Aktuelle Themen - Deutsche Bank Research
Aktuelle Themen - Deutsche Bank Research
Aktuelle Themen - Deutsche Bank Research
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Themen</strong> international Economics<br />
8. Februar 2001<br />
Nr. 197<br />
Editor:<br />
Stefan Schneider<br />
+49 69 910-31790<br />
stefan-b.schneider@db.com<br />
Koordinator:<br />
Jens-Uwe Wächter<br />
+49 69 910-31726<br />
jens-uwe.waechter@db.com<br />
Publikationsassistenz:<br />
Burgitta Scheurer<br />
+49 69 910-31711<br />
burgitta.scheurer@db.com<br />
Internet:<br />
http://www.dbresearch.de<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> <strong>Research</strong><br />
Frankfurt am Main<br />
Deutschland<br />
E-mail: marketing.dbr@db.com<br />
Fax: +49 69 910-31877<br />
Managing Directors<br />
Axel Siedenberg<br />
Norbert Walter<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Deutschland: Durchbruch zu Pensionsfonds? ................................................3<br />
Mit der jetzt vom Bundestag beschlossenen Rentenreform sollen auch in Deutschland<br />
„Pensionsfonds“ zugelassen werden. Allerdings bleibt der bisherige Vorschlag<br />
weit hinter den internationalen Standards für erfolgreiche Pensionsfonds zurück.<br />
Möglicherweise besteht im weiteren Gesetzgebungsverfahren – ein Vermittlungsverfahren<br />
erscheint für die Verabschiedung der Rentenreform unabwendbar – noch<br />
die Chance, die bisher vorgesehenen Regelungen durch die Schaffung eines zweiten<br />
Pensionsfondstyps – eines echten, marktorientierten Pensionsfonds – „nachzubessern“.<br />
Michael Wolgast<br />
Kohäsion und Konvergenz: Wohlstandsunterschiede in der EU ..................8<br />
Die Wohlstandsunterschiede in der EU-15 sind immer noch beträchtlich, auch wenn<br />
sie sich in den letzten Jahren tendenziell verringert haben. Disparitäten in ganz<br />
anderen Dimensionen werden auftreten, wenn die neuen Mitglieder aus Mittelund<br />
Osteuropa der EU angehören. Deshalb muss die Strukturpolitik den neuen<br />
Erfordernissen im Zuge der Osterweiterung angepasst werden.<br />
Barbara Böttcher<br />
Dollarisierung – vernünftige Politik oder hoch riskante Strategie für Emerging<br />
Markets? ..........................................................................................................12<br />
Das Thema “Dollarisierung” ist in der letzten Zeit nicht nur als theoretisches Problem<br />
diskutiert worden, sondern auch, weil sich einige Entwicklungsländer für die<br />
Abschaffung ihrer Landeswährungen und die Einführung des US-Dollar als gesetzliches<br />
Zahlungsmittel entschieden haben. Die Dollarisierung sollte zwar nicht als<br />
Allheilmittel für die Emerging Markets betrachtet werden; sie bringt jedoch unter<br />
anderem die günstigen Auswirkungen eines robusten und stabilen Wechselkurses,<br />
niedrigerer Zinsen, liquiderer Kapitalmärkte und geringerer Transaktionskosten<br />
mit sich. Auf der anderen Seite steigen die Risiken politischer Fehlentscheidungen,<br />
die sehr kostspielig werden.<br />
Ann-Charlotte Eliasson, Maria Laura Lanzeni
8. Februar 2001<br />
Deutschland: Durchbruch zu<br />
Pensionsfonds?<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Am 26. Januar hat der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition<br />
die im November von der Bundesregierung eingebrachte Reform<br />
der Alterssicherung verabschiedet. Die Rentenreform beinhaltet<br />
– neben einer ganzen Reihe weiterer Maßnahmen – nach wie vor in<br />
erster Linie zwei Kernelemente:<br />
den – allerdings nach aller Voraussicht nicht ausreichenden – Versuch,<br />
die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) durch verschiedene<br />
Modifikationen der Rentenformel zu stabilisieren, und<br />
den Einstieg in den Aufbau einer zusätzlichen, privaten kapitalgedeckten<br />
Altersvorsorge.<br />
Unter den vielen Veränderungen und Ergänzungen des Gesetzesentwurfs<br />
im parlamentarischen Verfahren, oft buchstäblich in letzter Minute,<br />
ragt vor allem der kurzfristig und überraschend von der Bundesregierung<br />
eingebrachte Vorschlag hervor, neben den von Anfang an vorgesehenen<br />
Maßnahmen zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung<br />
(s. Textbox) nun auch in Deutschland „Pensionsfonds“ als einen neuen<br />
Durchführungsweg zuzulassen. Grundsätzlich ist es erfreulich, dass die<br />
Bundesregierung damit eine Forderung aufgreift, die bereits 1998 von<br />
allen Bundestagsfraktionen erhoben worden war. Auf den zweiten Blick<br />
zeigt sich allerdings, dass der konkrete Vorschlag im Gesetzesentwurf<br />
weit hinter den Standards zurückbleibt, wie sie in anderen Ländern für<br />
erfolgreiche Pensionsfonds gang und gäbe sind.<br />
Regulierung der Pensionsfonds greift zu kurz<br />
Unbestreitbar sind auch bereits mit der Schaffung von Pensionsfonds<br />
als rechtlich selbständige Trägereinrichtungen der Altersvorsorge in der<br />
jetzt vorgesehenen Form gegenüber der Pensionsrückstellung – dem<br />
in Deutschland nach wie vor „klassischen“ Durchführungsweg der betrieblichen<br />
Altersversorgung – eine Reihe von Vorteilen verbunden: Mit<br />
der Auslagerung des mit den Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung<br />
verbundenen Vermögens auf einen externen Träger entspricht<br />
die Bilanz des betreffenden Unternehmens eher den Standards auf<br />
den internationalen Kapitalmärkten; überdies wird das Unternehmen<br />
von der Vermögensverwaltung und zumindest teilweise auch von den<br />
Risiken der betrieblichen Altersversorgung entlastet. Für die Arbeitnehmer<br />
besteht der Vorteil darin, dass sie gegenüber dem Pensionsfonds<br />
einen Rechtsanspruch erhalten und ihre Altersversorgung damit<br />
vor dem Risiko der Insolvenz ihres Arbeitgebers geschützt ist und dass<br />
ihre Ansprüche bei einem Arbeitgeberwechsel leichter übertragbar sind.<br />
Trotz dieser guten Ansätze greift die im Altersvermögensgesetz vorgesehene<br />
Einführung von Pensionsfonds jedoch in den wichtigsten Punkten<br />
entschieden zu kurz. Wesentliche Charakteristika eines Pensionsfonds<br />
nach internationalen Standards, die die eigentliche Attraktivität<br />
dieser Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge ausmachen, fehlen<br />
den im Gesetz vorgesehenen „Pensionsfonds“:<br />
Besonders zu bemängeln ist, dass die Pensionsfonds in die Regulierung<br />
des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) einbezogen werden<br />
und dass damit das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen<br />
als zuständige Aufsichtsbehörde vorgesehen ist. Bereits durch<br />
die rechtliche Anbindung an das versicherungsrechtliche Regelwerk,<br />
vor allem aber durch die Identität von Versicherungsaufsicht und<br />
Economics<br />
Übersicht:<br />
Maßnahmen zur Stärkung der<br />
betrieblichen Altersversorgung<br />
im Rahmen der Rentenreform<br />
Generelle Herabsetzung der Unverfallbarkeitsgrenzen<br />
1 von 10 Jahren auf 5 Jahre<br />
Rechtliche Bekräftigung: Entgeltumwandlung<br />
2 als Möglichkeit der betrieblichen<br />
Altersversorgung<br />
Bei Entgeltumwandlung sofort gesetzliche<br />
Unverfallbarkeit<br />
Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf<br />
betriebliche Altersversorgung (Entgeltumwandlung)<br />
Einführung von Pensionsfonds<br />
1 Unverfallbarkeitsgrenzen bezeichnen den Zeitpunkt, ab<br />
dem ein Arbeitgeberwechsel nicht mehr zu einem Verlust<br />
der erworbenen Rentenanwartschaften führen darf.<br />
2 Bei der Entgeltumwandlung werden die Beiträge zu<br />
der betrieblichen Altersversorgung aus dem Entgelt des<br />
Arbeitnehmers – und nicht aus zusätzlichen Mitteln des<br />
Arbeitgebers – geleistet.<br />
Deckungsmittel der betrieblichen<br />
Altersversorgung in Deutschland 1998<br />
Gesamtvolumen DEM 561.1 Mrd.<br />
Unterstützungskassen<br />
(DEM 44.2 Mrd.)<br />
57%<br />
P ensionsrückstellungen<br />
(DEM 318.2 Mrd.)<br />
8%<br />
22%<br />
13%<br />
P ensionskassen<br />
(DEM 125.2 Mrd.)<br />
CH NL GB US JP DE IT FR<br />
Direktversicherungen<br />
(DEM<br />
73.5 Mrd.)<br />
Anlagevolumen der<br />
Pensionsfonds im internationalen<br />
Vergleich (Stand: 1999)<br />
160<br />
% BIP<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
3
4<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Aufsicht über Pensionsfonds wird faktisch einer einzelnen Anbietergruppe<br />
von Pensionsfonds (Versicherungen) gegenüber anderen<br />
möglichen Anbietern (<strong>Bank</strong>en, Kapitalanlagegesellschaften) ein Ausgangsvorteil<br />
gewährt. Zweckentsprechend wäre es, auch in Deutschland<br />
eine gesonderte Aufsichtsbehörde für Pensionsfonds zu schaffen,<br />
so wie es internationaler Standard ist. Im übrigen unterstreicht<br />
die gegenwärtige Diskussion die Notwendigkeit der Schaffung einer<br />
sektorübergreifenden Finanzaufsichtsbehörde auch in Deutschland.<br />
Zwar dürfen die Arbeitgeber in Zukunft im Rahmen einer betrieblichen<br />
Altersversorgung über Pensionsfonds, Pensionskassen oder<br />
Direktversicherung auch sog. „Beitragszusagen mit Mindestleistung“<br />
geben; analog zu den Voraussetzungen für die im Rahmen<br />
der Rentenreform neu eingeführte Förderung in der individuellen<br />
Altersvorsorge („Riester-Förderung“) wird dabei verlangt, dass der<br />
Pensionsfonds eine Rückzahlung der eingezahlten Beiträge formal<br />
garantiert. Konkret lässt eine derartige Verpflichtung zu einer Mindestleistung<br />
aber nur zwei Möglichkeiten zu: Entweder muss der jeweilige<br />
Finanzdienstleister – mit negativen Konsequenzen für die Möglichkeit<br />
z.B. der Anlage in Aktien und damit der Rendite – eine Zusage<br />
geben, dass zu Beginn der Auszahlphase zumindest die eingezahlten<br />
Beiträge zur Verfügung stehen, oder – anderenfalls – verbleiben<br />
doch wieder Risiken aus der betrieblichen Altersvorsorge<br />
beim Arbeitgeber. Dagegen würden diese negativen Effekte bei reinen<br />
Beitragszusagen (Defined Contribution) – die auch nach der<br />
Reform nicht zulässig sein werden – nicht auftreten.<br />
Die – ebenfalls in Analogie zu den Voraussetzungen für eine „Riester-Förderung“<br />
– zwingend vorgeschriebene Auszahlung als lebenslange<br />
Rente engt die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Pensionsfonds<br />
unnötig ein. Dagegen würde eine Öffnung auch für Auszahlpläne<br />
oder – zumindest unter bestimmten Bedingungen – auch für<br />
Einmalauszahlungen der gesamten Summe die Attraktivität der Pensionsfonds<br />
für Arbeitnehmer und damit auch für Arbeitgeber deutlich<br />
erhöhen.<br />
Bisher enthält das Gesetz zu den Anlagevorschriften für Pensionsfonds<br />
nur allgemeine Regeln, die einer Aufsicht nach dem Prinzip<br />
des „prudent man“ – also dem Verzicht auf starre Aufsichtsregeln<br />
zugunsten einer an einem „vernünftigen“ Anlageverhalten orientierten<br />
Aufsicht – entsprechen könnten. Tatsächlich hat sich im internationalen<br />
Vergleich gezeigt, dass Pensionsfonds, die einer Aufsicht<br />
nach dem Prudent-Man-Prinzip unterliegen, erheblich höhere Renditen<br />
erzielen als Pensionsfonds in Ländern mit quantitativen Anlagebeschränkungen.<br />
Allerdings enthält das Gesetz mindestens drei Verordnungsermächtigungen,<br />
die unter anderem weitere Vorschriften<br />
zur Solvabilität (Eigenkapitalausstattung), zur Bildung eines so genannten<br />
„Deckungsstocks“ analog zu den Lebensversicherungsunternehmen<br />
und zur Anlagepolitik betreffen. Es wäre bedauerlich,<br />
wenn die Bundesregierung auf diesem Wege doch wieder quantitative<br />
Anlagebeschränkungen einführen würde, die eine volle Ausschöpfung<br />
der Renditechancen an den Kapitalmärkten erschweren<br />
bzw. verhindern. Grundsätzlich erscheint es überdies fragwürdig,<br />
wenn so wichtige Bestimmungen, die ansonsten stets gesetzlich<br />
geregelt sind, nun im Fall von Pensionsfonds auf dem Verordnungsweg<br />
geklärt werden sollen.<br />
Economics<br />
8. Februar 2001<br />
Anbindung an Versicherungsrecht<br />
wirkt wettbewerbsverzerrend<br />
Vorgeschriebene Mindestleistungen<br />
schmälern Rendite<br />
Restriktive Auszahlungsvorschriften<br />
beeinträchtigen Attraktivität<br />
Anlagevorschriften erst auf dem<br />
Verordnungsweg<br />
Anlagerestriktionen und<br />
durchschnittliche Rendite von<br />
Pensionsfonds*)<br />
9.5%<br />
Länder mit Prudent-Man-<br />
Prinzip<br />
5.2%<br />
Länder mit quantitativen<br />
Anlagebeschränkungen<br />
*) 1984-1996, durchschnittliche reale<br />
Rendite in lokaler Währung<br />
Quelle: OECD<br />
%<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0
8. Februar 2001<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Steuerliche Rahmenbedingungen für Pensionsfonds<br />
Unabhängig davon, ob der Pensionsfonds nach dem traditionellen Prinzip<br />
der Leistungszusage (Defined Benefit) organisiert ist oder ob von der<br />
neuen Möglichkeit der „Beitragszusage mit Mindestleistung“ Gebrauch<br />
gemacht wird, sind grundsätzlich sowohl Beitragsleistungen des Arbeitgebers<br />
als auch der Arbeitnehmer (Entgeltumwandlung) zu den Pensionsfonds<br />
möglich. Allerdings ergeben sich hinsichtlich der steuerlichen<br />
Behandlung bzw. der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterschiedliche<br />
Implikationen und Optionen, je nachdem, ob es sich um<br />
Beiträge der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer handelt.<br />
Für Beiträge der Arbeitgeber zu den ab 2002 neu zu schaffenden Pensionsfonds<br />
bestehen zunächst eine Reihe neu formulierter steuerlicher<br />
Bestimmungen, die – im Gegensatz zu der regulatorischen Seite –<br />
zumindest in steuerlicher Hinsicht zu halbwegs attraktiven Rahmenbedingungen<br />
für Pensionsfonds führen dürften:<br />
Beiträge eines Unternehmens an einen Pensionsfonds können beim<br />
Arbeitgeber generell als Betriebsausgaben abgezogen werden, soweit<br />
sie auf einer vom Arbeitgeber übernommenen Verpflichtung<br />
beruhen (§ 4e EStG).<br />
Soweit ein Arbeitgeber oder eine Unterstützungskasse zur Übernahme<br />
bereits bestehender Verpflichtungen Zahlungen oder sonstige<br />
Vermögensübertragungen an einen Pensionsfonds leistet, sind diese<br />
beim Arbeitnehmer steuerfreie Einnahmen (§ 3 Nr. 66 EStG) 1 ;<br />
sie unterliegen nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Damit<br />
können Anwartschaften aus einer Direktzusage oder aus einer<br />
