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Ein kontextueller Ansatz zur lexikalischen Semantik ...

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<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> - syntagmatische<br />

und paradigmatische Abgrenzung<br />

lexikalischer <strong>Ein</strong>heiten<br />

Claudia Kunze<br />

Seminar für Computerlinguistik<br />

Universität Heidelberg<br />

kunze@cl.uni-heidelberg.de<br />

Erste Kurseinheit<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 1<br />

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1 Zusammenfassung (bas. auf Cruse (1986), Kap. 1-3)<br />

Grundannahme: Die semantischen Eigenschaften einer <strong>lexikalischen</strong> <strong>Ein</strong>heit werden vollständig<br />

von den passenden Aspekten ihrer Beziehungen, die sie in aktuellen und möglichen linguistischen<br />

Kontexten aufweist, reflektiert.<br />

Die Kombinatorik von Wörtern in Kontexten wird nicht nur durch die Bedeutungen beschränkt,<br />

sondern auch durch grammatische Eigenschaften, die mit semantischen Eigenschaften überlappen<br />

können, aber nicht müssen. Nun geht es um die Schwierigkeit, semantische Eigenschaften zu<br />

identifizieren. In diesem Zusammenhang erörtern wir folgende Themenkomplexe:<br />

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• Bedeutung und Grammatik<br />

• Funktionale und Lexikalische Kategorien<br />

• Grammatische und semantische Abweichungen<br />

• Rekurrenter semantischer Kontrast<br />

• Kontextuelle Relationen<br />

• Lexikalische <strong>Ein</strong>heiten<br />

• Semantische Konstituenz<br />

• Ambiguität und Polysemie<br />

• Lexeme<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 2<br />

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2 Bedeutung und Grammatik<br />

Grammatikalitätsurteile über die Wohlgeformtheit von Sätzen können<br />

grammatische vs. semantische Abweichungen unterscheiden:<br />

• He harvested a magnetic puff of amnesia. (semantische Abweichung)<br />

• Them yesterday goed to home. (grammatische Abweichung)<br />

• It’s too light for me to lift. (semantische Abweichung, ersetze “light” durch<br />

“heavy”)<br />

• I’ve nearly completed. (grammatische Abweichung, füge Objekt wie “it” ein)<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 3<br />

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3 Funktionale und lexikalische Kategorien<br />

Die Unterscheidung zwischen funktionalen und <strong>lexikalischen</strong> Kategorien hilft<br />

dabei, die Art der vorliegenden Abweichung eines nicht wohlgeformten Satzes zu<br />

charakterisieren. Alternativ ist von geschlossenen vs. offenen Klassen, closed set<br />

items vs. open set items) die Rede. Geschlossen deshalb, weil das Inventar<br />

grammatischer Kategorien begrenzt ist im Gegensatz <strong>zur</strong> potentiell erweiterbaren<br />

Lexikonkomponente.<br />

• Johns kindness amazed Mary.<br />

• Bill- rude- schock- Sue.<br />

• Tom- happy- disturb- Tim.<br />

• Pete- lonely- surprise- us.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 4<br />

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4 Semantische oder grammatische Abweichung<br />

Normalisierung nicht wohlgeformter Sätze: Ersetzung eines oder mehrerer open set<br />

elements ⇒semantische Abweichung; Ersetzung eines oder mehrerer closed set<br />

elements ⇒grammatische Abweichung; aber<br />

• The green idea sleep.<br />

• The green idea is slepping.<br />

• The green lizard is sleeping.<br />

• The table saw Arthur.<br />

• The table was seen by Arthur.<br />

• The lion saw Arthur.<br />

• I visited Arthur next week<br />

• I shall visit Arthur next week.<br />

• I visited Arthur last week.<br />

• Le livre est sur le table.<br />

• Le livre est sur la table.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 5<br />

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• Le livre est sur le lit.<br />

