischen den beiden Mediengattungen: Die Teilnehmenden äussern<br />

in erster Linie ihre Meinung, ohne sich um eine wirkliche Diskussion zu bemühen, denn<br />

der Anteil an argumentativer Bezugnahme liegt je bei rund einem Fünftel – im Internet<br />

etwas höher als in den klassischen Medien. Die bisherigen Ergebnisse liessen den Schluss<br />

zu, dass der Diskursverlauf in den Online-Foren nicht weniger reziprok ist als in den klassischen<br />

Medien. Betrachtet man nun aber, wie oft durchschnittlich Bezug auf eine Person<br />

genommen wird, muss dies revidiert werden. Im Internet liegt die durchschnittliche Anzahl<br />

Bezugnahmen auf eine Person knapp dreimal tiefer als in Radio und Fernsehen. Das hängt<br />

mit der grossen Zahl an Personen zusammen, die sich nach einmaligem Posten aus der<br />

Diskussion verabschieden. Die One-Poster machen über die Hälfte aller UserInnen aus.<br />

Aus deliberativer Sicht kann eine Beratschlagung nur schlecht stattfinden, wenn die meisten<br />

UserInnen lediglich einen Beitrag verfassen. Ein Abwägen der Argumente, ein Hin-<br />

und Herdebattieren wird so erschwert, da die Diskussion jeweils von anderen Teilnehmenden<br />

fortgeführt wird.<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Um die Frage zu beantworten, ob die Diskussion in den klassischen Medien jeweils über<br />

den/die M<strong>oder</strong>atorIn läuft, wird betrachtet, wie oft in Redebeiträgen ein Bezug auf die<br />

M<strong>oder</strong>ation respektive auf die Teilnehmenden hergestellt wird.<br />

126 Die folgenden Zahlen bezeichnen jeweils die Bezugnahme auf eine einzelne Person. Die Diskutierenden<br />

können sich natürlich auch auf mehrere Personen beziehen. Für die Vergleichbarkeit wurde aber die durchschnittliche<br />

Anzahl Bezugnahmen auf eine Person ermittelt – unabhängig davon, ob eine themenrelevante<br />

Äusserung folgt <strong>oder</strong> nicht.<br />

115


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

61.3%<br />

Bezugnahme auf (n = 2862)<br />

M <strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

38.7%<br />

Grafik 28: Bezugnahme auf M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmende<br />

Oben stehende Grafik zeigt, dass in 38.7% der Gesprächsschritte ein Bezug auf einen Beitrag<br />

der M<strong>oder</strong>ation hergestellt wird, in 61.3% auf eine/n der Teilnehmenden. In diesem<br />

Zusammenhang muss allerdings bedacht werden, dass die Anzahl der Teilnehmenden diejenige<br />

der M<strong>oder</strong>atorInnen deutlich übersteigt. Setzt man dies in Relation, wird im Schnitt<br />

16.1-mal auf einen Beitrag der M<strong>oder</strong>ation Bezug genommen, lediglich 6.6-mal auf eine/n<br />

Teilnehmenden. Mit anderen Worten: auf die Gesprächsleitung wird 2.4-mal häufiger Bezug<br />

genommen als auf die TeilnehmerInnen. Diese Zahl wird allerdings etwas relativiert,<br />

wenn man die HauptgesprächspartnerInnen und das Publikum getrennt betrachtet: Auf<br />

Erstere wird durchschnittlich 10.5-mal, auf Letztere 2.6-mal Bezug genommen. Die SprecherInnen<br />

aus dem Publikum sind zwar zahlenmässig stark vertreten, melden sich aber<br />

selten zu Wort, weshalb selten auf sie Bezug genommen wird. Insgesamt lässt das Resultat<br />

dennoch den Rückschluss zu, dass die Diskussion überwiegend über den/die M<strong>oder</strong>atorIn<br />

läuft, welche/r den Diskurs steuert. Die Untersuchungsebene öffentliche und private Anbieter<br />

weist in Bezug auf die Rolle der M<strong>oder</strong>ation keine Auffälligkeiten auf. Demgegenüber<br />

läuft der Diskurs in der Romandie stärker über die M<strong>oder</strong>ation als in der Deutschschweiz,<br />

was einerseits auf das Konzept der Doppelm<strong>oder</strong>ation und auf die vorkommenden<br />

<strong>Dialog</strong>formate zurückzuführen ist. 127 Wie bereits festgestellt wurde, erhalten die Teilnehmenden<br />

in Interviews das Wort deutlich häufiger durch die M<strong>oder</strong>ation erteilt als in Debatten.<br />

Dies widerspiegelt sich nun auch in der Interaktion der AkteurInnen. In Interviews<br />

wird in 56.5% der Gesprächsschritte Bezug auf die M<strong>oder</strong>ation genommen, in Debatten<br />

lediglich in 35.3%. Dass der Gesprächsleitung in Interviews stärkeres Gewicht zukommt<br />

ist allerdings auch nicht erstaunlich, stehen sich doch in Interviews vornehmlich ein/e M<strong>oder</strong>atorIn<br />

und ein/e GesprächspartnerIn gegenüber.<br />

In diesem Zusammenhang gilt es anzufügen, dass es erhebliche Unterschiede zwischen<br />

einzelnen Sendungen geben kann. So wird bspw. in einer Debatte mit zwei Gästen von<br />

TeleBärn in 21.1% ein Bezug auf den M<strong>oder</strong>ator hergestellt, in einer Diskussion von Radio<br />

Lac mit vier Eingeladenen jedoch in 68.0%. 128<br />

Online-Foren<br />

Wie bereits festgestellt wurde, ist die durchschnittliche Anzahl Bezugnahmen auf eine/n<br />

UserIn im Vergleich zu den klassischen Medien tief. Auf die Teilnehmenden wird – gemessen<br />

an der Anzahl Diskutierenden – im Schnitt lediglich knapp dreimal ein Bezug hergestellt.<br />

In diesem Zusammenhang muss allerdings festgehalten werden, dass es innerhalb<br />

127 In der Romandie stammen 22.2% der Redebeiträge aus Interviews, in der Deutschschweiz lediglich 6.3%.<br />

Das <strong>Dialog</strong>format scheint sich auf Ebene der ökonomischen Stellung nicht dergestalt auszuwirken, die Unterschiede<br />

zwischen den Sendern sind jedoch auch geringer.<br />

128 TeleBärn, „BZTalk“, 01.09.2005; Radio Lac, „Lunch Tendances Eco“, 03.05.2005.<br />

116


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

eines Forums erhebliche Unterschiede zwischen den Teilnehmenden geben kann. Nachstehende<br />

Grafik zeigt exemplarisch, wie viele Bezugnahmen auf die verschiedenen UserInnen<br />

hergestellt wurden. 129<br />

UserInnen<br />

11<br />

10 987<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

18<br />

17<br />

14<br />

15<br />

16<br />

1312<br />

6 Mittelwert<br />

5 4<br />

3<br />

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />

Anzahl Bezugnahmen auf<br />

Grafik 29: Bezugnahmen auf die Teilnehmenden in Online-Foren<br />

2<br />

1<br />

n = 155<br />

Die oben stehende Grafik zeigt, wie sich die UserInnen unterschiedlich stark auf die verschiedenen<br />

Diskussionsteilnehmenden beziehen. Es ist gut ersichtlich, dass es sich nicht<br />

um einen ausgeglichen Fluss von Posts handelt, sondern die Reziprozität asymmetrisch<br />

verläuft. Auf einige Beiträge wird kein Bezug genommen, auf andere überdurchschnittlich<br />

oft. Zusammenfassend gleicht die Reziprozität einem many-to-one flow, also einem Fluss,<br />

indem sich viele insbesondere auf eine/n UserIn beziehen.<br />

Hinsichtlich der Untersuchungsebene Deutschschweiz und Westschweiz sind die Werte<br />

nahezu identisch. Die google.groups allerdings lassen eine leicht höhere Anzahl Bezugnahmen<br />

auf eine Person erkennen als die Foren von Medienverlagshäusern (3.9-mal bzw.<br />

2.3-mal).<br />

Bezugnahme auf Person Google Medienverlagshäuser<br />

Ø Anzahl Bezugnahmen auf eine<br />

Person<br />

3.9 2.3<br />

Anzahl UserInnen mit einem Post 40.1% 63.1%<br />

Teilnehmende n = 247 n = 414<br />

Bezugnahmen n = 952 n = 945<br />

Tabelle 17: Durchschnittliche Anzahl Bezugnahmen nach Forenanbieter<br />

Ein Erklärungsgrund dafür ist die Anzahl der Teilnehmenden mit punktuellem Nutzungsverhalten:<br />

Je mehr Personen sich an einer Diskussion beteiligen respektive je mehr Personen<br />

lediglich einmal ein Post aufschalten, desto weniger Bezugnahmen auf die Teilnehmenden<br />

werden durchschnittlich hergestellt. Da es in den Foren der Medienverlagshäuser<br />

mehr One-Poster gibt als in den google.groups ist die Anzahl Bezugnahmen auf eine Person<br />

niedriger.<br />

129 Das Forum der Gruppe „ch.talk“ mit dem Titel „Blick: die dreisten Lügen der Schengen-Gegner“, aufgeschaltet<br />

am 30.05.2005, http://groups.google.ch/group/ch.talk/browse_frm/thread/e27d32a4f3565663/,<br />

[Stand: 15.12.2005].<br />

117


Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Kurzzusammenfassung: Das Spiel der Rede und Gegenrede wird in den traditionellen<br />

elektronischen Medien intensiver geführt als in den Online-Foren. Der Diskursverlauf ist –<br />

betrachtet man die Wechselbeziehung der Gesprächsbeteiligten – folglich im Internet weniger<br />

reziprok als in den klassischen Medien. Im Schnitt wird in Radio und Fernsehen rund<br />

dreimal häufiger eine Bezugnahme auf eine/n andere/n AkteurIn hergestellt als im Internet.<br />

In den traditionellen elektronischen Medien läuft der Diskurs überwiegend über die Gesprächsleitung<br />

und nicht zwischen den Teilnehmenden. In den Redebeiträgen der Diskutierenden<br />

wird dreimal häufiger auf den/die M<strong>oder</strong>atorIn als auf die Teilnehmenden Bezug<br />

genommen. Die M<strong>oder</strong>ation ist der Mittelpunkt der Diskussion. Dieses Resultat wird durch<br />

die Ergebnisse bezüglich des Sprecherwechsels bestätigt. Dabei wurde festgestellt, dass die<br />

Rolle der Gesprächsleitung mit einer Art Übernahme-Privileg verknüpft ist und wobei die<br />

M<strong>oder</strong>ation potentiell immer den nächsten Gesprächsschritt übernimmt. Die Teilnehmenden<br />

erhalten das Wort vor allem durch die M<strong>oder</strong>ation <strong>oder</strong> ergreifen es eigeninitiativ. Gegenseitig<br />

fordern sie sich selten zum Sprechen auf.<br />

Das Spiel von Rede und Gegenrede wird in den Internet-Foren insgesamt weniger intensiv<br />

geführt als in den klassischen Medien. Innerhalb eines Forums kann die Bezugnahme auf<br />

die Teilnehmenden sehr unterschiedlich oft erfolgen. Einige Beiträge bleiben ohne Antwort,<br />

auf andere beziehen sich überdurchschnittlich viele UserInnen. Die Reziprozität verläuft<br />

asymmetrisch. Insgesamt kann festgehalten werden, je mehr UserInnen bzw. One-<br />

Poster an der Diskussion teilnehmen, desto weniger Bezugnahmen auf einzelne Personen<br />

gibt es.<br />

118


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

6.5 Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander<br />

sprechen<br />

In diesem Teil der Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, inwiefern sich die AkteurInnen<br />

in den dialogischen Formaten überhaupt aufeinander beziehen. Schliesslich ist<br />

die wechselseitige Bezugnahme der Sprechenden aufeinander eine zentrale Voraussetzung<br />

für das Zustandekommen eines <strong>Dialog</strong>s. Gehen die Diskursbeteiligten nicht auf die Positionen<br />

und Argumente der Anderen ein, werden verschiedene Meinungen einfach präsentiert,<br />

ohne dass ein Meinungsaustausch stattfindet, dann ist auch die grundlegende Verständigungsorientierung<br />

bedroht, denn Reziprozität bezeichnet „the first progressive level<br />

to the process of understanding“ (Graham / Witschge 2003:185, Hervorhebung v. Verf.).<br />

Von Interesse ist demnach, ob und in welchem Mass die AkteurInnen der Medienarena<br />

aufeinander Bezug nehmen <strong>oder</strong> ob sie die Gelegenheit lediglich zur Darstellung der eigenen<br />

Positionen nutzen. Ausgehend von erkenntnisleitenden Hypothesen richtete sich das<br />

Augenmerk besonders auf den Vergleich zwischen den Mediengattungen Radio und Fernsehen<br />

einerseits und den Online-Foren andererseits sowie innerhalb der klassischen Medien<br />

auf die unterschiedlichen <strong>Dialog</strong>formate. Es konnten jedoch auch Befunde für die<br />

unterschiedliche Diskursqualität bezüglich der verschiedenen Anbieter sowie sprachregionale<br />

Besonderheiten festgestellt werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse zusammenfassend<br />

vorgestellt.<br />

Der Vergleich zwischen Radio und Fernsehen sowie den Online-Foren verweist auf wesentliche<br />

Unterschiede zwischen den traditionellen und den neuen elektronischen Medien.<br />

Damit sich die Diskursteilnehmenden überhaupt aufeinander beziehen können, müssen<br />

sie zunächst einmal das Rederecht erhalten. Der Sprecherwechsel, also die wechselseitige<br />

Übernahme der Sprecherrolle, ist somit eine Voraussetzung für das Zustandekommen<br />

eines <strong>Dialog</strong>s und damit interessant für die Bestimmung der Diskursqualität. In diesem<br />

Punkt bestehe ein zentraler Unterschied zwischen den beiden Mediengattungen: In den<br />

klassischen Medien ist es die Aufgabe der Gesprächsleitung, die Verteilung des Rederechts<br />

zu vorzunehmen. Da die M<strong>oder</strong>ation in Online-Foren fehlt, müssen bzw. können die UserInnen<br />

den Sprecherwechsel selbst regulieren. Ein Unterschied zwischen den Mediengattungen<br />

besteht deshalb in der Rollendifferenzierung von Gesprächsteilnahme und Gesprächsführung.<br />

Im Fall der klassischen Medien ist sie personell unterteilt, in den Diskussionsforen<br />

wird sie dagegen zusammengeführt. Dieser konstitutive Unterschied hat Auswirkungen<br />

auf den Sprecherwechsel. Dennoch wird in beiden Mediengattungen insgesamt<br />

das Gespräch von den AkteurInnen in erster Linie eigeninitiativ übernommen. Aufgrund<br />

der fehlenden Rollendifferenzierung fällt die Selbstwahl in den Online-Foren allerdings<br />

deutlich höher aus als in den klassischen Medien. Interessanter dagegen ist die Fremdwahl,<br />

bei welcher der/die augenblickliche SprecherIn vom vorangegangenen Sprecher bzw.<br />

Sprecherin als neue/r RednerIn bestimmt wird.<br />

Im Gegensatz zu den traditionellen elektronischen Medien, bei denen die medialen Rollen<br />

in DiskursübermittlerIn und -teilnehmerIn eingeteilt werden können, verschmelzen beide<br />

Rollenausprägungen in den Online-Foren bis zu einem gewissen Grad. Dadurch ist der<br />

Anteil der Teilnehmendenwahl im Internet gut dreimal höher als in Radio und Fernsehen.<br />

Trotzdem ist der Anteil derer, die sich gegenseitig auffordern ihre Meinung abzugeben,<br />

immer noch relativ gering. Schliesslich ist die Fremdwahl in den Diskussionsforen die einzige<br />

Möglichkeit, den <strong>Dialog</strong> zu forcieren. Da aber viele Teilnehmende nur punktuell in<br />

die Diskussion eingreifen, findet ein Meinungsaustausch bzw. eine vertiefte Auseinandersetzung<br />

der Positionen zwischen denselben Beteiligten nur bedingt statt, was der Diskursqualität<br />

abträglich ist. Die so genannten One-Poster, zu denen über die Hälfte aller UserIn-<br />

119


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

nen zu zählen sind, beteiligen sich mit nur einem einzigen Post an der Diskussion. Immerhin<br />

gibt es einige NutzerInnen, die erstens die Problematik der Nicht-M<strong>oder</strong>iertheit erkennen<br />

und zweitens durch Aufforderung versuchen etwas dagegen zu unternehmen. Allerdings<br />

sind es lediglich die engagierten Teilnehmenden, die gleichzeitig den Diskurs hinterfragen<br />

und zwischen den AkteurInnen vermitteln. Insgesamt kann festgestellt werden, dass<br />

die UserInnen die Rolle der M<strong>oder</strong>ation der klassischen Medien nur beschränkt kompensieren<br />

können.<br />

In den dialogischen Formaten der traditionellen elektronischen Medien sind sowohl der<br />

Diskurs als auch die Rollen zu einem gewissen Grad institutionalisiert. Bei Radio und<br />

Fernsehen gehört es zur Aufgabe des/der M<strong>oder</strong>atorIn dafür zu sorgen, dass es zu keiner<br />

systematischen Verzerrung des Gesprächs kommt. Durch die Verteilung und Überwachung<br />

des Rederechts soll sichergestellt werden, dass die Teilnehmenden ausgeglichen zu Wort<br />

kommen. Es hat sich gezeigt, dass der Diskurs in den klassischen Medien vor allem über<br />

die M<strong>oder</strong>ation läuft. Damit ist sie Dreh- und Angelpunkt des Diskussionsverlaufs. Die<br />

Teilnehmenden erhalten das Wort in über der Hälfte aller Sprecherwechsel durch die M<strong>oder</strong>ation,<br />

am zweithäufigsten ergreifen sie es durch Selbstwahl. Interessant ist in diesem<br />

Zusammenhang, dass sich die Teilnehmenden in den klassischen Medien nur zu einem<br />

geringen Teil gegenseitig auffordern, Stellung zu beziehen <strong>oder</strong> einander eine Frage stellen.<br />

Die Tatsache, dass sie sich gegenseitig selten zum Sprechen auffordern, sagt etwas<br />

über die Intensität des Diskurses aus. Eine häufige gegenseitige Aufforderung würde darauf<br />

hindeuten, dass die Beteiligten ein grosses Interesse an einem Meinungsaustausch haben<br />

und einen Punkt ausdiskutieren wollen. Das ist wie gesagt, jedoch nur begrenzt der<br />

Fall. Die Teilnehmenden verlassen sich diesbezüglich auf die M<strong>oder</strong>ation. Diese Form der<br />

Diskussion hat sich eingespielt, die Regel, dass vor allem die Gesprächsleitung die initiierenden<br />

Akte übernimmt und das Rederecht verteilt, ist allgemein anerkannt. Die Resultate<br />

des Sprecherwechsels deuten demnach darauf hin, dass die Teilnehmenden in erster Linie<br />

die Frage-Antwort-Struktur mit der M<strong>oder</strong>ation aufrechterhalten und dadurch den Raum<br />

erhalten, um ihre eigene Meinung darstellen zu können. Für die Diskursqualität bedeutet<br />

das, dass die AkteurInnen in der Tendenz keine vertiefte Auseinandersetzung lancieren.<br />

Anhand der Reziprozität können Aussagen darüber gemacht werden, wie intensiv der Diskurs<br />

ist, d.h. wie stark sich die Teilnehmenden aufeinander beziehen. Die Bestimmung des<br />

Grades an Reziprozität gibt Auskunft darüber, wie deliberativ der Diskurs eigentlich ist:<br />

Eine Diskussion erwirbt ihren deliberativen Charakter u.a. dadurch, dass die Gesprächsbeteiligten<br />

auf die Argumente des Gegenübers eingehen und sich damit auseinandersetzen.<br />

Dabei ist zentral, dass es bei der Bezugnahme auf andere Redebeiträge und Posts qualitative<br />

Unterschiede gibt. Nur weil ein/e SprecherIn auf den Beitrag eines Vorredners / einer<br />

Vorrednerin reagiert, heisst das noch nicht, dass er/sie sich auf die zuvor dargelegte Positionen<br />

<strong>oder</strong> Argumentation bezieht. Eine „oberflächliche“, also rein sprachlich und/<strong>oder</strong><br />

thematisch hergestellte Bezugnahme unterscheidet sich von der argumentativen, bei der<br />

sich der/die Sprechende mit der Argumentation des Gegenübers auseinandersetzt. Für die<br />

politische Meinungs- und Willensbildung ist insbesondere die argumentative Auseinandersetzung<br />

von Bedeutung, die es den RezipientInnen ermöglicht, die GesprächspartnerInnen<br />

im Diskursfeld der verschiedenen Positionen zu situieren.<br />

Erstaunlicherweise sind insgesamt keine grossen Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen<br />

einerseits und dem Internet andererseits auszumachen, wie dies aufgrund der unterschiedlichen<br />

Rollenausprägungen hätte erwartet werden können. Schliesslich ist die M<strong>oder</strong>ation<br />

in den klassischen Medien potentiell auch dafür zuständig, die Aussagen der Beteiligten<br />

kritisch zu hinterfragen. Ein Angriff bzw. eine Infragestellung durch die Gesprächsleitung<br />

sollte von den Teilnehmenden zurückgewiesen werden, was wiederum eine argumentative<br />

Bezugnahme nötig macht. Die M<strong>oder</strong>ation sollte in den Diskurs eingreifen,<br />

wenn die Teilnehmenden lediglich Positionen äussern ohne wirklich miteinander zu spre-<br />

120


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

chen, um diskursive Qualität zu gewährleisten. In beiden Mediengattungen wird in rund<br />

einem Fünftel ganz auf eine Bezugnahme verzichtet. In den klassischen Medien ist es in<br />

erster Linie die M<strong>oder</strong>ation, die keinen Bezug herstellt, was durch die gesprächsleitenden<br />

Aufgaben erklärbar ist (s.u.). Das bedeutet, vergleicht man lediglich die Teilnehmenden<br />

(ohne M<strong>oder</strong>ation) der beiden Mediengattungen, dass die UserInnen knapp zweieinhalb<br />

Mal häufiger auf eine Bezugnahme verzichten als die Beteiligten in den klassischen Medien.<br />

Das bestätigt die Annahme, dass die Rollen im Internet bis zu einem gewissen Grad<br />

verschmelzen. Eröffnen die UserInnen bspw. einen neuen Thread, setzen sie also ein neues<br />

Unterthema, übernehmen sie damit eine Aufgabe, die in den klassischen Medien hauptsächlich<br />

durch die M<strong>oder</strong>ation wahrgenommen wird.<br />

In beiden Mediengattungen liegt der Anteil an argumentativen Bezugnahmen bei lediglich<br />

rund einem Fünftel; im Internet liegt er unwesentlich höher. Dies ist ein eher bescheidener<br />

Wert, bedenkt man, dass laut den Vorstellungen des idealen Diskurses Argumente ausgetauscht<br />

und kritisch hinterfragt werden sollen, um so zur Entscheidungs- und Willensbildung<br />

der RezipientInnen beizutragen. Die AkteurInnen beschränken sich in drei Fünftel<br />

der Fälle auf eine oberflächliche, also rein sprachliche <strong>oder</strong> thematische Bezugnahme. Die<br />

wirkliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Anderen steht somit nicht im Vordergrund,<br />

vielmehr wird in erster Linie das Ziel verfolgt, den eigenen Standpunkt, die eigene<br />

Meinung in den Raum zu stellen. Diese Resultate deuten darauf hin, dass es vornehmlich<br />

zu einem Schlagabtausch von Parolen und weniger zu einem wirklichen Meinungsaustausch<br />

kommt. Der vordergründig responsive Charakter der Gespräche ist der Diskursqualität<br />

nicht zuträglich. Dass die Ergebnisse für beide Mediengattung ähnlich ausfallen zeigt,<br />

dass die Foren-Kommunikation trotz ihrer medialen Schriftlichkeit eher der spontanen<br />

denn der geplanten Sprache zuzurechnen und damit eher dem Charakter des mündlichen<br />

Gesprächs verpflichtet ist. Das wiederum bedeutet, dass die Möglichkeit des Internets, die<br />

Argumentation im Rahmen der schriftlichen Kommunikation zu „planen“, anscheinend<br />

nicht genutzt wird. Stellt man einen intermediären Vergleich der Teilnehmenden (ohne<br />

M<strong>oder</strong>ation) in den beiden Mediengattungen an, kann festgestellt werden, dass die Qualität<br />

der Bezugnahme im Internet leicht höher ist als in Radio und Fernsehen. Dies ist ein interessantes<br />

Ergebnis, zeigt es doch, dass in den Diskussionen im Internet ein leicht stärkerer<br />

argumentativer Austausch stattfindet. Das lässt den Rückschluss zu, dass die dialogischen<br />

Formate in den traditionellen elektronischen Medien nicht in erster Linie dazu dienen, die<br />

Meinungen zu ändern <strong>oder</strong> zu modifizieren, sondern dass die Positionen von vorneherein<br />

festgelegt sind. Die Teilnehmenden wollen vorab die eigenen Positionen darstellen und<br />

überzeugen respektive überreden. Im Internet dagegen sind die Sichtweisen nicht von<br />

vornherein klar definiert. Oft ist nicht ersichtlich, ob ein/e UserIn dem Abstimmungsthema<br />

befürwortend <strong>oder</strong> ablehnend gegenübersteht. Dies ist ein Vorteil, da ernsthaft auf die Argumente<br />

und Einwände eingegangen werden kann, die Äusserungen auf ihren Inhalt hin<br />

abgewogen werden müssen. Sind die Positionen vorgefasst, geht es oft lediglich darum,<br />

der gegenteiligen Meinung etwas entgegenzuhalten. Dies zeigt, dass das Internet potentiell<br />

eine Chance bietet, für den Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung eine<br />

wichtige Rolle zu spielen. 130 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die öffentliche<br />

Kommunikation in Radio und Fernsehen und im Internet nur in begrenztem Masse eine<br />

Kommunikation zwischen den Sprechenden darstellt. Die dialogischen Formate erfüllen<br />

somit die Mindestanforderung, nämlich zwischen den Positionen zu vermitteln, nur in begrenztem<br />

Mass. Dass die Beteiligten nicht verstärkt auf andere Position eingehen ist für die<br />

Diskursqualität bedenklich. 131 Die Hypothese, dass der Diskursverlauf in Online-Foren<br />

gegenüber Radio und Fernsehen weniger reziprok ist, dass also die einzelnen Teil-<br />

130 Vgl. dazu Kapitel 5.3, S. 86ff.<br />

131 Welche Effekte damit auf der RezipientInnenseite verbunden sind, lässt sich freilich nicht sagen.<br />

121


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

nehmenden weniger auf die Argumente der Anderen eingehen, kann nicht bestätigt<br />

werden.<br />

Das Netz der Interaktion zeigt die Wechselbeziehung der Teilnehmenden, also ihre Interaktion,<br />

und beschreibt, wer sich auf wen bezieht. Der intermediäre Vergleich zeigt erhebliche<br />

Unterschiede zwischen den beiden Mediengattungen. Im Internet liegt die durchschnittliche<br />

Anzahl Bezugnahmen auf eine Person knapp dreimal tiefer als in Radio und<br />

Fernsehen. Das hängt mit der grossen Zahl an Personen zusammen, die sich nach einmaligem<br />

Posten aus der Diskussion verabschieden. Aus deliberativer Sicht kann eine Beratschlagung<br />

nur schlecht stattfinden, wenn die meisten UserInnen lediglich einen Beitrag<br />

verfassen. Ein Abwägen der Argumente, ein kontinuierlicher Meinungsaustausch wird so<br />

erschwert, da die Diskussion jeweils von anderen Teilnehmenden fortgeführt wird. In diesem<br />

Zusammenhang muss allerdings festgehalten werden, dass es innerhalb eines Forums<br />

erhebliche Unterschiede zwischen den Teilnehmenden geben kann. Der Fluss der Posts<br />

zwischen den UserInnen ist nicht ausgeglichen, sondern verläuft asymmetrisch. Auf einige<br />

Beiträge etwa wird gar kein Bezug genommen, auf andere hingegen überdurchschnittlich<br />

oft. Zusammenfassend gleicht das Netz der Interaktion einem many-to-one flow, also einem<br />

Fluss, indem sich viele insbesondere auf eine/n UserIn beziehen. Das Spiel der Rede<br />

und Gegenrede wird in den traditionellen elektronischen Medien insgesamt intensiver geführt<br />

als in den Online-Foren.<br />

Auf Ebene des <strong>Dialog</strong>formats konnten teilweise deutliche Unterschiede festgestellt werden.<br />

Die Analyse des Sprecherwechsels hat gezeigt, dass in Interviews das Gespräch stärker<br />

über die M<strong>oder</strong>ation läuft als in Debatten, in denen die Teilnehmenden das Gespräch<br />

öfter eigeninitiativ übernehmen. Die Abfolge der Redebeiträge ist in Interviews strukturierter<br />

als in Debatten, in denen sich mehrere Personen gegenüberstehen, die alle zu Wort<br />

kommen möchten. In Interviews ist der Sprecherwechsel durch die besondere Form des<br />

Gesprächs leichter vorhersehbar als in Debatten, in denen nicht immer feststeht, wer als<br />

nächstes das Wort ergreifen wird. Hinsichtlich der Reziprozität konnte gezeigt werden,<br />

dass die AkteurInnen in Debatten eher einen oberflächlichen Bezug zu einem vorangegangenen<br />

Redebeitrag herstellen als in Interviews. In Interviews wird demnach häufiger auf<br />

eine Bezugnahme verzichtet als in Debatten. In diesem Zusammenhang muss allerdings<br />

festgehalten werden, dass ein Unterschied zwischen Gesprächsleitung (s.u.) und Teilnehmenden<br />

zu verzeichnen ist. Die Teilnehmenden in Debatten verzichten knapp dreimal häufiger<br />

auf eine Bezugnahme als in Interviews. Das deutet darauf hin, dass die Beteiligten in<br />

Ersteren eher daran interessiert sind, eigene Themenschwerpunkte zu setzen. Die Untersuchung<br />

hat weiter gezeigt, dass die Teilnehmenden in Debatten stärker auf die Argumente<br />

der Anderen eingehen als in Interviews. Das bedeutet, dass die Teilnehmenden in Interviews<br />

eher darauf bedacht sind, ihre eigene Position darzustellen. Ihre Redebeiträge weisen<br />

einen vordergründig responsiven Charakter auf, den sie sprachlich <strong>oder</strong> thematisch herstellen,<br />

um dann – ohne näher auf das Gesagte einzugehen – eine eigene Ansicht zu postulieren.<br />

Das Netz der Interaktion zeigt die Wechselbeziehung der Teilnehmenden, und bestätigt<br />

die Resultate hinsichtlich des Sprecherwechsels: In Interviews nehmen die Teilnehmenden<br />

häufiger Bezug auf die M<strong>oder</strong>ation als in Debatten, in denen sich mehrere AkteurInnen<br />

gegenüber stehen. Die M<strong>oder</strong>ation nimmt in Interviews, der strukturierteren Gesprächsform,<br />

mehr Gewicht ein als in Debatten. Die Hypothese, dass das Eingehen auf<br />

die Argumente des Anderen in Interviews höher ist als in Debatten, muss falsifiziert<br />

werden.<br />

Ein weiteres Untersuchungskriterium ist die ökonomische Stellung der Anbieter. Bei den<br />

klassischen elektronischen Medien werden die Resultate zwischen den öffentlichen und<br />

privaten Anbietern dargestellt. Für den Sprecherwechsel lassen sich keine grossen Unter-<br />

122


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

schiede feststellen. In den Sendungen der öffentlichen Anbieter läuft der Diskurs etwas<br />

stärker über die M<strong>oder</strong>ation. Dieser Unterschied ist jedoch damit zu erklären, dass der Einfluss<br />

der Interviewsendungen bei der die SRG SSR idée suisse deutlich stärker ist als bei<br />

den Privaten. Wie bereits festgestellt worden ist, ist die M<strong>oder</strong>ation in den Interviews stärker<br />

präsent als in den Debatten. Bezüglich der Reziprozität sind weder hinsichtlich der<br />

oberflächlichen noch der argumentativen Bezugnahme nennenswerte Unterschiede feststellbar.<br />

In den Sendungen der öffentlichen Anbieter wird die argumentative Auseinandersetzung<br />

leicht intensiver geführt als in denjenigen der privaten.<br />

Bei den Online-Foren wird zwischen google.groups und Online-Foren von Medienverlagshäusern<br />

unterschieden. Auf dieser Ebene lassen sich hinsichtlich des Sprecherwechsels<br />

keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Bezüglich der Reziprozität gibt es indes<br />

Differenzen: Die Teilnehmenden in den Diskussionsforen von Google beziehen sich insgesamt<br />

deutlich häufiger auf einen vorangegangen Beitrag als dies in den übrigen Foren der<br />

Fall ist. In den Foren der Medienverlagshäuser verzichten die Teilnehmenden gut zehnmal<br />

häufiger auf einen Bezug zu einem anderen Post als dies in den google.groups der Fall ist.<br />

Hier kann das Nutzungsverhalten der Teilnehmenden eine Erklärung für die Differenz liefern.<br />

Der Anteil derer, die nach einmaligem Posten das Forum verlassen, ist in erstgenannten<br />

Foren gut eineinhalb Mal höher als in den google.groups. Die Marktstellung der Forenanbieter<br />

könnte eine mögliche Erklärung dafür liefern, insofern als sie potentiell einen Einfluss<br />

auf die Anzahl One-Poster haben. Auf die Foren, welche sozusagen ‚Anhängsel’ von<br />

Medienanbietern sind, wird in den traditionellen elektronischen Medien bzw. in den Angeboten<br />

wie Online-Zeitungen verwiesen. Die LeserInnen könnten sich versucht fühlen, sporadisch<br />

das Zusatzangebot „Forum“ zu besuchen und sich allenfalls auch einmal zu beteiligen.<br />

Die google.groups dagegen verfügen nicht über eine entsprechende Verlinkung zwischen<br />

Informationsangebot und Forendiskussionen. Der Zugang zum Forum erfolgt über<br />

die jeweilige Usenet Gruppe, die tendenziell einen „Mitgliederstamm“ aufweist. Dies ist<br />

eine mögliche Einflussgrösse, die es bei der Frage, ob und warum sich UserInnen kontinuierlich<br />

beteiligen, zu beachten gilt. 132 Bei der Bezugnahme handelt es sich bei beiden Anbietern<br />

meistens um eine oberflächliche Bezugnahme. Ein argumentativer Bezug wird –<br />

praktisch unabhängig vom Anbieter – lediglich in rund einem Fünftel hergestellt. Der Anteil<br />

an dieser echten Bezugnahme ist in den google.groups lediglich minimal höher. Das<br />

bedeutet, dass der Anteil an Personen, die um eine richtige Diskussion bemüht sind bzw.<br />

der Anteil an argumentativer Auseinandersetzung innerhalb des Diskurses ungefähr gleich<br />

hoch ist. Die Foren differieren lediglich in der oberflächlichen Bezugnahme bzw. im Verzicht<br />

auf eine Bezugnahme. Auf die argumentative Auseinandersetzung der Diskussionsbeteiligten<br />

hat damit der Anbieter keinen Einfluss. In Bezug auf das Netz der Interaktion lässt<br />

sich bei den Foren von Google eine leicht höhere Anzahl Bezugnahmen auf eine Person<br />

erkennen. Dies ist mit der Anzahl Teilnehmenden erklärbar: Je mehr Personen sich an einer<br />

Diskussion beteiligen respektive je mehr Personen lediglich einmal ein Post aufschalten,<br />

desto weniger Bezugnahmen auf die Teilnehmenden werden durchschnittlich hergestellt.<br />

132 Eine weitere solche Einflussgrösse ist in unterschiedlichen technischen Möglichkeiten zu sehen. In manchen<br />

Foren können sich die VerfasserInnen per e-Mail benachrichtigen lassen, wenn ein/e andere/r UserIn<br />

eine Replik zum eigenen Post verfasst hat, in anderen hingegen nicht. Wird davon Gebrauch gemacht, dürften<br />

die Benachrichtigten eine gesteigerte Neugier entwickeln, die Diskussion weiterzuverfolgen und sich<br />

allenfalls erneut aktiv in den Diskurs einzubringen. Bei den untersuchten Foren war es zum Zeitpunkt der<br />

Datenerhebung bei espace.ch, baz.ch und bei den google.groups für Antwortende möglich, die ursprünglichen<br />

VerfasserInnen via e-Mail zu informieren, dass auf ihr Post eine Replik verfasst wurde. Bei espace.ch<br />

konnten sich die VerfasserInnen auch in umgekehrter Richtung dafür entscheiden, sprich sich informieren zu<br />

lassen.<br />

123


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Eine weitere mögliche Vergleichsebene, die indes im vorangehenden Kapitel nicht eingehender<br />

betrachtet wurde, bildet die Unterscheidung zwischen Radio und Fernsehen. Bezüglich<br />

des Sprecherwechsels konnte festgestellt werden, dass in den dialogischen Radioformaten<br />

der Diskurs stärker durch die M<strong>oder</strong>ation beeinflusst wird als im Fernsehen, wo<br />

die Teilnehmenden das Wort häufiger eigeninitiativ übernehmen. In den Fernsehsendungen<br />

diskutieren die Beteiligten häufiger unter sich, sie fordern sich knapp doppelt so oft gegenseitig<br />

zu sprechen auf wie im Radio. Dies ist allerdings wiederum durch das dominierende<br />

<strong>Dialog</strong>format zu erklären: In den untersuchten dialogischen Radioformaten ist der Einfluss<br />

von Interviews stärker als in den Fernsehsendungen. Die Ergebnisse bezüglich der Reziprozität<br />

sind dagegen weniger unterschiedlich. Zwischen Radio und Fernsehen lassen<br />

sich hinsichtlich der oberflächlichen Bezugnahme nur minimale Unterschiede feststellen.<br />

In den dialogischen Fernsehformaten wird insgesamt etwas häufiger auf einen vorgängigen<br />

Redebeitrag Bezug genommen. Hinsichtlich der argumentativen Bezugnahme gibt es zwischen<br />

Radio und Fernsehen praktisch keine Unterschiede.<br />

Die Sprachregionen sind ein weiteres Unterscheidungskriterium. Der Diskurs verläuft in<br />

den klassischen Medien, wie festgestellt wurde, vor allem über den/die M<strong>oder</strong>atorIn. Allerdings<br />

ist der Einfluss der Gesprächsleitung nicht in beiden Landesteilen gleich stark. In<br />

der Deutschschweiz erhalten die Teilnehmenden das Wort in knapp der Hälfte aller Sprecherwechsel<br />

durch den/die M<strong>oder</strong>atorIn erteilt, in der Romandie ist dies gar in drei Fünfteln<br />

der Sprecherwechsel der Fall. Dass die M<strong>oder</strong>ation in der Westschweiz ein stärkeres<br />

Gewicht einnimmt, ist durch das Verhältnis zwischen Interviews und Debatten zu erklären,<br />

da in Interviews der M<strong>oder</strong>ation ein stärkeres Gewicht zukommt. Keinen Unterschied hingegen<br />

gibt es bei der Fremdwahl der Teilnehmenden untereinander. In beiden Landesteilen<br />

fordern sie sich gleich selten gegenseitig zu sprechen auf. Bei den Online-Foren sind ebenfalls<br />

Unterschiede zwischen den Regionen feststellbar: In der Romandie wird häufiger der<br />

nächste Sprecher „fremd-gewählt“ als in der Deutschschweiz. Dies ist anhand der Forenstruktur<br />

erklärbar. Da die Foren in der Westschweiz keine automatisierte Antwortmöglichkeit<br />

kennen, ist die Notwendigkeit der Fremdwahl eher gegeben. Durch eine Baumstruktur<br />

– wie sie in den übrigen Foren anzutreffen ist – ist für die UserInnen demgegenüber sofort<br />

ersichtlich, wer sich auf welches Post bezieht. Eine Erwiderung darauf ist durch die Möglichkeit<br />

auf ausgewählte Beiträge zu antworten sehr einfach. Fehlt diese Struktur jedoch,<br />

müssen andere Teilnehmende zum Verfassen einer Replik eher aktiv aufgefordert werden,<br />

um in einen <strong>Dialog</strong> zu treten respektive um den <strong>Dialog</strong> zu forcieren.<br />

Für die klassischen Medien gibt es bezüglich der Reziprozität zwischen den Landesteilen<br />

keine grossen Unterschiede. Im Internet allerdings können Differenzen festgestellt werden:<br />

In den Online-Foren der Westschweiz wird mehr als doppelt so häufig auf eine Bezugnahme<br />

auf ein vorangegangenes Post verzichtet wie in der Deutschschweiz. Die Online-<br />

Foren der Deutschschweiz weisen nebst der oberflächlichen auch einen höheren Anteil an<br />

argumentativer Bezugnahme auf als die Foren der Westschweiz. Die Differenz bezüglich<br />

der vordergründigen Bezugnahme ist erneut auf die Struktur der Foren zurückzuführen.<br />

Besteht die Möglichkeit, per Mausklick auf ein ausgewähltes Post antworten zu können,<br />

wird schneller – zumindest – oberflächlich Bezug genommen. Da die Foren in der Romandie<br />

chronologisch aufgebaut sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die User lediglich<br />

die letzten Posts lesen. Möchten sie sich zu einem anderen Thema äussern, schreiben sie<br />

ein neues Post, obwohl es vielleicht bereits in einem älteren Beitrag behandelt wurde. Damit<br />

kann festgehalten werden, dass sich die strukturellen Vorgaben und technischen Möglichkeiten<br />

auf die Foren-Kommunikation auswirken, hinsichtlich der argumentativen Bezugnahme<br />

ist dieser Erklärungsansatz indes nicht aussagekräftig. Die Untersuchungsebene<br />

Deutschschweiz und Westschweiz weist weder in den klassischen noch in den neuen elektronischen<br />

Medien in Bezug auf das Netz der Interaktion Auffälligkeiten auf.<br />

124


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

Ein wesentliches Merkmal der traditionellen elektronischen Medien ist die Rolle der M<strong>oder</strong>ation,<br />

welche im Folgenden gesondert betrachtet werden soll. Die medialen Rollen<br />

M<strong>oder</strong>atorIn, AkteurInnen und Publikum sind in den Sendungen der traditionellen elektronischen<br />

Medien vorgegeben. Die M<strong>oder</strong>ation übernimmt potentiell allerdings eine Doppelrolle<br />

als Diskursübermittlerin und -teilnehmerin. Die Ergebnisse des Sprecherwechsels<br />

haben gezeigt, dass der Diskurs wesentlich durch die M<strong>oder</strong>ation geprägt ist und sie demnach<br />

Einfluss auf den Verlauf der Diskussion ausübt. Die M<strong>oder</strong>ation ist die zentrale<br />

Schaltstelle im Diskurs. Allerdings nimmt sie in erster Linie die Funktion der Gesprächsleitung<br />

wahr, die das Rederecht verteilt, ist aber selbst praktisch nicht in den <strong>Dialog</strong> eingebunden.<br />

Die Teilnehmenden fordern die M<strong>oder</strong>atorInnen dementsprechend selten zu sprechen<br />

auf. Die M<strong>oder</strong>ation ergreift das Wort jeweils eigeninitiativ und verteilt ihrerseits das<br />

Rederecht an die Diskussionsteilnehmenden. Damit lässt sich feststellen, dass die Rolle der<br />

Diskussionsleitung mit einer Art Übernahme-Privileg beim Sprecherwechsel verknüpft ist.<br />

In dieser Funktion ist der/die M<strong>oder</strong>atorIn nämlich jeweils der/die potentiell nächste SprecherIn,<br />

sei es, um das Wort lediglich weiterzugeben, Stimmen zusammenzufassen <strong>oder</strong><br />

einen Themenwechsel vorzunehmen. In diesem Zusammenhang muss angefügt werden,<br />

dass die Rolle der M<strong>oder</strong>ation je nach <strong>Dialog</strong>format unterschiedlich ausgestaltet wird respektive<br />

unterschiedlich starken Einfluss auf den Diskurs ausübt. Bei Interviews ist die<br />

M<strong>oder</strong>ation stärker präsent als in Debatten, in denen die Teilnehmenden das Gespräch öfter<br />

eigeninitiativ übernehmen. Zusammenfassend lassen sich anhand des Sprecherwechsel<br />

bereits verschiedene Punkte zur Rolle der M<strong>oder</strong>ation aufführen: Der/die M<strong>oder</strong>atorIn hat<br />

in der Funktion als GesprächsleiterIn die Aufgabe, über die Verteilung des Rederechts insgesamt<br />

zu wachen. Die Teilnehmenden erhalten das Wort in über der Hälfte aller Sprecherwechsel<br />

durch die M<strong>oder</strong>ation erteilt. Damit ist die M<strong>oder</strong>ation Organisatorin der Sendung,<br />

sie legt den Ablauf fest und strukturiert sie in einzelne Abschnitte. Des Weiteren<br />

zeigt sich die M<strong>oder</strong>ation gesprächsführend. Die Teilnehmenden diskutieren nur in kurzen<br />

Sequenzen ohne M<strong>oder</strong>atorIn miteinander.<br />

Hinsichtlich der Reziprozität lassen sich ebenfalls Unterschiede zwischen der Gesprächsleitung<br />

und den Teilnehmenden feststellen. Wie erwartet, ist es vor allem die M<strong>oder</strong>ation,<br />

die auf eine Bezugnahme verzichtet. Dies ist in knapp zwei Fünftel aller Bezugnahmen der<br />

Fall. Denn die Aufgaben der Diskussionsleitung haben Auswirkungen auf die Reziprozität:<br />

Die M<strong>oder</strong>ation verzichtet bspw. auf eine Bezugnahme, wenn ein neues Thema gesetzt,<br />

also die Diskussion in eine andere Richtung gesteuert wird <strong>oder</strong> wenn sie das Rederecht<br />

verteilt. In den dialogischen Radioformaten knüpft die M<strong>oder</strong>ation etwas seltener an einen<br />

Beitrag eines/r Gesprächspartner/In an als dies in den Fernsehsendungen der Fall ist. Der<br />

Grund hierfür liegt im <strong>Dialog</strong>format. Im Fernsehen wurden vor allem Diskussionssendungen<br />

ausgestrahlt. Die Wortverteilung bspw. ist Bestandteil der gesprächsorganisatorischen<br />

Aufgaben der M<strong>oder</strong>ation, die in Interviews nicht wahrgenommen wird. Die M<strong>oder</strong>ation<br />

legt zwar in beiden <strong>Dialog</strong>formaten ein ähnliches Gesprächsverhalten an den Tag, in den<br />

Interviews äussert sie etwas mehr Redebeiträge, in denen überhaupt keine Bezugnahme<br />

erfolgt. Dies erstaunt insofern nicht, als in den durchschnittlich kürzeren und eng m<strong>oder</strong>ierten<br />

Interviews in der Regel ebenfalls mehrere Aspekte eines Themas diskutiert werden. Bei<br />

der jeweiligen neuen Themensetzung wird häufig auf eine Bezugnahme verzichtet.<br />

In der Qualität der Bezugnahme gibt es ebenfalls Unterschiede zu den übrigen Gesprächsbeteiligten:<br />

Die M<strong>oder</strong>ation geht häufiger auf die Argumente der GesprächspartnerInnen<br />

ein als die Teilnehmenden. Das ist doch erstaunlich, da mit vielen Aufgaben der Gesprächsleitung<br />

wie Wortmeldungen sammeln, Denkimpulse geben <strong>oder</strong> das Rederecht verteilen<br />

eine oberflächliche Bezugnahme verbunden ist. Damit kommt die M<strong>oder</strong>ation der<br />

Aufgabe als Diskursteilnehmerin nach, die vorgebrachten Argumente kritisch zu hinterfragen.<br />

Da der Anteil an argumentativer Bezugnahme jedoch bei nur etwas mehr als einem<br />

Fünftel liegt, ist der/die M<strong>oder</strong>atorIn der Hauptfunktion der Rolle entsprechend überwiegend<br />

ÜbermittlerIn und nicht GesprächsteilnehmerIn. Interessant ist des Weiteren, dass die<br />

125


Zwischenfazit: Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />

M<strong>oder</strong>ation in den Fernsehsendungen leicht häufiger auf die Argumente der Teilnehmenden<br />

eingeht als im Radio. Dies kann auf den stärkeren Einfluss von Interviews im Radio<br />

zurückgeführt werden. In diesem <strong>Dialog</strong>format stellt die M<strong>oder</strong>ation häufiger einen argumentativen<br />

Bezug her als dies in Debatten der Fall ist. Werden die verschiedenen Ergebnisse<br />

zusammengenommen kann die Hypothese, dass die Medien in Interviews ihre<br />

Rolle als Diskursteilnehmende stärker wahrnehmen als in Debatten, nicht bestätigt<br />

werden.<br />

Mit Blick auf das Netz der Interaktion können für die M<strong>oder</strong>ation ebenfalls Besonderheiten<br />

festgestellt werden: In den traditionellen elektronischen Medien läuft der Diskurs überwiegend<br />

über die M<strong>oder</strong>ation und nicht zwischen den Teilnehmenden. In den Redebeiträgen<br />

der Diskutierenden wird dreimal häufiger auf den/die M<strong>oder</strong>atorIn als auf die Teilnehmenden<br />

Bezug genommen. Die M<strong>oder</strong>ation ist die Schaltstelle der Diskussion. Dieses Resultat<br />

wird durch die Ergebnisse bezüglich des Sprecherwechsels bestätigt. Dabei wurde festgestellt,<br />

dass die Rolle des/der Diskussionsleitenden mit einer Art Übernahme-Privileg verknüpft<br />

und er/sie jeweils der/die potentiell nächste Sprechende ist. Im <strong>Dialog</strong>format Interview<br />

ist dies ungleich deutlicher der Fall als in Debatten, wo sich mehrere AkteurInnen<br />

gegenüber stehen. In diesem Zusammenhang gilt es anzufügen, dass es erhebliche Unterschiede<br />

zwischen einzelnen Sendungen geben kann. Die M<strong>oder</strong>ation ist nicht in allen Sendungen<br />

gleich stark präsent. Abschliessend kann festgestellt werden, dass die allgemein<br />

akzeptierten Kommunikationsstrukturen potentiell den intensiveren Meinungsaustausch<br />

zwischen den Teilnehmenden verhindern, da die M<strong>oder</strong>ation als Drehscheibe des Diskurses<br />

funktioniert. Die Gesprächsleitung verteilt bei einer Diskussion über einzelne Aspekte<br />

das Rederecht oftmals neu, holt weitere Stimmen ein <strong>oder</strong> bringt neue Themen ein. Wenngleich<br />

die Medien also das Darstellen verschiedener Positionen fördern, durch allgemein<br />

anerkannte Kommunikationsstrukturen indirekt einen <strong>Dialog</strong> zwischen den Teilnehmenden<br />

erschweren, kompensieren sie mangelnden Austausch ansatzweise, indem sie selber verstärkt<br />

argumentative Bezugnahmen herstellen.<br />

126


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

7 Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie<br />

begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Die Kategorie „Rationalität“ ist für die Bestimmung der Diskursqualität zentral. In erster<br />

Linie interessiert, ob die TeilnehmerInnen ihre Aussagen begründen <strong>oder</strong> vielmehr nur<br />

Behauptungen aufstellen. Unbegründete Aussagen sind für GesprächspartnerInnen wie<br />

RezipientInnen weder auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfbar noch bieten sie eine geeignete<br />

Grundlage, um vernunftmässig zu einer (politischen) Meinung zu gelangen. Für<br />

den politischen Prozess ist dies indes höchst bedeutsam, da das demokratische Prinzip auf<br />

eine Konsensfindung abzielt. Der „Konsens“ wird – insbesondere im Fall der direktdemokratischen<br />

Mitbestimmung (mittels Abstimmungen) – durch die Mehrheitsentscheidung<br />

bestimmt, im Idealfall aber von möglichst vielen Personen getragen, d.h. akzeptiert. Akzeptanz<br />

wiederum wird nicht zuletzt über die begründete Argumentation hergestellt.<br />

Aus diesem Grund wurde erhoben, welche Art von Geltungsansprüchen die DiskursteilnehmerInnen<br />

in die Diskussion einbringen und, ob sie diese begründen. Unter einem Geltungsanspruch<br />

wird eine Hauptaussage verstanden. Dadurch wird der Diskurs in (thematisch<br />

abgegrenzten) grösseren Sinneinheiten der Argumentation erfasst. Zu erheben, ob<br />

eine einzelne Aussage begründet ist <strong>oder</strong> nicht, erscheint wenig sinnvoll: Aus der Perspektive<br />

der RezipientInnen geht es insbesondere darum, ob eine Argumentation (die aus mehreren<br />

Aussagen bestehen kann) rational nachvollziehbar ist. Deshalb kann ein Geltungsanspruch<br />

unter Umständen einen ganzen Redebeitrag bzw. ein ganzes Post einnehmen. In der<br />

vorliegenden Untersuchung wird zunächst unterschieden, ob ein Geltungsanspruch erhoben,<br />

d.h. eine <strong>oder</strong> mehrere Thesen, Behauptungen <strong>oder</strong> Feststellungen geäussert werden<br />

<strong>oder</strong> ob ein bereits thematisierter Geltungsanspruch kritisiert wird. Kritik wurde nur als<br />

solche gewertet, wenn sie diskursimmanent war, d.h. wenn sie sich gegen die Aussagen<br />

anderer DiskursteilnehmerInnen <strong>oder</strong> auf diese Personen selber richtete. Dies stellt insofern<br />

die Hauptdimension der Untersuchung dar, als ein Diskurs – unabhängig davon, ob<br />

deliberativ <strong>oder</strong> nicht – darin besteht, eigene Geltungsansprüche zu erheben bzw. diejenigen<br />

des Gegenübers zu kritisieren.<br />

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, ob sich die Teilnehmenden tatsächlich zum<br />

Thema äussern <strong>oder</strong> vom eigentlichen Gesprächsgegenstand abschweifen. Ein <strong>Dialog</strong>, der<br />

sich in weiten Teilen nicht dem Abstimmungsthema widmet, ist für RezipientInnen, die<br />

sich eine Meinung zur Vorlage bilden möchten, kaum bedeutsam. Themenfremde Geltungsansprüche<br />

können zwar ein hohes Mass an Reflexivität aufweisen, die Argumentation<br />

kann sehr wohl begründet sein, dennoch werden sie aus obgenanntem Grund in einigen<br />

Teilen der Untersuchung 133 ausgeklammert, denn solche Gesprächsteile sind für die politische<br />

Meinungsbildung generell eher abträglich als förderlich. Will man die Diskursqualität<br />

mit Blick auf die politische Meinungs- und Willensbildung untersuchen, würden die Ergebnisse<br />

für themenfremde Geltungsansprüche den Vergleich somit verzerren. Die jeweiligen<br />

Anteile an themenfremder Diskussion werden jedoch einleitend ausgewiesen und sind<br />

für die Bestimmung der Diskursqualität in ihrer Gesamtheit zentral. Des Weiteren werden<br />

Gesprächsteile ausgeklammert, in denen die Teilnehmenden entweder so früh unterbrochen<br />

werden, dass sie sich zum Thema gar nicht äussern können <strong>oder</strong> lediglich Höflichkeiten<br />

wie Begrüssungen austauschen. Solche Aussagen wurden nicht als Geltungsanspruch gewertet.<br />

Eine letzte Einschränkung betrifft Zitate zum zur Diskussion gestellten Thema –<br />

133 Themenfremde Geltungsansprüche wurden in folgenden Teilen der Analyse ausgeklammert: Begründung<br />

von Geltungsansprüchen, Klassifizierung nach subjektiver, normativer, sachlicher Ebene sowie bei der detaillierten<br />

Betrachtung der diskutierten Themen. Ebenso bei den Kategorien „Argumentum ad hominem“ in Kapitel<br />

8.2 sowie bei den Kategorien „Intentionen“ und „Bezugnahmen“.<br />

127


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

diese werden zwar als Geltungsanspruch gewertet, hinsichtlich einzelner Aspekte jedoch<br />

aus der Analyse ausgeklammert, da die Autorschaft nicht diskursimmanent ist. 134<br />

Zunächst wird analysiert, wie hoch der Anteil an geäusserter Kritik in den einzelnen Gattungen<br />

und für einzelne Akteursgruppen ausfällt. Kritische Meinungsäusserungen weisen<br />

darauf hin, dass die Diskursteilnehmenden nicht nur ihre eigenen Ansichten darlegen, sondern<br />

auch die Rolle als Hörende einnehmen. Denn die kritisierenden Geltungsansprüche<br />

weisen darauf hin, dass sich die AkteurInnen mit dem bereits Gesagten/Geschriebenen<br />

auseinander setzen und dazu Stellung nehmen. In einem zweiten Schritt werden die erhobenen<br />

bzw. kritisierenden Geltungsansprüche auf ihre Begründetheit analysiert. Ist die Kritik<br />

begründet, so handelt es sich in verstärktem Masse um einen deliberativen Diskurs,<br />

denn die vorgebrachten Argumente werden auf diese Weise „getestet“. Die Rationalität<br />

eines Geltungsanspruches hängt von dem ihm zugrunde liegenden Wissen ab – dieses wiederum<br />

wird als zuverlässig anerkannt, wenn es gegen Kritik verteidigt werden kann (Wilhelm<br />

1999: 162). Im Nachfolgenden richtet sich der Blick verstärkt auf die inhaltliche Ausrichtung<br />

des Diskurses. Dabei wird zunächst unterschieden, ob sich die Aussagen, je nach<br />

Vergleichsebene, eher auf der sachlichen, der normativen <strong>oder</strong> der subjektiven Ebene bewegen<br />

und somit Rückschlüsse über die Inklusivität der Argumente zulassen. Die anschliessende<br />

Analyse der diskutierten Themen gibt ebenfalls Aufschluss darüber, inwiefern<br />

der Diskurs, bezogen auf die vorkommenden Argumente, inklusiv ist.<br />

7.1 Art der Geltungsansprüche<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

An dieser Stelle interessiert, welche Art von Geltungsansprüchen in den beiden Mediengattungen<br />

geäussert werden. Unterschieden wurde zwischen erhebenden, kritisierenden bzw.<br />

themenfremden Geltungsansprüche sowie Zitaten und Aussagen, die nicht als Geltungsanspruch<br />

gewertet wurden. Der Vergleich hinsichtlich der Art der Geltungsansprüche zwischen<br />

den klassischen Medien einerseits und den Online-Foren andererseits verdeutlicht<br />

einen wesentlichen Qualitätsunterschied zwischen diesen Gattungen.<br />

Prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

80.00<br />

60.00<br />

40.00<br />

20.00<br />

0.00<br />

Total<br />

öffentlich<br />

privat<br />

Total<br />

Google<br />

Klassisch Online<br />

Medienverlagshäuser<br />

GA Zitat<br />

GA themenfremd "entschuldigt"<br />

GA themenfremd<br />

Kein GA<br />

Kritisieren<br />

Erheben<br />

Grafik 30: Art des Geltungsanspruchs nach Mediengattung und Anbieter<br />

134 Vgl. Fussnote 133.<br />

n = 9393<br />

128


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Der Anteil an Äusserungen, die nicht als Geltungsansprüche gewertet wurden, ist in Radio<br />

und Fernsehen höher als bei den Online-Foren, bei denen solche Äusserungen kaum vorkamen.<br />

Mit knapp 2% ist dieser Wert bei den klassischen Medien allerdings nicht sehr<br />

hoch und erklärt sich zu einem guten Teil durch die vielen Begrüssungen und Verabschiedungen<br />

der M<strong>oder</strong>ation und der Teilnehmenden. 135<br />

Aus deliberativer Sicht wichtiger ist der Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen.<br />

Dieser ist bei den klassischen Medien mit insgesamt knapp 1% äusserst gering, während er<br />

bei den Online-Foren 13.5% ausmacht. Bei den google.groups steigt er gar auf 29.2% an –<br />

knapp ein Drittel des Meinungsaustausches in den Foren von Google hat mit dem Abstimmungsthema<br />

also gar nichts zu tun. In einzelnen Diskussionsforen der google.groups 136 ist<br />

die Diskussion gemessen an allen Geltungsansprüchen gar zu 70% bzw. mehr als 80%<br />

themenfremd. Der hohe Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen bei den Online-<br />

Foren erklärt sich also z.T. durch Extremwerte. Betrachtet man die Foren der Medienverlagshäuser<br />

gesondert, beträgt der Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen nur noch<br />

4.8% und nähert sich damit dem Wert bei den privaten Fernseh- und Radiosendungen<br />

(2.1%) an. Dies deutet auf markante Unterschiede innerhalb der Online-Foren hin (s.u.).<br />

Weiter fällt auf, dass der Anteil an kritisierenden Geltungsansprüchen bei den Online-<br />

Foren mit 39.7% höher ist, als bei den klassischen Medien mit 28%. Dies hängt mit der<br />

Rolle der M<strong>oder</strong>ation zusammen (s.u.). Betrachtet man nämlich das Mass an Kritik in den<br />

klassischen Medien ohne M<strong>oder</strong>ation, so nähern sich die Werte zwischen den Mediengattungen<br />

an; Fernsehen und Radio weisen ohne M<strong>oder</strong>ation im Schnitt 40.8% Kritik auf.<br />

Um Aussagen über das Diskussionsklima machen zu können, interessiert in diesem Zusammenhang,<br />

an wessen Argumentationsweise Kritik geübt wird. Gemäss der Vorstellung<br />

eines idealen Diskurses orientiert sich die Meinungsbildung an der Überzeugungskraft der<br />

Argumentation. Aus dieser Perspektive steht die Stichhaltigkeit des Arguments im Vordergrund.<br />

Die Aufgabe der Diskursteilnehmenden ist es, diese im Wechsel der Rollen zwischen<br />

HörerIn und SprecherIn zu prüfen, wobei sie eine bereits gefasste Meinung im Falle<br />

einer „besseren“ Argumentation idealerweise ändern. Bei den untersuchten Diskussionssendungen<br />

und Online-Foren interessiert diesbezüglich, ob eine Meinungsänderung überhaupt<br />

erwartet werden kann und wer ein Interesse bekundet, geäusserte Argumentationen<br />

auf deren Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Üben einzelne GesprächsteilnehmerInnen auch<br />

Kritik an der Argumentation von AkteurInnen, die hinsichtlich der Abstimmungsvorlage<br />

die gleiche Position einnehmen wie sie selbst <strong>oder</strong> zielt die Kritik grundsätzlich nur auf die<br />

