Gerhard Leithäuser - www-user

Gerhard Leithäuser
Hakuna Matata
Quelle: Daily Nation, Nairobi, 5th Mai 1998
oder Bericht über
eine Reise in ein Randgebiet der Marktwirtschaft
(1. Fassung 30.08.01)
I
Es gibt noch weiße Flecken auf der wirtschaftswissenschaftlichen
Landkarte. Sie zu erkunden kann Ziel einer Reise sein. Ein solches Land ist
K. Auf Glanzpapier sind die wilden Tiere ausnehmend putzig, die
Menschen auch, wenn sie ihre traditionellen Trachten tragen. Das Wetter
ist schön. Der Strand ist von Palmen gesäumt. Das Wasser ist klar und lädt
zum Baden ein. Der Tourismus ist eine wichtige Quelle von
Deviseneinnahmen.
II
Ein Reisender im Safarilook wird mit einigen anderen ähnlich
Verkleideten vom Reiseveranstalter am Flughafen abgeholt. Vor kurzem
wurde Visumszwang eingef ührt. 50 $ sind bar zu entrichten. Die
Einreisenden müssen ein kompliziertes Formular ausfüllen. Dann eilen sie
zum Exchange. Dort erfahren sie, dass zusätzlich 8 $ Umtauschgebühren
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erhoben werden. Deutliches Murren lässt sich vernehmen. Worte wie
„Unverschämtheit“ unterbrechen die Erläuterungen der Reiseleitung. Der
Staat übt seine Macht aus, die dem Tourismus erheblichen Schaden
bringen wird. So ein Unsinn wird von den Märkten bestraft. Die werden
schon sehen, was sie sich da einhandeln. Für den Staat im Lande K ist
jedoch ähnlich wie bei Devisenmaklern nur die kurze Frist wichtig.
Rechnungen in Fremdwährung sind überfällig. Die Devisenreserven sind
aufgebraucht. Ohne Devisen müssen Auslandsreisen von Politkern
gestrichen werden. Die Treue der Gefolgschaft und der politischen Klientel
lässt sich Fremdwährung besser erhalten als in der abwertungsgefährdeten
Landeswährung, besonders wenn Wahlen anstehen und das ist der Fall.
Das Botschaftspersonal wird nur noch unregelmäßig bezahlt. Da greift die
Regierung nach jedem Strohhalm, der wenn schon keine Rettung so doch
Aufschub verspricht.
III
Dann steigen die Pauschalreisenden in den klimatisierten Reisebus und
merken gar nicht, dass die Lufttemperatur draußen nicht mehr als 17°
beträgt. Sie fahren in die morgendliche Rushhour. Linksverkehr, so will es
die koloniale Vergangenheit. Aber wie, was denn? Hier gibt es ja
überhaupt keine Verkehrszeichen und auch keine Ampeln. Aus den
anfahrenden Lastwagen und Kleinbussen entweichen dunkle
Abgaswolken. Smog breitet sich aus, der die Morgensonne verdunkelt und
die Sichtweite begrenzt. Nie was vom TÜV gehört? Zebrastreifen sind
nicht mehr erkennbar, falls es je welche gab. Hin und wieder stürzen sich
Stoßtrupps von Einheimischen, die offenbar zu Fuß zur Arbeit hasten,
todesmutig auf die Straße. Polizisten und Polizistinnen stehen unbeteiligt
herum. Verkrüppelte Bettler versuchen ihre Lepraschäden oder die Folgen
der Kinderlähmung zu Geld zu machen. Am Kreisverkehr, in den man nur
schwer hinein und noch schwerer hinaus kommt, steht eine Polizistin. Sie
scheint mit ihrem langen Schlagstock eine langsame Morgengymnastik zu
absolvieren, die von niemandem beachtet wird. Offenbar wünscht sie dabei
auch gar nicht gestört zu werden. Am nächsten Kreisverkehr ist ein
Lastwagen umgestürzt und hat einige Passanten unter sich begraben. Die
Menschenansammlung ist groß und wächst schnell. Jetzt ist kein
Weiterkommen mehr. Ein großer gelber Kranwagen erscheint.
Polizistinnen und Polizisten unterhalten sich angeregt. Am Stau können sie
sowieso nichts ändern. – Im Bus werden Stimmen laut. Verkehrsregeln
müssen sein, auch wenn nicht einzusehen ist, warum der Verkehr dann
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flüssiger laufen sollte. Im Lande K geht es auch ohne Regeln. Und mit
Regeln geht es auch nicht besser, nur anders und wahrscheinlich
mindestens genau so mörderisch.