Es können vorläufig folgende Generalisierungen getroffen werden:<br />

• <strong>Ein</strong>e Anomalie, welche nur durch die Ersetzung eins oder mehrerer open set<br />

items normalisiert werden kann, ist semantisch;<br />

• <strong>Ein</strong>e Anomalie, welche nicht durch die Ersetzung eines oder mehrerer open set<br />

items, jedoch durch die Ersetzung einer oder mehrerer closed set items<br />

normalisiert werden kann, ist grammatisch;<br />

• <strong>Ein</strong>e Anomalie, welche durch die Veränderung eines oder mehrerer open set<br />

items oder durch die Ersetzung eines oder mehrerer closed set items ersetzt<br />

werden kann, ist semantisch (wenn es auch grammatische Implikationen geben<br />

mag), sofern die open set Ersetzungen durch benennbare semantische<br />

Eigenschaften unterschieden werden; sonst ist sie rein grammatisch.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 6<br />

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5 Normalität und semantische Abweichungen<br />

1. Pleonasmus oder Tautologie: Kick it with one of your feet./ A female<br />

mother.<br />

2. Dissonanz (Dissonance): Arthur is a married bachelor. /Kate was very<br />

married.<br />

3. Unwahrscheinlichkeit (Improbability): The kitten drank a bottle of claret./<br />

Arthur runs faster than the wind.<br />

4. Zeugma: Arthur and his driving licence expired last week./ He kicked the ball<br />

and then the bucket.<br />

Bei der zeugmatischen Konstruktion wird die Abweichung durch die Koordinierung<br />

zweier Phrasen, die als Verbkomplemente auf unterschiedliche und unvereinbare<br />

Lesarten des Verbs referieren, hervorgerufen.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 7<br />

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6 Logische Relationen zwischen Sätzen<br />

Logische Relationen zwischen Sätzen können durch die Implikationsbeziehung des<br />

logischen Entailments expliziert werden: “A proposition P is said to entail another<br />

proposition Q when the truth of Q is a logically necessary consequence of the truth<br />

of P (and the falsity of P is a logically necessary consequence of the falsity of Q).”<br />

(Cruse (1986:14). Es werden die folgenden Fälle unterschieden:<br />

• <strong>Ein</strong>seitiges (unilateral) Entailment: It’s a dog unilaterally entails It’s an<br />

animal.<br />

• Wechselseitiges (mutual) Entailment (Äquivalenz): The meeting began<br />

at 11 a.m. entails and is entailed by The meeting commenced at 11 a.m.<br />

• Kontrast (Contrarity): It’s a cat and It’s a dog stand in a contrary relation:<br />

It’s a cat unilaterally entails It’s not a dog.<br />

• Kontradiktion (Contradiction): It’s dead and It’s alive stand in a<br />

contradictory relation: It’s dead entails and is entailed by It’s not alive (and<br />

It’s alive entails and is entailed by It’s not dead.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 8<br />

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7 Rekurrenter semantischer Kontrast<br />

Der semantische Kontrast zwischen den jeweiligen (a) und (b) Sätzen scheint in<br />

den Beispielen (7) und (8) gleicher Art, im Beispiel (9) hingegen anderer Art zu<br />

sein:<br />

• I like him.<br />

• I dislike him.<br />

• They approved of the idea.<br />

• They disapproved of the idea.<br />

• We appointed her.<br />

• We disappointed her.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 9<br />

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8 Kontextuelle Relationen<br />

Kontextueller Bedeutungsansatz: Die Bedeutung eines Wortes wird durch seine kontextuellen<br />

Relationen konstituiert.<br />

Semantische Traits (Merkmale): criterial, expected, possible, unexpected, excluded,<br />

expressive paradox, canonical traits<br />

• Entailment Test für criterial, excluded: It’s a dog entails It’s an animal. It’s a fish entails<br />

It’s not a dog.<br />

• but-Test für expected, unexpected, possible Traits:<br />

– A dog can bark. (expected)<br />

– It’s a dog, but it can bark. (odd)<br />

– It’s a dog, but it can’t bark. (normal)<br />

– A dog can sing. (unexpected)<br />

– It’s a dog, but it can sing. (normal sentence, unusual dog)<br />

– It’s a dog, but it can’t sing. (expressive paradox)<br />

– It’s a dog and it’s brown. (normal, possible trait)<br />

– It’s a dog, but it’ s brown. (odd)<br />

– It’s a dog, but it isn’t brown. (odd)<br />

– ?The typical dog has four legs. (canonical trait)<br />

– The typical bird is adapted for flight.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 10<br />

