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Mängel im Spiegel der Rechtsprechung Dr. Tobias Rodemann - BDLA

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Richtig o<strong>der</strong> falsch?<br />

<strong>Mängel</strong> <strong>im</strong> <strong>Spiegel</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Tobias</strong> <strong>Rodemann</strong><br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Tobias</strong> <strong>Rodemann</strong>, Richter am Landgericht<br />

Eickelscheidt 12<br />

40883 Ratingen<br />

Telefon: (01 11) 49 71 22 9<br />

t.rodemann@gmx.de


<strong>Dr</strong>. <strong>Tobias</strong> <strong>Rodemann</strong>, Richter am Landgericht<br />

I.<br />

Einleitung<br />

<strong>Mängel</strong> <strong>im</strong> <strong>Spiegel</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />

Der mit <strong>der</strong> Bauüberwachung betraute Bauleiter schuldet ein Werk. Er hat darauf<br />

hinzuwirken, dass das Bauwerk mangelfrei entsteht. Als Teil dieser werkvertraglichen<br />

Pflicht schuldet er die Überwachung <strong>der</strong> Unternehmer. Er überwacht, ob die Unternehmer<br />

ihre werkvertraglichen Pflichten erfüllen, also ihr Gewerk mangelfrei herstellen.<br />

Der Bauleiter muss daher beurteilen, ob eine Leistung des Unternehmers mangelfrei ist<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Diese Feststellung kann mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet sein.<br />

II.<br />

Die bessere Lösung<br />

Ein Mangel des Werkes liegt vor, wenn das ausgeführte Werk von <strong>der</strong> Beschaffenheit <strong>der</strong><br />

Werkleistung abweicht, die von den Parteien <strong>im</strong> Vertrag vereinbart o<strong>der</strong> vorausgesetzt<br />

worden ist. Ein Mangel liegt also vor, wenn die Ist-Beschaffenheit von <strong>der</strong> Soll-<br />

Beschaffenheit des Werkes abweicht.<br />

Die Konsequenzen dieses Mangelbegriffs zeigt ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.<br />

März 2002 (VII ZR 1/00) auf. Der Bauunternehmer verpflichtet sich, ein Bauwerk gemäß<br />

genehmigten Plänen zu errichten. In dem Bauvertrag ist vereinbart, dass <strong>der</strong> Bauleiter als<br />

Bevollmächtigter des Bauherrn gelte und berechtigt sei, Anordnungen zu treffen, die zur<br />

vertraglichen Durchführung <strong>der</strong> Leistung erfor<strong>der</strong>lich sind. Der Bauunternehmer gründet<br />

den Keller des Bauwerks auf Anweisung des Bauleiters um 1,15 m höher als in den<br />

genehmigten Plänen vorgesehen. Die Bauherren nehmen daraufhin den Bauunternehmer<br />

und den Bauleiter in Anspruch.<br />

Das hat Erfolg. Der Bundesgerichtshof führt aus:<br />

„Die Argumentation des Berufungsgerichts, die jetzige Leistung sei<br />

wirtschaftlich und technisch besser als die ursprünglich geplante Lösung, ist<br />

rechtlich unerheblich. Maßstab für die Frage, ob ein Mangel vorliegt, ist<br />

ausschließlich <strong>der</strong> vom Bauunternehmer aufgrund des Werkvertrages<br />

versprochene Erfolg und nicht die aus <strong>der</strong> Sicht des Sachverständigen o<strong>der</strong> des<br />

Gerichts vorzugwürdige Ausführung des Bauwerks.“<br />

Die <strong>im</strong> Bauvertrag eingeräumte Vollmacht hilft we<strong>der</strong> dem Bauleiter noch dem<br />

Bauunternehmer. Hierzu bemerkt <strong>der</strong> Bundesgerichtshof:


„Die dem Architekten erteilte Vollmacht erfasst nur die üblicherweise zur<br />

Erfüllung <strong>der</strong> Bauausführung erfor<strong>der</strong>lichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen,<br />

nicht hingegen die Befugnis, den Vertrag in wesentlichen Punkten zu än<strong>der</strong>n.“<br />