IV
In den Städten kann es den devisenbringenden Touristen schon einmal
passieren, dass ein Einheimischer sie ausraubt. Der Einheimische geht
dabei offenbar von der nicht unbedingt falschen Annahme aus, dass die
Devisen nicht an der richtigen Stelle landen oder nicht für wichtige
Entwicklungsziele eingesetzt werden. Nach langem Nachdenken, wozu
ihm die Arbeitslosigkeit auch Zeit lässt, beschließt ein Einheimischer, dass
ein paar Flaschen Bier jetzt und hier aus seiner Sicht die beste Verwendung
für das Geld eines Touristen wären und schreitet zur Tat. Er zeigt eine
Pistole vor, um Missverständnissen vorzubeugen. Der Rest ist sehr schnell
erledigt. Der Straßenräuber verschwindet in der Menge. Traurig irrt unser
Devisenbringer ohne Geld und ohne Papiere umher in eine Richtung, wo er
sein Hotel vermutet. Da sieht er den Devisenumverteiler am Straßenrand
hocken und seine Biervorräte überprüfen. Zweifelsohne, das ist der
Übeltäter, erkennbar an der zu dunkelblauen Jacke mit dem großen Loch
im Ärmel und der Narbe auf der rechten Stirnseite. Voller Zorn stellt der
Devisenbringer den Umverteiler lautstark zur Rede. Eine schnell
wachsende Ansammlung von Einheimischen umringt die beiden. Der
hilflose, immer ängstlicher wirkende Übeltäter tut als verstünde er von
allem nichts. Zwei Polizisten sind zufällig in der Nähe und durchsuchen
seine Taschen. Die Pistole fällt zu Boden. Sie ist aus Plastik. Die Hüter des
Gesetzes finden Geld und die Ausweise. Der Musungi ist auf den Passbild
zweifelsfrei zu erkennen. Da erhebt sich ein großes Geschrei. Staub wird
aufgewirbelt. Es wird wild geprügelt. Zwei Schüsse fallen. Unser Tourist
sieht den Räuber blutüberströmt und regungslos am Boden. Er hat einen
Erstehilfekurs absolviert, untersucht den Liegenden und stellt
Herzstillstand fest. Was tun? Die Polizisten und die Einheimischen sind
verschwunden, seine Papiere und sein Geld bleiben unauffindbar. Die
Umverteilung ist mindestens eine, vielleicht auch schon mehrere Runden
weiter. Er steht allein neben dem Toten und hat keinen Einfluss mehr
darauf, wer wie viel von seinem Geld erhält. Passanten gehen ungerührt
vorbei. Nur eine alte Frau schlägt ein Kreuz über der blutverschmierten
Leiche und sieht den Touristen mit vorwurfsvollem Blick an. Angesichts
der ungeklärten Rechtslage geht der Tourist tief erschüttert zwar aber
schnellen Schrittes weiter. Vorsichtig versucht er die Mine eines
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Unbeteiligten aufzusetzen. Das fällt ihm schwer. Wellen von Angst
schlagen über ihm zusammen. Er fühlt sich verfolgt und bedroht. – Um
sich abzulenken, zwingt er sich, über Fragen der Verteilung und der
Umverteilung in Marktwirtschaften nachzudenken. Wird nicht umverteilt,
dann werden positive Anreize wirksam. Die Arbeitslosen müssen sich
bewegen, müssen tätig werden, Verantwortung für sich selbst
übernehmen... Auch nach seiner heutigen Erfahrung möchte er nicht von
dieser Weisheit abrücken, die er seit seiner Zeit an der Universität für
gottgegeben hält. Er fährt fort in seinem inneren Monolog. Wie kann man
aber Betätigungsfelder wie Raub ausschließen, wenn Bedürfnisse wie
Hunger oder Durst vorliegen, die nicht lange aufgeschoben werden
können, besonders, wenn kleine Kinder leiden müssen? Ja, das
Gewaltmonopol sollte beim Staat bleiben. Der Staatsanteil muss dennoch
gering gehalten werden. Die Staatsausgabenquote sollte 10% auf keinen
Fall überschreiten. Das will auch Milton Friedman so. Das sollte reichen,
um Recht und Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen und sein Erlebnis von
heute morgen zu verhindern. Doch wie soll man die Armen, die ja nicht
unbedingt die Schwachen sind, von der „averse selection“ abbringen und
davon überzeugen legal zulässige und sozial verträgliche Möglichkeiten
vorzuziehen. Umverteilung hat soziale Kosten, sei sie nun legal oder
illegal. Welche legalen und sozial verträglichen Möglichkeiten gibt es
eigentlich im Lande K, wo die Arbeitslosigkeit bei über einem Drittel
liegen könnte? Frag mich doch nicht so was, ich bin fremd hier und
überdies Tourist! Ich habe mich in die inneren Angelegenheiten dieses
Landes nicht einzumischen. Ich bringe Devisen, die werden hier
entgegengenommen und umverteilt auf spontane landesübliche
Weise....Hakuna matata! – Oder gibt es immer noch Probleme?
V
Noch einmal davongekommen findet unser Tourist tatsächlich und ohne
viel zu fragen sein Hotel. Dort erzählt er, dass er das Opfer eines
Taschendiebstahls geworden sei. Die Hotelleitung veranlasst einiges,
erleichtert darüber, dass der Tourist – immer noch im Safarilook –
Photokopien seiner Papiere vorlegen kann. Die Polizei wird nicht
benachrichtigt. Das würde zu teuer, behaupten die Angestellten des Hotels,
bringe auch nichts. Mit der Polizei will hierzulande niemand etwas zu tun
haben. Die Hotline seiner Kreditkarte ist wie üblich besetzt. Schließlich,
aber ein wenig zu spät, wie er zu Hause feststellen muss, wurde sie
gesperrt. Da hat sich noch schnell jemand bedienen können. Das hat ihn
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einen weiteren Tausender gekostet, der später vielleicht erstattet wird.
Nach wenigen Tagen und nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden,
wie er aus der Fernsehreklame zu wissen glaubte, wurde ihm eine neue
Karte überreicht. Mit dem Versprechen auf ein gutes Trinkgeld lässt sich
das Hotelpersonal hinhalten. Die Botschaft hilft widerwillig. Von der
Leiche redet niemand. Auch in der Zeitung wird der Vorfall nicht erwähnt.
Offenbar keine erwähnenswerte Nachricht. Hakuna matata.
VI
Das Reiseunternehmen hat für heute eine Stadtbesichtigung angeboten, da
es Probleme (schon wieder Probleme) mit der Buchung der Safari gibt. Die
Stimmung unter den Reisenden ist mies. Wir sind nicht hierher gekommen,
um in dieser schrecklichen Stadt umherzuirren. Die Malariaprophylaxe
läuft aus, behaupten einige. Die Reisenden drohen mit allerlei Ansprüchen.