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9 Lexikalische <strong>Ein</strong>heiten (lexical units)<br />

Definition der Lexikalischen <strong>Ein</strong>heit (vorläufig):<br />

1. A lexical unit must be at least one semantic constituent.<br />

2. A lexical unit must be at least one word.<br />

Das Präfix dis- in disobey ist keine lexikalische <strong>Ein</strong>heit, obgleich es eine<br />

semantische Konstituente darstellt, weil es kein eigenständiges Wort ist.<br />

Pulled in Arthur pulled a fast one ist keine lexikalische <strong>Ein</strong>heit, weil es trotz des<br />

Status als Wort keine semantische Konstituente darstellt.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 11<br />

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10 Semantische Konstituenten<br />

<strong>Ein</strong>e bedeutungstragende Konstituente eines Satzes, welche sich mit den Bedeutungen der<br />

anderen Konstituenten des Satzes <strong>zur</strong> Gesamtbedeutung des Satzes kombiniert, wird<br />

semantische Konstituente genannt. <strong>Ein</strong>e semantische Konstituente, die nicht weiter in<br />

elementarere semantische Konstituenten zerlegt werden kann, wird minimale semantische<br />

Konstituente genannt. <strong>Ein</strong>e semantische Konstituente ist ein Form-Bedeutungs-Paar mit<br />

einer festgelegten grammatischen Funktion. <strong>Ein</strong> diagnostischer Test für semantische<br />

Konstituenz liegt im Auffinden (mindestens) eines rekurrenten semantischen Kontrastes.<br />

• cat/dog (The sat on the mat) = cat/dog (We bought a )<br />

• -at/-oss (The cat sat on the m ) = -at/-oss (The m is wet)<br />

<strong>Ein</strong> Teil X eines grammatisch wohlgeformten und semantisch normalen Satzes S1 ist eine<br />

semantische Konstituente von S1 wenn<br />

1. X weglassbar ist oder durch ein anderes Element Y ersetzt werden kann, wobei ein<br />

grammatisch wohlgeformter und semantisch normaler Satz S2 entsteht, der syntaktisch<br />

identisch zu S1, aber bedeutungsverschieden zu S1 ist; UND<br />

2. es mindestens einen weiteren grammatisch wohlgeformten und semantisch normalen Satz S3<br />

gibt, der X enthält, aber sonst keine anderen Elemente in parallelen Positionen mit S1<br />

gemeinsam hat, in dem X ebenso weglassbar oder durch Y ersetzbar ist, wobei ein<br />

syntaktisch indentischer aber semantisch distinkter Satz S4 entsteht; UND<br />

3. der semantische Kontrast zwischen S1 und S2 demjenigen zwischen S3 und S4 entspricht.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 12<br />

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11 Problematische Fälle<br />

• <strong>Ein</strong>zigartigkeit (Uniqueness): ab- in abnormal, -en in oxen, foot in foot the bill<br />

• Diskontinuierliche semantische Konstituenten: His kindness (cool ) amazed us.<br />

• Semantic tallies (cran , goose , bil , rasp ) und categorizers: berry<br />

• Semantic indicators (black- und -bird in blackbird, im- in impertinent,<br />

imprudent)<br />

• Phonetische Merkmale (Initiale Konsonantencluster wie sl- in slimy, sleazy,<br />

slither oder gl- in gloom, glimmer, glitter), die keine rekurrenten Kontraste<br />

bilden<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 13<br />

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12 Minimale semantische Konstituenten, die mehr als ein<br />

Wort umfassen<br />

1. Idiome: kick the bucket, pull someone’s leg, cook someone’s goose, etc.<br />

<strong>Ein</strong> Idiom bezeichnet einen Ausdruck, dessen Bedeutung nicht aus den<br />

Bedeutungen seiner Teile inferiert werden kann. Dieser ist lexikalisch komplex,<br />

besteht aus mehr als einer <strong>lexikalischen</strong> Konstituente, stellt aber lediglich eine<br />

einzige semantische Konstituente dar.<br />

• This will cook Arthur’s goose. ⇒ cook ’s goose<br />

• This will help Arthur. ⇒ help<br />

Semantisch transparente, asyntaktische Idiome: by and large, far and away<br />

Kennzeichen für Idiome: werden nicht unterbrochen, haben keine freie<br />

Wortfolge, keine Modifikation:<br />

• ?Peter kicked the large bucket.<br />

• ?John has a bee about it in his bonnet.<br />

Es gibt unterschiedliche Grade der Opakheit; semi-opake Ausdrücke<br />

enthalten mindestens einen semantic Indicator; irreversible Binominale<br />

wie fish and chips sind ebenfalls nicht transparent<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 14<br />