Gegenposition?<br />

Wie bereits dargelegt wurde 137 handelt es sich bei den Diskursteilnehmenden in den dialogischen<br />

Formaten der klassischen Medien vornehmlich um positionierte AkteurInnen. Der<br />

Anteil jener Gesprächsteilnehmenden, deren Einstellung zur Abstimmungsvorlage entweder<br />

unbekannt <strong>oder</strong> noch offen ist, ist eher klein (9.8% ohne M<strong>oder</strong>ation). In den Online-<br />

Foren dagegen ist dieser Anteil mit 42% wesentlich höher, allerdings beteiligen sich die<br />

nicht positionierten AkteurInnen mit 28% aller Posts weniger rege an der Debatte als die<br />

identifizierbaren GegnerInnen und BefürworterInnen der Vorlage. Daraus konnte geschlossen<br />

werden, dass sowohl in den traditionellen als auch in den neuen elektronischen<br />

Medien die Pro-Contra-Debatte im Vordergrund steht. Betrachtet man nun, wer an wel-<br />

135 Solche Äusserungen wurden nicht als nicht als Geltungsanspruch gewertet wurden, da sie in Bezug auf<br />

die eigentliche Thematik nicht sinnstiftend wirken.<br />

136 Das Forum der Usenet Group „ch.soc.politics“ mit dem Titel „Kollegialitätsprinzip“, aufgeschaltet am<br />

12.05.2005, http://groups.google.ch/group/ch.talk/browse_frm/thread/b7c298b3a34b92c5, [Stand:<br />

15.12.2005] bzw. unter der Gruppe „ch.talk“ das Forum „ Vorteile der erweiterten Personenfreizügigkeit“,<br />

aufgeschaltet am 09.09.2005, http://groups.google.ch/group/ch.talk/browse_frm/thread/<br />

3ec2ca7be356476f/9785714dac5e5117 [Stand: 12.12.2005].<br />

137 Vgl. Kapitel 5.<br />

129


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

chen Positionen Kritik übt, zeigen sich folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen<br />

den klassischen Medien und den Online-Foren:<br />

% kritisierende<br />

Geltungsansprüche<br />

60.00<br />

55.00<br />

50.00<br />

45.00<br />

40.00<br />

35.00<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

n = 992 (K)<br />

n = 1658 (O)<br />

B efürwo rtende<br />

auf<br />

B efürwo rtende<br />

n = 1029 (K)<br />

n = 1665 (O)<br />

GegnerInnen<br />

auf<br />

GegnerInnen<br />

n = 270 (K)<br />

n = 1725 (O)<br />

Ohne Position<br />

auf Ohne<br />

Position<br />

n = 1336 (K)<br />

n = 1683 (O)<br />

Po sitio nierte<br />

auf<br />

Gegenposition<br />

n = 1412 (K)<br />

n = 0 (O)<br />

Po sitionierte<br />

auf<br />

M <strong>oder</strong>ation<br />

Klassisch (K)<br />

Online (O)<br />

Grafik 31: Kritisierende Geltungsansprüche nach Position der AkteurInnen in den Mediengattungen<br />

Wie oben stehender Grafik 138 entnommen werden kann, kritisierten GegnerInnen und BefürworterInnen<br />

in erster Linie Geltungsansprüche von AkteurInnen mit einer gegenteiligen<br />

Einstellung zur Abstimmungsvorlage – dies sowohl in den klassischen Medien als auch in<br />

den Online-Foren. Es bestätigt sich, dass in beiden Mediengattungen ein Grossteil der Debatte<br />

nach dem Pro-Contra-Schema verläuft. Allerdings richteten die AkteurInnen im Radio<br />

und Fernsehen auch ein beträchtliches Mass an Kritik auf die Äusserungen der M<strong>oder</strong>ation,<br />

was aufgrund ihrer Funktion im Diskurs (s.u.) nicht weiter erstaunt.<br />

Von besonderem Interesse ist jedoch, dass bei den Online-Foren – im Gegensatz zu den<br />

klassischen Medien, in denen nicht positionierte AkteurInnen ohnehin nur mit 4% aller<br />

Redebeiträge am Diskurs beteiligt waren – auch ein kritischer Austausch zwischen Diskursteilnehmenden<br />

erfolgt, deren Abstimmungsabsicht nicht bekannt ist. Gemessen an<br />

allen Geltungsansprüchen, bei denen eine solche Bezugnahme möglich ist, beträgt dieser<br />

Wert immerhin 6%. In diesen Fällen kann ausgeschlossen werden, dass die Position anderer<br />

AkteurInnen Ziel der Kritik ist, vielmehr richtet sich diese auf die Argumentation <strong>oder</strong><br />

gegebenenfalls auf die Person. Bezüglich der Diskursqualität ist von Interesse, ob die Beteiligten<br />

in ihrem Gesprächsverhalten die Aussagen anderer AkteurInnen von deren Position<br />

abstrahieren, indem die Argumentationen unabhängig der Grösse „Einstellung zur Abstimmungsvorlage“<br />

geprüft werden. Am deutlichsten kommt dies zum Ausdruck, wenn<br />

sich Gleichgesinnte gegenseitig kritisieren. In den Online-Foren ist dies etwas öfter der<br />

Fall als in den klassischen Medien, wenngleich die Werte für beide Mediengattungen sehr<br />

gering sind. In den Online-Foren – in denen die Gesprächsbeteiligung der BefürworterInnen<br />

dominiert – kritisieren sich BefürworterInnen gegenseitig in 2.8% (gegenüber 0.9% in<br />

den klassischen Medien). GegnerInnen kritisieren GegnerInnen in 1.5% (gegenüber wiederum<br />

0.9% in den klassischen Medien). Sowohl in den klassischen Medien als auch in<br />

den Online-Foren besteht demnach eine grosse Zurückhaltung was die Kritik an AkteurInnen<br />

aus dem eigenen „Lager“ angeht. In den klassischen Medien ist diese noch etwas ausgeprägter,<br />

was mit der Akteursstruktur zusammenhängen dürfte, in der das Zentrum ein<br />

starkes Gewicht einnimmt. AkteurInnen auf der Zentrumsseite unterliegen eher Restriktionen,<br />

die durch Rollendefinitionen, Ideologien von Parteien und Interessensgruppen bzw.<br />

138 Der Anteil der kritisierenden Geltungsansprüche bezieht sich jeweils auf die Gesamtzahl aller Geltungsansprüche,<br />

bei denen eine Bezugnahme zwischen den jeweiligen Positionen überhaupt möglich war.<br />

130


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Organisationen bestimmt sind (vgl. Gerhards 1997). In Bezug auf vorgefasste Abstimmungsparolen<br />

bilden sich mitunter Allianzen, die bezüglich der Kritik an AllianzpartnerInnen<br />

restriktiv wirken dürften.<br />

M<strong>oder</strong>atorInnen als spezifische Akteursgruppe nehmen im <strong>Dialog</strong> u.a. die Aufgabe wahr,<br />

gemachte Aussagen an andere GesprächsteilnehmerInnen weiterzuleiten, Fragen zu stellen<br />

und das Gesagte zusammenzufassen. Nimmt die M<strong>oder</strong>ation v.a. die Funktion der Gesprächsführung<br />

ein, so ist der Anteil an Kritik für diese Akteursgruppe sehr gering. Erst<br />

wenn die M<strong>oder</strong>atorInnen die Rolle der Vermittlung zugunsten einer tatsächlichen Diskursteilnahme<br />

aufgeben, sind vermehrt kritisierende Geltungsansprüche zu erwarten. Dabei<br />

gilt es zwischen zwei diskursiven Strategien zu unterscheiden. Häufig bedienen sich die<br />

M<strong>oder</strong>atorInnen der jeweils gegnerischen Argumente und tragen diese an die TeilnehmerInnen<br />

heran, um so einen Diskussionsimpuls zu liefern (vgl. Holly et al. 1986: 120ff.).<br />

Diese Art, die DiskursteilnehmerInnen zu Äusserungen mit informativem Gehalt zu provozieren,<br />

wurde nicht als Kritik gewertet. Geltungsansprüche der M<strong>oder</strong>atorInnen, die als<br />

Kritik gewertet wurden, zielen hingegen entweder darauf, die Plausibilität der Argumentation<br />

zu prüfen <strong>oder</strong> berühren das Gesprächsverhalten der Diskursteilnehmenden, z.B. wenn<br />

diese den Gesprächsfluss durch mehrfache Unterbrechungen stören. „Provokation“ als<br />

Form der Gesprächsführung wird auch in den untersuchten Sendungen genutzt, was sich<br />

als Ergebnis u.a. darin widerspiegelt, dass die positionierten TeilnehmerInnen rund einen<br />

Viertel ihrer Kritik auf die M<strong>oder</strong>ation richten (26%).<br />

In den untersuchten Sendungen nehmen die M<strong>oder</strong>atorInnen überwiegend die Funktion des<br />

Übermittelns wahr: Nur 7.4% ihrer Geltungsansprüche zielen auf eine Kritik in obgenanntem<br />

Sinn. Diesbezüglich muss allerdings angefügt werden, dass es erhebliche Unterschiede<br />

zwischen einzelnen dialogischen Fernseh- und Radioformaten geben kann. In mehreren<br />

Sendungen äussern die M<strong>oder</strong>atorInnen überhaupt keine Kritik; die höchsten Werte wurden<br />

mit 38.5% aller Geltungsansprüche, die von der M<strong>oder</strong>ation geäussert wurden, in der<br />

„Rundschau“, einer Sendung von SF DRS erzielt sowie im öffentlichen Radio der Westschweiz<br />

im „Journal de 12h30“ mit 30%. 139 In letzterem Fall dürfte das Sendeformat keinen<br />

Einfluss auf das Ergebnis haben, da in den übrigen Sendungen von „Journal de 12h30“<br />

die Werte sehr niedrig sind. Bei der „Rundschau“ hingegen wäre es interessant, weitere<br />

Sendungen zu untersuchen, um zu überprüfen inwiefern dieses Ergebnis auf das Konzept<br />

der Sendung zurückzuführen ist (im Untersuchungszeitraum wurde jedoch nur eine Sendung<br />

zu den Abstimmungen ausgestrahlt).<br />

Kurzzusammenfassung: Im Vergleich zwischen den klassischen und den neuen elektronischen<br />

Medien besteht ein Hauptunterschied in der Fokussierung auf das Thema, was als<br />

Grundbedingung für einen deliberativen Prozess der politischen Meinungsbildung gelten<br />

kann. Die themenbezogene Diskussion ist in Radio und Fernsehen durch die Medien gewährleistet,<br />

indem die M<strong>oder</strong>ation die Diskussion jeweils auf das Thema zurückführen<br />

kann. Zudem dürften die mehrheitlich debattiergewohnten Teilnehmenden von sich aus<br />

davon absehen, Themen zu erörtern, die als deplatziert gelten könnten. In den Online-<br />

Foren bestehen bezüglich der thematischen Relevanz grosse Unterschiede zwischen den<br />

einzelnen Foren, wobei der Diskurs aufgrund grosser Anteile themenfremder Geltungsansprüche<br />

an Qualität einbüsst. Andererseits weisen die Ergebnisse hinsichtlich der kritischen<br />

Auseinandersetzung mit den Äusserungen anderer AkteurInnen darauf hin, dass in<br />

den Online-Foren ein grösseres Potential für die tatsächliche Auseinandersetzung mit Argumenten<br />

besteht und Kritik nicht nur auf eine jeweils gegenteilige Einstellung zur Abstimmungsvorlage<br />

ausgerichtet wird. Dies vornehmlich aus dem Grund, dass sich in den<br />

Online-Foren eine höhere Zahl an AkteurInnen kritisch äussert, die ihre Abstimmungsentscheidung<br />

nicht zu erkennen geben, während in den klassischen Medien die M<strong>oder</strong>atorIn-<br />

139 In SF DRS1, Rundschau, „Der heisse Stuhl“, 11.05.2005; RSR1, „Journal de 12h30“, 25.08.2005.<br />

131


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

nen meistens einleitend bekannt geben, welche Abstimmungsempfehlung die AkteurInnen<br />

vertreten (sofern dies den RezipientInnen nicht ohnehin schon bekannt ist). Bei der Äusserung<br />

von Kritik an AkteurInnen des jeweils eigenen Lagers üben die AkteurInnen sowohl<br />

in den klassischen Medien als auch in den Online-Foren äusserste Zurückhaltung. Die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

konzentrierten sich in den untersuchten Sendungen auf die Funktion der Gesprächsführung<br />

und wirkten nur punktuell als DiskursteilnehmerInnen, indem sie sich die<br />

Aussagen anderer kritisieren. Allerdings konfrontieren sie die GesprächsteilnehmerInnen<br />

mit provokativen Aussagen und Fragen, ansonsten wäre das Mass an Kritik an der Akteursgruppe<br />

der M<strong>oder</strong>atorInnen geringer.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

An dieser Stelle interessiert, ob die ökonomische Stellung der Anbieter Einfluss auf die Art<br />

der geäusserten Geltungsansprüche hat. Innerhalb der klassischen Medien sind bezüglich<br />

der thematischen Fokussierung kaum Unterschiede auszumachen. Diese ist sowohl bei den<br />

öffentlichen Anbietern als auch bei den privaten gewährleistet. Der Anteil themenfremder<br />

Geltungsansprüche ist bei Letzteren mit 2.1% gegenüber 0.5% bei den öffentlichen Sendern<br />

minimal höher.<br />

Die Ergebnisse der M<strong>oder</strong>ationsleistung im Vergleich zwischen den Anbietern fallen ähnlich<br />

ausgewogen aus:<br />

Geltungsanspruch Klassisch total öffentlich Privat<br />

Art des<br />

Geltungsanspruchs<br />

(GA)<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

n = 1922<br />

Teilnehmende<br />

n = 3124<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

n = 1308<br />

Teilnehmende<br />

n = 2070<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

n = 614<br />

Erheben 91.1 55.4 90.8 54.0 91.7 58.1<br />

Kritisieren 7.4 40.8 8.1 42.3 5.9 37.8<br />

Kein GA 0.6 2.8 0.5 3.2 0.7 1.9<br />

GA themenfremd 1.0 1.1 0.6 0.5 1.8 2.3<br />

Tabelle 18: Art des Geltungsanspruchs von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Anbieter<br />

Teilnehmende<br />

n = 1054<br />

Bei den öffentlichen Sendern bringen sich die M<strong>oder</strong>atorInnen mit 8.1% kritisierender Geltungsansprüche<br />

etwas stärker als DiskursteilnehmerInnen ein, als dies bei den privaten<br />

Sendern mit 5.9% der Fall ist. Der Unterschied ist jedoch verhältnismässig gering und das<br />

Mass an kritischem Gesprächsverhalten der M<strong>oder</strong>ation bei beiden Anbietern im Schnitt<br />

eher niedrig. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Vergleich zwischen den Teilnehmenden, die<br />

deutlich mehr Kritik äussern. Auch hier verläuft die Diskussion in den privaten Sendungen<br />

etwas „kritikfreier“, die TeilnehmerInnen äussern im Schnitt 4.5% weniger kritische Geltungsansprüche,<br />

als jene in den öffentlichen Sendern. Dieses Ergebnis ist insofern etwas<br />

überraschend, als das <strong>Dialog</strong>format „Debatte“ das höhere Werte an Kritik aufweist, in bei<br />

den privaten Sendern ein etwas stärkeres Gewicht einnimmt. 140 Wenngleich der Unterschied<br />

nicht besonders hoch ist, kann man daraus den Schluss ziehen, dass bei den privaten<br />

Sendern die „Parolenabgabe“ bzw. die Darlegung der eigenen Meinung etwas stärker im<br />

Vordergrund steht, als bei den öffentlichen Sender, in denen die kritische Auseinandersetzung<br />

mit anderen Meinungen etwas ausgeprägter ist.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Die auffälligsten Unterschiede hinsichtlich der Art der geäusserten Geltungsansprüche sind<br />

im Vergleich zwischen der Deutsch- und der Westschweiz festzustellen.<br />

140 Geltunsansprüche aus Debatten bei den öffentlichen machen 82.7% aus, bei den Privaten 92.9.<br />

132


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n=758 n=1306 n=1164 n=2598<br />

Deutschschweiz Westschweiz<br />

Erheben<br />

Kritisieren<br />

Kein GA<br />

GA themenfremd<br />

GA themenfremd "entschuldigt"<br />

Grafik 32: Art des Geltungsanspruchs von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Sprachregion<br />

Wie oben stehender Grafik entnommen werden kann, unterscheiden sich die M<strong>oder</strong>atorInnen,<br />

in stärkerem Masse jedoch die Teilnehmenden in ihrem diskursiven Verhalten je nach<br />

Sprachregion. Die Deutschschweizer Radio- und Fernsehsendungen weisen grundsätzlich<br />

einen kritischeren Diskurs auf, als diejenigen der Romandie. Insbesondere fällt auf, dass<br />

bei den TeilnehmerInnen die kritische Auseinandersetzung sogar im Vordergrund steht:<br />

51.2% der Geltungsansprüche in der Deutschschweiz zielen auf Kritik ab (vs. 47.2% erhobene<br />

Geltungsansprüche), während die Teilnehmenden in der Romandie nur 33.3% Geltungsansprüche<br />

kritisieren, aber 61.3% erheben. Ein Grund für dieses Ergebnis ist sicherlich<br />

im <strong>Dialog</strong>format der Sendungen zu suchen: In der Westschweiz wurden relativ viele<br />

Interviews ausgestrahlt, in denen die M<strong>oder</strong>ation den <strong>Dialog</strong> jeweils mit nur einem/r TeilnehmerIn<br />

führt (55.3% aller untersuchten Sendungen). Zwar ist keineswegs auszuschliessen,<br />

dass die Teilnehmenden in den Interviews Kritik an den Aussagen der M<strong>oder</strong>ation<br />

üben, in einer Pro-Contra-Debatte kann die Kritik an anderen TeilnehmerInnen aber verstärkt<br />

erwartet werden. In der Deutschschweiz gibt es hingegen weniger Sendungen, in<br />

denen der <strong>Dialog</strong> als Interview und nicht als Debatte geführt wird, nämlich nur in 15.8%<br />

aller untersuchten Sendungen. 141 Der Anteil an kritisierenden Geltungsansprüchen liegt in<br />

den Interviews jeweils unter dem Durchschnitt für die jeweilige Sprachregion: Für die<br />

Westschweiz liegt die Kritik in Interviews im Schnitt bei 12.4%. Dabei muss angefügt<br />

werden, dass die einzelnen Interviews einen sehr unterschiedlichen Anteil an kritisierenden<br />

Geltungsansprüchen aufweisen; sie bewegen sich innerhalb einer Bandbreite von 0% bis<br />

25%. Für die Deutschschweiz liegt der Anteil an kritisieren Geltungsansprüchen im Schnitt<br />

bei 29.2% (bei einer Bandbreite von 9.5% bis 40%).<br />

Aufgrund des analogen Gesprächsverhaltens in den Online-Foren (s.u.), deutet das Ergebnis<br />

zu einem gewissen Teil allerdings auch auf sprachregionale Unterschiede hin: In der<br />

Romandie ist kritisierendes Gesprächsverhalten tendenziell weniger ausgeprägt, hingegen<br />

wird hier innerhalb der Diskussion mehr Raum für die Darlegung von Sachverhalten <strong>oder</strong><br />

Meinungen eingeräumt.<br />

Kurzzusammenfassung: Für die Vergleiche innerhalb der klassischen Medien können die<br />

Ergebnisse wie folgt zusammengefasst werden: Der Vergleich zwischen öffentlichen und<br />

privaten Sendern zeigt in Bezug auf die kritische Auseinandersetzung mit den Äusserun-<br />

141 In der Deutschschweiz stammen 6.0% aller Geltungsansprüche aus Interviews, in der Romandie 19.7%.<br />

133


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

gen der anderen Gesprächsbeteiligten keine grösseren Unterschiede. In der Tendenz ist der<br />

Diskurs bei den öffentlichen Radio- und Fernsehsendungen etwas kritischer ausgerichtet,<br />

was sowohl für die M<strong>oder</strong>ation als auch die Teilnehmenden gilt. Anders ausgedrückt, erhalten<br />

die Teilnehmenden in den Sendungen der Privaten mehr Gelegenheit ihre Meinung<br />

auszuführen, während die kritische Auseinandersetzung trotz eines höheren Anteils an Debatten,<br />

etwas weniger ausgeprägt ist. Die Ergebnisse im Vergleich zwischen den beiden<br />

Sprachregionen lassen den Schluss zu, dass aufgrund unterschiedlicher <strong>Dialog</strong>formate die<br />

kritische Auseinandersetzung in der Deutschschweiz stärker begünstigt wird. In der Westschweiz<br />

hingegen, erhalten einzelne AkteurInnen öfters die Gelegenheit ihre Ansichten<br />

und Argumente ohne stärkere Gegenrede auszuführen. Entscheidend für die Diskursqualität<br />

ist jedoch, ob die erhobenen Geltungsansprüche bzw. die Kritik an denselben begründet<br />

wird <strong>oder</strong> nicht. 142<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

An dieser Stelle interessiert, ob die ökonomische Stellung der Forenanbieter Einfluss auf<br />

die geäusserten Geltungsansprüche hat.<br />

Geltungsanspruch Online total Google Medienverlagshäuser<br />

Erheben 46.0% 28.6% 56.0%<br />

Kritisieren 39.7% 41.7% 38.5%<br />

Kein GA 0.0% 0.1% 0.0%<br />

GA themenfremd 13.5% 29.0% 4.5%<br />

GA themenfremd "entschuldigt" 0.2% 0.2% 0.2%<br />

GA Zitat 0.6% 0.4% 0.7%<br />

Untersuchungseinheiten n = 4347 n = 1589 n = 2758<br />

Tabelle 19: Art des Geltungsanspruchs nach Forenanbieter<br />

Wie erwähnt ist der Anteil an themenfremder Diskussion in einzelnen Online-Foren sehr<br />

hoch. Während vier der fünf untersuchten Online-Anbieter eine thematisch fokussierte<br />

Diskussion zu gewährleisten vermögen, nämlich die Foren der Medienverlagshäuser, ist<br />

dies bei den google.groups nicht der Fall, bei denen 29.2% aller Geltungsansprüche themenfremd<br />

143 sind. Aus der Perspektive der RezipientInnen heisst das, dass unter Umständen<br />

eine Vielzahl an Aussagen und ganzen Posts gelesen werden muss, die für die politische<br />

Meinungsbildung aufgrund ihrer thematischen Ausrichtung gänzlich irrelevant sind.<br />

Steht das politische Interesse im Vordergrund, so ist die Qualität der Diskussion in solchen<br />

Fällen unbefriedigend, denn z.T. werden diese Foren eher im Sinne eines Chats verwendet:<br />

Einzelne TeilnehmerInnen tauschen sich im Sekunden- und Minutentakt über persönliche<br />

Alltagsinteressen aus <strong>oder</strong> verlieren sich in Frotzeleien. Dies führt in einzelnen Fällen zu<br />

metakommunikativen Beiträgen, in denen sich andere NutzerInnen über diese Art von<br />

Kommunikationsverhalten beschweren, worauf sie in der Regel selber kritisiert werden. Es<br />

ist daher durchaus vorstellbar, dass sich potentielle UserInnen, die an einer „ernsthaften“<br />

Diskussion interessiert wären, in solchen Foren nicht <strong>oder</strong> nicht mehr beteiligen.<br />

Interessanterweise handelt es sich bei Google um jenen Anbieter, bei dem keinerlei M<strong>oder</strong>ation<br />

in Aussicht gestellt wird. Im Gegensatz zu den anderen Online-Foren findet sich<br />

kein Hinweis, dass rassistische, themenfremde <strong>oder</strong> beleidigende Posts gelöscht werden<br />

142 Vgl. dazu Kapitel 7.2, S. 136.<br />

143 Bei der Codierung wurde zwischen „themenfremden“ und „entschuldigt themenfremden“ Geltungsansprüchen<br />

unterschieden. Bei Letzteren wird die geltende Diskursnorm (sich zum Thema zu äussern) explizit<br />

anerkannt. Allerdings konnten insgesamt nur 9 „entschuldigte themenfremde“ Geltungsansprüche gezählt<br />

werden, was einem Anteil von 0.2% entspricht und somit vernachlässigt werden kann.<br />

134


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

könnten. Obschon faktisch kaum eine M<strong>oder</strong>ationsleistung durch die Anbieter festgestellt<br />

werden konnte, 144 scheint allein die Ankündigung einer möglichen Redaktion bzw. bei zwei<br />

Anbietern auch angekündigte Sanktionsmassnahmen (Ausschluss aus den Foren tdg.ch und<br />

24heures.ch) zu einer gewissen inhaltlichen Selbstdisziplin zu führen. Ob es sich hierbei<br />

lediglich um eine Koinzidenz handelt kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Denkbar<br />

wäre auch, dass sich in den einzelnen Foren spezifische UserInnen-Gemeinschaften herausbilden,<br />

deren diskursives Verhalten über mehrere thematische Diskussionen hinweg<br />

spezifische Eigenheiten aufweist. Den Versuchen einzelner TeilnehmerInnen – was die<br />

Fokussierung auf das Thema betrifft –gewissermassen die Rolle der M<strong>oder</strong>ation einzunehmen,<br />

war indes kaum Erfolg beschieden.<br />

Was das Mass an geäusserter Kritik angeht, so unterscheiden sich die google.groups von<br />

den übrigen Anbietern nur gering: 41.7% aller Geltungsansprüche zielen bei Ersteren auf<br />

eine Kritik, bei den übrigen Foren liegt dieser Wert bei 38.5%. Berücksichtigt man hingegen<br />

nur die themenrelevanten Geltungsansprüche – was aufgrund der markanten Unterschiede<br />

eine grosse Auswirkung hat, so wird deutlich, dass in den google.groups entscheidend<br />

mehr Kritik geäussert wird als in den Foren von Medienverlagshäusern (59.0% vs.<br />

40.4%). In den Foren der Medienverlagshäuser ist den Diskursteilnehmenden also mehr<br />

daran gelegen ihre eigene Ansicht darzulegen als andere TeilnehmerInnen zu kritisieren.<br />

Um Rückschlüsse auf die Diskursqualität zu ziehen, ist hierbei entscheidend, um welche<br />

Art der Kritik es sich handelt – ob Argumente tatsächlich geprüft <strong>oder</strong> vielmehr andere<br />

AkteurInnen diffamiert werden (s.u.). Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich indes<br />

wiederum im Vergleich zwischen den Sprachregionen.<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Geltungsanspruch Online total Deutschschweiz Westschweiz<br />

Erheben 46.0% 40.7% 70.4%<br />

Kritisieren 39.7% 42.8% 25.5%<br />

Kein GA 0.0% 0.0% 0.0%<br />

GA themenfremd 13.5% 15.8% 2.7%<br />

GA themenfremd "entschuldigt" 0.2% 0.2% 0.1%<br />

GA Zitat 0.6% 0.5% 1.3%<br />

Untersuchungseinheiten n = 4347 n = 3567 n = 780<br />

Tabelle 20: Art des Geltungsanspruchs in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

In den Online-Foren der Romandie ist der Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen<br />

deutlich niedriger als in der Deutschschweiz. Dies wird umso augenfälliger, wenn man die<br />

google.groups ausklammert und den Wert für die Westschweizer Foren (2.7%) – ausschliesslich<br />

von Medienverlagshäusern bereitgestellt – mit jenem für alle Online-Foren von<br />

Medienverlagshäusern vergleicht (4.8%). Allerdings muss an dieser Stelle offen bleiben,<br />

ob dies auf die unterschiedliche Struktur der Foren zurückzuführen ist, auf die Anzahl der<br />

TeilnehmerInnen innerhalb eines Forums <strong>oder</strong> ob das Ergebnis auf eine regionalspezifisch<br />

unterschiedliche Gesprächskultur hinweist.<br />

Augrund des Vergleichs mit den klassischen Medien, lassen sich bezüglich der Intensität<br />

an geäusserter Kritik eher Rückschlüsse auf Unterschiede zwischen der Deutsch- und<br />

Westschweiz ziehen. Wie oben stehender Tabelle entnommen werden kann, sind die Unterschiede<br />

bei den Online-Foren bezüglich dieses Aspekts zwischen den Sprachregionen<br />

augenfällig: Unter Berücksichtigung aller Geltungsansprüche wird in der Romandie rund<br />

ein Viertel aller Geltungsansprüche kritisiert (25.5%), in der Deutschschweiz sind es hin-<br />

144 Vgl. die Kapitel 5.1.<br />

135


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

gegen deutlich mehr (42.8%). Zieht man nur die themenrelevanten Hauptaussagen heran,<br />

steigt die Kritik in der Deutschschweiz gar auf rund die Hälfte (51.0%), während der Wert<br />

in der Romandie bei rund einem Viertel bleibt (26.3%). Diese Ergebnisse weisen darauf<br />

hin, dass in den beiden Sprachregionen unterschiedliche Gesprächskulturen gepflegt werden.<br />

Bezüglich der Diskursqualität kann das Ergebnis wiederum nur in Abhängigkeit zur<br />

Art der geäusserten Kritik interpretiert werden.<br />

Kurzzusammenfassung: Auf Ebene der Forenanbieter lassen sich hinsichtlich der geäusserten<br />

Geltungsansprüche deutliche Unterschiede feststellen. Die Diskussion in den Foren der<br />

Medienverlagshäuser ist thematisch fokussiert. Die Foren von google.groups allerdings<br />

weisen einen hohen Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen auf, nämlich mehr als<br />

einen Viertel. Eine plausible Begründung für diese Differenz scheint der fehlende Hinweis<br />

des Anbieters zu sein, die Foren zu redigieren. Andererseits scheint auch das Diskussionsverhalten<br />

der UserInnen bei Google ein anderes zu sein, sie weisen streckenweise ein eher<br />

chat-artiges Kommunikationsverhalten auf. Hinsichtlich der geäusserten Kritik gibt es<br />

ebenfalls Unterschiede zwischen den Anbietern, insbesondere wenn nur die themenrelevanten<br />

Geltungsansprüche betrachtet werden. In den google.groups werden entscheidend<br />

mehr Geltungsansprüche kritisiert, nämlich in knapp drei Fünftel aller themenrelevanten<br />

Geltungsansprüche, als in den Foren der Medienverlagshäuser, bei denen dies zu zwei<br />

Fünfteln der Fall ist. Das lässt den Rückschluss zu, dass die UserInnen in den Foren der<br />

Medienverlagshäuser die Plattform eher dazu nutzen, ihre eigene Meinung darzulegen, als<br />

sich mit dem Geschriebenen auseinanderzusetzen.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen konnten hinsichtlich der geäusserten Geltungsansprüche<br />

deutliche Unterschiede festgestellt werden. In den Foren der Romandie ist der Anteil an<br />

themenfremden Geltungsansprüchen erstaunlich niedrig. In den Foren der Deutschschweiz<br />

dagegen liegt er knapp sechsmal höher, was z.T. auf die google.groups zurückgeführt werden<br />

kann, in denen viele themenfremde Geltungsansprüche geäussert werden. Dennoch<br />

kann festgestellt werden, dass – werden lediglich die Foren der Medienverlagshäuser verglichen<br />

– der Anteil an themenfremden Geltungsansprüchen in der französischsprachigen<br />

Schweiz niedriger ist als in der Deutschschweiz. Hinsichtlich der geäusserten Kritik treten<br />

ebenfalls Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen auf. In der Deutschschweiz wird<br />

in rund der Hälfte aller themenrelevanten Geltungsansprüche eine Kritik geäussert, in der<br />

Westschweiz dagegen in lediglich rund einem Viertel. Während das Kriterium der Themenrelevanz<br />

allein nicht eindeutig auf sprachregional unterschiedliche Gesprächskulturen<br />

hinweist, scheint eine solche Interpretation aufgrund der zusätzlich unterschiedlichen Werte<br />

bezüglich Kritik plausibel.<br />

7.2 Begründung von Geltungsansprüchen<br />

Die Begründung der Aussagen durch die AkteurInnen ist für die deliberative Qualität des<br />

Diskurses von entscheidender Bedeutung. In der vorliegenden Untersuchung wurde erhoben,<br />

wie viele der geäusserten Geltungsansprüche begründet bzw. unbegründet sind. Die<br />

Qualität der Begründung selber wurde dabei nicht näher untersucht. Zwei Überlegungen<br />

waren dabei wegleitend: Zum einen ist es aus forschungsökonomischen Gründen nicht<br />

möglich, jede einzelne Begründung auf ihre Plausibilität hin zu prüfen, zum anderen fokussiert<br />

die Untersuchung die Sicht der RezipientInnen: Die ZuschauerInnen und -<br />

hörerInnen (im Gegensatz zu den LeserInnen von Online-Foren) haben eine relativ kurze<br />

Zeit zur Verfügung, um die präsentierten Informationen kognitiv zu verarbeiten. Der<br />

Schlagabtausch zwischen einzelnen Diskursteilnehmenden kann in sehr kurzen Wechseln<br />

erfolgen, daher ist es durchaus möglich, dass manche Begründungen überzeugend erscheinen,<br />

selbst wenn sie sich bei näherer Betrachtung als unvollständig <strong>oder</strong> unplausibel herausstellen.<br />

136


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Über das gesamte Datenmaterial hinweg sind die Geltungsansprüche der Teilnehmenden<br />

und der M<strong>oder</strong>ation mehrheitlich unbegründet, nur 39.4% aller getätigten Hauptaussagen<br />

sind begründet. Das ist ein verhältnismässig niedriger Wert, wenn man bedenkt, dass sich<br />

die Meinungs- und Willensbildung aus theoretischer Sicht an der begründeten Argumentation<br />

orientieren sollte. Von den 60.6% unbegründeten Geltungsansprüchen sind 39.4%<br />

erhebend. Inhaltlich wurde in diesen Fällen bspw. in ein Thema eingeführt, es wurde eine<br />

Frage gestellt, etwas zusammengefasst <strong>oder</strong> die eigene Meinung dargelegt. In 21.2% werden<br />

die Geltungsansprüche anderer Diskursteilnehmenden kritisiert, ohne dass die Kritik<br />

begründet worden wäre. Solches Gesprächsverhalten dient der Meinungsfindung kaum,<br />

denn es zielt nicht darauf ab, die Plausibilität einer Argumentation rational zu ergründen.<br />

Vielmehr wird dem Gesagten bzw. Geschriebenen einfach widersprochen <strong>oder</strong> es geht darum<br />

andere GesprächsteilnehmerInnen zu diskreditieren. 145 In Pro-Contra-Debatten, um die<br />

es sich bei den untersuchten Sendungen in der Mehrzahl handelt, zielt diese Art der Gesprächsführung<br />

also eher darauf ab, die eigene Position zu stärken, indem versucht wird<br />

andere Positionen auf diese Weise zu schwächen.<br />

Von den insgesamt 39.4% begründeten Geltungsansprüchen sind 24.2% erhebend, d.h. es<br />

wird bspw. erklärt, aus welchen Gründen eine bestimmte Position zur Abstimmungsvorlage<br />

eingenommen wird. Der informative Gehalt solcher Aussagen ist entsprechend höher<br />

als wenn eine Äusserung unbegründet im Raum stehen bleibt. Wenngleich es beim begründeten<br />

erheben von Geltungsansprüchen oftmals um die eigene Ansicht geht und nicht<br />

zwingend ein Austausch mit anderen Positionen erfolgen muss, 146 ist es aus Sicht der RezipientInnen<br />

zentral, dass das Gesagte bzw. Geschriebene begründet wird, denn nur so kann<br />

eine rational begründete Meinungsbildung erfolgen. In 15.2% werden die Geltungsansprüche<br />

anderer DiskursteilnehmerInnen begründet kritisiert. Für die Bestimmung der Diskursqualität<br />

ist dieser Wert von besonderem Interesse, denn er weist sowohl auf die Rationalität<br />

des Diskurses als auch auf die Reflexivität: Begründete Kritik wird meistens nur geäussert,<br />

wenn eine Auseinandersetzung mit der Argumentation anderer Diskursteilnehmenden<br />

stattgefunden hat.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Vergleicht man die klassischen Medien mit den Online-Foren mit Blick auf die Begründung<br />

von Geltungsansprüchen, so besteht der Hauptunterschied darin, dass in den Online-<br />

Foren insgesamt mehr kritisiert wird, ohne dass dabei eine Begründung für die Kritik angeführt<br />

würde. Der Anteil an unbegründeter Kritik ist mit 28.6% prozentual gesehen beinahe<br />

doppelt so gross als in den klassischen Medien mit 15.6%. Die begründete Kritik ist mit<br />

17.7% in den Online-Foren ebenfalls ausgeprägter als in den klassischen Medien mit<br />

13.3%. Demnach liegt der Schwerpunkt im Gesprächsverhalten der M<strong>oder</strong>ation und der<br />

Teilnehmenden in den Sendungen von Radio und Fernsehen beim unbegründeten Erheben<br />

von Geltungsansprüchen.<br />

145 Vgl. das Kapitel 8.2.<br />

146 Vgl. Kapitel 6.2 und 6.3.<br />

137


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

26.4%<br />

13.3%<br />

15.6%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

44.7%<br />

Klassische Medien (mit M<strong>oder</strong>ation) (n= 4895)<br />

21.3%<br />

17.7%<br />

28.6%<br />

32.3%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Online-Foren (n = 3725)<br />

Grafik 33: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Mediengattung<br />

Wie bereits erwähnt, gilt es bei den klassischen Medien zu beachten, dass sich das Gesprächsverhalten<br />

der M<strong>oder</strong>atorInnen aufgrund ihrer Funktion als GesprächsleiterInnen<br />

drastisch von jenem der übrigen AkteurInnen unterscheidet. Es ist nicht nur so, dass die<br />

M<strong>oder</strong>ation kaum Kritik äussert, sie begründet ihre Geltungsansprüche auch weniger, wie<br />

nachstehender Grafik entnommen werden kann:<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

n = 1892 n = 3003<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Erheben unbegründet<br />

Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet<br />

Kritisieren begründet<br />

Grafik 34: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

Die Verteilung bei den M<strong>oder</strong>atorInnen weist darauf hin, dass sich diese kaum mit einer<br />

eigenen „Position“ am Diskurs beteiligen – etwa indem sie die Argumentation anderer<br />

DiskursteilnehmerInnen in Frage stellen, widerlegen <strong>oder</strong> indem sie (kritische) Nachfragen<br />

stellen. Vielmehr stellen sie – in den meisten Fällen ohne Begründung – verschiedene Aspekte<br />

einer Thematik zur Diskussion <strong>oder</strong> fordern die Diskursteilnehmenden auf, sich zu<br />

einem bestimmten Sachverhalt zu positionieren.<br />

Um qualitative Unterschiede zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren<br />

bestimmen zu können, ist ein Vergleich zwischen den AkteurInnen (ohne M<strong>oder</strong>ation)<br />

daher lohnenswert. Die Beiträge der GesprächsteilnehmerInnen in den klassischen Medien<br />

sind gemessen an ihren Geltungsansprüchen nicht nur in stärkerem Masse begründet als<br />

jene der M<strong>oder</strong>atorInnen, sondern auch als jene der Teilnehmenden in den Online-Foren.<br />

Wie nachstehender Grafik entnommen werden kann, sind mehr als die Hälfte aller Geltungsansprüche<br />

in den klassischen Medien (52.6%) begründet, in den Online-Foren dagegen<br />

lediglich zwei Fünftel (39%.) Ebenso ist die begründete Kritik, die auf eine reflektierte<br />

Auseinandersetzung mit dem Gesagten hinweist, mit 20.2% etwas ausgeprägter als in den<br />

138


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Online-Foren mit 17.7%. In der Online-Diskussion überwiegt zudem die unbegründete<br />

Kritik gegenüber der begründeten Kritik. Dies lässt vermuten, dass auch der Respekt zwischen<br />

den Teilnehmenden weniger ausgeprägt ist als in den klassischen Medien. 147<br />

Wenn im Internet eigene Geltungsansprüche erhoben werden, sind diese ebenfalls in geringerem<br />

Masse begründet als in den klassischen Medien. Zu einem gewissen Teil lässt<br />

sich dieses Ergebnis mit dem Umstand begründen, dass die Teilnehmenden in den Online-<br />

Foren gewisse Funktionen der M<strong>oder</strong>ation übernehmen. So sind es die UserInnen, die die<br />

thematische Ausrichtung bestimmen, einzelne Themen aufgreifen und in die Diskussion<br />

einbringen und zuweilen auch andere TeilnehmerInnen dazu auffordern, sich zu einer bestimmten<br />

Frage zu positionieren. Solche Geltungsansprüche wurden als unbegründetes<br />

Erheben gewertet. Insofern erstaunt es nicht, dass der Wert der erhobenen und nicht begründeten<br />

Geltungsansprüche in den Online-Foren höher ist, als bei den Diskursteilnehmenden<br />

in den klassischen Medien (32.3% bzw. 25.2%). Diese Parallelisierung zwischen<br />

Online-NutzerInnen und M<strong>oder</strong>atorInnen kann beim unbegründeten Kritisieren hingegen<br />

nicht vorgenommen werden: Es gibt keinen funktionalen Grund, weshalb dieser Wert in<br />

den Online-Foren höher sein sollte, als in den klassischen Medien, zumal die M<strong>oder</strong>ation<br />

kaum unbegründete Kritik äusserte. Der hohe Anteil an unbegründeter Kritik ist somit gattungsspezifisch.<br />

Der Diskurs in den klassischen Medien weist folglich, bezogen auf das<br />

Kriterium, inwiefern die Geltungsansprüche begründet werden, eine höhere Qualität auf als<br />

die Diskussion in den Online-Foren.<br />

32.4%<br />

20.2%<br />

25.2%<br />

22.2%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Klassische Medien (ohne M<strong>oder</strong>ation) (n = 3003)<br />

21.3%<br />

17.7%<br />

28.6%<br />

32.3%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Online-Foren (n = 3725)<br />

Grafik 35: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Mediengattung (nur Teilnehmende)<br />

Kurzzusammenfassung: Sowohl im Vergleich zwischen allen AkteurInnen wie auch im<br />

Vergleich ohne die M<strong>oder</strong>ation wird in den Online-Foren mehr unbegründete Kritik vorgebracht<br />

als in den klassischen Medien. Das bedeutet, dass der Meinungsaustausch im Internet<br />

weniger konstruktiv ist als in Radio und Fernsehen, da die Kritik an anderen Aussagen<br />

oftmals nicht rational nachvollziehbar ist und kaum auf eine reflektierte Auseinandersetzung<br />

mit den Argumenten anderer schliessen lässt. Der Diskurs wird in den klassischen<br />

Medien insgesamt begründeter geführt – sofern man die Geltungsansprüche der M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

nicht miteinschliesst. Wenngleich die begründete Kritik, d.h. der zuverlässigste<br />

Gradmesser für die Reflexivität des Diskurses, in den klassischen Medien nur wenig ausgeprägter<br />

ist als in den Foren, so legen die Teilnehmenden ihre eigenen Positionen und<br />

Ansichten in den Radio- und Fernsehsendungen doch eher in Form von nachvollziehbaren<br />

Argumenten dar, und begnügen sich weniger mit unbegründeten Behauptungen. Dieses<br />

Verhältnis ist bei den Online-Foren genau umgekehrt.<br />

147 Vgl. dazu Kapitel 8.2, S. 182ff.<br />

139


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen / <strong>Dialog</strong>format<br />

An dieser Stelle interessiert, ob zwischen den beiden Mediengattungen Radio und Fernsehen<br />

Unterschiede bezüglich der Begründetheit der Diskussion festgestellt werden können.<br />

Betrachtet man das diskursive Verhalten aller AkteurInnen (inklusive M<strong>oder</strong>ation) fällt<br />

auf, dass der Anteil an unbegründeter Kritik in den Fernsehsendungen mit 19.3% deutlich<br />

höher ist als in den Radiosendungen mit 10.8%. Die Anteile an Kritik, für die eine Begründung<br />

angeführt wird, sind sich hingegen ähnlich. Im Fernsehen werden des Weiteren weniger<br />

Geltungsansprüche begründet erhoben als dies im Radio der Fall ist (23.4% bzw.<br />

30.1%). Die Anteile an unbegründeten erhebenden Geltungsansprüchen sind sich wiederum<br />

ähnlich. Insgesamt wird im Radio also weniger kritisiert und mehr begründet.<br />

Genannte Unterschiede verstärken sich zusätzlich, wie der Grafik 36 zu entnehmen ist,<br />

wenn man nur das Gesprächsverhalten der AkteurInnen (ohne M<strong>oder</strong>ation) betrachtet:<br />

Mehr als die Hälfte aller Geltungsansprüche im Radio (59.5%) sind begründet, während<br />

dieser Wert bei der Mediengattung Fernsehen mit 47.8% deutlich geringer ausfällt – im<br />

Fernsehen ist die Mehrheit aller Geltungsansprüche unbegründet. Der Anteil der Kritik ist<br />

im Fernsehen insgesamt um 9.3% höher als im Radio, die Kritik wird dabei weniger begründet,<br />

als dies im Radio der Fall ist (19.4% zu 21.4%). Diese Werte verweisen darauf,<br />

dass der Diskurs in den Radiosendungen rationaler geführt wird.<br />

23.4%<br />

13.4%<br />

19.3%<br />

43.9%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Fernsehen (n = 2759)<br />

28.4%<br />

19.4%<br />

25.4%<br />

26.8%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Fernsehen Teilnehmende (ohne M<strong>oder</strong>ation)<br />

(n = 2145)<br />

30.1%<br />

13.2%<br />

Radio (n = 1776)<br />

10.8%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

21.4%<br />

38.1%<br />

25.0%<br />

45.9%<br />

15.5%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Radio Teilnehmende (ohne M<strong>oder</strong>ation)<br />

(n = 1227)<br />

Grafik 36: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Radio und Fernsehen<br />

Allerdings stellt sich die Frage, ob die unterschiedlichen Ergebnisse für Radio und Fernsehen<br />

tatsächlich auf gattungsspezifische Eigenheiten zurückzuführen sind <strong>oder</strong> ob für dieses<br />

Ergebnis andere Erklärungsansätze herangezogen werden können.<br />

Der augenfälligste Unterschied zwischen den untersuchten Radio- und Fernsehsendungen<br />

besteht darin, dass die dialogischen Sendeformate im Radio zu einem grossen Teil aus Interviews<br />

bestehen, während im Fernsehen Debatten das bevorzugte dialogische Format<br />

140


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

darstellen: Beim Radio wird der Diskurs in 20 von 36 Sendungen als Interview geführt<br />

(55.6%), beim Fernsehen ist dies hingegen nur in 4 von 21 Sendungen der Fall (19.1%). 148<br />

Analysiert man nun wie viele Geltungsansprüche erhoben werden, wie viele auf eine Kritik<br />

abzielen und wie das Verhältnis zwischen begründeten und unbegründeten Geltungsansprüchen<br />

aussieht, so zeigt der Vergleich zwischen Interviews und Debatten folgende Ergebnisse:<br />

Wird der <strong>Dialog</strong> als Interview geführt, so begründen die eingeladenen Gäste ihre<br />

Argumentationen und Stellungnahmen mehrheitlich, nämlich in 66.9% aller Geltungsansprüche.<br />

Das kommunikative Verhalten der Teilnehmenden weist darauf hin, dass ihnen im<br />

Interview viel Gelegenheit geboten wird, ihre Position darzulegen. Die Notwendigkeit,<br />

diese zu verteidigen, ist hingegen weniger ausgeprägt, denn das Mass an geäusserter Kritik<br />

ist mit 20.2% eher niedrig. Mit 7.3% wird zudem nur wenig unbegründete Kritik geäussert.<br />

In den Debatten ist der Anteil an Kritik erwartungsgemäss höher und liegt in den untersuchten<br />

Sendungen für die Teilnehmenden bei insgesamt 47.3%. Dabei wird prozentual<br />

mehr unbegründete als begründete Kritik geäussert. Etwas mehr als ein Viertel aller Geltungsansprüche<br />

besteht aus unbegründeter Kritik, damit liegt dieser Wert mehr als dreimal<br />

über dem Wert der Interviews. Der Vergleich zwischen der Verteilung beim Fernsehen und<br />

bei Debatten bzw. beim Radio und bei Interviews, zeigt Analogien auf, wie aus nachstehender<br />

Grafik abgelesen werden kann.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

n=1776 n=2662 n=1227 n=341<br />

Fernsehen Debatten Radio Interviews<br />

Erheben unbegründet<br />

Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet<br />

Kritisieren begründet<br />

Grafik 37: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Radio und Fernsehen und nach<br />

<strong>Dialog</strong>format (ohne M<strong>oder</strong>ation)<br />

Die Verteilungen beim Fernsehen und bei den Debatten sind approximativ, ebenso jene<br />

beim Radio und bei den Interviews. Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden,<br />

dass die ausgemachten Unterschiede zwischen den Mediengattungen Radio und Fernsehen<br />

auf das unterschiedliche Gewicht der <strong>Dialog</strong>formate zurückgeführt werden können. Wären<br />

im Radio mehr Debatten ausgestrahlt worden, hätten sich die Werte mit grösster Wahrscheinlichkeit<br />

jenen im Fernsehen angenähert. Mit anderen Worten, der Diskurs ist im Radio<br />

rationaler, d.h. in höherem Masse begründet, da mehr Interviews geführt werden als im<br />

Fernsehen. Allerdings wäre es falsch daraus den Schluss zu ziehen, dass das Interview als<br />

Form des <strong>Dialog</strong>s eine klare Präferenz durch die Mediengattung Radio erfährt, da das Interview<br />

bei den Radiosendern in den beiden Sprachregionen unterschiedlich oft als <strong>Dialog</strong>form<br />

gewählt wurde.<br />

148 Im Radio stammen 23.5% aller Geltungsansprüche aus Interviews, im Fernsehen 6.6%.<br />

141


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Der Vergleich zwischen den Sprachregionen verdeutlicht, dass die Präferenzen bezüglich<br />

der dialogischen Formate Interview und Debatte nicht zwingend gattungsspezifisch sind.<br />

Wie bereits in Kapitel 4.1 dargelegt, wurden 95.0% aller untersuchten Radiosendungen,<br />

die als Interview konzipiert sind, in der Westschweiz ausgestrahlt. 66.3% aller Radiosendungen<br />

in der Romandie sind Interviews. Würde es sich um eine radiospezifische Eigenheit<br />

handeln, müsste dieser Wert bei allen Radiosendungen ähnlich hoch sein. Bei den Radiostationen<br />

der Deutschschweiz kann das Interview mit 16.7% jedoch kaum als bevorzugtes<br />

dialogisches Format gelten – allerdings konnten hier auch nur 6 Radiosendungen berücksichtigt<br />

werden, gegenüber 30 Sendungen in der Westschweiz. Überhaupt scheint der<br />

<strong>Dialog</strong> in Form eines Interviews in der Romandie deutlich beliebter zu sein: 87.5% aller<br />

Interviews wurden von den Westschweizer Sendern ausgestrahlt.<br />

Aus diesem Grund unterscheidet sich der Diskurs in den beiden Sprachregionen hinsichtlich<br />

des Kriteriums der Begründung von Geltungsansprüchen deutlich.<br />

23.3%<br />

22.7%<br />

24.7%<br />

29.3%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Deutschschweiz (nur Teilnehmende) (n = 2041)<br />

18.3%<br />

39.2%<br />

25.7%<br />

16.9%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Westschweiz (nur Teilnehmende) (n= 2854)<br />

Grafik 38: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche in den klassischen Medien nach Sprachregion<br />

In der Westschweiz, wo der Einfluss des <strong>Dialog</strong>formats „Interview“ grösser ist als in der<br />

Deutschschweiz, ist der Anteil an begründeten Geltungsansprüchen mit 57.5% deutlich<br />

höher als in der Deutschschweiz mit 46.0%. 149 Analog zur Unterscheidung zwischen Debatten<br />

und Interviews wird in der Romandie insgesamt weniger kritisiert, wobei der Wert<br />

für die begründete Kritik über jenem der unbegründeten Kritik liegt. Die Hauptaktivität<br />

liegt mit 39.2% im begründeten Erheben, die Gesprächsteilnehmenden nehmen demnach<br />

die Gelegenheit wahr, ihre Ansichten und Positionen darzulegen und zu begründen. Die<br />

Werte für die Deutschschweiz lassen hingegen darauf schliessen, dass hier eher ein<br />

Schlagabtausch, ein Beurteilen anderer Positionen stattfindet.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Anders als bei oben genannten Vergleichsebenen fördert der Vergleich zwischen den öffentlichen<br />

und den privaten Anbietern keine auffälligen Unterschiede zutage. Die Teilnehmenden<br />

begründen ihre Geltungsansprüche in ähnlichem Masse, nämlich zu 53.0% in<br />

den Sendungen der öffentlichen Anbieter und zu 51.8% in den privaten. Das Mass an begründeter<br />

Kritik liegt bei den öffentlichen Sendern mit 21..8% minimal über dem Durchschnitt<br />

für die klassischen Medien (20.2%). Dieser Wert nähert sich bei den privaten An-<br />

149 In der Deutschschweiz stammen nur gerade 6.0% aller Geltungsansprüche aus Interviews, in der West-<br />

schweiz 19.7%.<br />

142


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

bietern jenem für die Online-Foren (17.7%) und liegt mit 17.1% sogar leicht darunter.<br />

Demgegenüber werden bei den privaten Sendern mehr begründete Geltungsansprüche erhoben<br />

(34.7%) als bei den öffentlichen (31.2%). Wenngleich die öffentlichen Sender bei<br />

der wichtigen Kategorie der begründeten Kritik etwas besser abschneiden als die privaten,<br />

ist der Unterschied mit 3.1% doch eher klein. Die unterschiedliche Gewichtung der <strong>Dialog</strong>formate<br />

äussert sich bei dieser Vergleichsebene in der stärkeren Begründung der Geltungsansprüche<br />

bei den öffentlichen Sendern, da bei diesen die Interviews ein stärkeres Gewicht<br />

einnehmen. 150 Allerdings hätte erwartet werden können, dass die Unterschiede etwas deutlicher<br />

sind.<br />

Kurzzusammenfassung: Innerhalb der klassischen Medien unterscheiden sich die öffentlichen<br />

Anbieter im Hinblick auf die Begründetheit des Diskurses von den privaten Anbietern<br />

nur in geringem Masse, wobei die öffentlichen Sender, bei denen das <strong>Dialog</strong>format Interview<br />

ein stärkeres Gewicht einnimmt, eine leicht höhere Diskursqualität aufweisen. Hingegen<br />

lassen sich deutliche Unterschiede sowohl zwischen den Mediengattungen Radio<br />

und Fernsehen als auch zwischen den beiden Sprachregionen ausmachen. In der Westschweiz,<br />

wo im Verhältnis mehr Radiosendungen ausgestrahlt wurden und wo insbesondere<br />

auch der Einfluss der Interviews stärker ist, wurde der Diskurs rationaler geführt. In der<br />

Romandie wird insgesamt seltener kritisiert als in der Deutschschweiz. Dagegen ist der<br />

Anteil an begründeten Geltungsansprüchen deutlich höher als in der deutschsprachigen<br />

Schweiz. Wie gezeigt werden konnte, werden in Interviews v.a. begründete Geltungsansprüche<br />

erhoben und es wird mehr begründete als unbegründete Kritik geäussert. Der Anteil<br />

an begründeter Kritik ist prozentual gesehen in den Debatten allerdings etwas höher.<br />

Obschon Interviews im Radio stärker gewichtet sind als im Fernsehen, ist der Anteil an<br />

begründeter Kritik im Radio höher als Fernsehen. Daraus kann geschlossen werden, dass<br />

der Diskurs in der Mediengattung Radio rationaler geführt wird.<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Wie bereits ausgeführt, wird der Diskurs in den klassischen Medien insgesamt begründeter<br />

geführt als in den Online-Foren. Eine detaillierte Analyse der Foren zeigt jedoch, dass die<br />

Diskursqualität gemessen am Kriterium „Begründung von Geltungsansprüchen“ je nach<br />

Forum unterschiedlich ausfällt. Die Online-Foren von Medienverlagshäusern (baz.ch, espace.ch,<br />

tdg.ch und 24heures.ch) sind für das übergreifende Ergebnis (wie oben ausgeführt)<br />

bestimmend, da diese Foren den grössten Anteil an der Gesamtzahl aller in den Online-Foren<br />

erhobenen Geltungsansprüche stellen (68.4%). Gegenüber diesen Foren gestaltet<br />

sich das Verhältnis zwischen begründeten und unbegründeten Geltungsansprüchen bei<br />

den google.groups anders, wie Grafik 39 entnommen werden kann. Betrachtet man nur die<br />

für das Abstimmungsthema relevanten Hauptaussagen, wird deutlich, dass die Mehrheit<br />

der Geltungsansprüche unbegründet bleibt: Gegenüber 41.1% begründeten Geltungsansprüchen<br />

in den Foren der Medienverlagshäuser sind es hier nur 34.3%. Besonders auffällig<br />

ist der Anteil an unbegründeter Kritik, der bei den google.groups um 13.7% höher liegt<br />

als bei den anderen Online-Foren. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt hier insgesamt<br />

auf der Kritik: 59.3% aller Hauptaussagen dienen dazu, andere GesprächsteilnehmerInnen<br />

zu kritisieren, dies ist bei den übrigen Foren in 47.7% der Fall. Wenngleich der Anteil an<br />

begründeter Kritik im prozentualen Vergleich mit den Foren der Medienverlagshäuser höher<br />

ausfällt (21.1% gegenüber 16.2%), spricht das Verhältnis zwischen unbegründeter und<br />

begründeter Kritik bei Ersteren für einen konstruktiveren Diskurs: Es gibt bei den<br />

google.groups zwar Beiträge in denen die Teilnehmenden die Argumentation anderer reflektiert<br />

kritisieren, im direkten Vergleich mit den Online-Foren der Medienverlagshäuser<br />

ist dies gar öfters der Fall, es wird jedoch deutlich mehr unbegründete Kritik geäussert<br />

150 Bei den untersuchten Sendungen der öffentlichen Anbieter stammen 17.4% aller Geltungsansprüche aus<br />

Interviews, bei denjenigen der privaten 7.2%.<br />

143


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

(1.8-mal mehr gegenüber 1.5-mal mehr in den Foren der Medienverlagshäusern). Dies hat<br />

einen negativen Einfluss auf das Diskussionsklima.<br />

13.1%<br />

21.1%<br />

38.2%<br />

27.5%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Google (n = 1118)<br />

24.9%<br />

16.2%<br />

24.5%<br />

34.4%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Medienverlagshäuser (n=2607)<br />

Grafik 39: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Forenanbieter<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Wie bereits erwähnt, wurde auf Google keine Diskussion auf Französisch geführt. Die Ergebnisse<br />

für die Foren der google.groups finden somit nur einen Niederschlag in den ermittelten<br />

Werten für die Deutschschweiz. Der Vergleich zwischen der prozentualen Verteilung<br />

an (un-)begründeter Kritik und (un-)begründeten erhobenen Geltungsansprüchen für<br />

den deutschsprachigen Landesteil insgesamt und für die google.groups allein zeigt deutliche<br />

Parallelen. Allerdings lassen sich diese nicht allein mit dem Anteil der google.groups<br />

erklären, denn dieser beträgt auch in der Deutschschweiz lediglich 40.2%. Im Vergleich<br />

zwischen der Deutsch- und der Westschweiz zeigen sich qualitative Unterschiede, die auf<br />

unterschiedliche Diskurskulturen in den jeweiligen Landesteilen schliessen lassen:<br />

17.9%<br />

18.6%<br />

32.6%<br />

30.9%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Deutschschweiz (n = 2997)<br />

35.2%<br />

13.9%<br />

12.7%<br />

38.2%<br />

Erheben unbegründet Kritisieren unbegründet<br />

Erheben begründet Kritisieren begründet<br />

Westschweiz (n = 748)<br />

Grafik 40: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

Oben stehenden Grafiken kann entnommen werden, dass der Diskurs in den Westschweizer<br />

Foren tdg.ch und 24heures.ch begründeter geführt wird als in den Foren der Medienverlagshäusern<br />

insgesamt und damit auch rationaler als in der Deutschschweiz. Es werden<br />

nicht nur insgesamt deutlich mehr Geltungsansprüche begründet (49.1% vs. 36.5% in der<br />

Deutschschweiz bzw. 41.1% bei den Medienverlagshäusern gesamthaft), die GesprächsteilnehmerInnen<br />

bringen auch weniger unbegründete als begründete Kritik an, wohingegen<br />

sich die UserInnen in der Deutschschweiz fast doppelt so oft ohne als mit Begründung<br />

kritisieren.<br />

144


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Während in den klassischen Medien eine Korrelation zwischen dem Anteil an Interviews<br />

und sprachregionalen Unterschieden festgestellt werden konnte und die Ergebnisse somit<br />

keine klaren Rückschlüsse über unterschiedliche Diskurskulturen in den untersuchten<br />

Sprachregionen zulassen (s.o.), gilt diese Einschränkung bei den Online-Foren nicht. Die<br />

Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Diskurs in der Romandie begründeter geführt wird.<br />

Eine eingehendere Untersuchung zum Einfluss der Struktur der jeweiligen Foren auf die<br />

Diskursqualität könnte dazu beitragen, dieses Ergebnis zu validieren.<br />

Kurzzusammenfassung: Auf der Ebene der Anbieter zeigt sich, dass die Teilnehmenden in<br />

den Foren der google.groups gegenüber derjenigen der Medienverlagshäuser ihr Aussagen<br />

erstens mehrheitlich nicht begründen und zweitens, dass diese v.a. darauf abzielen andere<br />

zu kritisieren. Bei Google wird zwar leicht mehr begründete Kritik geäussert als bei den<br />

Medienverlagshäusern, was auf eine reflektierte Auseinandersetzung schliessen liesse. Der<br />

begründeten Kritik steht jedoch ein deutlich höherer Wert an unbegründeter Kritik gegenüber.<br />