Quintessenz des Urteils ist: Die Vertragsvereinbarung <strong>der</strong> Parteien best<strong>im</strong>mt den<br />

geschuldeten Erfolg, nicht dasjenige, was üblich o<strong>der</strong> sinnvoll ist.<br />

III.<br />

Zur Best<strong>im</strong>mung des geschuldeten Erfolgs<br />

Will <strong>der</strong> Bauherr einen Bauunternehmer beauftragen, muss er die geschuldete Leistung<br />

definieren. Bauherr und Bauunternehmer müssen wissen, was geschuldet ist. Die<br />

Beschreibung des geschuldeten Werkerfolgs kann auf zwei verschiedenen Wegen<br />

erfolgen, die sich (idealtypisch) wie folgt beschreiben lassen.<br />

Der geschuldete Werkerfolg kann danach beschrieben werden, welche Funktion das Werk<br />

erfüllen soll. Beispiel: <strong>der</strong> Bauunternehmer soll ein Hochregallager errichten, das einen<br />

best<strong>im</strong>mten Rauminhalt hat und dessen Boden und Regale best<strong>im</strong>mten Belastungen<br />

standen halten. In diesem Falle best<strong>im</strong>mt allein <strong>der</strong> Bauunternehmer, wie er die Halle<br />

baut. Die Halle muss lediglich die vereinbarten Parameter einhalten.<br />

Der geschuldete Werkerfolg kann auch danach beschrieben werden, welche<br />

Arbeitsschritte <strong>der</strong> Bauunternehmer zur Fertigstellung <strong>der</strong> Leistung durchführen soll, so <strong>im</strong><br />

Falle des Einheitspreisvertrages o<strong>der</strong> des Detailpauschalvertrages. Bei dieser Gestaltung<br />

wird aus <strong>der</strong> Planung abgeleitet, welche Arbeitsschritte zur Herbeiführung des<br />

geschuldeten Erfolgs erfor<strong>der</strong>lich sind. So wie sich aus <strong>der</strong> Planung die Arbeitsschritte (die<br />

einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnis) ableiten lassen, lässt sich ebenso aus den<br />

Arbeitsschritten die Planung rekonstruieren.<br />

In diesem zweiten Fall können beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung des<br />

geschuldeten Erfolgs auftreten. Denkbar sind zum Beispiel Wi<strong>der</strong>sprüche zwischen dem<br />

Vertrag beigefügten Plänen und den Positionen des Leistungsverzeichnisses. Auch kann<br />

die Ableitung <strong>der</strong> Arbeitsschritte anhand <strong>der</strong> Planung fehlerhaft sein. Dies kann dazu<br />

führen, dass sich bei Ausführung <strong>der</strong> nach dem Vertrag vorgesehenen Arbeitsschritte kein<br />

„brauchbares“ Werk ergibt.<br />

Beispiel: Der Bauherr beauftragt einen Dachdecker mit <strong>der</strong> Ausführung eines<br />

Daches für seine Lagerhalle auf <strong>der</strong> Grundlage eines detaillierten<br />

Leistungsverzeichnisses. Das Dach ist jedoch nicht dicht, weil die <strong>im</strong><br />

Leistungsverzeichnis vorgesehenen Arbeitsschritte nicht dazu taugen, ein<br />

dichtes Dach herzustellen.<br />

Um zu beurteilen, ob das von dem Bauunternehmer hergestellte Dach mangelhaft ist,<br />

bedarf es <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung des geschuldeten Erfolgs. Hierfür stehen sich zwei Alternativen<br />

gegenüber: Best<strong>im</strong>mt man den Erfolg nach den einzelnen Positionen des<br />

Leistungsverzeichnisses, liegt kein Mangel vor. Denn <strong>der</strong> Bauunternehmer hat das Werk<br />

errichtet, das sich aus dem Leistungsverzeichnis ergibt. Best<strong>im</strong>mt man demgegenüber<br />

den geschuldeten Erfolg nach <strong>der</strong> üblichen Funktion eines Daches, ist es mangelhaft.


