„Selbstmord, Freitod, Suizid, Selbsttötung“
„Selbstmord, Freitod, Suizid, Selbsttötung“
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So wie dieser gesellschaftliche Wandel fortschritt, modifizierte sich auch die Sprache im<br />
Kontext des sozialen Wandels. Die veränderte Sicht auf die Dinge erforderte eine neue<br />
Bezeichnung des Phänomens der willentlichen Vernichtung des Selbst, welche nicht<br />
mehr behaftet war mit überkommenen Bewertungen. Demzufolge ist auch der gängige<br />
Gebrauch der einzelnen Begriffe stets auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen<br />
begrenzt.<br />
Ein in heutiger Zeit abzulehnender Begriff ist der des Selbstmordes. Er stammt aus<br />
einer Zeit, in der die katholische Kirche das gesellschaftliche Leben maßgeblich<br />
bestimmte. Die Tötung der eigenen Person wurde mit Mord gleichgesetzt, und Mord als<br />
ein Verbrechen gesellschaftlich verachtet. Insofern führte die Assoziation mit dem<br />
Verbrechensmoment dieser Handlung zu einer Tabuisierung des Phänomens selbst.<br />
Der Ursprung dieser Argumentation liegt in der Deutung des menschlichen Lebens aus<br />
christlicher Sicht. Hier ist das Leben ein Geschenk Gottes und wird auch in seinem<br />
Verlauf von ihm gelenkt. Die passive Rolle verbietet es dem Menschen, eigene<br />
Entscheidungen über den Tod zu treffen. Dieses Recht ist Gott vorbehalten.<br />
Trotz einschneidender gesellschaftlicher Umbrüche ist der Begriff bis in die heutige Zeit<br />
im allgemeinen Sprachgebrauch erhalten geblieben. Gegen eine sprachliche<br />
Verwendung des Begriffs <strong>„Selbstmord</strong>“ lassen sich mindestens drei Argumente<br />
anführen:<br />
Zum einen wird in der heutigen Zeit der <strong>„Selbstmord</strong>“ nicht mehr strafrechtlich verfolgt.<br />
Eine Assoziation der Selbsttötung mit Mord als einem Verbrechen spiegelt also nicht<br />
die heutige Rechtssprechung und damit auch die heutige Bewertung dieser Handlung<br />
wieder.<br />
Zum anderen verbietet es sich gegenüber Angehörigen und weiteren Betroffen von<br />
<strong>Suizid</strong>opfern aus Gründen der Ethik, den Verstorbenen mit einem Mörder<br />
gleichzusetzen. In den Augen der Betroffenen hat sich der Verstorbene in<br />
Übereinstimmung mit der Rechtssprechung keines Verbrechens strafbar gemacht. Eine<br />
Gleichsetzung des <strong>Suizid</strong>enten mit einem Mörder würde in diesem Fall zu einer<br />
gesellschaftlichen Ächtung des <strong>Suizid</strong>opfers führen. Und darüber hinaus würden auch<br />
die Angehörigen in Form sozialer Ausgrenzung davon betroffen werden.<br />
Drittens hat sich die gesellschaftliche Haltung zum Leben und Tod grundlegend<br />
gewandelt. Die Vorstellung von der Allmacht Gottes hat an Bedeutung verloren und<br />
damit auch die Vorstellung eines fremdbestimmten Lebens. Tod ist nicht länger der von<br />
Gott bestimmte Zeitpunkt des Eintritts ins Jenseits. Die Geburt wird als Beginn und der<br />
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