Das Verhältnis spricht dafür, dass ein konstruktiver Meinungsaustausch bei den<br />

google.groups nur sehr eingeschränkt erreicht werden kann. Die UserInnen in den Foren<br />

der Medienverlagshäuser stellen in erster Linie Behauptungen, also unbegründete Aussagen<br />

in den Raum. Dabei ist die unbegründete Kritik jedoch nicht dominierend, weshalb<br />

diese Foren insgesamt eine höhere Diskursqualität aufweisen.<br />

Auf der Ebene der Sprachregionen konnte bei den Online-Foren ein deutlicher Unterschied<br />

festgestellt werden. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass sich die Ergebnisse<br />

der google.groups lediglich in denjenigen der Deutschschweiz niederschlagen. Allerdings<br />

sind dadurch nicht alle Differenzen erklärbar, weshalb ein Unterschied in der Kommunikationskultur<br />

angenommen werden muss. Insgesamt kann festgestellt werden, dass<br />

der Diskurs in den Westschweizer Foren konstruktiver geführt wird als in denjenigen der<br />

Deutschschweiz, da insgesamt mehr begründet und verhältnismässig wenig unbegründete<br />

Kritik geäussert wird. Allerdings findet hier weniger oft eine kritische Auseinandersetzung<br />

mit anderen Positionen statt.<br />

7.3 Inhaltliche Ausrichtung der Geltungsansprüche<br />

Bislang wurde ausgeführt, inwiefern sich die einzelnen Mediengattungen, Anbieter und<br />

Sprachregionen mit Blick auf die thematische Relevanz und die Rationalität des Diskurses<br />

unterscheiden. In diesem Kapitel soll der Fokus vermehrt auf die inhaltliche Ausrichtung<br />

des Diskurses gerichtet werden. Zunächst wird anhand der Klassifizierung der Geltungsansprüche<br />

nach Habermas (1981) untersucht, ob sich die Diskursteilnehmenden eher über<br />

Sachfragen, d.h. über objektive Tatsachen und Vorgänge, die wahr <strong>oder</strong> unwahr sind, verständigen,<br />

ob im Meinungsaustausch eher normative Fragen zur Diskussion gestellt werden<br />

<strong>oder</strong> ob vielmehr die subjektive Welt der AkteurInnen bzw. deren Glaubwürdigkeit im<br />

Zentrum steht. Zum einen interessiert, ob gewisse Argumentationsformen den Diskurs dominieren,<br />

zum anderen interessiert insbesondere, ob die Debatte je nach Mediengattung<br />

und Anbieter eher auf eine Personalisierung der Argumentation ausgerichtet ist.<br />

Um detailliertere Aussagen über die Inklusivität der Argumente machen zu können, wird<br />

in einem zweiten Schritt untersucht, welche Themen in den verschiedenen Diskussionsplattformen<br />

konkret zur Sprache kommen und inwiefern diese der erwarteten inhaltlichen<br />

Auseinandersetzung entsprechen. 151<br />

151 Anhand der Abstimmungsunterlagen und einzelner Stichproben wurde für beide Abstimmungen ein Katalog<br />

an Themen aufgestellt, von denen erwartet werden konnte, dass sie zur Sprache kommen würden.<br />

145


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

7.3.1 Klassifizierung der Geltungsansprüchen: Sachlich, normativ,<br />

subjektiv<br />

In den Sendungen und Online-Foren zu den beiden Abstimmungsvorlagen „Schengen/Dublin“<br />

und „Personenfreizügigkeit“ wird der Diskurs in seiner grundlegenden Struktur<br />

klar von einer sachlichen Argumentationsweise dominiert, wie unten stehender Grafik<br />

entnommen werden kann.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

n=7168 n=60 n=1392<br />

Sachlich Normativ Subjektiv<br />

Erheben unbegründet<br />

Erheben begründet<br />

Kritisieren unbegründet<br />

Kritisieren begründet<br />

Grafik 41: Klassifizierung der Geltungsansprüche anhand der Ebenen „Sachlich“, „Normativ“ und<br />

„Subjektiv“<br />

Eine klare Mehrheit aller Geltungsansprüche wird auf der sachlichen Ebene geäussert<br />

(83.2%). Demgegenüber steht die subjektive Erfahrungswelt der Teilnehmenden mit<br />

16.2% kaum zur Diskussion bzw. die AkteurInnen verzichten weitgehend auf eine subjektive<br />

Argumentation. Normative Äusserungen werden äusserst selten vorgebracht bzw. stehen<br />

nicht im Zentrum eines Geltungsanspruchs. 152<br />

Ein Grund für die überaus sachlich geführte Diskussion zu den Abstimmungsvorlagen liegt<br />

wahrscheinlich in der thematischen Ausrichtung derselben: Mit „Schengen/Dublin“ und<br />

der Erweiterung des Personenfreizügigkeitsabkommens wurden der Bevölkerung zwei<br />

Gesetzestexte vorgelegt, die sich in das Bilaterale Vertragswerk mit der Europäischen Union<br />

einreihten. Die Vorlagen berührten vornehmlich sicherheits- und wirtschaftspolitische<br />

Fragen. Im Zentrum der ersten Abstimmung stand die Frage, ob die Aufhebung der systematischen<br />

Passkontrolle an der Schweizer Grenze, der Zugriff auf ein internationales<br />

Fahndungssystem sowie auf die Datenbank „Eurodac“ (Registrierung von Asylsuchenden)<br />

dem Land mehr <strong>oder</strong> weniger Sicherheit bringen werde. Die Frage der Visumspolitik wurde<br />

überdies mit Blick auf mögliche Vorteile für die Schweizer Wirtschaft (Tourismus) diskutiert.<br />

Eher am Rande des Abkommens wurden zudem eine Anpassung des Waffengesetzes<br />

an EU-Regelungen und die Intangibilität des Bankgeheimnisses, welche durch das Abkommen<br />

gewährleistet wurde, diskutiert. Es handelte sich somit um eine Abstimmungsvorlage,<br />

die kaum merkliche Auswirkungen auf die „Lebenswelt“ einer Mehrheit der StimmbürgerInnen<br />

erwarten liess. Eine normative Auseinandersetzung hätten am ehesten die<br />

neuen Möglichkeiten im Asylwesen erwarten lassen, da ein Referendumskomitee die humanitäre<br />

Tradition der Schweiz gefährdet sah. Eine verstärkt subjektive Auseinanderset-<br />

152 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Klassifizierung bei der Codierung gewichtet vorgenommen<br />

wurde, d.h. codiert wurde jene Ebene, die im Vordergrund eines Geltungsanspruchs stand.<br />

Total<br />

146


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

zung liess die Argumentation eines weiteren Referendumskomitees erwarten, das neben<br />

einem späteren EU-Beitritt auch „mehr Kriminelle“ und „mehr Arbeitslose“ befürchtete. 153<br />

In der zweiten Abstimmungsvorlage ging es darum, die bereits getroffene Regelung mit<br />

der EU bezüglich der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Staaten zu erweitern.<br />

Im Vertragswerk enthalten waren präventive Massnahmen, die einen Zuwanderungsstrom<br />

und befürchtete Nachtteile für schweizerische ArbeitnehmerInnen und -Arbeitssuchende<br />

unterbinden sollten. Während die Regierung bei einer Ablehnung politische und wirtschaftliche<br />

Nachteile befürchtete, prognostizierten die Referendumskomitees in ihren<br />

Hauptargumenten eine Zunahme des Lohndrucks, der Schwarzarbeit, der Einwanderung<br />

sowie eine Unterwanderung der Sozialwerke, weniger Wohlstand und mehr Arbeitslosigkeit.<br />

Aufgrund der angesprochenen Themen, insbesondere den Arbeitsmarkt betreffend,<br />

konnte in der Diskussion dieser Vorlage eher eine subjektiv gefärbte Auseinandersetzung<br />

erwartet werden. 154<br />

Welche der genannten Themen tatsächlich verstärkt diskutiert wurden, wird noch zu klären<br />

sein (s.u.). Bei beiden Vorlagen kann jedoch konstatiert werden, dass bezüglich der Effekte<br />

der Gesetzesänderungen auf die „Lebenswelt“ der StimmbürgerInnen sowohl von den BefürworterInnen<br />

als auch von den GegnerInnen nur Annahmen über potentielle Auswirkungen<br />

getroffen werden konnten. Dies z.B. im Gegensatz zu einer Abstimmungsvorlage über<br />

die Besteuerung, in der die Auswirkungen auf bestimmte Personengruppen konkret beziffert<br />

werden können.<br />

Wenn an dieser Stelle also die Hypothese aufgestellt wird, dass sich die thematische Ausrichtung<br />

einer Abstimmungsvorlage auf die grundlegende Struktur des Diskurses auswirkt,<br />

so bedürfte es für deren abschliessende Verifizierung einer weiterführenden Untersuchung,<br />

in der mehrere Abstimmungen, die unterschiedlich ausgerichtete Themen zum Gegenstand<br />

hätten, vergleichend analysiert würden. Stichprobenartig wurde jedoch untersucht, ob sich<br />

Werte für den Diskurs zur Abstimmung über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit<br />

von jenen zur Schengen/Dublin-Vorlage unterscheiden. Der Vergleich innerhalb der klassischen<br />

Medien (nur Teilnehmende) zeigt, dass die subjektive Argumentation bei der zweiten<br />

Abstimmung (Personenfreizügigkeit) tatsächlich leicht stärker ist:<br />

Abstimmung Untersuchungseinheit<br />

(Geltungsanspruch) Sachlich Normativ Subjektiv<br />

Schengen/Dublin n = 1165 85.1% 0.9% 14.0%<br />

Personenfreizügigkeit n = 1838 80.4% 1.4% 18.3%<br />

Tabelle 21: Klassifizierung der Geltungsansprüche in den klassischen Medien (nur Teilnehmende)<br />

nach Abstimmungsvorlage<br />

Bei der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit erheben die Teilnehmenden ihre Geltungsansprüche<br />

um 4.3% mehr auf der subjektiven Ebene als dies bei der Abstimmung zum<br />

Schengen/Dublin-Dossier der Fall ist. Dieser Wert kann jedoch höchstenfalls auf eine Tendenz<br />

hinweisen.<br />

Aufgrund der geringen Fallzahl normativer Geltungsansprüche wird bei nachfolgenden<br />

Analyseebenen auf einen eingehenden Vergleich dieses Wertes verzichtet. Besonderes<br />

Augenmerk soll indes auf die subjektive Ausprägung des Diskurses gerichtet werden, ins-<br />

153 Vgl. Abstimmungsunterlagen unter: Bundesbehörden der schweizerischen Eidgenossenschaft – „Schengen/Dublin“:<br />

http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20050605/explic/d-pp0100_pp8000.pdf [Stand:<br />

20.12.2006] .<br />

154 Vgl. Abstimmungsunterlagen unter: Bundesbehörden der schweizerischen Eidgenossenschaft – „Erweiterung<br />

der Personenfreizügigkeit“: http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20050925/explic/01-24_d.pdf [Stand:<br />

20.12.2006].<br />

147


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

besondere beim intermediären Vergleich. Von Interesse ist dabei auch die Frage, ob in<br />

einzelnen Mediengattungen vermehrt subjektiv argumentiert wird. Die subjektive Begründung<br />

verweist darauf, dass die Teilnehmenden ihre Argumentation auf die persönliche Lebens-<br />

und Erfahrungswelt abstützen, d.h. sie begründen ihre Aussagen bspw. mit der eigenen<br />

Erfahrung <strong>oder</strong> Beispielen aus ihrem persönlichen Umfeld („Ihre Aussage stimmt so<br />

nicht, denn in meinem Unternehmen mache ich diesbezüglich ganz andere Erfahrungen“).<br />

Bei unbegründeten Geltungsansprüchen, die auf der subjektiven Ebene geäussert werden,<br />

muss dies nicht zwingend der Fall sein. 155<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Wie bereits festgestellt wurde, ist die Inklusivität der AkteurInnen bei den Online-Foren, in<br />

denen sich fast ausschliesslich Personen aus der Peripherie beteiligten, fundamental anders<br />

als in den Sendungen von Radio und Fernsehen, in denen verschiede Akteursgruppen vertreten<br />

sind, wobei das Zentrum leicht dominiert. VertreterInnen von Behörden, Parteien<br />

<strong>oder</strong> Interessensgruppen erhalten im medialen Diskurs die Gelegenheit, eine kollektiv gefasste<br />

Haltung zu einer jeweiligen Abstimmungsvorlage zu vertreten und zu erläutern. Persönliche<br />

Beweggründe und Implikationen können zwar ebenfalls zum Thema werden,<br />

doch kann dies nicht a priori erwartet werden. Die peripheren DiskursteilnehmerInnen<br />

kennen hingegen keinen solchen „Auftrag“. Zwar ist es ihnen freigestellt eine anwaltschaftliche<br />

Position für ein wie auch immer geartetes Kollektiv einzunehmen, es ist jedoch<br />

zu erwarten, dass sie primär ihre persönliche Meinung in den Diskurs einbringen. Aus diesem<br />

Grund interessiert insbesondere, ob sich die Anteile der subjektiven Auseinandersetzung<br />

für Online-Foren und klassische Medien unterscheiden.<br />

Um diesen Vergleich vorzunehmen erscheint es wiederum sinnvoll, bei den klassischen<br />

Medien zwischen dem Gesprächsverhalten der M<strong>oder</strong>ation und jenem der Teilnehmenden<br />

zu unterscheiden:<br />

przentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

n=2468 n=36 n=125 n=1839 n=3 n=50<br />

Sachlich Normativ Subjektiv Sachlich Normativ Subjektiv<br />

Teilnehmende M<strong>oder</strong>ation<br />

Erheben unbegründet<br />

Erheben begründet<br />

Kritisieren unbegründet<br />

Kritisieren begründet<br />

Grafik 42: Klassifizierung der Geltungsansprüche nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

155 Aufgrund der gewählten Systematik bei der Datenerhebung wurde hier nicht zwischen Aussagen, die den<br />

Sachverhalt aus der persönlichen Perspektive beleuchten und solchen, in denen andere Diskursteilnehmende<br />

aus der persönlichen Warte kommentiert und beurteilt werden, unterschieden. Letztere Ausrichtung wurde<br />

indes einer gesonderten Untersuchung unterzogen (Vgl. Kapitel 8.2).<br />

Total<br />

148


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Wie der Grafik entnommen werden kann, berührt eine klare Mehrheit der Geltungsansprüche<br />

– sowohl der Teilnehmenden als auch der M<strong>oder</strong>ation – die sachliche Ebene. Die Auseinandersetzung<br />

aus der subjektiven Perspektive nimmt bei den Teilnehmenden mit 16.6%<br />

jedoch ein deutlich stärkeres Gewicht ein als bei der M<strong>oder</strong>ation, die sich nur mit 2.6%<br />

aller Geltungsansprüche auf der subjektiven Ebene bewegt. Knapp die Hälfte der subjektiven<br />

Geltungsansprüche der Teilnehmenden sind begründet (47.7%). Insgesamt spielt die<br />

Lebenswelt der Teilnehmenden jedoch eine untergeordnete Rolle, denn der prozentuale<br />

Anteil der auf der subjektiven Ebene begründeten Geltungsansprüche an allen Geltungsansprüchen<br />

ist mit 7.9% eher gering. In den untersuchten Sendungen fordern die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

die GesprächsteilnehmerInnen auch kaum dazu auf, eine persönliche Sichtweise in<br />

den Diskurs einzubringen: Nur 8.4% aller von ihnen gestellten Fragen zielen darauf ab, die<br />

Teilnehmenden zu einer subjektiven Einschätzung zu bewegen. Im Gegensatz dazu zielen<br />

57.1% der Fragen auf eine Positionierung der Beteiligten ab. 156<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

n=2468 n=36 n=125 n=2861 n=21 n=843<br />

Sachlich Normativ Subjektiv Sachlich Normativ Subjektiv<br />

Klassisch: Teilnehmende Online<br />

Erheben unbegründet<br />

Erheben begründet<br />

Kritisieren unbegründet<br />

Kritisieren begründet<br />

Grafik 43: Klassifizierung der Geltungsansprüche nach Mediengattung (nur Teilnehmende)<br />

Die Klassifizierung aller für das Thema relevanten Geltungsansprüche ergibt für die klassischen<br />

Medien (ohne M<strong>oder</strong>ation) und die Online-Foren erwartungsgemäss unterschiedliche<br />

Ergebnisse.<br />

Der Anteil an subjektiven Geltungsansprüchen ist in den Online-Foren mit 22.6% tatsächlich<br />

höher als in den klassischen Medien mit 16.6%. Nichts desto trotz wird die Diskussion<br />

auch in den Online-Foren mehrheitlich auf der sachlichen Ebene geführt. Sofern die Diskussion<br />

auf die subjektive Ebene wechselt, steht die persönliche Erfahrungswelt jedoch<br />

nicht stärker im Vordergrund als dies bei den klassischen Medien der Fall ist. Vielmehr<br />

gleicht sich der Wert für begründete subjektive Geltungsansprüche mit 7.1% aller themenrelevanten<br />

Geltungsansprüche in den Online-Foren jenem in den klassischen Medien mit<br />

7.9% an. Hingegen werden mit 15.5% fast doppelt so oft unbegründete subjektive Geltungsansprüche<br />

erhoben, als in den klassischen Medien mit 8.7%. Betrachtet man die Kategorie<br />

der subjektiven Geltungsansprüche separat, so sind in den klassischen Medien<br />

47.7% aller subjektiven Geltungsansprüche begründet, in den Online-Foren dagegen mit<br />

31.5% nicht einmal ein Drittel. Dies weist darauf hin, dass in den Online-Foren vermehrt<br />

personenbezogene Fragen diskutiert werden, in denen es um die Glaubwürdigkeit bzw.<br />

156 Diese Werte wurden anhand der Kategorie „Intentionen“ ermittelt (vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2 im An-<br />

hang).<br />

Total<br />

149


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

auch um die Diskreditierung anderer UserInnen geht. Dies wird durch die Ergebnisse der<br />

respektverletzenden Äusserungen bestätigt. 157<br />

Kurzzusammenfassung: Obschon der Diskurs in den Online-Foren fast ausschliesslich von<br />

Privatpersonen geführt wird, die keine Zugehörigkeit zu einer Partei <strong>oder</strong> einer bestimmten<br />

Interessensgruppe zu erkennen geben, steht eine subjektive Auseinandersetzung mit den<br />

Themen der Abstimmungsvorlagen ebenso im Hintergrund wie in den klassischen Medien.<br />

Allerdings lassen die Ergebnisse darauf schliessen, dass der Meinungsaustausch auf der<br />

subjektiven Ebene – der insgesamt etwas mehr Gewicht einnimmt als bei den klassischen<br />

Medien – vermehrt auf Personenfragen abzielt.<br />

Über alle Mediengattungen, Anbieter und Sprachregionen hinweg, steht der sachliche Diskurs<br />

bei den untersuchten Sendungen und Foren eindeutig im Vordergrund. Entsprechend<br />

dazu finden sich im detaillierten Vergleich einzelner Ebenen eher geringfügige Unterschiede,<br />

die zudem auf eher kleinen Untersuchungseinheiten basieren. Nichts desto trotz<br />

sollen die Ergebnisse im Folgenden kurz vorgestellt werden. Das Hauptaugenmerk liegt<br />

dabei wiederum auf dem Gewicht von Geltungsansprüchen die aus einer subjektiven Perspektive<br />

geäussert wurden.<br />

Klassische Medien: <strong>Dialog</strong>format<br />

Sendungen die sich des <strong>Dialog</strong>formats „Interview“ bedienen, weisen insgesamt 13.8% Geltungsansprüche<br />

auf der subjektiven Ebene auf. Davon sind 57.5% begründet. In den Debatten<br />

werden 17.0% subjektive Geltungsansprüche geäussert – also mehr als in den Interviews<br />

– davon sind 46.7% begründet, d.h. weniger als in den Interviews. Gemessen an<br />

allen Geltungsansprüchen weisen beide <strong>Dialog</strong>formate eine gleich hohe Zahl an begründeten<br />

subjektiven Geltungsansprüchen auf (beide 7.9%). Das bedeutet, dass in den Debatten<br />

eine verstärkte Personalisierung des Diskurses auftritt.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

In den Sendungen der öffentlichen Radio- und Fernsehstation thematisieren die Diskursteilnehmenden<br />

(ohne M<strong>oder</strong>ation) insgesamt etwas mehr Geltungsansprüche auf der subjektiven<br />

Ebene als dies bei den privaten Anbietern der Fall ist (17.5% vs. 14.9% aller Geltungsansprüche).<br />

Dabei sind die subjektiven Geltungsansprüche allerdings weniger häufig<br />

begründet (45.0%) als bei den privaten Anbietern (54.0%). D.h. bei den öffentlichen Anbietern<br />

bezieht sich die Argumentation nicht unbedingt stärker auf die Lebenswelt der AkteurInnen<br />

– der Anteil an begründeten subjektiven Geltungsansprüchen liegt bei beiden<br />

Anbietern um 8% (7.9% öffentlich, 8.0% privat). Vielmehr findet bei den öffentlichen<br />

Sendern eine leicht stärkere Personalisierung des Diskurses statt. 158 Dieses Ergebnis kontrastiert<br />

mit den Werten für die <strong>Dialog</strong>formate – nehmen doch die Debatten, in denen eher<br />

eine Personalisierung stattfindet, bei den privaten Anbietern ein leicht stärkeres Gewicht<br />

ein.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Eine ganz ähnliche Verteilung ergibt sich im Vergleich zwischen den Mediengattungen<br />

Radio und Fernsehen: Im Fernsehen werden insgesamt mehr Geltungsansprüche auf der<br />

subjektiven Ebene thematisiert als dies im Radio der Fall ist (18.4% vs. 14.0%). Im Fernsehen<br />

sind die subjektiven Geltungsansprüche im Verhältnis weniger oft begründet als im<br />

Radio (43.1% bzw. 56.4%), wenngleich der Wert an begründeten Geltungsansprüchen bezogen<br />

auf alle Geltungsansprüche bei beiden Gattungen bei 7.9% liegt. Auch hier folgt der<br />

Schluss, dass der Diskurs im Fernsehen etwas stärker personalisiert wird, als im Radio. Die<br />

157 Vgl.das Kapitel 8.2 S. 182ff.<br />

158 Vgl. dazu Kapitlel 8.2, S. 184.<br />

150


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Ergebnisse korrelieren zu einem gewissen Teil mit den Werten für die unterschiedlichen<br />

<strong>Dialog</strong>formate – im Radio nehmen die Interviews ein stärkeres Gewicht ein als beim Fernsehen.<br />

159<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen zeigt sich, dass in der Romandie prozentual<br />

gesehen mehr subjektive Geltungsansprüche thematisiert werden (18.9%) als in der<br />

Deutschschweiz (13.6%). Das Verhältnis zwischen unbegründeten und begründeten subjektiven<br />

Geltungsansprüchen ist dabei in beiden Sprachregionen ähnlich: In der Romandie<br />

werden von allen geäusserten subjektiven Hauptaussagen 48.5% begründet, in der<br />

Deutschschweiz sind es 46.3%. Bezogen auf alle Geltungsansprüche in der jeweiligen<br />

Sprachregion sind es 6.3% begründete Geltungsansprüche auf der subjektiven Ebene für<br />

die Deutschschweiz und 9.1% für die Westschweiz. Im Westschweizer Fernsehen und Radio<br />

nimmt die Lebenswelt der Diskursteilnehmenden also etwas mehr Gesprächsraum ein<br />

als in der Deutschschweiz. Die unterschiedliche Gewichtung der <strong>Dialog</strong>formate kommt<br />

dabei nicht zum Tragen.<br />

Kurzzusammenfassung: In den klassischen Medien wird vornehmlich auf der sachbezogenen<br />

Ebene diskutiert. Eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Lebenswelt der Diskursteilnehmenden<br />

findet in der Romandie etwas stärker statt als in der Deutschschweiz. In<br />

diesem Punkt konnten weder im Vergleich zwischen den Anbietern, den Mediengattungen<br />

Fernsehen und Radio noch auf Ebene der <strong>Dialog</strong>formate aussagekräftige Unterschiede<br />

festgestellt werden. Hingegen weisen die Ergebnisse auf die leichte Tendenz hin, dass in<br />

den Sendungen der öffentlichen Anbieter eine stärkere Personalisierung der Debatte erfolgt<br />

als bei den privaten Stationen. Ebenso wird der Diskurs im Fernsehen leicht stärker personalisiert<br />

als im Radio, was mit der Gewichtung der <strong>Dialog</strong>formate zusammenhängen dürfte.<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen sind diese Werte approximativ, mit einer<br />

minimal stärkerer Tendenz zur Personalisierung in der Deutschschweiz.<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Bei den Online-Foren zeigen sich wie bei den meisten Untersuchungskategorien deutliche<br />

Unterschiede zwischen den google.groups und den übrigen Online-Foren der BaZ, der Espace<br />

Media Group, der Tribune de Genève und 24heures.<br />

In den google.groups werden mit 30.4% deutlich mehr Geltungsansprüche auf der subjektiven<br />

Ebene erhoben als dies in den übrigen Foren mit 19.3% der Fall ist. 81.8% der subjektiven<br />

Geltungsansprüche bleiben unbegründet, während sich dieser Wert mit 59.4% bei<br />

den übrigen Online-Foren den klassischen Medien (52.3%) annähert. Es kann also angenommen<br />

werden, dass in den google.groups eine deutlich stärkere Personalisierung stattfindet<br />

als in den Foren der Medienverlagshäuser. Die subjektiv begründeten Geltungsansprüche<br />

nehmen in Relation zu allen geäusserten Hauptaussagen zudem bei den<br />

google.groups ein kleineres Gewicht ein (5.6%) als in den übrigen Foren (7.8%). Letzterer<br />

Wert verweist wiederum auf ein ähnliches Diskursverhalten zwischen den klassischen Medien<br />

und den Foren der Medienverlagshäuser.<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Aufgrund der frappanten Unterschiede zwischen den google.groups (nur Deutschschweiz)<br />

und den übrigen Online-Foren, unterscheiden sich die Ergebnisse für die beiden Sprachregionen<br />

erheblich. Aus diesem Grund ist es sinnvoller, die Ergebnisse für die Online-Foren<br />

der Romandie mit den Werten für die Foren der Medienverlagshäuser insgesamt zu vergleichen.<br />

Hier können leichte Verschiebungen festgestellt werden: Der Anteil der themati-<br />

159 Geltungsansprüche aus Interviews im Radio: 23.5%, im Fernsehen 6.6%.<br />

151


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

sierten subjektiven Geltungsansprüche liegt in der Westschweiz leicht unter dem Schnitt<br />

aller Foren von Medienverlagshäusern (18.6% vs. 19.3%). Insgesamt sind dabei mehr<br />

Hauptaussagen auf der subjektiven Ebene begründet als unbegründet. Während in allen<br />

Foren (ohne google.groups) 59.4% der subjektiven Geltungsansprüche unbegründet bleiben,<br />

sind es in den Westschweizer Foren lediglich 49.6%, also fast 10% weniger. Bezogen<br />

auf alle Geltungsansprüche erreichen die subjektiv begründeten Geltungsansprüche in der<br />

Romandie einen Wert von 9.4% (gegenüber 7.8% bei den Foren von Medienverlagshäusern).<br />

Im Vergleich zu allen anderen Untersuchungsebenen – auch innerhalb der klassischen<br />

Medien – entspricht dies dem höchsten Wert überhaupt. Daraus lässt sich schliessen,<br />

dass persönliche Erfahrungen in der Westschweiz eine etwas stärkere Rolle spielen und<br />

dass der Diskurs hier etwas weniger auf eine personalisierte Debatte ausgerichtet ist.<br />

Kurzzusammenfassung: Der Anteil an subjektiven Geltungsansprüchen ist in den Online-<br />

Foren deutlich höher als in den klassischen Medien. Dies liegt aber nicht zwangsläufig an<br />

der Mediengattung, denn wie ein Vergleich innerhalb der Online-Foren zeigt, verweisen<br />

die Ergebnisse für die Foren baz.ch, espace.ch, tdg.ch und 24heures.ch auf ein ähnliches<br />

Diskursverhalten wie in den klassischen Medien. Demgegenüber nehmen die<br />

google.groups eine gesonderte Stellung ein: Die subjektive Ebene nimmt hier ein vergleichsweise<br />

starkes Gewicht ein, wobei das diskursive Verhalten weniger dazu dient, die<br />

eigene Argumentation durch persönliche Erfahrungswerte zu stützten. Vielmehr findet hier<br />

verstärkt eine Auseinandersetzung mit Personenfragen, d.h. mit Fragen der Glaubwürdigkeit<br />

und mit Angriffen auf die Person statt. Demgegenüber weisen die Ergebnisse für die<br />

Westschweizer Online-Foren auf eine „seriösere“ Auseinandersetzung mit den persönlichen<br />

Erfahrungen der Diskursteilnehmenden hin, eine leichte Mehrheit der subjektiven<br />

Geltungsansprüche dient hier der begründeten Argumentation.<br />

7.4 Thematisches Spektrum<br />

Wie gezeigt werden konnte, verliefen die Diskussionen zu den beiden Abstimmungsvorlagen<br />

unabhängig von Mediengattung, Anbieter und Sprachregion vornehmlich auf der sachlichen<br />

Ebene. Neben der Klassifikation der Geltungsansprüche nach sachlicher, normativer<br />

und subjektiver Ebene können Aussagen über die Inklusivität der Argumente auch anhand<br />

der diskutierten Themen getroffen werden. Insbesondere interessiert, ob in den Online-<br />

Foren andere Themen diskutiert werden als in den klassischen Medien und ob die thematische<br />

Bandbreite bei den öffentlichen Sendern grösser ist als bei den privaten. Die Codierung<br />

der Themen orientierte sich an der thematischen Ausrichtung der Argumentationslinien,<br />

wie sie jeweils in den Abstimmungsunterlagen vorgestellt werden.<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Im Gegensatz zu den klassischen Medien, in denen die M<strong>oder</strong>ation zu einem grossen Teil<br />

die Themensetzung vornimmt, 160 steht es den Diskursteilnehmenden in den Online-Foren<br />

frei, thematische Schwerpunktsetzungen und Verschiebungen vorzunehmen. In den Foren<br />

der Medienverlagshäuser ist lediglich die Abstimmungsvorlage als Thema vorgegeben. Die<br />

Diskussion ist allerdings in keinem Forum eng m<strong>oder</strong>iert, d.h. die Anbieter greifen nicht<br />

ein, um eine Fokussierung des Diskurses auf bestimmte Aspekte zu erreichen. Im Unterschied<br />

dazu werden bei den google.groups die einzelnen Diskussionen immer von den<br />

Diskursteilnehmenden eröffnet. Aus diesem Grund wurde erwartet, dass die Online-Foren<br />

ein breiteres Themenspektrum aufweisen als die klassischen Medien, indem in den Online-<br />

160 Unter der Kategorie „Intentionen“ wurde u.a. erhoben, welche AkteurInnen in welchem Masse neue Themen<br />

setzen (Unterkategorie „Problem umreissen“). Für die M<strong>oder</strong>ation wurde diese Intention bei den klassischen<br />

Medien in 5.3% von allen Intentionen codiert, für die Teilnehmenden zu 0.6%. Bei den Online-Foren<br />

erreicht diese Intention einen Wert von 6.9%.<br />

152


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Foren verstärkt Themen aufgegriffen werden, die in den klassischen Medien nicht im Vordergrund<br />

stehen bzw. nicht behandelt werden. In der folgenden Grafik können die Bandbreite<br />

und die Intensität der diskutierten Themen in den beiden Mediengattungen abgelesen<br />

werden.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Staatswesen<br />

Wirtschaft<br />

Sicherheit<br />

Kontrollen Grenze<br />

Int. Z'arbeit Strafverfolgung<br />

Überwachungsstaat<br />

Asylpolitik, -wesen<br />

Waffengesetz<br />

Bankgeheimnis<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Themenfremd<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Wirtschaft<br />

Arbeitsmarkt, -losigkeit<br />

Arbeitnehmerschutz<br />

Ein-, Auswanderung<br />

Sozialversicherung<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Themenfremd<br />

Schengen/Dublin Personenfreizügigkeit<br />

Klassisch (n=5233) Online (n=4827)<br />

Grafik 44: Themenspektren nach Mediengattung (inklusive Themen, die nicht im Zusammenhang mit<br />

den Abstimmungsvorlagen stehen)<br />

Oben stehende Grafik verdeutlicht erneut, dass ein hoher Anteil der diskutierten Themen in<br />

den Online-Foren gar nicht im Zusammenhang mit dem jeweiligen Abstimmungsvorlagen<br />

steht (22.4% und 19.7%).<br />

Der Anteil an Themen, die im Zusammenhang mit den Abkommen stehen, aber nicht a<br />

priori als Diskussionsgegenstand erwartet wurden, ist in den Online-Foren höher (12.0%<br />

für die erste bzw. 8.2% für die zweite Abstimmung vs. 4.3% bzw. 6.1% in den klassischen<br />

Medien). Dieser Unterschied tritt noch deutlicher hervor, wenn nur die themenrelevanten<br />

Geltungsansprüche berücksichtigt werden: Bei der ersten Abstimmung wurden in den Foren<br />

zu 15.5% nicht erwartete Themen diskutiert (gegenüber 4.5% in den klassischen Medien),<br />

beim Abkommen über die Erweiterung der Personenfreizügigkeit beträgt dieser Anteil<br />

10.2% (gegenüber 6.2% in Fernsehen und Radio). Dieses Ergebnis lässt darauf schliessen,<br />

dass die Inklusivität der Argumente in den Online-Foren ausgeprägter ist.<br />

Bei den zu erwartenden Themen sind die Schwerpunktsetzungen in den klassischen Medien<br />

und den Online-Foren – anders als angenommen – sehr ähnlich. Berücksichtigt man<br />

nur die themenrelevanten Geltungsansprüche zeigt sich, dass einzelne Themen wie die<br />

Kontrollen an der Grenze <strong>oder</strong> Fragen des Arbeitnehmerschutzes in den klassischen Medien<br />

stärker akzentuiert werden als im Internet (+ 2.8% bzw. + 14.0%). Die Stimmung in<br />

der Bevölkerung – die als Thema bei beiden Abstimmungen codiert wurde – ist ebenfalls<br />

etwas öfters Gesprächsgegenstand als in den Online-Foren, in denen „die Bevölkerung“<br />

selber die thematische Ausrichtung des Diskurses bestimmt (erste Abstimmung + 1.3%,<br />

zweite Abstimmung 1.7%). Demgegenüber ist die Diskussion über wirtschaftliche Themen<br />

(+1.8% bzw. 5.4%) und über den Abstimmungskampf (+ 4.0% bzw. 1.7%) in den Online-<br />

153


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

Foren bei beiden Abstimmungsvorlagen etwas intensiver als in den klassischen Medien,<br />

wobei dieses Thema insbesondere in den Foren der Romandie stark debattiert wird.<br />

Der Einfluss der teilnehmenden AkteurInnen auf die thematische Ausrichtung des Diskurses<br />

lässt sich für die zweite Abstimmung gut anhand der Thematik „Arbeitnehmerschutz“<br />

aufzeigen: In den klassischen Medien beider Sprachregionen wird dieses Thema deutlich<br />

stärker diskutiert als in den Online-Foren. Dabei stehen Fragen der Gesetzgebung wie z.B.<br />

die Wirksamkeit der geplanten flankierenden Massnahmen im Vordergrund, welche mögliche<br />

negative Auswirkungen der erweiterten Personenfreizügigkeit auf die Arbeitnehmerschaft<br />

in der Schweiz (mittels gesetzgeberischer Massnahmen) verhindern sollen. In den<br />

Online-Foren diskutieren die UserInnen Fragen des Arbeitnehmerschutzes zwar auch<br />

(7.5%), das Thema „Arbeitslosigkeit“ – als befürchtete Auswirkung des Abkommens –<br />

kommt jedoch öfters zur Sprache (9.5%), auch öfters als in den klassischen Medien<br />

(7.9%). Das zeigt, dass in den Online-Foren die Thematik verstärkt aus der Perspektive<br />

möglicher persönlicher Auswirkungen betrachtet wird, als dass sich die Teilnehmenden<br />

mit den Details der Gesetzgebung befassen.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Auswertung hat eine leicht unterschiedliche thematische<br />

Schwerpunktsetzung in den beiden Mediengattungen gezeigt. Es werden zwar nicht völlig<br />

unterschiedliche Themen diskutiert, aber mit unterschiedlicher Intensität. Bei den erwarteten<br />

Themen werden solche, die in den klassischen Medien ausgeprägt diskutiert werden, in<br />

den Online-Foren nicht in gleichem Masse aufgegriffen. Die Verteilung ist jedoch nicht<br />

gegenläufig, d.h. die Online-Foren dienen – was die zu erwartenden Themen angeht – nicht<br />

als Ventil-Funktion. In der Tendenz zeigt sich jedoch ein kompensatorisches Verhalten: In<br />

den klassischen Medien, in denen periphere AkteurInnen unterrepräsentiert sind, wird<br />

vermehrt über die Sichtweise der Bevölkerung gesprochen, während in den Online-Foren<br />

intensiver über den Abstimmungskampf diskutiert wird, der von VertreterInnen des Zentrums<br />

getragen wird, die hier als AkteurInnen nicht in Erscheinung treten. Das thematische<br />

Spektrum ist in den Online-Foren insgesamt breiter, was auf eine höhere Inklusivität der<br />

Argumente schliessen lässt.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Im Vergleich zwischen den öffentlichen und den privaten Anbietern lassen sich in der Gewichtung<br />

der Themen ebenfalls eher subtile Verschiebungen erkennen. Bei den öffentlichen<br />

Sendern fällt auf, dass bei der ersten Abstimmungsvorlage das Thema der Grenzkontrollen<br />

akzentuiert diskutiert wird. Bei den privaten Sendern ist es in der zweiten Abstimmungsphase<br />

das Thema des Arbeitnehmerschutzes. Je nach Anbieter finden sich also unterschiedliche<br />

thematische Schwerpunktsetzungen. Diese sind jedoch nicht eindeutig gegenläufig,<br />

d.h. die privaten Sender greifen nicht unbedingt Themen auf, die in den öffentlichen<br />

Sendern weniger stark diskutiert werden und umgekehrt.<br />

154


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Staatswesen<br />

Wirtschaft<br />

Sicherheit<br />

Kontrollen Grenze<br />

Int. Z'arbeit Strafverfolgung<br />

Überwachungsstaat<br />

Asylpolitik, -wesen<br />

Waffengesetz<br />

Bankgeheimnis<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Wirtschaft<br />

Arbeitsmarkt, -losigkeit<br />

Arbeitnehmerschutz<br />

Ein-, Auswanderung<br />

Sozialversicherung<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Schengen/Dublin Personenfreizügigkeit<br />

öffentlich (n=3333) privat (n=1741)<br />

Grafik 45: Themenspektren in den klassischen Medien nach Anbieter (ohne Themen, die nicht im Zusammenhang<br />

mit den Abstimmungsvorlagen stehen)<br />

Insgesamt ist die Diskussion der erwarteten Themen bei den öffentlichen Sendern etwas<br />

ausgeglichener als bei den privaten: Es gibt weniger Themen, die nur marginal zur Sprache<br />

kommen, auch die Dominanz einzelner Themen ist weniger ausgeprägt. Die Diskussion<br />

von Themen, die nicht a priori erwartet wurden, ist je nach Abstimmungsvorlage einmal<br />

bei den privaten Anbietern ausgeprägter (6.4% gegenüber 2.8% bei den öffentlichen) und<br />

einmal bei den öffentlichen (6.9% gegenüber 4.1% bei den privaten). Insgesamt kommen<br />

Themen, die – bezogen auf die Abstimmungsunterlagen – nicht ohnehin als gesetzt gelten<br />

können, bei den privaten Sendern etwas öfters zur Sprache als bei den öffentlichen. Wie<br />

die Zahlen zeigen, ist dieses Ergebnis für die beiden Abstimmungen jedoch nicht konstant.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Die thematische Schwerpunktsetzung in den Mediengattungen Radio und Fernsehen erfolgt<br />

äusserst ähnlich, wie nachstehender Grafik entnommen werden kann. Dies erstaunt<br />

nicht, da sich bei den diskutierten Themen keine solchen finden, die sich speziell für eine<br />

visuelle bzw. auditive Bearbeitung anbieten würden. Somit waren bei der medialen Aufbereitung<br />

der politischen Themen in den dialogischen Radio- bzw. Fernsehformaten keine<br />

Unterschiede zwischen den Mediengattungen zu erwarten.<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

155


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Staatswesen<br />

Wirtschaft<br />

Sicherheit<br />

Kontrollen Grenze<br />

Int. Z'arbeit Strafverfolgung<br />

Überwachungsstaat<br />

Asylpolitik, -wesen<br />

Waffengesetz<br />

Bankgeheimnis<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Wirtschaft<br />

Arbeitsmarkt, -losigkeit<br />

Arbeitnehmerschutz<br />

Ein-, Auswanderung<br />

Sozialversicherung<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Schengen/Dublin Personenfreizügigkeit<br />

Fernsehen (n=2841) Radio (n=2233)<br />

Grafik 46: Themenspektren nach Radio und Fernsehen (ohne Themen, die nicht im Zusammenhang<br />

mit den Abstimmungsvorlagen stehen)<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Zwischen den beiden Sprachregionen konnten bezüglich der thematischen Bandbreite Unterschiede<br />

festgestellt werden: So wurden in der Deutschschweiz vermehrt Themen diskutiert,<br />

die nicht a priori auf der Agenda waren (bei der ersten Vorlage 5.6%, bei der zweiten<br />

8.4%). Diese Werte liegen über dem Durchschnitt für die klassischen Medien insgesamt.<br />

Die Sendungen der Westschweiz liegen demgegenüber mit 3.7% respektive 4.3% nicht<br />

erwarteter Themen unter dem Durchschnitt. Wiederum finden sich bei einzelnen Themen<br />

unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, wobei aus forschungsökonomischen Überlegungen<br />

nicht erhoben wurde, ob diese auf regionale Spezifika zurückzuführen sind.<br />

Kurzzusammenfassung: Auf der Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter lassen sich<br />

z.T. unterschiedliche thematische Schwerpunktsetzungen feststellen. Allerdings ist die<br />

Gewichtung nicht gegenläufig, die Themen werden lediglich mit unterschiedlicher Intensität<br />

diskutiert. Insgesamt ist die Diskussion der verschiedenen Themen in den Sendungen<br />

der öffentlichen Anbieter etwas ausgeglichener, bei den privaten finden sich stärkere Akzentuierungen<br />

auf einzelne Themen. Themen, die nicht a priori erwartet werden konnten,<br />

fliessen je nach Abstimmung einmal bei den privaten, einmal bei den öffentlichen stärker<br />

in den Diskurs ein, insgesamt nehmen sie bei den privaten ein leicht stärkeres Gewicht ein.<br />

Der Vergleich zwischen Radio und Fernsehen zeigt kaum unterschiedliche thematische<br />

Schwerpunktsetzungen. Die beiden Mediengattungen berichten thematisch sehr ähnlich<br />

über die Abstimmungsvorlagen.<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen fällt hingegen auf, dass die Inklusivität der<br />

Argumente in der Deutschschweiz als höher gelten kann, da hier vermehrt nicht zu erwartende<br />

Themen diskutiert werden.<br />

Online-Foren: Anbieter / Sprachregionen<br />

Im Vergleich zwischen den google.groups und den übrigen Online-Foren zeigt sich ebenfalls<br />

eine sehr ähnliche thematische Schwerpunktsetzung, wie nachstehender Grafik entnommen<br />

werden kann. Je nach Abstimmungsvorlage werden in den Online-Foren der Me-<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

156


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

dienverlagshäuser v.a. aussen- und wirtschaftspolitische Fragen stärker diskutiert als in den<br />

google.groups. In Letzeren finden hingegen die Themen der Sicherheitspolitik und der<br />

Sozialversicherungen etwas mehr Aufmerksamkeit.<br />

Wie bereits erwähnt, werden in den Online-Foren vermehrt Themen berücksichtigt, die<br />

nicht a priori erwartet wurden. Dies ist bei den google.groups mit 16.0% und 14.9% etwas<br />

stärker der Fall als bei den übrigen Foren mit 15.0% und 9.6%. Ein Grund dafür könnte in<br />

der Struktur der Foren liegen. Die Diskussion in den Westschweizer Foren tdg.ch und<br />

24heures.ch konnte zum Zeitpunkt der Datenerhebung einzig in der chronologischen Abfolge<br />

geführt werden, baz.ch und espace.ch hingegen bieten die Möglichkeit Repliken innerhalb<br />

einzelner Threads zu verfassen und neue Threads zu eröffnen. In den<br />

google.groups können zwar innerhalb einer Diskussion keine genuin neuen Threads eröffnet<br />

werden (jeder „neue“ Thread schliesst zumindest an den ersten Beitrag an), hingegen<br />

kann hier per Mausklick eine neue Diskussionsplattform eröffnet werden, die sich einer<br />

neuen thematischen Schwerpunktsetzung widmet. Da die übergeordnete Thematik nicht<br />

mehr ersichtlich ist, entwickelt sich die Diskussion möglicherweise eher in eine Vielzahl<br />

neuer Richtungen, die in der Struktur anhand der Betreffzeile ersichtlich sind. Die UserInnen<br />

der chronologischen Foren lesen vermutlich in vielen Fällen nur die auf den ersten<br />

Seiten sichtbaren Posts, die bereits etablierte Thematik wird weitergeführt bis jemand eine<br />

neue thematische Schwerpunktsetzung vornimmt, wobei verschieden Akzentuierungen<br />

nicht auf einen Blick eingesehen werden können. Die technische Möglichkeit zur „vernetzten<br />

Atomisierung“ des Diskurses könnte also Themenwechsel begünstigen – eine These<br />

die zu validieren wäre.<br />

Ein Vergleich zwischen den West- und den Deutschschweizer Online-Foren weist zumindest<br />

in diese Richtung – sind doch die Werte für unerwartete Themen in der Westschweiz<br />

äusserst gering und mit 2.4 und 5.5% gar tiefer als in den klassischen Medien insgesamt. In<br />

den Deutschschweizer Foren, die allesamt eine Replik auf einzelne Threads zulassen,<br />

kommen hingegen öfters Themen zur Sprache, die nicht auf der allgemeinen Agenda standen.<br />

Ob die niedrigen Werte auf die Struktur <strong>oder</strong> auf sprachregionale Besonderheiten zurückzuführen<br />

sind, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Die Werte im sprachregionalen<br />

Vergleich bei den klassischen Medien sind für die Westschweiz ebenfalls niedrig.<br />

Bei den Foren von tdg.ch und 24heures.ch lassen die deutlichen Unterschiede zu den übrigen<br />

Foren verstärkt auf strukturelle Ursachen schliessen, in der Tendenz können jedoch<br />

sprachregionale Besonderheiten vermutet werden.<br />

157


Thematisierung von Geltungsansprüchen <strong>oder</strong> wie begründet und worüber die AkteurInnen sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Staatswesen<br />

Wirtschaft<br />

Sicherheit<br />

Kontrollen Grenze<br />

Int. Z'arbeit Strafverfolgung<br />

Überwachungsstaat<br />

Asylpolitik, -wesen<br />

Waffengesetz<br />

Bankgeheimnis<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Internationale Beziehungen<br />

Bilaterale Abkommen<br />

EU-Beitritt<br />

Wirtschaft<br />

Arbeitsmarkt, -losigkeit<br />

Arbeitnehmerschutz<br />

Ein-, Auswanderung<br />

Sozialversicherung<br />

Schengen/Dublin Personenfreizügigkeit<br />

Google (n=1108) Medienverlagshäuser (n=2690)<br />

Abstimmungskampf<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Stimmung Bevölkerung<br />

Anderes Thema<br />

Grafik 47: Themenspektren nach Forenanbieter (ohne Themen, die nicht im Zusammenhang mit den<br />

Abstimmungsvorlagen stehen)<br />

Kurzzusammenfassung: Zwischen den google.groups und den übrigen Online-Foren lassen<br />

sich einzelne Verschiebungen in der thematischen Schwerpunktsetzung feststellen. Insgesamt<br />

zeichnet sich jedoch ein verhältnismässig ähnliches Bild ab. Gemessen an den nicht<br />

erwarteten diskutierten Themen weisen die google.groups eine höhere Inklusivität der Argumente<br />

auf, was möglicherweise auf die Struktur des Forums zurückzuführen ist. Das<br />

Spektrum der diskutierten Themen weist grössere Unterschiede in der Intensität der Diskussion<br />

auf, allerdings gibt es hier – im Gegensatz zu den klassischen Medien – mehrere<br />

Themen, die bevorzugt diskutiert werden, ohne dass eine klare Dominanz auszumachen<br />

wäre.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen lässt sich festhalten, dass – analog zu den klassischen Medien<br />

– in den Foren der Deutschschweiz vermehrt Themen diskutiert werden, die nicht a<br />

priori auf der Agenda waren als in den Westschweizer Foren. Dies weist auf eine höhere<br />

Inklusivität der Argumente hin und lässt tendenziell sprachregionale Unterschiede vermuten.<br />

158


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

7.5 Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

In diesem Teil der Untersuchung wurde zum einen analysiert, wie reflexiv der Diskurs in<br />

den dialogischen Radio- und Fernsehformaten sowie den Online-Foren ist. Dazu wurde<br />

einerseits untersucht, wie kritisch sich die AkteurInnen am <strong>Dialog</strong> beteiligen, da kritische<br />

Meinungsäusserungen darauf hinweisen, dass die Teilnehmenden nicht nur ihre eigenen<br />

Ansichten darlegen, sondern sich mit Argumenten anderer tatsächlich auseinandersetzen.<br />

Kritik dient dazu, Argumente auf ihre Plausibilität zu prüfen, sofern Gründe dafür angeführt<br />

werden. Erst wenn die thematisierten Geltungsansprüche begründet werden – unabhängig<br />

davon, ob die AkteurInnen Thesen aufstellen, Feststellung äussern <strong>oder</strong> ob sie die<br />

Redebeiträge bzw. Posts und Argumente anderer kritisieren – kann von einem deliberativen<br />

Diskurs ausgegangen werden, da die Aussagen erst so rational nachvollzogen werden<br />

können. Aus diesem Grund wurde das Verhältnis zwischen begründeten und unbegründeten<br />

Hauptaussaugen sowie zwischen begründeter und unbegründeter Kritik für die verschiedenen<br />

Vergleichsebenen einer eingehenden Analyse unterzogen. Im Fokus des Interesses<br />

stand dabei der Vergleich zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren.<br />

Grundvoraussetzung für die massenmediale Deliberation ist allerdings, dass sich die Diskussion<br />

tatsächlich auf die für die Abstimmung relevanten politischen Themen richtet.<br />

Deshalb wurden die geäusserten Geltungsansprüche entweder als themenrelevant bzw. als<br />

themenfremd klassifiziert. Die nachstehenden Ergebnisse bezüglich der Kategorie „Begründung<br />

von Geltungsansprüchen“ sind daher immer vor dem Hintergrund der erreichten<br />

Themenfokussierung zu interpretieren.<br />

Die Hauptaussagen der Teilnehmenden wurden weiter als sachliche, normative <strong>oder</strong> subjektive<br />

Geltungsansprüche klassifiziert. Hierbei war die Frage erkenntnisleitend, ob in einzelnen<br />

Mediengattungen Argumente und Geltungsansprüche thematisiert werden, die sich<br />

in anderen nicht <strong>oder</strong> in geringerem Masse finden. Als weiterer Indikator für die Inklusivität<br />

der vorkommenden Argumente wurde zudem die thematische Schwerpunktsetzung einer<br />

eingehenderen Untersuchung unterzogen. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf<br />

den Vergleich zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren gerichtet. Die vorgenommene<br />

Unterscheidung zwischen begründeten und unbegründeten subjektiven Geltungsansprüchen<br />

konnte zudem herangezogen werden, um zu ermitteln, inwiefern der Diskurs<br />

je nach Mediengattung bzw. je nach Anbieter eher personalisiert wird. Begründen die<br />

AkteurInnen Geltungsansprüche auf der subjektiven Ebene, kann davon ausgegangen werden,<br />

dass ihre Argumentation durch die persönliche Lebenswelt untermauert wird. Unbegründete<br />

subjektive Geltungsansprüche weisen hingegen tendenziell darauf, dass Personenfragen<br />

im Vordergrund stehen, entweder indem ein Austausch über Personen anstelle<br />

von Sachverhalten stattfindet <strong>oder</strong> indem andere GesprächsteilnehmerInnen diskreditiert<br />

werden. Von besonderem Interesse ist hierbei der intermediäre Vergleich zwischen traditionellen<br />

und neuen elektronischen Medien und derjenige zwischen den privaten und den<br />

öffentlichen Radio- und Fernsehstationen.<br />

Im Vergleich zwischen den klassischen Medien und den Online-Foren sind folgende<br />

Ergebnisse bedeutsam: Ein Hauptunterschied zwischen dem Diskurs in den beiden Mediengattungen<br />

besteht darin, dass ein bedeutender Teil der Diskussion in den Online-Foren<br />

nicht dem eigentlichen politischen Thema gewidmet ist. Für die politische Meinungs- und<br />

Willensbildung ist dies nicht förderlich, denn die RezipientInnen, die sich eine politische<br />

Meinung bilden wollen, müssen somit eine Vielzahl an Posts bzw. Aussagen lesen, die<br />

hierfür keine Relevanz aufweisen. Der Nutzen von solchen Diskussionen für die politisch<br />

interessierten UserInnen kann somit als eingeschränkt bezeichnet werden. Zudem wird die<br />

ohnehin eingeschränkte Kontinuität der Diskussion durch derlei Exkurse weiter untermi-<br />

159


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

niert. Aus diesem Grund ist die Diskursqualität in den Online-Foren insgesamt als wesentlich<br />

niedriger einzustufen als in den klassischen Medien. Allerdings gilt es dabei zu beachten,<br />

dass einzelne Foren von dieser Beurteilung auszuklammern sind (s.u.).<br />

Im intermediären Vergleich stellt sich des Weiteren die Frage, ob die Stichhaltigkeit der<br />

Argumentation in einer der genannten Mediengattungen auf einen härteren Prüfstand gestellt<br />

wird, indem eine kritischere Auseinandersetzung erfolgt. Interessanterweise hat sich<br />

gezeigt, dass die Teilnehmenden in den klassischen Medien (ohne M<strong>oder</strong>ation) eine ähnlich<br />

kritische Haltung einnehmen wie jene in den Online-Foren. Da die Diskussion in den<br />

klassischen Medien – deutlicher als im Internet – zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen<br />

der jeweiligen Abstimmungsvorlage bestritten wird, wurde in Kapitel 5 die Hypothese<br />

aufgestellt, dass der Diskurs in den klassischen Medien konfrontativer sei. Da das<br />

Mass an geäusserter Kritik in beiden Mediengattungen jedoch ähnlich hoch ausfällt, kann<br />

diese Hypothese nicht bestätigt werden. Anhand der Unterscheidung des diskursiven Verhaltens<br />

nach Positionen konnte indes eine andere Divergenz zwischen den traditionellen<br />

und den neuen elektronischen Medien festgestellt werden:<br />

Es wurde analysiert, ob es in den jeweiligen dialogischen Formaten primär darum geht, die<br />

eigene Position zu propagieren und die Gegenposition zu schwächen <strong>oder</strong> ob eine kritische<br />

Auseinandersetzung mit der Argumentation – unabhängig von der Einstellung zur Abstimmungsvorlage<br />

– in Pro-Contra-Debatten überhaupt erwartet werden kann. Die Online-<br />

Foren schneiden bezüglich dieses Punktes besser ab: Die Diskursteilnehmenden wagen<br />

sich hier eher, eine Kritik an AkteurInnen mit der gleichen Abstimmungsabsicht zu äussern<br />

als dies in den klassischen Medien der Fall ist. Dabei hat die Argumentation bzw. die<br />

Glaubwürdigkeit der Personen ihrer Äusserungen Vorrang vor der geteilten Meinung zur<br />

Abstimmungsvorlage. Allerdings kommt die Kritik an Personen „aus dem eigenen Lager“<br />

auch in den Foren eher selten vor. Ein bedeutsamer Unterschied zu den klassischen Medien<br />

liegt indes in der Besonderheit, dass in den Online-Foren ein verhältnismässig reger kritischer<br />

Austausch zwischen AkteurInnen stattfindet, deren Einstellung zum Abstimmungsgegenstand<br />

nicht bekannt ist. Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass das diskursive<br />

Verhalten weniger auf die Festigung einer bestimmten Position als auf ein Prüfen der Argumentation<br />

abzielt. Es wurde bereits festgehalten, dass die Online-Foren aufgrund der<br />

Akteursstruktur diesbezüglich ein höheres Potential aufweisen als die klassischen Medien,<br />

ein Merkmal, dass anhand dieses Ergebnisses bestätigt werden kann.<br />

Für die Diskursqualität von zentraler Bedeutung ist jedoch, ob die KritikerInnen ihre Aussagen<br />

auch begründen und damit potentiell mit einer besseren Argumentation überzeugen.<br />

Diesbezüglich wurden nur die Gesprächsanteile der Teilnehmenden (ohne M<strong>oder</strong>ation)<br />

gewertet, die sich tatsächlich mit dem jeweiligen Abstimmungsthema auseinandersetzen.<br />

Die Qualität des Diskurses ist gemessen an diesem Kriterium in den klassischen Medien<br />

höher als im Internet. Zum einen wird die Kritik an den Aussagen anderer etwas stärker<br />

begründet als in den Online-Foren, zudem wird weniger unbegründete – und somit nicht<br />

rational nachvollziehbare – Kritik geäussert. Ebenso spricht das Verhältnis zwischen begründeter<br />

und unbegründeter Kritik für eine höhere Diskursqualität bei den klassischen<br />

Medien. Die Hypothese, dass der Diskursverlauf in den Online-Foren gegenüber Radio<br />

und Fernsehen weniger reziprok ist, d.h. dass die einzelnen AkteurInnen weniger<br />

auf die Argumente der anderen TeilnehmerInnen eingehen, kann somit bestätigt werden.<br />

Betrachtet man die Hauptaussagen, in denen Positionen und Meinungen dargelegt<br />

<strong>oder</strong> Thesen aufgestellt werden, so zeigt sich wiederum, dass in den klassischen Medien<br />

mehr argumentiert und weniger behauptet wird. Es werden mehr begründete Geltungsansprüche<br />

erhoben als unbegründete. In den Online-Foren ist dieses Verhältnis umgekehrt.<br />

Bis zu einem gewissen Mass lässt sich dieses für die Online-Foren negativere Ergebnis<br />

damit erklären, dass die Teilnehmenden hier diskursive Funktionen der M<strong>oder</strong>ation übernehmen,<br />

indem sie etwa eine neue thematische Schwerpunktsetzung vornehmen <strong>oder</strong> ande-<br />

160


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

re TeilnehmerInnen zur Positionierung auffordern, Gesprächsschritte also, die nicht<br />

zwangsläufig einer Begründung bedürfen. Das höhere Mass an unbegründeter Kritik lässt<br />

sich hingegen nicht analog erklären. Im Internet bleiben zudem insgesamt mehr als die<br />

Hälfte aller Geltungsansprüche unbegründet. Der Diskurs in den klassischen Medien weist<br />

somit hinsichtlich des Kriteriums der Begründung eine höhere Diskursqualität auf als die<br />

Online-Foren.<br />

Bezüglich der Klassifizierung von Geltungsansprüchen zeigt sich, dass der Diskurs sowohl<br />

in den klassischen Medien als auch in den Online-Foren mehrheitlich auf der sachlichen<br />

Ebene verläuft. In den Online-Foren melden sich ausschliesslich Personen zu Wort, die als<br />

Privatpersonen auftreten, im Gegensatz zu den klassischen Medien, in denen etliche Teilnehmende<br />

die Ansichten eines Kollektivs vertreten. Aufgrund der personellen Zusammensetzung<br />

wurde erwartet, dass die subjektive Perspektive in den Online-Foren ein stärkeres<br />

Gewicht einnimmt als in den klassischen Medien. Diese Annahme wurde bestätigt, wenngleich<br />

die Unterschiede nicht überaus gross sind. Allerdings weisen die Ergebnisse nicht<br />

darauf hin, dass die persönliche Erfahrungswelt in den Online-Foren ein stärkeres Gewicht<br />

einnimmt als in den klassischen Medien, denn der Anteil an begründeten subjektiven Geltungsansprüchen<br />

ist ähnlich gross. Dies lässt darauf schliessen, dass der Meinungsaustausch<br />

auf der subjektiven Ebene in den Online-Foren zu einem guten Teil auf Personenfragen<br />

abzielt. Die Hypothese, dass in Online-Foren Geltungsansprüche und Argumente<br />

präsentiert werden, die in Radio und Fernsehen nicht vorkommen, kann auf<br />

dieser Grundlage allein nicht bestätigt werden. Die Analyse der vorkommenden Themen<br />

ist diesbezüglich aussagekräftiger: Berücksichtigt man nur jene Geltungsansprüche, die für<br />

das Thema tatsächlich relevant sind, so zeigt sich, dass die Themenvielfalt in den Online-<br />

Foren tatsächlich grösser ist als in den klassischen Medien. Somit ist der Diskurs hinsichtlich<br />

der vorkommenden Argumente – gemessen an der thematischen Bandbreite – inklusiver.<br />

Während in den klassischen Medien v.a. die Hauptargumentationslinien – wie sie den<br />

jeweiligen Abstimmungsunterlagen entnommen werden können – diskutiert werden,<br />

kommen in den Foren auch andere Themen zur Sprache. Bei der ersten Abstimmung wurden<br />

in mehr als einem Sechstel der Diskussion weitere Themen in den Diskurs getragen.<br />

Dieser Wert liegt mehr als dreimal höher als in den klassischen Medien. Bei der zweiten<br />

Abstimmung ist dieser Unterschied ebenfalls feststellbar, allerdings weniger deutlich.<br />

