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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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82<br />

Ausbildung<br />

Aktuelles <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätzliches zum Betriebsübergang<br />

von Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) <strong>und</strong> Wiss. Mit. Jan Thieken (beide Universität Bonn)<br />

Gregor Thüsing (li.), Jahrgang 1971, hat Rechtswissenschaften an der Universität Köln <strong>und</strong> der Harvard Law School <strong>stud</strong>iert.<br />

Er war Inhaber des Lehrstuhls <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht an der Bucerius Law School, seit 2004 ist er<br />

Direktor des Instituts <strong>für</strong> Arbeitsrecht <strong>und</strong> Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Er ist Autor zahlreicher Publikationen<br />

<strong>und</strong> u.a. Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen <strong>Juristen</strong>tages.<br />

Jan Thieken (re.), Jahrgang 1984, <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn<br />

mit dem Schwerpunkt Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht. Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Thüsing<br />

tätig <strong>und</strong> promoviert zum Europa- <strong>und</strong> Arbeitsrecht.<br />

A. ZIELE UND ENTWICKLUNG<br />

Den Regelungen zum Betriebsübergang liegt der gleiche Gedanke wie dem<br />

§ 566 BGB im deutschen Mietrecht zugr<strong>und</strong>e: <strong>Die</strong> bloße Änderung des Be-<br />

triebsinhabers soll <strong>für</strong> den Arbeitnehmer keine Konsequenzen haben. Ohne<br />

entsprechende Regelungen würde der Kündigungsschutz massiv einge-<br />

schränkt. Denn der Veräußerer, der dann keinen Betrieb hat <strong>und</strong> keine Ar-<br />

beitnehmer mehr beschäftigt, könnte betriebsbedingt kündigen, vom Erwer-<br />

ber, zu dem der Arbeitnehmer keine vertraglichen Beziehungen hat, könnte<br />

keine Einstellung verlangt werden. 1 Auf kollektiver Ebene werden durch die<br />

gesetzlichen Regelungen darüber hinaus die Kontinuität des Betriebsrats <strong>und</strong><br />

die Aufrechterhaltung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen gewähr-<br />

leistet. Daneben sollen die Haftungsrisiken zwischen dem bisherigen Arbeit-<br />

geber <strong>und</strong> dem neuen Arbeitgeber angemessen verteilt werden. 2 Der Richtli-<br />

nie 2001/23/EG geht es damit ausweislich des 3. Erwägungsgr<strong>und</strong>es vorwiegend<br />

um den Arbeitnehmerschutz, was auch daran deutlich wird, dass aus Arbeit-<br />

nehmersicht günstigere Regelungen nach Art. 8 beibehalten werden dürfen.<br />

<strong>Die</strong> deutsche Regelung zum Betriebsübergang in § 613 a BGB wurde nicht<br />

erst aufgr<strong>und</strong> europäischer Vorgaben geschaffen, sondern ging auf eine nationale<br />

Debatte über die Rechtsfolgen eines Betriebsinhaberwechsels zurück.<br />

Parallel zu den deutschen Diskussionen war auf europäischer Ebene eine Zunahme<br />

von Fusionen <strong>und</strong> Zusammenschlüssen beobachtet worden. Um den<br />

daraus entstehenden Risiken <strong>für</strong> Arbeitnehmer zu begegnen wurde die Richtlinie<br />

77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten<br />

über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen,<br />

Betrieben <strong>und</strong> Betriebsteilen am 14. 12. 1977 verabschiedet. Revidiert wurde<br />

die Richtlinie durch die Richtlinie 98/50/EG zur Änderung der Betriebsübergangsrichtlinie<br />

vom 29. 6. 1998. <strong>Die</strong> ursprüngliche Richtlinie 77/187/EWG<br />

<strong>und</strong> die Änderungsrichtlinie 98/50/EG wurden mit kleineren Änderungen<br />

als Richtlinie 2001/23/EG am 12. 3. 2001 neu verkündet. Nach wie vor wird<br />

die Entwicklung des Betriebsübergangsrechts maßgeblich durch den EuGH<br />

betrieben, der noch genauso wie in den ersten Jahren über wichtige Auslegungsfragen<br />

entscheidet. 3<br />

1 ErfK/Preis, § 613 a BGB Rn. 3; MünchKomm/Müller-Glöge, § 613 a BGB Rn. 8.<br />

2 ErfK/Preis, § 613 a BGB Rn. 2; MünchKomm/Müller-Glöge, § 613 a BGB Rn. 6 f.<br />

3 Siehe zuletzt EuGH C-466/07, Slg. 2009, I-803 - Klarenberg; EuGH<br />

C-151/09, NZA 2010, 1014 - UGT-FSP; EuGH C-242/09, NJW 2011, 439 -<br />

Albron Catering; EuGH C-463/09, NZA 2011, 148 – CLECE.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 2 / 2011<br />

B. VoRLIEGEN EINES BETRIEBSüBERGANGS<br />

Einzige Voraussetzung der Richtlinie <strong>und</strong> des § 613 a BGB ist das Vorliegen<br />

eines Betriebsübergangs. In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG wird er<br />

definiert als der rechtsgeschäftliche, identitätswahrende Übergang eines<br />

Betriebs oder Betriebsteils, Unternehmens oder Unternehmensteils. <strong>Die</strong>se<br />

Definition bedarf der Erläuterung. In der Praxis bildet es oftmals einen Streit-<br />

punkt. 4<br />

I. BETRIEBS- UND UNTERNEHMENSBEGRIFF<br />

Während in der ursprünglichen Richtlinie 77/187/EWG der Anwendungsbereich<br />

auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen beschränkt<br />

war, wurde er durch die Änderungsrichtlinie 98/50/EG auf Unternehmensteile<br />

erweitert. Der EuGH trennt zwischen diesen Begriffen jedoch<br />

nicht, sondern fasst sie alle in der Definition zusammen, nach der es sich um<br />

eine wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung<br />

von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit<br />

handelt. 5<br />

<strong>Die</strong> Definition des EuGH geht über den Betriebsbegriff im Betriebsverfassungsrecht<br />

hinaus, nach dem es sich um eine Organisationseinheit handelt,<br />

innerhalb der ein Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern unter Einsatz von<br />

sächlichen <strong>und</strong> immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke<br />

verfolgt. Denn neben sächlichen <strong>und</strong> immateriellen Mitteln werden vom<br />

EuGH auch die personellen Betriebsmittel berücksichtigt, die bei betriebsmittelarmen<br />

Tätigkeiten entscheidend sind. 6<br />

Es muss sich um eine organisatorisch selbstständige Einheit handeln, die innerhalb<br />

des betrieblichen Gesamtzwecks zumindest einen Teilzweck erfüllt.<br />

Der Zweck muss sich nicht vom Zweck des Gesamtbetriebs unterscheiden,<br />

allerdings ist eine eigene Teilidentität erforderlich. Eine untergeordnete Hilfsfunktion<br />

ist nach der Rechtsprechung des EuGH in Watson Rask ausreichend.<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftliche Tätigkeit muss nach dem EuGH in Rygaard auf Dauer<br />

angelegt sein <strong>und</strong> nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt<br />

sein. Wirtschaftlich ist die Einheit nach Art. 1 Abs. 1 lit. c) nicht nur<br />

4 S. zuletzt BAG NZA 2011, 197.<br />

5 St. Rspr. seit EuGH Rs. 24/85, Slg. 1986, 1119 – Spijkers.<br />

6 Vgl. EuGH C-463/09, NZA 2011, 148 – CLECE.

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