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2. gebundene Kolllokationen wie foot the bill, curry favour<br />

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Normalerweise gelten Kollokationen, d.h. Sequenzen von <strong>lexikalischen</strong> Items,<br />

die häufig kookkurieren wie light drizzle und fine weather, als semantisch<br />

transparent, da jede lexikaliche Konstituente auch eine semantische<br />

Konstituente darstellt. Trotzdem gibt es oft eine besondere semantische<br />

Kohäsion und damit verbundene Restriktion der Bedeutung eines Teils der<br />

Kolliokation wie bei heavy in heavy drinker, heavy smoker, heavy user.<br />

3. erstarrte Metaphern (frozen/dead metaphors)<br />

Diese sind semantisch erschließbar wie: sweeten the pill, take leave of one’s<br />

senses, werden aber dennoch als minimale lexikalische <strong>Ein</strong>heiten aufgefasst.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 15<br />

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13 Zwei verschiedene Organisationseinheiten im Lexikon<br />

• Lexikalische <strong>Ein</strong>heiten mit relativ stabilen und diskreten semantischen<br />

Eigenschaften stehen in Bedeutungsrelationen der Antonymie und Hyponymie<br />

und interagieren syntagmatisch mit Kontexten. Lexikalische <strong>Ein</strong>heiten kann es<br />

im Prinzip in unendlicher Anzahl geben.<br />

• Lexeme sind Organisationseinheiten im Lexikon (sowohl im abstrakten<br />

mentalen als auch im konkreten Lexikon) und müssen auflistbar sein, also eine<br />

endliche Menge bilden.<br />

<strong>Ein</strong>e endliche Zahl lexikalischer <strong>Ein</strong>heiten, auf die spezifische Regeln und<br />

Prinzipien angewendet werden, ermöglicht die Erzeugung einer unbegrenzten<br />

Anzahl neuer Lexikalischer <strong>Ein</strong>heiten (lexikalische Kreativität/Produktivität<br />

in Analogie <strong>zur</strong> syntaktischen Kreativität).<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 16<br />

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14 Selektion und Modulation von Lesarten<br />

• Tom visited his cousin. (male cousin/ female cousin)<br />

• We finally reached the bank. (side of river/ financial institution)<br />

Es gibt eine generelle Lesart cousin, d.h. eine lexikalische <strong>Ein</strong>heit, welche die female/ male<br />

Distinktion umfasst, aber keine solche für bank, welche die beiden möglichen Bedeutungen river<br />

side und institution subsumieren würde. Daher ist die lexikalische Form bank ambig, d.h. sie<br />

kann auf (mindestens) zwei verschiedene lexikalische <strong>Ein</strong>heiten bezogen sein.<br />

Cruse unterscheidet zwei fundamentale Variationsprinzipien des semantischen Beitrags einer<br />

Wortform unter dem <strong>Ein</strong>fluss verschiedener Kontexte:<br />

• Bedeutungsmodulation: eine einzige Lesart kann durch unterschiedliche Kontexte auf<br />

beinahe unendliche Art modifiziert werden (kontingente Variation)<br />

• kontextuelle Selektion: Aktivierung verschiedener Lesarten durch unterschiedliche<br />

Auftretenskontexte bei ambigen Wortformen (diskret statt kontinuierlich)<br />

Die beiden Prinzipien bedingen einander: eine selegierte Lesart wird durch den Kontext<br />

moduliert, der ihre Auswahl ausgelöst hat.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 17<br />

