Der Stand der Dinge Theorie und Praxis eines ... - Kulturserver NRW
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idyllischen o<strong>der</strong> bedrohlichen Charakter haben. Die Bereitschaft o<strong>der</strong> Fähigkeit zu<br />
solchen Kompensationen schwindet <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedrohungscharakter wird dominant.<br />
Ein kapitalistischer Genozid im Wortsinn ist metropolenintern gleichwohl nicht in<br />
Sicht. Extrapoliert man unsere Erfahrungen in Bruckhausen zumindest auf diese europäischen<br />
<strong>und</strong> nordamerikanischen Metropolen, indem man dem Stadtteil den Status<br />
einer Passionsavantgarde auf dem Weg in die postindustrielle Marginalität zubilligt,<br />
ergibt sich vielmehr folgende Naherwartung: Die Armut <strong>der</strong> überflüssigen Menschen<br />
wird größer, bleibt aber unspektakulär. Die zunehmende Schwierigkeit, mit<br />
den genannten Transfereinkommen eine – gesellschaftlich wie subjektiv als minimale<br />
postulierte – soziale Existenz zu führen, wird individualisiert. Es gibt keine (eigentums-)kriminelle<br />
Devianz <strong>der</strong> statistisch armen Bruckhausener, hier rudimentär verbliebene<br />
Vertreter einer (Einkommens-)Mittelschicht <strong>und</strong> Besucher des Stadtteils<br />
werden nicht angebettelt. Eine partielle Solidarisierung <strong>der</strong> Marginalisierten findet auf<br />
privater <strong>und</strong> auf nachbarschaftlicher <strong>und</strong> lokal-institutioneller Ebene zwar in signifikanter<br />
Weise statt, eine darüber hinaus gehende Artikulation <strong>und</strong> Organisation sozialen<br />
Wi<strong>der</strong>standes o<strong>der</strong> auch nur Protestes bleiben dagegen unterdurchschnittlich.<br />
An<strong>der</strong>slautende Erwartungen werden nur aus professioneller Sicht geäußert, nicht<br />
von den Überflüssigen.<br />
Stattdessen werden im Stadtteil räumliche, ethnische/kulturelle <strong>und</strong> geschlechtliche<br />
Binnendifferenzierungen vorgenommen <strong>und</strong> dabei Vorurteile <strong>und</strong> soziale (Ab-<br />
)Wertungen übernommen, die außerhalb Bruckhausens präexistieren <strong>und</strong> sich gegen<br />
den Stadtteil <strong>und</strong> seine BewohnerInnen insgesamt richten.<br />
Arbeitsamt, Konsum, Hüttenwerk<br />
Die Auswirkungen postindustrieller Marginalität von immer mehr Menschen sind we<strong>der</strong><br />
auf den gesellschaftlichen Sektor Ökonomie beschränkt noch auf die Gruppe <strong>der</strong><br />
unmittelbar Betroffenen: davon zeugt die Integrationsdebatte – wenn auch in extremer<br />
ideologischer Verzerrung, die sich aus <strong>der</strong> Konzentration auf kulturelle Differenzen<br />
<strong>und</strong> sprachliche Defizite <strong>der</strong> schon numerisch vergleichsweise irrelevanten<br />
Gruppe von nach gelten<strong>der</strong> Gesetzeslage einbürgerungsfähigen MigrantInnen ergibt.<br />
<strong>Der</strong> Zusammenhang von gesellschaftlicher Reproduktion <strong>und</strong> Integration, d. h. zwischen<br />
dem Erhalt <strong>der</strong> wesentlichen Eigenheiten unseres bürgerlichen <strong>und</strong> kapitalistischen<br />
Gemeinwesens <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Teilhabe möglichst aller seiner Mitglie<strong>der</strong>,<br />
wird in <strong>der</strong> Debatte anerkannt. Die Analyse <strong>der</strong> Mechanismen aber, die diese<br />
Integration sicherstellen können, beschränkt sich auf den Überbau, auf Religion,<br />
Werte, das Wissen um Mittelgebirge <strong>und</strong> vernachlässigt die Integrationsmechanismen<br />
<strong>der</strong> ökonomischen Basis. Real jedoch ist eine bürgerliche Gesellschaft, die immer<br />
größere Teile ihrer Mitglie<strong>der</strong> desintegriert, d.h. sie auf Dauer von einem bürgerlichen<br />
Leben ausschließt, in ihrem Fortbestand tatsächlich so bedroht, wie sie Einzelne<br />
o<strong>der</strong> machtvolle Fraktionen etwa durch die Nationalhymne in türkischer Version<br />
bedroht sehen o<strong>der</strong> als bedroht behaupten.