betrieblichen Alterversorgung über eine Unterstützungskasse auf<br />
einen Pensionsfonds übertragen werden, ohne dass dies beim<br />
Arbeitnehmer eine Steuer- oder Beitragspflicht auslöst.<br />
Unabhängig von – und gegebenenfalls zusätzlich zu – einer möglichen<br />
„Riester-Förderung“ für weitere Beträge sind Beiträge des Arbeitgebers<br />
an einen Pensionsfonds, also Beiträge, die nicht auf<br />
einer „Entgeltumwandlung“ beruhen, bis zu einem Höchstbetrag<br />
in Höhe von 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (derzeit<br />
DEM 104.400) beim Arbeitnehmer steuerfrei (§ 3 Nr. 63 EStG) und<br />
unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht. Noch höhere Beiträge<br />
unterliegen dagegen der Sozialversicherungspflicht und müssen<br />
voll versteuert werden, sofern nicht von der Möglichkeit einer<br />
„Riester-Förderung“ Gebrauch gemacht wird.<br />
Sowohl Beiträge des Arbeitgebers als auch Beiträge des Arbeitnehmers<br />
(Entgeltumwandlung) können darüber hinaus auch im Rahmen einer<br />
„Riester-Förderung“ in den Genuss von Steuerfreibeträgen und Zulagen<br />
kommen. Demnach können die Arbeitnehmer anfangs (2002/2003)<br />
zusätzlich jährliche Beiträge zu Pensionsfonds in Höhe von bis zu<br />
1 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze als Sonderausgaben vom<br />
zu versteuernden Einkommen abziehen 2 ; bis 2008 steigt diese Höchstgrenze<br />
in drei Schritten auf 4% der dann geltenden Beitragsbemessungsgrenze<br />
an. Alternativ zu dem Sonderausgabenabzug können insbesondere<br />
Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen oder Familien<br />
mit Kindern unter bestimmten Bedingungen auch staatliche Zulagen<br />
zu den Beiträgen zu Pensionsfonds in Anspruch nehmen. Pensionsfonds<br />
1 Die entsprechenden Leistungen des Pensionsfonds unterliegen dafür aber in der<br />
Auszahlphase der „nachgelagerten Besteuerung“.<br />
2 Zum Ausgleich zu der Steuerfreiheit der Beiträge erfolgt auch hier eine nachgelagerte<br />
Besteuerung.<br />
Economics<br />
Neu formulierte steuerliche<br />
Bestimmungen<br />
„Riester-Förderung“ auch bei<br />
Pensionsfonds möglich<br />
5
6<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
bieten sich dabei im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung grundsätzlich<br />
als attraktiver und kostengünstiger Weg einer Inanspruchnahme<br />
der neuen Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge („Riester-<br />
Förderung“) an.<br />
Trotz dieser insgesamt vergleichsweise attraktiven steuerlichen Regelungen<br />
ergeben sich dennoch wichtige Einschränkungen:<br />
Bei der Steuer- und Abgabenfreiheit der Arbeitgeberbeiträge<br />
(§ 3 Nr. 63 EStG) stehen Pensionsfonds im Wettbewerb mit Pensionskassen;<br />
für die Pensionskassen gilt (vorläufig) auch weiterhin<br />
die alte Möglichkeit der Pauschalbesteuerung (§ 40b EStG). Anders<br />
als Pensionskassen weisen Pensionsfonds aber den Vorteil auf, dass<br />
hier eine steuer- und beitragsfreie Übertragung von bestehenden<br />
Versorgungsanwartschaften durch die Unternehmen möglich ist.<br />
Die Steuer- und Abgabenfreiheit der Arbeitgeberbeiträge (§ 3 Nr. 63<br />
EStG) bleibt auf 4 Prozent der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze<br />
beschränkt. Damit sind Pensionsfonds gegenüber den heutigen<br />
Regelungen für Pensionsrückstellungen und Unterstützungskassen<br />
deutlich im Nachteil, da hier eine vom Betrag her unbeschränkte<br />
Steuer- und Beitragsfreiheit der Beiträge gilt.<br />
Im Bereich der „Riester-Förderung“ stehen Pensionsfonds im Bereich<br />
der betrieblichen Altersversorgung wiederum im Wettbewerb<br />
mit der Direktversicherung und der Pensionskasse; zudem kann die<br />
Förderung auch im Bereich der individuellen Altersvorsorge eingesetzt<br />
werden, etwa – sofern die Voraussetzungen des Altersvermögensgesetzes<br />
erfüllt werden – für individuelle Beiträge zu privaten<br />
Rentenversicherungen, Kapitalisierungsprodukten der Versicherungen,<br />
<strong>Bank</strong>sparplänen oder Investmentfonds. Die Entscheidung, für<br />
welche Art bzw. welches Produkt der Altersvorsorge die „Riester-<br />
Förderung“ genutzt werden soll, liegt dabei allein beim einzelnen<br />
Arbeitnehmer.<br />
Insgesamt bleiben die steuerlichen Regelungen für die ergänzende<br />
Altersvorsorge damit komplex und wenig transparent; von einem level<br />
playing field, also einer Wettbewerbsneutralität der Besteuerung, kann<br />
im Bereich der Altersvorsorge nach wie vor keine Rede sein.<br />
Ein möglicher Ausweg: Nachbesserung im<br />
Vermittlungsausschuss<br />
Insgesamt ist das bisherige Konzept damit kein „Durchbruch“ zu einer<br />
Schaffung von Pensionsfonds nach internationalen Standards auch in<br />
Deutschland. Möglicherweise besteht im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses<br />
– ein Vermittlungsverfahren für die Verabschiedung<br />
der Rentenreform scheint aus heutiger Sicht unabwendbar – noch die<br />
Chance, die bisher vorgesehenen Regelungen für Pensionsfonds durch<br />
entsprechende Ergänzungen „nachzubessern“.<br />
Besonders wichtig wäre dabei eine Verbesserung der bisher unzureichenden<br />
regulatorischen Rahmenbedingungen für Pensionsfonds. So<br />
wurde von Seiten der Versicherungswirtschaft vorgeschlagen, neben<br />
der bisher vorgesehenen Einführung eines „Pensionsfonds nach Versicherungsart“<br />
auch einen zweiten Typ von Pensionsfonds zuzulassen.<br />
Dies wären Fonds, die weder eine lebenslange Rente noch den Erhalt<br />
des Kapitals garantieren müssen, aber nach allen Erfahrungen hohe<br />
Renditen erwirtschaften. Für diesen zweiten Pensionsfondstyp könnte<br />
die Möglichkeit echter Beitragszusagen (Defined Contribution) geschaffen<br />
werden, um so die Arbeitgeber vollständig von den Risiken einer<br />
betrieblichen Altersversorgung zu entlasten.<br />
Economics<br />
8. Februar 2001<br />
“Riester-Förderung“:<br />
Zulässige Instrumente der kapitalgedeckten<br />
Altersvorsorge<br />
1. Betriebliche Altersversorgung<br />
Pensionsfonds<br />
Direktversicherung<br />
Pensionskasse<br />
Voraussetzungen:<br />
Keine Kumulierung mit anderen Fördertatbeständen<br />
(§ 3 Nr. 63 EStG, § 40b EStG,<br />
Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung)<br />
Auszahlphase: Leibrente oder Auszahlplan/<br />
Leibrente ab 85<br />
2. Individuelle Altersvorsorge<br />
Regeln für die Besteuerung der<br />
Altersvorsorge bleiben komplex<br />
und wenig transparent<br />
Keine Wettbewerbsneutralität der<br />
Besteuerung im Bereich der Altersvorsorge<br />
Anlagevolumen der Pensionsfonds<br />
& Börsenkapitalisierung<br />
US<br />
GB<br />
% BIP<br />
CH<br />
NL<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
FR<br />
100<br />
DE<br />
IT<br />
JP<br />
% BIP<br />
50<br />
0<br />
0 25 50 75 100 125 150<br />
Anlagevolumen der Pensionsfonds<br />
Börsenkapitalisierung
8. Februar 2001<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Marktorientierte Pensionsfonds, die im Rahmen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften<br />
(KAGG) definiert werden sollten, wären in der<br />
Lage, über eine chancenorientierte Anlagestrategie das Renditepotential<br />