Die Reiseleitung bedauert langatmig. Sie fahren im klimatisierten Bus
durch die chaotische Stadt. Gangster sollen Esel auf Matatus (Buschtaxis)
geworfen haben, um die Toten und Verletzten auszurauben, steht in der
„Nation“. Was für ein Land. Sie fahren zur irischen Schule. „Es sieht
tatsächlich aus wie in Irland“, sagt eine ältere Dame. Großzügige
Sportanlagen. Schulgebäude unter Bäumen. Heute ist Schulsportfest.
Fußball und Crickett, Wettläufe aller Art. Kinder vieler Volksgruppen,
auch Inder, die nicht unter dem Verdacht stehen, katholischer Gesinnung
zu sein. Viel Freundlichkeit. Keine rassistischen Sprüche wie zu Hause.
Rassenprobleme werden offenbar zivilisierter geregelt als in Deutschland.
Dann geht’s zur amerikanischen Botschaft, die vor einiger Zeit in die Luft
gesprengt wurde. „Mehr als zweihundert Tote“, ruft die Reiseleiterin
schrill. Die Zeitung berichtet, dass die USA einen Park mit einem
Mahnmal gespendet haben. Einheimische sollen Eintritt bezahlen. Das
Geld aber haben sie nicht. Sie drängen rempelnd am Botschafter vorbei
und erklären, dass mindestens 200 einheimische Opfer zu beklagen waren.
Das hohe Eintrittsgeld sei nicht gerechtfertigt. Botschaftsangehörige,
darunter natürlich die sehr gut verdienenden amerikanischen
Staatsangehörigen müssen nichts zahlen. – Bei einem kleinen Rundgang
durch die Innenstadt werden die Touristen von zugedröhnten
Straßenkindern sehr aggressiv um Geld angebettelt. Es sind nur Jungen,
keine Mädchen. Schmutz und Gestank sind den Touristen unerträglich.
Zurück im Bus wird wieder gemeckert. Unzumutbar, nicht die Lage der
Kinder, sondern die Unannehmlichkeiten, die sie deutschen Touristen
bereitet haben. Sie haben nichts gegeben, berichten sie stolz. Vielleicht
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auch nicht falsch, denn das Meiste wird in Stoff zum Schnüffeln
umgesetzt.
VII
Die Reiseleitung lässt sich etwas einfallen. Abends ein Vortrag über die
Verbesserung der Lebensbedingungen in den Slums der Hauptstadt. Hier
leben 500 000 Menschen. Das ist nach Soweto in Südafrika der
zweitgrößte Slum in Afrika südlich der Sahara, berichtet ein Amerikaner
nicht ohne Stolz. Er leitet ein Projekt der UNO, mit dem die
Lebensbedingungen in diesem Slum verbessert werden sollen. Er spricht
schnell mit dem typisch New Yorker Akzent. Der ist nicht leicht zu
übersetzen. In den Slums soll eine „sustainable human livelyhood“ –
nachhaltige Lebensqualität – geschaffen werden. Zunächst sollen
Wasserversorgung und sanitäre Anlagen in die Häuser gebracht werden. In
einem solchen Slumhaus mit einem Zimmer, ohne Küche und Toilette
wohnen im Durchschnitt sieben bis acht Menschen. Slums werden auf
Grundstücken errichtet, für die es keine Eigentumsrechte gibt. Auch die
Slumbewohner haben keine Eigentumsrechte an ihrer Hütte, zahlen aber
Miete. Wessen Eigentum wird denn durch das „slum upgrading“ –
Verbesserung der Lebensbedingungen in den slums – aufgewertet? Viele
Fragen. Ungenaue Antworten. Den Slumbewohnern wird ein aufgewertetes
kleines Haus geschenkt. Sie erhalten verbriefte Eigentumsrechte. Was wird
aus den vormaligen Vermietern? Die gehen leer aus. Lassen die sich das
gefallen? Slumlords werden sie genannt. Auf der untersten Stufe sind
diejenigen, die zehn bis zwanzig Hütten unter sich haben. Sie kassieren die
Miete, stunden sie vielleicht auch einmal zu Wucherzinsen. Sie liefern den
überwiegenden Teil an die nächst höhere Schicht usw. Am Ende der Kette
sitzen Politiker... Wieder ein rechtsfreier Raum, in dem die Märkte die
Weichen stellen, flankiert von unmittelbaren Gewaltverhältnissen, in denen
die Slumlords die Exekutive bilden. Welche Erfahrungen wurden bisher
mit solchen Programmen gemacht, die in den frühen siebziger Jahren
schon einmal bei den internationalen Organisationen Konjunktur hatten?
Die Projekte sind gescheitert. Woran? An den besonderen
Marktbeziehungen und den unmittelbaren Gewaltverhältnissen in den
Slums. Das ist die besondere Beziehung von Markt und Staat im
afrikanischen Slum. Der Ami mit seinen Ideen aus der New Yorker Szene
– Beteiligung der unmittelbar Betroffenen usw. – ist nicht zu beneiden.
Die frischgebackenen Eigentümer von damals haben schnell verkauft. Das
Geld blieb nicht lange bei ihnen. Sie zogen in den nächstbesten Slum und
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lebten weiter wie zuvor. Aus ihren Hütten wurden Spielhöllen oder
Bordelle. Am Slum Upgrading verdienten die Kreise, die schon immer an
den Slums verdient hatten. Der überwiegende Teil der Projektkosten dürfte
bei ihnen gelandet sein. Es waren zweistellige Millionenbeträge. Hakuna
Matata and everything is under control.