Nichts desto trotz werden die Hauptargumentationslinien gemäss Abstimmungsunterlagen<br />

in beiden Mediengattungen in ähnlicher Gewichtung diskutiert. Einzelne Themen werden<br />

in den klassischen Medien zwar ausführlicher debattiert als in den Online-Foren und umgekehrt,<br />

insgesamt nimmt die Verteilung jedoch einen ähnlichen Verlauf. Die Online-<br />

Foren werden demnach bezüglich der thematischen Auseinandersetzung nicht grundsätzlich<br />

als „Ventil“ genutzt, sondern wirken eher ergänzend. Allerdings lässt sich dahingehend<br />

eine kompensatorische Tendenz feststellen, als in den klassischen Medien, in denen<br />

periphere AkteurInnen unterrepräsentiert sind, vermehrt über die Sichtweise der Bevölkerung<br />

gesprochen wird, während in den Online-Foren intensiver über den Abstimmungskampf<br />

diskutiert wird, der von VertreterInnen des Zentrums getragen wird, die im Internet<br />

nicht als AkteurInnen in Erscheinung treten.<br />

Einige der bereits genannten Ergebnisse müssen für die Online-Foren differenzierter betrachtet<br />

werden. Insgesamt bezieht sich in den Online-Foren ein hoher Anteil der Diskussion<br />

nicht auf das Abstimmungsthema, was hinsichtlich der Diskursqualität, wie erwähnt ein<br />

grosses Defizit darstellt. Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Online-Foren in<br />

diesem Punkt gewaltig. Die Wahrscheinlichkeit, auf ein Forum zu stossen, in dem das Abstimmungsthema<br />

nicht <strong>oder</strong> nur von einzelnen UserInnen zentral diskutiert wird, ist bei<br />

den google.groups hoch. Die übrigen Foren weisen demgegenüber eine verhältnismässig<br />

disziplinierte thematische Fokussierung auf. Die Westschweizer Online-Foren tdg.ch und<br />

161


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

24heures.ch erreichen gar ähnliche Werte wie sie die privaten Radio- und Fernsehsender<br />

aufweisen. Die Ursache dafür ist nicht unmittelbar zu bestimmen. Ein erster möglicher<br />

Grund könnte in der Struktur der Foren liegen: Bei den Online-Foren der Medienverlagshäuser<br />

wird eine inhaltliche Regulierung, d.h. das Löschen von Posts <strong>oder</strong> der Ausschluss<br />

einzelner NutzerInnen in Aussicht gestellt. Faktisch konnte allerdings keine Regulierung<br />

dieser Art festgestellt werden. Insbesondere im Forum von baz.ch dürfte die Hemmschwelle<br />

für irrelevante <strong>oder</strong> unangebrachte Posts jedoch höher liegen als in anderen Foren, da<br />

sich der Anbieter vorbehält, einzelne Post mit namentlicher Erwähnung in der Printausgabe<br />

zu veröffentlichen. Bei 24heures.ch erfolgt an einer Stelle der Diskussion hingegen ein<br />

kurzer metakommunikativer <strong>Dialog</strong> zwischen Webmaster und Teilnehmenden bezüglich<br />

der Diskursqualität. Die Beschneidung der Nutzungsrechte einzelner Teilnehmenden wurde<br />

seitens Webmaster dabei explizit abgelehnt. Die google.groups sind hingegen ausschliesslich<br />

selbstregulierend. Die Struktur des Forums könnte auch insofern einen Einfluss<br />

haben, als die Möglichkeit, neue Threads zu eröffnen eher dazu verleitet, vom Thema<br />

abzuschweifen. Tdg.ch und 24.heures.ch, die zum Zeitpunkt der Untersuchung rein chronologisch<br />

geführt wurden, weisen wie erwähnt geringe Anteile an themenfremden Beiträgen<br />

auf. Des Weiteren könnte die Art der „Community“ einen Einfluss auf die Qualität der<br />

Diskussion haben, z.B. indem sich Gemeinschaften bilden, die primär an einem Austausch<br />

untereinander interessiert sind und weniger am Austausch über die zur Diskussion stehende<br />

Thematik. Eine weiterführende Untersuchung liesse diesbezüglich Einsichten erwarten.<br />

Die google.groups unterscheiden sich von den Foren der Medienverlagshäuser durch weitere<br />

Merkmale: Betrachtet man die tatsächlich themenrelevanten Anteile der Diskussion<br />

wird deutlich, dass in den google.groups ein stärkeres Gewicht auf die Kritik an anderen<br />

Geltungsansprüchen gelegt wird als in den übrigen Foren. Es werden mehr Geltungsansprüche<br />

kritisiert als erhoben, dieses Verhältnis ist bei den übrigen Foren umgekehrt. In der<br />

Mehrheit kritisieren die UserInnen in den google.groups andere Teilnehmende ohne eine<br />

Begründung anzugeben. Dies ist zwar bei den Foren der Medienverlagshäuser ebenfalls<br />

der Fall, proportional gesehen aber weniger ausgeprägt. Gegenüber den anderen untersuchten<br />

Foren weisen die google.groups im direkten Vergleich zwar mehr begründete Kritik<br />

auf, was für eine reflektierte Auseinandersetzung spricht, das Diskursklima dürfte insgesamt<br />

aufgrund des deutlicheren Übermasses an unbegründeter Kritik für den Meinungsaustausch<br />

jedoch weniger konstruktiv sein.<br />

Wenngleich die sachliche Ebene der themenrelevanten Diskussion bei allen Online-Foren<br />

den Diskurs bestimmt, steht bei den google.groups die subjektive Ebene stärker im Vordergrund<br />

als bei den übrigen Foren. Auffallend dabei ist, dass die subjektiven Geltungsansprüche<br />

lediglich in weniger als einem Fünftel begründet sind. Dieses Ergebnis weist auf<br />

eine starke Personalisierung des Diskurses hin. In den übrigen Foren werden demgegenüber<br />

mehr als die Hälfte aller subjektiven Geltungsansprüche begründet. Daraus kann der<br />

Schluss gezogen werden, dass die Erfahrungswelt der Teilnehmenden hier ein bedeutend<br />

grösseres Gewicht einnimmt als bei den google.groups. Bezogen auf alle Geltungsansprüche<br />

nähert sich das Diskursverhalten der Foren von Medienverlagshäusern in diesem Punkt<br />

jenem in den klassischen Medien an.<br />

Die Inklusivität der Argumente – bezogen auf die Themenvielfalt – ist bei den<br />

google.groups ausgeprägter als bei den übrigen Foren. Dies hängt möglicherweise mit der<br />

Struktur der Foren zusammen, da die Möglichkeit zur Eröffnung neuer Foren durch die<br />

Teilnehmenden Themenwechsel begünstigen könnte. Die Hypothese, dass die Inklusivität<br />

des Diskurses bezogen auf die vorkommenden Argumente bei den Foren von<br />

Google höher ist als bei den Foren von Medienverlagshäusern, kann somit bestätigt<br />

werden.<br />

162


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

Innerhalb der klassischen Medien sind die Unterschiede bezüglich der ökonomischen<br />

Stellung der Anbieter weniger deutlich. Sowohl die Sendungen der öffentlichen als auch<br />

der privaten Anbieter bieten dem interessierten Publikum eine intensive Diskussion zu<br />

den Abstimmungsthemen. Thematische Abschweifungen sind bei den öffentlichen Sendern<br />

noch etwas seltener als bei den privaten, die Unterschiede sind jedoch geringfügig. Ebenso<br />

ist der Diskurs bei den öffentlichen Anbietern in geringem Masse „kritischer“ als bei den<br />

privaten, sowohl was die M<strong>oder</strong>ation als auch die AkteurInnen betrifft. Die privaten Stationen<br />

bieten den Teilnehmenden somit etwas mehr Gelegenheit ihre Positionen darzulegen,<br />

während die Diskursteilnehmenden bei den öffentlichen Sendern andere AkteurInnen und<br />

deren Argumente etwas stärker hinterfragen. Die geäusserte Kritik wird allerdings nur unwesentlich<br />

öfters begründet als bei den Privaten, in deren Sendungen die Teilnehmenden<br />

ihre erhobenen Hauptaussagen etwas häufiger begründen. Insgesamt wird der Diskurs also<br />

bei beiden Anbietern ähnlich reflexiv geführt.<br />

Der Anteil an subjektiven Geltungsansprüchen ist bei den öffentlichen Sender etwas höher,<br />

was dafür spräche, dass der Diskurs bezogen auf die geäusserten Argumente etwas inklusiver<br />

ist, da die verschiedenen Ebenen ausgeglichener berücksichtigt werden. Allerdings<br />

werden die subjektiven Geltungsansprüche im Vergleich zu den privaten Sendungen weniger<br />

häufig begründet, was vielmehr darauf schliessen lässt, dass die Diskussion bei den<br />

öffentlichen Station stärker personalisiert wird, während die Lebenswelt der AkteurInnen<br />

bei beiden Anbietern etwa gleich häufig in die Diskussion getragen wird. Die Hypothese,<br />

dass die Inklusivität des Diskurses bezogen auf die Ebene der Argumente bei öffentlichen<br />

Anbietern höher ist als bei privaten kann auf dieser Grundlage nicht bestätigt werden<br />

– es sind keine nennenswerten Unterschiede festzustellen. Die berücksichtigte Themenvielfalt<br />

lässt diesbezüglich ebenfalls keine Rückschlüsse zu. Je nach Abstimmungsthema<br />

ist die Zahl an nicht erwarteten Themen einmal bei den öffentlichen, einmal bei den<br />

privaten Stationen ausgeprägter. Bei den privaten Anbietern kommen insgesamt etwas<br />

mehr nicht erwartete Themen zur Sprache. Es konnte allerdings festgestellt werden, dass<br />

sich die Schwerpunktsetzung bei einzelnen Themen zwischen den beiden Anbietern unterscheidet.<br />

Dabei ist die thematische Bandbreite bei den öffentlichen Sendern etwas ausgeglichener<br />

als bei den privaten, d.h. einzelne Themen werden weniger stark akzentuiert.<br />

Genannte Ergebnisse zum Anteil an unbegründeten subjektiven Geltungsansprüchen legen<br />

indes nahe, die Hypothese, dass bei privaten Radio- und Fernsehanbietern Personenfragen<br />

mehr im Vordergrund stehen als bei öffentlichen Anbietern zu falsifizieren.<br />

Die Ergebnisse hinsichtlich der Unterscheidung zwischen den Mediengattungen Radio<br />

und Fernsehen sind aussagekräftiger: Während die Teilnehmenden der dialogischen Radioformate<br />

ihre Geltungsansprüche insgesamt mehrheitlich begründen, bleiben sie in den<br />

Fernsehsendung in der Mehrheit unbegründet. Der Anteil an begründeter Kritik, ein wichtiger<br />

Gradmesser für reflexives Gesprächsverhalten, ist im Radio leicht höher als im Fernsehen.<br />

Ebenso werden die erhebenden Geltungsansprüche im Radio im direkten Vergleich<br />

zum Fernsehen häufiger begründet. Demgegenüber nimmt die unbegründete Kritik im<br />

Fernsehen einen deutlich höheren Stellenwert ein. Insgesamt wird im Radio also weniger<br />

kritisiert und mehr begründet, der Diskurs wird begründeter und reflexiver geführt. Der<br />

Grund dafür ist allerdings nicht nur in gattungsspezifischen Eigenheiten, sondern auch in<br />

den jeweils vorherrschenden dialogischen Konzepten zu suchen.<br />

Im Radio wurden deutlich mehr Interviews als Debatten ausgestrahlt. Obschon Interviews<br />

in der Regel weniger lang dauern als Debatten und somit in der Analyse weniger stark ins<br />

Gewicht fallen, wirken sie sich im Radio etwas stärker aus als im Fernsehen. Wie gezeigt<br />

werden konnte ist das diskursive Verhalten der Gesprächsteilnehmenden in Interviews in<br />

erster Linie geprägt durch einen hohen Anteil an begründeten Stellungsnahmen, Ausführungen<br />

etc. gefolgt von einem ebenfalls hohen Anteil an unbegründetem Erheben von Geltungsansprüchen.<br />

Die begründete Kritik macht demgegenüber einen deutlich geringeren<br />

163


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

Gesprächsanteil aus, noch geringer fällt der Anteil an unbegründeter Kritik aus. Die Interviews<br />

unterscheiden sich in genannten Punkten deutlich von den Debatten. Allerdings kann<br />

der hohe Anteil an Interviews nicht als gattungsspezifisches Merkmal gewertet werden, da<br />

sich die Radiosender der beiden Sprachregionen in diesem Punkt deutlich unterscheiden.<br />

In Interviews werden also v.a. begründete Geltungsansprüche erhoben und es wird mehr<br />

begründete als unbegründete Kritik geäussert. Der Anteil an begründeter Kritik ist prozentual<br />

gesehen in den Debatten allerdings etwas höher. Auf dieser Grundlage kann die Hypothese,<br />

dass die Kritik der Geltungsansprüche in Debatten zu Ungunsten der Konsensorientierung<br />

der Teilnehmenden überwiegt und, dass die eigene Begründung von Geltungsansprüchen<br />

weniger ausgeprägt ist als in Interviews, bestätigt werden.Obschon<br />

im Radio deutlich mehr Interviews ausgestrahlt wurden als im Fernsehen, ist im Radio der<br />

Anteil an begründeter Kritik jedoch höher. Aus diesem Ergebnis kann geschlossen werden,<br />

dass der Diskurs in der Mediengattung Radio reflexiver geführt wird.<br />

Bezüglich der Inklusivität der Argumente lassen sich zwischen Fernsehen und Radio keine<br />

markanten Unterschiede feststellen. Das Fernsehen weist zwar einen höheren Anteil an<br />

subjektiven Geltungsansprüchen auf, doch werden diese weniger häufig begründet als im<br />

Radio. Subjektive Geltungsansprüche, die auf eine Thematisierung der persönlichen Erfahrungswelt<br />

hinweisen, sind im Radio und im Fernsehen nahezu gleich stark vertreten. Aus<br />

dieser Perspektive ist die Inklusivität der Argumente für beide Mediengattungen gleich zu<br />

bewerten. Die Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass im Fernsehen eine stärkere Personalisierung<br />

der Diskussion stattfindet. Die Inklusivität der Argumente – gemessen an der<br />

thematischen Auseinandersetzung – unterscheidet sich in Radio und Fernsehen ebenfalls<br />

nicht.<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen sind einige Besonderheiten feststellbar. Sowohl<br />

in den klassischen Medien als auch in den Online-Foren ist der Diskurs in der<br />

Deutschschweiz kritischer ausgerichtet als in der Romandie. Die Unterschiede sind ziemlich<br />

ausgeprägt, so kritisieren die Gäste in den Radio- und Fernsehsendungen in der<br />

Deutschschweiz die anderen Teilnehmenden in mehr als der Hälfte ihrer Geltungsansprüche,<br />

in der Romandie ist dies nur bei ca. einem Drittel der Fall. Als Grund dafür kann das<br />

<strong>Dialog</strong>format der Sendungen herangezogen werden: In der Deutschschweiz nehmen die<br />

Pro-Contra-Debatten ein stärkeres Gewicht ein als in der Romandie. Wie gezeigt werden<br />

konnte, ist das Mass an geäusserter Kritik in den Interviews geringer. In diesem Punkt<br />

konnte eine Analogie zu den Online-Foren festgestellt werden: In den deutschsprachigen<br />

Online-Foren baz.ch, espace.ch und google.groups.ch zielen rund die Hälfte aller Geltungsansprüche<br />

auf eine Kritik, in den Westschweizer Foren tdg.ch und 24.heures.ch ist<br />

dies im Schnitt nur bei jedem vierten Geltungsanspruch der Fall. Das Ergebnis deutet deshalb<br />

in der Tendenz auf unterschiedliche Gesprächskulturen in den beiden Sprachregionen<br />

hin. Es scheint, dass es den Teilnehmenden in den Diskussionen der Westschweiz eher<br />

darum geht, Sachverhalte und eigene Meinungen darzulegen als das Gesagte zu kritisieren.<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen fällt weiter auf, dass der Lebenswelt der AkteurInnen<br />

in den Diskussionen der Romandie eine grössere Bedeutung zukommt. In den<br />

Radio- und Fernsehsendungen werden auf der subjektiven Ebene etwas mehr begründete<br />

Geltungsansprüche geäussert als in der Deutschschweiz. Ob dieses Ergebnis mit dem höheren<br />

Anteil an AkteurInnen aus der Peripherie zusammenhängt, muss an dieser Stelle offen<br />

bleiben. Betrachtet man die Ergebnisse für die Online-Foren, so können sprachregionale<br />

Unterschiede vermutet werden. Die google.groups wurden dabei ausgeklammert, da diese<br />

die Ergebnisse für die Deutschschweiz stark verzerren würden. Wenngleich die subjektive<br />

Perspektive auf die Abstimmungsthematik in den Westschweizer Foren insgesamt ein<br />

leicht geringeres Gewicht einnimmt als in den Deutschschweizer Foren baz.ch und espace.ch,<br />

so werden die subjektiven Geltungsansprüche in der Romandie doch öfters begründet,<br />

d.h. die Erfahrungswelt der Teilnehmenden wird hier stärker in die Diskussion einge-<br />

164


Zwischenfazit: Thematisierung von Geltungsansprüchen<br />

bracht. Die Argumentation aus der persönlichen Perspektive findet in den Westschweizer<br />

Online-Foren auch im Vergleich zu allen übrigen Untersuchungsebenen am meisten Berücksichtigung.<br />

Bezogen auf die Unterscheidung zwischen sachlichen, normativen und<br />

subjektiven Geltungsansprüchen ist der Diskurs in der Romandie insgesamt inklusiver als<br />

in der Deutschschweiz. Gemessen an der Themenvielfalt verschiebt sich das Ergebnis hingegen<br />

zugunsten der Deutschschweiz.<br />

In den Online-Foren der Westschweiz ist die thematische Fokussierung auf die Argumentationslinien,<br />

wie sie in den Abstimmungsunterlagen vorgestellt werden, überraschenderweise<br />

sehr ausgeprägt. Es kommen praktisch keine anderen Themen vor. Die thematische<br />

Bandbreite ist in den Online-Foren der Romandie sogar enger gefasst als in den klassischen<br />

Medien. Die Werte für die Deutschschweizer Online-Foren weisen hingegen auf die<br />

breiteste thematische Auseinandersetzung mit den Abstimmungsvorlagen. Bei den klassischen<br />

Medien ist die Themenvielfalt in den Sendungen der Deutschschweiz ebenfalls etwas<br />

grösser als in der Romandie, die Unterschiede sind hier jedoch weniger ausgeprägt.<br />

Mit Blick auf die Medienleistung wurde das Gesprächsverhalten der M<strong>oder</strong>ation in der<br />

vorliegenden Untersuchung einer gesonderten Analyse unterzogen. Die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

stellen in den untersuchten Sendungen provokative Fragen, bedienen sich jeweils oppositioneller<br />

Meinungen und sind darum bemüht, die Teilnehmenden zu klaren Positionierungen<br />

zu bewegen. Als DiskursteilnehmerInnen beteiligen sie sich jedoch kaum und nehmen<br />

demnach in erster Linie die Rolle der Vermittlung ein. Ein Indikator dafür ist, dass sie<br />

kaum Kritik im engeren Sinne äussern, sie stellen die Plausibilität der geäusserten Argumentationen<br />

eher selten in Frage. Allerdings konnte diesbezüglich eine relativ hohe Varianz<br />

zwischen einzelnen Sendungen ausgemacht werden. Das Sendekonzept scheint hier<br />

also eine Rolle zu spielen. Die M<strong>oder</strong>atorInnen begründen ihre Geltungsansprüche in der<br />

Mehrheit nicht, was mit der von ihnen eingenommenen Rolle als GesprächsleiterInnen<br />

zusammenhängt.<br />

Im Vergleich zwischen den öffentlichen und den privaten Sendern greifen die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

im öffentlichen Radio und Fernsehen etwas stärker in die Debatte ein, indem sie die<br />

Argumentation kritisch beleuchten. Dieser Unterschied ist jedoch nicht sehr gross. Die<br />

M<strong>oder</strong>ation nimmt bei beiden Anbietern überwiegend die Rolle der Gesprächsleitung ein<br />

und beteiligt sich demnach nur in geringem Mass als Diskursteilnehmerin.<br />

Über die Themensetzung und die Ausrichtung der gestellten Fragen nehmen die GesprächsleiterInnen<br />

Einfluss auf den Verlauf des Diskurses. Die Schwerpunktsetzung liegt<br />

diesbezüglich eindeutig auf der Diskussion von Sachfragen. Geltungsansprüche auf der<br />

subjektiven Ebene werden von den M<strong>oder</strong>atorInnen äusserst selten thematisiert, während<br />

sich die Teilnehmenden rund sechsmal häufiger auf dieser Ebene bewegen. Die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

bemühen sich zudem kaum darum, den Diskurs auf diese Ebene zu leiten. Nur ein<br />

geringer Anteil aller gestellten Fragen zielt darauf ab, eine subjektive Einschätzung durch<br />

die Teilnehmenden anzustossen. In den meisten Fällen zielen die Fragen auf eine Positionierung<br />

der TeilnehmerInnen, ebenfalls relativ häufig werden die Teilnehmenden aufgefordert<br />

ihre Aussagen zu präzisieren. Die Medienleistung besteht somit darin, zu Gewährleisten,<br />

dass das Publikum die Standpunkte der AkteurInnen verorten und eine Präferenzordnung<br />

der Positionen erstellen kann. Für die Diskursqualität ist insbesondere von Bedeutung,<br />

dass Unklarheiten über Nachfragen ausgeräumt werden, die Art der gestellten Fragen<br />

verweist somit auf eine Medienleistung, die in den untersuchten Sendungen auch erbracht<br />

wird.<br />

165


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

8 Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen<br />

miteinander sprechen<br />

Nicht nur die Inklusivität der AkteurInnen und Argumente, Reziprozität und Reflexivität<br />

des Diskurses, sondern auch der Respekt kennzeichnet ein Kriterium der Diskursqualität.<br />

Mit Respekt ist in erster Linie der kommunikative Respekt gemeint, der über die Diskursstruktur<br />

Auskunft zu geben vermag. Dieser stellt nicht alleine auf explizite Äusserungen<br />

der Teilnehmenden ab, sondern zieht gleichermassen ihre gesamten kommunikativen<br />

Handlungen in Betracht. Der kommunikative Respekt ist eine Voraussetzung dafür, dass<br />

die AkteurInnen einander zuhören, was wiederum für die Deliberation von Bedeutung ist,<br />

da ansonsten kein Meinungsaustausch erfolgen kann. Ausserdem setzt der ideale Diskurs<br />

gegenseitigen Respekt voraus, damit sich die Beteiligten als gleichberechtigte und vernünftige<br />

AkteurInnen betrachten, was ebenfalls ein entscheidendes Kriterium ist. Denn die AkteurInnen<br />

sollten bereit sein, sich von den (besseren) Argumenten Anderer überzeugen zu<br />

lassen. Gegenseitiger Respekt kann als Voraussetzung für eine solche Bereitschaft gelten.<br />

Zunächst wird betrachtet, wie respektvoll die Interaktion in den traditionellen elektronischen<br />

Medien ist, indem auf die verschiedenen Formen des Sprecherwechsels eingegangen<br />

wird. In erster Linie interessieren jene Übergänge, die auf den kommunikativen Respekt<br />

respektive auf sein Fehlen hindeuten, nämlich die Wortergreifung durch Unterbrechung<br />

sowie der erfolglose Versuch, andere zu unterbrechen. Danach folgt sowohl für die klassischen<br />

als auch die neuen elektronischen Medien eine Auseinandersetzung über die expliziten<br />

Äusserungen der Teilnehmenden, die als respektverletzendes Verhalten gewertet werden<br />

können. In diesem Zusammenhang muss festgehalten werden, dass also nicht das Vorkommen<br />

des kommunikativen Respekts, sondern dessen Abwesenheit bzw. die Respektlosigkeit<br />

betrachtet wird.<br />

8.1 Kommunikativer Respekt beim Rollenwechsel<br />

Der ideale Rollenwechsel beschreibt, dass die AkteurInnen sowohl SprecherInnen als auch<br />

HörerInnen sind und zwischen den Rollen wechseln. Die Gesprächsorganisation gibt Hinweise<br />

darauf, wie respektvoll die Interaktion ist. Wie bereits beim Zustandekommen des<br />

Sprecherwechsels erwähnt wurde, ist die Grundeinheit des Gesprächs der turn, also der<br />

Redebeitrag. 161 Die Organisationsgrösse ist der Sprecherwechsel, bei dem der/die ehemalige<br />

HörerIn mindestens einmal die Sprecherrolle übernimmt und gleichzeitig der/die ehemalige<br />

SprecherIn in die Rolle des Hörens wechselt. Aus deliberativer Sichtweise genügt<br />

dieses einmalige Wechseln der Rollen allerdings nicht, wenn der Anspruch erhoben wird,<br />

dass Argumente gegeneinander abgewogen werden sollen. Während zuvor auf die Frage<br />

eingegangen wurde, wie in einem Gespräch das Wort vergeben wird, interessieren nun die<br />

Formen des Sprecherwechsels, in denen das geltende Rederecht entweder akzeptiert <strong>oder</strong><br />

aber missachtet wird. Wie bereits geschildert, gibt es zwei Grundregeln des Gesprächs, an<br />

denen sich die AkteurInnen orientieren können: Es spricht jeweils nur eine Person und<br />

diejenige, die nach einem Redebeitrag als erste das Wort ergreift, hat das Rederecht, also<br />

das Anrecht auf den nächsten Beitrag. Wie lange ein/e SprecherIn das Rederecht behalten<br />

darf, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So wird in öffentlichen Diskussionen dieses<br />

Recht anders wahrgenommen als in Parlamentsdebatten <strong>oder</strong> in einem Gespräch mit ExpertInnen.<br />

162 In den dialogischen Formaten von Radio und Fernsehen möchten die Beteiligten<br />

naturgemäss alle sprechen dürfen, gilt es doch, das zuhörende bzw. zuschauende Publi-<br />

161 Vgl. Kapitel 6.1.<br />

162 Linke et al. (2004) bestimmen unter anderem folgende Faktoren: Ort, Zeitpunkt, Öffentlichkeitscharakter<br />

des Gesprächs, Beziehung der GesprächsteilnehmerInnen, Thema des Gesprächs (Linke et al. 2004: S. 303).<br />

166


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

kum von den eigenen Ansichten zu überzeugen. Dennoch ist allen Beteiligten bewusst,<br />

dass das Rederecht – sobald es einmal vergeben ist – der sprechenden Person für eine gewisse<br />

Zeit zusteht. An dieser Regelung sind alle AkteurInnen interessiert: Denn würden sie<br />

sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, dann könnte niemand von ihnen das Publikum von<br />

sich und der eignen politischen Ansicht überzeugen. Damit alle sachlich relevanten Punkte<br />

vorgebracht werden können, erfordert es eine gewisse Mindestredezeit, die allen Teilnehmenden<br />

eingeräumt werden muss. Da die Sendedauer begrenzt ist, die Gesprächsteilnehmenden<br />

aber möglichst oft und lange zu Wort kommen möchten, muss der Umfang der<br />

Redebeiträge begrenzt werden. Durchschnittlich haben die Teilnehmenden in den untersuchten<br />

Sendungen 22 Sekunden pro Redebeitrag Zeit, also nur eine beschränkte Spanne,<br />

um eigene Aussagen zu platzieren. In diesem Zusammenhang muss allerdings bedacht<br />

werden, dass die Redezeiten pro AkteurIn respektive pro Redebeitrag stark variieren können.<br />

Bspw. dauert der kürzeste Redebeitrag eines Teilnehmenden in einer Sendung von<br />

„Infrarouge“ eine Sekunde, der längste 2 Minuten 22 Sekunden. 163 Einem/r M<strong>oder</strong>atorIn<br />

steht in den untersuchten Sendungen durchschnittlich weniger Redezeit zur Verfügung; pro<br />

Redebeitrag benötigt er/sie gerade mal 11 Sekunden. Zuerst interessiert nun, ob es zu Verletzungen<br />

der oben genannten Grundregeln kommt.<br />

8.1.1 Sprecherwechsel durch respektverletzende Unterbrechung<br />

An dieser Stelle steht die Frage im Vordergrund, auf welche Art und Weise der Rollenwechsel<br />

erfolgt, also das Rederecht übergeben wird. Durch das Einhalten <strong>oder</strong> die Verletzung<br />

der Grundregeln eines Gesprächs ergeben sich verschiedene Formen, wie der Übergang<br />

von Sprecher A zu Sprecher B (Sprecherwechsel) vollzogen werden kann. Es gibt<br />

zwei Hauptformen des Rollenwechsels: Werden die Regeln eingehalten, gilt der Sprecherwechsel<br />

als glatt – sowohl die Person, die das Rederecht abtritt als auch jene, die es übernimmt,<br />

akzeptiert den Rollenwechsel (zumindest vordergründig). Werden die Regeln verletzt,<br />

so wird das Rederecht umstritten. Beide Fälle können spezifischere Formen aufweisen.<br />

164<br />

Unter einem glatten Sprecherwechsel werden alle Übergänge verstanden, die nicht durch<br />

eine Unterbrechung erfolgen. Es gibt verschiedene Arten des glatten Sprecherwechsels: (a)<br />

Zwischen dem Ende des letzten Redebeitrags und dem Beginn des neuen gibt es keine respektive<br />

nur eine sehr kurze Sprechpause. (b) Der letzte Gesprächsbeitrag und der neue<br />

Beitrag „überlappen“ sich. Dabei gibt es eine Phase simultanen Sprechens, d.h. die letzten<br />

Silben <strong>oder</strong> Worte des/r endenden SprecherIn werden gleichzeitig mit den ersten Worten<br />

des/r neu einsetzenden Sprechenden geäussert. In dieser Phase kommen beide Teilnehmenden<br />

gleichzeitig ihrer Rolle als SprecherIn nach. Hierbei handelt es sich allerdings<br />

nicht um eine Unterbrechung. Überlappungen werden von den Beteiligten meist nicht als<br />

störend wahrgenommen, da die davon betroffenen Äusserungen oft inhaltlich Redundantes<br />

betreffen und somit das Rederecht übergeben werden kann. (c) Innerhalb eines Redebeitrags<br />

gibt es so genannte „übergangsrelevante Orte“ wie bspw. am Ende eines Satzes, am<br />

Ende einer Argumentation, am Ende eines Gedankengangs. Sprecherwechsel an solchen<br />

übergangsrelevanten Orten gelten ebenfalls als „glatt“. Die zweite Form des Sprecherwechsels<br />

geschieht durch Unterbrechung, einer spezifischen Form der Selbstwahl. Dem/r<br />

unterbrochenen SprecherIn, also jener Person, der der Gesprächsschritt eigentlich zusteht,<br />

wird das Rederecht aberkannt. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum überlappenden<br />

Sprecherwechsel, da sich die aktuell sprechende Person bei der Unterbrechung noch nicht<br />

am Ende <strong>oder</strong> in der Endphase des eigenen Redebeitrags befindet. Deshalb kann er/sie einen<br />

wesentlichen Teil seines/ihres Beitrags nicht mehr realisieren, weshalb der eigentliche<br />

163 TSR1, „Infrarouge“, 31.08.2005.<br />

164 Folgende Ausführungen beruhen auf Henne, Rehbock 2001: 166ff, 184ff; Linke et al. 2004: 302ff; Fried-<br />

richs, Schwinges 2005: 112.<br />

167


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Inhalt des Gesprächsbeitrags tangiert wird. Bei einer Unterbrechung kann das Gespräch<br />

unterschiedlich weiter verlaufen: (a) Der/die gegenwärtige SprecherIn bricht den eigenen<br />

Gesprächsschritt gleich nach einer Unterbrechung ab, ohne ihn später fortzusetzen. (b)<br />

Spricht der/die gegenwärtige SprecherIn noch eine Zeit lang weiter, so kann es zu zwei<br />

simultanen Gesprächsschritten kommen. Eine weitere Form des Sprecherwechsels ist die<br />

„entschuldigte“ Unterbrechung. Diese Einschränkung wird getroffen, da nicht jede Unterbrechung<br />

als gleich störend empfunden wird bzw. die Diskursregeln verletzt. Wiederum<br />

gibt es verschiedene Varianten dieses Sprecherwechsels: (a) Der/die neue SprecherIn ist<br />

sich seines/ihres „unhöflichen“ Verhaltens bewusst und kündigt bspw. mittels explizit gemachter<br />

Unterbrechung an, dass ein Rollenwechsel gewünscht ist. (b) Aber auch begründete<br />

Unterbrechungen durch M<strong>oder</strong>atorInnen können „entschuldigte“ Unterbrechungen sein:<br />

Es ist angemessen, den/die GesprächspartnerIn zu unterbrechen, wenn diese/r unklare<br />

Ausdrücke verwendet, wenn eine Antwort vom Thema wegführt, wenn mit der Unterbrechung<br />

die Redezeiten eingeschränkt werden <strong>oder</strong> die gesamte Sendezeit zu Ende ist. „Entschuldigte“<br />

Unterbrechungen werden folglich nicht als respektverletzende kommunikative<br />

Handlungen gewertet.<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Nach der Vorstellung eines idealen Diskurses haben alle an der Diskussion Beteiligten<br />

freien und gleichberechtigten Zugang zum Wort. Diejenige Person, die etwas zur Sache<br />

beitragen kann, also ein Argument vorbringen, eine Schlussfolgerung ziehen <strong>oder</strong> eine<br />

Aussage widerlegen kann, sollte sich um das Redrecht bemühen. In diesem Zusammenhang<br />

interessiert nun, ob sich die AkteurInnen frei am Diskurs beteiligen können. Folgende<br />

Grafik zeigt die verschiedenen Formen des Sprecherwechsels in den klassischen Medien.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

gesamt M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n = 3839 (n = 1562) (n = 2277)<br />

Grafik 48: Sprecherwechsel nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

Glatter Sprecherwechsel<br />

durch Unterbrechung<br />

durch "entschuldigte" Unterbrechung<br />

Insgesamt ist der Anteil an Unterbrechungen mit 20.1% relativ hoch, bedenkt man, dass in<br />

den traditionellen elektronischen Medien die M<strong>oder</strong>ation für die Verteilung des Rederechts<br />

zuständig ist und somit eine theoretisch von allen akzeptierte Instanz zugegen ist, die darüber<br />

entscheidet, wer spricht. In Diskussionen ohne M<strong>oder</strong>ation müssten die Teilnehmenden<br />

den Diskurs vollumfänglich selbst regulieren, ein hoher Anteil an Unterbrechungen<br />

wäre daher eher zu erwarten. Das Ergebnis, dass in m<strong>oder</strong>ierten dialogischen Fernseh- und<br />

Radioformaten in einem Fünftel aller Sprecherwechsel einem/r AkteurIn das Rederecht<br />

aberkannt wird bzw. ein Kampf ums Wort ausbricht, deutet auf zweierlei hin: Zum einen<br />

verweist es darauf, dass die Teilnehmenden ein gesteigertes Engagement an der Diskussi-<br />

168


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

on, insbesondere für ihre eigene Beteiligung daran erkennen lassen. Andererseits deutet<br />

das Ergebnis auch auf eine konfrontative bzw. hitzige Art der <strong>Dialog</strong>führung, bei der insbesondere<br />

auch die Medien ihr Rollenverständnis durchsetzen müssen.<br />

Werden die M<strong>oder</strong>ation und die Teilnehmenden gesondert betrachtet, so fällt auf, dass die<br />

M<strong>oder</strong>ation ihre GesprächspartnerInnen verhältnismässig häufiger unterbricht als die Teilnehmenden<br />

(31.0% bzw. 23.7%). Die Frage der Kausalität muss an dieser Stelle offen<br />

bleiben, es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass das Verhalten der M<strong>oder</strong>ation primär reaktiv<br />

ist und die Ergebnisse somit korrelieren – die Ergebnisse im Vergleich zwischen Radio<br />

und Fernsehen lassen darauf schliessen (s.u.). Allerdings ist das Verhältnis zwischen<br />

entschuldigter und unentschuldigter Interruption unterschiedlich: Die M<strong>oder</strong>ation weist<br />

16.5% Unterbrechungen und 14.5% „entschuldigte“ Unterbrechungen auf, die Teilnehmenden<br />

dagegen 22.6% respektive 1.1%. Dass der Anteil an explizit gemachten <strong>oder</strong> begründeten<br />

Unterbrechungen bei der Gesprächsleitung sehr viel höher liegt, hat mit den<br />

gesprächsorganisatorischen Aufgaben zu tun. Dennoch ist auffallend, dass obwohl sie im<br />

Gespräch eine privilegierte Stellung einnimmt, sie den anderen Beteiligten in einem Sechstel<br />

aller Sprecherwechsel ins Wort fällt und damit das Rederecht ohne explizit respektvoll<br />

zu handeln, übernimmt. Die Teilnehmenden verletzen die Höflichkeitsnormen in über einem<br />

Fünftel der Sprecherwechsel, unterbrechen also eine/n andere/n GesprächsteilnehmerIn,<br />

obwohl diese/r spricht <strong>oder</strong> weiter sprechen will.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

An dieser Stelle interessiert, ob die Mediengattung Einfluss auf das Kommunikationsverhalten<br />

hat. In der folgenden Grafik sind die verschiedenen Formen des Sprecherwechsels<br />

in Radio und Fernsehen ersichtlich.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

Radio<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

Fernsehen<br />

Teilnehmende<br />

Radio<br />

Teilnehmende<br />

Fernsehen<br />

n = 750 n = 812 n = 942 n = 1335<br />

Glatter Sprecherwechsel<br />

durch Unterbrechung<br />

durch "entschuldigte" Unterbrechung<br />

Grafik 49: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Radio und Fernsehen<br />

Im Radio ist der Anteil an Sprecherwechseln durch Unterbrechung insgesamt mit 17.6%<br />

niedriger als im Fernsehen mit 22.1%. Der Anteil an „entschuldigten“ Unterbrechungen ist<br />

ungefähr gleich gross (6.3% bzw. 6.8%). Wiederum ist die Unterscheidung von M<strong>oder</strong>ation<br />

und Teilnehmenden interessant. Hierbei kann festgestellt werden, dass die M<strong>oder</strong>ation<br />

im Fernsehen die Beteiligten häufiger unterbricht – ob entschuldigt <strong>oder</strong> nicht – als im Radio<br />

(34.4% bzw. 27.3%). 165 Auch die Teilnehmenden von dialogischen Fernsehformaten<br />

165 Unterbrechungen durch die M<strong>oder</strong>ation: 17.9% im Fernsehen, 14.9% im Radio; „entschuldigte“ Unterbre-<br />

chungen: 16.5% im Fernsehen, 12.4 im Radio.<br />

169


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

unterbrechen ihre PartnerInnen häufiger als diejenigen im Radio (25.5% bzw. 21.1%), 166<br />

allerdings sprechen sie den Beteiligten weniger häufig das Rederecht ab als die M<strong>oder</strong>ation,<br />

sofern man alle Formen der Unterbrechung berücksichtigt.<br />

Eine plausible Erklärung für diese Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen liefert das<br />

<strong>Dialog</strong>format. In den untersuchten Radioformaten ist der Einfluss von Interviews stärker<br />

als in den Fernsehsendungen. 167 In der unten stehenden Grafik sind die drei Formen des<br />

Sprecherwechsels nach <strong>Dialog</strong>format aufgegliedert.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

100.00<br />

90.00<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

Debatten<br />

M<strong>oder</strong>ation<br />

Interviews<br />

Teilnehmende<br />

Debatten<br />

Teilnehmende<br />

Interviews<br />

n = 1268 n = 294 n = 1980 n = 297<br />

Glatter Sprecherwechsel<br />

durch Unterbrechung<br />

durch "entschuldigte" Unterbrechung<br />

Grafik 50: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format<br />

Aus oben stehender Grafik ist ersichtlich, dass in Debatten die Gesprächsregeln häufiger<br />

verletzt werden als in Interviews. Dies ist verständlich, da sich in Debatten mehrere GesprächspartnerInnen<br />

gegenüber stehen und die Regeln des Rollenwechsels weniger fest<br />

gefügt sind als etwa in Interviews. Da das Fernsehen mehr Debatten ausstrahlt 168 und in<br />

diesen der glatte Sprecherwechsel seltener vorkommt als in Interviews, ist der Anteil an<br />

Unterbrechungen im Fernsehen höher. Ebenso wird deutlich, dass die M<strong>oder</strong>ation in Korrelation<br />

zu den Teilnehmenden in den Debatten häufiger unterbricht.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

An dieser Stelle interessiert, ob die ökonomische Stellung der Sender Einfluss auf das<br />

Kommunikationsklima hat.<br />

Sprecherwechsel: Übergang Öffentlich Privat<br />

Glatter Sprecherwechsel 76.0% 68.2%<br />

durch Unterbrechung 17.1% 25.9%<br />

durch „entschuldigte“ Unterbrechung<br />

6.9% 5.9%<br />

n = 2528 n = 1311<br />

Tabelle 22: Sprecherwechsel in den klassischen Medien nach Anbieter<br />

166 Unterbrechungen durch die Teilnehmenden: 24.7% im Fernsehen, 19.6% im Radio; „entschuldigte“ Unterbrechungen:<br />

0.8% im Fernsehen, 1.5 im Radio.<br />

167 Die Verteilung der hier relevanten Untersuchungseinheit sieht folgendermassen aus: Im Radio stammen<br />

insgesamt 26.0% der Redebeiträge aus Interviews, im Fernsehen dagegen lediglich 7.7%.<br />

168 Bezogen auf die hier relevante Untersuchungseinheit des Redebeitrags sehen die Verteilungen wie folgt<br />

aus: Redebeiträge aus Debatten im Fernsehen: 92.3%, im Radio 74,0%.<br />

170


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Wie aus oben stehender Tabelle ersichtlich ist, unterbrechen sich die Beteiligten in den<br />

dialogischen Formaten der privaten Anbieter häufiger als dies in den öffentlichen der Fall<br />

ist (25.9% bzw. 17.1%). Nicht nur die M<strong>oder</strong>ation verletzt häufiger die Gesprächsregeln<br />

(18.9% bzw. 15.3%), sondern auch die Teilnehmenden fallen sich häufiger gegenseitig ins<br />

Wort (30.2% bzw. 18.5%). Die Gesprächsdisziplin ist in den dialogischen Formaten der<br />

privaten Anbieter wesentlich tiefer als bei den öffentlichen. Insgesamt wird bei den Privaten<br />

der kommunikative Respekt deutlich häufiger verletzt als bei den öffentlichen. Eine<br />

plausible Erklärung dafür können die <strong>Dialog</strong>formate liefern. Wie im vorangehenden Abschnitt<br />

ausgeführt wurde, weisen die dialogischen Fernsehformate aufgrund des stärkeren<br />

Gewichts der Debatten einen weniger kooperativen Verlauf auf als diejenigen im Radio.<br />

Bei den privaten Anbietern aber machen die Fernsehsendungen über drei Fünftel der untersuchten<br />

Sendungen aus, bei den öffentlichen lediglich einen Viertel. Ebenso ist der Anteil<br />

an Redebeiträgen, die in Debatten geäussert wurden, bei den privaten Anbietern höher als<br />

bei den öffentlichen (91.7% vs. 80.3%). Dieser Unterschied liefert eine plausible Erklärung<br />

dafür, dass bei den Privaten ein weniger respektvolles Diskussionsklima herrscht.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Wie bereits festgestellt wurde, haben die Mediengattungen Radio und Fernsehen bzw. das<br />

<strong>Dialog</strong>format Einfluss auf den kommunikativen Respekt. Es wäre daher plausibel, dass<br />

sich dies auch auf der Unterscheidungsebene der Sprachregionen niederschlägt. Schliesslich<br />

sind von den untersuchten Sendungen in der Deutschschweiz 68.4% Fernsehformate,<br />

in der Romandie lediglich 21.1%. Entsprechend sind auch die Anteile an Redebeiträgen<br />

aus Interviews bzw. Debatten nicht gleich verteilt, wenngleich sich die beiden Sprachregionen<br />

diesbezüglich annähern (Redebeiträge aus Debatten in der Deutschschweiz 93.9%<br />

und 77.8% in der Westschweiz).<br />

Sprecherwechsel: Übergang Deutschschweiz Westschweiz<br />

Glatter Sprecherwechsel 75.6% 71.8%<br />

durch Unterbrechung 18.7% 21.1%<br />

durch „entschuldigte“ Unterbrechung<br />

5.7% 7.1%<br />

n = 1549 n = 2290<br />

Tabelle 23: Sprecherwechsel in den klassischen Medien nach Sprachregion<br />

Wie der Tabelle entnommen werden kann, ist der Verlauf in der Westschweiz etwas weniger<br />

kooperativ als in der Deutschschweiz. Die Annahme, dass sich die Resultate von Radio<br />

und Fernsehen bzw. die Ergebnisse für die jeweils vorherrschenden <strong>Dialog</strong>formate in den<br />

Sprachregionen niederschlagen, bestätigt sich indes nicht. Obschon in der Deutschschweiz<br />

die Debatten stärker ins Gewicht fallen und in diesen der Diskurs weniger respektvoll ist,<br />

ist der Anteil an Interruptionen in der Westschweiz leicht höher. Daraus kann gefolgert<br />

werden, dass die Diskurskultur sprachregional unterschiedlich ist. Die M<strong>oder</strong>ation weist in<br />

beiden Landesteilen ähnlich viele Interruptionen auf. Die Teilnehmenden allerdings unterbrechen<br />

sich in der Romandie häufiger als in der Deutschschweiz (24.6% bzw. 19.9% ohne<br />

„entschuldigte“ Unterbrechung).<br />

Kurzzusammenfassung: Insgesamt kann festgestellt werden, dass in den klassischen Medien<br />

in knapp drei Viertel aller Rollenwechsel der Übergang glatt verläuft. Das bedeutet,<br />

dass in über einem Viertel aller Sprecherwechsel eine Verletzung der Gesprächsregeln<br />

stattfindet. Schliesslich ist für eine Unterbrechung – ob entschuldigt <strong>oder</strong> nicht – charakteristisch,<br />

dass eine aktuell sprechende Person in keiner Weise signalisiert hat, dass sie zum<br />

Ende ihres Beitrages gekommen ist und ihr von einer anderen Person das Rederecht abgenommen<br />

wird. Dennoch sind „entschuldigte“, also begründete Unterbrechungen nicht als<br />

171


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

respektverletzende kommunikative Handlungen zu werten. Allerdings machen diese lediglich<br />

einen Drittel der Interruptionen aus. Der hohe Anteil an der nicht-kooperativen Form<br />

des Sprecherwechsels deutet nicht auf einen respektvollen Diskurs, in dem andere Meinungen<br />

ausgeführt und gehört werden sollen. Interessanterweise unterbricht die M<strong>oder</strong>ation<br />

ihre GesprächspartnerInnen häufiger als dies die Teilnehmenden tun. Die Frage der<br />

Kausalität muss an dieser Stelle offen bleiben, es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass das<br />

Verhalten der M<strong>oder</strong>ation primär reaktiv ist und die Ergebnisse somit korrelieren – die<br />

Ergebnisse im Vergleich zwischen Radio und Fernsehen lassen darauf schliessen. Zudem<br />

muss festgehalten werden, dass es sich bei den Interruptionen der M<strong>oder</strong>ation in knapp der<br />

Hälfte um entschuldigte, also legitimierte Unterbrechungen handelt. Im Gegensatz dazu<br />

„entschuldigen“ die TeilnehmerInnen ihre Interruptionen praktisch nie explizit.<br />

Der Vergleich zwischen den Gattungen hat gezeigt, dass die dialogischen Fernsehformate<br />

einen weniger kooperativen Verlauf aufweisen als diejenigen im Radio, sowohl die M<strong>oder</strong>ation<br />

als auch die Teilnehmenden unterbrechen ihr Gegenüber häufiger. Eine plausible<br />

Erklärung für diese Differenz liefert der höhere Anteil an Redebeiträgen aus Debatten im<br />

Fernsehen, in denen häufiger eine Verletzung der Gesprächsregeln stattfindet als in Interviewsendungen.<br />

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Gattung insofern Einfluss auf<br />

das Kommunikationsverhalten hat, als die Gattung das <strong>Dialog</strong>format vorgibt. Es ist hauptsächlich<br />

die Art des Gesprächs – ob zwei <strong>oder</strong> mehrere Personen miteinander diskutieren –<br />

die Einfluss auf den kommunikativen Respekt des Gesprächs hat.<br />

Auf Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter konnte festgestellt werden, dass die<br />

dialogischen Formate der privaten Anbieter hitziger verlaufen als diejenigen der öffentlichen.<br />

In Ersteren fallen sich alle Beteiligten, also auch die M<strong>oder</strong>ation, häufiger gegenseitig<br />

ins Wort und machen sich somit das Rederecht streitig. Bei den Privaten findet insgesamt<br />

bei knapp einem Viertel aller Sprecherwechsel eine respektrelevante Verletzung der<br />

Gesprächsregeln statt – ein relativ hoher Wert – bei den öffentlichen bei knapp einem<br />

Fünftel. Die Gesprächsbeteiligten müssen damit häufig ihr Rederecht abtreten und können<br />

ihre Ausführungen nicht zu Ende bringen. Erneut kann diese Differenz auf den unterschiedlichen<br />

Einfluss der <strong>Dialog</strong>formate zurückgeführt werden. Es kann deshalb festgehalten<br />

werden, dass in erster Linie das <strong>Dialog</strong>format Einfluss auf den Rollenwechsel und damit<br />

auf den kommunikativen Respekt ausübt.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen konnten ebenfalls Unterschiede aufgezeigt werden. Die<br />

Beteiligten unterbrechen sich in der Westschweiz häufiger als in der Deutschschweiz. Das<br />

Ergebnis kann jedoch nicht auf die vorherrschenden Mediengattungen und damit zusammenhängend<br />

auf die vorherrschenden <strong>Dialog</strong>formate zurückgeführt werden. Daher muss<br />

angenommen werden, dass in der französischsprachigen Schweiz eine andere Diskurskultur<br />

gepflegt wird als in der Deutschschweiz.<br />

8.1.2 Versuchte Unterbrechung<br />

Das obige Subkapitel beschäftigte sich mit den erfolgreichen Übernahmen des Rederechts,<br />

insbesondere mit dem Sprecherwechsel durch Unterbrechung. Bei der Übernahme setzt<br />

sich der/die ehemalige HörerIn durch, es kommt also zum Rollenwechsel. Ist dies nicht der<br />

Fall und der/die aktuelle SprecherIn behauptet das erlangte Rederecht, handelt es sich lediglich<br />

um eine „versuchte“ Unterbrechung durch den/die HörerIn. Die versuchte Unterbrechung<br />

gibt ebenfalls Hinweise auf den kommunikativen Respekt. Schliesslich können<br />

die Beteiligten nur frei am Diskurs teilnehmen, wenn ihnen das Rederecht nicht dauernd<br />

streitig gemacht wird bzw. sie nicht durch Zwischenrufe gestört werden. An dieser Stelle<br />

interessiert, wie oft sich die AkteurInnen gegenseitig ins Wort fallen, ohne damit allerdings<br />

einen eigenen Redebeitrag realisieren zu können. Durch die versuchte Unterbrechung wird<br />

demnach entweder das Rederecht streitig gemacht <strong>oder</strong> aber mit Einwürfen die Einstellung<br />

zu dem von dem Sprecher / der Sprecherin Gesagten bekundet bzw. Kommentare abgege-<br />

172


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

ben. Folglich können die versuchten Unterbrechungen als Aktivität gewertet werden, die<br />

den kommunikativen Respekt unterminiert.<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Um eine Aussage über das Gesprächsklima machen zu können, muss die Anzahl der versuchten<br />

Unterbrechungen in Relation zu den übrigen Gesprächsaktivitäten gesetzt werden.<br />

Unten stehender Grafik kann einerseits entnommen werden, welche Akteursgruppe wie<br />

viel spricht, andererseits wie oft sie versuchen, das Rederecht zu übernehmen bzw. durch<br />

Zwischenrufe dem/r GesprächspartnerIn ins Wort fallen.<br />

absolute Häufigkeit<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Grafik 51: Gesprächsaktivitäten nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

realisierte Redebeiträge<br />

"versuchte" Unterbrechungen<br />

In Radio und Fernsehen findet insgesamt in 24.2% aller Redebeiträge eine versuchte Unterbrechung<br />

statt. Dabei kann festgestellt werden, dass die Teilnehmenden häufiger versuchen,<br />

dem Gegenüber das Rederecht streitig zu machen bzw. Kommentare zum Gesagten<br />

abgeben als die M<strong>oder</strong>ation (31.5% bzw. 13.9% aller Redebeiträge). Dieses Resultat kann<br />

durch die privilegierte Stellung des/r M<strong>oder</strong>atorIn im Diskurs erklärt werden: Versucht die<br />

M<strong>oder</strong>ation einen Gesprächsschritt zu übernehmen, gelingt ihr dies häufiger als den Teilnehmenden.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

An dieser Stelle interessiert, ob die Mediengattungen Einfluss auf das Gesprächsklima haben.<br />

Im Radio findet in 19.3%, im Fernsehen in 28.1% aller Redebeiträge eine versuchte<br />

Unterbrechung statt. Das bedeutet, dass in den dialogischen Fernsehformaten häufiger ein<br />

Streit um das Rederecht erfolgt als im Radio, in dem der Diskurs kooperativer verläuft.<br />

Erneut kann eine deutliche Differenz zwischen M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden festgestellt<br />

werden. Unten stehender Grafik kann entnommen werden, welche Akteursgruppe in welcher<br />

Gattung wie viel spricht und wie oft versucht wird, dem Gegenüber das Rederecht<br />

abzunehmen.<br />

173


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

absolute Häufigkeit<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Radio Fernsehen<br />

n = 1733 n = 2181<br />

realisierte Redebeiträge<br />

"versuchte" Unterbrechungen<br />

Grafik 52: Gesprächsaktivitäten von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Radio und Fernsehen<br />

Die M<strong>oder</strong>ation realisiert in beiden Mediengattungen ungefähr gleich viele Redebeiträge.<br />

Das bedeutet, dass sie im Verhältnis zu den Teilnehmenden im Radio öfters zu Wort<br />

kommt als im Fernsehen, da sich die Teilnehmenden im Radio weniger oft am Diskurs<br />

beteiligen als im Fernsehen. Hinsichtlich der versuchten Unterbrechung verhält sie sich in<br />

den beiden Mediengattungen ähnlich: Im Radio macht der/die M<strong>oder</strong>atorIn in 14.4% aller<br />

Redebeiträge dem Gegenüber das Rederecht streitig, im Fernsehen in 13.5%. Dieses Ergebnis<br />

ist interessant, korreliert es doch nicht mit den Resultaten bezüglich des <strong>Dialog</strong>formats<br />

(s.u.) und scheint demnach gattungsspezifisch zu sein. Eine mögliche Erklärung kann<br />

die Sendedauer liefern. Im Schnitt dauert eine Radiosendung 18:41 Minuten, eine Fernsehsendung<br />

37:24. Im Radio weisen die untersuchten Sendungen eine kürzere Dauer auf. Bei<br />

einer kürzeren Sendung muss die M<strong>oder</strong>ation eher darauf achten, dass bspw. die Sendezeit<br />

eingehalten wird, dass alle relevanten Aspekte diskutiert werden. Deshalb versucht die<br />

M<strong>oder</strong>ation wahrscheinlich eher, den/die GesprächspartnerIn zu unterbrechen, nimmt sich<br />

wieder zurück und lässt weiter sprechen (s.u.). Um diese Vermutungen zu verifizieren,<br />

wäre eine weiterführende Untersuchung nötig, um das Gesprächsklima genauer zu analysieren.<br />

Im Gegensatz zur M<strong>oder</strong>ation versuchen die Teilnehmenden in den Fernsehsendungen<br />

häufiger die/den Sprechende/n zu unterbrechen als im Radio (37.3% bzw. 23.3% aller<br />

Redebeiträge). Insgesamt kommt es im Fernsehen häufiger zu einem Kampf ums Wort als<br />

in Radiosendungen.<br />

Klassische Medien: <strong>Dialog</strong>format<br />

Im vorderen Subkapitel konnte festgestellt werden, dass das <strong>Dialog</strong>format eine plausible<br />

Erklärung für die Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen liefert. In den untersuchten<br />

Radiosendungen stammen 26.0% der Redebeiträge aus Interviews, im Fernsehen lediglich<br />

7.7%. Unten stehende Grafik zeigt die Unterschiede zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten für das<br />

Gesprächsverhalten der AkteurInnen und ihre Versuche, das Rederecht zu erlangen.<br />

174


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

absolute Häufigkeit<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

M o deratio n Teilnehmende<br />

realisierte Redebeiträge "versuchte" Unterbrechungen<br />

Gesprächsaktivitäten in Debatten<br />

absolute Häufigkeit<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

M <strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

realisierte Redebeiträge "versuchte" Unterbrechungen<br />

Gesprächsaktivitäten in Interviews<br />

Grafik 53: Gesprächsaktivitäten von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format<br />

Aus Grafik 53 wird ersichtlich, dass sich die M<strong>oder</strong>ation interessanterweise in beiden <strong>Dialog</strong>formaten<br />

ähnlich verhält: In Debatten versucht die M<strong>oder</strong>ation in 14.1% aller Redebeiträge<br />

den/die GesprächspartnerIn zu unterbrechen, in Interviews in 13.5%. Die untersuchten<br />

Interviewsendungen haben eine durchschnittliche Dauer von 08:47 Minuten, die Debatten<br />

dauern dagegen im Schnitt 37:48 Minuten. Dies könnte eine Erklärung dafür liefern,<br />

warum die M<strong>oder</strong>ation in Interviews mit nur einem/r GesprächspartnerIn ähnlich oft versucht,<br />

das Gegenüber zu unterbrechen wie in Debatten mit mehreren Beteiligten. Bei einer<br />

kurzen Sendezeit muss eher darauf geachtet werden, die Aussagen auf den Punkt zu bringen.<br />

Bei den Teilnehmenden gibt es dagegen erhebliche Unterschiede in den beiden <strong>Dialog</strong>formaten.<br />

In den Debatten erfolgt in 34.8% der Redebeiträge eine versuchte Unterbrechung,<br />

in Interviews ist dies lediglich in 10.1% der Fall. Das ist nachvollziehbar, stehen<br />

sich doch in Debatten mehrere GesprächspartnerInnen gegenüber, die Abfolge der Redebeiträge<br />

ist zum Teil nicht von vornherein klar.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Insgesamt wird in den dialogischen Formaten der öffentlichen Anbieter häufiger versucht,<br />

das Gegenüber zu unterbrechen als bei den privaten (26.5% bzw. 19.7%). Dies trifft – neben<br />

den Teilnehmenden – in besonderem Mass auch auf die M<strong>oder</strong>ation zu: In den Sendungen<br />

der öffentlichen Anbieter startet die Gesprächsleitung insgesamt in 16.9% aller<br />

Redebeiträge den Versuch, das Wort zu übernehmen, bei den privaten lediglich in 7.7%. In<br />

den Sendungen der öffentlichen Anstalten wird demnach durch die M<strong>oder</strong>ation rund doppelt<br />

so oft der Versuch gestartet, das Wort zu übernehmen. Die Teilnehmenden versuchen<br />

bei den öffentlichen Sendern in 33.7% die GesprächspartnerInnen zu unterbrechen bzw.<br />

stören durch Zwischenrufe, bei den privaten in 27.6% aller Redebeiträge. Das ist doch<br />

ziemlich erstaunlich, wurde doch festgestellt, dass die M<strong>oder</strong>ation wie auch die Teilnehmenden<br />

bei den privaten Sendern dem Gegenüber häufiger ins Wort fallen und das Rederecht<br />

an sich reissen als bei den öffentlichen. Zieht man wiederum die jeweiligen Anteile<br />

an Interviews und Debatten heran, wird deutlich, dass sich das Ergebnis nicht über das<br />

<strong>Dialog</strong>format erklären lässt, denn der Anteil an Redebeiträgen aus Debatten ist bei den<br />

privaten Stationen höher (91.7%) als bei den öffentlichen (80.3%). Das bedeutet, dass es<br />

der M<strong>oder</strong>ation bei den Privaten häufiger gelingt, das Rederecht zu übernehmen, indem sie<br />

andere DiskussionsteilnehmerInnen unterbricht. Auf der anderen Seite kann es auch bedeuten,<br />

dass die M<strong>oder</strong>ation in den Sendungen der Öffentlichen die Teilnehmenden häufiger<br />

aussprechen lässt.<br />

175


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Auf der Ebene der Sprachregionen sind ebenfalls Unterschiede feststellbar. In der Deutschschweiz<br />

wird in 20.7% aller Redebeiträge versucht zu unterbrechen, in der Westschweiz in<br />

26.5%. Die TeilnehmerInnen verhalten sich in beiden Sprachregionen relativ ähnlich. Der<br />

Hauptunterschied ist bei der M<strong>oder</strong>ation feststellbar: Die Gesprächsleistung beansprucht in<br />

der Romandie knapp dreimal öfter das Rederecht als dies in der Deutschschweiz der Fall<br />

ist. Bezüglich der erfolgreichen Unterbrechungen liess sich – was die M<strong>oder</strong>ation betrifft –<br />

kein nennenswerter Unterschied feststellen; die Teilnehmenden in der Romandie übernehmen<br />

demgegenüber das Wort häufiger unter Missachtung der Diskursnormen als jene in<br />

der Deutschschweiz. Das deutet darauf hin, dass in den dialogischen Formaten der<br />

Deutschschweiz die Teilnehmenden freier sprechen können, die Diskussionsleitung weniger<br />

stark ins Gespräch eingreift bzw. die Teilnehmenden die Funktion der M<strong>oder</strong>ation<br />

stärker berücksichtigen. Dies ist insofern auffällig, als die Redebeiträge in der Deutschschweiz<br />

zu einem grösseren Teil aus Debatten stammen (93.8% vs. 77.8% in der Romandie),<br />

in welchen es häufiger zu versuchten Unterbrechungen kommt als in Interviews.<br />

Kurzusammenfassung: Insgesamt wird in rund einem Viertel aller Redebeiträge dem/r aktuellen<br />

SprecherIn ins Wort gefallen und damit das Rederecht streitig gemacht. Je höher<br />

dieser Wert liegt, desto aufgeriebener ist der Diskurs. Folglich können die versuchten Unterbrechungen<br />

als Aktivität gewertet werden, die den kommunikativen Respekt unterminiert.<br />

Setzt man nun die Anzahl der Sprecherwechsel durch Unterbrechung und die Anzahl<br />

der versuchten Unterbrechungen zueinander in Bezug, kann festgehalten werden, dass in<br />

den dialogischen Formaten der traditionellen elektronischen Medien häufig ein Kampf ums<br />