der Kapitalmärkte im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmer<br />
voll auszunutzen. Der große Vorteil liegt dabei darin, dass mit vergleichsweise<br />
geringeren Beiträgen ein höheres Versorgungsniveau in der betrieblichen<br />
Altersversorgung erreicht werden kann und damit die Bereitschaft<br />
steigen dürfte, betriebliche Vorsorgepläne anzubieten. Damit<br />
könnte die betriebliche Altersversorgung auf längere Sicht zu einer echten<br />
Säule der Altersvorsorge werden. Die Einführung echter Pensionsfonds<br />
wäre dabei nicht nur für die neue kapitalgedeckte Altersvorsorge,<br />
sondern gleichzeitig auch für den Finanzplatz Deutschland und die gesamte<br />
Unternehmensfinanzierung ein Quantensprung.<br />
Michael Wolgast, +49 69 910-31709 (michael.wolgast@db.com)<br />
Economics<br />
Marktorientierte Pensionsfonds<br />
wären gleichzeitig auch für den<br />
Finanzplatz und die gesamte Unternehmensfinanzierung<br />
ein Quantensprung<br />
7
8<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Kohäsion und Konvergenz:<br />
Wohlstandsunterschiede in der EU<br />
Die Wohlstandsunterschiede in der EU-15 sind immer noch beträchtlich,<br />
auch wenn sie sich in den letzten Jahren tendenziell verringert haben.<br />
Disparitäten in ganz anderen Dimensionen werden auftreten, wenn die<br />
neuen Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa der EU angehören. Darauf<br />
weist die EU Kommission in ihrem zweiten Bericht zum wirtschaftlichen<br />
und sozialen Zusammenhalt (Kohäsionsbericht) hin und fordert, dass<br />
die Strukturpolitik den neuen Erfordernissen im Zuge der Osterweiterung<br />
gerecht werden muss. Die Schlussfolgerungen des Berichts sollen<br />
dazu dienen, die gemeinsame Position der EU zur Regionalpolitik im<br />
Rahmen der Beitrittsverhandlungen zu entwickeln.<br />
Gemischte Bilanz der Strukturpolitik<br />
Das Hauptinstrument der EU-Kohäsionspolitik sind die Strukturfonds,<br />
deren Transferleistungen v.a. die wirtschaftliche Entwicklung in rückständigen<br />
oder sich im Strukturwandel befindenden Regionen vorantreiben<br />
sollen. Zwischen 1989 und 1999 hat sich die Ausstattung der Strukturfonds<br />
nahezu verdoppelt, was einem Anstieg von 0,27% auf 0,46%<br />
des EU-BIP entsprach. Gut ein Drittel des jährlichen EU-Haushaltes entfällt<br />
auf die Ausgaben für die Strukturpolitik. Die Bilanz der Förderpolitik<br />
des letzten Jahrzehnts kann aber bestenfalls als gemischt bezeichnet<br />
werden.<br />
Am erfolgreichsten war Irland, dessen Pro-Kopf-BIP inzwischen 14%<br />
über dem EU-Durchschnitt liegt. Das Pro-Kopf-BIP der drei Länder, die<br />
nach wie vor am Ende der Wohlstandsskala stehen – Griechenland,<br />
Portugal, Spanien –, stieg zwischen 1989 und 1999 von 68% auf 79%<br />
des EU-Durchschnitts. Im Falle Portugals verringerte sich die Kluft zum<br />
EU-Durchschnitt um fast 17%-Punkte, bei Spanien um knapp 10%-<br />
Punkte. Griechenland bleibt auch nach 20 Jahren Mitgliedschaft Schlusslicht<br />
der EU.<br />
Die Kluft zwischen armen (Pro-Kopf-BIP 40% unter EU-Durchschnitt)<br />
und reichen Regionen (Pro-Kopf-BIP 60% über EU-Durchschnitt) hat<br />
sich dagegen kaum verringert. War das Pro-Kopf-Einkommen in den<br />
reichsten EU-Regionen Ende der 80er Jahre noch 2,8 mal höher als in<br />
den ärmsten, beträgt der Wert jetzt immerhin noch 2,6. Interessant mit<br />
Blick auf die Wirksamkeit der Fördermitteln ist, dass sich zum einen die<br />
regionalen Unterschiede innerhalb der einzelnen Mitgliedsländer eher<br />
vergrößern, und zum anderen die wirtschaftliche Entwicklung in rückständigen<br />
Regionen z.T. stagniert, wenn nicht sogar rückläufig ist. Dies<br />
gilt für Spanien, vor allem aber für Griechenland und Süditalien. In Portugal<br />
dagegen haben sich die regionalen Unterschiede auch innerhalb<br />
des Landes verringert.<br />
Für die einzelnen Empfängerländer war das Volumen der Strukturhilfen<br />
beachtlich. Immerhin 3,3% des BIP oder rd. 14% der Investitionen haben<br />
die Fördermittel der EU 1994/1999 für Portugal ausgemacht. Die Werte<br />
für Griechenland sind ähnlich hoch. Die unterschiedliche wirtschaftliche<br />
Entwicklung dieser beiden Kohäsionsländer, die von gleichen Wohlstandsniveaus<br />
gestartet waren (1989: knapp 60% des EU-Durchschnitts;<br />
2000: Portugal 76%, Griechenland 67%) zeigt, das auch massive Finanztransfers<br />
verpuffen, wenn sie nicht in sinnvolle Projekte fließen bzw.<br />
auf vernünftige wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen treffen.<br />
Trotz der erheblichen Mittel und der seit Mitte der 80er Jahre z.T. deutlich<br />
über dem Durchschnitt der EU liegenden Wachstumsraten (Irland, Portu-<br />
Economics<br />
Kohäsionspolitik der EU<br />
8. Februar 2001<br />
Strukturfonds (2000/2006: EUR 195 Mrd.)<br />
unterstützen wirtschaftsschwache Regionen.<br />
69,7% der Mittel fließen in Regionen mit Entwicklungsrückstand<br />
(weniger als 75% des<br />
durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP der EU, derzeit<br />
EUR 20.213). Weitere Mittel werden für Gebiete<br />
mit Strukturwandel und für die Modernisierung<br />
der Beschäftigungspolitik vergeben.<br />
Kohäsionsfond (2000/2006: EUR 18 Mrd.)<br />
unterstützt wirtschaftsschwache Mitgliedstaaten<br />
(mit einem BSP unter 90 % des EU-<br />
Durchschnitts). Kern sind Projekte zur Verbesserung<br />
der Umweltsituation und der Verkehrsinfrastruktur.<br />
Die reichsten und ärmsten<br />
Regionen der EU<br />
BIP pro Kopf (KKS)<br />
% des EU-Durchschnitts<br />
Regionen EU15 EU27<br />
1988 1998 1998<br />
10 % + 155,3 160,9 176,9<br />
10 % - 55,1 61,0 31,1<br />
ratio 2,8 2,6 5,7<br />
25 % + 134,1 137,1 152,0<br />
25 % - 66,6 68,3 44,3<br />
ratio 2,0 2,0 3,4<br />
10 % + und 25 % +: die Regionen mit dem<br />
höchsten Pro-Kopf-BIP (KKS), deren Anteil<br />
an der Gesamtbevölkerung in der EU 10 %<br />
bzw. 25 % beträgt.<br />
10 % - und 25 % -: die Regionen mit dem<br />
niedrigsten Pro-Kopf-BIP (KKS), deren Anteil<br />
an der Gesamtbevölkerung in der EU 10 %<br />
bzw. 25 % beträgt.<br />
Quelle: Eurostat<br />
Ökonomische Bedeutung von Struktur-<br />
und Kohäsionsfondsmitteln<br />
GR IE ES PT<br />
in % des BIP<br />
1989-93 2,6 2,5 0,7 3,0<br />
1994-99 3,0 1,9 1,5 3,3<br />
2000-06 2,8 0,6 1,3 2,9<br />
in % der Bruttoanlageinvestitionen<br />
1989-93 11,8 15,0 2,9 12,4<br />
1994-99 14,6 9,6 6,7 14,2<br />
2000-06 12,3 2,6 5,5 11,4<br />
Quelle: Europäische Kommission;
8. Februar 2001<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
gal, Spanien) gestaltet sich der Konvergenzprozess in der EU mühsam.<br />
Die Kommission geht davon aus, dass weitere 20 Jahre erforderlich<br />
sind, um das Wohlstandsgefälle in der heutigen EU zu beseitigen. Diese<br />
Einschätzung muss mit Blick auf die anstehende Osterweiterung zu<br />
denken geben.<br />
Osterweiterung verändert Förderlandschaft<br />
In einer EU-27 würden sich die Einkommensunterschiede aus heutiger<br />
Sicht verdoppeln, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der EU<br />
würde um 18% sinken:<br />
Die Disparitäten werden sich deutlich verschärfen. Während die rückständigen<br />
