08.10.2013 Aufrufe

Der Stand der Dinge Theorie und Praxis eines ... - Kulturserver NRW

Der Stand der Dinge Theorie und Praxis eines ... - Kulturserver NRW

Der Stand der Dinge Theorie und Praxis eines ... - Kulturserver NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Der</strong> mächtigste Reproduktionsmechanismus ist die Teilhabe an <strong>der</strong> Produktion. Wer<br />

auf Dauer aus diesem sozialen Sektor ausgeschlossen ist, weil er keiner Erwerbsarbeit<br />

nachgeht, bei dem greift <strong>der</strong> wirkungsmächtigste gesellschaftliche Integrationsmechanismus<br />

nicht mehr: die In-Funktion-Setzung. Diese ökonomische Nutzlosigkeit<br />

zersetzt die Sozialpartnerschaft. Während die Dax-Unternehmen Rekordgewinne<br />

erzielen <strong>und</strong> Deutschland zum Exportweltmeister machen, steht (<strong>der</strong> Großteil von)<br />

Bruckhausen <strong>und</strong> stehen (<strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong>) Bruckhausener im Abseits. Dem <strong>Stand</strong>ortdiskurs<br />

entspricht metaphorisch <strong>der</strong> Pfiff des Schiedsrichters: Wer im Abseits<br />

steht, ist nicht nur funktionslos geworden. Er stört das Spiel, schwächt die eigene<br />

Mannschaft, wie <strong>der</strong> Bezieher von Sozialleistungen in öffentlicher <strong>und</strong> oft auch in eigener<br />

Wahrnehmung die Volkswirtschaft.<br />

Als am häufigsten von uns erfahrene individuelle Folgen dauerhafter Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> des Lebens in einem marginalisierten Stadtteil tauchen folgerichtig <strong>und</strong> schon<br />

bei Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen in Bruckhausen ein Gefühl <strong>der</strong> Leere, <strong>der</strong> Eindruck,<br />

daß "hier nix ist", auf. Diese Entwertung <strong>der</strong> eigenen Umgebung schließt auch die<br />

eigenen Nachbarn, teilweise auch die eigene Bezugsgruppe o<strong>der</strong> gar das wertende<br />

Individuum selbst ein: Jugendliche Auslän<strong>der</strong> beklagen "zu viele Auslän<strong>der</strong>" o<strong>der</strong><br />

stilisieren sich selbst zum "König von Scheißebauen". Diese Emotionen <strong>und</strong> Wahrnehmungen<br />

bilden den subjektiven Spiegel <strong>eines</strong> objektiven Zustandes: Sie bezeugen<br />

in <strong>der</strong> Eminenz des Verlusts <strong>der</strong> wesentlichen Funktion in einer auf möglichst<br />

vollständige Funktionalisierung angelegten gesellschaftlichen Struktur diese Struktur.<br />

Wo sich Sinn- <strong>und</strong> Werthaftigkeit sozialer, d h. auch individueller Existenz primär <strong>der</strong><br />

ökonomischen Funktion verdanken, ist die Selbsteinschätzung <strong>eines</strong> überflüssig Gewordenen<br />

als sinn- <strong>und</strong> wertlos nicht individualpathologischer Ausdruck einer Lebenskrise,<br />

dem <strong>und</strong> <strong>der</strong> (psycho-)therapeutisch zu begegnen wäre, son<strong>der</strong>n zutiefst<br />

realitätsgerechter subjektiver Nachvollzug <strong>und</strong> damit Aufweis objektiver (wenn auch<br />

ungerechter) sozialer Realität. Wo diese Selbsteinschätzung in ganzen Stadtteilen<br />

majoritär wird, bezeugt dies eine lokal begrenzte Reproduktionskrise <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse, die zumindest durch diese Subjekte hindurch<br />

qua zunächst sozialer Teilhabe <strong>und</strong> erst in Folge durch Affirmation <strong>und</strong> Akklamation<br />

nicht länger sich reproduzieren lassen.<br />

Denn auch <strong>der</strong> zweitmächtigste gesellschaftliche Integrationsmechanismus, <strong>der</strong> Konsum,<br />

ergreift die Überflüssigen nur noch unzureichend: Die wie erwähnt größer werdende<br />

Armut, die immer notdürftigere materielle Kompensation ökonomischer Exklusion<br />

verhin<strong>der</strong>t diese gesellschaftlich nächstliegende (weil unter den gegenwärtigen<br />

Produktionsbedingungen nächstgelegte) Kompensation <strong>der</strong> Erfahrung eigener Funktions-<br />

<strong>und</strong> damit Sinnlosigkeit. <strong>Der</strong> Weg in die Boutiquen, <strong>der</strong> die nicht erwerbstätigen<br />

familialen Anhängsel ökonomisch erfolgreicher Subjekte gesellschaftlich integriert,<br />

indem er ihnen zumindest konsumatorisch gesellschaftliche Teilhabe verschafft <strong>und</strong><br />

dabei (surrogatorisch?) Sinneffekte produziert, ist den meisten Bruckhausenern aus<br />

materiellen <strong>und</strong> nicht aus kulturellen Gründen verschlossen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!