Wort ausbricht. In gut der Hälfte aller Redebeiträge werden die Gesprächsregeln und damit<br />

der kommunikative Respekt verletzt: In einem Viertel der Sprecherwechsel wird das Rederecht<br />

mittels Unterbrechung faktisch übernommen, in einem weiteren Viertel wird dem/der<br />

aktuellen SprecherIn das Rederecht zumindest streitig gemacht <strong>oder</strong> es wird ihm/ihr durch<br />

einen Einwurf dazwischen geredet. Dabei ist interessant festzustellen, dass die M<strong>oder</strong>ation<br />

häufiger unterbricht und damit dem/der Sprechenden das Rederecht aberkennt, die Teilnehmenden<br />

dagegen häufiger versuchen, das Rederecht streitig zu machen. Das zeigt die<br />

privilegierte Stellung des/r M<strong>oder</strong>atorIn im Diskurs. Versucht sie einen Gesprächsschritt<br />

zu übernehmen, gelingt ihr dies oft.<br />

Im Radio wird in knapp einem Fünftel aller Redebeiträge dem/r SprecherIn dazwischen<br />

geredet, im Fernsehen ist dies sogar in mehr als einem Viertel der Fall. Wie bereits festgestellt<br />

wurde, wird in den untersuchten Fernsehsendungen das Wort häufiger durch die<br />

nicht-kooperative Form des Sprecherwechsels (Redeunterbrechungen) übernommen als im<br />

Radio, es kommt demnach häufiger zu einem Kampf um das Wort. So kann insgesamt<br />

festgehalten werden, dass die dialogischen Fernsehformate einen weniger kooperativen<br />

Verlauf aufweisen als diejenigen im Radio. Im rein akustischen Medium ist die Gesprächsdisziplin<br />

höher als im audio-visuellen, was wiederum zum Teil mit den vorherrschenden<br />

<strong>Dialog</strong>formaten erklärt werden kann.<br />

In den untersuchten Debatten entbrennt häufiger Streit um das Rederecht als in den Interviews.<br />

Schliesslich stehen sich in Debatten auch mehrere Teilnehmende gegenüber, die<br />

alle gerne zu Wort kommen möchten. Interviews sind von diesem Gesichtspunkt her klarer<br />

strukturiert, die Gesprächsdisziplin ist entsprechend höher. Die M<strong>oder</strong>ation startet allerdings<br />

in beiden <strong>Dialog</strong>formaten ähnlich oft den Versuch, einen Gesprächsschritt zu übernehmen.<br />

Eine mögliche Erklärung hierfür liegt in der durchschnittlich kürzeren Sendedauer<br />

der Interviews.<br />

Die Untersuchung hat des Weiteren gezeigt, dass die Gesprächsbeteiligten in den Sendungen<br />

der öffentlichen Anbieter in über einem Viertel aller Gesprächsschritte versuchen, das<br />

Gegenüber zu unterbrechen. Bei den Privaten ist dies lediglich in knapp einem Fünftel der<br />

176


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Fall. Erstaunlich ist, dass die M<strong>oder</strong>ation der öffentlichen Sender mehr als zweimal so oft<br />

erfolglos versucht, das Rederecht zu übernehmen als bei den privaten. Die Sprechenden<br />

können sich jedoch nicht frei am Diskurs beteiligen, wenn sie häufig darauf bedacht sein<br />

müssen, das Rederecht zu verteidigen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, sind die<br />

Sendungen der Privaten kooperativer. Allerdings müssen die Interruptionen, also die geglückten<br />

Gesprächsschrittübernahmen, ebenfalls in Betracht gezogen werden. Dabei<br />

schneiden die Privaten deutlich schlechter ab als die Öffentlichen. Rein rechnerisch überwiegen<br />

die Formen des respektverletzenden Verhaltens in den Sendungen der privaten<br />

Anbieter ganz leicht (Unterschied: 3%). Bedenkt man indes, dass die Debatten – bei denen<br />

das Antasten des Rederechts begründeterweise vermehrt erwartet werden kann – in den<br />

privaten Sendern ein grösseres Gewicht einnehmen, sprechen die Ergebnisse dafür, dass<br />

der Diskurs in bei den öffentlichen Anbieter weniger respektvoll verläuft. Ein weiteres<br />

Indiz hierfür sind die jeweils angewandten Formen der Gegenstrategie (s.u.).<br />

Auf Ebene der Sprachregionen kann festgehalten werden, dass die Diskussionen in der<br />

Romandie aufgeriebener sind als in der Deutschschweiz. Die Resultate bezüglich der realisierten<br />

Unterbrechung deuten ebenfalls daraufhin, wird doch in der französischsprachigen<br />

Schweiz dem Gegenüber öfter ins Wort gefallen und das Rederecht übernommen als in der<br />

Deutschschweiz.<br />

8.1.3 Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts<br />

Häufig wird von den AkteurInnen eine Rückmeldung dazu benutzt, den Gesprächsschritt<br />

selbst zu übernehmen. Im vorangehenden Subkapitel wurde ausgeführt, wie oft versucht<br />

wird, den/die aktuelle/n SprecherIn zu unterbrechen, diese/r das Rederecht aber nicht abgibt<br />

und mit dem Gesprächsschritt weiterfährt. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang<br />

stellt ist, welche Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts angewandt werden.<br />

Dabei interessiert vor allem, inwiefern die Beteiligten durch Metakommunikation explizit<br />

sagen, dass sie sich durch die Unterbrechung gestört fühlen.<br />

Ein/e Sprechende/r, dem/der das Rederecht aberkannt werden soll, kann sich auf verschiedene<br />

Arten zur Wehr setzen: (1) Er/sie spricht lauter, um den Unterbrechungsversuch zu<br />

übertönen <strong>oder</strong> spricht einfach weiter. (2) Er/sie wiederholt den unterbrochenen Redeteil<br />

noch einmal, vielleicht sogar mehrmals und versucht auf diese Weise zu erreichen, dass<br />

der/die UnterbrecherIn wieder schweigt. (3) Durch die dritte Gegenstrategie thematisiert<br />

der/die aktuelle SprecherIn die Unterbrechung als solches und wehrt sich explizit, indem<br />

er/sie auf die Wahrung der geltenden Diskursnormen hinweist.<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Zunächst interessiert, ob die M<strong>oder</strong>ation die versuchten Unterbrechungen anders abwehrt<br />

als die Teilnehmenden. Folgende Grafik zeigt die verschiedenen Strategien zur Behauptung<br />

des Rederechts in den klassischen Medien.<br />

177


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

gesamt M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n = 946 (n = 180) (n = 766)<br />

lauter reden / weiterreden<br />

Redeteil wiederholen<br />

Unterbrechung selbst thematisieren<br />

Grafik 54: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

Aus oben stehender Grafik ist ersichtlich, dass sowohl die M<strong>oder</strong>atorInnen als auch die<br />

Teilnehmenden am häufigsten lauter bzw. weiterreden (80.0% bzw. 71.9%). Die am zweithäufigsten<br />

angewandte Gegenstrategie ist, den von der versuchten Unterbrechung betroffenen<br />

Redeteil zu wiederholen (13.9% M<strong>oder</strong>ation bzw. 20.1% Teilnehmende). Die Gegenstrategie,<br />

die Unterbrechung selbst zu thematisieren, wird am wenigsten gewählt, nämlich<br />

in 6.1% durch die M<strong>oder</strong>ation und in 8.0% durch die Teilnehmenden. Nichts desto trotz ist<br />

die Metakommunikation ein starkes Indiz dafür, dass es an kommunikativem Respekt<br />

mangelt. Diese Thematisierung kann sehr unterschiedlich ausfallen: Sie kann kurz gehalten<br />

werden, ähnlich einem Ausruf wie „ausreden lassen bitte!“ 169 <strong>oder</strong> „vous me permettrez je<br />

finirais cette phrase“ 170 . Die Thematisierung kann allerdings auch deutlicher vonstatten<br />

gehen: „Ja hören Sie mal auf. Ich rede jetzt!“ 171 <strong>oder</strong> „D’abord vous me laissez parler et<br />

vous parlerez après moi“ 172 . Manche Sprechende fühlen sich durch die versuchte Unterbrechung<br />

so beeinträchtigt, dass sie sich veranlasst sehen, eingehender darauf einzugehen:<br />

„Jetzt kannst du mich auch einen Moment lang reden lassen, wenn ich schon auf dieser<br />

Seite stehe, dir gegenüber“ 173 , „Madame je vous ai pas interrompue durant… j’ai rigolé,<br />

j’ai sourit puis j’ai dit je vous laisse parler Madame. Laissez-moi“ 174 <strong>oder</strong> „Ich habe euch<br />

vorhin auch zugehört und es ist mir manchmal auch schwer gefallen, nicht rein zu reden.<br />

Ich bitte euch jetzt, auch einmal zuzuhören.“ 175 Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass<br />

bei der dritten Gegenstrategie das Fehlen des kommunikativen Respekts Thema der Diskussion<br />

wird. Die Teilnehmenden können sich nicht frei an der Debatte beteiligen, wenn<br />

sie durch versuchte Unterbrechungen gestört werden.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Es wurde bereits mehrfach festgestellt, dass die Mediengattung aufgrund der jeweils vorherrschenden<br />

<strong>Dialog</strong>formate Einfluss auf das Gesprächsklima hat und es in den dialogischen<br />

Formaten im Fernsehen häufiger zu versuchten Unterbrechungen kommt als im Radio.<br />

An dieser Stelle interessiert nun, ob in den beiden Gattungen unterschiedliche Gegenstrategien<br />

bevorzugt werden.<br />

169 Hans Fehr in SF DRS1, „Arena“, 13.05.2005, 0:15:22.<br />

170 Christian Grobet in TSR1, „Infrarouge“, 13.09.2005, 0:09:12.<br />

171 Markus Borner in SF DRS1, „Arena“, 02.09.2005, 0:39:28.<br />

172 Eric Stauffer in TSR1, „Infrarouge“, 13.09.2005, 0:23:24.<br />

173 Niklaus Schär in SF DRS1, „Arena“, 13.05.2005, 0:25:21.<br />

174 Christian Grobet in TSR1, „Infrarouge“, 13.09.2005, 0:12:24.<br />

175 Hans-Jürg Fehr in SF DRS1, „Arena“, 09.09.2005, 0:14:50.<br />

178


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

80.00<br />

70.00<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

Radio Fernsehen<br />

n = 334 n = 612<br />

lauter reden / weiterreden<br />

Redeteil wiederholen<br />

Unterbrechung selbst thematisieren<br />

Grafik 55: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach Radio und Fernsehen<br />

Aus Grafik 55 wird ersichtlich, dass die Wahl der Gegenstrategie zur Behauptung des Rederechts<br />

in beiden Mediengattungen ähnlich ausfällt. Am häufigsten wird bei einer versuchten<br />

Unterbrechung einfach weiter gesprochen (76.9% im Radio, 71.6% im Fernsehen).<br />

Der betroffene Redeteil wird im Radio in 17.1% wiederholt, im Fernsehen in 19.9%. Die<br />

versuchte Unterbrechung wird im Radio weniger oft explizit thematisiert als im Fernsehen<br />

(6.0% bzw. 8.5%). Diese Ergebnisse unterstützen die bereits getroffene Aussage, dass der<br />

Diskurs im Radio kooperativer verläuft als im Fernsehen. Die beiden stärksten Formen auf<br />

eine Gesprächsschrittbeanspruchung <strong>oder</strong> auf Zwischenrufe zu reagieren machen im Radio<br />

23.1% der Gegenstrategien, im Fernsehen dagegen 28.4% aus.<br />

Klassische Medien: <strong>Dialog</strong>format<br />

Im vorliegenden Kapitel wurden bereits erhebliche Unterschiede zwischen Debatten und<br />

Interviews bezüglich der versuchten Unterbrechung festgestellt. Dabei konnte festgehalten<br />

werden, dass es in Debatten häufiger Streit um das Rederecht gibt als in Interviews. An<br />

dieser Stelle interessiert nun, ob in den beiden <strong>Dialog</strong>formaten dieselben Strategien zur<br />

Behauptung des Rederechts angewendet werden <strong>oder</strong> ob Unterschiede feststellbar sind.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

lauter reden /<br />

weiterreden<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Redeteil wiederholen<br />

Gegenstrategien in Debatten (n = 873)<br />

Unterbrechung<br />

thematisieren<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

60.00<br />

50.00<br />

40.00<br />

30.00<br />

20.00<br />

10.00<br />

0.00<br />

lauter reden /<br />

weiterreden<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

Redeteil wiederholen<br />

Gegenstrategien in Interviews (n = 73)<br />

Unterbrechung<br />

thematisieren<br />

Grafik 56: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach<br />

<strong>Dialog</strong>format<br />

Am augenfälligsten ist, dass in den Interviews die versuchte Unterbrechung nie explizit<br />

thematisiert wird, in Debatten dagegen in 8.2%. Dieses Resultat lässt den Schluss zu, dass<br />

die Diskussionen in Interviews respektvoller geführt werden als in Debatten, da die Metakommunikation<br />

ein starkes Indiz für mangelnden kommunikativen Respekt ist. Da der<br />

179


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

überwiegende Teil der Interviews im Radio ausgestrahlt wurde (83.3%), dürften die unterschiedlichen<br />

kommunikativen Situationen zudem eine gewisse Rolle spielen: Den Teilnehmenden<br />

sollte bewusst sein, dass es den RezipientInnen nur schwer möglich ist, bei<br />

gleichzeitigem Sprechen mehreren SprecherInnen akustisch zu folgen. Die Strategie, zur<br />

Behauptung des Rederechts einfach weiter zu sprechen <strong>oder</strong> lauter zu werden, ist im Radio<br />

möglicherweise wirkungsvoller als in einer kommunikativen Situation, in der die SprecherInnen<br />

auch optisch wahrgenommen werden. Die Ergebnisse können zumindest so gelesen<br />

werden, denn in den Interviews wird diese Strategie häufiger angewandt als in den Debatten,<br />

die vornehmlich im Fernsehen ausgestrahlt wurden. In Debatten wird die Gegenstrategie<br />

lauter bzw. weiter zu reden in 72.4% angewandt, in Interviews in 86.3%. Interessant ist<br />

jedoch auch, dass die M<strong>oder</strong>ation in Debatten nur selten explizit auf Verletzungen der Gesprächsregeln<br />

hinweist und sich somit auch kaum aktiv um ein respektvolleres Diskussionsklima<br />

und somit um die Hebung der Diskursqualität bemüht.<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

Die Analyse der versuchten Unterbrechungen hat gezeigt, dass insgesamt in den dialogischen<br />

Formaten der öffentlichen Anbieter häufiger versucht wird, das Gegenüber zu unterbrechen<br />

als bei den Privaten. Nun interessiert, wie darauf reagiert wird.<br />

Gegenstrategie Öffentlich Privat<br />

lauter reden / weiterreden 71.6% 78.4%<br />

Redeteil wiederholen 19.6% 17.0%<br />

Unterbrechung selbst thematisieren<br />

8.8% 4.5%<br />

n = 682 n = 264<br />

Tabelle 24: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach Anbieter<br />

Tabelle 24 kann entnommen werden, dass die Gewichtung der Gegenstrategien zur Behauptung<br />

des Rederechts bei beiden Anbietern ähnlich ausfällt. Allerdings kommt die<br />

stärkste Form, die Thematisierung der Unterbrechung, bei den Öffentlichen knapp doppelt<br />

so häufig vor wie bei den Privaten. Das deutet darauf hin, dass sich die Beteiligten in den<br />

dialogischen Formaten der SRG SSR idée suisse stärker durch Zwischenrufe und versuchte<br />

Unterbrechungen gestört fühlen als in denjenigen der Privaten. Es wurde ja bereits festgestellt,<br />

dass in den Sendungen der öffentlichen Anbieter häufiger versucht wird, das Gegenüber<br />

zu unterbrechen als bei den Privaten.<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Auf Ebene der Sprachregionen fallen die Resultate bezüglich der gewählten Gegenstrategie<br />

zur Behauptung des Rederechts sehr ähnlich aus. In der Deutschschweiz kommen die stärkeren<br />

Formen etwas häufiger zur Anwendung als in der Romandie. Dies mag zum einen<br />

daran liegen, dass die Debatten – in denen die Metakommunikation zum kommunikativen<br />

Respekt ausgeprägter ist als in Interviews, in denen sie gänzlich fehlt – in der Deutschschweiz<br />

ein stärkeres Gewicht einnehmen. Zum anderen ist es denkbar, dass die versuchten<br />

Unterbrechungen in der Romandie, wo solches Verhalten trotz des geringeren Gewichts<br />

der Debatten häufiger vorkommt als in der Deutschschweiz, nicht in gleichem Masse als<br />

respektverletzend wahrgenommen werden.<br />

Kurzzusammenfassung: Die bestimmende Gegenstrategie, die die AkteurInnen der Medienarena<br />

zur Behauptung des Rederechts anwenden, ist, lauter zu reden <strong>oder</strong> einfach ungerührt<br />

weiter zu sprechen. Das ist in etwas weniger als drei Viertel aller Gegenstrategien<br />

der Fall. Am zweithäufigsten wiederholen die Sprechenden den Teil ihrer Aussage, der von<br />

der versuchten Unterbrechung tangiert wurde. Manchmal wird auch lediglich ein Wort<br />

180


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

wiederholt um klar zu machen, dass das Rederecht nicht abgegeben werden will. Sowohl<br />

am interessantesten wie auch am aussagekräftigsten ist jedoch die Thematisierung der Unterbrechung<br />

selbst. Dadurch machen die Beteiligten deutlich, dass ihnen das Rederecht<br />

zusteht, dass sie sich durch die Gesprächsschrittbeanspruchung, also versuchten Unterbrechungen<br />

gestört fühlen. Die Metakommunikation ist damit der stärkste Hinweis darauf,<br />

dass es an kommunikativem Respekt mangelt. Gleichzeitig handelt es sich um ein aktives<br />

Bemühen, die Diskursqualität zu steigern, indem andere dazu angehalten werden, die Diskursnormen<br />

zu wahren. Insgesamt müssen die Teilnehmenden ihr Rederecht häufiger verteidigen<br />

als die M<strong>oder</strong>ation, was mit deren privilegierten Stellung im Diskurs zusammenhängt.<br />

Der M<strong>oder</strong>ation wird weniger häufig das Rederecht streitig gemacht, weshalb sie es<br />

auch weniger zu behaupten braucht.<br />

Die verschiedenen Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts treten in den beiden<br />

Gattungen Radio und Fernsehen in ähnlicher Gewichtung auf. Allerdings finden in den<br />

Diskussionen im Fernsehen häufiger die stärkeren Formen zur Verteidigung des Rechts<br />

Anwendung als im Radio. Das deckt sich mit der Erkenntnis, dass der Diskurs im Fernsehen<br />

weniger kooperativ verläuft als im Radio. Zudem dürfte die unterschiedliche kommunikative<br />

Situation eine gewisse Rolle spielen: Den Teilnehmenden in Radiosendungen sollte<br />

bewusst sein, dass es den RezipientInnen nur schwer möglich ist, bei gleichzeitigem<br />

Sprechen mehreren SprecherInnen akustisch zu folgen. Im Radio wird denn auch knapp<br />

1.5-mal seltener der Versuch unternommen, das Gegenüber zu unterbrechen. Die Strategie<br />

einfach weiter zu sprechen <strong>oder</strong> lauter zu werden, um das Rederecht zu behaupten, ist im<br />

Radio möglicherweise wirkungsvoller als in einer kommunikativen Situation, in der die<br />

SprecherInnen auch optisch wahrgenommen werden können.<br />

Für die beiden <strong>Dialog</strong>formate konnten ebenfalls Unterschiede festgestellt werden. In den<br />

Debatten ist nicht nur die Gesprächsdisziplin niedriger als in Interviews, sondern die Beteiligten<br />

bringen sich auch weniger kommunikativen Respekt entgegen. Das Fehlen dieses<br />

kommunikativen Respekts wird denn auch angesprochen, diskursive Normen werden thematisiert.<br />

Die Metakommunikation fehlt in den untersuchten Interviewsendungen gänzlich.<br />

Die Wahl der verschiedenen Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts tritt unabhängig<br />

der ökonomischen Stellung der Sender in derselben Reihenfolge auf. Allerdings<br />

finden in den dialogischen Formaten der öffentlichen Anbieter häufiger die stärkeren Formen<br />

zur Verteidigung des Rederechts Anwendung als dies bei den privaten der Fall ist,<br />

obwohl in Letzteren das <strong>Dialog</strong>format Debatte ein stärkeres Gewicht einnimmt. Die AkteurInnen<br />

in den dialogischen Formaten der öffentlichen Sender greifen gar doppelt so oft auf<br />

die Metakommunikation zurück. Das deckt sich mit den Ergebnissen hinsichtlich der versuchten<br />

Unterbrechung. Dies bestätigt, dass die Wahrung der Diskursnorm, der kommunikative<br />

Respekt, in den Sendungen der privaten Stationen ausgeprägter ist, was auf eine<br />

höhere Diskursqualität hinweist.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen kann festgestellt werden, dass in der Deutschschweiz die<br />

stärkeren Formen zur Behauptung des Rederechts leicht häufiger zur Anwendung kommen<br />

als in der Romandie. Dies mag daran liegen, dass die Debatten – in denen die Metakommunikation<br />

zum kommunikativen Respekt ausgeprägter ist als in Interviews, in denen sie<br />

gänzlich fehlt – in der Deutschschweiz ein stärkeres Gewicht einnehmen. Allerdings hätte<br />

die Gewichtung von Debatten in den Sprachregionen grössere Unterschiede erwarten lassen.<br />

8.2 Personalisierung und Beleidigung<br />

Ein weiteres Indiz für den kommunikativen Respekt – neben den Merkmalen des Sprecherwechsels<br />

– sind beleidigende Äusserungen, die auf die Person bzw. auf deren Argument<br />

abzielen. Hierbei geht es darum, herauszufinden, inwiefern sich die Beteiligten ge-<br />

181


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

genseitig herabsetzen. Nach der Theorie des deliberativen Diskurses wägen die AkteurInnen<br />

die Argumente solange ab, bis sie sich – verkürzt gesagt – auf eines einigen können.<br />

Dabei geht es jeweils um Sachargumente. Bei der Findung des besten Arguments ist es<br />

somit nicht hilfreich, wenn die Diskussion personalisiert wird, also personenbezogene Argumente<br />

in den Vordergrund treten. Um herauszufinden, inwiefern dies trotzdem geschieht,<br />

wurde das Argumentum ad hominem codiert. Damit wird zum einen erfasst, ob der<br />

Diskurs auf Personen ausgerichtet ist, zum anderen ob die Personalisierung über die Person<br />

bzw. über deren Argumentation erfolgt. 176<br />

Ein Argumentum ad hominem ist eine Stilfigur, die sich nicht auf die zur Diskussion stehende<br />

Behauptung, sondern auf den Menschen bezieht, der diese aufgestellt hat. Es geht<br />

nicht mehr in erster Linie um das Thema der Diskussion <strong>oder</strong> darum einen Sachverhalt zu<br />

klären. Dabei kann sich eine Äusserung „wertfrei“ auf eine Person bzw. auf deren Argumentation<br />

beziehen. Oft wird das Argumentum ad hominem allerdings als verbaler Angriff<br />

auf eine Person, als Beleidigung eingesetzt. Es gibt verschiedene Formen des Argumentum<br />

ad hominem: (a) Man unterstellt der Person allgemein, dass ihr die Fähigkeit zum korrekten<br />

Argumentieren <strong>oder</strong> das Fachwissen fehlt und damit ihre Schlüsse allgemein ungültig<br />

sind. Ein Infragestellen der Kommunikationsfähigkeit einer Person fällt automatisch auf<br />

diese zurück und wird daher auch als Personalisierung gewertet. (b) Man zweifelt die<br />

Glaubwürdigkeit der Person an und damit die Glaubwürdigkeit und Wahrheit der von Ihr<br />

benutzten Quellen und Schlussfolgerungen. (c) Man versucht, Leute zum Fehlschluss zu<br />

verleiten, dass irrelevante, aber allgemein negativ besetzte Eigenschaften der Person (Geschlecht,<br />

Profession, politische Orientierung etc.) etwas mit dem Wahrheitsgehalt der Argumentation<br />

zu tun haben. (vgl. Walton 2001: 209f., Kienpointner 1983).<br />

Klassische Medien und Online-Foren<br />

Es gilt die Annahme zu überprüfen, ob der Diskurs im Internet weniger respektvoll ist als<br />

in Radio und Fernsehen. Die zweite Annahme besagt, dass Gegenargumente in Online-<br />

Foren häufiger auf den Urherber des Arguments zielen als auf das Argument selbst, dass<br />

also verstärkt eine Personalisierung stattfindet. Unten stehende Grafik zeigt das Verhältnis<br />

der Geltungsansprüche, in denen eine Personalisierung stattfindet und zugleich den Anteil<br />

derer, die nicht respektvoll sind.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Klassisch Online<br />

n = 4895 n = 1124<br />

Personalisierung<br />

respektlose Äusserungen<br />

Grafik 57: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Mediengattung<br />

176 Anhand der Daten könnte dies spezifiziert werden, erfolgt jedoch zur Beantwortung der hier gestellten<br />

Frage nach dem Grad der Personalisierung nicht. Anstelle des Argumentum ad hominem wäre auch eine<br />

Einteilung der Äusserungen in negativ, neutral <strong>oder</strong> positiv denkbar, wie es in anderen Untersuchungen gemacht<br />

wurde (Jensen 2003).<br />

182


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Es ist augenfällig, dass in den Foren viel häufiger eine Personalisierung stattfindet als in<br />

den traditionellen elektronischen Medien (27.2% bzw. 8.7% aller Geltungsansprüche). 177<br />

Ebenso ist der Prozentsatz der für den kommunikativen Respekt relevanten Äusserungen<br />

im Internet grösser (16.2% bzw. 5.8% in den klassischen Medien). Obwohl aber insgesamt<br />

im Internet stärker personalisiert wird, ist der Anteil an respektlosen Äusserungen in Bezug<br />

zur Personalisierung gesehen in den klassischen elektronischen Medien interessanterweise<br />

höher als im Internet (66.0% bzw. 59.5% aller Personalisierungen). Kurz und knapp gesagt:<br />

wenn in den klassischen Medien personalisiert wird, handelt es sich in zwei Drittel<br />

aller Fälle um Beleidigungen.<br />

Kurzzusammenfassung: Im Internet kommt es rund dreimal häufiger zu Personalisierungen<br />

und Äusserungen, die auf Mangel an kommunikativem Respekt hindeuten als in den traditionellen<br />

elektronischen Medien. Zwar ist der Anteil respektloser Äusserungen an allen<br />

Personalisierungen in den klassischen Medien höher, im intermediären Vergleich schneiden<br />

die Online-Foren jedoch deutlich schlechter ab: Respektlose bzw. beleidigende Kommentare<br />

zu anderen AkteurInnen <strong>oder</strong> deren Aussagen nehmen im gesamten Online-<br />

Diskurs knapp dreimal mehr Gewicht ein als in den klassischen Medien. Ebenso ist der<br />

Diskurs insgesamt deutlich stärker personalisiert als in Radio und Fernsehen.<br />

Klassische Medien: M<strong>oder</strong>ation und Gesprächsteilnehmende<br />

Auf Ebene der traditionellen elektronischen Medien interessiert nun, ob sich ein Unterschied<br />

hinsichtlich des Anteils an Personalisierung zwischen der M<strong>oder</strong>ation und den Teilnehmenden<br />

feststellen lässt.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

12.00<br />

10.00<br />

8.00<br />

6.00<br />

4.00<br />

2.00<br />

0.00<br />

M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />

n = 1796 n = 3099<br />

Personalisierung<br />

respektlose Äusserungen<br />

Grafik 58: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

Wie aus Grafik 58 hervorgeht, personalisieren die Teilnehmenden deutlich häufiger als die<br />

M<strong>oder</strong>ation (11.8% bzw. 3.3% aller Geltungsansprüche). Bei den Äusserungen der M<strong>oder</strong>ation<br />

stehen also selten die Personen im Vordergrund des Diskurses. Die Teilnehmenden<br />

hingegen lenken die Diskussion häufiger auf Personenfragen. Zudem diskreditieren die<br />

Teilnehmenden Andere wesentlich häufiger als die M<strong>oder</strong>ation (8.5% bzw. 1.1% aller Geltungsansprüche).<br />

Die personalisierten Aussagen der Teilnehmenden sind demnach meistens,<br />

nämlich in 71.7% despektierlich. Dabei finden die meisten der respektverletzenden<br />

Äusserungen nur in einem Nebensatz, sozusagen als Seitenhieb, Erwähnung (61.2% aller<br />

respektlosen Äusserungen). Sie können aber in einem Geltungsanspruch auch prominent<br />

vertreten sein, in diesem Fall wird dieser vornehmlich auf der personalisierten, respektlosen<br />

Ebene geäussert (38.8% aller despektierlichen Äusserungen). Bei der M<strong>oder</strong>ation ma-<br />

177 Dabei wurden nur die themenrelevanten Geltungsansprüche berücksichtigt.<br />

183


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

chen die respektverletzenden Äusserungen weniger als ein Drittel der personalisierten Aussagen<br />

aus (31.7%).<br />

Klassische Medien: Ökonomische Stellung der Anbieter<br />

In einem zweiten Schritt soll nun die Hypothese überprüft werden, dass bei privaten Radio-<br />

und Fernsehanbietern Personenfragen mehr im Vordergrund stehen als bei öffentlichen<br />

Anbietern.<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

10.00<br />

9.00<br />

8.00<br />

7.00<br />

6.00<br />

5.00<br />

4.00<br />

3.00<br />

2.00<br />

1.00<br />

0.00<br />

öffentlich-rechtlich privat<br />

n = 3285 n = 1610<br />

Personalisierung<br />

respektlose Äusserungen<br />

Grafik 59: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Anbieter<br />

Wider der Annahme findet in den dialogischen Formaten der öffentlichen Anbieter eher<br />

eine Personalisierung statt als in denjenigen der privaten (9.3% bzw. 7.6% aller Geltungsansprüche).<br />

Davon sind 64.4% respektive 69.1% despektierlicher Natur. Insgesamt weisen<br />

die Sendungen der öffentlichen Anbieter geringfügig mehr respektlose Äusserungen auf als<br />

jene der privaten (6.0% bzw. 5.3% aller Geltungsansprüche).<br />

Für diese Resultate ist weder die Gattung 178 noch – wie zu zeigen ist – das <strong>Dialog</strong>format<br />

bestimmend. Wie hoch der Personalisierungsfaktor und der Anteil an despektierlichen<br />

Äusserungen in den verschiedenen Sendungen der öffentlichen und privaten Anbieter ist,<br />

soll im Folgenden detailliert aufgezeigt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass die Anzahl<br />

der berücksichtigten Sendungen beschränkt ist. Erst die Analyse einer erweiterten Stichprobe<br />

liesse eine Aussage darüber zu, ob die erhöhte Personalisierung in einzelnen Sendungen<br />

– im Sinne des „Infotainments“ – Bestandteil des Sendekonzepts ist. Bei den öffentlichen<br />

Sendern sind es vor allem die grossen Fernseh-Diskussionssendungen „Arena“<br />

und „Infrarouge“, die ins Gewicht fallen. Zusätzlich gibt es einzelne Sendungen, die Extremwerte<br />

aufweisen wie bspw. ein „Journal du Matin“ mit einem Personalisierungs-Anteil<br />

von 35.7% <strong>oder</strong> die „Rundschau“-Teilsequenz „Der heisse Stuhl“ mit 25.5%. 179<br />

178 Die Ergebnisse für die öffentlichen Sender setzen sich zusammen aus 43.0% Geltungsansprüche aus Radiosendungen<br />

und 57.0% aus Fernsehsendungen. Bei den privaten Anbietern sind die Geltungsansprüche<br />

verteilt auf 45.4% Radio und 54.6% Fernsehen. Die jeweiligen Anteile sind sich somit sehr ähnlich. Die<br />

Mediengattung kann als Grund für allfällige Unterschiede zwischen den privaten und öffentlichen Anbietern<br />

auf der Ebene des Geltungsanspruchs nicht herangezogen werden.<br />

179 SF DRS1, Rundschau, „Der heisse Stuhl“, 11.05.2005; RSR1, „Journal du Matin“, 29.08.2005.<br />

184


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Sendungen<br />

Arena<br />

Débat/Controverse<br />

Doppelpunkt<br />

TalkTäglich/Sonntalk<br />

Infrarouge<br />

Le Journal du Matin<br />

Mittelwert<br />

Débat<br />

Tagesgespräch<br />

BZ Talk<br />

Lunch Tendances Eco<br />

Forums<br />

Salon Bâle<br />

Z' 9i-Talk<br />

90' Chrono<br />

Le Journal de 12h30<br />

On en parle<br />

Echo der Zeit<br />

Mise au point<br />

Rundschau<br />

0.00 5.00 10.00 15.00 20.00 25.00 30.00<br />

Mittelwert pro Sendung<br />

Radio öffentlich Fernsehen öffentlich<br />

Radio privat Fernsehen privat<br />

Grafik 60: Personalisierung pro Sendung<br />

Insgesamt liegen bei den Öffentlichen 35.9% der Sendungen über dem Mittelwert von<br />

8.72% Personalisierung, bei den Privaten lediglich 22.2% der Sendungen.<br />

Klassische Medien: Radio und Fernsehen<br />

Es wurden bereits an verschiedenen Stellen Unterschiede zwischen Radio und Fernsehen<br />

festgestellt. Ob es auch welche in Bezug auf die Personalisierung und das Fehlen des<br />

kommunikativen Respekts gibt, soll an dieser Stelle geklärt werden.<br />

Argumentum ad hominem Radio Fernsehen<br />

Personalisierung 6.9% 10.2%<br />

Respektlose Äusserungen 3.8% 7.3%<br />

n = 2144 n = 2751<br />

Tabelle 25: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Radio und Fernsehen<br />

Aus Tabelle 25 geht hervor, dass in den Fernsehinterviews und -debatten häufiger eine<br />

Personalisierung stattfindet als in den Radiosendungen (10.2% bzw. 6.9% aller Geltungsansprüche).<br />

Während diesen Gesprächsphasen tritt das eigentliche Abstimmungsthema in<br />

den Hintergrund, Personenfragen werden diskutiert bzw. Personen und ihre Argumentationen<br />

kommentiert und herabgewürdigt. Letztere Form der Personalisierung findet im Fernsehen<br />

vermehrt statt, die GesprächspartnerInnen werden häufiger herabgesetzt als im Radio<br />

(7.3% bzw. 3.8% aller Geltungsansprüche). Das Diskussionsklima in den dialogischen<br />

Fernsehformaten ist eindeutig weniger kooperativ als im Radio, was auf den grösseren<br />

Anteil an Debatten im Fernsehen zurückgeführt werden kann (s.u.).<br />

Klassische Medien: <strong>Dialog</strong>format<br />

Bisher haben sich oft Unterschiede zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten ergeben. Auch an dieser<br />

Stelle interessiert, ob in Debatten und Interviews ein unterschiedlicher Grad an Personalisierung<br />

und respektlosen Äusserungen vorzufinden ist. Zu erwarten ist, dass dieser in Debatten<br />

höher ausfallen wird als in Interviews, in denen sich lediglich zwei Personen gegenüberstehen,<br />

wovon eine die M<strong>oder</strong>ation darstellt. M<strong>oder</strong>atorInnen tragen potentiell zwar<br />

opponierende Ansichten in den Diskurs hinein – allen Beteiligten ist dabei jedoch klar,<br />

dass dies funktionale Gründe hat und die M<strong>oder</strong>ation nicht ihre persönliche Meinung ver-<br />

185


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

tritt. Entsprechend dürfte der Diskurs in Bezug auf diese spezifische Akteursgruppe weniger<br />

personalisiert werden.<br />

Argumentum ad hominem Debatten Interviews<br />

Personalisierung 9.3% 5.4%<br />

Respektlose Äusserungen 6.4% 1.6%<br />

n = 4211 n = 684<br />

Tabelle 26: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach <strong>Dialog</strong>format<br />

In den untersuchten Debatten findet wie erwartet häufiger eine Personalisierung des Diskurses<br />

statt als in Interviews (9.3% bzw. 5.4% aller Geltungsansprüche). Die M<strong>oder</strong>ation<br />

weist – im Gegensatz zu den Teilnehmenden – unabhängig vom <strong>Dialog</strong>format denselben<br />

Anteil an Personalisierung auf (3.8% aller Geltungsansprüche in Interviews, 3.4% in Debatten).<br />

Die Teilnehmenden weisen in Debatten einen höheren Personalisierungsfaktor auf<br />

als in Interviews (12.3% bzw. 7.1% aller Geltungsansprüche). Insgesamt werden in den<br />

Debatten viermal häufiger despektierliche Äusserungen getätigt als in den Interviews, ein<br />

deutlicher Unterschied (6.4% bzw. 1.6% aller Geltungsansprüche). 180<br />

Klassische Medien: Sprachregionen<br />

Die Unterscheidungsebene Sprachregion zeigt, dass in der Deutschschweiz Personenfragen<br />

eher im Vordergrund der Diskussion stehen (10.2%) als in der Romandie (7.7%). Ebenfalls<br />

gibt es häufiger Äusserungen, die den kommunikativen Respekt verletzen (6.7% bzw.<br />

5.1% aller Geltungsansprüche).<br />

Argumentum ad hominem Deutschschweiz Westschweiz<br />

Personalisierung 10.2% 7.7%<br />

Respektlose Äusserungen 6.7% 5.1%<br />

n = 2041 n = 2854<br />

Tabelle 27: Personalisierung und respektlose Äusserungen in den klassischen Medien nach Sprachregion<br />

Die niedrigeren Werte in der Romandie sind dadurch erklärbar, dass die Interviews zu<br />

87.5% in der Westschweiz ausgestrahlt worden sind und diese bezogen auf alle Geltungsansprüche<br />

in der Romandie ein stärkeres Gewicht einnehmen als in der Deutschschweiz. 181<br />

Interviews haben, wie bereits erläutert, einen niedrigen Personalisierungswert und Anteil<br />

an respektlosen Äusserungen.<br />

Kurzzusammenfassung: Die Teilnehmenden in den klassischen Medien personalisieren 3.5mal<br />

häufiger als die M<strong>oder</strong>ation. Zudem äussern sie sich 8-mal häufiger despektierlich als<br />

die M<strong>oder</strong>ation. Für die Teilnehmenden stehen damit Personenfragen häufiger im Vordergrund.<br />

Die Personalisierung des Diskurses trägt aber – sofern nicht PolitikerInnen selber<br />

das Politikum darstellen – nicht zum sachlich politischen <strong>Dialog</strong> bei. Zudem müssen Sachargumente<br />

in immerhin 8.5% aller Geltungsansprüche Angriffen auf die Person bzw. deren<br />

Argumentation weichen. Diese Despektierlichkeiten tragen aber in keinster Weise zur<br />

Qualität der politischen Information bei noch haben sie einen positiven Einfluss auf das<br />

Diskussionsklima.<br />

180 Der Anteil an despektierlichen Äusserungen sieht wie folgt aus: M<strong>oder</strong>ation: 1.2% aller Geltungsansprüche<br />

in Debatten, 0.6% in Interviews; Teilnehmende: 9.2% in Debatten, 2.7% in Interviews.<br />

181 Bezogen auf die Untersuchungseinheit „Geltungsanspruch“ zeigt sich folgendes Bild: In der Deutsschweiz<br />

stammen lediglich 6.0% aller Geltungsansprüche aus Interviews, in der Romandie sind es immerhin 19.7%<br />

186


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Auf der Ebene der ökonomischen Stellung der Sender kann festgestellt werden, dass in den<br />

dialogischen Formaten der öffentlichen Anbieter – entgegen der Annahme – häufiger eine<br />

Personalisierung des Diskurses stattfindet als bei den privaten. Als Erklärungsansatz für<br />

die bezeichneten Unterschiede zwischen den öffentlichen und den privaten Anbietern,<br />

kann das <strong>Dialog</strong>format (s.u.) indes nicht herangezogen werden: Der Anteil an Geltungsansprüchen<br />

aus Debatten ist bei den privaten Anbietern höher als bei den öffentlichen. Das<br />

Resultat ist vor allem auf die grossen Diskussionssendungen des Fernsehens und einzelne<br />

Sendungen mit Extremwerten zurückzuführen. Es ist demnach die einzelne Sendung, die<br />

für den Anteil an Personalisierung bestimmend ist. Diesbezüglich liesse eine detaillierte<br />

Analyse Ergebnisse hinsichtlich der Frage erwarten, ob genannte Ergebnisse auf das Konzept<br />

der jeweiligen Sendungen <strong>oder</strong> auf einzelne AkteurInnen zurückzuführen ist. Demgegenüber<br />

ist der Anteil an despektierlichen Äusserungen bei beiden Anbietern ungefähr<br />

gleich hoch, in den öffentlich etwas höher, und liegt zwischen 5 und 6 Prozent.<br />

Der Vergleich der Gattungen hat gezeigt, dass im Fernsehen der Diskurs 1.5-mal häufiger<br />

personalisiert wird und der Anteil an despektierlichen Äusserungen sogar knapp 2-mal<br />

grösser ist als im Radio. Ein Erklärungsansatz bietet wiederum das <strong>Dialog</strong>format.<br />

Der Personalisierungsanteil ist in Debatten, die im Fernsehen stärker vertreten sind als im<br />

Radio, höher als in Interviews. Das war zu erwarten, stehen sich doch in Interviews lediglich<br />

zwei Personen gegenüber, wovon eine die M<strong>oder</strong>ation darstellt. M<strong>oder</strong>atorInnen tragen<br />

potentiell zwar opponierende Ansichten in den Diskurs hinein – allen Beteiligten ist<br />

dabei jedoch klar, dass dies funktionale Gründe hat und die M<strong>oder</strong>ation nicht ihre persönliche<br />

Meinung vertritt. Entsprechend wird der Diskurs in Bezug auf diese spezifische Akteursgruppe<br />

weniger personalisiert. Noch deutlicher sind die Unterschiede bezüglich des<br />

Fehlens an kommunikativem Respekt: In den Debatten setzen sich die Beteiligten viermal<br />

häufiger herab als in Interviews. Erneut zeigt sich, dass das Interview die kooperativere<br />

Gesprächsform ist.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen konnte festgestellt werden, dass in der Deutschschweiz der<br />

Diskurs eher personalisiert geführt wird als in der Romandie. Zudem findet etwas häufiger<br />

ein Rückgriff auf despektierliche Äusserungen statt. Einfluss auf die Unterschiede zwischen<br />

den Sprachregionen hat bis zu einem gewissen Mass das <strong>Dialog</strong>format, wobei die<br />

Gewichtung von Debatten in den beiden Sprachregionen deutlichere Unterschiede hätten<br />

erwarten lassen.<br />

Online-Foren: Anbieter<br />

Wie bereits festgestellt wurde, kommt es im Internet rund dreimal häufiger zu Personalisierungen<br />

und Äusserungen, die auf einen Mangel an kommunikativem Respekt hindeuten als<br />

in den traditionellen elektronischen Medien. Im Folgenden sollen nun die Online-Foren<br />

genauer betrachtet werden. An dieser Stelle gilt es die Annahme zu überprüfen, die besagt,<br />

dass der Diskurs in den Online-Foren der Medienverlagshäuser respektvoller als in den<br />

google.groups ist.<br />

187


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

prozentuale Häufigkeit<br />

30.00<br />

25.00<br />

20.00<br />

15.00<br />

10.00<br />

5.00<br />

0.00<br />

Google Medienverlagshäuser<br />

Personalisierung<br />

respektlose Äusserungen<br />

Grafik 61: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Forenanbieter<br />

In den Foren von google.groups findet 1.8-mal häufiger eine Personalisierung des Diskurses<br />

statt als in denjenigen der Medienverlagshäuser (27.2% bzw. 15.4% aller Geltungsansprüche).<br />

Zudem äussern sich die Beteiligten in den google.groups 1.5-mal häufiger despektierlich<br />

über eine/n andere/n UserIn als in den übrigen Foren (16.2% bzw. 10.7% aller<br />

Geltungsansprüche). Dieses Resultat ist nicht erstaunlich, da die UserInnen in den<br />

google.groups ein anderes Diskussionsverhalten an den Tag legen; es wird eher ein chatähnliches<br />

Kommunikationsverhalten gepflegt. Zudem tauschen sich oft dieselben TeilnehmerInnen<br />

in verschiedenen Foren aus. Bspw. gibt es sechs User, die sich an zehn bis<br />

fünfzehn der untersuchten Foren beteiligen. Diese User verhalten sich wie eine Community,<br />

die sich austauscht, relativ unabhängig davon, welcher Aspekt diskutiert wird. Grafik 62<br />

zeigt, an wie vielen Foren sich die UserInnen der google.groups beteiligen.<br />

UserInnen<br />

81<br />

71<br />

61<br />

51<br />

41<br />

31<br />

21<br />

11<br />

1<br />

0 2 4 6 8 10 12 14 16<br />

Anzahl Foren<br />

Grafik 62: Beteiligung an Foren pro UserInnen<br />

Online-Foren: Sprachregionen<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen zeigt sich, dass in der Westschweiz prozentual<br />

gesehen mehr Personalisierungen und respektlose Äusserungen vorgenommen werden<br />

(19.8% bzw. 12.8% aller Geltungsansprüche) als in der Romandie (15.7% bzw. 10.6%<br />

aller Geltungsansprüche).<br />

188


Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Argumentum ad hominem Deutschschweiz Westschweiz<br />

Personalisierung 19.8% 15.7%<br />

Respektlose Äusserungen 12.8% 10.6%<br />

n = 2993 n = 758<br />

Tabelle 28: Personalisierung und respektlose Äusserungen in den Online-Foren nach Sprachregion<br />

Wie bereits erwähnt, finden in den untersuchten google.groups keine Diskussionen auf<br />

Französisch statt. Deshalb sind die Werte der Romandie nahezu identisch mit den Werten<br />

der Foren der Medienverlagshäuser. Die Ergebnisse der Foren von Google finden somit<br />

nur ihren Niederschlag in den Werten für den deutschsprachigen Landesteil.<br />

Kurzzusammenfassung: Auf Ebene der Forenanbieter konnte festgestellt werden, dass in<br />

den google.groups der Diskurs eher personalisiert wird und sich die UserInnen häufiger<br />

herabsetzen als in den Foren der Medienverlagshäuser und somit weniger respektvoll miteinander<br />

umgehen. In den google.groups wird eher ein chat-ähnliches Kommunikationsverhalten<br />

gepflegt, oft tauschen sich dieselben Teilnehmenden in verschiedenen Foren aus<br />

und verhalten sich als Community.in der der respektvolle Umgang miteinander nachrangig<br />

ist.<br />

Der Vergleich zwischen den Sprachregionen hat gezeigt, dass in der Deutschschweiz rund<br />

1.3-mal häufiger eine Personalisierung des Diskurses stattfindet als in der Romandie. Zudem<br />

ist der Anteil an Äusserungen, die nicht respektvoll sind, ebenfalls rund 1.2-mal höher.<br />

Diese Unterschiede sind mit den google.groups erklärbar, in denen Personenfragen<br />

stark im Vordergrund stehen (über ein Viertel aller Geltungsansprüche) und die Beteiligten<br />

sich häufiger respektlos gegenüber den anderen UserInnen ausdrücken als in den übrigen<br />

Foren. Die google.groups schlagen sich lediglich in den Ergebnissen der Deutschschweiz<br />

nieder, da in der französischsprachigen Schweiz keine solchen Foren aufgeschaltet worden<br />

sind.<br />

189


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

8.3 Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen<br />

miteinander sprechen<br />

In diesem Teil der Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, wie respektvoll die AkteurInnen<br />

der Medienarena miteinander sprechen. Dabei geht es um den kommunikativen<br />

Respekt, der über die Diskursstruktur Auskunft zu geben vermag. Der kommunikative Respekt<br />

betrifft „the treatment of other participants in the debate and are especially important<br />

for deliberation. In particular, respect toward counterarguments is a necessary condition<br />

for the weighting of alternatives, which some view as an essential element of deliberation.“<br />

(Steenbergen et al. 2003: 26, Hervorhebung v. Verf.). Bringt man den Aussagen seines<br />

Gegenübers bzw. dem Gegenüber selber keinen Respekt entgegen, wird man sich auch<br />

nicht von dessen Argumenten überzeugen lassen. Soll die Auseinandersetzung förderlich<br />

für die Meinungs- und Willensbildung sein, ist eine thematisch sachbezogene Diskussion<br />

angezeigt. Das Gespräch sollte kooperativ gestaltet werden und zwar insofern, als unterschiedliche<br />

Positionen Geltung haben dürfen. Aller Strittigkeit des Themas zum Trotz<br />

können die Standpunkte gegeneinander abgegrenzt werden, ohne den kommunikativen<br />

Respekt zu verletzen. Beleidigungen sollten um der Argumente willen vermieden werden.<br />

Nur so können die RezipientInnen die verschiedenen Vorstellungen, Auffassungen und<br />

Meinungen gegeneinander abwägen.<br />

Kommunikativer Respekt zeigt sich auf verschiedene Weise. In der gesprochenen Sprache<br />

weist bspw. der Umgang mit dem Rederecht eines/r SprecherIn auf sein Vorkommen respektive<br />

Fehlen hin. Die Organisation des Sprecherwechsels nimmt in einem Gespräch<br />

eine wichtige Rolle ein und gibt Auskunft über das Diskussionsklima. In einem ersten<br />

Schritt wurde dieser Aspekt in den traditionellen elektronischen Medien anhand der (versuchten)<br />

Unterbrechungen analysiert. Da in den Online-Foren kein Rederecht umkämpft<br />

werden muss – jede/r kann so viele Beiträge von beliebiger Länge verfassen wie er/sie will<br />

– wurde die intermediäre Vergleichbarkeit mittels einer anderen Kategorie gewährleistet:<br />

In einem zweiten Schritt wurden für beide Mediengattungen die explizit respektverletzenden<br />

Äusserungen untersucht und in Bezug zur generelleren Personalisierung des Diskurses<br />

gesetzt. Wird eine Person bzw. deren kommunikative Kompetenz kritisiert, indem sich<br />

lustig gemacht und beleidigt wird, ist dies eine Verletzung des Respekts und der deliberativen<br />

Auseinandersetzung abträglich. Jedoch nicht nur Beleidigungen sind für den Verständigungsprozess<br />

hinderlich, auch eine Personalisierung der Diskussion stellt eine Form der<br />

kommunikativen Respektlosigkeit dar, denn schliesslich postuliert das deliberative Ideal<br />

den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments”. Bei einer Personalisierung hingegen<br />

treten die sachbezogenen Argumente in den Hintergrund, die Diskussion dreht sich um die<br />

Person selbst. Der/die Sprechende nimmt eine Reduktion bzw. eine Verschiebung des<br />

komplexen Sachthemas auf ein Individuum vor.<br />

Im Vergleich zwischen den traditionellen und den neuen elektronischen Medien interessiert<br />

zunächst der Grad der Personalisierung, also die personenbezogenen Aussagen der<br />

Diskussion. Insgesamt kann festgestellt werden, dass in den Foren rund dreimal häufiger<br />

eine Personalisierung vorgenommen wird als in den klassischen Medien und die sachliche<br />

Auseinandersetzung damit an Bedeutung verliert. Konkret dienen in den Online-Foren<br />

über ein Viertel aller Geltungsansprüche der Personalisierung. Das ist ein sehr hoher Wert,<br />

findet dabei doch jeweils eine Verkürzung des Politischen auf das Persönliche und damit<br />

auf Kosten von Themen-, Problem- <strong>oder</strong> Sachbezügen statt.<br />

Beleidigende Äusserungen deuten ebenfalls auf einen Mangel an kommunikativem Respekt<br />

hin. In den Online-Foren enthalten rund ein Sechstel aller Geltungsansprüche respektlose<br />

Äusserungen. Damit wird im Internet das Gegenüber knapp dreimal häufiger<br />

190


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

beleidigt als in den klassischen elektronischen Medien. Das ist ein deutlicher Unterschied.<br />

Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Personalisierung und despektierlichen Äusserungen:<br />

Findet in den klassischen Medien eine Personalisierung statt, ist diese meist beleidigend.<br />

Dies ist in den Online-Foren relativ gesehen weniger deutlich der Fall. Nichts desto<br />

trotz ist der prozentuale Anteil an despektierlichen Äusserungen im direkten Vergleich<br />

mit den klassischen Medien deutlich höher. Die Hypothese, dass Gegenargumente in<br />

Online-Foren häufiger als bei Radio und Fernsehen auf den/die UrheberIn des Arguments<br />

als auf das Argument selbst zielen und dass der Diskurs weniger respektvoll<br />

als in den klassischen Medien ist, kann somit bestätigt werden. Die Möglichkeit, sich in<br />

den Online-Debatten ohne Preisgabe der eigenen Identität zu äussern sowie die Dominanz<br />

der Peripherie, deren AkteurInnen keine Zugehörigkeit zu einer Partei, Organisation <strong>oder</strong><br />

Interessensgemeinschaft aufweisen, lässt in Bezug auf die Kategorie des Respekts somit<br />

die Kehrseite zum herrschaftsfreien Diskurs erkennen. Ein weiterer Grund für das Resultat<br />

dürfte in der – zwar in Aussicht gestellten – faktisch aber inexistenten Sanktionierung<br />

durch die Betreiber liegen. Die M<strong>oder</strong>ation in den klassischen Medien scheint indes ebenfalls<br />

nur ansatzweise regulierend zu wirken, denn die von ihr angestossene Metakommunikation<br />

über den mangelnden kommunikativen Respekt hält sich in Grenzen. Die Teilnehmenden<br />

selber zeigen sich diesbezüglich engagierter. Dabei gilt es zu bedenken, dass der<br />

Verweis auf einzelne Personen, die die Diskursnormen verletzen, diese nicht unbedingt im<br />

besten Licht erscheinen lässt.<br />

Bei den Online-Foren wird zwischen google.groups und Foren von Medienverlagshäusern<br />

unterschieden. Die Untersuchung hat gezeigt, dass in den Foren der google.groups<br />

1.8-mal häufiger eine Personalisierung des Diskurses stattfindet, nämlich in über einem<br />

Viertel aller Geltungsansprüche, als in denjenigen der Medienverlagshäuser. Zudem äussern<br />

sich die Beteiligten bei den google.groups 1.5-mal häufiger despektierlich über eine/n<br />

andere/n UserIn als in den übrigen Foren. Dieses Resultat kann damit begründet werden,<br />

dass die UserInnen in den google.groups offensichtlich ein anderes Diskussionsverhalten<br />

an den Tag legen; es wird eher ein chat-ähnliches Kommunikationsverhalten gepflegt, in<br />

dem gegenseitige Frotzeleien an der Tagesordnung sind. Zudem tauschen sich oft dieselben<br />

Teilnehmenden in verschiedenen Foren aus: So gibt es bspw. sechs UserInnen, die sich<br />

an zehn bis fünfzehn der untersuchten Foren beteiligen. Diese UserInnen verhalten sich<br />

wie eine Community, die sich in verschiedenen Foren unterhalten, relativ unabhängig davon,<br />

welches Thema behandelt wird. Neben dem Diskussionsverhalten der UserInnen<br />

könnte ein weiterer Aspekt für die Differenz zwischen den Anbietern eine Rolle spielen:<br />

Bei den Foren der Medienverlagshäuser werden so genannte „Spielregeln“ für die Teilnahme<br />

an den Foren publiziert. Die Betreiber stellen bei Zuwiderhandlung in Aussicht, die<br />

aufgeschalteten Posts auf Regelverletzungen hin zu prüfen – sei es vorbehaltlich wie bei<br />

espace.ch und 24heures.ch <strong>oder</strong> systematisch wie bei baz.ch 182 und tdg.ch. Bei den<br />

google.groups wird dies nicht in Aussicht gestellt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die<br />

Ankündigung, einzelne Posts zu editieren bzw. zu löschen wahrscheinlich nicht umgesetzt<br />

wird, sie könnte aber dennoch Einfluss auf das Diskussionsverhalten der UserInnen haben.<br />

In den google.groups wird der Diskurs also nicht nur eher personalisiert, die Teilnehmenden<br />

setzen einander auch häufiger herab als in den anderen Foren. Die Hypothese, dass<br />

der Diskurs in den Online-Foren der Medienverlagshäuser respektvoller ist als in den<br />

google.groups, hat sich bestätigt.<br />

In den traditionellen elektronischen Medien gibt neben den explizit respektverletztenden<br />

Äusserungen der Sprecherwechsel Auskunft über den kommunikativen Respekt. Es konnte<br />

182 Die Ankündigung bei baz.ch, dass einzelne Posts in der Zeitung veröffentlicht werden könnten, könnte<br />

zudem ein positiver Anreiz darstellen.<br />

191


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

festgestellt werden, dass in knapp drei Viertel aller Rollenwechsel der Übergang glatt verläuft.<br />

Das bedeutet, dass in über einem Viertel aller Sprecherwechsel das Rederecht durch<br />

eine Unterbrechung aberkannt wird und damit die Gesprächsregeln verletzt werden.<br />

Schliesslich ist für eine Unterbrechung – ob „entschuldigt“ <strong>oder</strong> nicht – charakteristisch,<br />

dass eine aktuell sprechende Person in keiner Weise signalisiert hat, dass sie zum Ende<br />

ihres Beitrages gekommen ist und sie von einer anderen Person ungewollt in die Rolle des<br />

Hörens gedrängt wird. Dennoch sind „entschuldigte“, also begründete Unterbrechungen<br />

nicht als respektverletzende kommunikative Handlungen zu werten, da dabei zumindest<br />

die prinzipielle Akzeptanz der Diskursnormen zum Ausdruck kommt. Allerdings machen<br />

sie lediglich einen Drittel aller Interruptionen aus. Der hohe Anteil an der nichtkooperativen<br />

Form des Sprecherwechsels deutet auf eine mangelnde Gesprächsdisziplin –<br />

was u.a. ein Charakteristikum hitziger Debatten ist.<br />

Die versuchte Unterbrechung beschreibt ebenfalls, ob derjenigen Person, die etwas sagt,<br />

das Rederecht zugestanden wird <strong>oder</strong> nicht und gibt Auskunft über das Gesprächsklima. In<br />

den klassischen Medien findet insgesamt in knapp einem Viertel aller Redebeiträge eine<br />

versuchte Unterbrechung statt. Dabei wird dem/r aktuellen SprecherIn ins Wort gefallen<br />

und damit das Rederecht streitig gemacht <strong>oder</strong> er/sie wird durch Zwischenrufe gestört. Je<br />

höher dieser Wert liegt, desto fragmentierter ist der Diskurs. Setzt man nun die Anzahl der<br />

Sprecherwechsel durch Unterbrechung und die Anzahl der versuchten Unterbrechungen in<br />

Bezug zueinander, kann festgehalten werden, dass in den dialogischen Formaten der traditionellen<br />

elektronischen Medien häufig ein Kampf ums Wort ausbricht. In gut der Hälfte<br />

aller Redebeiträge werden die Gesprächsregeln und damit der kommunikative Respekt<br />

verletzt: In einem Viertel der Sprecherwechsel wird durch Unterbrechung der sprechenden<br />

Person das Rederecht aberkannt, in einem weiteren Viertel aller Redebeiträge dem/r aktuellen<br />

SprecherIn das Rederecht streitig gemacht <strong>oder</strong> es wird ihm/ihr durch einen Einwurf<br />

dazwischen geredet.<br />

Nun kann sich ein/e Sprechende/r, dem/der das Rederecht aberkannt werden soll, auf verschiedene<br />

Weise zur Wehr setzen. Die bestimmende Art der AkteurInnen der Medienarena<br />

auf eine versuchte Unterbrechung zu reagieren, ist, dass einfach lauter bzw. weiter gesprochen<br />

wird, was in drei Viertel aller Gegenstrategien der Fall ist. Die am zweithäufigsten<br />

angewandte Gegenstrategie zur Behauptung des Rederechts ist, den von der versuchten<br />

Unterbrechung betroffenen Redeteil zu wiederholen. Sowohl am interessantesten wie auch<br />

am aussagekräftigsten ist jedoch die Thematisierung der Unterbrechung selbst. Diese Gegenstrategie<br />

wird am seltensten gewählt (7.6%). Nichts desto trotz ist die Metakommunikation<br />

ein starkes Indiz dafür, dass es an Respekt mangelt und dass die Einhaltung der Diskursregeln<br />

gewünscht wird. Schliesslich machen die Beteiligten dadurch deutlich, dass<br />

ihnen das Rederecht zusteht und dass sie sich durch die versuchten Unterbrechungen gestört<br />

fühlen. Obwohl es die meisten Sprechenden gewohnt sind, in der Öffentlichkeit zu<br />

diskutieren und damit die allgemein gültigen Gesprächsregeln kennen, werden diese erstaunlich<br />

häufig verletzt. Allen Beteiligten ist bewusst, dass das Rederecht dem/r Sprechenden<br />

für eine gewisse Zeit zustehen muss, damit sachlich relevanten Punkte vorgebracht<br />

werden können. Doch in den dialogischen Radio- und Fernsehformaten wird diese<br />

Mindestanforderung häufig nicht erfüllt.<br />

Eine weitere Unterscheidungsebene ist die ökonomische Stellung der Sender, ob es also<br />

zwischen öffentlichen und privaten Anbietern unterschiedliche Resultate hinsichtlich des<br />

Sprecherwechsels gibt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die dialogischen Formate der<br />

privaten Anbieter tendenziell einen weniger kooperativen Verlauf aufweisen als diejenigen<br />

der öffentlichen. In Ersteren fallen sich alle Beteiligten, also auch die M<strong>oder</strong>ation, häufiger<br />

gegenseitig ins Wort und übernehmen das Rederecht ohne Einverständnis der/s Sprechenden.<br />

Bei den Privaten findet insgesamt bei knapp einem Viertel aller Sprecherwechsel eine<br />

192


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Verletzung der Gesprächsregeln durch Unterbrechung statt, bei den öffentlichen Anbietern<br />

bei weniger als einem Fünftel. Die Gesprächsbeteiligten müssen damit bei den Privaten<br />

häufig ihr Rederecht ungewollt abtreten und können ihre Ausführungen nicht zu Ende<br />

bringen. Die Differenz kann mit den bestimmenden <strong>Dialog</strong>formaten erklärt werden (s.u.).<br />

Die versuchten Unterbrechungen, die keinen Sprecherwechsel zur Folge haben, geben weiter<br />

Aufschluss über das Gesprächsklima. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Gesprächsbeteiligten<br />

in den Sendungen der öffentlichen Anbieter in über einem Viertel aller<br />

Gesprächsschritte erfolglos versuchen, das Gegenüber zu unterbrechen. Bei den Privaten<br />

ist dies lediglich in knapp einem Fünftel der Fall. Die Sprechenden können sich nicht frei<br />

am Diskurs beteiligen, wenn sie häufig darauf bedacht sein müssen, das Rederecht zu verteidigen.<br />

