Schönefelder Bote - Bürgerverein Schönefeld eV
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Lese-Ecke 15<br />
Sie schreiben gerne? – Sind gerne kreativ?<br />
Bei Interesse an der Schreibwerkstatt des <strong>Bürgerverein</strong>s <strong>Schönefeld</strong> können Sie sich<br />
an den <strong>Bürgerverein</strong> unter<br />
info@bv-schoenefeld.de oder 0341 9273944 wenden.<br />
Neue Gäste und neue Texte sind gern gesehen!<br />
diesmal aber aus freiem Willen. Bei Gott, einen<br />
Riesen wähnte ich mich dann, einen Titanen die<br />
Alte. Dass ihre Verschwiegenheit eine Plage war,<br />
dass irgendetwas sie innerlich zu zerreißen drohte,<br />
es sie starr und kalt werden ließ, dass etwas ihr auf<br />
einer kranken, stumpfen Zunge lag – daran dachte<br />
ich niemals. Vielleicht, dachte ich mir, vielleicht steht<br />
sie eines Tages auf und schreit, wie noch keiner<br />
schrecklich geschrien, oder singt, wie noch keiner<br />
schön gesungen hat. Und dann ginge sie weiter und<br />
ich sähe sie niemals wieder und würde sie vergessen.<br />
Manchmal jedoch war sie mir widerwärtig, ja, als<br />
es wärmer und schließlich heiß wurde, begann ich,<br />
sie zu hassen. Ich hasste und verachtete, wie sie<br />
saß und dass sie saß und ihre Augen, die hasste ich<br />
ganz besonders, und ich dachte, Augen aus Marmor<br />
könnten kühler nicht sein. Meistens war sie einfach<br />
da; eine abstrakte Form physischer Präsenz. Einmal<br />
ging ein Kollege von mir fünfzig Schritte vor mir her.<br />
Ich duckte mich nicht, wie ich es sonst manchmal<br />
tat, um seinem scharfen Blicken auszuweichen.<br />
Auch zeigte ich keinerlei Maßnahmen, um auf mich<br />
aufmerksam zu machen. Als ihm ein Stück Papier aus<br />
der Hosentasche fiel, drehte er sich kurz um. Dann<br />
machte er, bereits weggehend, eine wegwerfende<br />
Handbewegung und schüttelte den Kopf. Das Papier<br />
hob ich auf. Sorgsam war es zusammengefaltet in<br />
eine Vielzahl kleine Rechtecke. Sie alle waren weiß,<br />
unbeschriebenes Papier. Schließlich kam mein<br />
Kollege zur Bank der Alten. Er sah sie nicht, wie er<br />
mich nicht gesehen hatte. Er ging nicht schneller und<br />
nicht langsamer. Er blickte sich nicht um. Er redete<br />
nicht. Ich begriff, dass er sie nicht übersehen wollte.<br />
Bloß konnte er sie nicht sehen, eine Reaktion, die<br />
auch anderen Leuten zu Eigen war.<br />
Langsam wurde es kühler. Ich fragte mich, wo sie<br />
schlief. Gerade kam ich, gehüllt in einen schwarzen<br />
Mantel, von der Arbeit. Ein Gedanke kam mir. – Ich<br />
setze mich neben sie. An mir aber starrt sie vorbei.<br />
Ihre linke Hand hebt sie und hält sie schützend vor<br />
mein Ohr. Sie flüstert etwas. Mein Kollege war hinter<br />
mir gelaufen, jetzt sehe ich ihn, er steht vor uns und<br />
ist neugierig. Er bemerkt uns. Er fragt: - Was sagt<br />
sie?<br />
- Sie erzählt ein Geheimnis, das sie noch keinem<br />
erzählt hat, sage ich. Er winkt ab und schüttelt den<br />
Kopf und geht weiter, als hätte er uns nicht bemerkt.<br />
Ich weiß es besser.<br />
Ihre Hand, die zuerst zitternde, wird ruhig. Sie<br />
erstarrt. Die durchschimmernden Adern hinter ihrer<br />
blassen Haut werden grau. Ihre Haare werden grau.<br />
Die Haut wird grau. Ihre Augen werden grau. Nun ist<br />
sie erstarrt. Ihre Augen sind groß und rund. Ein Kind<br />
setzt sich auf ihren steinernen Schoß. Es hält sein<br />
Ohr hinter ihre Hand, an ihren Mund. – Du, erzähl mir<br />
ein Geheimnis, sagt das Kind.<br />
Zitat zum neuen Jahr 2013<br />
Man nehme 12 Monate, putze sie sauber von Neid,<br />
Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und zerlege sie in 30 oder<br />
31 Teile, so daß der Vorrat für ein Jahr reicht. Jeder Tag<br />
wird einzeln angerichtet aus 1 Teil Arbeit und 2 Teilen<br />
Frohsinn und Humor. Man füge 3 gehäufte Eßlöffel<br />
Optimismus hinzu, 1 Teelöffel Toleranz, 1 Körnchen<br />
Ironie und 1 Prise Takt. Dann wird die Masse mit sehr<br />
viel Liebe übergossen. Das fertige Gericht schmücke<br />
man mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und<br />
serviere es täglich mit Heiterkeit.<br />
Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808),<br />
Mutter v. Johann Wolfgang von Goethe