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harmonia mundi <strong>magazin</strong><br />
Enrico Baiano<br />
Foto: David Tonnelier<br />
„Neapel sehen und sterben“ – dieser<br />
touristischen Platitüde folgten<br />
die zahlreichen Eroberer dieser<br />
einzigartig schön gelegenen Stadt<br />
nicht. Seit ihrer Gründung im siebten<br />
Jahrhundert vor Christus durch<br />
griechische Kolonisatoren kamen<br />
und herrschten sie, und alle trugen<br />
sie zu der einzigartig vielfältigen<br />
Kultur dieser uralten europäischen<br />
Metropole bei.<br />
So ist die Stadt geprägt von den<br />
Einflüssen der griechischen Gründerväter,<br />
von der nördlichen Schwester<br />
Rom, die Neapel 350 Jahre lang be -<br />
herrschte; später hinterließen germanische<br />
Stämme, die Sarazenen und der<br />
Stauferkaiser Friedrich II. ihre Spuren<br />
am Golf von Neapel. Von 1503 bis<br />
1707 war das Königreich Neapel eine<br />
Provinz der spanischen Krone; noch<br />
heute bezeugt das Spanierviertel eindrucksvoll,<br />
wie sehr die iberische Vorherrschaft<br />
die Stadt prägte. Die alte<br />
Leonardo VINCI –<br />
Giuseppe PETRINI<br />
Cantate e Intermezzi<br />
Cappella de’ Turchini,<br />
Leitung: Antonio Florio<br />
OPS 30-274 (T01)<br />
Domenico SCARLATTI<br />
(1685-1757)<br />
18 Cembalosonaten<br />
Enrico Baiano, Cembalo<br />
SY 05218 (T01)<br />
Neapel und Madrid –<br />
Eine ungleiche Städtepartnerschaft<br />
Stadt am Golf mag sich auf der ande -<br />
ren Seite auch mit ihrer in Jahrhunderten<br />
gewachsenen kulturellen<br />
Vielfalt gegenüber der spanischen<br />
Metropole des neuen Weltreichs, das<br />
sich mit den geraubten Schätzen der<br />
Neuen Welt ausstaffierte, haushoch<br />
überlegen gefühlt haben. Die „Achse“<br />
Madrid-Neapel, wie sie diese beiden<br />
CDs beschreiben, gründete sich indessen<br />
nicht auf Konkurrenz, sondern<br />
scheint von gegenseitiger Befruchtung<br />
bestimmt gewesen zu sein. Einerseits<br />
wurde die Kultur des reichen Madrid<br />
nach Neapel exportiert, andererseits<br />
wirkte Neapel im Fokus seiner kulturellen<br />
Vielfalt, in dem die reiche<br />
Volksmusik der Stadt mit den von<br />
außen kommenden Einflüssen zu<br />
einem eigenen neapolitanischen Stil<br />
verschmolzen wurde, auch wieder<br />
befruchtend auf die spanische Hauptstadt,<br />
die etwas abgelegen vom kulturellen<br />
Geschehen Europas lag.<br />
Besonders Leonardo Vinci zeigt sich<br />
Antonio Florio<br />
hier in seinem neapolitanischen Idiom<br />
unbeeindruckt, ob seine Texte für<br />
ein italienisches oder ein spanisches<br />
Auditorium bestimmt waren.<br />
Domenico Scarlatti indessen, Sohn<br />
eines Exponenten der neapolitanischen<br />
Oper und Cembalolehrer einer<br />
spanischen Infantin, der er später an<br />
den portugiesischen Hof folgte, zeigt<br />
zwar in seinen Cembalosonaten Einflüsse<br />
der neuen galanten Mode, die<br />
von Italien (und nicht zuletzt Neapel!)<br />
ausgehend ganz Europa erfaßte. Doch<br />
auch eine spanische Atmosphäre haftet<br />
diesen ganz und gar eigenartigen<br />
Stücken an, die in ihrem Charakter<br />
weit vorausweisen – bis in die Generation<br />
der Söhne und Enkel. So erhal -<br />
ten Domenico Scarlattis Cembalosonaten,<br />
von denen er mehr als 600<br />
schrieb, eine einzigartige Stimmung,<br />
die sie bis heute in der Geschichte der<br />
europäischen Musik auszeichnet.<br />
Foto: Giuliano Longone