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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Schwerpunkte<br />

C. DIE EIGENTLICHE VERNEHMUNG<br />

Bei der Vernehmung eines Kindes müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt<br />

werden, damit eine wahrheitsgemäße, verwertbare Aussage gewonnen wer-<br />

den kann.<br />

Zum einen spielt das Vernehmungsumfeld eine wichtige Rolle, zum anderen<br />

muss gerade bei Kindern ein besonderes Augenmerk auf die Art <strong>und</strong> Weise<br />

der Vernehmung gelegt werden.<br />

I. VERNEHMUNGSUMFELD<br />

Bezüglich des räumlichen Vernehmungsumfeldes herrscht Einigkeit darüber,<br />

dass es möglichst „kindgerecht“ eingerichtet sein sollte. 31 Gr<strong>und</strong>sätzlich kön-<br />

nen daher etwa große Räume, die u.U. bedrohlich wirken, die Aussagebereit-<br />

schaft eines Kindes hemmen. 32 Zu denken sei hier beispielsweise an große<br />

Gerichtssäle.<br />

Tatsächlich werden bei der polizeilichen Vernehmung spezielle Räume be-<br />

nutzt, die durch ungewöhnlich fre<strong>und</strong>liche, farbenfrohe <strong>und</strong> spielzimmerar-<br />

tige Einrichtung eine weit „kindgerechtere“ Raumatmosphäre schaffen als in<br />

Behörden sonst üblich. Eine solch vertraut wirkende Atmosphäre kann das<br />

Kind beruhigen <strong>und</strong> sich somit positiv auf die Aussagebereitschaft auswir-<br />

ken. 33<br />

Neben diesen räumlichen spielen aber auch personenbezogene Faktoren eine<br />

Rolle. So ergab eine Untersuchung, dass 90% der Kinder in ihrer Aussagebe-<br />

reitschaft gehemmt sind, wenn ihre Eltern anwesend sind. 34 Daher wird in der<br />

Praxis versucht, Kinder immer in Abwesenheit ihrer Eltern zu vernehmen.<br />

Eine Ausnahme gilt bei besonders stark gehemmten Kleinkindern, wo es er-<br />

forderlich sein kann, die Eltern hinzuzuziehen, um ein gewisses Vertrauen<br />

<strong>und</strong> eine damit einhergehende Aussagebereitschaft zu schaffen. 35<br />

Ebenfalls vermieden werden sollte die Anwesenheit von weiteren Kindern<br />

gleicher Altersklasse bzw. gr<strong>und</strong>sätzlich weiterer Personen im Vernehmungs-<br />

umfeld, da hierdurch eine starke Hemmung hervorgerufen werden kann. 36<br />

Letztlich zeigt sich in Bezug auf ein förderliches Vernehmungsumfeld, dass<br />

sich bereits vermeintliche Kleinigkeiten negativ auf das Aussageverhalten<br />

eines Kindes auswirken. Festzustellen ist, dass die geforderten Vorausset-<br />

zungen bei einer polizeilichen Vernehmung, im Gegensatz zu einer Gerichts-<br />

verhandlung, problemlos zu schaffen sind. 37 Demnach kann insbesondere bei<br />

Gerichtsverhandlungen die Gefahr bestehen, dass die Aussagebereitschaft<br />

eines Kindes umfeldbedingt stark eingeschränkt ist.<br />

II. DURCHFüHRUNG DER VERNEHMUNG<br />

In diesem Abschnitt sollen Besonderheiten bei der Durchführung der Ver-<br />

nehmung aufgezeigt werden. Hierbei wird ein Blick auf spezifische Merkmale<br />

31 So etwa Köhnken/Lempp/Schütze, Forensische Psychiatrie <strong>und</strong> Psychologie<br />

des Kindes- <strong>und</strong> Jugendalters, 2. Auflage, S. 356 f.<br />

32 Arntzen, Vernehmungspsychologie, Psychologie der Zeugenvernehmung,<br />

3. Auflage, S. 47 f.<br />

33 So auch Ell, in: ZfJ 1992, 142 (189).<br />

34 Arntzen, Vernehmungspsychologie, Psychologie der Zeugenvernehmung,<br />

3. Auflage, S. 50.<br />

35 Arntzen/Michaelis, Psychologie der Kindervernehmung, S. 12 f.<br />

36 Arntzen, Vernehmungspsychologie, Psychologie der Zeugenvernehmung,<br />

3. Auflage, S. 51.<br />

37 Vgl. Ell, in: ZfJ 1992, 142 (189).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 2 / 2011<br />

der Belehrung geworfen sowie die konkrete Art <strong>und</strong> Weise der Vernehmung<br />

beleuchtet.<br />

1. DIE BELEHRUNG<br />

Auch Kinder müssen vor Beginn ihrer Vernehmung gem. §§ 52 III, 55 II StPO<br />

über ihr Zeugnis- <strong>und</strong> Auskunftsverweigerungsrecht belehrt werden. <strong>Die</strong><br />