Denn üblicherweise dienen Dächer dazu, den Regen abzuhalten und werden als<br />

mangelhaft erachtet, wenn sie es nicht tun.<br />

Die <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesgerichtshofs geht für die Best<strong>im</strong>mung des geschuldeten<br />

Erfolgs von <strong>der</strong> zweiten Betrachtungsweise aus. Danach gilt <strong>der</strong> funktionale<br />

<strong>Mängel</strong>begriff, den <strong>der</strong> Bundesgerichtshof (Urteil vom 29. September 2011 – VII ZR<br />

87/11) zuletzt wie folgt beschrieben hat:<br />

„Welche Beschaffenheit eines Werks die Parteien vereinbart haben, ergibt sich<br />

aus <strong>der</strong> Auslegung des Werkvertrags. Zur vereinbarten Beschaffenheit [...]<br />

gehören alle Eigenschaften des Werks, die nach <strong>der</strong> Vereinbarung <strong>der</strong> Parteien<br />

den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Der vertraglich<br />

geschuldete Erfolg best<strong>im</strong>mt sich nicht allein nach <strong>der</strong> zu seiner Erreichung<br />

vereinbarten Leistung o<strong>der</strong> Ausführungsart, son<strong>der</strong>n auch danach, welche<br />

Funktion das Werk nach dem Willen <strong>der</strong> Parteien erfüllen soll. Der BGH hat<br />

deshalb [...] eine Abweichung von <strong>der</strong> vereinbarten Beschaffenheit<br />

angenommen, wenn <strong>der</strong> mit dem Vertrag verfolgte Zweck <strong>der</strong> Herstellung eines<br />

Werks nicht erreicht wird und das Werk seine vereinbarte o<strong>der</strong> nach dem<br />

Vertrag vorausgesetzte Funktion nicht erfüllt [...]. Das gilt unabhängig davon, ob<br />

die Parteien eine best<strong>im</strong>mte Ausführungsart vereinbart haben. Ist die<br />

Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten o<strong>der</strong> gewöhnlichen<br />

Gebrauch vereinbart und ist dieser Erfolg mit <strong>der</strong> vertraglich vereinbarten<br />

Leistung o<strong>der</strong> Ausführungsart nicht zu erreichen, schuldet <strong>der</strong> Unternehmer die<br />

vereinbarte Funktionstauglichkeit [...].“<br />

Dieser funktionale <strong>Mängel</strong>begriff steht nicht in Wi<strong>der</strong>spruch dazu, dass es für die<br />

Beurteilung des geschuldeten Erfolgs auf die vertragliche Vereinbarung <strong>der</strong> Parteien<br />

ankommt. Denn maßgeblich ist die vereinbarte Funktion. Die Parteien können auch ein<br />

„weniger“ an Funktion vereinbaren.<br />

Beispiel: Der Bauherr benötigt eine Lagerhalle zur Lagerung von Waren, die<br />

feuchteunempfindlich sind. Zur Kostenersparnis plant er ein nur regensicheres<br />

aber nicht regendichtes Dach und beauftragt mit dessen Ausführung den<br />

Bauunternehmer. Das Dach ist mangelfrei, auch wenn es nur regensicher aber<br />

nicht regendicht ist (vergleiche OLG Saarbrücken, Urteil vom 13. Oktober 2011<br />

- 8 U 298/07).<br />

Danach gilt also: <strong>der</strong> Unternehmer schuldet den Erfolg, nicht das Abspulen des sich aus<br />

dem Leistungsverzeichnis ergebenden "Leistungsprogramms". Das Leistungsverzeichnis<br />

gibt nur die Vorstellung wie<strong>der</strong>, welche Arbeitsschritte zur Herbeiführung des Erfolgs<br />

geeignet sind. Erweist sich diese Vorstellung als unzutreffend, so muss <strong>der</strong> Unternehmer<br />

auch weitere - <strong>im</strong> Leistungsverzeichnis nicht vorgesehene - Arbeitsschritte ausführen. Der<br />

geschuldete Erfolg kann also eine leistungsergänzende Funktion entfalten.<br />

Demgegenüber kann aus den <strong>im</strong> Leistungsverzeichnis vorgesehenen Arbeitsschritten<br />

nicht ohne weitere Anhaltspunkte <strong>der</strong> Schluss gezogen werden, es habe nur ein<br />

min<strong>der</strong>wertiges Werk erstellt werden sollen.