Regionen in der EU 1998 ein Pro-Kopf-BIP von 66% des<br />
EU-Durchschnitts erreichten, wird dieser Wert unter Berücksichtigung<br />
der Bewerberländer auf etwa 48% absinken.<br />
Der Anteil der Bevölkerung in Regionen mit einem Pro-Kopf-Einkommen<br />
von weniger als 75% des gegenwärtigen EU-Durchschnitts<br />
(Grenzwert für die höchste Förderstufe der Strukturfonds) wird von<br />
19% auf 36% (174 Mio) der gesamten EU-27 Bevölkerung steigen<br />
bzw. auf 26%, wenn als Grenzwert das durchschnittliche Pro-Kopf-<br />
Einkommen der EU-27 genommen wird.<br />
30% der Bevölkerung würden dann in Mitgliedsländern mit einem<br />
Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 90% des EU-Durchschnitts<br />
(Grenzwert für Mittel aus dem Kohäsionsfonds) leben gegenüber<br />
rd. 15% in der EU-15.<br />
Auch wenn sich das Wohlstandsniveau der Bewerberländer bis zu ihrem<br />
tatsächlichen Beitritt noch erhöhen wird (v.a. in den Ländern, die voraussichtlich<br />
deutlich später der EU beitreten werden wie Rumänien und<br />
Bulgarien), werden mit wenigen Ausnahmen (z.B. Prag) alle dortigen<br />
Regionen Anspruch auf die höchste Förderkategorie haben. Die Implikationen<br />
für die zukünftige Regionalförderung in einer EU-27 sind daher<br />
beachtlich: Entweder wird die EU Strukturpolitik unter Effizienz- und<br />
Kostenaspekten grundlegend reformiert und verfügbaren Mittel zu den<br />
künftigen Neumitgliedern umgeschichtet, oder der Finanzbedarf steigt<br />
deutlich über die mit der Agenda 2000 vereinbarte Budgetobergrenze<br />
von 1,27% des EU-BIP (Portugal z.B. erhält für 2000/2006 mit EUR<br />
348 pro Kopf und Jahr derzeit die höchste Förderung in der EU-15, sein<br />
Pro-Kopf-Einkommen ist aber fast doppelt so hoch wie das Polens).<br />
Das Institut für Weltwirtschaft, Kiel, schätzt, dass sich bei Fortschreibung<br />
der bestehenden Förderkriterien die Transfers um EUR 20 Mrd p.a. erhöhen<br />
müßten, was einer Aufstockung der gegenwärtigen Mittel um<br />
75% entspräche.<br />
Rückständige Regionen in der EU<br />
EU15 EU26<br />
EU15=100 EU15=100 EU26=100<br />
Zahl der Regionen unter<br />
der 75%-Schwelle*<br />
46 97 70<br />
Bevölkerung in diesen Regionen<br />
(in Millionen)<br />
71 174 125<br />
Bevölkerungsanteil der EU15/26 19% 36% 26%<br />
BIP pro Kopf (KKS)<br />
in den Regionen unter der 75%-Schwelle<br />
66 48 46<br />
* 75 % des durchschnittlichen EU-BIP pro Kopf<br />
Quelle: Eurostat, EU26 ohne Malta, 1998<br />
Economics<br />
DK<br />
IE<br />
AT<br />
DE<br />
EU<br />
ES<br />
PT<br />
SI<br />
GR<br />
CZ<br />
HU<br />
PL<br />
Wohlstandskluft in der<br />
erweiterten EU*<br />
0 20 40 60 80 100 120 140<br />
*BIP pro Kopf, KKS, EU-15=100,<br />
Zahlen für 2000<br />
Quelle: DBR, eigene Berechnungen<br />
Erweiterte EU mit deutlich<br />
niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen ...<br />
... und verschärften Wohlstandsunterschieden<br />
Anteil der “ärmeren“ Bevölkerung<br />
in der EU steigt<br />
... mit entsprechenden Konsequenzen<br />
für den EU-Haushalt<br />
9
10<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Zeitdruck zur Verständigung auf Reformen steigt<br />
Die Regionalpolitik gehört zusammen mit der Agrarpolitik zu den heikelsten<br />
Kapiteln in den Beitrittsverhandlungen. Der Verteilungskampf um<br />
die Regionalhilfen hat sich bereits auf dem EU-Gipfel in Nizza angedeutet,<br />
wo Spanien – mit EUR 45 Mrd für die Periode 2000/2006 der<br />
Hauptnutznießer der Strukturpolitik – das Einstimmigkeitsprinzip bei<br />
strukturpolitischen Entscheidungen auch für die nächste Förderperiode<br />
2007/2013 durchgesetzt hat. Nach den Vorstellungen der Kommission<br />
soll über die Regionalpolitik mit den Beitrittsländern in der ersten Hälfte<br />
2002 verhandelt werden. Spätestens bis dahin müssen sich die EU-<br />
Mitglieder auf eine gemeinsame Verhandlungsposition geeinigt haben.<br />
Die Kommission hat im Kohäsionsbericht einige Diskussionsvorschläge<br />
bzw. Empfehlungen für die Reformdebatte gegeben:<br />
Grundsätzlich sollte eine Konzentration der knappen Mittel auf konvergenzfördernde<br />
Faktoren (im Wesentlichen Investitionen in Sachund<br />
Humankapital) und Projekte von gemeinschaftlichem Interesse<br />
erfolgen.<br />
Die Einbeziehung der neuen Mitglieder erfordert eine Überprüfung<br />
der Förderkriterien für die rückständigen Regionen, für deren Neufestsetzung<br />
verschiedene Optionen denkbar sind (vgl. Kasten).<br />
Hinsichtlich des Gesamtvolumens der Strukturhilfen in einer erweiterten<br />
Union legt die Kommission den Mitgliedstaaten nahe, das 1999<br />
erreichte Niveau von 0,46% des EU BIP beizubehalten.<br />
Der Kohäsionsfonds sollte bei den neuen Mitgliedern ein höheres<br />
Gewicht gegenüber den Strukturfonds erhalten (gegenwärtig etwa<br />
18% an den gesamten Strukturausgaben in den Kohäsionsländern,<br />
denkbar wären 30%).<br />
Die Kommission schlägt eine Überprüfung sowohl der Kofinanzierungsquote<br />
(d.h. des Anteils, den die EU bei Projekten mitfinanziert)<br />
sowie der in Berlin vereinbarten „Deckelung“ der Transfers aus den<br />
Struktur- und Kohäsionsfonds in die Mitgliedstaaten (4% des nationalen<br />
BIP), vor, da diese Beschränkungen dem enormen Entwicklungsbedarf<br />
der Bewerberstaaten zuwiderlaufen könnten.<br />
Zwischen Solidarität und Wettbewerb<br />
Auch nach einer gewissen Neuordnung im Rahmen der Agenda 2000<br />
sind viele Kritikpunkte an der EU-Strukturpolitik bestehen geblieben,<br />
die im Zuge der Osterweiterung noch wichtiger werden. Sie reichen<br />
von der grundsätzlichen Frage nach dem „europäischen Mehrwert“ einer<br />
EU-Strukturpolitik (Problem der Mitnahmeeffekte, d.h. EU-Hilfen lösen<br />
keine zusätzlichen Wachstumsimpulse aus) und der Vergabe nach dem<br />
Gießkannenprinzip (gut 40% der EU Bevölkerung leben in Förderregionen)<br />
über das Entstehen einer „rent-seeking“ Mentalität bei den Empfängern<br />
bis zu gravierenden Effizienzdefiziten bei der Verteilung, beim<br />
Einsatz und beim Controlling der Mittel (die seit längerem vom Europäischen<br />
Rechnungshof bemängelt werden).<br />
Eine zukunftsorientierte Strukturpolitik sollte folgende Kriterien erfüllen:<br />
Konzentration der Förderung auf die am meisten bedürftigen Regionen<br />
und/oder Personengruppen. Aus ökonomischer Sicht zu rechtfertigen<br />
ist in der umfangreichen Förderkulisse dabei nur die Entwicklung<br />
rückständiger Regionen. Die Bewältigung des strukturellen Wandels<br />
und v.a. die Verringerung der Arbeitslosigkeit sollten dem Subsidiaritätsprinzip<br />
entsprechend auf nationaler Ebene geregelt werden.<br />
Economics<br />
8. Februar 2001<br />
Optionen für die Definition der<br />
höchsten Förderkategorie nach 2006<br />
– Anwendung des jetzigen Grenzwertes von<br />
75 % des EU-Durchschnitts, unabhängig von<br />
der Zahl der Beitritte (damit würden allein<br />
27 Regionen der EU-15 mit insgesamt 49 Mio.<br />
Einwohner aus der höchsten Förderkategorie<br />
fallen).<br />
– Gleicher Ansatz, zusätzlich erhalten alle Regionen<br />
über dem Grenzwert, die derzeit in der<br />
höchsten Förderkategorie sind, befristete<br />