Von diesem Standpunkt aus betrachtet, sind die Sendungen der Privaten kooperativer,<br />

insbesondere, weil bei diesen die Debatten, bei denen das Rederecht häufiger angetastet<br />

wird als in Interviews, stärker ins Gewicht fallen. Allerdings müssen die Interruptionen,<br />

also die geglückten Gesprächsschrittbeanspruchungen, ebenfalls in Betracht gezogen<br />

werden. Dabei schneiden die Privaten deutlich schlechter ab als die Öffentlichen.<br />

Die Wahl der Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts tritt unabhängig der ökonomischen<br />

Stellung der Sender in gleicher Reihenfolge auf. Allerdings finden in den Diskussionen<br />

der öffentlichen Anbieter häufiger die stärkeren Formen zur Verteidigung des<br />

Rechts Anwendung als dies bei den privaten der Fall ist. Die AkteurInnen greifen gar doppelt<br />

so oft auf die Metakommunikation zurück, was auf mangelnden Respekt schliessen<br />

lässt. Dies bestätigt, dass die Wahrung der Diskursnorm in den Sendungen der privaten<br />

Stationen ausgeprägter ist, was auf eine höhere Diskursqualität hinweist. Abschliessend<br />

lässt sich festhalten, dass in den dialogischen Formaten der öffentlichen Anbieter die Teilnehmenden<br />

erfolgreicher an ihrem Rederecht festhalten können. Rein rechnerisch überwiegen<br />

die Formen des respektverletzenden Verhaltens in den Sendungen der privaten<br />

Anbieter ganz leicht (Unterschied: 3%). Bedenkt man indes, dass die Debatten – bei denen<br />

das Antasten des Rederechts begründeterweise vermehrt erwartet werden kann – in den<br />

privaten Sendern ein grösseres Gewicht einnehmen, sprechen die Ergebnisse dafür, dass<br />

der Diskurs in bei den öffentlichen Anbietern leicht weniger respektvoll verläuft.<br />

Ein weiteres Merkmal für die Bestimmung der deliberativen Qualität im Sinne des kommunikativen<br />

Respekts ist der Grad der Personalisierung des Diskurses und der Anteil an<br />

respektlosen Äusserungen. Erstaunlicherweise findet in den dialogischen Formaten der<br />

öffentlichen Sender – entgegen der Annahme – eher eine Personalisierung statt als in denjenigen<br />

der privaten, nämlich in knapp einem Zehntel aller Geltungsansprüche. Zudem<br />

weisen die Sendungen der öffentlichen Anbieter geringfügig mehr respektlose Äusserungen<br />

auf als diejenigen der privaten; der Anteil liegt bei beiden zwischen 5 und 6 Prozent.<br />

Als Erklärungsansatz für die bezeichneten Unterschiede zwischen den öffentlichen und den<br />

privaten Anbietern kann das <strong>Dialog</strong>format (s.u.) hier indes nicht herangezogen werden:<br />

Der Anteil an Geltungsansprüchen aus Debatten ist bei den privaten Anbietern höher als<br />

bei den öffentlichen. Wie sich gezeigt hat, sind es sonst in erster Linie die Sendegefässe,<br />

die bestimmen, wie hoch der Personalisierungsfaktor und der Anteil an despektierlichen<br />

Äusserungen sind. Bei den öffentlichen Sendern sind es vor allem die grossen Fernseh-<br />

Diskussionssendungen „Arena“ und „Infrarouge“, die ins Gewicht fallen und einzelne<br />

Sendungen mit Extremwerten. Eine weiterführende Analyse könnte klären, ob genannte<br />

Ergebnisse auf das Konzept der jeweiligen Sendungen <strong>oder</strong> auf einzelne AkteurInnen zurückzuführen<br />

ist. Die Hypothese, dass bei den privaten Sendern Personenfragen häufiger<br />

im Vordergrund stehen als bei den öffentlichen muss falsifiziert werden.<br />

Hinsichtlich des kommunikativen Respekts konnten auf Ebene des <strong>Dialog</strong>formats teilweise<br />

deutliche Unterschiede festgestellt werden. Die Analyse des Sprecherwechsels hat gezeigt,<br />

dass in Debatten die Gesprächsregeln rund zweieinhalb Mal häufiger durch Unter-<br />

193


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

brechung verletzt werden als in Interviews. Dies ist verständlich, da sich in Debatten mehrere<br />

GesprächspartnerInnen gegenüber stehen und die Regeln des Rollenwechsels weniger<br />

fest gefügt sind als etwa in Interviews. Interviews sind von diesem Gesichtspunkt her klarer<br />

strukturiert, die Gesprächsdisziplin ist entsprechend höher.<br />

In über einem Viertel aller Redebeiträge in Debatten versuchen die AkteurInnen erfolglos,<br />

das Rederecht zu übernehmen, mehr als doppelt so häufig wie in Interviews. In den untersuchten<br />

Debatten entbrennt also häufig Streit um das Rederecht. Doch nicht nur die Gesprächsdisziplin<br />

ist niedriger als in Interviews, sondern die Beteiligten bringen sich auch<br />

weniger kommunikativen Respekt entgegen. Das Fehlen dieses kommunikativen Respekts<br />

wird denn auch angesprochen, diskursive Normen werden thematisiert. In den Interviews<br />

dagegen wird nicht auf die Metakommunikation zurückgegriffen, die Angriffe auf das Rederecht<br />

werden nie explizit thematisiert.<br />

In den untersuchten Debatten findet häufiger eine Personalisierung des Diskurses statt als<br />

in Interviews. Das war zu erwarten, stehen sich doch in Interviews lediglich zwei Personen<br />

gegenüber, wovon eine die M<strong>oder</strong>ation darstellt. M<strong>oder</strong>atorInnen tragen potentiell zwar<br />

opponierende Ansichten in den Diskurs hinein – allen Beteiligten ist dabei jedoch klar,<br />

dass dies funktionale Gründe hat und die M<strong>oder</strong>ation nicht ihre persönliche Meinung vertritt.<br />

Entsprechend wird der Diskurs in Bezug auf diese spezifische Akteursgruppe weniger<br />

personalisiert. Insgesamt werden in den Debatten viermal häufiger despektierliche Äusserungen<br />

getätigt als in den Interviews, ein deutlicher Unterschied. Die Hypothesen, dass in<br />

Debatten häufiger personenbezogene Argumente vorgebracht werden als in Interviews<br />

und dass der kommunikative Respekt in Interviews höher als in Debatten ist,<br />

können bestätigt werden.<br />

Eine weitere Vergleichsebene bildete die Unterscheidung zwischen Radio und Fernsehen.<br />

Die Untersuchung hat gezeigt, dass im Radio der Anteil an Sprecherwechseln durch Unterbrechung<br />

insgesamt niedriger ist als im Fernsehen. Der Anteil an „entschuldigten“ Unterbrechungen<br />

ist ungefähr gleich gross. Diese Unterschiede zwischen den Gattungen können<br />

durch das <strong>Dialog</strong>format erklärt werden. Da das Fernsehen mehr Debatten ausstrahlt<br />

und in diesen der glatte Sprecherwechsel seltener vorkommt als in Interviews, ist der Anteil<br />

an Unterbrechungen im Fernsehen höher als im Radio.<br />

Im Radio fallen sich die AkteurInnen in knapp einem Fünftel aller Redebeiträge gegenseitig<br />

ins Wort und versuchen erfolglos, das Rederecht zu übernehmen, im Fernsehen ist dies<br />

sogar in mehr als einem Viertel der Fall. Nun können die Anzahl der Sprecherwechsel<br />

durch Unterbrechung und die Anzahl der versuchten Unterbrechungen zueinander in Beziehung<br />

gesetzt werden. Dabei kann festgestellt werden, dass im Fernsehen die nichtkooperativen<br />

Formen des Sprecherwechsels, also Redeunterbrechungen stärker vertreten<br />

sind als im Radio. Zudem kommt es im Fernsehen häufiger zu einem Kampf um das Wort<br />

als in Radiosendungen. Im rein akustischen Medium ist damit die Gesprächsdisziplin höher<br />

als im audio-visuellen.<br />

In den beiden Gattungen fällt die Wahl der Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts<br />

ähnlich aus. In rund drei Viertel der versuchten Unterbrechung wird einfach weiter<br />

gesprochen. In knapp einem Fünftel wird der betroffene Redeteil wiederholt. Ein Unterschied<br />

ist bei der dritten Gegenstrategie zur Behauptung des Rederechts auszumachen: Die<br />

versuchte Unterbrechung wird im Radio weniger oft explizit thematisiert als im Fernsehen.<br />

Diese Ergebnisse unterstützen die bereits getroffene Aussage, dass der Diskurs im Radio<br />

kooperativer verläuft als im Fernsehen. Ein weiterer Grund hierfür könnte allerdings auch<br />

in der jeweiligen kommunikativen Situation liegen: Weiter- bzw. Lauterreden, um das Rederecht<br />

zu behaupten, stellt im rein auditiven Medium eine wirksamere Strategie dar als im<br />

audio-visuellen Medium Fernsehen.<br />

194


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Hinsichtlich der Personalisierung konnte die Untersuchung zeigen, dass in den dialogischen<br />

Fernsehformaten 1.5-mal häufiger eine Personalisierung stattfindet als in den Radiosendungen,<br />

nämlich in rund einem Zehntel aller Geltungsansprüche. Während diesen Gesprächsphasen<br />

tritt das eigentliche Abstimmungsthema in den Hintergrund, Personenfragen<br />

werden diskutiert bzw. Personen und ihre Argumentationen kommentiert. In den dialogischen<br />

Fernsehformaten wird allerdings nicht nur öfter personalisiert, sondern die GesprächspartnerInnen<br />

werden auch häufiger durch despektierliche Äusserungen herabgesetzt.<br />

Das Gegenüber wird knapp doppelt so häufig beleidigt wie dies in den Radiosendungen<br />

der Fall ist. Das Diskussionsklima in den dialogischen Formaten im Fernsehen ist eindeutig<br />

weniger kooperativ als im Radio, Personenfragen stehen eher im Vordergrund und<br />

die Beteiligten gehen weniger respektvoll miteinander um. Abschliessend kann festgestellt<br />

werden, dass die Gattung insofern Einfluss auf das Kommunikationsverhalten übt, als die<br />

Radio- und Fernsehsender bestimmen, welches <strong>Dialog</strong>format präferiert wird. Es ist hauptsächlich<br />

die Art des Gesprächs – ob zwei <strong>oder</strong> mehrere Personen diskutieren – die Einfluss<br />

auf den kommunikativen Respekt des Gesprächs hat.<br />

Die Sprachregionen bilden eine weitere Unterscheidungsebene. In den traditionellen<br />

elektronischen Medien kann hinsichtlich des Sprecherwechsels festgestellt werden, dass<br />

der Verlauf in der Deutschschweiz etwas kooperativer ist als in der Westschweiz, wo sich<br />

die Beteiligten häufiger unterbrechen. Bezüglich der versuchten Unterbrechungen hat die<br />

Untersuchung gezeigt, dass in der Deutschschweiz in einem Fünftel aller Redebeiträge<br />

versucht wird das Gegenüber zu unterbrechen, in der Westschweiz in über einem Viertel.<br />

Da diese Ergebnisse nicht auf die vorherrschenden Mediengattungen und damit zusammenhängend<br />

auf die vorherrschenden <strong>Dialog</strong>formate zurückgeführt werden kann, muss<br />

angenommen werden, dass in der französischsprachigen Schweiz eine andere Diskurskultur<br />

gepflegt wird als in der Deutschschweiz. Hinsichtlich der gewählten Gegenstrategie zur<br />

Behauptung des Rederechts fallen die Resultate sehr ähnlich aus. In der Deutschschweiz<br />

kommen die stärkeren Formen etwas häufiger zur Anwendung als in der Romandie. Ob<br />

dies auf eine höhere Sensibilisierung auf (versuchte) Unterbrechungen als normwidriges<br />

Verhalten zurückzuführen ist <strong>oder</strong> auf das vorherrschende <strong>Dialog</strong>format kann an dieser<br />

Stelle nicht abschliessend geklärt werden.<br />

Die Unterscheidungsebene Sprachregion zeigt für die klassischen Medien, dass in der<br />

Deutschschweiz Personenfragen eher im Vordergrund der Diskussion stehen als in der<br />

Romandie, nämlich in gut einem Zehntel aller Geltungsansprüche. Ebenfalls finden sich<br />

häufiger beleidigende Äusserungen. Die niedrigeren Werte in der Romandie sind dadurch<br />

erklärbar, dass die analysierten Interviews hauptsächlich in der Westschweiz ausgestrahlt<br />

wurden und damit bei den untersuchten Redebeiträgen stärker gewichtet werden müssen.<br />

Interviews haben jeweils einen niedrigen Personalisierungswert und Anteil an respektlosen<br />

Äusserungen. Anders als im Fall der (versuchten) Unterbrechung scheint sich das <strong>Dialog</strong>format<br />

in Bezug auf diese Kategorie direkt auszuwirken, allerdings hätte die Gewichtung<br />

von Debatten in der jeweiligen Sprachregion deutlichere Unterschiede erwarten lassen.<br />

Das <strong>Dialog</strong>format kann auf Ebene der Sprachregion demnach nur zum Teil als Einflussgrösse<br />

herangezogen werden. Geht man indes von sprachregional unterschiedlichen Diskurskulturen<br />

aus, wobei in der französischsprachigen Schweiz Unterbrechungen aus Sicht<br />

der Teilnehmenden nicht gleichermassen als respektverletzend wahrgenommen werden<br />

wie dies in der deutschsprachigen Schweiz der Fall zu sein scheint, ergibt sich daraus nicht<br />

zwangsläufig ein Widerspruch. Ausgehend von dieser Hypothese ist der Diskurs in der<br />

Westschweiz aus Sicht der RezipientInnen respektvoller.<br />

Im Vergleich zwischen den Sprachregionen zeigt sich für die Online-Foren, dass in der<br />

Deutschschweiz prozentual gesehen je 1.3-mal mehr Personalisierungen und respektlose<br />

Äusserungen vorgenommen werden als in der Romandie. Diese Unterschiede sind mit den<br />

195


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

google.groups erklärbar, in denen Personenfragen stark im Vordergrund stehen und die<br />

Beteiligten sich häufiger respektlos gegenüber den anderen UserInnen ausdrücken als in<br />

den Foren der Medienverlagshäuser. Die Foren von google.groups schlagen sich aber lediglich<br />

in den Ergebnissen der Deutschschweiz nieder, da in der französischsprachigen<br />

Schweiz keine solchen Foren aufgeschaltet worden sind. Der Vergleich zwischen den<br />

Westschweizer Foren und allen Foren von Verlagshäusern zeigt keine nennenswerten Unterschiede<br />

und somit keine sprachregionalen Besonderheiten.<br />

Eine Besonderheit bei den klassischen Medien stellt im Gegensatz zu den Online-Foren<br />

die Rollendifferenzierung dar. Die medialen Rollen M<strong>oder</strong>atorIn, AkteurInnen und Publikum<br />

sind in den Sendungen der traditionellen elektronischen Medien vorgegeben. Im Folgenden<br />

wird die Rolle der M<strong>oder</strong>ation gesondert betrachtet. Wie bereits festgestellt wurde,<br />

kommt der Sprecherwechsel in den klassischen elektronischen Medien in einem Viertel<br />

durch eine Unterbrechung zustande. Werden die M<strong>oder</strong>ation und die Teilnehmenden einzeln<br />

betrachtet, so fällt auf, dass die M<strong>oder</strong>ation ihre GesprächspartnerInnen verhältnismässig<br />

häufiger unterbricht als die Teilnehmenden. Der/die M<strong>oder</strong>atorIn unterbricht – ob<br />

„entschuldigt“ <strong>oder</strong> nicht – die Beteiligten in gut einem Drittel aller Sprecherwechsel, die<br />

Teilnehmenden in etwas mehr als einem Fünftel. Allerdings muss festgehalten werden,<br />

dass es sich bei der Hälfte der Interruptionen durch die M<strong>oder</strong>ation um „entschuldigte“<br />

Unterbrechungen handelt. Dies ist für den kommunikativen Respekt bedeutsam, da sie<br />

dadurch Gründe für ihr Verhalten angibt und die Diskursnormen somit nicht verletzt werden.<br />

Die Teilnehmenden ihrerseits benutzen die entschuldigte Unterbrechung kaum. Dass<br />

der Anteil an explizit gemachten <strong>oder</strong> begründeten Unterbrechungen bei den Gesprächsleitenden<br />

sehr viel höher liegt, hat mit den gesprächsorganisatorischen Aufgaben zu tun. Aber<br />

obwohl die M<strong>oder</strong>ation bei der Gesprächsschrittübernahme eine privilegierte Stellung einnimmt,<br />

verletzt sie die Gesprächsregeln immerhin in einem Sechstel aller Sprecherwechsel<br />

und übernimmt das Rederecht ohne Einverständnis des Gegenübers. Weiter hat die Untersuchung<br />

gezeigt, dass in den klassischen Medien in knapp einem Viertel aller Redebeiträge<br />

eine versuchte Unterbrechung stattfindet. Werden die realisierten Gesprächsschritte und<br />

die Gesprächsschrittbeanspruchungen zueinander in Beziehung gestellt, kann festgestellt<br />

werden, dass die Teilnehmenden häufiger versuchen, dem Gegenüber das Rederecht streitig<br />

zu machen bzw. Kommentare zum Gesagten abzugeben als die M<strong>oder</strong>ation. Diese versucht<br />

lediglich in mehr als einem Zehntel aller Redebeiträge erfolglos, das Wort zu übernehmen.<br />

Das Resultat kann erneut durch die privilegierte Stellung des/r M<strong>oder</strong>atorIn im<br />

Diskurs erklärt werden: Versucht die M<strong>oder</strong>ation einen Gesprächsschritt zu übernehmen,<br />

gelingt ihr dies häufiger als den Teilnehmenden. Sowohl die M<strong>oder</strong>ation als auch die Teilnehmenden<br />

wählen in derselben Reihenfolge die Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts.<br />

In vier Fünfteln wendet die M<strong>oder</strong>ation die Strategie lauter bzw. weiter zu sprechen<br />

an, in weniger als einem Sechstel wiederholt sie den von der versuchten Unterbrechung<br />

tangierten Redeteil. Am wenigsten thematisiert sie die Unterbrechung selbst, was<br />

die bisherigen Ergebnisse bestätigt.<br />

Von Interesse ist ausserdem, ob die M<strong>oder</strong>ation ebenfalls auf die Strategie der Personalisierung<br />

zurückgreift. 183 Die Teilnehmenden personalisieren 3.5-mal häufiger als die Gesprächsleitung.<br />

Bei den Äusserungen der M<strong>oder</strong>ation stehen demnach selten die Personen<br />

im Vordergrund des Diskurses. Ausserdem diskreditieren die Teilnehmenden andere Personen<br />

8-mal häufiger als die M<strong>oder</strong>ation. Die Gesprächsleitung wird lediglich in gut einem<br />

Prozent aller Geltungsansprüche beleidigend. Bei der M<strong>oder</strong>ation machen die respektverletzenden<br />

Äusserungen weniger als ein Drittel der personalisierten Aussagen aus.<br />

183 Für die Ausführungen bezüglich Personalisierung und respektverletzenden Äusserungen muss berücksichtigt<br />

werden, dass die Fallzahlen gering sind und die Aussagen deshalb eher als Tendenz betrachtet werden<br />

müssen.<br />

196


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

Betrachtet man die M<strong>oder</strong>ation in den beiden Mediengattungen Radio und Fernsehen<br />

kann festgestellt werden, dass sie in den dialogischen Fernsehformaten die Beteiligten häufiger<br />

unterbricht als im Radio. Eine plausible Erklärung für diese Differenz liefert der höhere<br />

Anteil an Debatten im Fernsehen, in denen häufiger eine Verletzung der Gesprächsregeln<br />

stattfindet als in Interviewsendungen. Die Resultate deuten darauf hin, dass das Verhalten<br />

der M<strong>oder</strong>ation primär reaktiv ist und die Ergebnisse von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden<br />

korrelieren. In den Radiosendungen versucht die M<strong>oder</strong>ation weniger häufig, dem<br />

Gegenüber das Rederecht durch eine versuchte Unterbrechung abzusprechen als im Fernsehen.<br />

Die Wahl der Gegenstrategien fällt demgegenüber in beiden Gattungen ähnlich aus.<br />

Hinsichtlich der Personalisierung und despektierlichen Äusserungen lassen sich bei der<br />

M<strong>oder</strong>ation zwischen Radio und Fernsehen keine Unterschiede feststellen.<br />

In den beiden <strong>Dialog</strong>formaten konnten folgende Unterschiede festgestellt werden: Die<br />

Gesprächsleitung unterbricht in Debatten ihr Gegenüber knapp doppelt so häufig – ob begründet<br />

<strong>oder</strong> nicht – als dies in Interviewsendungen der Fall ist. Das <strong>Dialog</strong>format hat wesentlichen<br />

Einfluss auf die Aufgaben der M<strong>oder</strong>ation: Bei Sendungen, in denen sich mehrere<br />

Personen gegenüber stehen, wirkt die M<strong>oder</strong>ation stärker auf die Verteilung des Rederechts<br />

ein, was in einem Interview nicht in dieser Form nötig ist. Wie bereits festgestellt<br />

wurde, fallen sich die Teilnehmenden in Debatten häufig gegenseitig ins Wort und versuchen,<br />

dem Gegenüber das Rederecht abzunehmen. Die M<strong>oder</strong>ation muss jedoch darauf<br />

achten, dass die Beteiligten ausgewogen zu Wort kommen. Sie hat die Leitung des Gesprächs<br />

und bestimmt, wer spricht. Interessant ist diesbezüglich, dass die M<strong>oder</strong>ation in<br />

Debatten knapp 2.4-mal häufiger Gründe für die Unterbrechung anfügt als dies in Interviews<br />

geschieht. Im Unterschied zu den Teilnehmenden startet die M<strong>oder</strong>ation in beiden<br />

<strong>Dialog</strong>formaten ähnlich oft den erfolglosen Versuch, einen Gesprächsschritt zu übernehmen.<br />

Eine mögliche Erklärung hierfür liegt in der durchschnittlich kürzeren Sendedauer<br />

der Interviews. Bei einer kurzen Sendezeit muss eher darauf geachtet werden, die Aussagen<br />

auf den Punkt zu bringen. Die Wahl der Gegenstrategie zur Behauptung des Rederechts<br />

fällt in den <strong>Dialog</strong>formaten ähnlich zu derjenigen der Teilnehmenden aus. Interessant<br />

ist jedoch, dass die M<strong>oder</strong>ation in Debatten seltener als diese explizit auf Verletzungen<br />

der Gesprächsregeln hinweist und sich somit auch kaum aktiv um ein respektvolleres<br />

Diskussionsklima und somit um die Hebung der Diskursqualität bemüht. Hinsichtlich der<br />

Personalisierung und den despektierlichen Äusserungen lassen sich – im Gegensatz zu den<br />

Teilnehmenden – keine nennenswerten Unterschiede feststellen.<br />

Zwischen den öffentlichen und privaten Anbietern sind ebenfalls Unterschiede in der<br />

M<strong>oder</strong>ationsleistung erkennbar. Die M<strong>oder</strong>ation fällt bei den privaten Sendern dem Gegenüber<br />

häufiger ins Wort und übernimmt das Rederecht als bei den öffentlichen. Im Gegensatz<br />

dazu erhebt sie in den Sendungen der öffentlichen Anbieter mehr als doppelt so<br />

häufig Anspruch auf einen Gesprächsschritt als bei den privaten, versucht also erfolglos<br />

durch Reinreden das Rederecht zu übernehmen. Das bedeutet einerseits, dass es der Gesprächsleitung<br />

bei den Privaten insgesamt häufiger gelingt, das Rederecht zu übernehmen.<br />

Auf der anderen Seite kann es auch bedeuten, dass die M<strong>oder</strong>ation in den Sendungen der<br />

Öffentlichen die Teilnehmenden häufiger aussprechen lässt. Hinsichtlich der Gegenstrategien<br />

gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Anbietern. In den Sendungen der öffentlichen<br />

Stationen thematisiert die M<strong>oder</strong>ation die Unterbrechung 2.6-mal häufiger als bei<br />

den privaten. Es wurde ja bereits festgestellt, dass in den dialogischen Formaten der Öffentlichen<br />

insgesamt häufiger versucht wird, das Gegenüber zu unterbrechen als bei den<br />

Privaten. Dieser Aspekt kommt in der Metakommunikation zum Ausdruck. Bezüglich der<br />

respektverletzenden Äusserungen sind keine Unterschiede feststellbar. Interessant ist aller-<br />

197


Zwischenfazit: Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />

dings, dass die M<strong>oder</strong>ation in den öffentlichen Sendungen den Diskurs eher personalisiert<br />

als in denjenigen der privaten.<br />

Auf Ebene der Sprachregionen lässt sich für die M<strong>oder</strong>ation keinen Unterschied hinsichtlich<br />

der Übernahme des Rederechts feststellen, auch nicht in Bezug auf die geglückten<br />

Gesprächsschrittübernahmen durch Unterbrechung. Allerdings versucht die Gesprächsleitung<br />

in der Romandie knapp dreimal öfter erfolglos das Rederecht zu übernehmen als dies<br />

in der Deutschschweiz der Fall ist. Das deutet darauf hin, dass in den dialogischen Formaten<br />

der Deutschschweiz die Teilnehmenden freier sprechen können, die Diskussionsleitung<br />

weniger stark ins Gespräch eingreift bzw. die Teilnehmenden die Funktion der M<strong>oder</strong>ation<br />

stärker berücksichtigen. Hinsichtlich der Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts<br />

sind keine grossen Unterschiede festzustellen. Bezüglich der Personalisierung lässt sich auf<br />

sprachregionaler Ebene ebenfalls praktisch kein Unterschied benennen. Dagegen setzt die<br />

M<strong>oder</strong>ation in der Romandie ihre GesprächspartnerInnen häufiger herab als dies in der<br />

Deutschschweiz der Fall ist.<br />

198


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

9 Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Im vorliegenden Forschungsprojekt wurden dialogische Formate von Radio, Fernsehen<br />

und dem Internet auf ihre diskursive Qualität hin untersucht. Eigentlicher Untersuchungsgegenstand<br />

bildete der Diskurs über die nationalen Abstimmungen zu den Bilateralen Verträgen<br />

I und II, wie er jeweils innerhalb von sechs Wochen vor dem Abstimmungstermin<br />

im Rahmen von Debatten, Interviews und Online-Foren in der medialen Arena geführt<br />

wurde. Die Untersuchung bedient sich auf theoretischer Ebene eines deliberativen Ansatzes<br />

und lässt sich im Rahmen der Deliberationsforschung als Teilbereich der politischen<br />

Kommunikation verorten. Aus methodischer Sicht bedient sich die Untersuchung der Inhaltsanalyse,<br />

um die erkenntnisleitenden Fragen und Hypothesen genauer zu untersuchen.<br />

Im Zentrum des Interesses stand das Spannungsfeld zwischen öffentlicher Deliberation und<br />

privater Meinungs- und Willensbildung und damit die Frage, welches Potential der diskursiven<br />

Auseinandersetzung in den untersuchten dialogischen Formaten in Bezug auf die<br />

politische Meinungsbildung der RezipientInnen beigemessen werden kann. Die Diskursqualität<br />

wird hierbei als entscheidendes Kriterium gewertet und in der vorliegenden Untersuchung<br />

anhand folgender Kategorien analysiert:<br />

Zunächst wurde untersucht wie inklusiv der Diskurs bezogen auf die vorkommenden AkteurInnen<br />

ist. D.h. ob der Zugang zum Diskurs für verschiedene Akteursgruppen entlang<br />

der Achse „Zentrum – Peripherie“ egalitär ist bzw. ob der Diskurs von einzelnen Personen<br />

und/<strong>oder</strong> Akteursgruppen dominiert wird.<br />

Damit einhergehend stellte sich die Frage, welche Rollen die vorkommenden AkteurInnen<br />

im Diskurs einnehmen, ob sie vermehrt als SprecherIn <strong>oder</strong> als HörerIn auftreten und zu<br />

welchem Masse sie zwischen diesen Rollen wechseln und damit den <strong>Dialog</strong> überhaupt erst<br />

herstellen. Von besonderem Interesse war hierbei auch die Frage nach der Medienleistung<br />

der M<strong>oder</strong>atorInnen bzw. nach der diskursregulierenden Fähigkeit der InternetnutzerInnen.<br />

Die Frage, wer im <strong>Dialog</strong> als SprecherIn auftritt, liess erste Rückschlüsse bezüglich der<br />

Frage zu, welche Argumente im Diskurs verstärkt debattiert werden. Die Inklusivität der<br />

Argumente wurde daran bemessen, wie stark sich die einzelnen Akteursgruppen an der<br />

Diskussion beteiligen und ob befürwortende und ablehnende Positionen gleichermassen im<br />

Diskurs berücksichtigt werden. Bezüglich der Kommunikationsinhalte wurde untersucht,<br />

auf welchen Ebenen die thematisierten Geltungsansprüche anzusiedeln sind, ob also vermehrt<br />

sachliche, normative <strong>oder</strong> subjektive Aussagen getätigt werden. In diesem Zusammenhang<br />

interessierte sowohl, ob die sachliche Auseinandersetzung einer Personalisierung<br />

der Debatte weichen muss, als auch inwiefern die lebensweltliche Perspektive Eingang in<br />

den Diskurs findet. Eine weitere Differenzierung der Inklusivität bezogen auf die vorkommenden<br />

Argumente wurde anhand einer vertieften Analyse der thematischen Auseinandersetzung<br />

vorgenommen.<br />

Von Bedeutung war weiter die Frage, inwiefern sich die AkteurInnen aufeinander beziehen,<br />

ob also tatsächlich ein Meinungsaustausch stattfindet <strong>oder</strong> vielmehr nur Meinungen<br />

postuliert werden.<br />

Eine weitere zentrale Dimension berührte die Frage, inwiefern die AkteurInnen ihre Geltungsansprüche<br />

begründen und somit gewährleisten, dass das Geäusserte rational nachvollziehbar<br />

wird. Der Begründung von Kritik kommt mit Blick auf die Diskursqualität im Besonderen<br />

zweierlei Bedeutung zu: Erstens werden Geltungsansprüche über die begründete<br />

Kritik auf deren Plausibilität hin geprüft. Zweitens lässt das begründete Kritisieren auf eine<br />

reflektierte Auseinandersetzung mit den Aussagen der Anderen schliessen. Das Verhältnis<br />

zur geäusserten unbegründeten Kritik gibt demgegenüber Auskunft über das allgemeinere<br />

Diskussionsklima.<br />

199


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Daran anschliessend stellte die Wahrung des (kommunikativen) Respekts eine weitere<br />

Analyseebene dar. Darunter subsumiert wurden sowohl Verletzungen der geltenden Diskursregeln<br />

in Form von (versuchten) Unterbrechungen als auch respektlose Angriffe auf<br />

die Integrität der am Diskurs beteiligten Personen.<br />

Der Begriff der Diskursqualität soll allerdings nicht dahingehen verstanden werden, dass<br />

die Kommunikation in dialogischen Formaten anhand genannter Kategorien eine<br />

homogene Beurteilung zuliesse. Vielmehr handelt es sich bei medial vermittelten<br />

politischen Diskussionen um ein komplexes Phänomen, weshalb eine Untersuchungrösse<br />

durchaus hohe Werte bezüglich der einen Dimension aufweisen kann, während bei einer<br />

anderen Dimension nur niedrige Werte erreicht werden (vgl. Steiner et al. 2004). Diese<br />

Vielschichtigkeit gilt es bei einer abschliessenden Betrachtung zu berücksichtigen.<br />

Die vorliegende Untersuchung wird neben der ohnehin mehrdimensionalen Analyse der<br />

Rationalitätsstruktur politischer Kommunikation zusätzlich dadurch komplex, dass sie auf<br />

drei Hauptebenen als komparative Studie angelegt wurde:<br />

Das Erkenntnisinteresse richtete sich erstens auf den intermediären Vergleich zwischen<br />

den traditionellen elektronischen Medien (Radio und Fernsehen) und den neuen elektronischen<br />

Medien (Online-Foren). Dabei galt es sowohl die Chancen des Mediums Internet<br />

bezüglich der Partizipation am Meinungsaustausch als auch mögliche Einschränkungen in<br />

der Art wie dieser Meinungsaustausch überhaupt erfolgt, näher zu beleuchten. Bei den traditionellen<br />

elektronischen Medien interessierte demgegenüber insbesondere die Medienleistung,<br />

wie sie durch die M<strong>oder</strong>ation erbracht wird. Hierbei wurde u.a. untersucht, in<br />

welchem Masse die Medien unterschiedliche AkteurInnen und Positionen präsentieren,<br />

Meinungen und Begründungen hinterfragen, zueinander in Beziehung setzen und so einen<br />

Beitrag für die individuelle Meinungs- und Willensbildung leisten. Anhand der aufgezeigten<br />

Kategorien konnte zudem ein direkter Vergleich zwischen der Diskurskultur in den<br />

klassischen Medien und im Internet angestellt werden, um allfällig unterschiedliche Qualitäten<br />

herauszuarbeiten.<br />

Die zweite Hauptebene berührt den Vergleich zwischen öffentlichen und privaten Anbietern<br />

innerhalb der klassischen Medien bzw. zwischen Online-Foren, die an traditionelle<br />

Medienverlagshäuser gekoppelt sind und solchen, die rein im Rahmen einer Online-<br />

Plattform (hier Google) betrieben werden. Hierbei stand die Überlegung im Vordergrund,<br />

dass sich die unterschiedliche Finanzierungsart bzw. die unterschiedliche Marktstellung<br />

auf die Struktur der dialogischen Formate und in diskursiver Hinsicht auf deren Inhalte<br />

auswirken.<br />

Auf einer dritten Hauptuntersuchungsebene wurde der sprachregionale Vergleich zwischen<br />

der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz angestrebt. Damit wird nicht nur der<br />

Besonderheit des dualen Rundfunksystems, sondern in Teilen auch der kulturellen Pluralität<br />

der Schweiz Rechnung getragen. Dies ist insbesondere aufgrund des konkreten Untersuchungsgegenstandes<br />

angezeigt, da die Unterschiedlichkeit zwischen den Landesteilen<br />

nicht zuletzt in der politischen Orientierung anhand von Abstimmungsentscheidungen<br />

festgemacht wird. Unabhängig von der Definition kultureller Unterschiede stellt sich die<br />

Frage, ob sich anhand des Untersuchungsdesigns signifikante Differenzen in der konkreten<br />

Ausgestaltung diskursiver Strukturen in der politischen Debatte bzw. in konkreten Argumentationsformen<br />

ausmachen lassen.<br />

Wenngleich nicht als Hauptdimension der Untersuchung definiert und folglich keiner systematischen<br />

Analyse unterzogen, wurde – sofern Auffälligkeiten erkennbar waren – auch<br />

ein Vergleich zwischen den Mediengattungen Radio und Fernsehen angestellt, um allfällige<br />

Besonderheiten von rein auditiven bzw. audio-visuellen Medien herauszuarbeiten. Gleiches<br />

gilt für die Unterscheidung zwischen den beiden <strong>Dialog</strong>formaten Debatte und Interview,<br />

die ebenfalls als mögliche Einflussgrösse berücksichtigt und punktuell eingehender<br />

analysiert wurde.<br />

200


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung entlang genannter Hauptunterscheidungsebenen<br />

zusammengefasst vorgestellt.<br />

9.1 Klassische Medien und Online-Foren<br />

Der Vergleich zwischen den traditionellen und den neuen elektronischen Medien verweist<br />

auf deutlich unterschiedliche Diskursstrukturen und -kulturen in den jeweiligen Mediengattungen.<br />

Der erste augenfällige Unterschied betrifft die Frage, wer in den Radio- und<br />

Fernsehsendungen bzw. in den Online-Foren überhaupt am Diskurs teilnimmt. In den klassischen<br />

Medien sind AkteurInnen aus dem gesamten Spektrum von Zentrum bis Peripherie<br />

vertreten: PolitikerInnen, VertreterInnen von Organisationen und Interessensverbänden<br />

sowie ExpertInnen und VerteterInnen der Medien treten ebenso in Erscheinung wie Einzelpersonen<br />

aus der Zivilgesellschaft. Die heterogene personelle Struktur verweist darauf,<br />

dass in der Diskussion potentiell stark divergierende Sichtweisen vertreten sind und – aus<br />

Sicht der RezipientInnen – die Meinungs- und Willensbildung auf einer breiten argumentativen<br />

Basis erfolgen kann. Faktisch können die verschiedenen Akteursgruppen ihre Meinungen<br />

jedoch keineswegs gleichberechtigt in den Diskurs einbringen. In den klassischen<br />

Medien wird die Rolle des Sprechens überwiegend von AkteurInnen des Zentrums bzw.<br />

von zentrumsnahen Organisationen und Verbänden eingenommen, während die Peripherie<br />

vornehmlich auf die Rolle des Zuhörens reduziert bleibt: Zivilgesellschaftliche AkteurInnen<br />

kommen selten und wenn, nur für kurze Zeit zu Wort. Insbesondere die AkteurInnen<br />

der Peripherie – „normale“ BürgerInnen – können ihre eigene Sichtweise kaum darlegen.<br />

Ihnen kommt vielmehr die Aufgabe zu, Fragen zu stellen, die zumindest potentiell die Perspektive<br />

der eigenen Lebenswelt stärker einbringen als dies bei den Fragen der M<strong>oder</strong>ation<br />

der Fall ist.<br />

Demgegenüber erfolgt der Meinungsaustausch im Internet nahezu ausschliesslich zwischen<br />

AkteurInnen der Peripherie. Insofern komplementieren die Online-Foren die übrige mediale<br />

Arena, indem die im Radio und Fernsehen unterrepräsentierten peripheren AkteurInnen<br />

in den Foren eine Öffentlichkeit herstellen, in der ihren Meinungen zentrale Aufmerksamkeit<br />

zukommt. Nichts desto trotz kann dabei aus verschiedenen Gründen lediglich von einer<br />

Teilöffentlichkeit die Rede sein: Erstens weist das Internet technische Zugangsbeschränkungen<br />

auf, zweitens nehmen Personen aus anderen Akteursgruppen am Diskurs<br />

nicht erkennbar teil und drittens bilden die engagierten NutzerInnen der verschiedenen<br />

Plattformen eingeschränkte Communities. Dies zeigt sich bspw. daran, dass Frauen – sofern<br />

das Geschlecht der Teilnehmenden überhaupt ermittelt werden kann – in den untersuchten<br />

Online-Foren nur vereinzelt am Diskurs teilnehmen. In den klassischen Medien<br />

sind Frauen zwar ebenfalls deutlich unterrepräsentiert, sogar deutlicher als bspw. im Nationalrat,<br />

sie sind aber um einiges stärker vertreten als in den Online-Foren. Während der<br />

Diskurs in den klassischen Medien also pauschal gesprochen von Vertretern des Zentrums<br />

und der M<strong>oder</strong>ation dominiert wird, sind in den Online-Foren die Vertreter der Peripherie<br />

bestimmend. Wie stark die Beteiligung einzelner Personen am <strong>Dialog</strong> ist, kann anhand<br />

weiterer Grössen festgemacht werden, die auf eine unterschiedliche Kommunikationsstruktur<br />

in den beiden Mediengattungen verweisen: Sowohl in den klassischen Medien als auch<br />

in den Online-Foren zeichnen sich einzelne Personen durch eine höhere kommunikative<br />

Präsenz aus als der Durchschnitt, wodurch die Kommunikation asymmetrisch verlaufen<br />

kann. In Radio und Fernsehen sind es neben den M<strong>oder</strong>atorInnen, die v.a. durch viele, eher<br />

kürzere Redebeiträge auffallen, insbesondere die BundesrätInnen, die sich gegenüber dem<br />

Durchschnittswert sowohl deutlich öfter als auch länger einbringen können als andere AkteurInnen.<br />

Die diskursive Dominanz einzelner DiskussionsteilnehmerInnen ist im direkten<br />

201


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

intermediären Vergleich ähnlich ausgeprägt. 184 Ein wesentlicher Unterschied besteht indes<br />

darin, dass sich im Internet eine grosse Anzahl an Personen nur punktuell in die Diskussion<br />

einschaltet. Die Zahl der so genannten One-Poster ist mit mehr als der Hälfte aller Teilnehmenden<br />

sehr hoch und deutlich höher als die einmaligen Wortmeldungen in den klassischen<br />

Medien. Während in letzterem Fall – abgesehen vielleicht von der Gesprächssituation<br />

Phone-In – davon ausgegangen werden kann, dass solche AkteurInnen zumindest die<br />

Rolle als HörerIn kontinuierlich wahrnehmen, ist dies bei den Online-Foren keineswegs<br />

gewährleistet. Ob es sich bei den One-Postern um so genannte Lurker handelt, also passive,<br />

im Sinne von nur lesende Teilnehmende <strong>oder</strong> ob sie sich einfach aus der Diskussion<br />

ausklinken/verabschieden, bedürfte einer weiterführenden Untersuchung. 185 Mit Blick auf<br />

die Diskursqualität stellt sich somit die Frage, ob bei den Online-Foren überhaupt von einer<br />

Diskussion gesprochen werden kann. Zwar ist es möglich, dass ein bereits vorgebrachtes<br />

Argument von verschiedenen UserInnen fortgeführt, verteidigt <strong>oder</strong> kritisiert wird. Mit<br />

Blick auf den politischen Meinungsbildungsprozesses ist dieser Umstand aber als problematisch<br />

zu bezeichnen, da die Diskussion wenig Kontinuität aufweist. Eine detailliertere<br />

Analyse könnte bezüglich der personellen Struktur in den Online-Foren weitere Ergebnisse<br />

zu Tage fördern<br />

Da es sich beim konkreten Untersuchungsgegenstand um dialogische Formate zu nationalen<br />

Abstimmungen handelt, stellte sich im intermediären Vergleich zudem die Frage, ob<br />

sich Unterschiede bezüglich der Inklusivität von befürwortenden und ablehnenden Positionen<br />

ausmachen lassen. Insbesondere interessierte, ob die Online-Foren nicht nur entlang<br />

der Achse „Zentrum – Peripherie“, sondern auch bei einer allfälligen Dominanz der einen<br />

Position in den klassischen Medien kompensierend wirken würden. Es hat sich gezeigt,<br />

dass die BefürworterInnen in den klassischen Medien tatsächlich etwas stärker repräsentiert<br />

sind als die GegnerInnen. Eine Ursache hierfür dürfte darin liegen, dass bezüglich der<br />

berücksichtigten Abstimmungen eine Vielzahl zentraler Akteursgruppen die Ja-Parole gefasst<br />

hatte, so bspw. der Bundesrat, economiesuisse und der Gewerkschaftsbund. Ein<br />

Merkmal des inklusiven Diskurses – die ausgewogene Berücksichtigung verschiedener<br />

Akteursgruppen ist folglich konfligierend mit einer ausgewogenen Berücksichtigung gegenteiliger<br />

Positionen. Anders als in einer ähnlich ausgerichteten Studie festgestellt wurde<br />

(Wenzler 2003), nehmen die Online-Foren insgesamt im vorliegenden Fall keine Ventil-<br />

Funktion ein; die BefürworterInnen sind – mit einer Ausnahme (s.u.) – auch hier leicht<br />

überrepräsentiert.<br />

Die differenzierte Untersuchung nach Positionen lässt überdies generellere Aussagen über<br />

die Art der geführten Diskussion zu: Sowohl in den klassischen Medien als auch in den<br />

Online-Foren tauschen sich vornehmlich Personen mit opponierenden Einstellungen zur<br />

Abstimmungsvorlage aus, in beiden Mediengattungen ist demnach die Pro-Contra-Debatte<br />

vorherrschend. Bei einer solchen Kommunikationsstruktur können die Meinungen als bereits<br />

stark gefestigt gelten, die Wahrscheinlichkeit, dass AkteurInnen ihre Meinung im<br />

Verlauf der Diskussion ändern, ist gering bis nicht existent. Der Anteil an Personen, deren<br />

Abstimmungsabsicht nicht ersichtlich ist, ist in den Online-Foren jedoch signifikant höher<br />

als in den dialogischen Radio- und Fernsehformaten. Mit Blick auf die Diskursqualität<br />

184 Ein Unterschied besteht freilich darin, dass es sich bei den Teilnehmenden in den Diskussionsplattformen<br />

des Internets durchwegs um nicht-etablierte AkteurInnen handelt.<br />

185 Stegbauer, Rausch (2001) stellen in einer Untersuchung von wissenschaftlichen Mailinglisten fest, dass<br />

die Lurker immer die Mehrheit der Teilnehmenden ausmachen. In den von ihnen untersuchten Mailinglisten<br />

betrug ihr Anteil zwischen 56% und 81%. Sie konnten aufzeigen, dass wenn Teilnehmende zu lange in der<br />

Position als Lurker verharren, die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt aktiv beteiligen,<br />

nur noch gering ist. Lurker in einem Forum zu sein, bedeutet allerdings nicht unbedingt, in anderen<br />

Foren dieselbe Position einzunehmen. Deshalb können sie aufgrund ihrer quantitativen Bedeutung innerhalb<br />

der Foren hinsichtlich der Übertragung von Inhalten in andere Kommunikationszusammenhänge bedeutsam<br />

sein, können potentiell also den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Foren gewährleisten.<br />

202


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

bringt dieses Ergebnis zwei Implikationen mit sich: Erstens ist die Wahrscheinlichkeit in<br />

einer solchen Kommunikationssituation höher, dass ein Prozess der politischen Meinungs-<br />

und Willensbildung, in dem der zwanglose Zwang des besseren Arguments überwiegt,<br />

tatsächlich stattfindet. Zweitens begünstigt eine solche Ausgangslage eine diskursive Auseinandersetzung,<br />

in der Argumentationen bzw. deren Plausibilität im Vordergrund stehen<br />

und weniger das Unterstützen <strong>oder</strong> Schwächen einer bestimmten Position. Diese Annahmen<br />

können insofern empirisch gestützt werden, als in den Online-Foren zwar in geringem<br />

Masse aber dennoch häufiger als in den klassischen Medien Kritik an Teilnehmenden mit<br />

der gleichen Einstellung zum Abstimmungsgegenstand geübt wird. Solches Gesprächsverhalten<br />

zielt auf die Infragestellung der Argumentation <strong>oder</strong> allenfalls der Person, nicht aber<br />

einzig und allein auf die Position zur Abstimmungsvorlage. Gleiches gilt für die kritische<br />

Auseinandersetzung zwischen Personen, deren Abstimmungsabsicht gar nicht bekannt ist.<br />

Die Akteursstruktur in den Online-Foren verweist diesbezüglich auf ein deliberatives Potential,<br />

das für die klassischen Medien nicht gegeben ist: Es ist nicht zu erwarten, dass in<br />

den Sendungen von Radio und Fernsehen vermehrt nicht-positionierte AkteurInnen zu<br />

Wort kommen.<br />

Auf der interaktiven Ebene stellt sich daran anschliessend die Frage, inwiefern die AkteurInnen<br />

den <strong>Dialog</strong> mit anderen überhaupt suchen und wie stark sie aufeinander eingehen.<br />

Diesbezüglich gilt es zunächst die strukturellen Unterschiede zwischen der Kommunikation<br />

in den klassischen Medien und den Online-Foren herauszustellen: Erstens ist die Dauer<br />

der Diskussion in Radio und Fernsehen durch die gegebene Programmstruktur stark eingeschränkt.<br />

Die Online-Foren nähern sich diesbezüglich der (hypothetischen) deliberativen<br />

Idealvorstellung, in der die Diskussion so lange fortgeführt wird, bis ein von allen Beteiligten<br />

getragener Konsens erreicht wird. In den Online-Foren können sich alle Teilnehmenden<br />

so oft und so lange zu Wort melden, wie es ihnen behagt. Die Foren werden in der<br />

Regel durch die Betreiber erst geschlossen, wenn die Beteiligung stark nachlässt. Zweitens<br />

entscheiden die UserInnen in den Online-Foren selber, wann sie sich in die Diskussion<br />

einschalten und, zumindest in den strukturierten Foren, an welche Aussage sie anschliessen<br />

möchten. Auch steht es ihnen jederzeit frei, andere Personen dazu aufzufordern, eine Replik<br />

zu verfassen. Das Rederecht ist in den klassischen Medien fundamental anders organisiert.<br />

Hier ist es in erster Linie die M<strong>oder</strong>ation, die die Gesprächsführung übernimmt und<br />

die Gesprächsteilnehmenden dazu anhält, zu gestellten Fragen <strong>oder</strong> Äusserungen Stellung<br />

zu nehmen. Insbesondere wenn mehrere Personen am Diskurs beteiligt sind, sieht die<br />

Funktion der M<strong>oder</strong>ation zudem vor, das Rederecht einzelner Personen zu beschneiden,<br />

um einerseits zu gewährleisten, dass andere Positionen <strong>oder</strong> Akteursgruppen ausgeglichen<br />

zu Wort kommen und andererseits, die vorgesehene Sendedauer einhalten zu können. Diese<br />

konstitutiven Unterschiede bilden den Hintergrund, vor dem die unterschiedlichen Ergebnisse<br />

bezüglich der Reziprozität des Diskurses gelesen werden müssen.<br />

In den klassischen Medien erhalten die Teilnehmenden das Wort in über der Hälfte aller<br />

Sprecherwechsel durch die M<strong>oder</strong>ation, die somit als Dreh- und Angelpunkt der Diskussion<br />

angesehen werden kann. Am zweithäufigsten schalten sich die Teilnehmenden ohne<br />

explizite Aufforderung in die Diskussion ein, indem sie etwa kurze Gesprächspausen nutzen,<br />

um in der Folge ihre Sichtweise einbringen. Dieses Gesprächsverhalten ist in den Debatten<br />

ausgeprägter als in Interviews, in denen klar ist, dass die M<strong>oder</strong>ation nach Beendigung<br />

des eigenen Gesprächsschritts das Wort wieder an den/die Teilnehmende übergibt.<br />

Ein sehr viel grösseres Gewicht nimmt die eigeninitiative Beteiligung am Diskurs jedoch<br />

in den Online-Foren ein, was aufgrund genannter Kommunikationsstrukturen nicht erstaunt.<br />

Für den intermediären Vergleich sind daher insbesondere jene Sprecherwechsel von<br />

Bedeutung, in denen sich die Teilnehmenden gegenseitig dazu auffordern, einen Beitrag an<br />

die Diskussion zu leisten und damit den Meinungsaustausch aktiv fördern. Dies ist in den<br />

Online-Foren umso dringender angezeigt, als hier keine Gesprächsleitung vorbestimmt ist.<br />

203


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Tatsächlich ergreifen die NutzerInnen im Internet das Wort rund dreimal öfter im Anschluss<br />

an eine Auforderung durch andere Teilnehmende als dies in den klassischen Medien<br />

der Fall ist. Dieser Unterschied gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn man bedenkt,<br />

dass aus Sicht geltender Diskursnormen in den Online-Foren – anders als in der face-toface<br />

Kommunikationssituation – keine Notwendigkeit besteht, auf eine solche Aufforderung<br />

einzugehen. 186 Schliesslich kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass<br />

die AkteurInnen die Rolle als HörerIn kontinuierlich einnehmen, nachdem sie sich als<br />

SprecherIn betätigt haben – die hohe Zahl an One-Postern verdeutlicht dies. 187 In beiden<br />

Mediengattungen ist der Anteil derer, die sich gegenseitig auffordern eine Meinung abzugeben<br />

im Vergleich zur eigeninitiativen Meinungsäusserung – bzw. in den klassischen<br />

Medien auf Aufforderung seitens der M<strong>oder</strong>ation – letztlich jedoch relativ gering. Die<br />

Teilnehmenden in den Online-Foren vermögen die Rolle der M<strong>oder</strong>ation in Radio- und<br />

Fernsehen folglich nur beschränkt zu kompensieren. Aufgrund dieser Ergebnisse kann der<br />

Diskurs in den beiden Mediengattungen wie folgt charakterisiert werden: Die Teilnehmenden<br />

in den klassischen Medien halten vornehmlich die Frage-Antwort-Struktur aufrecht<br />

und stellen ihre Meinung derjenigen Anderer gegenüber ohne jedoch den direkten Austausch<br />

mit ihnen zu suchen, um bspw. einen Punkt vertieft auszudiskutieren. Auch in den<br />

Online-Foren forcieren die UserInnen eine vertiefende Auseinandersetzung mit Anderen<br />

kaum. In beiden Mediengattungen scheint es demnach vornehmlich darum zu gehen, die<br />

eigene Meinung kundzutun.<br />

Dieser Befund bestätigt sich, wenn man zusätzlich in Betracht zieht, inwiefern sich die<br />

Teilnehmenden in ihren Aussagen auf das bereits Gesagte/Geschriebene beziehen. Diese<br />

Möglichkeit ist unabhängig davon, ob durch Andere dazu aufgefordert wurde <strong>oder</strong> nicht,<br />

bei jeder Gesprächsbeteiligung gegeben. 188 Eine Diskussion erwirbt ihren deliberativen<br />

Charakter u.a. dadurch, dass die Gesprächsbeteiligten auf die Argumente des Gegenübers<br />

eingehen und sich (reflektiert) damit auseinandersetzen. Denn so wird gewährleistet, dass<br />

die RezipientInnen die Positionen der AkteurInnen im Diskursfeld situieren können. Eine<br />

„oberflächliche“, d.h. sprachlich <strong>oder</strong> rein thematisch ausgerichtete Bezugnahme wird in<br />

beiden Mediengattungen in der Mehrheit aller Redebeiträge bzw. Posts hergestellt. Diese<br />

gewährleistet die Anschlussfähigkeit neuer Aussagen und stellt gewissermassen die Kontinuität<br />

des Diskurses her. In rund einem Fünftel wird gar ganz auf eine Bezugnahme verzichtet.<br />

Dies ist oftmals der Fall, wenn eine neue Themensetzung vorgenommen wird – im<br />

Internet durch die UserInnen, in Radio und Fernsehen meist durch die M<strong>oder</strong>ation – <strong>oder</strong><br />

wenn die M<strong>oder</strong>atorInnen neue GesprächsteilnehmerInnen in den Diskurs integrieren. Eine<br />

wechselseitige Auseinandersetzung auf der argumentativen Ebene erfolgt indes in beiden<br />

Mediengattungen lediglich in rund einem Fünftel aller Beiträge, ein eigentlicher Meinungsaustausch<br />

erfolgt also eher selten. Dieses Ergebnis lässt zweierlei Folgerungen zu:<br />

Erstens vermag die M<strong>oder</strong>ation in den klassischen Medien den Diskurs nicht dahingehend<br />

zu beeinflussen, dass neben der Präsentation verschiedener Meinung eine vertiefte Auseinandersetzung<br />

mit denselben stattfindet, obschon sie selber etwas mehr argumentative Bezugnahmen<br />

herstellt als die Teilnehmenden. Zweitens wirkt sich die Schriftlichkeit der<br />

Mediengattung Internet nicht erkennbar positiv auf die Diskursqualität aus. Immerhin steht<br />

den Teilnehmenden soviel Zeit zur Verfügung wie benötigt, um die Äusserungen Anderer<br />

zu reflektieren und ebenso reflektiert zu diesen Stellung zu nehmen. Sprachgebrauch und<br />

mangelnde Reziprozität verweisen jedoch darauf, dass hier wie in den dialogischen Formaten<br />

von Radio und Fernsehen die „spontane“ Sprache vorherrschend ist. Angesichts der<br />

186 Zur impliziten Akzeptanz und Perpetuierung geltender Diskursregeln in der face-to-face-Interaktion vgl.<br />

auch Goffmans Konzept des „face“ (Goffman 1967).<br />

187 Darüber hinaus läuft der „kommunikative Druck“, der durch Fragen, Aufforderungen, Befehlen usw.<br />

ausgeübt wird (vgl. Clayman 2001) in Online Foren ins Leere, weil kaum Sanktionsmöglichkeiten gegenüber<br />

nicht fixierten – eben „virtuellen“ – Identitäten bestehen.<br />

188 Abgesehen vom jeweils allerersten Gesprächsbeitrag.<br />

204


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

unterschiedlichen Kommunikationssituationen vermögen die UserInnen in den Online-<br />

Foren das diskursive Potential nicht zu nutzen. Auch mangelt es dem Diskurs an Kontinuität,<br />

der Fluss der Posts zwischen den UserInnen ist nicht ausgeglichen: Unabhängig von<br />

der Qualität der Bezugnahme konnte festgestellt werden, dass auf einige Beiträge gar kein<br />

Bezug genommen wird, auf andere dagegen überdurchschnittlich oft. Die Interaktion entspricht<br />

zumeist einem many-to-one-flow, während in den klassischen Medien das Spiel der<br />

Rede und Gegenrede letztlich etwas intensiver geführt wird. Die durchschnittliche Anzahl<br />

Bezugnahmen auf eine Person liegt im Internet rund dreimal tiefer als im Radio und Fernsehen.<br />

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die öffentliche Kommunikation in Radio<br />

und Fernsehen und im Internet nur in begrenztem Masse eine Kommunikation zwischen<br />

den Sprechenden darstellt.<br />

Auf der Ebene der Kommunikationsinhalte liefert das Mass an kritischer Auseinandersetzung<br />

mit den Aussagen Anderer einen weiteren Anhaltspunkt für die Diskurskultur und -<br />

qualität in den jeweiligen Mediengattungen. Begründete Kritik verweist auf eine reflektierte<br />

Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, kann aber auf die Diskursqualität nur förderlich<br />

wirken, wenn sie nicht von einer Vielzahl Äusserungen überlagert wird, die einen<br />

konstruktiven Meinungsaustausch vereiteln, indem weniger die Plausibilität von Argumenten<br />

im Vordergrund steht, sondern vielmehr der Angriff auf die Integrität anderer GesprächsteilnehmerInnen.<br />

Waren die Ergebnisse bezüglich der Reziprozität des Diskurses –<br />

insbesondere auch mit Blick auf die argumentative Bezugnahme – im intermediären Vergleich<br />

einigermassen ausgeglichen, so verschieben sie sich hinsichtlich eben genannter<br />

Kriterien zugunsten der klassischen Medien. Insgesamt nehmen die Teilnehmenden zwar<br />

in beiden Mediengattungen eine ähnlich kritische Haltung ein, zumindest wenn die M<strong>oder</strong>ation<br />

ausgeklammert wird, da diese nicht ihre persönliche Meinung vertritt und andere<br />

AkteurInnen kaum kritisiert. Die GesprächsteilnehmerInnen in Radio und Fernsehen begründen<br />

ihre Kritik jedoch häufiger als jene in den Online-Foren. Durch die begründete<br />

Kritik werden die Argumente auf ihre Plausibilität hin geprüft, wobei die zugrunde liegenden<br />

Gedanken von den RezipientInnen nachvollzogen werden können. Ausserdem wird in<br />

den traditionellen elektronischen Medien weniger unbegründete Kritik geäussert als im<br />

Internet, das Gesprächsklima ist somit konstruktiver <strong>oder</strong> zumindest höflicher. Denn Andere<br />

zu kritisieren ohne dabei Gründe zu nennen, dient in erster Linie dazu, die Aussagen<br />

anderer Personen herabzusetzen, ein darüber hinausgehender Erkenntnisgewinn wird nicht<br />

erzielt. Für die politische Meinungs- und Willensbildung ist es zudem förderlich, auch jene<br />

Geltungsansprüche zu begründen, die nicht auf eine Kritik abzielen, sondern in denen<br />

vielmehr die eigene Position dargelegt wird. Auch hier kommt die Untersuchung zum<br />

Schluss, dass in Radio und Fernsehen mehr argumentiert und weniger behauptet wird als in<br />

den Online-Foren. Das für das Internet negativere Ergebnis kann insofern gemildert werden,<br />

als die UserInnen zumindest teilweise Aufgaben der Gesprächsführung übernehmen<br />

und somit Gesprächsschritte vollziehen, die nicht unbedingt einer Begründung bedürfen –<br />

dies gilt allerdings nur, wenn unbegründete Geltungsansprüche erhoben werden und nicht,<br />

wenn andere kritisiert werden. In den Online-Foren werden insgesamt mehr als die Hälfte<br />

aller Geltungsansprüche nicht begründet. Auf dieser Grundlage zu einer Präferenzordnung<br />

der Positionen zu gelangen, dürfte für die RezipientInnen nicht gerade einfach sein.<br />

Bezüglich der Frage, wie die Teilnehmenden in den beiden Mediengattungen kommunizieren,<br />

stellt sich also des Weiteren die Frage, wie respektvoll die Interaktion verläuft. Die<br />

Ergebnisse verweisen diesbezüglich auf eine höhere Diskursqualität bei den klassischen<br />

Medien: In rund einem Sechstel aller Geltungsansprüche werden in den Online-Foren despektierliche<br />

Äusserungen getätigt. Die Teilnehmenden im Internet äussern sich damit<br />

knapp dreimal häufiger beleidigend als die AkteurInnen in Radio und Fernsehen. Dies<br />

dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass UserInnen ihre Identität in den Online-Foren<br />

äusserst selten zu erkennen geben. Des Weiteren handelt es sich hier um periphere<br />

AkteurInnen, die lediglich in ihrem eigenen – meist nicht bekannten – Namen han-<br />

205


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

deln und deren kommunikatives Verhalten somit nicht auf eine bestimmte Behörde, Organisation<br />

<strong>oder</strong> Interessensgemeinschaft zurückfallen könnte. 189 Demgegenüber gilt es bei<br />

den klassischen Medien zu beachten, dass hier auch andere Formen des respektverletzenden<br />

Verhaltens zum Zuge kommen können. So eröffnet das direkte mündliche Gespräch<br />

die Möglichkeit, andere zu unterbrechen und ihnen damit das Rederecht abzuerkennen<br />

<strong>oder</strong> zumindest streitig zu machen. In rund einem Viertel aller Sprecherwechsel ergreifen<br />

die Teilnehmenden das Wort, indem sie es jemand anderem abschneiden. In einem weiteren<br />

Viertel wird zumindest ein solcher Versuch gestartet bzw. der/die aktuell Sprechende<br />

wird mittels Dazwischenreden gestört.<br />

Eine weitere Einschränkung der Diskursqualität ergibt sich für die Online-Foren über den<br />