IV.<br />

Anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik<br />

Ähnlich können die Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik für die Best<strong>im</strong>mung des<br />

geschuldeten Erfolgs wirken.<br />

Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B hat <strong>der</strong> Auftragnehmer bei Ausführung seiner Leistung die<br />

anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik zu beachten. Nichts an<strong>der</strong>es gilt nach dem BGB. Denn<br />

gemäß § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB schuldet <strong>der</strong> Unternehmer ein Werk mit einer<br />

Beschaffenheit, die bei Werken <strong>der</strong> gleichen Art üblich ist und die <strong>der</strong> Besteller nach <strong>der</strong><br />

Art des Werkes erwarten kann. Hierzu gehört die Einhaltung <strong>der</strong> Anerkannten Regeln <strong>der</strong><br />

Technik.<br />

Diese Verpflichtung zur Einhaltung <strong>der</strong> Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik kann mit dem<br />

Leistungsverzeichnis kollidieren. So können in dem Leistungsverzeichnis Arbeitsschritte<br />

fehlen, die nach den Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik erfor<strong>der</strong>lich sind, um ein Werk<br />

mangelfrei auszuführen. O<strong>der</strong> aber das Leistungsverzeichnis enthält Vorgaben, die nicht<br />

den Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik entsprechen.<br />

Auch in diesem Falle gilt, dass es den Unternehmer nicht lediglich das Leistungsverhältnis<br />

abarbeiten darf. Er hat vielmehr die mangelfreie Leistung zu bewirken. Ebenso ist es aber<br />

auch hier möglich, dass Unternehmer und Bauherr vereinbaren, dass (teilweise) von den<br />

Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik abgewichen werden soll (BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 -<br />

VII ZR 350/96).<br />

Wichtig in diesem Zusammenhang ist: Die Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik dürfen nicht<br />

mit den DIN-Vorschriften identifiziert werden. Die DIN-Normen sind keine Rechtsnormen,<br />

son<strong>der</strong>n private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Es ist möglich, dass<br />

die DIN-Normen hinter den Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik zurückbleiben.<br />

Exemplarisch hierfür ist die <strong>Rechtsprechung</strong> des Bundesgerichtshof zum Schallschutz <strong>im</strong><br />

Wohnungsbau, wie folgende Passage aus dem Urteil vom 14. Juli 2007 (VII ZR 45/06)<br />

belegt:<br />

"Aus dem Vorhergehenden folgt, dass das Berufungsgericht zu Unrecht die DIN<br />

4109 als anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik gewürdigt hat. Die auch insoweit<br />

fehlerhaften Ausführungen des Berufungsgerichts geben dem Senat Anlass, auf<br />

Folgendes hinzuweisen:<br />

aa) Wie bereits erwähnt, formuliert die DIN 4109 Anfor<strong>der</strong>ungen an den<br />

Schallschutz mit dem Ziel, Menschen in Aufenthaltsräumen vor unzumutbaren<br />

Belästigungen durch Schallübertragung zu schützen. Die<br />

Schallschutzanfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> DIN 4109 können deshalb hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Einhaltung <strong>der</strong> Schalldämm-Maße nur anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik<br />

darstellen, soweit es um die Abschirmung von unzumutbaren Belästigungen<br />

geht. Soweit weitergehende Schallschutzanfor<strong>der</strong>ungen an Bauwerke gestellt<br />

werden, wie z.B. die Einhaltung eines üblichen Komfortstandards o<strong>der</strong> eines<br />

Zustandes, in dem die Bewohner "<strong>im</strong> Allgemeinen Ruhe finden" [...], sind die


Schalldämm-Maße <strong>der</strong> DIN 4109 von vornherein nicht geeignet, als anerkannte<br />