Unterstützung (Auslaufphase).<br />
– Festlegung eines Grenzwertes für das Pro-<br />
Kopf-BIP, der über 75 % des Durchschnittswertes<br />
liegt, so dass der Ausschluss der bisher<br />
geförderten Regionen der EU-15 (der sich<br />
allein aufgrund der Verringerung des durchschnittlichen<br />
BIP der EU durch die Erweiterung<br />
ergibt) vermieden wird.<br />
– Die Festlegung von zwei Grenzwerten für<br />
die Förderfähigkeit (einer für die Regionen in<br />
der EU15 und einer für die Bewerberländer),<br />
was de facto zu zwei Kategorien von rückständigen<br />
Regionen führen würde.<br />
Vorschläge der EU-Kommission<br />
zur Reform der Strukturpolitik<br />
Was wird durch die<br />
Strukturfonds gefördert?<br />
Sachkapital<br />
34.8%<br />
Sonstiges<br />
7.0%<br />
Humankapital<br />
23.9%<br />
Programmperiode 2000-2006<br />
Infrastruktur<br />
34.3%
8. Februar 2001<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Das Kriterium der Bedürftigkeit sollte durch eine „Erfolgskomponente“<br />
bei der Strukturpolitik ergänzt werden. Damit soll verhindert<br />
werden, dass die Empfänger von Finanztransfer nicht konsequent<br />
genug die Überwindung von Strukturmängeln angehen, um<br />
nicht aus der Förderung herauszufallen. Dem wiederspricht nicht,<br />
dass es eine gewisse Abfederung für die Regionen geben sollte,<br />
die aus der Förderung „herauswachsen“.<br />
Ökonomische Effizienz beim Einsatz der Mittel muss gegeben sein.<br />
Die Kommission hat in ihrem Kohäsionsbericht zwar einige Punkte angerissen,<br />
z.B. eine stärkere Konzentration der Mittel und die Einhaltung<br />
objektiver Vergabekriterien, und kritische Leitfragen für die kommende<br />
Debatte gestellt. Gleichzeitig gehen aber einige ihrer Empfehlungen in<br />
die falsche Richtung. So können es keine sinnvollen Optionen sein,<br />
das Förderkriterium für die rückständigen Regionen in einer erweiterten<br />
EU so zu modifizieren, dass alle bisherigen Förderregionen abgedeckt<br />
werden oder unterschiedliche Förderkriterien für alte und neue Mitglieder<br />
zu etablieren. Die finanzielle Eigenbeteiligung der Mitgliedsländer<br />
sollte zudem eher erhöht werden, um gemäß dem Prinzip der fiskalischen<br />
Äquivalenz die Kosten-/Nutzenaspekte in der Strukturförderung<br />
zu erhöhen. Zur Schärfung des Kostenbewusstseins würde auch beitragen,<br />
die Förderung vermehrt als (zinslose) Kredite und Garantien denn<br />
als Zuschüsse zu geben.<br />
Eine am BIP orientierte Deckelung der gesamten Transfers in ein Mitgliedsland<br />
sollte beibehalten werden, da nach den Erfahrungen in den<br />
Kohäsionsländern eine finanzielle Überförderung schnell zur administrativen<br />
Überforderung wird. Überlegenswert erscheint es dagegen, für<br />
die Bewerberländer das Gewicht des Kohäsionsfonds gegenüber den<br />
Strukturfonds zu stärken. Die Mittel aus dem Kohäsionsfonds fließen<br />
in den Aufbau transeuropäischer Verkehrsnetze und die Verbesserung<br />
der Umwelt und schaffen damit einen Mehrwert für die EU insgesamt.<br />
Gleichzeitig liegt die Kofinanzierungsquote der EU bei bis zu 85% der<br />
erforderlichen öffentlichen Ausgaben und berücksichtigt damit die beschränkten<br />
fiskalischen Möglichkeiten der neuen Mitglieder. Allerdings<br />
stehen gerade beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mit dem Instrument<br />
der Public-Private-Partnership den öffentlichen Haushalt entlastende<br />
alternative Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung.<br />
Grundsätzlich gilt: Eine konsequente Orientierung an den oben genannten<br />
Kriterien (für deren praktische Ausgestaltung es eine Vielzahl<br />
von konkreten Vorschlägen gibt) würde sicherstellen, dass sich die bisher<br />
Begünstigten der Strukturpolitik nicht weitgehend zu Lasten der neuen<br />
Mitglieder ihre Besitzstände sichern und dass die Kohäsionspolitik auch<br />
in der erweiterten Union bezahlbar bleibt. Ob sich dafür aber politische<br />
Mehrheiten, genauer ein Konsens (Einstimmigkeitsprinzip) auf europäischer<br />
Ebene finden lässt, ist eher fraglich.<br />
Barbara Böttcher, +49 69 910-31787 (barbara.boettcher@db.com)<br />
Economics<br />
Anreize zur Überwindung von<br />
Strukturmängeln schaffen<br />
Empfehlungen der Kommission<br />
gehen z.T. in die falsche Richtung<br />
Kohäsionsfonds 2000-2006<br />
EUR 18 Mrd. für Verkehr und Umwelt<br />
Anteile der Empfängerländer<br />
PT<br />
17%<br />
GR<br />
17%<br />
IE<br />
4%<br />
ES<br />
62%<br />
Konsens für Reformen fraglich<br />
11
12<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Dollarisierung – vernünftige Politik<br />
oder hoch riskante Strategie für<br />
Emerging Markets?<br />
Von einer offiziellen Dollarisierung wird gesprochen, wenn eine Regierung<br />
eine ausländische Währung als hauptsächliches oder ausschließliches<br />
gesetzliches Zahlungsmittel einführt 1 . In vielen Entwicklungsländern<br />
hat zwar eine faktische Dollarisierung stattgefunden, wobei ein<br />
Großteil der im Finanzsystem umlaufenden Vermögenswerte und Verbindlichkeiten<br />
in Dollar denominiert ist 2 . Nur wenige Länder haben jedoch<br />
auch formal ihre Währung durch den Dollar ersetzt. Dazu gehören<br />
Panama (1904), Ecuador (2000) und El Salvador (2001). Auch in Argentinien<br />
wurde in der Amtszeit von Präsident Menem über diese Möglichkeit<br />
diskutiert; sie wurde jedoch von der jetzigen Regierung – zumindest<br />
vorerst – abgelehnt.<br />
Die Vorteile einer Dollarisierung<br />
Der offensichtliche und unmittelbare Vorteil einer Dollarisierung besteht<br />
darin, dass die Wechselkursrisikoprämie entfällt. Dies schlägt sich in<br />
niedrigeren inländischen Zinssätzen und damit geringeren Schuldendienstkosten<br />
für die Regierung und die Unternehmen nieder. Gleichzeitig<br />
wird ein währungsbedingtes Ungleichgewicht bei den öffentlichen<br />
und privaten Haushalten eliminiert, das entsteht, wenn Aktiva<br />
oder Einnahmen in der Landeswährung und Verbindlichkeiten in Dollar<br />
denominiert werden. Diese Ungleichgewichte standen im Zentrum der<br />
meisten Krisen in den Emerging Markets. Sie sind ein ernsthaftes Hindernis<br />
für die Entwicklung einheimischer Kapitalmärkte für lange Laufzeiten,<br />
da das Wechselkursrisiko nie in vollem Umfang abgesichert werden<br />
kann. Daher kann die Dollarisierung zur Etablierung und Vertiefung<br />
einheimischer Kapitalmärkte beitragen, so dass sich die Abhängigkeit<br />
von ausländischen Finanzmitteln verringert. Damit steigt wiederum die<br />
Verfügbarkeit langfristiger inländischer Finanzmittel für Investitionen,<br />
was zu einem stärkeren und stabileren Wachstum beiträgt. Auf mikroökonomischer<br />
Ebene gehen durch eine einheitliche Währung die Transaktionskosten<br />
zurück, so dass sich Handels- und Investitionsströme<br />
verstärken.<br />
Für einige Länder hat die Dollarisierung insofern einen unmittelbaren<br />
Vorteil, als die monetäre Quelle der Inflation eliminiert wird. In Ecuador<br />
z.B. rechnen wir mit einem Rückgang der Inflationsrate von 100% gg.<br />
Vj. im vergangenen September auf 15% Ende 2001. Ein disinflationärer<br />
Prozess kann zwar auch durch eine Wechselkursbindung erreicht werden,<br />