VIII
Der Tourist macht die Bekanntschaft eines Landsmannes, der schon lang
im Lande K arbeitet. In einer kurzen Unterhaltung an der Hotelbar stellen
die beiden fest, dass sie gemeinsame Bekannte in Deutschland haben. Der
Landsmann lädt den Touristen nach Hause zum Abendessen ein. Sie fahren
durch die tief dunkle tropische Nacht. Straßenbeleuchtung nur alle 500 m.
Die entgegenkommenden Autos fahren Schlange von einer Straßenseite
zur anderen. Das beunruhigt den Touristen. Ihm wird erklärt, dass die
Fahrer sich gut auskennen und den tiefen Schlaglöchern ausweichen. Die
Straßen sind menschenleer. „Die Sicherheitslage ist so bedenklich“, sagt
der neue Freund scherzend, „dass selbst Gangster nach Einbruch der
Dunkelheit nicht mehr allein ausgehen“. Wenn man nicht anhalten muss,
ist keine Gefahr. Frauen sollten abends nie zu Fuß unterwegs sein.
Überfälle und Vergewaltigungen sind ein großes Problem. Auch die
Polizei ist an solchen Vorkommnissen beteiligt, bei denen die Übertragung
von Aids ein großes Risiko ist. – Maria, die afrikanische Haushälterin des
allein lebenden Landsmanns, hat ein afrikanisches Gericht vorbereitet:
Maisbrei mit einem grünen Gemüse, das ein wenig an Spinat oder
Römischkohl erinnert, aufgebessert mit relativ zähem Fleisch. Sehr gut
gewürzt schmeckt es dem Touristen ausnehmend gut. Maria hat eine relativ
gute Schulausbildung, die etwa der mittleren Reife entspricht. Sie hat drei
Töchter von drei verschiedenen Männern, die sich alle drei aus dem Staub
gemacht haben. Die Älteste hat gerade Abitur bestanden. Sie hat sogar eine
Anstellung gefunden, bei der sie rd. DM 100 verdient. Sie ist eine
glückliche Ausnahme und hat die Stelle wahrscheinlich nur bekommen,
weil ihr der Arbeitgeber der Mutter eine Empfehlung auf dem Briefpapier
eines großen Unternehmens geschrieben hat. Maria verdient rd. DM 200
im Monat. Wenn sie kocht, kocht sie reichlich und nimmt den Rest mit
nach Hause. Das darf sie. Selbstverständlich ist das im Lande K nicht. Sie
wohnt mietfrei in einer Dienstbotenwohnung in der Nähe der Wohnung.
Sie ist klug, tapfer, gelassen, freundlich, auch wenn sie Zahnschmerzen
hat. Heute hat sie Zahnschmerzen. Ein Voranschlag des Dentisten beläuft
sich auf vier Monatsgehälter. Eine Krankenversicherung kann sie sich
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nicht leisten. Sie hat ihrer Tochter in diesem Monat schon einen
Computerkurs bezahlt. Da bleibt kaum noch was übrig. Maria war schon
mal in Deutschland. Ihr geheimer Wunsch ist – wie der vieler
Afrikanerinnen – einen Weißen zu heiraten und nach Europa zu gehen,
dem Land, in dem Milch und Honig fließen. Es hat nicht geklappt. Dem
Touristen kommen Kindheitserinnerungen aus der Trümmerzeit nach dem
Krieg. Alle seine Freunde – und er natürlich auch – nie wollten nach
Amerika....
IX
Nach dem Abendessen trinkt man noch einen kühlen Weißwein aus
Südafrika. Die Rede kommt – wie kann es unter Männern auf freier
Wildbahn anders sein – auf afrikanischen Frauen. Der Gastgeber ist
Kenner, wie er es gern sagt. Einzelheiten sind wie bei
Gebrauchsanweisungen langweilig. Das Temparament dieser Frauen sei
ungeheuer. Die Exzision mache da kaum einen Unterschied. Der
Vaginalorgasmus bleibe ja erhalten. Auf alle Fälle und im Gegensatz zu
Deutschland: Die Damen geben sich Mühe und stellen was auf die Beine.
Man beschließt noch einen kleinen Kneipengang mit kurzem Diskobesuch.
Die Kneipen sind prima. Bombenstimmung! Alle Lachen, reden mit
glänzenden Augen. Frauen und Männer in allen Farbschattierungen, unter
ihnen nur zwei weiße Frauen, stellt der Tourist fest, und die sind fest
vergeben. Die neuen Freunde trinken ihr Bier vom Fass, und das schmeckt
hervorragend. „Wir sind, wenn man so will, in der globalisierten Enklave
der Hauptstadt“, erklärt der Landsmann. „Nee, hier gibt es nicht nur Slums,
sondern auch hervorragende indische, japanische, französische, italienische
Restaurants. Teuer, aber nicht unbedingt teurer als die gehobene Klasse in
Deutschland“. – In der Disko ist schon Highlife. Die Musik ist laut. Eine
flotte afrikanische Band, mit einer guten Sängerin. Es wird getanzt. Und da
haben wir es. Ist doch kein Vorurteil: Der Afrikaner hat einen
unvergleichlichen Sinn für Rhythmus. Die Afrikanerinnen übrigens erst
recht. Sie sind hervorragend angezogen. Sie haben die beiden sofort
wahrgenommen. Sie flirten, kommen am Tisch vorbei auf ein kleines
Schwätzchen und rollen mit den Augen. Dann wird der Tourist über die
landüblichen Unterscheidungen zwischen kommerziellem und nicht
kommerziellem Sex aufgeklärt. Die Unterschiede sind feinsinnig. Gezahlt
wird immer. Für die Übertragung von Aids wird kein Aufpreis verlangt.
