Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 2 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
das steuerstrafrechtliche Institut der Selbstanzeige im wandel<br />
von Rechtsreferendar Marc Selker (Oldenburg/Osnabrück)<br />
A. EINLEITUNG<br />
<strong>Die</strong> Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung (AO) war schon immer Ge-<br />
genstand kritischer Diskussionen <strong>und</strong> ist es bis heute 1 . Erst im Mai letzten<br />
Jahres hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof mit einer Aufsehen erregenden Entschei-<br />
dung 2 den Tatbestand der Selbstanzeige stark modifiziert, indem er seinen<br />
Anwendungsbereich mittels einer restriktiven Auslegung stark eingeschränkt<br />
hat. <strong>Die</strong>s ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer erheblich steigenden Anzahl von<br />
Selbstanzeigen zu sehen, welche -angefacht durch den Ankauf von Daten-<br />
CDs durch den Fiskus- zu einem erheblichen Diskurs in Politik <strong>und</strong> Öffent-<br />
lichkeit geführt haben. Seinen vorläufigen Höhepunkt erlebte diese Diskus-<br />
sion mit dem Fall „Zumwinkel“, bei dem der Öffentlichkeit vor Augen geführt<br />
wurde, dass der Staat gewillt ist mittels des Ankaufs von illegal beschafften<br />
Daten die Enttarnung von Steuersündern <strong>für</strong> die Strafverfolgung nutzbar zu<br />
machen. 3 <strong>Die</strong>ses rechtlich höchst zweifelhafte Vorgehen wird noch weiter ver-<br />
schärft durch die Tatsache, dass der Fiskus aufgr<strong>und</strong> einer hohen Staatsver-<br />
schuldung auf höhere Steuereinnahmen angewiesen ist. Um diese zu generie-<br />
ren, erscheint es rechtspolitisch „en vogue“ die Steuerstraftatbestände durch<br />
Rechtsprechung <strong>und</strong> Gesetzgebung - auch unter Verletzung rechtsstaatlicher<br />
Gr<strong>und</strong>sätze- erheblich zu verschärfen. Zumindest nominell kann sich das Er-<br />
gebnis sehen lassen. So darf sich der Fiskus Schätzungen zur Folge auf Nach-<br />
zahlungen in Höhe von r<strong>und</strong> 1,6 Milliarden Euro freuen. 4<br />
Darüber hinaus stellt § 371 AO <strong>für</strong> den strafrechtlich interessierten Leser eine<br />
dogmatische Besonderheit dar, da die Selbstanzeige auch noch nach Vollendung<br />
der Tat zu einer Strafbefreiung führt. Es reicht sogar aus nach Beendigung<br />
der Tat die steuerrechtlich relevanten Angaben strafbefreiend nachzuholen.<br />
Dabei kennt das Strafrecht als äußerste zeitliche Grenze <strong>für</strong> eine Strafbefreiung<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich nur den Zeitraum vor der Vollendung einer Straftat.<br />
<strong>Die</strong>s wird mittels des Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 StGB <strong>und</strong> der tätigen<br />
Reue5 gewährleistet. Somit stellt das Institut der Selbstanzeige eine dogmatische<br />
Ausnahme dar, die ihresgleichen im deutschen Strafrecht sucht.<br />
Zunächst wird im weiteren Verlauf der Darstellung auf die Gr<strong>und</strong>lagen der<br />
Selbstanzeige eingegangen. Danach werden aktuelle Probleme <strong>und</strong> Entwicklungen<br />
der Thematik „Selbstanzeige“ aufgezeigt, wobei vor allem auf das<br />
BGH-Urteil vom 20.05.2010 <strong>und</strong> das jüngst erlassene Schwarzgeldbekämpfungsgesetz<br />
eingegangen wird.<br />
B. GRUNDLAGEN DER SELBSTANZEIGE NACH § 371 Ao<br />
I. SINN UND ZWECK VoN § 371 Ao<br />
Sinn <strong>und</strong> Zweck der Selbstanzeige ist es, dem Fiskus bisher verheimlichte<br />
1 FAZ vom 13.04.2011, S. 21.<br />
2 BGH- Urteil vom 20.05.2010, Az. 1. StR 577/09, wistra 2010, 304(304),<br />