Regeln <strong>der</strong> Technik zu gelten. Etwas an<strong>der</strong>es kann für die Schalldämm-Maße<br />

des Beiblatts 2 zu DIN 4109 o<strong>der</strong> <strong>der</strong> VDI-Richtlinie 4100 Schallschutzstufen II<br />

und III gelten.<br />

bb) Darüber hinaus wäre es verfehlt, in <strong>der</strong> DIN 4109 formulierte<br />

Schallschutzanfor<strong>der</strong>ungen, sei es für einen Mindeststandard, sei es für einen<br />

erhöhten Schallschutz, unabhängig von den zur Verfügung stehenden<br />

Bauweisen als anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik zu bewerten. Der Senat hat<br />

wie<strong>der</strong>holt darauf hingewiesen, dass DIN-Normen keine Rechtsnormen sind,<br />

son<strong>der</strong>n nur private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. DIN-<br />

Normen können die anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik wie<strong>der</strong>geben o<strong>der</strong> hinter<br />

diesen zurückbleiben [...]. Die Anfor<strong>der</strong>ungen an den Schallschutz<br />

unterliegen einer dynamischen Verän<strong>der</strong>ung. Sie orientieren sich<br />

einerseits an den aktuellen Bedürfnissen <strong>der</strong> Menschen nach Ruhe und<br />

individueller Abgeschiedenheit in den eigenen Wohnräumen. An<strong>der</strong>erseits<br />

hängen sie von den Möglichkeiten des Baugewerbes und <strong>der</strong> Bauindustrie<br />

ab, unter Berücksichtigung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Interessen bei<strong>der</strong><br />

Vertragsparteien einen möglichst umfangreichen Schallschutz zu<br />

gewährleisten. In privaten technischen Regelwerken festgelegte<br />

Schalldämm-Maße können nicht als anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik<br />

herangezogen werden, wenn es wirtschaftlich akzeptable, ihrerseits den<br />

anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik entsprechende Bauweisen gibt, die ohne<br />

weiteres höhere Schalldämm-Maße erreichen. [...]" (Hervorhebung<br />

diesseits).<br />

Zugleich belegt das Urteil, dass Angaben <strong>im</strong> Leistungsverzeichnis nicht ohne weiteres den<br />

geschuldeten Erfolg beschränken. So war in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen<br />

Fall <strong>im</strong> Leistungsverzeichnis vermerkt, dass bei <strong>der</strong> Bauausführung "die Best<strong>im</strong>mungen <strong>im</strong><br />

Hochbau" eingehalten würden. Hieraus hat <strong>der</strong> Bundesgerichtshof (a. a. O.) nicht den<br />

Schluss gezogen, damit seien die Werte <strong>der</strong> DIN 4109 als vertraglich geschuldeter Erfolg<br />

vereinbart. Er bemerkt hierzu:<br />

"Der Besteller hat insoweit in aller Regel keine Vorstellungen, die sich in<br />

Schalldämm-Maßen nach <strong>der</strong> DIN 4109 ausdrücken, son<strong>der</strong>n darüber, in<br />

welchem Maße er Geräuschbelästigungen ausgesetzt ist, inwieweit er also<br />

Gespräche, Musik o<strong>der</strong> sonstige Geräusche aus an<strong>der</strong>en Wohnungen o<strong>der</strong><br />

Doppelhaushälften hören o<strong>der</strong> verstehen kann. Entsprechende<br />

Qualitätsanfor<strong>der</strong>ungen können sich nicht nur aus dem Vertragstext, son<strong>der</strong>n<br />

auch aus erläuternden und präzisierenden Erklärungen <strong>der</strong> Vertragsparteien,<br />

sonstigen vertragsbegleitenden Umständen, den konkreten Verhältnissen des<br />

Bauwerks und seines Umfeldes, dem qualitativen Zuschnitt, dem<br />

architektonischen Anspruch und <strong>der</strong> Zweckbest<strong>im</strong>mung des Gebäudes ergeben<br />

[...]"