Am Ende schläft der Tourist lieber allein in seinem klimatisierten Hotel.
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X
Am nächsten Morgen fliegt die Reisegruppe in den Safaripark. Der Tourist
ist blasiert. Er glaubt alle Löwinnen Afrikas aus dem Fernsehen bereits mit
Vornamen zu kennen. Die Gruppe übernachtet in luxuriösen Zelten.
Moskitonetze sind über den Betten aufgehängt. Das Wasser fließt kalt und
warm. Warm kommt langsam, weil mit Fotovoltaik gewärmt. Die Zelte
liegen auf dem Steilufer eines braunen Flusses. Im Wasser grunzen und
platschen Nilpferde. Durchziehende Krokodile gibt es hier auch, erläutert
Mrs. Merci, eine Hotelmanagerin, und deshalb soll man nicht nahe ans
Wasser gehen. Krokodile verstecken sich in der Nähe des Ufers und
schlagen ihre Beute mit dem Schwanz ins Wasser. Angeln ist deshalb
verboten. – In offenen Landrovern fährt die Reisegesellschaft auf Safari.
Die Tiere leben in freier Wildbahn. Nahe am Hotel sind Antilopen,
Warzenschweine, Giraffen, Paviane. Ein Schakal trabt ungerührt vorbei.
Der Fahrer berichtet, dass Warzenschweine und Gnus ein sehr begrenztes
Kurzzeitgedächtnis haben. Werden sie von einer Löwin verfolgt, dann
vergessen sie schon nach kurzer Zeit, warum sie losgelaufen sind und
gehen zur Nahrungssuche über. Nilpferde rasten am anderen Ufer in der
eng zusammengedrängt in der frühen Morgensonne. Im Fluss drängt sich
ein riesiger Bulle durch seinen Harem. Unter Gebüschen liegen Löwinnen
im Verdauungsschlaf. Eine der Jägerinnen hält Wache. Knochen
vergangener Malzeiten sieht man nur wenige. Hyänen haben sie vertilgt.
Ein beinahe zahmes Nashorn wird besichtigt. Es wird zum Schutz gegen
Wilderer rund um die Uhr bewacht. Der Wert des Horns ist noch immer
sehr hoch. Wer immer noch an die potenzsteigernde Wirkung glaubt, muss
heftige Probleme haben, die mit Viagra erfolgreicher behandelt werden
können. Dann werden wohl bald auch die Bestände der Nashörner wieder
zunehmen. Eine Büffelherde lagert in der Savanne. Vögel befreien sie von
Parasiten. Sie scheinen sich unbehaglich zu fühlen, als sich unser Jeep
ihnen nähert und stehen auf. Auf dem mit Akazien Bewachsenen Hügel
könnte eine Elefantenherde sein, berichtet ein junger Masai, der zur Kirche
geht. Er schmückt seine Rede hin und wieder mit einem geseufzten
„Amen“. Wir warten auf dem Hügel. In den Büschen ist ein junger Elefant,
der unvorsichtig mit dem kurzen Schwanz wedelt. Dann bricht die Herde
aus den Büschen und zieht langsam und bedrohlich nahe hinter unserem
Landrover vorbei. Tiere sind hin und wieder bösartig, wenn sie gestört
werden. Sie fühlen sich bedroht, selbst wenn man sie mit ihrem
Nachwuchs doch nur aus der Nähe fotografieren möchte. Dann greift sich
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eine Elefantenkuh mit dem Rüssel doch einfach einen Touristen, wirft ihn
hoch und zertrampelt ihn. So berichtet die Zeitung.
XI
Das Verhalten der Tiere im Safaripark lässt den Touristen nicht los. Sie
scheinen vom Landrover aus gesehen ein relativ ruhiges Leben zu führen.
Die Probleme aber fangen bei der Nahrungssuche an. Große
Pflanzenfresser müssen riesige Mengen an Graß und Blättern aufnehmen.
Das ist harte Arbeit, bei der sie nicht gestört werden wollen, sonst werden
sie böse. Das ist auch für Menschen verständlich. Über den Wildpark
scheint sich ein Netzwerk von Beziehungen zwischen den Tieren und den
Pflanzen gezogen zu haben, das sich zu einem instabilen
Gleichgewichtszustand zusammengesetzt hat, in dem gekämpft und
kooperiert wird. Geparden jagen, andere Fleischfresser jagen ihnen die
Beute ab. Kein Kampf aller gegen alle. Büffel kooperieren mit Vögeln, um
ihre Parasiten loszuwerden. Nur wenige Tierarten produzieren ihre
Nahrung selbst wie die Blattschneiderameisen. An der Spitze der
Fresspyramide sitzen die großen Fleischfresser. Sie strukturieren das
Gleichgewicht, vertikal und horizontal. Äußere Schocks wie Wilderer oder
Trockenzeiten verändern es. Äußere Schocks sind dem Zufall unterworfen.
Nicht nur das darwinsche Prinzip von dem „Survival of the Fittest“
sondern mindestens ebenso stark bestimmt der Zufall, wer überlebt.
Offenbar stellt sich das Gleichgewicht nach einiger Zeit wieder her. Kaum
zu beantworten ist die Frage, ob das wiederhergestellte Gleichgewicht mit
dem identisch ist, das ohne äußere Schocks zum tragen gekommen wäre. –
Nicht nur äußere Schocks sondern auch innere Zyklen können das
Gesamtgleichgewicht verändern. Elefanten fressen Akazienblätter und ihre
Herden vergrößern sich. Die leicht erreichbaren Akazienblätter reichen
bald nicht mehr aus. Die Elefanten zerstören die Bäume, um an nicht
erreichbare Blätter heranzukommen. Die Futtermenge wird weiter
verringert. Hunger dezimiert die Herden so lange, bis die Akazien wieder
nachwachsen können. Den Wildhütern ist das Leiden der verhungernden
Elefanten unerträglich. Sollte der Zyklus nicht durch rechtzeitige Bejagung
abgebrochen werden? Oder sollte man besser der Natur ihren Lauf lassen?