aber in diesem Fall wird das Währungsrisiko nicht in vollem Umfang<br />
eliminiert. Dies gilt selbst bei sehr strikten Anbindungen, wie z.B.<br />
Currency Boards. In Argentinien z.B. lagen im Jahr 2000 die Zinsen für<br />
in der Landeswährung denominierte <strong>Bank</strong>einlagen im Durchschnitt um<br />
1,35% über den Zinsen für Dollar-Anlagen. Der Vorteil einer Dollarisierung<br />
im Vergleich zu anderen Wechselkursregimes ist ihre Glaubwürdigkeit,<br />
die auf der Unwiderruflichkeit der Entscheidung beruht – eine<br />
Regierung könnte zwar theoretisch jederzeit wieder eine Landeswährung<br />
einführen, aber dafür müsste die Bevölkerung zur Aufgabe des<br />
1 Definition entnommen der Webpage von Nouriel Roubini zur Dollarisierung: http://<br />
www.stern.nyu.edu/globalmacro/exchange_rates/dollarization.html<br />
2 Für einen Überblick über faktisch dollarisierte Volkswirtschaften vgl. Balino u.a.,<br />
“Monetary Policy in Dollarized Economies”, IMF Occasional Paper Nr. 171, 1999.<br />
Economics<br />
Ecuador: Verbraucherpreise<br />
1997 1998 1999 2000 2001<br />
Ecuador: Lokale<br />
Habenzinsen (90-Tage)<br />
Einheimische Währung<br />
USD<br />
8. Februar 2001<br />
% gg.Vj.<br />
1996 1997 1998 1999 2000<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
%<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0
8. Februar 2001<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Dollar und zur Akzeptanz der neuen Währung bereit sein. Die Unwiderruflichkeit<br />
kann jedoch ihren Preis haben, wie im Folgenden ausgeführt<br />
wird.<br />
Kein Allheilmittel<br />
Wie bereits erläutert, fällt durch eine Dollarisierung eine Komponente<br />
der länderspezifischen Risikoprämie weg, nämlich das Währungsrisiko.<br />
Die Prämie für das Risiko von Zahlungsausfällen bleibt jedoch bestehen.<br />
Die Grafik zu Panama zeigt, dass diese Komponente nicht nur<br />
von Null verschieden ist, sondern auch bei Marktturbulenzen in den<br />
Emerging Markets beträchtlich angestiegen ist. Eine Dollarisierung ist<br />
nicht gleichbedeutend mit einem Rückgang der Inlandszinsen auf das<br />
US-Niveau, obwohl die Differenz sicherlich abnimmt.<br />
Ein konkreter Preis für die Dollarisierung ist der Verlust der Geldschöpfungsgewinne<br />
(d.h. des Unterschieds zwischen dem Nominalwert einer<br />
<strong>Bank</strong>note und ihren Produktionskosten). Wenn z.B. Argentinien eine<br />
Dollarisierung durchführte, würden sich die Verluste aus den entgangenen<br />
Geldschöpfungsgewinnen (Gewinne für die USA) auf USD 750<br />
Mio. bzw. 0,3% des BIP pro Jahr belaufen. Eine mögliche Lösung könnte<br />
in einem Abkommen über eine Aufteilung der Geldschöpfungsgewinne<br />
bestehen; ob die USA dies aktzeptieren würde ist indes fraglich.<br />
Durch die Dollarisierung verzichtet ein Land darauf, eine unabhängige<br />
Geldpolitik zur Glättung des Konjunkturzyklus zu verfolgen. Dies kann<br />
insbesondere im Fall eines exogenen Schocks negative Folgen haben.<br />
Zudem verliert die Zentralbank ihre Rolle als “lender of last resort”, da<br />
sie das Finanzsystem im Fall einer Krise nicht mehr mit Liquidität versorgen<br />
kann. Diese Argumente verlieren jedoch beträchtlich an Gewicht,<br />
wenn man sich vor Augen hält, dass die meisten Emerging<br />
Markets auf diesen Gebieten auch ohne Dollarisierung nur einen sehr<br />
geringen Handlungsspielraum haben.<br />
Mehrere Studien haben gezeigt, dass sich ein Anstieg der US-amerikanischen<br />
Fed Funds Rate unabhängig vom Wechselkursregime eines<br />
Landes deutlich auf die einheimischen Zinsen und Anleihespreads auswirkt3<br />
. Interessanterweise gibt es sogar Anhaltspunkte dafür, dass die<br />
Auswirkungen in Ländern mit einem frei schwankenden Wechselkurs<br />
größer sind als in Ländern mit einer Wechselkursanbindung. Es ist auch<br />
nachgewiesen, dass bestenfalls einige wenige “frei floatende” Währungen<br />
von Emerging-Markets-Ländern tatsächlich entsprechend den<br />
Marktkräften schwanken, da die politisch Verantwortlichen die Folgen<br />
einer Währungsabwertung für die Inflationsentwicklung und die finanzielle<br />
Stabilität fürchten4 . Insgesamt ist die “geldpolitische Unabhängigkeit”<br />
in der Praxis zumindest im Hinblick auf die Emerging Markets<br />
sehr gering.<br />
Hinsichtlich des Verzichts auf die Funktion des “lender of last<br />
resort”´ gelten ähnliche Einschränkungen. Der wichtigste Aspekt dieser<br />
Funktion besteht darin, dem <strong>Bank</strong>ensektor im Fall eines Runs auf<br />
die Einlagen Liquidität zur Verfügung zu stellen. Die Emerging Markets<br />
haben nicht die Möglichkeit, Anleihen in ihrer Landeswährung an den<br />
internationalen Finanzmärkten zu emittieren, und eine Sanierung des<br />
<strong>Bank</strong>ensektors durch Geldschöpfung wirkte sich häufig kontraproduktiv<br />
aus (dies hat z.B. die <strong>Bank</strong>enkrise in der Türkei Ende 2000 gezeigt).<br />
3 Vgl. z.B. die Arbeiten von Jeff Frankel unter http://ksghome.harvard.edu/<br />
~.jfrankel.academic.ksg/<br />
4 Vgl. die Diskussion zur “Angst vor dem Floaten” (“fear of floating” ) unter http://<br />
www.bsos.umd.edu/econ/ciecalvo.htm<br />
Economics<br />
Argentina: Lokale Habenzinsen<br />
(60-Tage)<br />
Einheimische Währung<br />
USD<br />
1999 2000 2001<br />
Panama: Eurobond Spread<br />
%<br />
Bp. über US-Treasuries<br />
Panama ’27<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
1998 1999 2000 2001<br />
13
14<br />
<strong>Aktuelle</strong> <strong>Themen</strong><br />
Daher müssen die Emerging Markets im Krisenfall auf “Hilfspakete”<br />
der internationalen Gemeinschaft zurückgreifen. Der Vorteil eines effektiven<br />
“lender of last resort” hängt also anscheinend weniger von<br />
der Existenz einer Landeswährung ab, als vielmehr von der Qualität<br />
dieser Währung.<br />
Eventuell hohe Kosten aufgrund von Inflexibilität<br />
Neben dem Verlust der Geldschöpfungsgewinne kann eine Dollarisierung<br />
auch Kosten grundlegender Natur mit sich bringen, nämlich Kosten<br />
infolge einer zu hohen Inflexibilität. Da Wechselkursanpassungen<br />
nicht mehr möglich sind, steigen die Risiken, dass einmal in Gang gekommene<br />
Fehlentwicklungen nicht mehr in Griff bekommen werden.<br />
Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch die Dollarisierung zwar die<br />
Geldpolitik an Glaubwürdigkeit gewinnt, aber andere wichtige Ziele nicht<br />
per se erreicht werden, wie z.B. Haushaltsdisziplin, ein stabiles Finanzsystem<br />
oder Strukturreformen. Zwar sollte eine Regierung, die den einscheidenden<br />
Schritt der Dollarisierung macht, auch auf anderen Gebieten<br />
für Reformen sorgen. Ihre Möglichkeiten können jedoch z.B. durch<br />
eine starke Opposition im Parlament eingeschränkt sein. Wenn die Regierung<br />
die Reformerwartungen nicht erfüllt, drohen bei dem fehlenden<br />
Ventil einer Abwertung der heimischen Währung ein Zusammenbruch<br />
des <strong>Bank</strong>ensektors, Zahlungsausfälle bei der Verschuldung oder<br />
eine gesellschaftlich-politische Krise.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />
Durch eine Dollarisierung kann vor allem geldpolitische Glaubwürdigkeit<br />
