Titel Johann Sebastian Bach, die Oboe und die menschliche Stimme Neben seiner Oboe hat Albrecht Mayer zwei große musikalische Lei<strong>de</strong>nschaften: Die Musik Johann Sebastian Bachs und <strong>de</strong>n Gesang <strong>de</strong>r menschlichen Stimme. Sein neues Album gab <strong>de</strong>m weltweit hochgelobten <strong>de</strong>utschen Oboisten nun endlich die Gelegenheit, alle diese Aspekte <strong>de</strong>r Musik in einem Aufnahmeprojekt miteinan<strong>de</strong>r zu vereinen. Außergewöhnliche Albumkonzepte sind schon immer seine Sache gewesen. Auf <strong>de</strong>r Suche nach stimmigem, form- und klangschönem neuem Repertoire für die Oboe und ihre Schwesterinstrumente, die Oboe d’amore und das Englischhorn, hat Albrecht Mayer mit großem Erfolg bereits Musik von Bach, Mozart, Hän<strong>de</strong>l und Vivaldi adaptiert. Auf seiner neuen CD beschäftigt er sich jetzt mit <strong>de</strong>r Sakralmusik Johann Sebastian Bachs. Der Clou dabei: Zum ersten Mal haben Mayer und sein Arrangeur Andreas Tarkmann nicht nur Material, das im Original für die menschliche Stimme komponiert wur<strong>de</strong>, adaptiert, son<strong>de</strong>rn auch ein direktes Zusammenwirken <strong>de</strong>r Oboe mit einem Chorensemble <strong>de</strong>r historischen Aufführungspraxis, <strong>de</strong>m Trinity Baroque Choir, arrangiert! Aus verschie<strong>de</strong>nen Kantaten und Chorälen haben Mayer und Tarkmann drei neue Oboenkonzerte sowie einen harmonisch in sich geschlossenen Choralzyklus <strong>de</strong>stilliert. Eine Vorgehensweise, die so ähnlich auch von Bach selbst praktiziert wor<strong>de</strong>n ist, <strong>de</strong>r einzelne Melodien und Motive in immer wie<strong>de</strong>r neuen Zusammenhängen verwen<strong>de</strong>t hat. Und diese Praxis geht in <strong>de</strong>r Musik viel weiter, als allgemein bekannt ist, wie Albrecht Mayer erklärt: „Auch die gefeierten Bach- Rekonstruktionen <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts sind größtenteils nichts an<strong>de</strong>res als Adaptionen und Neuarrangements“, betont er emphatisch. „Etwa das berühmte Doppelkonzert BWV 1060! Heute kennt man das Werk wie selbstverständlich als Konzert für Violine, Oboe und Streicher. In Wirklichkeit aber besitzen wir nur eine Version für zwei Cembali und wissen, dass dies eine von Bach selbst stammen<strong>de</strong> Bearbeitung eines an<strong>de</strong>ren Werkes ist. Lediglich aus <strong>de</strong>r Themenbehandlung und aus <strong>de</strong>r motivischen Arbeit in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Solostimmen konnte geschlossen wer<strong>de</strong>n, dass die eine höchstwahrscheinlich ein Streichinstrument ist und die an<strong>de</strong>re Stimme unweigerlich die Oboe sein muss. Bei <strong>de</strong>n drei Konzerten, die wir neu arrangiert haben, haben wir also nicht viel an<strong>de</strong>res gemacht, als was vor fünfzig Jahren getan wor<strong>de</strong>n ist, um zu diesen Rekonstruktionen zu gelangen.” Wie man aus einer Kantate ein Oboenkonzert macht, lässt sich exemplarisch anhand <strong>de</strong>s neuen Oboe d’amore-Konzerts erklären, das aus <strong>de</strong>r Kantate „Non sa che sia dolore“ BWV 209 gewonnen wur<strong>de</strong>: Die Kantate beginnt mit einem Instrumentalsatz, einer Sinfo- 6 www.KlassikAkzente.<strong>de</strong> nia, <strong>de</strong>ren im Original für Flöte gesetzter Solopart für die Oboe d’amore transkribiert wur<strong>de</strong>. Es folgen abwechselnd zwei Rezitative, die weggelassen wur<strong>de</strong>n, und zwei Sopranarien, die jetzt die Sätze zwei und drei <strong>de</strong>s neuen Konzerts bil<strong>de</strong>n. „Natürlich ging es uns niemals darum, Bachs fantastische Kantaten in ihrer Originalgestalt zu verbessern“, betont Albrecht Mayer: „Es versteht sich von selbst, dass wir davon weit entfernt sind. Wir haben uns vielmehr einfach die Freu<strong>de</strong> gemacht, zu ergrün<strong>de</strong>n, in welchen Werken die Oboe die Solostimme übernehmen könnte. O<strong>de</strong>r, im Fall <strong>de</strong>r Choräle, wo <strong>de</strong>r Solopart natürlich beim Chor verbleibt, die Oboe eine begleiten<strong>de</strong> Solostimme spielen o<strong>de</strong>r die Solostimme verzieren kann.“ Neben <strong>de</strong>n drei Konzerten haben neun einzelne Choräle Eingang auf <strong>de</strong>r CD gefun<strong>de</strong>n, die nun einen eigenen Zyklus bil<strong>de</strong>n. Einige dieser Choräle musiziert Albrecht Mayer mit Chor und Orchester, an<strong>de</strong>re erklingen fast a cappella, dann ist neben <strong>de</strong>m Chor nur seine Oboe zu hören. „Das wird viele an das berühmte Album ‚Officium‘ erinnern, auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Saxophonist Jan Garbarek frei zu Alter Vokalmusik, gesungen vom Hilliard Ensemble, improvisierte.“ Dazu besteht bei Albrecht Mayer allerdings ein gewichtiger Unterschied: „Improvisation betreibe ich nur insoweit, als dass ich eine Stimme im barocken, historisch <strong>de</strong>finierten Sinne verziere“, stellt <strong>de</strong>r Solo-Oboist <strong>de</strong>r Berliner Philharmoniker klar, <strong>de</strong>r darin auch die Erfüllung von Bachs Intentionen sieht. Schließlich war Bach neben Vivaldi <strong>de</strong>rjenige Barockkomponist, <strong>de</strong>r, im Gegensatz zur damals gängigen Praxis, je<strong>de</strong> noch so kleine Verzierung auskomponiert und damit vorgeschrieben hat. Harald Reiter www.albrecht-mayer.<strong>de</strong> Bach – Werke für Oboe und Chor Decca CD 478 2045 Special Edition CD & DVD 478 2043 Albrecht Mayer, Oboe Trinity Baroque Choir The English Concert Veröffentlichung: 18. September
Foto: Mat Hennek / Decca Bach-Bewahrer: AlBRECHT MAyER www.KlassikAkzente.<strong>de</strong> 7