Dies bedeutet, dass <strong>der</strong> Verweis auf best<strong>im</strong>mte Normen des Schallschutzes ebenso wie<br />

<strong>der</strong> Verweis auf konkrete Schallschutzwerte nicht geeignet ist, die Haftung für die<br />

Einhaltung <strong>der</strong> Anerkannten Regeln <strong>der</strong> Technik zu beschränken. Nur dann, wenn <strong>der</strong><br />

Bauherr so sachkundig ist, dass er durch den Verweis auf Regelwerke und<br />

Schallschutzwerte zu verstehen vermag, welcher Schallschutz realisiert wird, kann aus<br />

<strong>der</strong>artigen Vereinbarungen eine Beschränkung des geschuldeten Erfolgs abgeleitet<br />

werden.<br />

V.<br />

Folgerungen für den Bauablauf<br />

Welche Folgerungen ergeben sich aus <strong>der</strong> "leistungsergänzenden Wirkung" des<br />

funktionalen <strong>Mängel</strong>begriffs für den Bauablauf, an dem Bauherr, Auftragnehmer und<br />

Planer bzw. Bauleiter beteiligt sind? Betrachten wir hierzu den bereits erwähnten<br />

Beispielfall, dass <strong>der</strong> Auftragnehmer ein dichtes Dach herstellen soll, die ihm gemäß<br />

Leistungsverzeichnis übertragenen Arbeiten aber nicht hinreichen, diesen Erfolg zu<br />

garantieren. Dabei soll <strong>der</strong> (häufige) Fall zugrunde gelegt werden, dass die Planung dem<br />

Auftragnehmer vom Bauherrn zur Verfügung gestellt wird.<br />

Wie verhält es sich, wenn <strong>der</strong> Auftragnehmer feststellt, dass das Leistungsverzeichnis<br />

keine hinreichenden Leistungen enthält? Ausgehend von <strong>der</strong> Feststellung, dass <strong>der</strong><br />

Auftragnehmer den funktionalen Erfolg schuldet und das Leistungsverzeichnis lediglich die<br />

Vorstellung wie<strong>der</strong>gibt, wie <strong>der</strong> Erfolg zu erreichen ist, scheint die Beantwortung <strong>der</strong> Frage<br />

auf <strong>der</strong> Hand zu liegen: Der Auftragnehmer muss eine mangelfreie Leistung bewirken,<br />

d. h. er muss und darf von dem Leistungsverzeichnis abweichen, um das Leistungsziel zu<br />

erreichen. Für diese Schlussfolgerung lässt sich auch das folgende Argument anführen:<br />

Wenn <strong>der</strong> Auftragnehmer nicht bemerkt, dass die nach nach dem Leistungsverzeichnis<br />

vorgesehenen Leistungen unzureichend sind und er deshalb das Werk mangelhaft<br />

errichtet, so schuldet er nach <strong>der</strong> Abnahme die <strong>Mängel</strong>beseitigung. Wie <strong>der</strong><br />

Auftragnehmer den Mangel beseitigt unterliegt seiner Disposition, <strong>der</strong> Bauherr darf ihm<br />

nicht vorschreiben, wie er den Mangel zu beseitigen hat. Dies spricht dafür, dem<br />

Auftragnehmer bereits während <strong>der</strong> Erfüllungsphase zu erlauben, von dem<br />

Leistungsverzeichnis abzuweichen (vgl. Darstellung und weitere Nachweise bei Motzke,<br />

NZBau 2011, 705 ff.).<br />

Die VOB/B gibt indessen ein an<strong>der</strong>es Verfahren vor. Wie sich aus §§ 4 Abs. 3, 13 Abs. 5<br />

VOB/B ergibt, ist <strong>der</strong> Auftragnehmer in <strong>der</strong>artigen Fällen verpflichtet, den Bauherrn<br />

(Auftraggeber) auf die Unzulänglichkeit seiner Planung hinzuweisen. Der Bauherr ist dann<br />

gehalten, durch eine Anordnung die Planung zu än<strong>der</strong>n, um so den Mangel zu vermeiden.<br />

Unterlässt <strong>der</strong> Bauherr dies und hält er an seiner ursprünglichen Planung fest, so haftet<br />