Umstand, dass ein wesentlicher Teil der Auseinandersetzung gar nicht auf das zur Diskussion<br />

stehende Thema ausgerichtet ist. Solche Äusserungen wurden bei der Untersuchung<br />

verschiedener Kategorien ausser Acht gelassen, da sie für die politische Meinungs- und<br />

Willensbildung schlicht keine Relevanz aufweisen. Sie sind für die Diskursqualität insofern<br />

zusätzlich abträglich, als die in den Online-Foren ohnehin mangelnde Kontinuität des<br />

Diskurses durch derlei Exkurse weiter unterminiert wird. Die Diskussionen in den klassischen<br />

Medien sind von diesem Problem kaum betroffen, sei es, weil die M<strong>oder</strong>ation hier<br />

die Fokussierung auf das Thema durch eine entsprechende Kommentierung gewährleistet,<br />

sei es, weil die debattiergewohnten AkteurInnen dem Anspruch auf Themenrelevanz von<br />

sich aus genügen.<br />

Nach der Frage des Wie, stellt sich somit die Frage, worüber sich die DiskursteilnehmerInnen<br />

austauschen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass der themenrelevante Diskurs in beiden<br />

Mediengattungen mehrheitlich auf der sachlichen Ebene verläuft. Insbesondere normative<br />

Äusserungen wurden generell kaum vorgebracht und sind für den intermediären Vergleich<br />

daher wenig aussagekräftig. Demgegenüber wurde erwartet, dass die subjektive<br />

Ebene bei den Online-Foren eine grössere Rolle spielen würde als in den klassischen Medien,<br />

da die peripheren AkteurInnen potentiell eher aus einer lebensweltlichen Perspektive<br />

argumentieren. Das Individuum nimmt im Diskurs der Online-Foren tatsächlich einen höheren<br />

Stellenwert ein, allerdings dergestalt, dass der Diskurs v.a. stärker personalisiert<br />

wird. In den Online-Foren dreht sich die Diskussion rund dreimal mehr als in den klassischen<br />

Medien um Personenfragen, bei denen die Sachargumente nachrangig sind. Nicht<br />

selten werden die Äusserungen dabei beleidigend. Die Lebenswelt der AkteurInnen, die<br />

Begründung der thematisierten Geltungsansprüche aufgrund der eigenen Erfahrung <strong>oder</strong><br />

des persönlichen Umfelds, nimmt in beiden Mediengattungen in etwa ein ähnliches Gewicht<br />

ein. Gemessen an diesen Kriterien unterscheidet sich die Inklusivität der Argumente<br />

also kaum. Hingegen weisen die Online-Foren eine grössere thematische Vielfalt auf als<br />

die Diskussionen in Radio und Fernsehen. In Letzteren werden vornehmlich die Hauptargumentationslinien<br />

diskutiert, wie sie den Abstimmungsunterlagen entnommen werden<br />

können. Themen, die von diesem Katalog abweichen, werden in den Online-Foren gut<br />

dreimal öfter diskutiert. Innerhalb des genannten Themenkatalogs erfolgt die Schwerpunktsetzung<br />

indes überaus ähnlich. Auch in dieser Hinsicht kann demnach gefolgert werden,<br />

dass die Online-Foren keine Ventil-Funktion einnehmen, sondern eher ergänzend wirken,<br />

indem hier weitere Themen zur Sprache kommen, die in Radio und Fernsehen nicht<br />

gleichermassen diskutiert werden.<br />

Fasst man die Ergebnisse des intermediären Vergleichs für die Hauptanalysekategorien<br />

zusammen, kann Folgendes festgehalten werden: Die klassischen Medien sind bezogen auf<br />

189 Die Betreiber der Online-Foren stellen zwar bei regelwidrigem Verhalten, worunter teilweise auch respektverletzende<br />

Äusserungen gezählt werden, eine Sanktionierung in Aussicht. Faktisch konnte eine Überprüfung<br />

des Geschriebenen durch die Forenanbieter jedoch nur in Ausnahmefällen festgestellt werden.<br />

206


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

die vorkommenden AkteurInnen insofern inklusiver, als das mögliche Akteursspektrum<br />

ausgewogener abgebildet wird. Die Online-Foren sind indes inklusiver was die peripheren<br />

AkteurInnen angeht, die hier den <strong>Dialog</strong> ausschliesslich unter sich herstellen. Theoriegebunden<br />

entsprechen die Online-Foren somit eher dem Ideal des herrschaftsfreien Diskurses.<br />

Insgesamt tauschen sich hier deutlich mehr AkteurInnen aus als dies in den Sendungen<br />

von Radio und Fernsehen der Fall ist – es werden also potentiell mehr Meinungen vorgestellt.<br />

Dies wird indes dadurch erkauft, dass Online-Debatten insgesamt fragmentarischer<br />

sind, was Reziprozität und Reflexivität anbelangt. Zudem wird die Online-Diskussion stärker<br />

personalisiert, weniger rational geführt und die Themenrelevanz ist defizitär. Dem enger<br />

geführten Diskurs in Radio und Fernsehen steht sozusagen das virtuelle Patchwork an<br />

Meinungen und Gesprächsfetzen im Internet gegenüber. Ein deliberatives Potential der<br />

Online-Foren besteht indes darin, dass hier das Primat nicht a priori auf der Auseinandersetzung<br />

mit vorgefassten Positionen liegt, sondern – zumindest potentiell – eine unvoreingenommene<br />

Diskussion über Argumente geführt wird. Zudem weisen die Online-Foren<br />

eine breitere thematische Auseinandersetzung mit dem Diskussionsgegenstand auf. Deutliche<br />

qualitative Unterschiede innerhalb verschiedener Foren (s.u.) legen jedoch eine differenziertere<br />

Beurteilung nahe.<br />

Nachdem die Bedeutung der untersuchten Grössen hinsichtlich der Diskursqualität im<br />

Vergleich zwischen den traditionellen und neuen elektronischen Medien bereits erläutert<br />

wurde, können die Ergebnisse für die nachfolgenden Vergleichsebenen etwas knapper<br />

wiedergegeben werden. Die für die jeweilige Mediengattung herausgestellten Besonderheiten<br />

hinsichtlich der die Kommunikationssituation und -struktur gilt es dabei gedanklich<br />

miteinzubeziehen. Im Folgenden wird auf verschiedene Vergleichsebenen innerhalb der<br />

klassischen Medien eingegangen, der Fokus richtet sich dabei zuerst auf den Vergleich<br />

zwischen verschiedenen <strong>Dialog</strong>formaten.<br />

9.2 Klassische Medien<br />

9.2.1 Debatten und Interviews<br />

Das <strong>Dialog</strong>format der jeweiligen Sendungen stellt bezogen auf einige der untersuchten<br />

Analysekategorien einen wesentlichen Einflussfaktor dar. Bevor daher auf die weiteren<br />

Hauptvergleichsebenen eingegangen wird, sollen an dieser Stelle kurz die wesentlichen<br />

Merkmale von Interviews und Debatten mit Blick auf die Diskursqualität vorgestellt werden.<br />

In der vorliegenden Untersuchung wurde das Interview als Gespräch zwischen der M<strong>oder</strong>ation<br />

und einer/m TeilnehmerIn definiert. In ihrer grundsätzlichen Charakterisierung<br />

zeichnet sich das Interview als <strong>Dialog</strong>format dadurch aus, dass ein/e TeilnehmerIn die Gelegenheit<br />

erhält, ihre Meinung zur Abstimmungsvorlage <strong>oder</strong> einzelner damit verbundener<br />

Aspekte darzulegen. In solchen <strong>Dialog</strong>en werden andere Meinungen allenfalls durch die<br />

M<strong>oder</strong>ation in den Diskurs getragen, die eigentlichen MeinungsträgerInnen sind jedoch<br />

nicht zugegen. Ebenso wird die Plausibilität der Argumentation einzig durch die M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

geprüft. Demgegenüber zeichnen sich Debatten dadurch aus, dass verschiedene<br />

MeinungsträgerInnen zu Wort kommen wollen und sollen. Die Auseinandersetzung mit<br />

verschiedenen Argumenten erfolgt hier, zumindest potentiell, direkt zwischen den Teilnehmenden,<br />

die andere Argumentationen hinterfragen und ihre eigenen verteidigen können.<br />

Hinsichtlich der Inklusivität der AkteurInnen ist das für eine jeweilige Sendung gewählte<br />

<strong>Dialog</strong>format bestimmend: Entweder ist neben der M<strong>oder</strong>ation nur eine weitere Person am<br />

Diskurs beteiligt <strong>oder</strong> aber die Akteursstruktur ist breiter angelegt, wobei potentiell ver-<br />

207


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

schiedene Positionen als auch Akteursgruppen den <strong>Dialog</strong> untereinander und mit der M<strong>oder</strong>ation<br />

bestreiten.<br />

Diese grundsätzlich unterschiedliche Konstellation der Sprechenden hat Auswirkungen auf<br />

die Gesprächsorganisation und darauf, wie der Diskurs geführt wird. Die Abfolge der Redebeiträge<br />

ist in Interviews strukturierter als in Debatten, in denen sich mehrere Personen<br />

gegenüberstehen, die alle zu Wort kommen möchten. In Interviews ist der Sprecherwechsel<br />

durch die besondere Form des Gesprächs leichter vorhersehbar als in Debatten, in denen<br />

nicht immer feststeht, wer als nächstes das Wort ergreifen wird. Erwartungsgemäss ist<br />

die Rolle der M<strong>oder</strong>ation als Gesprächsleiterin in den Interviews ausgeprägter als in den<br />

Debatten. In Ersteren erfolgt die Worterteilung durch die M<strong>oder</strong>ation in gut der Hälfte aller<br />

Sprecherwechsel, in Letzteren wird das Gespräch noch deutlicher m<strong>oder</strong>iert, zu vier Fünfteln<br />

reagieren die Teilnehmenden hier in ihren Gesprächsschritten auf die M<strong>oder</strong>atorIn.<br />

Diesbezüglich schliesst die Frage an, ob sich die Teilnehmenden in den Interviews auch<br />

stärker auf die Äusserungen der GesprächspartnerInnen – in diesem Fall der M<strong>oder</strong>ation –<br />

beziehen. Tatsächlich nehmen die Teilnehmenden in Interviews, zumindest oberflächlich,<br />

etwas häufiger Bezug auf die M<strong>oder</strong>ation als das bei den Teilnehmenden in Debatten in<br />

Bezug auf alle AkteurInnen der Fall ist. Der Unterschied ist jedoch eher gering. Die M<strong>oder</strong>ation<br />

legt in beiden <strong>Dialog</strong>formaten ein ähnliches Gesprächsverhalten an den Tag, in den<br />

Interviews äussern die M<strong>oder</strong>atorInnen minimal mehr Redebeiträge, in denen überhaupt<br />

keine Bezugnahme erfolgt. Dies erstaunt insofern nicht, als in den tendenziell kürzeren und<br />

eng m<strong>oder</strong>ierten Interviewsendungen in der Regel ebenfalls verschiedene Aspekte eines<br />

Themas diskutiert werden, wobei eine Bezugnahme bei neuen Themensetzungen oftmals<br />

fehlt. Mit Blick auf die argumentative Bezugnahme, die für die Diskursqualität bestimmender<br />

ist, lassen sich bei der M<strong>oder</strong>ation zwischen den beiden <strong>Dialog</strong>formaten ebenfalls<br />

keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Hingegen erfolgt eine tatsächliche Auseinandersetzung<br />

mit den Äusserungen Anderer durch die Teilnehmenden in den Debatten<br />

häufiger als in den Interviews. In der Tendenz greifen die Teilnehmenden in den Interviews<br />

die Aussagen der M<strong>oder</strong>ation auf der sprachlichen <strong>oder</strong> thematischen Ebene auf, um<br />

dann ihre Meinung vorzubringen ohne auf das Gesagte näher einzugehen. Die Unterschiede<br />

sind jedoch nicht besonders ausgeprägt. Das kommunikative Verhalten der Teilnehmenden<br />

weist auch in weiteren Aspekten darauf hin, dass ihnen im Interview viel Gelegenheit<br />

geboten wird, ihre Position darzulegen. Die Notwendigkeit, diese zu verteidigen,<br />

ist hingegen weniger gegeben, denn nur in einem Fünftel aller Geltungsansprüche wird<br />

Kritik geäussert. Wird Kritik geäussert, so ist diese mehrheitlich begründet. In den Debatten<br />

ist der Anteil an Kritik erwartungsgemäss höher und liegt in den untersuchten Sendungen<br />

für die Teilnehmenden bei knapp der Hälfte aller Geltungsansprüche. Dabei wird prozentual<br />

mehr unbegründete als begründete Kritik geäussert. Bezogen auf die Diskursqualität<br />

lassen die Ergebnisse punkto Begründung folgende Schlüsse zu: In Interviews begründen<br />

die AkteurInnen ihre Ansichten und Positionen in hohem Masse, eine kritisch reflektierte<br />

Auseinandersetzung mit dem Gesagten erfolgt indes kaum. In den Debatten werden<br />

die Äusserungen auf einen härteren Prüfstand gestellt, allerdings ist das Diskursklima insgesamt<br />

nicht besonders konstruktiv, da sowohl die eigenen Aussagen als auch die Kritik in<br />

einer leichten Mehrheit nicht begründet wird.<br />

Erwartungsgemäss ist der respektvolle Umgang miteinander in den Interviews ausgeprägter<br />

als in den Debatten. Da das Rederecht nicht gleichermassen kontestiert wird, werden<br />

die Sprechenden hier deutlich weniger oft unterbrochen als in Debatten, auch wird weniger<br />

oft (erfolglos) versucht, das Rederecht vorzeitig zu übernehmen. Die Notwendigkeit, auf<br />

mangelnden kommunikativen Respekt hinzuweisen ist entsprechend niedriger: Im Gegensatz<br />

zu den Debatten findet in Interviews keine Metakommunikation bezüglich dieses Aspekts<br />

statt. Entsprechend dazu werden in Debatten viermal häufiger despektierliche Äusserungen<br />

getätigt als in den Interviews. Nichts desto trotz ist in beiden <strong>Dialog</strong>formaten die<br />

208


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

sachliche Auseinandersetzung vorherrschend. Die subjektive Ebene findet in den Debatten<br />

etwas mehr Berücksichtigung und kommt hier v.a. in einem stärker personalisierten Diskurs<br />

zum Ausdruck. Die höhere Inklusivität der Argumente ist bei den Debatten primär<br />

dadurch gegeben, dass mehrere AkteurInnen am Diskurs teilhaben. Von der thematischen<br />

Ausrichtung her unterscheiden sich die <strong>Dialog</strong>formate bei der ersten Abstimmung kaum,<br />

bezogen auf die Abstimmung über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit finden sich<br />

dagegen deutlich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. In Debatten kommen insgesamt<br />

etwas mehr Themen zur Sprache, die nicht dem Themenkatalog der Abstimmungsunterlagen<br />

entsprechen.<br />

Für die Bestimmung des deliberativen Potentials kann die unterschiedliche Diskursqualität<br />

von Debatten und Interviews wie folgt zusammengefasst werden. Interviews zeichnen sich<br />

dadurch aus, dass ein respektvolles Diskussionsklima herrscht, in dem die sachliche Auseinandersetzung<br />

im Vordergrund steht. Einzelne AkteurInnen erhalten die Gelegenheit ihre<br />

Position vorzustellen und begründen ihre Meinung in vielen Fällen. Allerdings wird die<br />

Argumentation in Interviews kaum auf ihre Plausibilität hin geprüft. Im direkten Vergleich<br />

schneiden die Debatten in diesem Punkt besser ab. Aus Sicht der RezipientInnen und mit<br />

Blick auf die Meinungs- und Willensbildung besteht ein Vorteil der Debatten darin, dass<br />

mehrere Positionen zur Diskussion stehen und sich die Diskussion somit eher auf die Präferenzordnung<br />

der RezipientInnen auswirkt. Allerdings büsst der Diskurs der Debatten<br />

durch ein höheres Mass an Personalisierung sowie durch die weniger respektvolle Interaktion<br />

als in Interviews an Qualität ein.<br />

9.2.2 Öffentliche und private Anbieter<br />

Überraschenderweise wird das dialogische Format in den Sendungen der öffentlichen Anbieter<br />

generell stärker berücksichtigt. Obschon mehr private als öffentliche Radio- und<br />

Fernsehsender in der Stichprobe berücksichtigt wurden, stammt doch ein Grossteil aller<br />

hier analysierten dialogischen Formate von öffentlichen Anbietern. Dies überrascht insofern,<br />

als das dialogische Format mit Blick auf die Produktionskosten eine attraktive Form<br />

der Sendungsgestaltung darstellt und die privaten Anbieter stärkeren ökonomischen Zwängen<br />

unterliegen. Inwiefern dieses Ergebnis allerdings durch andere marktorientierte Erwägungen<br />

begründet ist (bspw. Zuschauerzahlen) kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.<br />

Bezüglich der Präferenz unterschiedlicher <strong>Dialog</strong>formate kann festgestellt werden, dass<br />

sich das Interview bei den öffentlichen Anbietern einer deutlich grösseren Beliebtheit erfreut<br />

als bei den privaten. In den untersuchten Sendungen wurden bei Letzteren kaum je<br />

Interviews ausgestrahlt (2 von 18 Sendungen gegenüber 22 von 39 bei den öffentlichen).<br />

Das <strong>Dialog</strong>format hat dennoch lediglich bedingt einen Einfluss auf die Ergebnisse der jeweiligen<br />

Anbieter. Bezogen auf die zentralen Untersuchungseinheiten ist das Gewicht der<br />

Debatten bei beiden Anbietern deutlich bestimmend, bei den privaten noch etwas ausgeprägter<br />

als bei den öffentlichen.<br />

Bezogen auf die Frage, wie inklusiv der Diskurs bei den jeweiligen Anbietern ist, kann<br />

zunächst festgestellt werden, dass sich an den Sendungen der öffentlichen Anbieter durchschnittlich<br />

mehr Personen beteiligen als bei den privaten. Somit werden rein quantitativ<br />

mehr unterschiedliche Meinungen präsentiert, anhand derer sich die RezipientInnen ein<br />

Bild vom Diskussionsgegenstand machen können. Der Diskurs bezogen auf die vorkommenden<br />

AkteurInnen ist bei den öffentlichen Anbietern auch mit Blick auf die Achse Zentrum<br />

– Peripherie inklusiver. Zum einen treten die peripheren AkteurInnen hier personell<br />

rund doppelt so oft in Erscheinung als bei den privaten Anbietern. Dieses Ergebnis lässt<br />

sich damit erklären, dass die Sendungen der öffentlichen Anbieter öfters das Konzept des<br />

Phone-In integrieren. Zum anderen werden aber auch VertreterInnen von zentrums- und<br />

insbesondere auch peripherienahen Verbänden stärker am Diskurs beteiligt als bei den privaten<br />

Anbietern. Bei Letzteren wird die Diskussion zu einem guten Teil von JournalistIn-<br />

209


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

nen und VertreterInnen des Zentrums bestritten. VertreterInnen der Regierung nehmen als<br />

GesprächspartnerInnen in den Sendungen beider Anbieter teil, bei den öffentlichen etwas<br />

häufiger. Was die jeweiligen Anteile an getätigten Redebeiträgen sowie die zur Verfügung<br />

stehende Redezeit angeht, verschiebt sich die Dominanz – stärker noch als bei der personellen<br />

Zusammensetzung – bei beiden Anbietern in Richtung Zentrum. Allerdings gilt<br />

auch diesbezüglich, dass der Diskurs bei den öffentlichen Anbietern, wenn auch nicht egalitär,<br />

so zumindest ausgeglichener ist. 190<br />

Bezüglich der M<strong>oder</strong>ation – in ihrer Funktion als Gesprächsleiterin – kann konstatiert werden,<br />

dass diese Aufgabe bei den öffentlichen Anbietern intensiver wahrgenommen wird,<br />

was mit dem leicht grösseren Einfluss des <strong>Dialog</strong>formats „Interview“ erklärt werden kann.<br />

Ansonsten sind mit Blick auf die Frage, wie der Sprecherwechsel erfolgt, keine Auffälligkeiten<br />

feststellbar. Gleiches gilt mit Blick auf die Reziprozität. Teilnehmende und M<strong>oder</strong>atorInnen<br />

beziehen sich weder oberflächlich noch argumentativ bei dem einen <strong>oder</strong> anderen<br />

Anbieter nennenswert stärker auf andere Gesprächsteilnehmende. Hierbei stellt sich wiederum<br />

die Frage, inwiefern der Diskurs eine reflektierte Auseinandersetzung darstellt. Die<br />

Diskussionen bei den öffentlichen Anbietern sind insgesamt leicht stärker auf Kritik ausgerichtet<br />

als dies bei den privaten der Fall ist, die geäusserte Kritik wird auch etwas öfter<br />

begründet. Demgegenüber werden Aussagen, die nicht auf Kritik ausgerichtet sind, bei den<br />

Privaten etwas häufiger begründet. In der Tendenz erhalten die Teilnehmenden bei Letzteren<br />

geringfügig mehr Gelegenheit, ihre Positionen und Ansichten in den Raum zu stellen,<br />

ohne dass diese in der Folge hinterfragt werden. Bezüglich des Diskursklimas lassen sich<br />

zwar unterschiedliche Ausprägungen feststellen, für eine eindeutige Bewertung der Diskursqualität<br />

sind diese jedoch nicht prägnant genug: Die Sendungen beider Anbieter zeichnen<br />

sich nicht gerade dadurch aus, dass höflich gewartet würde, bis ein/e SprecherIn seine/ihre<br />

Ausführungen zu Ende gebracht hat. Während die AkteurInnen bei den privaten<br />

Sendern das Rederecht etwas öfters ungefragt bzw. ohne dass die Gesprächsituation dies<br />

nahe legen würde, durch Unterbrechung für sich beanspruchen, wird dieser Versuch in den<br />

Sendungen der öffentlichen Anbieter in etwa ähnlichem Masse erfolglos unternommen und<br />

umgekehrt. Allerdings verweist die Art, wie auf solche Störungen reagiert wird, darauf,<br />

dass der Diskurs bei den öffentlichen Anbietern etwas weniger respektvoll geführt wird. So<br />

thematisieren die Teilnehmenden die versuchten Unterbrechungen hier doppelt so oft als<br />

dies bei den privaten der Fall ist. 191<br />

Beide Anbieter sind zudem ähnlich auf das jeweils zur Diskussion stehende Thema fokussiert.<br />

Die eingebrachten Geltungsansprüche bewegen sich dabei in den Sendungen der öffentlichen<br />

Anbieter etwas öfter auf der subjektiven Ebene. Die Ergebnisse zeigen, dass<br />

dabei jedoch weniger die Lebenswelt der AkteurInnen verstärkt Berücksichtigung findet,<br />

als dass der Diskurs öfter von der sachlichen auf die personalisierte Auseinandersetzung<br />

wechselt. Bezogen auf die vorkommenden Argumente sind sich die beiden Anbieter somit<br />

ähnlich. Dieses Bild zeigt sich auch, wenn man eine Ausdifferenzierung nach den diskutierten<br />

Themen vornimmt. Insgesamt werden bei den privaten Anbietern zwar geringfügig<br />

mehr Themen zur Diskussion gestellt, die nicht dem Themenkatalog der Abstimmungsun-<br />

190 Auf dieser Vergleichsebene wurde ebenfalls untersucht, ob sich in Bezug auf die Inklusivität der Positionen,<br />

d.h. von BefürworterInnen und GegnerInnen der Vorlage, Unterschiede feststellen lassen. Betrachtet<br />

man alle Sendungen der jeweiligen Anbieter, so erreichen die öffentlichen eine grössere Ausgewogenheit als<br />

die privaten, sowohl personell als auch was die jeweiligen Redeanteile angeht. Eine detaillierte Analyse auf<br />

der Ebene einzelner Sendungen liesse diesbezüglich weiter Erkenntnisse erwarten.<br />

191 Die Metakommunikation kann als stärkste Form gelten, wenn es darum geht, am eigenen Rederecht festzuhalten<br />

und kommt eher dann zum Zug, wenn das Diskursklima als stark störend empfunden wird. Gleichzeitig<br />

wird damit auch ein aktiver Versuch gestartet, dieses zu verbessern. Beleidigende Äusserungen, die auf<br />

die Integrität der am Diskurs beteiligten Personen abzielen, finden sich anteilmässig bei den öffentlichen<br />

Sendern minimal häufiger, was v.a. auf einzelne Sendegefässe wie die TV-Talkshows „Arena“ und „Infrarouge“<br />

zurückgeführt werden kann.<br />

210


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

terlagen entsprechen, dieser Faktor ist bezogen auf beide Abstimmungen jedoch nicht konstant.<br />

Demgegenüber wird die gesamte thematische Bandbreite bei den öffentlichen Anbietern<br />

etwas ausgewogener diskutiert, der Diskurs ist weniger auf ausgewählte Themen fokussiert.<br />

Über alle Analysekategorien hinweg können die Ergebnisse wie folgt zusammengefasst<br />

werden: Die ökonomische Stellung der Anbieter scheint auf die Diskursqualität in dialogischen<br />

Formaten nur einen geringen Einfluss zu nehmen. Anders als angenommen, wird der<br />

Diskurs in den Sendungen der öffentlichen Anbieter leicht stärker personalisiert als bei den<br />

privaten, auch wird der kommunikative Respekt nicht nur weniger gewahrt, sondern auch<br />

öfters explizit auf Defizite im Diskursklima hingewiesen. Dieses Ergebnis überrascht insofern,<br />

als sich diese, für das <strong>Dialog</strong>format der Debatte festgestellten Charakteristika in den<br />

Sendungen der privaten Stationen aufgrund der Verteilung etwas stärker auswirken müssten.<br />

Es scheint, als ob die dialogischen Formate bei den öffentlichen Sendern dazu genutzt<br />

würden, dem allgemeinen Trend hin zu mehr „Infotainment“ Rechnung zu tragen. An dieser<br />

Stelle hypothetisch formuliert, unterscheiden sich also die verschiedenen Sendeformate<br />

(dialogische vs. monologische) bei den Öffentlichen deutlicher, als dies bei den Privaten<br />

der Fall zu sein scheint. Während sich die dialogischen Formate bei den untersuchten Anbietern<br />

in vielerlei Hinsicht ähneln, lässt sich in Bezug auf die Inklusivität der AkteurInnen<br />

ein Qualitätsunterschied feststellen, der zugunsten der öffentlichen Sender ausfällt. Der<br />

Service Public Auftrag wird demnach nicht nur auf inhaltlicher Ebene als Mandat zur Abdeckung<br />

eine breiten Themen- und Akteursspektrums, sondern schlägt sich auch im Sendekonzept,<br />

d.h. im Format nieder. Des Weiteren unterscheiden sich die Anbieter auch mit<br />

Blick auf den Ausstrahlungszeitpunkt der Sendungen: Die öffentlichen Anbieter setzten<br />

dialogische Formate über den gesamten Untersuchungszeitraum kontinuierlicher in der<br />

Programmgestaltung ein. Als Informationsquelle stehen den RezipientInnen Debatten und<br />

Interviews bei den öffentlichen Sendern bereits in der frühen Abstimmungsphase öfters zur<br />

Verfügung.<br />

9.2.3 Radio und Fernsehen<br />

In der Untersuchung konnten insgesamt mehr dialogische Radio- als Fernsehsendungen<br />

berücksichtigt werden (36 bzw. 21 dialogische Formate). Dabei haben die öffentlichen<br />

Anbieter deutlich mehr Radiosendungen ausgestrahlt als die privaten Anbieter. Auf Ebene<br />

der jeweiligen Untersuchungseinheiten hatte dies jedoch keinen Einfluss, da die Verteilung<br />

bei den untersuchten Anbietern aufgrund der insgesamt kürzeren Sendedauer im Radio<br />

sehr ausgewogen war. Innerhalb der Mediengattungen Radio und Fernsehen nehmen die<br />

verschiedenen <strong>Dialog</strong>formate ein unterschiedliches Gewicht ein: Im Radio wurde die<br />

Mehrheit der untersuchten Sendungen als Interview konzipiert (55.6%), im Fernsehen hingegen<br />

nur gerade 19.1%. Allerdings sollte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass<br />

das Dialgformat „Interview“ ein radiospezifisches Merkmal wäre, denn zumindest in der<br />

Deutschschweiz, wo lediglich eine von sechs Sendungen als Interview konzipiert wurde,<br />

ist dem eindeutig nicht so. Wiederum ist der Einfluss der Debatten bezogen auf die relevanten<br />

Untersuchungseinheiten insgesamt bei beiden Mediengattungen stärker zu gewichten,<br />

im Fernsehen sind die Debatten bestimmend, im Radio zumindest klar vorherrschend.<br />

Nichts desto trotz bildet der stärkere Einfluss der Interviews im Radio einen Erklärungsansatz<br />

für die qualitativen Unterschiede zwischen den Mediengattungen. Denn generell zeigt<br />

sich bezogen auf die untersuchten Kategorien ein sehr ähnliches Bild für die Vergleichsebene<br />

„Interview und Debatte“ respektive „Radio und Fernsehen“. Von besonderem Interesse<br />

sind denn auch weniger die Unterschiede als die Frage nach der Kausalität, denn über<br />

vier Fünftel aller Interviews wurden im Radio produziert.<br />

211


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

Bezogen auf die Analysedimension der Inklusivität zeigt sich auf Akteursebene folgendes<br />

Bild: Das Verhältnis zwischen AkteurInnen aus dem Zentrum und der Peripherie ist im<br />

Radio ausgeglichener als im Fernsehen, in dessen Sendungen das Zentrum rein personell<br />

rund dreimal stärker vertreten ist. Betrachtet man indes, welche AkteurInnen wie oft und<br />

wie lange zu Wort kommen, ist das Ergebnis weniger eindeutig. Im Radio kommen die<br />

AkteurInnen der Peripherie unwesentlich öfter und in etwa gleich lang zu Wort als im<br />

Fernsehen – in beiden Mediengattungen nur für kurze Zeit. Nimmt man die peripheren und<br />

peripherienahen AkteurInnen zusammen, so nimmt die zivilgesellschaftliche Perspektive<br />

in den Sendungen des Fernsehens gar ein stärkeres Gewicht ein als im Radio. In beiden<br />

Mediengattungen sind insgesamt in etwa gleich viele AkteurInnen am Diskurs beteiligt, in<br />

den Radiosendungen aufgrund der höheren Zahl an Interviews allerdings davon mehr M<strong>oder</strong>atorInnen.<br />

Aus demselben Grund, verläuft die Diskussion im Radio insgesamt stärker über die M<strong>oder</strong>ation,<br />

während die Teilnehmenden im Fernsehen häufiger eigeninitiativ in den <strong>Dialog</strong><br />

treten, das Wort häufiger direkt untereinander wechseln und andere etwas öfters zum <strong>Dialog</strong><br />

auffordern. Wie bereits im Vergleich zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten bzw. zwischen den<br />

Anbietern sind auch im Vergleich zwischen Radio und Fernsehen keine allzu prägnanten<br />

Unterschiede hinsichtlich der oberflächlichen Bezugnahme festzustellen. Interessanterweise,<br />

tritt diese im Fernsehen jedoch etwas öfters auf als im Radio, was nicht auf die <strong>Dialog</strong>formate<br />

zurückgeführt werden kann, da gleiches Ergebnis für die im Fernsehen weniger<br />

gewichteten Interviews konstatiert wurde. Eine argumentative Bezugnahme wird in beiden<br />

Mediengattungen ähnlich selten hergestellt. Wiederum wäre zu erwarten gewesen, dass<br />

sich das <strong>Dialog</strong>format der Debatten im Fernsehen diesbezüglich leicht positiv auswirken<br />

würde. Da die Unterschiede insgesamt sehr gering sind, lässt sich die Frage nach der Kausalität<br />

für genannte Werte nicht schlüssig klären. Bezogen auf die Frage, wie begründet der<br />

Diskurs ist, können demgegenüber Rückschlüsse auf gattungsspezifische Besonderheiten<br />

gezogen werden. Insgesamt sind die Ergebnisse für die Mediengattung Fernsehen und das<br />

<strong>Dialog</strong>format der Debatte approximativ, ebenso für die Mediengattung Radio und das <strong>Dialog</strong>format<br />

des Interviews. Eine Abweichung lässt sich jedoch im Radio bezogen auf den<br />

Wert der begründeten Kritik feststellen: Obschon im Radio mehr Interviews ausgestrahlt<br />

wurden, in denen insgesamt wenig Kritik und entsprechend wenig begründete Kritik geäussert<br />

wird, werden die Äusserungen Anderer im Radio öfters kritisch reflektiert als dies<br />

im Fernsehen der Fall ist. Die thematisierten Geltungsansprüche sind – ob erhebend <strong>oder</strong><br />

kritisierend – insgesamt im Radio zu einem grösseren Teil rational nachvollziehbar als im<br />

Fernsehen. Es ist durchaus denkbar, dass das rein auditive Format auf diesen Aspekt begünstigend<br />

wirkt, da die Illokutionen nicht mittels non-verbaler Kommunikation unterstützt<br />

werden können.<br />

Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Gesprächsdisziplin im Radio höher ist als im<br />

Fernsehen. (Versuchte) Unterbrechungen finden sich hier im Vergleich zum Fernsehen<br />

seltener, allerdings öfter als in den Sendungen, die als Interview konzipiert wurden. Während<br />

diesbezüglich die Kommunikationssituation wenige vs. viele Teilnehmende den entscheidenden<br />

Faktor darstellen dürfte, lässt sich in Bezug auf die Gegenstrategien zur Verteidigung<br />

des Rederechts eine gattungsspezifische Besonderheit feststellen. Im Vergleich<br />

zu weiteren Formen, mittels derer Sprechende versuchen, ihren Beitrag zu Ende zu führen<br />

(Redeteile wiederholen, Metakommunikation), nimmt im Radio die Strategie einfach weiterzureden<br />

<strong>oder</strong> lauter zu werden ein grösseres Gewicht ein. Diese Strategie ist in rein auditiven<br />

Medien möglicherweise effektiver als in audio-visuellen, da sich alle AkteurInnen<br />

bewusst sein sollten, dass es für RezipientInnen kaum möglich ist, parallel getätigte Aussagen<br />

zu verstehen und/<strong>oder</strong> kognitiv zu verarbeiten.<br />

In Analogie zum Vergleich zwischen den <strong>Dialog</strong>formaten weist der Diskurs im Fernsehen<br />

einen höheren Grad an Personalisierung auf als jener im Radio, das Gesprächsverhalten ist<br />

212


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

insgesamt auch aufgrund beleidigender Aussagen weniger respektvoll. Im Fernsehen finden<br />

sich geringfügig mehr despektierliche Äusserungen als dies in Debatten generell der<br />

Fall ist, gleiches Ergebnis lässt sich in Bezug auf die Personalisierung feststellen. Die thematische<br />

Auseinandersetzung verläuft in beiden Mediengattungen nahezu identisch.<br />

Abschliessend kann festgehalten werden, dass der Diskurs in den Mediengattungen Radio<br />

und Fernsehen bezogen auf die untersuchten Kategorien kaum augenfällige Besonderheiten<br />

aufweist. Die Diskussionen werden zwar unterschiedlich geführt, dies ist allerdings in<br />

den meisten Fällen auf Präferenzen für ein jeweiliges <strong>Dialog</strong>format zurückzuführen als auf<br />

genuin gattungsspezifische Einflüsse. Das Ergebnis, dass der Diskurs im Radio insgesamt<br />

begründeter geführt wird als im Fernsehen, könnte für sprachwissenschaftlich orientierte<br />

Untersuchungen fruchtbar gemacht werden, indem der Einfluss der Kommunikationssituation<br />

auf dieses Gesprächsverhalten einer eingehenderen Analyse unterzogen würde.<br />

9.3 Online-Foren<br />

Innerhalb der Online-Foren wurde in der vorliegenden Untersuchung zwischen Foren der<br />

Usenet-Groups auf Google und Foren die in einen Cross-Media-Verbund eingegliedert<br />

sind (baz.ch, espace.ch, tdg.ch und 24heures.ch) unterschieden. Die Online-Foren unterschieden<br />

sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung teilweise wesentlich in ihrem Erscheinungsbild<br />

und den technischen Möglichkeiten beim Erfassen von und Antworten auf die<br />

Nachrichten Anderer. Die Foren der google.groups sowie die deutschsprachigen Foren<br />

baz.ch und espace.ch werden in einer Baumstruktur angezeigt, mittels einer automatisierten<br />

Antwortfunktion kann direkt eine Replik auf ein ausgewähltes Post verfasst werden,<br />

z.T. ist es dabei möglich, die ursprüngliche Nachricht zu zitieren. Die französischsprachigen<br />

Foren tdg.ch und 24heures.ch waren hingegen rein chronologisch aufgebaut. Die Teilnehmenden<br />

konnten die Diskussion somit nicht strukturieren, das Erscheinungsbild zeigte<br />

auf der Startseite jeweils die jüngst verfassten Posts an, die gesamte Diskussion konnte<br />

mittels Weiterblättern nachverfolgt werden. Diese strukturellen Unterschiede wirken sich<br />

bezüglich der Diskursqualität aus.<br />

Alle Online-Foren zeichnen sich gleichermassen dadurch aus, dass der Diskurs entlang des<br />

Spektrums „Zentrum – Peripherie“ einzig von AkteurInnen der Peripherie getragen wird.<br />

Bezüglich der Inklusivität der AkteurInnen ist auf dieser Vergleichsebene die Beteiligung<br />

von BefürworterInnen, GegnerInnen und nicht positionierten Personen aussagekräftiger.<br />

Sowohl bei den google.groups als auch bei den übrigen Foren (zumindest gesamthaft gesehen)<br />

überwiegt die Beteiligung der BefürworterInnen. Augenfällig ist indes der Unterschied<br />

an nicht positionierten Personen. Diese sind bei den google.groups deutlich stärker<br />

vertreten als bei den übrigen Foren. Es wurde bereits herausgestellt, dass eine solche Akteursstruktur<br />

die inhaltliche Auseinandersetzung jenseits von (parteipolitischen) Positionierungen<br />

potentiell begünstigt. Dieser Schluss kann für die google.groups indes nicht so gezogen<br />

werden, da es sich bei den nicht-positionierten Teilnehmenden zu eine grossen Teil<br />

um UserInnen handelt, die sich gar nicht zum Abstimmungsthema äussern, wodurch eine<br />

Positionierung hinfällig wird. In den übrigen Foren tauschen die Teilnehmenden ebenfalls<br />

Meinungen aus, die mit dem Abstimmungsthema nichts zu tun haben – öfters als in den<br />

klassischen Medien, jedoch seltener als in den google.groups. In Relation gesehen, weisen<br />

die Ergebnisse darauf hin, dass hier ein Austausch unabhängig von vorgefassten Positionen<br />

möglich ist.<br />

Die Teilnehmenden in den Foren der Medienverlagshäuser fordern andere UserInnen jedoch<br />

nicht häufiger zum <strong>Dialog</strong> auf als das bei den google.groups der Fall ist – die Werte<br />

sind sich insgesamt ähnlich. Sie setzen sich – zumindest was eine argumentative Bezugnahme<br />

betrifft – auch nicht stärker mit den Argumenten anderer auseinander als dies die<br />

UserInnen bei Google tun. Dabei gilt es zu beachten, dass sich innerhalb der Online-Foren<br />

213


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

von Medienverlagshäusern in diesen Punkten Unterschiede feststellen lassen: In den Westschweizer<br />

Foren tdg.ch und 24.heures.ch fordern sich die Teilnehmenden gegenseitig öfter<br />

dazu auf, den <strong>Dialog</strong> fortzuführen. Dieses Ergebnis kann auf die Struktur zurückgeführt<br />

werden, denn die fehlende direkte Antwortmöglichkeit macht eine explizite Aufforderung<br />

notwendiger als in einer Baumstruktur, die ersichtlich macht, wenn jemand auf ein bestimmtes<br />

Post „geantwortet“ hat. Die strukturellen Vorgaben wirken sich auch auf die<br />

oberflächliche Bezugnahme aus, die in den chronologisch geführten Foren niedriger ist als<br />

in den übrigen Foren. Bei der argumentativen Bezugnahme wurde hingegen erwartet, dass<br />

diese in chronologisch geführten Foren höher ist, da eine Bezugnahme zu anderen Posts<br />

nur verbal hergestellt werden kann. Dem ist jedoch nicht so, zu einem guten Teil beschränken<br />

sich die Teilnehmenden auch in den rein chronologischen Foren der Westschweiz auf<br />

eine thematische Anknüpfung <strong>oder</strong> stellen mittels Floskeln einen vordergründigen Bezug<br />

her bzw. verzichten ganz auf eine Bezugnahme. Die Teilnehmenden in den google.groups<br />

wiederum beziehen sich indes auf der oberflächlichen Ebene rund zehnmal häufiger auf die<br />

Posts von anderen Teilnehmenden als dies für die Foren der Medienverlagshäuser insgesamt<br />

der Fall ist. Als Erklärung für dieses Ergebnis kann das unterschiedliche Nutzungsverhalten<br />

herangezogen werden: Der Anteil derer, die nach einmaligem Posten das Forum<br />

verlassen, ist in den Foren der Medienverlagshäuser gut eineinhalb Mal höher als in den<br />

google.groups. Ausgehend von der Annahme, dass One-Poster nach kurzer Dauer als solche<br />

erkannt werden, und dass die UserInnen einen wechselseitigen Austausch erzielen<br />

möchten, verkommen solche einmaligen Beiträge gewissermassen zur Informationshalde,<br />

auf die in strukturierten Foren nicht mehr geantwortet wird. Um gesicherte Aussagen machen<br />

zu können, bedürfte es allerdings einer vertieften Analyse. Das Netz der Interaktion<br />

lässt bei den Foren von Google eine leicht höhere Anzahl Bezugnahmen auf eine Person<br />

erkennen. Dies ist mit der Anzahl Teilnehmenden erklärbar: Je mehr Personen sich an einer<br />

Diskussion beteiligen respektive je mehr Personen lediglich einmal ein Post aufschalten,<br />

desto weniger Bezugnahmen auf die Teilnehmenden werden durchschnittlich hergestellt.<br />

Inwiefern sich die Teilnehmenden tatsächlich mit den Argumenten Anderer auseinandersetzten<br />

kann auch am Verhältnis zwischen begründeter, d.h. reflektierter und unbegründeter,<br />

d.h. in der Tendenz oftmals beleidigender Kritik abgelesen werden. In den<br />

google.groups liegt das Hauptaugenmerk der Diskussion auf der Kritik an anderen Teilnehmenden,<br />

demgegenüber werden in den übrigen Foren mehr Geltungsansprüche erhoben<br />

als kritisiert. Die Kritik in den Foren von Google bleibt jedoch in der Mehrheit unbegründet<br />

und ist somit für den Meinungsaustausch nicht konstruktiv. Bei den Foren der Medienverlagshäuser<br />

überwiegen die unbegründeten kritisierenden Geltungsansprüche zwar ebenfalls,<br />

jedoch weniger deutlich. Wenngleich die Teilnehmenden der google.groups im direkten<br />

Vergleich mit den übrigen UserInnen mehr begründete Kritik üben, was für eine reflektierte<br />

Auseinandersetzung spricht, ist das Diskursklima für den Meinungsaustausch insgesamt<br />

weniger förderlich, da andere Teilnehmende oftmals ohne dargelegte Gründe kritisieren<br />

und die Nachvollziehbarkeit der Argumentation somit weniger gewährleistet ist. Aus<br />

Sicht der Meinungs- und Willensbildung ist ein solcher Austausch wenig attraktiv.<br />

Das wenig konstruktive Diskursklima zeigt sich auch an dem deutlich höheren Anteil an<br />

Aussagen, die auf die Integrität anderer DiskursteilnehmerInnen abzielen. In den Foren der<br />

google.groups sind diese rund 1.5-mal häufiger anzutreffen als in den übrigen Foren. Diesbezüglich<br />

sind zwei Gründe denkbar: Erstens scheinen die UserInnen in den Foren von<br />

Google eine Art eingeschworene Community zu bilden, in denen der saloppdespektierliche<br />

Umgang für viele an der Tagesordnung steht. Zweitens publizieren die<br />

Medienverlagshäuser so genannte „Spielregeln“ für die Teilnahme in ihren Online-Foren<br />

und stellen sowohl eine redaktionelle Bearbeitung der Posts als z.T. auch Sanktionierungsmassnahmen<br />

(Ausschluss aus dem Forum) in Aussicht. Dies könnte einen selbstdis-<br />

214


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

ziplinierenden Effekt haben, wenngleich ein Eingriff durch die Betreiber wie die Untersuchung<br />

gezeigt hat faktisch nicht zu erwarten ist.<br />

Diese verschiedenen Bedingungen zeigen sich auch im unterschiedlichen Mass an Personalisierung.<br />

In den Online-Foren der google.groups wird der Diskurs 1.8-mal häufiger personalisiert<br />

als in den übrigen Foren. So werden öfters Geltungsansprüche auf der subjektiven<br />

Ebene geäussert als in den übrigen Foren, welche jedoch deutlich weniger auf Grundlage<br />

eigener Erfahrung begründet werden. Die subjektive Lebenswelt erfährt demnach in den<br />

Foren der Medienverlagshäuser grössere Berücksichtigung als bei Google. Auf der Ebene<br />

der Kommunikationsinhalte fällt weiter auf, dass ein Grossteil der Diskussion in den<br />

google.groups nichts mit dem Abstimmungsthema zu tun hat. Die übrigen Foren weisen<br />

demgegenüber eine relativ hohe Fokussierung auf das zur Diskussion stehende Thema auf<br />

und nähern sich diesbezüglich in einigen Fällen dem Diskursniveau der klassischen Medien<br />

(tdg.ch und 24heures.ch). Die genannten Spielregeln, die sich mitunter auch auf ein<br />

Gebot der Themenrelevanz beziehen, dürften hierfür ebenso einen Einflussfaktor darstellen<br />

wie ein gewisser Usus was die Gesprächsfunktion einzelner Foren betrifft: In einigen Foren<br />

von Google benutzen die Teilnehmenden das Forum eher im Sinne eines Chats, denn<br />

als Plattform für einen themenbezogenen Meinungsaustausch. Die unterschiedliche Struktur<br />

der Foren dürfte hinsichtlich der Themenfokussierung eine weitere Einflussgrösse darstellen.<br />

Die Möglichkeit, neue Threads zu eröffnen, könnte eher dazu verleiten, vom Thema<br />

abzuschweifen. Tdg.ch und 24.heures.ch, die zum Zeitpunkt der Untersuchung rein<br />

chronologisch geführt wurden, weisen wie erwähnt geringe Anteile an themenfremden<br />

Beiträgen auf. Die bei den google.groups speziellen Möglichkeiten, den Diskurs auf verschiedenen<br />

Plattformen zu implementieren und im Anschluss an eine bestehende Diskussion<br />

weitere Foren zu eröffnen, scheint sich – neben der schlechten Themenfokussierung –<br />

indes positiv auf die themenrelevante Vielfalt auszuwirken. Die Inklusivität verschiedener<br />

Themen ist bei den google.groups grösser als bei den übrigen Foren. Auffallend eingeschränkt<br />

ist sie demgegenüber bei den chronologisch geführten Foren der Westschweiz.<br />

Hier werden kaum andere Themen diskutiert als auf der Basis der Abstimmungsunterlagen<br />

erwartet werden konnte, die thematische Bandbreite ist gar eingeschränkter als in den klassischen<br />

Medien. Denkbar ist hier, dass wegen der Darstellungsform der Foren jeweils nur<br />

die aktuellsten Posts gelesen werden und als direkte Folge davon nur einige wenige Themen<br />

verhältnismässig lange perpetuiert werden. Eine detailliertere Untersuchung zum Verlauf<br />

der Diskussion könnte darüber Auskunft geben.<br />

Die hier vorgestellten – zumeist auf strukturelle Unterschiede zurückgeführten – Ergebnisse<br />

im Vergleich zwischen verschiedenen Online-Foren, gewinnen an Aussagekraft, wenn<br />

sie wiederum an die Ergebnisse für die klassischen Medien zurückgebunden werden: Die<br />

chronologisch geführten Foren können, was die Dimensionen Begründetheit des Diskurses,<br />

thematische Relevanz des Meinungsaustauschs, Wahrung des Respekts und Fokussierung<br />

auf Sachfragen anstelle von Personenfragen angeht, durchaus mit den klassischen Medien<br />

mithalten. Die entsprechenden Werte sind mit Blick auf die Diskursqualität im direkten<br />

intermediären Vergleich in allen Punkten insgesamt leicht schlechter. Der Diskurs in den<br />

chronologischen Foren ist aber bspw. begründeter als im Fernsehen. Abstriche sind allerdings<br />

in Bezug auf die kritisch reflektierte Auseinandersetzung zu verzeichnen. Diesbezüglich<br />

erreichen die klassischen Medien eine deutlich höhere Diskursqualität als die chronologischen<br />

Foren. Die strukturierten Foren nähern sich in diesem Punkt dem Diskurs der<br />

klassischen Medien an, zeichnen sich aber gleichzeitig durch ein höheres Mass an unbegründeter<br />

Kritik aus – beides gilt insbesondere für die Foren von Google. Die strukturierten<br />

Foren erreichen bezüglich der argumentativen Bezugnahme ähnliche Werte wie die<br />

klassischen Medien, die google.groups gar bessere. Bezüglich der Anschlussfähigkeit einzelner<br />

Aussagen sind die Werte ebenfalls ähnlich, es wird in etwas gleich oft eine oberflächliche<br />

Bezugnahme hergestellt, nur die chronologischen Foren fallen im Vergleich zu<br />

Radio und Fernsehen deutlich ab. Die strukturierten Foren von Medienverlagshäusern hal-<br />

215


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

ten das grösste Potential an einer Auseinandersetzung auf der Grundlage von Argumentationen<br />

anstelle von Positionen inne und weisen diesbezüglich im Vergleich zu den traditionellen<br />

elektronischen Medien eine besondere Diskursqualität auf.<br />

Wurde also den Online-Foren im direkten intermediären Vergleich eher ein negatives<br />

Zeugnis punkto Diskursqualität ausgestellt, so lassen die detaillierten Ergebnisse doch eine<br />

optimistischere Einschätzung zu: Unter idealen Bedingungen, bei denen die Vorzüge verschiedener<br />

Foren zusammenträfen, würde der Online-Diskurs in vielen wichtigen Kategorien<br />

eine ähnliche Diskursqualität aufweisen wie die traditionellen elektronischen Medien.<br />

Bestehen bleibt indes das Problem des durchwegs hohen Anteils an One-Postern, aufgrund<br />

dessen der dialogische Charakter in Form eines kontinuierlichen Meinungsaustauschs für<br />

die Online-Kommunikation infrage gestellt werden muss.<br />

9.4 Sprachregionen<br />

Der Vergleich zwischen den Sendungen der Deutsch- und der Westschweiz zeigt bezüglich<br />

mehrerer Analysedimensionen Unterschiede. Insbesondere auf Ebene der klassischen Medien<br />

sind diese jedoch zu einem guten Teil auf eine unterschiedliche Verteilung der <strong>Dialog</strong>formate<br />

und Mediengattungen zurückzuführen: Über die Hälfte aller Sendungen in der<br />

Romandie bedienen sich des <strong>Dialog</strong>formats Interview (55.3%). Demgegenüber ist dies in<br />

der Deutschschweiz nur in 3 von 19 Sendungen (15.8%) der Fall. Bezogen auf die Untersuchungseinheiten<br />

ist das <strong>Dialog</strong>format der Debatten zwar in beiden Sprachregionen bestimmend,<br />

in der Deutschschweiz aber deutlich ausschlaggebender. Ein Grossteil aller berücksichtigten<br />

Sendungen in der Westschweiz wurden im Radio ausgestrahlt (78.1%), die<br />

Mediengattung Radio ist demgegenüber in der deutschsprachigen Schweiz weniger bestimmend<br />

(31.6%). Bezogen auf die Untersuchungseinheiten nähern sich die Werte aufgrund<br />

unterschiedlicher Sendedauer wiederum etwas an, die Gewichtung bleibt in der Tendenz<br />

indes bestehen. Ein erster sprachregionaler Unterschied besteht somit in der Präferenz<br />

bestimmter Mediengattungen für das dialogische Format generell und für bestimmte <strong>Dialog</strong>formate<br />

im Spezifischen. Um für die beiden Landesteile Besonderheiten in der Diskurskultur<br />

bestimmen zu können, gilt es folglich, vom Einfluss der unterschiedlichen Gewichtung<br />

von Radio und Fernsehen respektive von Interviews und Debatten zu abstrahieren.<br />

Auf Ebene des Online-Diskurses gilt gleiches für den Einfluss struktureller Unterschiede.<br />

Legt man hinsichtlich der Frage nach der Inklusivität der AkteurInnen das Primat auf die<br />

Einbindung peripherer AkteurInnen, kann der Diskurs in den klassischen Medien der<br />

Westschweiz als inklusiver gelten: Die AkteurInnen der Peripherie sind in der Romandie<br />

stärker vertreten als in der Deutschschweiz, sie können zudem im direkten Vergleich mehr<br />

Redeanteile beanspruchen, vor allem proportional zu den AkteurInnen des Zentrums. Insbesondere<br />

letzteres Ergebnis lässt sich nicht auf gattungsspezifische Charakteristika im<br />

Radio zurückführen und verweist daher auf eine generelle unterschiedliche Orientierung in<br />

den jeweiligen Landesteilen.<br />

Auf der Ebene der AkteurInnen besteht ein weiterer augenfälliger Unterschied im M<strong>oder</strong>ationskonzept.<br />

Die Akteursgruppe der JournalistInnen ist in der Westschweiz deutlich stärker<br />

vertreten als in der Deutschschweiz. Dies liegt mitunter daran, dass in der Romandie<br />

eine grosse Zahl an Sendungen von zwei Personen m<strong>oder</strong>iert wurde. Dieses Konzept ist in<br />

der Deutschschweiz nicht anzutreffen.<br />

Als weiteres Kriterium wurde untersucht, wie inklusiv der Diskurs bezogen auf die verschiedenen<br />

Einstellungen zur Abstimmungsvorlage ist. Insgesamt wurde festgestellt, dass<br />

die BefürworterInnen stärker am Diskurs beteiligt sind als die GeggnerInnen. Dies sowohl<br />

in den klassischen Medien als auch in den Online-Foren. Richtet man indes den Blick auf<br />

die Sprachregionen, so zeigt sich, dass der Diskurs im Internet der Westschweiz anders als<br />

in der Deutschschweiz eine Ventil-Funktion einnimmt. Die GegnerInnen melden sich hier<br />

216


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

häufiger zu Wort, wodurch die stärkere Repräsentanz der BefürworterInnen in der klassisch<br />

medialen Arena kompensiert wird. Womöglich ist dies auf eine Dominanz befürwortender<br />

Stimmen auch in der nicht-medialen Öffentlichkeit zurückzuführen, denn beide Abstimmungen<br />

wurden in der Romandie deutlicher angenommen als in der Deutschschweiz.<br />

Für eine abschliessende Beurteilung müsste diesbezüglich allerdings auch die Medienleistung<br />

in den Printmedien und den monologischen Formaten von Radio und Fernsehen hinzugezogen<br />

werden.<br />

Hinsichtlich der Art und Weise wie der <strong>Dialog</strong> geführt wird, lassen sich in Bezug auf die<br />

Frage, wer das Wort ergreift und wer wen zum Sprechen/Schreiben auffordert keine Besonderheiten<br />

feststellen, die nicht auf die unterschiedliche Gewichtung jeweiliger <strong>Dialog</strong>formate<br />

bzw. auf die Forumsstruktur zurückzuführen sind. Gleiches gilt für die Frage wie<br />

stark sich die Teilnehmenden aufeinander beziehen. Die Diskurskultur in der Deutschschweiz<br />

unterscheidet sich von derjenigen im französischsprachigen Landesteil jedoch<br />

dahingehend, als der <strong>Dialog</strong> hier insgesamt kritischer ausgerichtet ist. Die trifft sowohl auf<br />

die klassischen Medien zu, für die das Ergebnis allerdings mit jenem für das <strong>Dialog</strong>format<br />

der Debatte korreliert, als auch für die Online-Foren. In den deutschsprachigen Online-<br />

Foren baz.ch, espace.ch und google.groups.ch zielen rund die Hälfte aller Geltungsansprüche<br />

auf eine Kritik, in den Westschweizer Foren tdg.ch und 24.heures.ch ist dies im Schnitt<br />

nur bei jedem vierten Geltungsanspruch der Fall. Das Ergebnis deutet deshalb in der Tendenz<br />

auf unterschiedliche Gesprächskulturen in den beiden Sprachregionen hin. Offenbar<br />

geht es den Teilnehmenden in den dialogischen Formaten der Westschweiz eher darum,<br />

Sachverhalte und eigene Meinungen darzulegen als das Gesagte zu kritisieren. Bei den<br />

übrigen Vergleichsebenen ging ein hohes Mass an Kritik meist mit einer weniger respektvollen<br />

Interaktion einher. Im sprachregionalen Vergleich bestätigt sich ein solcher Zusammenhang<br />

nur bedingt. Das Mass an beleidigenden Äusserungen ist in der Deutschschweiz<br />

zwar tatsächlich höher lässt sich jedoch für die klassischen Medien auf den stärkeren<br />

Einfluss der Debatten zurückführen. Aus dieser Perspektive hätten die Unterschiede<br />

sogar noch deutlicher ausfallen müssen. In den Online-Foren sind es v.a. die google.groups<br />

die dadurch auffallen, dass die Teilnehmenden mit ihren Äusserungen auf die Integrität<br />

Anderer abzielen und lediglich in die Ergebnisse der Deutschschweiz Eingang finden. Ein<br />

weiterer Gradmesser für den kommunikativen Respekt in den klassischen Medien bildet<br />

das Mass an (versuchten) Unterbrechungen. Anders als das höhere Mass an Kritik und das<br />

stärkere Gewicht der Debatten in der Deutschschweiz hätten erwarten lassen, ist die Kommunikation<br />

in der deutschsprachigen Schweiz diesbezüglich deliberativer: Die Teilnehmenden<br />

unterbrechen sich seltener und attackieren das Rederecht Anderer weniger als in<br />

der Romandie. Des Weiteren gehen die Sprechenden in den beiden Sprachregionen mit den<br />

versuchten Interruptionen etwas anders um: In der Deutschschweiz nimmt die Metakommunikation<br />

über das Verletzten geltender Diskursnormen ein leicht stärkeres Gewicht ein.<br />

In der Romandie gehen die AkteurInnen demnach zwar aus kommunikativer Sicht gesehen<br />

respektloser miteinander um, berufen sich jedoch auch seltener auf die Anwendung geltender<br />

Diskursregeln. Ob dies auf eine höhere Sensibilisierung auf (versuchte) Unterbrechungen<br />

als normwidriges Verhalten in der Deutschschweiz zurückzuführen ist <strong>oder</strong> auf das<br />

vorherrschende <strong>Dialog</strong>format, kann an dieser Stelle nicht abschliessend geklärt werden.<br />

Bezogen auf die Kommunikationsinhalte korreliert das höhere Mass an beleidigenden Äusserungen<br />

in der Deutschschweiz mit einer generell stärker personalisierten Debatte. Wiederum<br />

dürfte das <strong>Dialog</strong>format bei den klassischen Medien diesbezüglich eine Einflussgrösse<br />

darstellen, während bei den Online-Foren von einer unterschiedlichen Diskurskultur<br />

auf einzelnen Plattformen ausgegangen werden muss. Demgegenüber stehen Geltungsansprüche<br />

auf der subjektiven Ebene in der Romandie verstärkt im Zusammenhang mit der<br />

Lebenswelt der AkteurInnen. Die lebensweltliche Perspektive findet im direkten Vergleich<br />

sowohl in den klassischen Medien als insbesondere auch in den Online-Foren der Westschweiz<br />

mehr Berücksichtigung. Während die Ergebnisse in Radio und Fernsehen allen-<br />

217


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

falls auf den höheren Anteil an AkteurInnen der Peripherie zurückzuführen sind, gilt diese<br />

Einschätzung für die Online-Foren nicht. Das Ergebnis verweist somit auf die sprachregionale<br />

Besonderheit, dass die Inklusivität der Argumente – bezogen auf lebensweltliche Aspekte<br />

– in der Romandie höher ist. Bezüglich der diskutierten Themenvielfalt liessen sich<br />

keine auffallenden, genuin regionalspezifischen Besonderheiten feststellen.<br />

9.5 Medienleistung: M<strong>oder</strong>ation<br />

Bezüglich der Rolle der M<strong>oder</strong>ation kann für die klassischen Medien Folgendes festgehalten<br />

werden. Im Gegensatz zu den Online-Foren, in denen die Anbieter keine m<strong>oder</strong>ierende<br />

Rolle einnehmen, stellen die JournalistInnen in den klassischen Medien eine verhältnismässig<br />

starke Akteursgruppe dar. Gut ein Fünftel aller am Diskurs beteiligten Personen<br />

sind MedienvertreterInnen. Davon fungiert die Mehrheit in der Rolle der M<strong>oder</strong>ation, der<br />

Anteil an JournalistInnen, die tatsächlich als VertreterInnen der Medien am Diskurs teilhaben,<br />

ist hingegen klein. Potentiell übernehmen die M<strong>oder</strong>atorInnen eine Doppelrolle als<br />

DiskursübermittlerInnen und -teilnehmerInnen. Sämtliche Ergebnisse der vorliegenden<br />

Untersuchung weisen jedoch darauf hin, dass sich die Medien in den dialogischen Formaten<br />

darauf beschränken, den Diskurs dahingehend zu beeinflussen, dass verschiedene Meinungen<br />

präsentiert werden können. Wie die M<strong>oder</strong>ation diese Aufgabe ausgestaltet und<br />

inwiefern sie sich eben nicht als Diskursteilnehmerin einschaltet, soll im Folgenden näher<br />

erläutert werden.<br />

Die M<strong>oder</strong>atorInnen sind wie erwähnt personell relativ stark vertreten. Sie bestreiten einen<br />

grossen Teil der Diskussion, indem sie sich mit vielen Redebeiträgen in den Diskurs einbringen,<br />

wobei sie dafür jedoch proportional zu anderen AkteurInnen relativ wenig Redezeit<br />

beanspruchen. Längere Gesprächsbeiträge dienen oftmals dazu, die zu diskutierenden<br />

