Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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Schwerpunkte<br />
vornehmen: Zunächst muss er die unrichtigen oder unvollständigen Angaben<br />
berichtigen oder ergänzen bzw. die unterlassenen Angaben nachholen <strong>und</strong><br />
sodann die hinterzogenen Steuern innerhalb einer vom Fiskus gesetzten Frist<br />
nachzahlen. 11 Dabei sind die Berichtigungserklärungen so zu gestalten, dass<br />
das betreffende Finanzamt ohne eigene größere Nachforschungen die ver-<br />
wirklichte Besteuerungsgr<strong>und</strong>lage aufklären kann (sog. „Materiallieferung“) 12<br />
3. DER ANZEIGEERSTATTER UND SEIN ADRESSAT<br />
Nicht jede beliebige Person kann ohne weiteres rechtswirksam eine Selbst-<br />
anzeige i. S. v. § 371 AO erstatten. Vielmehr bedarf der Anzeigeerstatter, der<br />
nicht schon Täter oder Teilnehmer der selbstanzeigefähigen Straftaten ist, ei-<br />
ner Bevollmächtigung durch die vorgenannten Personen. 13 Der Adressat der<br />
Selbstanzeige ist laut § 371 I AO „die Finanzbehörde“ i. S. v. § 6 II AO. Wäh-<br />
rend früher umstritten war, ob nur die zuständige Finanzbehörde 14 richtiger<br />
Adressat der Selbstanzeige sein kann, ist mittlerweile durch den B<strong>und</strong>esfi-<br />
nanzhof entschieden, dass auch eine Anzeigeerstattung gegenüber einer un-<br />
zuständigen Finanzbehörde den Anforderungen des § 371 AO gerecht wird. 15<br />
Für diese Ansicht kann vor allem der oben erwähnte Gedanke der Selbst-<br />
anzeige -bisher dem Fiskus verheimlichten Steuerquellen offenzulegen- an-<br />
geführt werden. 16 Denn ob der Anzeigeerstatter gegenüber der zuständigen<br />
oder einer unzuständigen Finanzbehörde relevante Angaben macht ändert<br />
nichts an der faktischen Offenlegung der Steuerquelle gegenüber dem Fiskus.<br />
Bei der Vornahme der Selbstanzeige ist darüber hinaus auf das -in der Pra-<br />
xis nicht selten auftretende- Problem des (rechtzeitigen) Zugangs der Anzei-<br />
geerstattung zu achten. Hierbei gilt der Gr<strong>und</strong>satz des § 130 BGB, wonach<br />
der Erklärende glaubhaft darlegen muss, dass die Anzeige derart rechtzeitig<br />
in den Machtbereich der Finanzbehörde gelangt ist, dass diese unter norma-<br />
len Umständen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von der Anzeigeerklä-<br />
rung hat. Für die Praxis gilt daher, dass der Einwurf in den Briefkasten der Fi-<br />
nanzbehörde der sicherste Weg ist, den (rechtzeitigen) Zugang zu gewährlei-<br />
sten. Aus der Anwendung von § 130 BGB darf allerdings nicht geschlossen<br />
werden, dass es sich bei der Selbstanzeigeerklärung um eine Willenserklärung<br />
handelt. Vielmehr stellt sie eine Wissenserklärung dar, was den Nachteil mit<br />
sich bringt, dass eine Anfechtung der Anzeigeerklärung nach §§ 119ff. BGB<br />
nicht möglich ist, aber andererseits den Vorteil hat, dass die Selbstanzeigeer-<br />
klärung nicht formbedürftig ist. So ist auch eine mündliche bzw. fernmünd-<br />
liche Erklärung zulässig, sollte aber zu Beweiszwecken protokolliert werden. 17<br />
C. AUSWIRKUNGEN DES BGH URTEILS V. 20.05.2010, 1 STR 577/09 18<br />
Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 20.05.2010 gr<strong>und</strong>legend<br />
11 Tipke/ Lang, Steuerrecht, 20. Auflage, § 23, Rn.57ff.; Joecks, in: Franzen/<br />
Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage, § 371, Rn.96ff..<br />
12 BGH, NJW 1974, 2293; LG Stuttgart, wistra 1990, 72(72).<br />
13 BGH, wistra 1985, 74(74); Rolletschke, Steuerstrafrecht, 20. Auflage,<br />
S. 198, Rn.551.<br />
14 OLG Frankfurt, DStZ 1954,58; a. A. Joecks, in: Franzen/Gast/ Joecks,<br />
7. Auflage, § 371,Rn.93<br />
15 BFH, wistra 2008,316(316).<br />
16 BGHSt 37,340; Hüls/ Reichling, in: PStr 2008,142; Rolletschke, Steuerstrafrecht,<br />
20. Auflage, S.199, Rn.555.<br />