Das Problem liegt – ähnlich wie bei der Wirtschaftspolitik im
Konjunkturzyklus – beim Problem den Zeitpunkt des rechtzeitigen
Eingriffs und dessen Umfang zu bestimmen.
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XII
Der Fahrer ist zurückhaltend. Er spricht nur, wenn ihm eine Frage gestellt
wird. Er fährt die kleine Reisegesellschaft zum Flughafen. Dort nimmt er
den Touristen beiseite, zu dem er offenbar Vertrauen gefasst hat. Er fängt
bei Schnee an. Bei uns in Norddeutschland weniger als auf dem
Kilimandscharo. Wohnverhältnisse. In Deutschland gibt es Singles, die
bewohnen eine Drei- oder Vierzimmerwohnung ganz allein für sich. Heiß-
und Kaltwasser, Bad, Farbfernseher, PC, Handy, Telefon, Auto, Kranken-
und Alterversicherung, zum Essen fast alles, was man will, soviel man
will. Aber sie fühlen sich einsam und depressiv. Sie lachen selten. Ihre
Mundwinkel zeigen meist nach unten. Es fällt ihnen schwer Kontakt
aufzunehmen. Sie essen zu viel oder zu wenig. Männer oder Frauen, fragt
er zurück. Männer und Frauen. – Er verfällt in Träume. Er allein in einer
Vierzimmerwohnung. Hier ist er mit seiner Familie zu elft in zwei kleinen
Zimmern, eine winzige Küche, WC. Das ist schon Luxus im Lande K. Viel
weniger als ein Sozialhilfeempfänger in Deutschland. Er mit seinen
Kumpeln zu Besuch in seiner Vierzimmerwohnung...In Nordeuropa sind
wir verarmt an menschlichen Beziehungen. Ihr, in Afrika, hier im Lande K,
seid arm an materiellen Bedingungen. Weder das eine noch das andere
muss sein, so wie es ist.....
XIII
Das Auto des neuen Freundes springt nicht an. Er ruft einen Mechaniker
an, der auch schon in einer Stunde zur Stelle ist. Ein einheimischer
frommer Christ. Kein europäischer Christ, der Lippenbekenntnisse ablegt.
Der Monteur schaut sich den Motor an. Er kennt sich aus. Er erklärt sich
bereit die Reparatur zu übernehmen und die Ersatzteile zu beschaffen. Das
braucht seine Zeit. Aber er kennt da jemanden. Nach wenigen Stunden
springt der Motor wieder an. Ein genauer check-up ist erforderlich. Dazu
muss der Wagen in die Vertragswerkstatt, in der der Monteur beschäftigt
ist. Er hat die Erlaubnis auch auf eigene Rechnung kleinere Reparaturen
durchzuführen. Es handelt sich um eine japanische Marke, keine Deutsche.
Der Eigentümer verspricht sich zusätzliche Kunden für größere
Reparaturen und Käufe. Der Monteur ist eine ehrliche Haut, wird dem
erstaunten Touristen erklärt. Ungewöhnlich in diesem Beruf, selbst in
Deutschland. Praktiziertes Christentum in Afrika...
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XIV
Es gibt im Lande K eine relativ freie Presse, die sicher hin und wieder von
der Politik eingeschränkt wird. Über Themen wie Korruption wird offener
gesprochen als zu Hause. Pressefreiheit ist nicht garantiert, was auch
immer in den Verfassungen stehen mag. Wie manches Andere in einer
Demokratie muss sie jeden Tag aufs Neue erkämpft werden. In der Heimat
ist der Kampf wohl fürs Erste verloren. Pressefreiheit ist verwirklicht. In
den frühen Phasen des bürgerlichen Kampfes gegen den Absolutismus war
Pressefreiheit ein Mittel, Meinungsvielfalt zu verwirklichen. Über die
Debatten in den Gazetten sollte die Wahrheit sichtbar werden und an die
Stelle der Hofberichterstattung treten. Heute ist Pressefreiheit die Freiheit
von Pressezaren und Medienmogulen ihre Meinung als die einzig wahre
erscheinen zu lassen. Darf man Dialektik dazu sagen? Zahlreiche Knechte
dienen weltweit den Herrschern über die Medien und leisten
Überzeugungsarbeit. Die Scheren in ihren Köpfen klappern wie beim
Friseur. Am Ende des Prozesses wieder Hofberichterstattung! Im Lande K
dagegen leben Journalisten gefährlich und verdienen viel weniger als ihre
angepassten Kollegen in Deutschland.
XV
Unser Tourist liest jeden Tag die Zeitung: The Nation. Das kann nur
bedeuten, dass dieses Land keine Nation ist aber gern eine wäre. Zur Zeit
ist Korruption in der Politik das große Thema. Der Internationale
Währungsfonds hat die Verabschiedung eines Gesetzes zur Bekämpfung
der Korruption zur Vorraussetzung weitere Kreditauszahlungen gemacht.