Themen zu sondieren, wobei bspw. die Argumentationslinien der am Diskurs beteiligten<br />

Personen einleitend dargelegt <strong>oder</strong> im Verlauf der Diskussion ergänzend die Meinung abwesender<br />

AkteurInnen eingebracht wird. Ansonsten sind ihre Redebeiträge von kurzer<br />

Dauer; es werden Fragen gestellt, Denkimpulse gegeben und sehr oft auch nur das Wort an<br />

andere Teilnehmende weitergereicht. Die M<strong>oder</strong>ation ist somit zentrale Schaltstelle der<br />

Diskussion und übt dahingehend Einfluss auf den Diskurs, als sie die Funktion der Gesprächsleitung<br />

wahrnimmt, indem sie das Rederecht verteilt, Themen setzt <strong>oder</strong> allenfalls<br />

das Gesagte zusammenfasst. Damit ist die M<strong>oder</strong>ation Organisatorin der Sendung, sie legt<br />

den Ablauf fest und strukturiert sie in einzelne Abschnitte. In dieser Funktion werden die<br />

M<strong>oder</strong>atorInnen auch von den Teilnehmenden wahrgenommen – so wird die M<strong>oder</strong>ation<br />

kaum je von anderen AkteurInnen aktiv in den inhaltlichen <strong>Dialog</strong> eingebunden. Die Rolle<br />

der Gesprächsleitung ist des Weiteren mit einer Art Übernahme-Privileg beim Sprecherwechsel<br />

verknüpft: Die M<strong>oder</strong>ation ergreift das Wort jeweils eigeninitiativ und ist potentiell<br />

immer der/die nächste SprecherIn, v.a., um das Rederecht neu zu vergeben. Diese Rolle<br />

ist in Interviews noch ausgeprägter als in Debatten, in denen die Teilnehmenden punktuell<br />

während kurzer Sequenzen ohne M<strong>oder</strong>atorIn miteinander diskutieren.<br />

Das von den Teilnehmenden geteilte Rollenverständnis der M<strong>oder</strong>ation äussert sich denn<br />

auch hinsichtlich weiterer untersuchter Kriterien. Mit Blick auf das Netz der Interaktion<br />

kann festgestellt werden, dass der Diskurs überwiegend über die M<strong>oder</strong>ation und nicht<br />

zwischen den Teilnehmenden läuft. In den Redebeiträgen der Diskutierenden wird dreimal<br />

häufiger auf den/die M<strong>oder</strong>atorIn als auf die Teilnehmenden Bezug genommen. Im Vergleich<br />

mit den übrigen AkteurInnen verzichtet die M<strong>oder</strong>ation überproportional oft auf<br />

eine Bezugnahme, dies ist insbesondere der Fall, wenn die Gesprächsleitung ein neues<br />

Thema setzt, also die Diskussion in eine andere Richtung steuert <strong>oder</strong> wenn sie das Rederecht<br />

verteilt. In der Qualität der Bezugnahme gibt es ebenfalls Unterschiede zu den übrigen<br />

Gesprächsbeteiligten: Die M<strong>oder</strong>ation geht erstaunlicherweise häufiger auf die Argu-<br />

218


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

mente der GesprächspartnerInnen ein als die Teilnehmenden. Dies, obschon mit vielen<br />

Aufgaben der Gesprächsleitung wie Wortmeldungen sammeln, Denkimpulse geben <strong>oder</strong><br />

das Rederecht verteilen eher eine oberflächliche Bezugnahme verbunden ist. Aus Sicht der<br />

RezipientInnen ist diese Aktivität positiv zu werten, hilft sie doch, einzelne Argumente<br />

zueinander in Bezug zu setzen. Im Fernsehen, wo sich oftmals mehrere AkteurInnen gegenüberstehen,<br />

da mehr Debatten als Interviews ausgestrahlt wurden, erlangt dieses Gesprächsverhalten<br />

auch etwas grössere Bedeutung. Was den kritisch reflektierten Umgang<br />

mit dem Gesagten angeht, fällt das Ergebnis indes weniger positiv aus. Die M<strong>oder</strong>ation ist<br />

eher selten darum bemüht, die vorgebrachten Geltungsansprüche auf deren Plausibilität hin<br />

zu prüfen. Diese aus Sicht der Deliberation zentrale Aufgabe wird von den Teilnehmenden<br />

zwar ebenfalls nur begrenzt wahrgenommen, aber immerhin stärker als von den M<strong>oder</strong>atorInnen.<br />

Diese stellen in den untersuchten Sendungen eher provokative Fragen, bedienen<br />

sich jeweils oppositioneller Meinungen, um mögliche Einwände zu formulieren und sind<br />

darum bemüht, die Teilnehmenden zu klaren Positionierungen zu bewegen. Allerdings<br />

konnte bezüglich des kritisch reflektierten Gesprächsverhaltens eine relativ hohe Varianz<br />

zwischen einzelnen Sendungen ausgemacht werden. Das Sendekonzept scheint hier also<br />

eine entscheidende Rolle zu spielen. Auf Ebene der Anbieter konnten diesbezüglich ebenfalls<br />

geringfügige Unterschiede festgestellt werden. Die M<strong>oder</strong>atorInnen greifen im öffentlichen<br />

Radio und Fernsehen etwas stärker in die Diskussion ein, indem sie die Argumentation<br />

kritisch beleuchten. Der Unterschied ist jedoch eher gering. Wiederum als generelles<br />

Ergebnis formuliert, hat sich gezeigt, dass die M<strong>oder</strong>atorInnen ihre Geltungsansprüche in<br />

der Mehrheit nicht begründen, was mit der von ihnen eingenommenen Rolle als Gesprächsleiterin<br />

zusammenhängt.<br />

Aus Sicht der Diskursqualität käme der M<strong>oder</strong>ation die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass<br />

eine respektvolle Interaktion möglich ist. Eine Aufgabe, die – ordnet man das dialogische<br />

Format dem Bereich „Infotainment“ zu – dem Faktor „Unterhaltung“ zuwider läuft. Ein<br />

Indikator für die Frage, ob diese Aufgabe wahrgenommen wird, ist, ob die Diskussion in<br />

geordneten Bahnen verläuft <strong>oder</strong> ob vielmehr eine hitzige Auseinadersetzung stattfindet, in<br />

der sich die GesprächsteilnehmerInnen gegenseitig ins Wort fallen und mitunter beleidigend<br />

werden. Im Vergleich zu den Teilnehmenden verhält sich die M<strong>oder</strong>ation in den untersuchten<br />

Sendungen respektvoller: Sie unterbricht die Sprechenden insgesamt zwar häufiger,<br />

wahrt aber in der Hälfte aller Fälle bestehende Diskursnormen, indem die Unterbrechungen<br />

der Verständigung dienen (akustisch <strong>oder</strong> inhaltlich), explizit entschuldigt werden<br />

<strong>oder</strong> dadurch begründet sind, dass die Aufgabe der M<strong>oder</strong>ation vorsieht, das Rederecht<br />

ausgeglichen zu verteilen. Ebenso fällt sie im Vergleich zu den anderen Diskursteilnehmenden<br />

weniger dadurch auf, dass sie das Gesagte gewissermassen aus dem Off kommentieren<br />

<strong>oder</strong> den Sprechenden ins Wort fallen ohne im Anschluss daran auch einen Beitrag<br />

zur Diskussion leisten zu können. Versucht die M<strong>oder</strong>ation das Rederecht zu übernehmen,<br />

gelingt ihr dies häufiger als den Teilnehmenden, was dem beschriebenen Übernahme-<br />

Privileg geschuldet ist. Da die übrigen Teilnehmenden jedoch verstärkt den kommunikativen<br />

Respekt verletzen, kann also nicht davon gesprochen werden, dass die M<strong>oder</strong>ation ein<br />

respektvolles Diskursklima zu schaffen versteht. Eine mangelnde Bemühung diesbezüglich<br />

kann daran abgelesen, dass sie kaum eine Metakommunikation anregt, in der das Respektieren<br />

des Rederechts zur Diskussion steht. Während die M<strong>oder</strong>ation selber äusserst selten<br />

beleidigend wird, ist dieses Gesprächsverhalten bei den Teilnehmenden doch öfters festzustellen.<br />

192<br />

Von Interesse ist diesbezüglich auch die Frage, von wem und in welchem Masse der Diskurs<br />

personalisiert wird. Der „Infotainment“-Charakter der Sendungen wird vornehmlich<br />

192 Das mag auf konversationsanalytischer Ebene auch damit zusammenhängen, dass das Diskursverhalten<br />

der M<strong>oder</strong>ation von den anderen Teilnehmenden als konstitutiver Bestandteil der Rolle „M<strong>oder</strong>ation“ gesehen<br />

wird und daher keine „Vorbild-Funktion“ erfüllt, an der sich die DiskutantInnen orientieren.<br />

219


Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />

durch die Teilnehmenden hergestellt, diese äussern rund 3.5-mal häufiger Geltungsansprüche,<br />

in denen die Person im Vordergrund steht als die M<strong>oder</strong>ation, die eine Auseinandersetzung<br />

auf dieser Ebene nur selten sucht. Die Schwerpunktsetzung wird eindeutig auf<br />

Sachfragen gelegt, nur ein geringer Anteil aller gestellten Fragen zielt darauf ab, eine subjektive<br />

Einschätzung der Teilnehmenden anzustossen. In den meisten Fällen zielen die<br />

Fragen auf eine Positionierung der TeilnehmerInnen, ebenfalls relativ häufig werden die<br />

Teilnehmenden aufgefordert ihre Aussagen zu präzisieren. Die Medienleistung besteht<br />

somit darin, zu gewährleisten, dass das Publikum die Standpunkte der AkteurInnen verorten<br />

und eine Präferenzordnung der Positionen erstellen kann. Für die Diskursqualität ist<br />

insbesondere von Bedeutung, dass Unklarheiten über Nachfragen ausgeräumt werden, hier<br />

wirkt das Rollenverständnis der M<strong>oder</strong>atorInnen auf den Diskurs förderlich.<br />

Abschliessend kann festgestellt werden, dass die M<strong>oder</strong>ation zwar den Diskurs befördert,<br />

aber gerade wegen ihrer Sonderstellung als „Drehscheibe“ die intensivere Auseinandersetzung<br />

der Teilnehmenden untereinander gleichermassen behindert. Diese Funktion der Diskursorganisation<br />

kann die M<strong>oder</strong>ation natürlich nur dann wahrnehmen kann, wenn sie in<br />

ihrer Rolle als Schaltstelle respektiert wird, sprich die Teilnehmenden zu einem überwiegenden<br />

Teil darauf verzichten, das Gespräch selbst zu organisieren. Die Medien fördern<br />

also das Darstellen verschiedener Positionen, erschweren durch die allgemein anerkannte<br />

Diskursrolle zwar einen <strong>Dialog</strong> zwischen den Teilnehmenden, kompensieren aber diesen<br />

mangelnden Austausch ansatzweise, indem sie selber verstärkt argumentative Bezugnahmen<br />

herstellen. Der auf den ersten Blick paradoxe Effekt einer Diskursverschlechterung in<br />

einem Bereich durch eine Diskursverbesserung in einem anderen Bereich entsteht also<br />

dadurch, dass die M<strong>oder</strong>ation als Vermittlerin des Gesprächs gleichsam zwischen die Teilnehmenden<br />

tritt. Damit wird nicht zuletzt auch die von Steiner et al. (2004) beschriebene<br />

Komplexität der Diskursqualität offensichtlich: Sie ist kein homogenes, eindimensionales<br />

Konstrukt, dass anhand von bestimmten Werten in einem Bereich direkte Schlussfolgerungen<br />

über die anderen Aspekte zulassen würde. Während manche Formen der Diskussion in<br />

einigen Diskursdimensionen hohe Werte erzielen, liegen sie hinsichtlich anderer Dimensionen<br />

klar unter dem Durchschnitt. Anhand der verschiedenen komparativen Ebenen im<br />

vorliegenden Projekt wird dabei zusätzlich offensichtlich, dass Massnahmen, die den Diskurs<br />

befördern sollen, gleichzeitig zu nicht-intendierten Konsequenzen in anderen Bereichen<br />

führen, die der Diskursqualität wiederum abträglich sind. Dies zeigt sich in Bezug zur<br />

Rolle der M<strong>oder</strong>ation wie auch insbesondere im Vergleich zwischen Radio und Fernsehen<br />

einerseits und den Online Foren andererseits. Gerade in diesem letztgenannten Bereich<br />

haben die genannten Unterschiede aber auch weitreichende Auswirkungen auf die Stellung<br />

der einzelnen Formate im politischen Prozess und in Bezug zur individuellen Meinungs-<br />

und Willensbildung, auf die in den abschliessenden Schlussbetrachtungen noch näher eingegangen<br />

werden soll.<br />

220


Schlusswort und Ausblick<br />

10 Schlusswort und Ausblick<br />

In diesen abschliessenden Erörterungen soll nochmals der Bogen von der Empirie zur Theorie<br />

geschlagen und insbesondere auf das Kreislaufmodell deliberativer Demokratie eingegangen<br />

werden. Im Vordergrund stehen dabei vor allem systematische Unterschiede zwischen<br />

den traditionellen elektronischen Medien Radio und Fernsehen einerseits und dem<br />

Internet bzw. den untersuchten Online-Foren andererseits. Hier wird besonders offensichtlich,<br />

dass Diskussionen in virtuellen Arenen durch ihre besondere Rahmenbedingung und<br />

konkrete Ausgestaltung Funktionen erfüllen können, die in der Kommunikationsstruktur<br />

der traditionellen Medien nicht institutionalisiert und verfügbar sind. Online-Foren können<br />

auf diese Weise den medialen Diskurs ergänzen, wenngleich dieser Vorteil nur dadurch<br />

zustande kommt, dass gleichzeitig bestimmte systematische Mängel im Diskurs in Kauf<br />

genommen werden. Insgesamt zeigen die Befunde auf, dass Online-Kommunikation, so<br />

wie sie im Rahmen des vorliegenden Projekts untersucht wurde, aus theoretischer Perspektive<br />

anders im politischen Kreislauf zu situieren ist als dies bisher der Fall war – nämlich<br />

auf der Output- anstatt an der Input-Seite – und folglich auch gegenüber den klassischen<br />

elektronischen Medien einen anderen Status einnimmt.<br />

Radio und Fernsehen<br />

<strong>Dialog</strong>ische Sendungen in Radio und Fernsehen sind Formate, in denen die Medien eher in<br />

der Funktion als Diskursvermittelnde auftreten denn als genuine Diskursteilnehmende.<br />

Dies vermag nicht zu erstaunen, fällt ihnen doch die Rolle zu, die unterschiedlichen Positionen<br />

der anderen AkteurInnen zu Wort kommen zu lassen und miteinander in Verbindung<br />

zu bringen und so das Gespräch eigentlich zu führen. Es bleibt wenig Raum, um eigene<br />

Vorstellungen in die Diskussion einzubringen – was zudem die unabhängige Stellung<br />

des/der M<strong>oder</strong>ators/in untergraben könnte. 193 Das von Medienseite empfundene Dilemma,<br />

dass man nicht gleichzeitig M<strong>oder</strong>atorIn und TeilnehmerIn sein kann, wird aber auch nicht<br />

etwa dadurch umgangen, dass andere MedienvertreterInnen als politische AkteurInnen in<br />

die Sendung eingeladen werden, in den untersuchten Sendungen war dies nur selten der<br />

Fall. Das Problem ist also nur teilweise darauf zurückzuführen, dass die Rollen von M<strong>oder</strong>atorIn<br />

und TeilnehmerIn unvereinbar sind, sondern hat insbesondere auch mit der (fehlenden)<br />

Selbstwahrnehmung der Medien im politischen Prozess zu tun. Diese nährt sich nach<br />

wie vor vom Ideal des – grösstenteils historisch unverbürgten – „fourth estate“ (vgl.<br />

Schultz 1998) und damit einer unabhängigen Position der kritischen Beobachtung. Mag<br />

dieser Aspekt in der Presse und allgemein in monologischen Angeboten der elektronischen<br />

Medien anders aussehen, in dialogischen Sendegefässen reduziert sich die Rolle der Medien<br />

stark auf diejenige des Diskursvermittelns. In dieser Rolle bringen sie dann aber auch<br />

konträre Sichtweisen ein, setzen sie widersprechende AkteurInnen zueinander in Beziehung<br />

und präsentieren so ein kontrastreiches Meinungsspektrum. Das trifft indes vorwiegend<br />

für etablierte, eher zentrumsnahe AkteurInnen zu, die Peripherie wird dagegen in der<br />

Regel nur fallweise in den Diskurs eingebunden. In dialogischen Formaten setzen die Medien<br />

nicht so sehr die Peripherie mit dem Zentrum in Verbindung, sondern in erster Linie<br />

zentrumsnahe Meinungen untereinander. Wenn periphere AkteurInnen zu Wort kommen,<br />

dann wie etwa in der „Arena“ entweder, um die Position eines/r etablierten Akteurs/in direkt<br />

zu hinterfragen <strong>oder</strong> sie mit der eigenen lebensweltlichen Erfahrung zu kontrastieren –<br />

die vorwiegend abstrakte politische Argumentation gewinnt so konkrete Bedeutung anhand<br />

des Einzelfalls. Solche einzelnen Beispiele haben zwar keinen repräsentativen Charakter,<br />

193 Davon ausgenommen sind natürlich all diejenigen Voten, in denen die Medien auf argumentativer Ebene<br />

die vorgebrachten Geltungsansprüche der anderen TeilnehmerInnen kritisch prüfen. Aber auch in diesem Fall<br />

bleiben sie meist in ihrer Rolle als Teilnehmende einer „Mandatarsfunktion“ verpflichtet (vgl. Habermas<br />

1992).<br />

221


Schlusswort und Ausblick<br />

sind aber dennoch für beide Seiten von Nutzen: Für die Peripherie stellen sie eine Möglichkeit<br />

dar, von zentrumsnahen AkteurInnen zu fordern, ihre Vorstellungen und Positionen<br />

auf die Praxis des Einzelfalls anzuwenden, wodurch sie an Legitimität gewinnen und<br />

die Konturen der einzelnen Meinungen schärfer hervortreten. Die politischen AkteurInnen<br />

des Zentrums und zentrumsnaher Organisationen hingegen können auf diese Weise die<br />

Überzeugungskraft ihrer Argumente prüfen. Das stellt indes auch ein Risiko dar, geht es in<br />

dieser Phase des politischen Prozesses doch nicht mehr nur darum, Impulse aus der Peripherie<br />

aufzunehmen, viel eher wird von den ZentrumsakteurInnen erwartet, dass ihre Positionen<br />

argumentativ weit genug gefestigt sind, um auch kritischen Einwänden adäquat begegnen<br />

zu können. Diese werden meist von der Peripherie als Publikum in dialogischen<br />

Formaten artikuliert, denn der Schlagabtausch der etablierten AkteurInnen ist eher dazu<br />

geeignet, die Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Positionen hervortreten zu lassen und<br />

dient nicht so sehr dazu, lebensweltliche Aspekte in die Diskussion einzubringen. Wenn<br />

Ausführungen zur Lebenswelt überhaupt vorkommen, so sind sie meist in einem doppelten<br />

Sinn „repräsentativ“: Zum einen werden sie von politischen RepräsentantInnen im Namen<br />

von betroffenen gesellschaftlichen Gruppierungen geäussert, etwa wenn SP-PolitikerInnen<br />

im Namen von ArbeitnehmerInnen für bessere Arbeitsbedingungen argumentieren. Zum<br />

anderen sind solche Äusserungen aber auch repräsentativ in dem Sinn, dass sie Verallgemeinerungen<br />

darstellen. Während AkteurInnen der zivilgesellschaftlichen Peripherie genuin<br />

auf ihre eigene lebensweltlichen Erfahrungen verweisen können, sind AkteurInnen aus<br />

dem politisch-administrativen Zentrum eher dazu geneigt, generisch von dem Arbeitnehmer/der<br />

Arbeitnehmerin zu sprechen. Dessen ungeachtet sind es vor allem die VertreterInnen<br />

der etablierten Organisationen, der Parteien, Verbände, Verwaltung, usw., die als<br />

„HauptakteurInnen“ im Mittelpunkt des Diskurses stehen.<br />

Der Diskurs von Radio und Fernsehen ist wegen dieser Struktur bereits sehr stark rationalisiert<br />

– Empfindungen usw. haben darin keinen Platz bzw. keinen legitimen Status, wenn<br />

sie sich nicht diskursiv rechtfertigen lassen. 194 Für die RezipientInnen bieten Radio und<br />

Fernsehen innerhalb der dialogischen Formate ein breites Meinungsspektrum an ZentrumsakteurInnen,<br />

die als „verallgemeinerte Andere“ (vgl. Mead 2002) bzw. „deliberative<br />

RepräsentantInnen“ (vgl. Goodin 2000) einen Teil des argumentativen Inputs der „deliberation<br />

within“ ausmachen können.<br />

Online-Foren<br />

Die diskursive Struktur von Online-Foren ist demgegenüber nahezu ins Gegenteil verkehrt.<br />

Wie gezeigt wurde, nimmt hier die Peripherie eine zentrale Stellung ein, wodurch dem<br />

Internet im Verhältnis zu den traditionellen (elektronischen) Medien auf dieser Ebene eher<br />

eine „kompensatorische“ Diskursfunktion zukommt. Darüber hinaus erfüllen die untersuchten<br />

Debatten in den virtuellen Arenen aber auch andere wichtige Aufgaben für die<br />

individuelle Meinungs- und Willensbildung, etwa indem sie öffentliche diskursiv legitimierte<br />

Standpunkte mit oftmals nur schwach rationalisierten privaten Meinungen und<br />

Empfindungen in Verbindung bringen, wobei sich einzelne Foren in diesem Punkt stark<br />

unterscheiden. Als Folge davon, so legen es zumindest die Ergebnisse der vorliegenden<br />

Untersuchung nahe, sind Online-Foren im politisch-deliberativen Prozess anders zu verorten<br />

als die Forschung dies bisher getan hat.<br />

Ihrer institutionellen Stellung nach sind Online Foren ein Teil der hier untersuchten Massenmedien<br />

und kommen in Habermas’ Modell der Öffentlichkeit also als intermediäre Instanzen<br />

im politischen Prozess zwischen zivilgesellschaftlicher Peripherie und politischadministrativen<br />

Zentrum zu liegen. Ihr grosses deliberatives Potential scheint vor allem<br />

darin zu bestehen, dass sie allein aufgrund ihrer technischen Struktur anders als die klassi-<br />

194 Diese strukturellen Rahmenbedingungen haben u.a. auch zur Folge, dass die M<strong>oder</strong>ation zentrumsnahe<br />

AkteurInnen kaum auf ihre persönlichen Sichtweisen anspricht.<br />

222


Schlusswort und Ausblick<br />

schen Medien einschliesslich der Presse den peripheren AkteurInnen und ihren Anliegen<br />

einen grösseren Raum gewähren. Damit wirken sie dem vermeintlichen „Zerfall der Öffentlichkeit“<br />

(vgl. Habermas 1990) entgegen, indem sie das Ideal des räsonierenden Publikums<br />

der Kaffeehäuser des 18. Jahrhunderts in einen virtuellen Raum transferieren und<br />

dem entsprechen, was Dryzek „discursive designs“ genannt hat – ein möglichst durchlässiger<br />

öffentlicher Raum, in dem BürgerInnen debattieren und den Staat diskursiv konfrontieren<br />

können (vgl. Dryzek 1999). Und in der Tat belegen einige Beispiele, dass solche deliberativen<br />

Arenen eine politische Funktion erfüllen können, wenn sie stark genug im öffentlichen<br />

Diskurs verankert sind und unter Umständen von offizieller Seite her bewirtschaftet<br />

werden (vgl. Dahlberg 2001a, b). Indes gibt es auch genügend gegenteilige Diagnosen, die<br />

nicht nur die diskursive Qualität von Online-Debatten, sondern auch deren Wirkung auf<br />

die institutionelle Politik in Zweifel ziehen (vgl. Waldstein 2005; Rose, Saebo 2005; Borgida,<br />

Stark 2004). Auch die vorliegenden Studie ist weit davon entfernt das Bild einer verständigungsorientierten<br />

virtuellen Gemeinschaft zu zeichnen, die auf einen Konsens hin<br />

arbeitet. Vielmehr sind die Online-Debatten oft unzusammenhängend, die Bezugnahme auf<br />

andere TeilnehmerInnen erfolgt nur oberflächlich, die eigene Argumentation ist wie der<br />

Respekt dem anderen gegenüber eher mangelhaft. Zudem vermitteln die hier untersuchten<br />

Foren eher den Eindruck von geschlossenen Diskursgemeinschaften, deren Durchlässigkeit<br />

theoretisch zwar gegeben ist, in denen aber keine Durchdringung mit anderen Öffentlichkeiten<br />

feststellbar ist. Die Bilanz über den diskursiven und demokratischen Beitrag der<br />

„schönen neuen Medienwelt“ müsste also entsprechend nüchtern ausfallen. Wie im Folgenden<br />

indes zu sehen sein wird, sind solche Einschätzungen in der Regel das Resultat<br />

eines „blinden Flecks“ der Kommunikations- und insbesondere der Internetforschung.<br />

Wenn das Fazit hier also differenzierter und positiver ausfällt als anzunehmen wäre, so<br />

gründet dies vor allem in der Einsicht, dass Online-Foren zwar nicht gänzlich anders funktionieren<br />

als andere, etablierte Formen der Massenmedien, dass sie aber gerade aufgrund<br />

der hier vorliegenden empirischen Ergebnisse anders in den bestehenden theoretischen<br />

Modellen der politischen Öffentlichkeit zu verorten sind. Dadurch ergeben sich dann auch<br />

andere – gemässigtere und realistischere – Ansprüche an ihre Möglichkeiten im demokratischen<br />

Diskurs.<br />

Sieht man sich die Diskursqualität der Online-Foren in den Hauptkategorie an, so schneiden<br />

sie zwar nicht grundsätzlich schlechter ab als die klassischen Medien, zwei Aspekte<br />

sind aber besonders auffällig. Zum einen ist die Akteursstruktur so homogen wie in keinem<br />

anderen Medium – nahezu alle Teilnehmenden äussern sich als Privatpersonen der zivilgesellschaftlichen<br />

Peripherie. Zum anderen kommen zwar in Online-Foren mehr Themen als<br />

im Radio und in den Fernsehsendungen zur Sprache, was jedoch gleichzeitig Indiz dafür<br />

ist, dass Online-Debatten kaum den Sprung über die virtuelle Arena hinaus in die anderen<br />

Medien schaffen. 195 Wie in der Literatur beklagt und kritisiert, so bestätigt sich auch hier,<br />

dass der Austausch innerhalb von Online-Foren zwar durchaus rege sein mag, der Kommunikationsfluss<br />

mit den traditionellen elektronischen Medien aber sehr einseitig zuungunsten<br />

des Internets verläuft. Die TeilnehmerInnen in Online-Foren beziehen sich zwar<br />

auf die Diskussion in den anderen Medien und tragen so dazu bei, dass unterschiedliche<br />

Aspekte innerhalb des jeweiligen Forums zusammengetragen und im Rahmen einer kritischen<br />

Prüfung verarbeitet werden. Ebenso bieten sie die Möglichkeit, die eigenen Standpunkte,<br />

Befürchtungen, usw. zu artikulieren. Aber all dies führt letzten Endes nicht dazu,<br />

dass es zu einem „spill over“ Effekt von Online-Foren in die anderen Medien hinein<br />

kommt. Davon ist höchstens bei Foren auszugehen, die von Verlagshäusern betrieben und<br />

als Quelle für die Rubrik der LeserInnenbriefe in den Printmedien genutzt werden. Dies<br />

195 Eine Verlaufsanalyse der Themen und Argumente war nicht eigentlicher Gegenstand der Untersuchung,<br />

die Analysedimensionen die aber ersatzweise dafür herangezogen werden können machen klar, dass die<br />

Online-Foren in dieser Hinsicht so etwas wie eine „geschlossene Gesellschaft“ darstellen.<br />

223


Schlusswort und Ausblick<br />

stellt das eigentliche Problem dar, denn Demokratie lebt nicht nur davon, dass der Zugang<br />

zur öffentlichen Diskussion möglichst egalitär ist, sondern dass die Beiträge Gehör finden,<br />

sprich im weiteren Verlauf aufgenommen und argumentativ erörtert werden. „Voice“ alleine,<br />

d.h. die Möglichkeit der Artikulation, reicht in einem politischen Prozess nicht aus wie<br />

etwa Mitra (2004) annimmt, es braucht ebenso das was Goodin, Dryzek (2006) „uptake“<br />

durch andere AkteurInnen/Arenen nennen.<br />

Der Befund müsste in der Tat gravierend für das demokratische Potential von Online-<br />

Foren ausfallen, sofern man – wie im Grossteil der Literatur üblich – das Internet an der<br />

Input-Seite des politischen Prozesses verortet (vgl. Norris 2003; Clift 2003; Tuzzi et al.<br />

2007). Hier aber sprechen die erhobenen Daten eine andere Sprache und zeigen eindeutig<br />

auf: Die Online-Foren der Medienverlagshäuser sowie des Online-Dienstleiters Google<br />

sind vielmehr an der Output-Seite der anderen Medien (und teilweise der Politik) zu situieren<br />

– und gerade darin liegt der deliberative Gewinn und ihre demokratische Bedeutung für<br />

die Meinungs- und Willensbildung. Sie sind im politischen Prozess anders gelagert und<br />

ergo anders zu verorten als die klassischen elektronischen Medien, was sich insbesondere<br />

anhand der systematischen Unterschiede in den zentralen Dimensionen des Diskurses<br />

zeigt. Denn abgesehen vom Grad ihrer institutionellen Verankerung, sind Online-Foren<br />

ihrer Diskursstruktur nach zu urteilen nicht wie die anderen Medien im Zwischenraum von<br />

Zentrum und Peripherie anzusiedeln, sondern mehr an der Peripherie und damit stärker in<br />

der Lebenswelt der AkteurInnen verankert. 196 Das ist nicht nur anhand der homogenen Akteursstruktur<br />

zu sehen, sondern etwa auch daran, dass viele DiskussionsteilnehmerInnen<br />

lediglich einen Beitrag verfassen, der sich nur sehr oberflächlich auf andere TeilnehmerInnen<br />

<strong>oder</strong> Argumente bezieht und in sich selbst nicht sehr reflektiert ist – sprich meist eine<br />

im Weiteren unbegründete Meinung in den (virtuellen) Raum stellen. Diese systematischen<br />

Unterschiede resultieren zum einen aus dem Charakter einer unm<strong>oder</strong>ierten Diskussion,<br />

zeigen zum anderen aber auch die Position der Online-Foren an der Schnittstelle zwischen<br />

der breiten öffentlichen Debatte und der oftmals erst im Entstehen begriffenen privaten<br />

Meinung. Online-Foren nehmen also den diskursiven Output, die Argumente und Stellungnahmen<br />

anderer – vor allem etablierter – AkteurInnen in die Diskussion mit auf. Dort<br />

treffen sie auf die nur teilweise rationalisierten Vorstellungen, Befürchtungen und Überzeugungen,<br />

auf reale und imaginative Positionen der TeilnehmerInnen, letzten Endes also<br />

auf einen gerade stattfindenden Prozess der „deliberation within“ (vgl. Goodin 2000). Anders<br />

als die klassischen Medien beziehen sie nicht nur den Output des politischen Systems,<br />

sondern auch den der Medien selbst in die Diskussion mit ein und werden so zu kommunikativen<br />

Feedbackschleifen, die die aktuelle öffentlichen Diskussion an den momentanen<br />

Prozess der privaten Meinungs- und Willensbildung koppeln. In dieser Funktion eines virtuellen<br />

„Testgeländes“ für die eigenen Meinungen und Empfindungslagen bewähren sich<br />

die Online-Foren und komplementieren so die Funktionen der anderen Medien. Darüber<br />

hinaus ziehen sie zumindest teilweise die disparaten Stränge der Debatte in den Medien<br />

zusammen und schaffen so immerhin Referenzpunkte für die eigene Diskussion innerhalb<br />

196 Damit unterscheiden sie sich fundamental von Online-Foren, die von offiziellen Institutionen des politisch-administrativen<br />

Zentrums wie dem Parlament <strong>oder</strong> dem Eidgenössischen Departement für auswärtige<br />

Angelegenheiten betrieben werden (vgl. Wenzler 2003). Obwohl Vergleiche mit Vorsicht anzustellen sind,<br />

scheint es in der Tat so zu sein, dass diese eher auf der Input-Seite und sehr nahe am Zentrum situierten Foren<br />

allgemein einen höheren Grad der Rationalisierung aufweisen. Dies schon allein deswegen, weil sie nicht<br />

dazu dienen, Empfindungen usw. grundsätzlich zu artikulieren, sondern hier zumindest grundsätzlich die<br />

Möglichkeit besteht, dass Beiträge durch ZentrumsakteurInnen aufgenommen werden. Ob diese virtuellen<br />

Debatten indes tatsächlich als Input fungiert haben, lässt sich nicht sagen – die entsprechenden Angebote<br />

werden auf jeden Fall nicht mehr betrieben. Die Aufgabe der Diskussion scheint vorwiegend bei den Medien<br />

zu liegen – so hat jedenfalls die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) im Rahmen der Kantons- und Regierungsratswahlen<br />

im Kanton Zürich einen Blog aufgeschaltet, wo „Politikerinnen und Politiker sämtlicher Parteien […]<br />

mit der Wählerschaft über die wichtigen politischen Themen im Kanton Zürich“ debattieren können (NZZ<br />

14.2.07: 1).<br />

224


Schlusswort und Ausblick<br />

des Forums. Der Nachteil von Online-Foren ist freilich darin zu sehen, dass eben gerade<br />

durch ihre Position zwischen interner und externer Deliberation vieles in die Diskussion<br />

einfliesst, das noch nicht genügend rationalisiert ist, noch zu sehr Empfindungslage denn<br />

begründeter Standpunkt ist, um für den weiteren Verlauf ein wirklicher Anknüpfungspunkt<br />

zu sein. Darin besteht auch die Gefahr für die online geführten Debatten. Denn ohne den<br />

lenkenden Zwang eines/r M<strong>oder</strong>ators/in drohen sie in themenfremde Diskussionen abzuschweifen<br />

<strong>oder</strong> durch weitgehend unreflektierte Statements sich im Kreis zu drehen.<br />

Alte und neue Medienwelt<br />

Aus historischer Sicht dienen die elektronischen Medien nicht mehr einer Öffentlichkeit,<br />

die sich nach liberaler Vorstellung aus den zum Publikum versammelten Privatleuten konstituiert,<br />

die als Vermittlerin zwischen Staat und Gesellschaft steht und im privaten Bereich<br />

verankert ist. 197 Nach der liberalen Auffassung des 18. Jahrhunderts war Gesellschaft eine<br />

Sphäre privater Autonomie, „ihr gegenüber eine auf wenige Funktionen limitierte öffentliche<br />

Gewalt; und gleichsam zwischen den beiden Bereichen der zum Publikum versammelten<br />

Privatleute, die als Staatsbürger den Staat mit Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft<br />

vermitteln, um so, der Idee nach, im Medium dieser räsonierenden Öffentlichkeit<br />

Herrschaft als solche zu rationalisieren“ (Habermas 1990: 326-327). Dagegen wird Öffentlichkeit<br />

heute grösstenteils durch die Medien selbst hergestellt und von ihnen dominiert,<br />

wobei die Beziehung Medien—Politik immer wichtiger und von immer entscheidenderer<br />

Bedeutung für die Ausgestaltung der Öffentlichkeit, ihrer Struktur und ihrer Funktion wird.<br />

Überträgt man diesen Befund auf die vorliegende Studie, so können dialogische Formate in<br />

Radio und Fernsehen nicht den Anspruch erheben, in genuin deliberativem Sinn konsensorientiertes<br />

Räsonnement in den Formaten selbst zu praktizieren, sondern sie reduzieren<br />

sich darauf, konkurrierende Meinungen der vorwiegend zentrumsnahen AkteurInnen zu<br />

präsentieren. Im besten Fall gewinnen diese Meinungen dadurch an Kontur, dass sie zueinander<br />

kritisch in Beziehung gesetzt werden – worüber vor allem der/die M<strong>oder</strong>atorIn in der<br />

Doppelrolle als VermittlerIn und TeilnehmerIn zu wachen hat. Es entsteht somit das Bild<br />

einer auf Zustimmung ausgerichteten „demonstrativen“ Öffentlichkeit (vgl. Habermas<br />

1990), was in Einklang mit dem vorherrschenden, „akklamatorischen“ Kreislauf der Politik<br />

übereinstimmt.<br />

Der Quantensprung des Internets bzw. der untersuchten Online-Foren besteht nun darin,<br />

dass es rein der Diskursstruktur nach eine Ungleichzeitigkeit verkörpert: Während es den<br />

Privatleuten (wieder) eine Möglichkeit bietet, in einem (virtuellen) Raum zu diskutieren<br />

und so den akklamatorischen Kreislauf deliberativ an einzelnen Punkten zu durchkreuzen,<br />

sind diese nun aber nicht nur einfach zum Publikum versammelt, sondern werden gleichermassen<br />

selbst zu AkteurInnen in den Medien – sprich den Online-Foren 198 . Das Onli-<br />

197 Wie Habermas zur Rolle der Öffentlichkeit im Liberalismus schreibt: „Öffentlichkeit war, ihrer eignen<br />

Idee zufolge, ein Prinzip der Demokratie nicht schon darum, weil in ihr prinzipiell jeder mit gleicher Chance<br />

seine persönlichen Neigungen, Wünsche und Gesinnungen vorbringen konnte – opinions; sie war nur in dem<br />

Masse zu verwirklichen, in dem diese persönlichen Meinungen im Räsonnement eines Publikums zur öffentlichen<br />

Meinung sich ausbilden konnten – zur opinion publique“ (Habermas 1990: 323).<br />

198 Wie das vorliegende Projekt zeigt, geht es bei Online-Foren aus theoretischer wie empirischer Sicht indes<br />

um weit mehr als „eine teilweise Rückgewinnung der Prinzipien der Versammlungskommunikation“<br />

(Schönhagen 2004: 282). Denn diese sicherlich zunächst auffällige Gemeinsamkeit zwischen Debatten im<br />

virtuellen Raum und in einer (ursprünglichen) Präsenzöffentlichkeit muss nicht nur allgemein stärker an eine<br />

Diskurs- und Gesellschaftstheorie rückgebunden, sondern insbesondere auch in einem Modell politischer<br />

Öffentlichkeit verortet werden, das Öffentlichkeit als Prozess verstehet. Nur so lassen sich neben den offensichtlichen<br />

Gemeinsamkeiten auch systematische Unterschiede in der Diskursstruktur sowie funktionale<br />

Differenzen festmachen. Diese Unterschiede ergeben sich eben nicht allein aus der „institutionellen“ Stellung<br />

des jeweiligen Mediums, sondern können erst durch die empirische Analyse der Diskursqualität bestimmt<br />

werden.<br />

225


Schlusswort und Ausblick<br />

ne-Forum konstituiert sich somit aus dem Publikum als Medienakteur. Damit wird das<br />

tradierte liberale Ideal der räsonierenden Privatleute mit der m<strong>oder</strong>nen Funktion der Medien<br />

als Öffentlichkeit kurzgeschlossen und das ist es auch letzten Endes, was das „Neue“<br />

an den neuen Medien ausmacht. Von den klassischen Medien werden Debatten in den Online-Foren<br />

indes nur wenig – wenn überhaupt – beachtet und vermögen daher nicht, gesamthaft<br />

als (teilweise) rationalisierte Lebenswelt dem vom Zentrum dominierten Diskurs<br />

entgegenzutreten. Eine eigentliche Umstellung auf einen vermehrt deliberativen Kreislauf<br />

findet also nicht statt. Vielmehr hat das Internet eine vorwiegend verarbeitende Funktion –<br />

einerseits indem es die Diskussionen und Standpunkte aus den anderen Medien verarbeitet,<br />

andererseits indem es gegenüber den privaten Positionen und Empfindungen offen ist und<br />

im besten Fall beide Aspekte miteinander in Beziehung setzt. Dass virtuelle Diskussionsforen<br />

von offizieller Seite indes weder gefördert noch längerfristig institutionalisiert werden,<br />

scheint im Vergleich mit anderen Ländern wie Grossbritannien eine Schweizer Besonderheit<br />

zu sein. 199 Dies mag damit zusammenhängen, dass die politische Diskussionskultur in<br />

Staaten mit direktdemokratischen Partizipationsrechten gesamtgesellschaftlich ohnehin<br />

stärker verankert ist. Und auch das Milizsystem könnte dazu beitragen, dass seitens des<br />

politischen Zentrums eine „künstliche“ Diskussionsrunde gar nicht gewünscht wird, sind<br />

ParlamentarierInnen doch zumindest dem Ideal nach genügend stark in den jeweiligen lokalen<br />

Lebenswelten verankert, um sich direkt mit der „Basis“ austauschen zu können.<br />

Ausblick<br />

Welchen individuellen Nutzen die RezipientInnen/TeilnehmerInnen von Diskussionen in<br />

Radio und Fernsehen aber auch in Online-Foren haben, lässt sich anhand der vorliegenden<br />

Untersuchung nicht abschliessend sagen. Hier sind weiterführende Studien notwendig, die<br />

zudem auch die Verlaufsstruktur der Argumente in die Untersuchung miteinbeziehen. Dies<br />

könnte insbesondere Aufschluss darüber geben, wie stark der intermediäre Fluss von Positionen,<br />

Argumenten aber auch AkteurInnen ist – und in welche Richtung er läuft. Zudem<br />

wäre es dann möglich zu rekonstruieren, welche Argumente sich durchsetzen und welche<br />

entkräftet werden <strong>oder</strong> es ganz einfach nicht schaffen, genügend „uptake“ zu bekommen<br />

und so innerhalb der Diskussion aber auch über die gesamte Debatte hinweg einen peripheren<br />

Status einnehmen. Auf Medienseite hingegen wäre es in einem nächsten Schritt angezeigt,<br />

neben dialogischen Formaten auch die monologischen Sendungen wie auch Printmedien<br />

verstärkt in die Untersuchung einzubeziehen. Thematisch gesehen wäre es sodann<br />

wichtig, nicht nur die politische Kommunikation im Rahmen institutionalisierter Prozesse<br />

wie Wahlen und Abstimmungen zu untersuchen. Vielmehr wäre es auch notwendig, den<br />

„diskursiven Alltag“ genauer unter die Lupe zu nehmen, d.h. die Prozesse der Meinungsbildung<br />

im Kontext unterschiedlichster medialer Diskursfragmente, die alle um die Aufmerksamkeit<br />

der RezipientInnen kämpfen. Daran anknüpfend sind es dann insbesondere<br />

qualitativ orientierte RezipientInnenstudien etwa im Sinne der Cultural Studies, die es<br />

Ebensowenig erschöpft sich massenmediale Kommunikation gleich welchen Typs in der Selbstverständigung<br />

der AkteurInnen, wie Schönhangen in Anlehnung an Jarren referiert (vgl. Schönhagen 2004: 283), denn „Politik<br />

besteht nicht nur, und nicht einmal in erster Linie, aus Fragen der ethischen Selbstverständigung“ (Habermas<br />

1996: 283). Der Fehler solcher eher dem Republikanismus zuzurechnenden Überlegungen besteht, so<br />

Habermas, in der „ethischen Engführung politischer Diskurse“ (Habermas 1996: 283, Hervorhebung i.O.).<br />

Als Folge davon werden alle anderen Diskursmodi sowie ihre Verbindungen untereinander weitgehend ignoriert,<br />

die erst in einer deliberativen Konzeption der Politik klar hervortreten: Erst das deliberative Verfahren<br />

„stellt einen internen Zusammenhang zwischen pragmatischen Überlegungen, Kompromissen, Selbstverständigungs-<br />

und Gerechtigkeitsdiskursen her und begründet die Vermutung, dass unter Bedingungen eines problembezogenen<br />

Informationsflusses und sachgerechter Informationsverarbeitung vernünftige bzw. faire Ergebnisse<br />

erzielt werden“ (Habermas 1992: 359-360).<br />

199 Das britische Parlament wie auch etwa das schottische unterhalten Diskussionsforen zu Themen der aktuellen<br />

Politik (http://www.tellparliament.net/; http://www.communitypeople.net/interactive/, [Stand:<br />

12.02.07]).<br />

226


Schlusswort und Ausblick<br />

schliesslich erlauben würden, die externe, öffentliche Deliberation mit der privaten „deliberation<br />

within“ in Verbindung zu bringen. Sie könnten aufzeigen, wie kommunikative<br />

und imaginative Präsenz im Prozess der Meinungs- und Willensbildung zusammenwirken,<br />

wie etwa gelesene Zeitungsartikel, rezipierte Interviews, Debatten, Teilnahmen an Online-<br />

Diskussionen, belletristische Literaturfiguren und die lebensweltliche Einbettung sich innerhalb<br />

des Individuums zu einer komplexen kulturellen Praxis verbinden.<br />

Innerhalb dieser kurz skizzierten Forschungsfelder vermag das vorliegende Projekt einen<br />

detaillierten Einblick in die deliberative Praxis in Radio- und Fernsehsendungen sowie<br />

Online-Foren zu geben. Dabei werden einerseits signifikante Unterschiede entlang der Untersuchungsebenen<br />

sichtbar, etwa zwischen der Deutschschweiz und der Romandie, zwischen<br />

öffentlichen und privaten Sendern aber auch zwischen den klassischen Medien Radio<br />

und Fernsehen und dem neuen Medium Internet. Andererseits wird es aber auch möglich,<br />

die wechselseitigen Wirkungen freizulegen, aus der sich die Diskursqualität als Resultat<br />

erst ergibt. Deliberative Qualität ist damit keine homogene Grösse, sondern gleichsam<br />

als ein heterogenes Konstrukt zu verstehen, das gleichzeitig hohe Werte in der einen Dimension<br />

erreichen kann, während es in Bezug zu anderen Aspekten sehr bescheiden abschneidet.<br />

Die vorliegende Studie zeigt damit nicht nur auf, dass etwa die Rolle der M<strong>oder</strong>ation<br />

in einem komplexen interdependenten Verhältnis mit den anderen AkteurInnen und<br />

der diskursiven Qualität der Debatte steht, <strong>oder</strong> dass sich klassische elektronische Medien<br />

und Online-Foren auf unterschiedliche Art und Weise ergänzen. Sie trägt darüber hinaus<br />

insbesondere auch dazu bei, die theoretische Diskussion um den Status und die Rolle des<br />

deliberativen Modells aber auch etwa ganzer medialer Gattungen wie den neuen Medien<br />

innerhalb des Forschungsfelds der politischen Kommunikation voranzutreiben.<br />

227


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11 Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

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234


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

11.2 Quellen<br />

<strong>Dialog</strong>ische Formate Radio<br />

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„Doppelpunkt” (01.09.2005)<br />

„Echo der Zeit” (20.09.2005)<br />

„Tagesgespräch” (13.05.2005; 09.09.2005)<br />

RSR1<br />

„Forums” (09.05.2005; 13.05.2005; 25.05.2005; 15.08.2005;<br />

23.08.2005; 30.08.2005; 31.08.2005; 04.09.2005;<br />

14.09.2005)<br />

„Le Journal de 12h30” (22.08.2005; 23.08.2005; 24.08.2005; 25.08.2005;<br />

26.08.2005)<br />

„Le Journal du Matin (29.04.2005; 09.05.2005; 18.08.2005; 22.08.2005;<br />

29.08.2005; 05.09.2005)<br />

„On en parle” (09.05.2005)<br />

Radio Freiburg<br />

„Z’ 9i-Talk (25.05.2005; 06.09.2005)<br />

Radio Lac<br />

„Eco Lunch Tendances” (03.05.2005; 06.09.2005)<br />

Rhône FM<br />

„Débats” (01.06.2005; 07.09.2005)<br />

Dialgische Formate Fernsehen<br />

SF DRS1<br />

„Arena“ (13.05.2005; 02.09.2005; 09.09.2005)<br />

„Rundschau” (11.05.2005)<br />

TSR1<br />

„Infrarouge” (11.05.2005; 31.08.2005; 06.09.2005; 13.09.2005)<br />

„Mise au Point” (28.08.2005)<br />

TeleBärn<br />

„BZTalk” (05.05.2005; 05.09.2005; 08.09.2005)<br />

Telebasel<br />

„Salon Bâle” (22.05.2005; 29.05.2005; 18.09.2005)<br />

TeleZüri<br />

„SonnTalk” (29.05.2005)<br />

„TalkTäglich” (29.05.2005; 14.09.2005)<br />

Canal 9<br />

„Controverse” (26.05.2005)<br />

„Le Débat” (21.09.2005)<br />

Léman Bleu<br />

„90’ Chrono” (26.04.2005)<br />

235


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

<strong>Dialog</strong>ische Formate Internet<br />

baz.ch<br />

11.05.2005-02.06.2005.<br />

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[Stand: 15.12.2005]<br />

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[Stand: 15.12.2005]<br />

236


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

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[Stand: 15.12.2005]<br />

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6cdada80/ [Stand: 12.12.2005]<br />

28.08.2005-01.09.2005.<br />

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520bbebce/ [Stand: 12.12.2005]<br />

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ac5e5117/ [Stand: 12.12.2005]<br />

23.09.2005-30.09.2005.<br />

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Reto Brennwald [M<strong>oder</strong>ation]. In: SF DRS1. Rundschau. „Der heisse Stuhl“. 11.05.2005.<br />

Micheline Calmy-Rey. In: SF DRS1. „Arena“. 09.09.2005.<br />

Pascal Decaillet [M<strong>oder</strong>ation]. In: RSR1. „Forums“. 09.05.2005.<br />

Hans-Jürg Fehr. In: SF DRS1. „Arena“. 09.09.2005.<br />

Serge Gaillard. In: SF DRS1. „Arena“. 02.09.2005.<br />

Christian Grobet. In: TSR1. „Infrarouge“. 13.09.2005.<br />

Christoph Mörgeli. In: ZeleZüri. „TalkTäglich“. 30.05.2005.<br />

Niklaus Schär. In: SF DRS1. „Arena“. 13.05.2005.<br />

Peter Spuhler. In: SF DRS1. „Arena“. 02.09.05.<br />

Eric Stauffer. In: TSR1. „Infrarouge“. 13.09.2005.<br />

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http://www.europa.admin.ch/d/index.htm [Stand: 20.10.2006].<br />

Publica Data AG<br />

Medienkonferenz des Forschungsdienstes der SRG SSR idée suisse vom 28. April<br />

2005 in Bern:<br />

http://www.privatradio.ch/docpub/docs/Ergebnisse%20TC%20Jahr%202004%20<strong>CH</strong>_f<br />

r.pdf [Stand: 21.11.2005].<br />

Radiotele<br />

Regional-Fernsehen 2005<br />

http://www2.radiotele.ch/fileupload/17200515825_file.pdf [Stand: 20.10.2005].<br />

Schweizerische Bundeskanzlei<br />

Abstimmungsunterlagen „Schengen/Dublin“:<br />

http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20050605/explic/d-pp0100_pp8000.pdf<br />

[Stand: 20.12.2006]<br />

Abstimmungsunterlagen - „Erweiterung der Personenfreizügigkeit“:<br />

http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20050925/explic/01-24_d.pdf [Stand: 20.12.2006].<br />

Schweizer Fernsehen<br />

Videoarchiv:<br />

http://www.sf.tv/archiv/ [Stand: 17.12.2006].<br />

The Scottish Pariliament<br />

The Scottish Pariliament Live:<br />

http://www.communitypeople.net/interactive/ [Stand: 12.02.2007].<br />

TeleZüri<br />

Archiv:<br />

http://www.telezueri.ch/ [Stand: 20.12.2006].<br />

Telebasel<br />

Archiv:<br />

http://www.telebasel.ch/ [Stand: 20.12.2006].<br />

TSR<br />

Liste der Audio- (RSR) und Videodateien (TSR) zur Abstimmung vom 25.10.2005:<br />

http://www.tsr.ch/tsr/index.html?siteSect=756501&sid=6048413&cKey=11276475230<br />

00&rubricId=10202&Mn=4&lmt=1 [Stand: 20.12.2006].<br />

Liste der Audio- (RSR) und Videodateien (TSR) zur Abstimmung vom 05.06.2005:<br />

http://www.tsr.ch/tsr/index.html?siteSect=756501&sid=5810309&cKey=11169241530<br />

00&rubricId=10200&Mn=7 [Stand: 20.12.2006].<br />

Archiv:<br />

http://archives.tsr.ch/home [Stand: 20.12.2006].<br />

238


Darstellungsverzeichnis<br />

12 Darstellungsverzeichnis<br />

12.1 Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1: Auswahl der Stichprobe nach Sendern und Online-Foren .............................................................. 30<br />

Tabelle 2: Sender und Sendungen, die in die Analyse einflossen ................................................................... 32<br />

Tabelle 3: <strong>Dialog</strong>format nach Radio und Fernsehen........................................................................................ 54<br />

Tabelle 4: Durchschnittliche Sendedauer der dialogischen Formate nach Sprachregion ................................ 56<br />

Tabelle 5: Durchschnittliche Sendedauer der dialogischen Formate nach Anbieter ........................................ 56<br />

Tabelle 6: Durchschnittliche Anzahl Posts pro Tag, Identifikation und Grundstruktur nach Foren................... 59<br />

Tabelle 7: Örtlichkeit der Sendungen nach Anbieter........................................................................................ 63<br />

Tabelle 8: Anzahl Teilnehmende in den Mediengattungen nach Geschlecht................................................... 78<br />

Tabelle 9: Anzahl Posts/Redebeiträge pro DiskursteilnehmerIn nach Mediengattungen................................. 80<br />

Tabelle 10: Anzahl Posts mit Abstimmungsempfehlung .................................................................................. 90<br />

Tabelle 11: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Sprachregion................................ 100<br />

Tabelle 12: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format................................. 101<br />

Tabelle 13: Sprecherwechsel in den Online-Foren nach Sprachregion ......................................................... 102<br />

Tabelle 14: Anzahl Posts pro TeilnehmerIn nach Forenanbieter ................................................................... 107<br />

Tabelle 15: Reziprozität in den Online-Foren nach Sprachregion.................................................................. 108<br />

Tabelle 16: Qualität der Bezugnahme in den Online-Foren nach Sprachregion ............................................ 113<br />

Tabelle 17: Durchschnittliche Anzahl Bezugnahmen nach Forenanbieter..................................................... 117<br />

Tabelle 18: Art des Geltungsanspruchs von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Anbieter........................ 132<br />

Tabelle 19: Art des Geltungsanspruchs nach Forenanbieter ......................................................................... 134<br />

Tabelle 20: Art des Geltungsanspruchs in den Online-Foren nach Sprachregion ......................................... 135<br />

Tabelle 21: Klassifizierung der Geltungsansprüche in den klassischen Medien (nur Teilnehmende) nach<br />

Abstimmungsvorlage ...................................................................................... 147<br />

Tabelle 22: Sprecherwechsel in den klassischen Medien nach Anbieter....................................................... 170<br />

Tabelle 23: Sprecherwechsel in den klassischen Medien nach Sprachregion............................................... 171<br />

Tabelle 24: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach Anbieter .............................................. 180<br />

Tabelle 25: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Radio und Fernsehen ............................. 185<br />

Tabelle 26: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach <strong>Dialog</strong>format ........................................... 186<br />

Tabelle 27: Personalisierung und respektlose Äusserungen in den klassischen Medien nach Sprachregion 186<br />

Tabelle 28: Personalisierung und respektlose Äusserungen in den Online-Foren nach Sprachregion.......... 189<br />

239


Darstellungsverzeichnis<br />

12.2 Grafikverzeichnis<br />

Grafik 1: Datenmaterial in den Sprachregionen nach Mediengattung.............................................................. 49<br />

Grafik 2: Datenmaterial der öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehanbieter nach Sprachregion.......... 50<br />

Grafik 3: Datenmaterial der google.groups und Foren von Medienverlagshäusern nach Sprachregion .......... 51<br />

Grafik 4: Verteilung der Sendungen über die sechs Wochen vor den Abstimmungen nach Anbieter.............. 52<br />

Grafik 5: Verteilung der Sendungen über die sechs Wochen vor den Abstimmungen nach Radio- und<br />

Fernsehanbieter ........................................................................................ 53<br />

Grafik 6: <strong>Dialog</strong>format nach Radio- und Fernsehanbieter................................................................................ 55<br />

Grafik 7: Durchschnittliche Sendezeit pro Sendung nach Anbieter und Sprachregion..................................... 57<br />

Grafik 8: Umfang der Online-Foren ........................................................................................ 58<br />

Grafik 9: Örtlichkeit der Sendungen nach Sprachregion.................................................................................. 62<br />

Grafik 10: Örtlichkeit der Sendungen nach Radio- und Fernsehanbieter......................................................... 63<br />

Grafik 11: Sendungen mit Publikumsbeteiligung bei Radio- und Fernsehanbietern nach Sprachregion ......... 65<br />

Grafik 12: Akteursgruppen nach Zugehörigkeit auf der Achse „Zentrum – Peripherie“.................................... 73<br />

Grafik 13: Akteursgruppen in den klassischen Medien .................................................................................... 75<br />

Grafik 14: Akteursgruppen in den klassischen Medien nach Anbieter ............................................................. 75<br />

Grafik 15: Durchschnittliche Beteiligung der verschiedenen Akteursgruppen pro Sendung nach Anbieter ..... 76<br />

Grafik 16: Akteursgruppen, Anzahl Redebeiträge und Redezeit pro Akteursgruppe in den klassischen Medien<br />

........................................................................................ 82<br />

Grafik 17: Durchschnittliche Rededauer (in Minuten) in den klassischen Medien nach Akteursgruppen......... 83<br />

Grafik 18: Akteursgruppen, Anzahl Redebeiträge und Rededauer pro Akteursgruppe nach Anbieter............. 85<br />

Grafik 19: AkteurInnen nach Einstellung, Anzahl Redebeiträge/Posts nach Position in den Mediengattungen<br />

(nur Teilnehmende) ........................................................................................ 87<br />

Grafik 20: AkteurInnen nach Einstellung und Posts nach Position in den Sprachregionen.............................. 91<br />

Grafik 21: Reziprozität nach Mediengattung ...................................................................................... 105<br />

Grafik 22: Reziprozität in den klassischen Medien nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden ............................ 106<br />

Grafik 23: Reziprozität nach Forenanbieter ...................................................................................... 107<br />

Grafik 24: Qualität der Bezugnahme nach Mediengattung ............................................................................ 110<br />

Grafik 25: Qualität der Bezugnahme nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden.................................................. 110<br />

Grafik 26: Qualität der Bezugnahme von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format...................... 112<br />

Grafik 27: Qualität der Bezugnahme nach Forenanbieter.............................................................................. 112<br />

Grafik 28: Bezugnahme auf M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmende.......................................................................... 116<br />

Grafik 29: Bezugnahmen auf die Teilnehmenden in Online-Foren ................................................................ 117<br />

Grafik 30: Art des Geltungsanspruchs nach Mediengattung und Anbieter..................................................... 128<br />

Grafik 31: Kritisierende Geltungsansprüche nach Position der AkteurInnen in den Mediengattungen .......... 130<br />

Grafik 32: Art des Geltungsanspruchs von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Sprachregion .................. 133<br />

Grafik 33: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Mediengattung..................................... 138<br />

Grafik 34: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden.......... 138<br />

Grafik 35: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Mediengattung (nur Teilnehmende) .... 139<br />

Grafik 36: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Radio und Fernsehen.......................... 140<br />

Grafik 37: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Radio und Fernsehen und nach<br />

<strong>Dialog</strong>format (ohne M<strong>oder</strong>ation) ...................................................................................... 141<br />

Grafik 38: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche in den klassischen Medien nach Sprachregion..<br />

...................................................................................... 142<br />

Grafik 39: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche nach Forenanbieter...................................... 144<br />

Grafik 40: Begründete und unbegründete Geltungsansprüche in den Online-Foren nach Sprachregion ...... 144<br />

Grafik 41: Klassifizierung der Geltungsansprüche anhand der Ebenen „Sachlich“, „Normativ“ und „Subjektiv“ ..<br />

...................................................................................... 146<br />

Grafik 42: Klassifizierung der Geltungsansprüche nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden............................. 148<br />

Grafik 43: Klassifizierung der Geltungsansprüche nach Mediengattung (nur Teilnehmende)........................ 149<br />

Grafik 44: Themenspektren nach Mediengattung (inklusive Themen, die nicht im Zusammenhang mit den<br />

Abstimmungsvorlagen stehen) ...................................................................................... 153<br />

Grafik 45: Themenspektren in den klassischen Medien nach Anbieter (ohne Themen, die nicht im<br />

Zusammenhang mit den Abstimmungsvorlagen stehen)................................................................. 155<br />

Grafik 46: Themenspektren nach Radio und Fernsehen (ohne Themen, die nicht im Zusammenhang mit den<br />

Abstimmungsvorlagen stehen) ...................................................................................... 156<br />

Grafik 47: Themenspektren nach Forenanbieter (ohne Themen, die nicht im Zusammenhang mit den<br />

Abstimmungsvorlagen stehen) ...................................................................................... 158<br />

Grafik 48: Sprecherwechsel nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden............................................................... 168<br />

Grafik 49: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Radio und Fernsehen..................... 169<br />

Grafik 50: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format................................... 170<br />

Grafik 51: Gesprächsaktivitäten nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden......................................................... 173<br />

Grafik 52: Gesprächsaktivitäten von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Radio und Fernsehen............... 174<br />

Grafik 53: Gesprächsaktivitäten von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach <strong>Dialog</strong>format............................. 175<br />

Grafik 54: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden ........... 178<br />

Grafik 55: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts nach Radio und Fernsehen............................ 179<br />

240


Darstellungsverzeichnis<br />

Grafik 56: Gegenstrategien zur Behauptung des Rederechts von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach<br />

<strong>Dialog</strong>format ...................................................................................... 179<br />

Grafik 57: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Mediengattung .......................................... 182<br />

Grafik 58: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden ............... 183<br />

Grafik 59: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Anbieter .................................................... 184<br />

Grafik 60: Personalisierung pro Sendung ...................................................................................... 185<br />

Grafik 61: Personalisierung und respektlose Äusserungen nach Forenanbieter ........................................... 188<br />

Grafik 62: Beteiligung an Foren pro UserInnen ...................................................................................... 188<br />

241

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