17 Joecks, in: Franzen/ Gast/ Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage, § 371,<br />
Rn.65.<br />
18 Vgl. BGH, 1. StR 599/09, BB 2010, 2027(2027), wistra 2010,304(304).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 2 / 2011<br />
den Tatbestand der Selbstanzeige verschärft. Wegen § 132 II GVG sind die In-<br />
stanzgerichte zwar nicht an die Entscheidung geb<strong>und</strong>en, nichtsdestotrotz darf<br />
dieses Urteil durchaus als Vorhut des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes ver-<br />
standen werden, welches am 17.03.2011 die zweite <strong>und</strong> dritte Beratung des<br />
B<strong>und</strong>estages passiert hat. 19<br />
I. ABSCHAFFUNG DER TEILSELBSTANZEIGE<br />
Ursprünglich verstand der 5. Strafsenat des BGH die Formulierung „insoweit“<br />
in § 371 I AO so, dass schon bei unvollständigen Angaben eine Straffreiheit<br />
eintreten könne. 20 In solchen Fällen trat eine Straffreiheit aber nur entspre-<br />
chend der gemachten Teilangaben ein. Also bestimmte der Umfang der An-<br />
gaben auch den Umfang der Straffreiheit. Dabei wurde sogar angenommen,<br />
dass schon bei Angaben, welche bis zu 6% hinter den zutreffenden Beiträ-<br />
gen zurück blieben, Straffreiheit in vollem Umgang eintreten könne. 21 Folg-<br />
lich war schon durch eine sog. „Teilselbstanzeige“, also der unvollständigen<br />
Angabe von steuerlich relevanten Tatsachen, eine strafbefreiende Wirkung bis<br />
hin zur vollständigen Straffreiheit möglich.<br />
Seit dem 20.05. 2010 ist diese Möglichkeit -zumindest laut dem 1.Strafsenat-<br />
<strong>für</strong> den Steuerstraftäter nicht mehr gegeben. Der <strong>für</strong> Steuerstrafsachen zu-<br />
ständige Senat hat mit seiner Entscheidung eine Abkehr von der ursprüng-<br />
lichen Rechtsprechung vollzogen <strong>und</strong> hält die Teilselbstanzeige <strong>für</strong> nicht<br />
mehr ausreichend um Straffreiheit zu erlangen. 22 <strong>Die</strong> „Rückkehr zur Steuer-<br />
ehrlichkeit“ sei nicht vollzogen, wenn der Steuerstraftäter nur teilweise seine<br />
Angaben berichtige. 23 <strong>Die</strong>s werde auch schon durch die Nennung aller denk-<br />
baren Handlungsmodalitäten (berichtigen, ergänzen, nachholen) in § 371 I<br />
AO deutlich, wonach die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit vom Ge-<br />
setzgeber gewollt sei. 24 Der Steuerstraftäter muss nunmehr „reinen Tisch“ ma-<br />
chen, wie es der Strafsenat selbst kaum plastischer formulieren konnte. 25<br />
Weiter meint der 1. Strafsenat, dass die Formulierung „insoweit“ in § 371 I<br />
AO entgegen der Auslegung des 5. Strafsenats 26 bedeute, dass der Steuerstraf-<br />
täter durch seine Nacherklärung keine Strafbefreiung <strong>für</strong> Nicht- Steuerstraftaten<br />
erlangen könne. 27 Demnach beziehe sich das „insoweit“ in § 371 I AO<br />
nicht auf den Umfang der gemachten Angaben, sondern allein auf den Umfang<br />
der Strafbefreiung. 28<br />
II. MoDIFIKATIoN DER SoG. „GESTUFTEN SELBSTANZEIGE“<br />
Oftmals erfolgt die Entscheidung eine Selbstanzeige zu erstatten unter dem<br />
Druck einer drohenden Tatentdeckung, welche einen Sperrgr<strong>und</strong> nach § 371<br />
II Nr.2 AO darstellt. Daraus folgt nicht selten, dass der Anzeigeerstatter im<br />
Zeitpunkt der Erklärung der Selbstanzeige nicht alle nachzuholenden Angaben<br />
machen kann, da die dazu notwendigen Unterlagen nicht vorhanden sind<br />
19 Vgl. BT- Drs. 17/5067.<br />
20 Vgl. BGH, 5 StR 392, 98 vom 13.10.1998, wistra 1999, 27(28).<br />
21 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1962, 974(974).<br />
22 Vgl. BGH, BB 2010, 2027(2027); wistra 2010, 304(304).<br />
23 Wulf, in: wistra 2010,286(289).<br />
24 Vgl. BGH 1 StR 577/09, Rn.9,11.<br />
25 Vgl. BGH 1 StR 577/09, Rn.8.<br />
26 Vgl. BGH 5 StR 392/98, wistra 1999,27(28).<br />
27 Vgl. BGH, wistra 1999,27(28).<br />
28 Vgl. BGH, wistra 1999,27(28).