“erkauft” werden, wenn die guten Absichten der Regierung nicht<br />
ausreichen, um die Bevölkerung und internationale Investoren von Investitionen<br />
in der Landeswährung zu überzeugen. Das Thema Glaubwürdigkeit<br />
ist für viele Emerging Markets angesichts der wirtschaftspolitischen<br />
Fehler in der Vergangenheit von höchster Bedeutung. Zwar<br />
können auch andere Wechselkursregime, wie z.B. Currency Boards,<br />
die geldpolitische Glaubwürdigkeit wieder herstellen, aber wie die Erfahrung<br />
zeigt, werden die Abwertungsbefürchtungen nicht vollständig<br />
eliminiert. Dies zieht letztlich hohe Kosten für das Land nach sich. Die<br />
Nachteile, die mit der Aufgabe eines “lender of last resort” oder der<br />
geldpolitischen Unabhängigkeit verbunden sind, werden wohl überschätzt,<br />
da die meisten Emerging Markets von vornherein nur über<br />
eine begrenzte Entscheidungsfreiheit verfügen. Die Dollarisierung erhöht<br />
jedoch auch die Risiken: einerseits ist ein Erfolg bei Haushalts-,<br />
Finanz- oder Strukturreformen nicht garantiert; andererseits ist keine<br />
Abwertung mehr möglich, wenn die Regierung derartige Reformen nicht<br />
durchführt. Zusammenfassend lässt sich sagen: je geringer die in einem<br />
Land bisher erzielten Reformen sind, desto besser ist es, sich im<br />
Fall einer Dollarisierung auf einen politischen Mindestkonsens zu stützen.<br />
Ann-Charlotte Eliasson, +49 69 910-31832 (ann-charlotte.eliasson@db.com)<br />
Maria Laura Lanzeni, +49 69 910-31723 (maria-laura.lanzeni@db.com)<br />
Economics<br />
8. Februar 2001
Monitor EU-<br />
Erweiterung<br />
Mittel- und Osteuropa<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> <strong>Research</strong> will mit der neuen<br />
Publikationsreihe „Monitor EU-Erweiterung<br />
- Mittel- und Osteuropa“ den Erweiterungsprozess<br />
in den nächsten Jahren begleiten.<br />
Wir wollen damit zu einer intensiven und<br />
sachlichen Diskussion über die Osterweiterung<br />
der EU beitragen. Unsere Publikation richtet<br />
sich gleichermaßen an die Kunden der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bank</strong> wie an die politisch Handelnden<br />
und den interessierten Bürger.<br />
Die in zweimonatigem Abstand erscheinende<br />
Publikation konzentriert sich auf die Beitrittskandidaten<br />
aus Mittel- und Osteuropa und<br />
besteht aus zwei Teilen:<br />
Im ersten Teil (Topics) werden Einzelthemen<br />
der Erweiterung aufgegriffen und vertieft behandelt.<br />
Das Spektrum reicht dabei von europapolitischen<br />
Fragen wie der Ausgestaltung der<br />
gemeinsamen Agrar- und Strukturpolitik oder<br />
der Reform der EU-Institutionen über Kapitalund<br />
Finanzmarktaspekte bis zu Konsequenzen<br />
der Erweiterung für einzelne Branchen oder<br />
Länder.<br />
Der zweite Teil (Monitoring) enthält spezifische<br />
Länderanalysen der Beitrittskandidaten<br />
hinsichtlich ihres wirtschaftlich/strukturellen<br />
und politischen Vorbereitungsstandes für<br />
den Beitritt. Konvergenzindikatoren erlauben einen<br />
kontinuierlichen Vergleich der Fortschritte<br />
sowohl im Zeitablauf als auch zwischen den<br />
Kandidaten.<br />
Bestelladresse:<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> <strong>Research</strong><br />
Marketing<br />
60272 Frankfurt am Main<br />
Fax: +49 69 910-31877<br />
E-mail: marketing.dbr@db.com
Öffentlicher Personennahverkehr<br />
auf dem Weg<br />
in den Wettbewerb<br />
Die EU-Kommission treibt die Liberalisierung des<br />
ÖPNV-Marktes voran. Europaweite Ausschreibungen<br />
von Verkehrsleistungen sollen zum gängigen<br />
Wettbewerbsinstrument werden. Mit einer<br />
Marktöffnung des ÖPNV dringen verstärkt ausländische<br />
Großunternehmen in den deutschen Markt<br />
vor. Ihre Vorteile sind die stärkere Kundenorientierung,<br />
ein höheres Kostenbewusstsein, niedrigere<br />
Lohnkosten, größere Nachfragemacht gegenüber<br />
Zulieferern und breites technologisches<br />
Know-how.<br />
Dennoch sind inländische Verkehrsbetriebe im<br />
kommenden Wettbewerb keinesfalls chancenlos.<br />
So dürften kommunale Unternehmen künftig<br />
vermehrt miteinander kooperieren oder einzelne<br />
Unternehmensteile zusammenlegen. Dadurch können<br />
Synergieeffekte in allen Wertschöpfungsstufen<br />
erzielt werden. Bei den Personalkosten dürfte durch<br />
Restrukturierungsmaßnahmen eine Annäherung an<br />
das deutlich niedrigere Tarifniveau der privaten Konkurrenten<br />
erfolgen.<br />
Die Marktöffnung führt zu einer Ausweitung des<br />
ÖPNV-Angebotes bei gleichbleibenden oder<br />
sogar sinkenden Tarifen, Produktivitätssteigerungen<br />
und Kosteneinsparungen. Dies wird durch die Erfahrungen<br />
mit Ausschreibungen bestätigt, bei denen<br />
der Zuschlag an private Unternehmen ging.<br />
Dank der Produktivitätssteigerungen kommt es<br />
auch zu einer kontinuierlichen Senkung der finanziellen<br />
Unterstützungen für den ÖPNV.<br />
Die Studie hat einen Umfang von 39 Seiten und<br />
kostet EUR 25,- / DEM 48,90 zzgl. Versand und<br />
gesetzl. MwSt.; sie ist erhältlich bei:<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> <strong>Research</strong><br />
Marketing<br />
60272 Frankfurt am Main<br />
Fax: +49 69 910-31877<br />
E-mail: marketing.dbr@db.com<br />
© 2001. <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> AG, DB <strong>Research</strong>, D-60272 Frankfurt am Main, Bundesrepublik Deutschland (Selbstverlag). Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um<br />
Quellenangabe „<strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> <strong>Research</strong>“gebeten.<br />
Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit<br />
oder Vollständigkeit der Angaben können wir nicht übernehmen, und keine Aussage in diesem Bericht ist als solche Garantie zu verstehen. Alle Meinungsaussagen<br />
geben die aktuelle Einschätzung des Verfassers/der Verfasser wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung der <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> AG oder ihrer assoziierten<br />
Unternehmen dar. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen können sich ohne vorherige Ankündigung ändern. Weder die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> AG<br />
noch ihre assoziierten Unternehmen übernehmen irgendeine Art von Haftung für die Verwendung dieser Publikation oder deren Inhalt. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> Securities<br />
Inc. hat unter Anwendung der gültigen Vorschriften die Verantwortung für die Verteilung dieses Berichts in den Vereinigten Staaten übernommen. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong><br />
AG London, die der Securities and Futures Authority untersteht, hat unter Anwendung der gültigen Vorschriften die Verantwortung für die Verteilung dieses Berichts<br />
im Vereinigten Königreich übernommen. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Bank</strong> AG (ARBN 064 165 162) hat unter Anwendung der gültigen Vorschriften die Verantwortung für die<br />
Verteilung dieses Berichts in Australien übernommen.<br />
Druck: HST Offsetdruck GmbH, Dieburg.<br />
Print: ISSN 1430-7421 / Internet: ISSN 1435-0734