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15 Kontextmodulation<br />

• Promotion und Demotion semantischer Traits<br />

– A nurse helped us.<br />

– A pregnant nurse helped us.<br />

Im Beispiel (a) ist das Merkmal female ein expected Trait, das merkmal<br />

male hingegen ein unexpected Trait; im Beispiel (b) ist female ein<br />

canonical oder gar criterial Trait und male erfährt eine Demotion zum<br />

excluded Trait.<br />

• Higlighting und Backgrounding semantischer Traits<br />

– The car needs washing. (Karosserie)<br />

– The car needs servicing. (Motor)<br />

– We can’t afford the car. (Preis)<br />

– My car can’t keep up with his. (Schnelligkeit)<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 18<br />

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16 Indirekte Ambiguitätstests (Cruse (1986:55f.)<br />

1. “If there exists a synonym of one occurrence of a word form which is not a synonym of a<br />

second, syntactically identical occurrence of the same word form in a different context, then<br />

that word form is ambigious, and the two occurrences exemplify different senses.”<br />

• Guy struck the match. (match=lucifer)<br />

• The match was a draw. (match=contest)<br />

2. “If there exists a word or expression standing in the relation of oppositeness to one<br />

occurrence of a word form which does not stand in the same relation to a second,<br />

syntactically identical occurrence of the same word form in a different context, then that<br />

word form is ambigious, and the two occurrences exemplify different senses.”<br />

• The room was painted in light colours. (light vs. dark)<br />

• Tom has rather a light teaching load. (light vs. heavy)<br />

3. “If there exists a word which stands in a paronymic relation to one occurrence of a word<br />

form, but does not stand in the same relation to a second, syntactically identical occurrence<br />

of the same word form in a different context, then that word form is ambigious, and the two<br />

occurrences exemplify different senses.”<br />

• The race was won by Arkle. (to race, racing)<br />

• They are a war-like race. (racial, racist)<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 19<br />

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17 Direkte Ambiguitätstests<br />

1. Die Lesarten einer ambigen Wortform dürfen nicht ausschliesslich durch ihre Kontexte<br />

bestimmt werden, anders als die Interpretationen durch Bedeutungsmodulation<br />

2. unabhängige Maximierbarkeit ambiger Lesarten<br />

• Is that a dog? (i) Yes, it’s a a spaniel. (ii) No, it’s a bitch.<br />

• Is the subject a monarch? (i) Yes, it’s a queen. (ii) ?No, it’s a king.<br />

3. Zeugmatests mit Koordination und Anaphora<br />

• ?John and his driving license expired.<br />

• ?John’s driving license expired; so did John.<br />

4. Identitätstest, Kreuzinterpretation<br />

• Mary is wearing a light coat: so is Sue.<br />

• Mary has adopted a child; so has Tom.<br />

Nur der (b) Satz erlaubt eine Kreuzinterpretation (male vs. female, wegen des generellen<br />

Terms child. Der (a) Satz hingegen muss in beiden Teilen entweder als “opposed to heavy”<br />

oder als “opposed to dark” interpretiert werden.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 20<br />

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18 <strong>Ein</strong>ige schwierige Fälle für Ambiguitätstests<br />

• Unit-Type Ambiguität<br />

– Is this the jacket you want? (i) Yes. (it’s the type I want) (ii) No. (this particular one is<br />

dirty)<br />

– This is our best-selling jacket; try it on! (Type-Unit/Type?)<br />

• Entailment zwischen ambigen Lesarten in spezifischen Kontexten<br />

– Mary bought a dog; so did Bill. (Kreuzinterpretation möglich)<br />

– Arthur wants to know if that is a dog; so does Tim. (kein Entailment)<br />

– Dogs become pregnant at 12 months. (generelle Lesart)<br />

– Dogs mature later than bitches. (spezifische Lesart)<br />

• genau/ mindestens Ambiguität bei Numeralen<br />

– Do you have 10 EUR in your wallet? (i) Yes, I have got 12 EUR. (ii) No, I have got 12<br />

EUR.<br />

– You need 100 EUR in your account for free banking. Arthur has it, now that he has<br />

added 50 EUR to the 50 EUR that was already there. (Entailment)<br />

• Figure/Grund Ambiguität bei Tür, Fenster, etc.<br />

– The door was smashed in so often that it had to be bricked up. (keine Anomalität)<br />

– ?We took the door off its hinges and then walked through it. (Zeugma)<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 21<br />

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19 Typen von (nicht-)lexikalischer Ambiguität<br />