DStR 2010, 1133(1133).<br />
3 Vgl. Bornheim, in: StbG <strong>Die</strong> Steuerberatung, 2011, 68(70); Römer, in:<br />
StraFO 2009,124(124).<br />
4 Der Spiegel vom 20.12.2010, S.72.<br />
5 Vgl. §§ 83a III, 87 III, 129 VI, 163 II S.1 StGB.<br />
Marc Selker, Jahrgang 1984, ist Rechtsreferendar im OLG –<br />
Bezirk Oldenburg <strong>und</strong> absolviert nebenberuflich den<br />
Master<strong>stud</strong>iengang „Wirtschaftsrecht & Restrukturierung“ an<br />
der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster. Er <strong>stud</strong>ierte<br />
Rechtswissenschaften an den Universitäten Hamburg <strong>und</strong><br />
Osnabrück mit Studienaufenthalt an der London School of<br />
Economics. Dabei lag sein Studienschwerpunkt auf den Gebieten<br />
des Wirtschafts- <strong>und</strong> Steuerstrafrechts.<br />
Steuerquellen zugänglich zu machen <strong>und</strong> somit dessen Fiskalvermögen zu<br />
mehren. 6 Ob daneben auch der Aspekt umfasst wird, dem „Steuersünder“ die<br />
Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zu ermöglichen ist umstritten. 7 Der Streit ist<br />
zwar vorrangig dogmatischer Natur, wird aber als einer der Gründe <strong>für</strong> die<br />
Abschaffung der Teilselbstanzeige angeführt. 8<br />
II. VoRAUSSETZUNGEN DES § 371 I Ao<br />
1. ANWENDUNGSBEREICH<br />
<strong>Die</strong> Voraussetzungen von § 371 AO sind primär akzessorisch zu § 370 AO<br />
-dem Tatbestand der Steuerhinterziehung- zu verstehen. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass<br />
§ 371 AO die Folgen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO wieder egalisiert.<br />
Oder anders: Was der Täter durch die Verwirklichung von § 370 AO<br />
einmal in die Welt gesetzt hat, soll durch § 371 AO wieder aufgehoben werden,<br />
so als ob die Handlung der Steuerhinterziehung nie stattgef<strong>und</strong>en habe.<br />
Daneben sind auch die Hinterziehung von Einfuhr- <strong>und</strong> Ausfuhrabgaben(§<br />
370 VI AO), der schwere Fall der Steuerhinterziehung (§ 370 III AO), die versuchte<br />
Steuerhinterziehung <strong>und</strong> die Teilnahme an diesen Straftaten „selbstanzeigefähige<br />
Taten“ i.S. v. § 371 I AO. 9 Von diesen selbstanzeigefähigen Tatbeständen<br />
streng zu unterscheiden sind die anderen Arten der Selbstanzeige.<br />
Nach § 371 IV AO besteht einerseits die Möglichkeit der sog. „Fremdanzeige“:<br />
Danach wird ein Dritter -<strong>und</strong> nicht der Steuerstraftäter- unter den in § 371<br />
IV AO bezeichneten Voraussetzungen strafrechtlich nicht verfolgt, obwohl er<br />
die ihm nach § 153 AO obliegende Pflicht verletzt hat. Eine weitere Möglichkeit<br />
Selbstanzeige zu erstatten gibt § 378 III AO <strong>für</strong> den Fall der leichtfertigen<br />
Steuerverkürzung i.S.v. §§ 378 I, 370 I, IV-VII AO. 10<br />
2. AUFHEBUNGSHANDLUNGEN DES § 371 I, III Ao<br />
Um in den Genuss des persönlichen Strafaufhebungsgr<strong>und</strong>es der Selbstanzeige<br />
zu gelangen, muss der Täter kumulativ zwei (Aufhebungs-)Handlungen<br />
6 BGHSt 37,340, wistra 1991,223(223); Rolletschke, Steuerstrafrecht,<br />
3. Auflage, S.197, Rn.547; a. A. Tipke/ Lang, Steuerrecht, 20. Auflage § 23,<br />
Rn. 55.<br />
7 Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage, § 23, Rn.55.<br />
8 Vgl. BGH 1 StR 599/09 Rn.9;Wulf, in wistra 2010, 286(289).<br />
9 Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, 3. Auflage, S.197, Rn.548.<br />
10 Vertiefend dazu: Rolletschke, Steuerstrafrecht, 3.Auflage, S.229, Rn.644ff.;<br />
S..231,649ff..<br />
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