Es ist schon einmal einen Ausschuss eingesetzt worden, der diese Aufgabe
übernehmen sollte. Die Honorare waren ungeheuer hoch. Das aber muss so
sein, sagt sich der Ökonom, damit nicht die falschen Anreize gesetzt
werden. Den Vorsitz hatte ein Archäologe, der schon manchen
menschlichen Knochen zum Sprechen gebracht hat. Das
Verfassungsgericht – auch das gibt es im Lande K – hat diesem Spuk ein
Ende gemacht. – Der internationale Währungsfonds macht einen zweiten
Anlauf. Das Gesicht muss gewahrt werden, für alle. Die zweite Version
war sanfter als die erste. Amnestie für alle Korruptionsvergehen, die länger
als vier Jahre zurückliegen. Immunität für alle Politiker und Mitglieder des
öffentlichen Dienstes im Ruhestand. Der Generalstaatsanwalt hat die
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Möglichkeit, die Untersuchungen zu stoppen. Nahezu alle Institutionen,
die in den Demokratien ähnliche und die gleichen Namen tragen, sind auch
im Lande K vorhanden. Aber entweder funktionieren sie nicht oder ganz
anders als wir das gewohnt sind. Vielleicht funktionieren sie ähnlich wie
der rheinische Klüngel, so wie Helmut Kohl zu hause praktiziert: Jobs plus
Bimbes, und das Geld kommt aus Liechtenstein von der Stiftung
Zaunkönig. Der achtzigjährige Patriarch im Lande K, der bei den Wahlen
im nächsten Jahr nicht wieder kandidieren kann, spielt mit den
Institutionen, wie er es immer getan hat. Er versucht sein Vermögen und
seine Gefolgsleute zu schützen. Ob das gelingt? Vorerst nicht, denn der
Gesetzentwurf hat die Zweidrittelmehrheit verfehlt.
XVI
Auch Wahlen finden statt. Der Konsens unter den 24 größten Stämmen
und den vielen kleinen ist ein großes Problem. Er kostet Jobs und Bimbes.
Jobs gibt es keine und Bimbes muss in Fremdwährung (US-Dollar) oder
als Landbesitz dargereicht werden. Beides ist sehr rar geworden. Deshalb
werden die Verteilungskämpfe im Zuge der Wahlen im nächsten Jahr sehr
hart werden. Stimmenkauf auf Kredit wird die Wahlen entscheiden. Noch
ist unter den Volksgruppen kein Konsens erkennbar. Der amtierende
Patriarch stammt, wie so häufig in Afrika, aus einer kleinen Volksgruppe,
die die größeren nicht majorisieren kann. Alle Menschen im Lande K sind
gegen Tribalismus, wissen aber, dass er sich nicht vermeiden lässt. Eine
Rotation unter den großen 24 Volksgruppen ist ausgeschlossen. Eine
Rotation würde bei zehnjähriger Verweildauer des Präsidenten 240 Jahre
dauern! Der amtierende Patriarch hat viele öffentliche Ämter mit
Gefolgsleuten aus seiner Volksgruppe besetzt, Armee und Polizei,
einschließlich Spezialeinheiten. Er hat keinen Nachfolger aufgebaut. Das
scheint eine Schwäche des Prinzips „Jobs und Bimbes“ zu sein, nicht nur
in Deutschland. Nach den Wahlen spätestens werden viele Köpfe rollen
und durch neue Gesichter ersetzt werden. – Die Inder im Lande K zittern
schon jetzt um Geld und Vermögen. Sie werden sich, soweit sie die Mittel
dazu haben, auch bei dieser Wahl in die Nachbarländer absetzen. Wenn
sich die politische Lage stabilisiert hat, kommen zuerst einige Späher, dann
die Bosse zurück. Die Familien folgen später, wenn Position der Clans im
neuen Regime gesichert ist. Diesmal könnte das länger dauern.
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XVII
Ein theoretisierender Marktradikaler wie der devisenbringende Tourist
kann das Glück nicht fassen. Im Lande K regeln die Märkte fast alles,
allerdings auf besondere und zuweilen überraschende Weise. Die
öffentlichen Institutionen, die ähnliche Namen tragen wie in
Großbritannien, sind von der zersetzenden und alles durchdringenden Kraft
der Märkte von innen ausgehöhlt. Sie sind leere Hülsen, in die die
Versprechungen und Hoffnungen der bürgerlichen Gesellschaft eingraviert
sind. Märkte haben die Macht in allen Bereichen der Gesellschaft
übernommen. Doch Märkte funktionieren hierzulande offenbar anders als
zu Hause. Das banale Ergebnis ist ein stabiles Ungleichgewicht, das
unterhalb des allgemeinen Gleichgewichts liegt. Ein dauerhaftes Nash-
Ungleichgewicht eben i.e. eine spieltheoretische Lösung, in der beide
Partner schlechter wegkommen, weil sie einander misstrauen und sich
deshalb zu keiner Koordination ihrer Strategien zusammenfinden können.
Der Staat, der die Märkte zu regulieren hätte, ist von extralegalen
Gewaltverhältnissen durchsetzt und nahezu funktionsunfähig geworden.