Aufnahmefähigkeit bzgl. der Belehrung kann gem. § 52 II StPO angenom-<br />

men werden, wenn der Minderjährige über die notwendige „Verstandesreife“<br />

verfügt.<br />

<strong>Die</strong>s soll der Fall sein, wenn das Kind erkennen kann, dass der Beschuldigte<br />

etwas Unrechtes getan hat, <strong>für</strong> das ihm Strafe droht <strong>und</strong> seine Aussage zu<br />

dieser Bestrafung beitragen kann. 38 Gerade bei Taten im engeren familiären<br />

Umfeld ist jedoch zu be<strong>für</strong>chten, dass die betroffenen Kinder den Zusam-<br />

menhang zwischen ihrer eigenen Aussage <strong>und</strong> den möglichen Konsequenzen<br />

noch nicht sehen <strong>und</strong> keine Abwägung durchführen können. 39 In besonde-<br />

ren Fällen kann daher gem. §§ 52 II StPO, 1629, 1909 BGB ein Ergänzungs-<br />

pfleger bestellt werden. 40<br />

Prinzipiell ist darauf zu achten, dass Kinder altersentsprechend verständlich<br />

belehrt werden 41 , wobei aber die Gefahr der Einschüchterung des Kindes be-<br />

dacht <strong>und</strong> durch geeignete sprachliche Konstrukte umgangen werden muss 42 .<br />

<strong>Die</strong> Belehrung stellt auch bei kindlichen Zeugen ein wesentliches Element <strong>für</strong><br />

die spätere strafprozessuale Verwertbarkeit dar, sodass sie zwar „kindgerecht“,<br />

aber auch fehlerfrei <strong>und</strong> vollständig erfolgen muss.<br />

2. ART UND WEISE DER VERNEHMUNG<br />

Bei der Vernehmung müssen allerdings weitere kindspezifische Besonder-<br />

heiten beachtet werden. Auch hier gilt die gr<strong>und</strong>sätzliche Aufteilung einer<br />

Vernehmung in den freien Bericht <strong>und</strong> die daran anschließenden Fragen. 43<br />

Befragungen von Kindern sollten angemessen eingeleitet werden <strong>und</strong> diese<br />

sollten das Gefühl bekommen, dass die Vernehmungsperson aufrichtig <strong>und</strong><br />

ehrlich mit ihnen umgeht. 44 Selbstverständlich sollte hierbei eine einfache<br />

<strong>und</strong> verständliche Sprache gewählt werden. 45<br />

Ein besonderes Augenmerk muss allerdings auf die Suggestibilität kindlicher<br />

Zeugen gelegt werden.<br />

Sie sind aufgr<strong>und</strong> ihrer teils eingeschränkten Gedächtnisentwicklung <strong>und</strong> der<br />

mitunter nur gering ausgebildeten Skepsis <strong>und</strong> Standhaftigkeit besonders anfällig<br />

<strong>für</strong> suggestive Einflüsse46 , wobei dies <strong>für</strong> jüngere Kinder stärker gilt als<br />

<strong>für</strong> ältere. 47<br />

38 BGH NJW 1960, 1396 (1397); Senge, in: Karlsruher Kommentar zur<br />

StPO, § 52, Rn. 23.<br />

39 Allerdings kommen gerade Taten im familiären Umfeld (insb. Dunkelfeld)<br />

regelmäßig vor; vgl. Berliner/Elliott, in: The APSAC handbook on<br />

child maltreatment, S. 54; Kley, in: Kriminalistik 2007, 455 (457).<br />

40 Peschel-Gutzeit, in: Staudinger, BGB, § 1629, Rn. 89.<br />

41 Vgl. Deckers, in: NJW 1999, 1365 (1367).<br />

42 Arntzen, Vernehmungspsychologie, Psychologie der Zeugenvernehmung,<br />

3. Auflage, S. 48.<br />

43 Hierzu Steller/Volbert, Psychologie im Strafverfahren, S. 25 f.<br />

44 Vgl. Arntzen/Michaelis, Psychologie der Kindervernehmung, S. 14.<br />

45 Arntzen, Vernehmungspsychologie, Psychologie der Zeugenvernehmung,<br />

3. Auflage, S. 48 f.<br />

46 Stern, Psychologie der frühen Kindheit, 9. Auflage, S. 414; Regber, Glaubhaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Suggestibilität, S. 47.<br />

47 Vgl. Undeutsch, Handbuch der Psychologie in 12 Bänden, Bd. 11, Forensische<br />

Psychologie, S. 70.

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