• Syntaktische Ambiguität: old men and women, Frech silk unterwear<br />

– [[old[[men and women]]]] vs.<br />

– [[[[old men]] and women]]<br />

– [[[[French silk]] underwear]] vs.<br />

– [[French[[silk underwear]]]]<br />

• Quasi-syntaktische Ambiguität: He entered the room again, a red pencil<br />

– restitutive vs. repetitive Lesart<br />

– roter vs. rot schreibender Bleistift<br />

• Lexikosyntaktische Ambiguität: We saw her duck. I saw the door open.<br />

– Wir sahen ihre Ente. vs.<br />

– Wir sahen, wie sie sich bückte.<br />

– Ich sah die offene Tür. vs.<br />

– Ich sah, wie die Tür sich öffnete.<br />

• Lexikalische Ambiguität: He finally reached the bank. What is his position?<br />

– Geldinstitut vs. Sitzgelegenheit<br />

– Lage vs. Beruf vs. <strong>Ein</strong>stellung<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 22<br />

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20 Festlegen von Lesarten<br />

<strong>Ein</strong>e lexikalische Form kann zwar mit einer möglicherweise infiniten Menge von<br />

Bedeutungen assoziiert werden, dennoch ist es wichtig, für gebräuchliche<br />

Verwendungen Lesarten festzulegen. Cruse unterscheidet zwischen etablierten<br />

Lesarten und möglichen Lesarten:<br />

• etablierte Lesarten sind im mentalen Lexikon präsent und werden passiv<br />

selegiert; der Kontext übernimmt dabei die Funktion eines Filters.<br />

• bei (noch) nicht etbalierten Lesarten löst der Kontext einen produktiven<br />

Prozess aus, der durch Aktivierung von Regeln und Prinzipien eine Lesart<br />

generiert.<br />

Etablierte Lesarten sind wichtige Items für die Lexikographie; die lexikalische<br />

<strong>Semantik</strong> befasst sich darüber hinaus auch mit den möglichen Bedeutungen.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 23<br />

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Beispiel mouth<br />

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21 Sinnspektren<br />

• John keeps opening and shutting his mouth like a fish.<br />

• This parasite attaches itself to the mouth of fishes.<br />

• The mouth of the sea-squirt resembles that of a bottle.<br />

• The mouth of the cave resembles that of a bottle.<br />

• The mouth of the enormous cave was also that of the underground river.<br />

Beispiel mouth of river (relations)<br />

• mouth: source (opposite)<br />

• mouth: river (part:whole)<br />

• mouth: bed (coordinate parts)<br />

• mouth: estuary (superordinate: hyponym)<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 24<br />

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22 Lexikalische <strong>Ein</strong>heiten und Lexeme zusammengefasst<br />

• <strong>Ein</strong> Lexem fasst eine Familie lexikalischer <strong>Ein</strong>heiten zu einem Lexikoneintrag<br />

zusammen;<br />

• eine lexikalische <strong>Ein</strong>heit ist die Vereinigung einer spezifischen Lesart mit<br />

einer <strong>lexikalischen</strong> Form;<br />

• eine lexikalische Form abstrahiert über alle durch Flektion möglichen<br />

Auftretensformen (Dach, Dächer, Daches, etc.)<br />

<strong>Ein</strong> Lexem mit mehreren assoziierten Lesarten wird oft als polysem bezeichnet;<br />

eine lexikalische Form, die lexikalische <strong>Ein</strong>heiten realisiert, die zu verschiedenen<br />

Lexemen gehören, gilt als homonym. Die Redeweise von der Polysemie sieht<br />

Cruse kritisch, weil diese suggeriert, das Lexem sei die primäre semantische<br />

<strong>Ein</strong>heit der Betrachtung, während die verschiedenen <strong>lexikalischen</strong> <strong>Ein</strong>heiten<br />

lediglich Varianten darstellten. Cruse hingegen betrachtet individuelle lexikalische<br />

<strong>Ein</strong>heiten als die operationalen Basisheiten der Lexikalischen <strong>Semantik</strong>, und die<br />

Lexeme lediglich als sekundär.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>kontextueller</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>zur</strong> <strong>lexikalischen</strong> <strong>Semantik</strong> 25<br />

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