<strong>der</strong> Auftragnehmer für den hierdurch verursachten Mangel nicht. Nach diesem<br />

Regelungsmodell soll <strong>der</strong> Auftragnehmer also durch einen Hinweis die mangelfreie<br />

Ausführung bewirken, ohne aber selbst eigenmächtig für eine mangelfreie Ausführung zu<br />

sorgen.<br />

Das von <strong>der</strong> VOB/B vorgesehene Modell hat Vorteile. Denn sind die <strong>im</strong><br />

Leistungsverzeichnis vorgesehenen Leistungen nicht hinreichend, den geschuldeten


Erfolg zu bewirken, so liegt ein Mangel <strong>der</strong> Planung vor. Würde man es aber dem<br />

Bauunternehmer erlauben, den Mangel <strong>der</strong> Planung (eigenmächtig) auszuwetzen, so<br />

würde das Nachbesserungsrecht des Architekten vereitelt (vgl. Motzke, a. a. O.). Zudem<br />

wird in die Dispositionen des Bauherrn eingegriffen, <strong>der</strong> ein beson<strong>der</strong>es Interesse an einer<br />

best<strong>im</strong>mten Ausführungsart haben kann (vgl. Motzke, a. a. O.). All dies spricht dafür, in<br />

<strong>der</strong> Erfüllungsphase davon auszugehen, dass <strong>der</strong> Bauunternehmer auf den Fehler des<br />

Leistungsverzeichnisses hinzuweisen hat und nicht ohne weiteres seine Leistung an<strong>der</strong>s<br />

als geplant ausführen darf.<br />

Welches <strong>der</strong> beiden Modelle zutrifft, ist für den Bauleiter von erheblicher Relevanz. Folgt<br />

man <strong>der</strong> Ansicht, dass <strong>der</strong> Auftragnehmer in <strong>der</strong> Erfüllungsphase ohne weiteres die<br />

Ausführung eines mangelfreien Werkes schuldet und dazu eigenmächtig von dem<br />

Leistungsverzeichnis abweichen darf, so bedarf es keiner Anordnung des Bauherrn für die<br />

weitere Bauausführung. Eine "Anordnung" des Bauleiters, das Werk an<strong>der</strong>s als <strong>im</strong><br />

Leistungsverzeichnis vorgesehen auszuführen, um den Werkerfolg sicherzustellen, wäre<br />

keine Erklärung mit Folgen für den Vertrag, son<strong>der</strong>n allein ein Hinweis auf den vom<br />

Auftragnehmer ohnehin geschuldeten Erfolg und die ihn treffenden Pflichten.<br />

An<strong>der</strong>s verhält es sich bei dem zweiten Modell. Folgt man <strong>der</strong> Vorstellung, dass <strong>der</strong><br />

Auftragnehmer die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses zu beachten hat und erst durch<br />

eine Anordnung des Bauherrn ermächtigt wird, das Werk an<strong>der</strong>s auszuführen, so handelt<br />

es sich bei dieser Anordnung um eine Erklärung mit Auswirkungen auf den Vertrag. Der<br />

Bauleiter kann sie also nur aussprechen, wenn er hierzu von dem Bauherrn bevollmächtigt<br />

ist. Fehlt es - wie regelmäßig - an einer solchen Vollmacht, muss also <strong>der</strong> Bauleiter den<br />

Bauherrn informieren und diesen die Anordnung aussprechen o<strong>der</strong> sich hierzu<br />

bevollmächtigen lassen. Dieser Vorgehensweise zu folgen, ist <strong>der</strong> sichere Weg, da eine<br />

Information und Anordnung des Bauherrn jedenfalls nicht schadet. Zudem steht bei nicht<br />

abgest<strong>im</strong>mten Abweichungen von dem Leistungsverzeichnis zu befürchten, dass <strong>der</strong><br />

Bauherr aus diesem Grund die Ausführung als mangelhaft erachtet o<strong>der</strong> geltend macht,<br />

die mangelfreie Ausführung habe mit einer an<strong>der</strong>sartigen - kostengünstigeren -<br />

Abweichung vom Leistungsverzeichnis realisiert werden können.

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