Staat und Markt blockieren sich wechselseitig im Lande K. Alte Formen
sektoraler Arbeitsmärkte, die im europäischen Absolutismus die Regel
waren, haben sich im Lande K spontan entwickelt. Der Ämterkauf ist bei
hoher Arbeitslosigkeit weit verbreitet. Richter, deren Gehälter eher gering
sind, rollen in hochherrschaftlichen Karossen. „Why take a lawyer if you
can buy a judge?” ironisierte da einer auf einem Badge. Nicht lange. Ein
schönes Beispiel für den touristischen Marktwirtschaftler ist der
Arbeitsmarkt. Der ist im Lande K völlig unreguliert. Die
Analphabetenquote liegt bei nur rd. 21%. Das ist wenig im Vergleich zu
den Nachbarländern. Die Arbeitswilligkeit ist bei fehlender
Arbeitslosenversicherung und fehlender Sozialhilfe grenzenlos. Alter- und
Gesundheitsvorsorge ist nur privat möglich. Ein Abiturient mit guter
Beherrschung von Standardsoftware ist froh, wenn er einen Job in einem
Geschäft als Aushilfskraft findet. Verdienst rd. 100 DM. Ja, im Lande K ist
jeder Arbeitswillige bereit zu den angebotetenen Marktlöhnen Arbeit
anzunehmen, auch wenn die Löhne extrem niedrig sind und kaum an das
physische Existenzminimum heranreichen. Daran sollten sich gewisse
Deutsche mal ein Beispiel nehmen. Aber warum ist dann die
Arbeitslosigkeit so hoch? – Das ist doch klar! Das wissen wir doch aus
Deutschland! Die Löhne sind zu hoch!! Die Löhne im Lande K sind immer
noch zu hoch!!! Wie weit müssen sie denn noch sinken? Auch das weiß
unsere deutscher Ökonom von der Kieler Schule, der seinen Giersch intus
hat. Solange bis Vollbeschäftigung erreicht ist!!!!
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XVII
In der Wartehalle vor dem Abflug wird der scheidende Tourist von einem
hoch gewachsenen schlanken Afrikaner, der sich als protestantischer
Geistlicher aus dem Kongo zu erkennen gibt, in ein Gespräch verwickelt.
Es geht um Aids in Afrika. Der Tourist weiß einiges, ist aber von der
Dimension, die der Geistliche darstellt, dann doch überrascht und entsetzt.
Der „Reverend“, wie er sich auf Englisch nennt, berichtet, dass seine Frau
während der Ereignisse in Ruanda war und Furchtbares durchstehen
musste. Sie war in einem Lager interniert. Nach ihrer Entlassung fiel sie,
wenn sie „Leuten einer gewissen Art“ begegnete, in eine Angstpsychose,
die sich erst gebessert hat, nachdem sie nach Tansania übergesiedelt sind.
Zu ihrer früheren seelischen Verfassung, ihrer stillen Heiterkeit, hat sie
nicht mehr zurückgefunden. Die Religion hat ihr geholfen, aber sie ist noch
immer nicht genesen. Der Reverend arbeitet für eine protestantische
Kirche, die sich die Bekämpfung von Aids zur Hauptaufgabe gemacht hat,
noch vor der Missionierung. In Zimbabwe seien rd. ein Drittel der
erwachsenen Bevölkerung HIV-positiv. Ähnlich dürfte die Lage in
Botswana sein. Das bedeutet, dass in 10 Jahren rd. die Hälfte der heute
Erwachsenen nicht mehr leben werden. Die wirtschaftlichen Folgen
können nur katastrophal sein. In Uganda hat eine Aufklärungskampagne
dazu geführt, dass die Rate der Neuansteckungen erheblich
zurückgegangen ist. Der Reverend berichtet, dass die afrikanische
Familiensolidarität nicht mehr greift. Aidskranke werden oft verstoßen,
weil ihre Erkrankung auf ein Gottesurteil zurückgeführt wird, mit dem die
Sünden bestraft werden. Ihre Waisenkinder, zum großen Teil auch
infiziert, landen als Straßenkinder in den Städten. Die Armeen, die den
Congo verwüsten, um die Rohstoffe billigst in die globalisierte Sektion der
Weltwirtschaft zu schleusen, sind zu 90% HIV-positiv. Vergewaltigungen
sind in den von ihnen besetzten Gebieten die Regel und nicht die
Ausnahme. – Im Lande K, in dem die Lage nicht grundsätzlich anders und
nur der Anteil der Infizierten noch nicht so hoch ist, wird die tödliche
Gefahr nach wie vor geleugnet oder verdrängt. – Reverend und Tourist
tauschen Visitenkarten, verabschieden sich höflich und wünschen sich
einen guten Flug. Benommen steigt der Tourist in den Flieger. Hakuna
matata?
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XVIII
Der Heimkehrer fühlt sich in der ersten Zeit in Deutschland nicht mehr
recht zu Hause. Er entsetzt sich über die Banalität des Alltagslebens. Die
Frage, wann die Fußballspiele im Fernsehen ausgestrahlt werden, wird
zum Problem von Sein oder Nichtsein des deutschen Fußballs hochstilisiert
und schließlich sogar gelöst. Die Aussetzung der Ökosteuer wird wohl für
das wirtschaftliche Weiterbestehen Deutschlands entscheidend sein. Auch
scheint es immer noch Faulenzer in Deutschland zu geben, die sich im
sozialen Netz schaukeln lassen. Alles Fragen, die entscheidend sind für
Deutschlands Zukunft. Es gibt zu viel oder zu wenig Ausländer in
Deutschland. Oder die Falschen sind schon zu lange da und die Richtigen,
die gut Ausgebildeten, die deshalb auch besser in ihren Ursprungsländern
bleiben sollten, sind noch nicht da, obwohl man ihnen eine Greencard
anbietet mit begrenzter Aufenthaltsdauer, die deshalb im Grunde
genommen auch gar keine Greencard ist. Gäbe es möglicherweise auch
wichtigere Probleme? Massenarbeitslosigkeit, die einmal bis zum Tage X
halbiert oder später unter die Zahl von Y fallen wird? Gibt es am Ende
sogar Aids in Deutschland, wenn auch mit ab- dann aber wieder mit
zunehmenden Infektionsraten? Hakuna matata in Germany. Augen zu,
dann sieht uns keiner. And everything is under control. Afrika ist überall,
ohne Ansehen der Hautfarbe. – Was wird die Zukunft dem Land K wohl
bringen? Wem dort? Na, z.B. den sechzig Prozent der Bevölkerung, die
heute unter 16 Jahre alt sind!
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