Kunst als Handlungsfeld, Birte Kleine-Benne
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Fortschrittsmodell, welches Fraser überdies zu der Bewertungstechnik führt,<br />
künstlerische Arbeiten normativ nach dem Grad ihrer Determiniertheit hinsichtlich der<br />
Produktion, Präsentation und Veröffentlichung zu befragen und diesbezüglich die<br />
Leistungsfähigkeit ihres Engagements zu beurteilen, ist vor dem hier gewählten<br />
theoretischen Hintergrund notwendig <strong>als</strong> simplifizierende und polemische Schlussfolgerung<br />
infrage zu stellen und zu Gunsten von Standpunktvervielfältigungen und<br />
Komplexitätserhöhungen zu entspannen. Statt des evolutionären <strong>Kunst</strong>geschichtsmodells<br />
Frasers weist Lucy Lippard 165 in ihrer 1973 publizierten Bibliographie ihrer<br />
Erinnerungen der Jahre 1966 bis 1972, die chronologisch in Crossing-Methode<br />
Ausstellungen, Kataloge, Symposien, Artikel, Interviews und künstlerische Arbeiten<br />
kombiniert (Abb. 10), auf den Ausnahmestatus der <strong>Kunst</strong>produktionen dieser Jahre<br />
hin und bezeichnet diese <strong>als</strong> „,Escape attempts‘ from cultural confinment“ 166 .<br />
Während sich Fraser zur Kategorisierung von <strong>Kunst</strong>phänomenen dessen<br />
organisierenden Prinzips und Innovationsgrades bedient, nutzt Lippard mit dem<br />
Grundprinzip der ‚dematerialization‘ eine zunächst gegenstandsorientierte Kennung<br />
<strong>als</strong> Differenzmerkmal: Nachdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Objekt<br />
fundamentales Interesse fand, würde nun das Konzept, die Information, die Idee<br />
(aufgehoben im Terminus Conceptual Art, Abb. 11) zur signifikanten Größe werden,<br />
die Widerstand gegen die sakrosankten, heroischen und patriarchalen Mythologien<br />
früherer Jahre leisten könne, indem sie selbstreferentiell <strong>Kunst</strong>konzeptionen<br />
analysieren und zur Anschauung bringen würde und darüber hinaus auf Grundlage<br />
der Reflexions- und Inspirationsqualität von <strong>Kunst</strong> in utopischer Manier eine neue<br />
Welt zu visualisieren versuche. 167 „Conceptual art [...] was all over the place in style<br />
and content, but materially quite specific.“ 168 Diese Überlegung gibt Lippard in<br />
Einsicht der Ungenauigkeit dieser Kennung zugunsten eines Innovationsgehaltes mit<br />
politischen und ethisch moralischen Implikationen auf: „Concept art is not so much<br />
an art movement or vein as it is a position or worldview, a focus on activity.“ 169<br />
Zur konzeptionellen Erweiterung des <strong>Kunst</strong>-Begriffs führe ich abschließend Henk<br />
Oosterlings 170 und Nicolas Bourriauds Positionen an: In Verwendung Oosterlings<br />
Begrifflichkeit der ‚In(ter)ventive Art‘ von 2001 lässt sich eine gleichermaßen<br />
erfinderische wie auch eingreifende und vermittelnde <strong>Kunst</strong> mit einer relationalen<br />
Ästhetik beobachten, die ihren Blick auf die Beziehungen und Wechselwirkungen<br />
zwischen allen beteiligten Komponenten lenkt und <strong>Kunst</strong>werke eher <strong>als</strong> (reflexive)<br />
Verben statt versteinerter Substantive definiert 171 . Auch Bourriauds Theorie der<br />
‚esthétique relationelle‘ von 1995 172 ist in die Theoretisierungen von Deontologisierung<br />
und Operationalisierung von <strong>Kunst</strong> einzureihen und bearbeitet zugleich<br />
165 Lucy R. Lippard (Jhg. 1954) ist <strong>Kunst</strong>kritikerin und –theoretikerin, Autorin und politische Aktivistin.<br />
166 Lippard 1997, S. vii.<br />
167 Lippard 1997, S. vii, S. 6.<br />
168 Lippard 1997, S. vii.<br />
169 Lippard 1997, S. 258.<br />
170 Henk Oosterling (Jhg. 1952, http://www.henkoosterling.nl) lehrt Philosophie an der Erasmus-<br />
Universität Rotterdam und ist Mitgründer und Koordinator des Centrum voor Filosofie & <strong>Kunst</strong> / Center<br />
for Philosophy & Arts (CFK).<br />
171 „On closer inspection ,art works‘ turns out to be a reflexive verb before petrifying into a noun: art<br />
works.“ Oosterling 2001.<br />
172 Bourriaud veröffentlichte seine Theorie im französischen Magazin Documents sur l’art: ,Pour une<br />
esthétique relationelle I‘, printemps 1995, n° 7, p. 88-99; ,Pour une esthétique relationelle II‘,<br />
printemps 1996, n° 8, p. 40-47. Als Buchausgabe Bourriaud 1998.<br />
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