Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Januar 2013 - Der Fels
Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Januar 2013 - Der Fels
Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Januar 2013 - Der Fels
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
taleuropäern weis zu machen, dass<br />
ihr karol<strong>in</strong>gischer Kern im Grunde<br />
e<strong>in</strong>e Zwangsjacke für <strong>die</strong> Vielfalt,<br />
e<strong>in</strong> Gefängnis der europäischen Idee<br />
sei. In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>n hat sich auch der<br />
Herausgeber der WELT, Thomas<br />
Schmid, gemeldet und <strong>die</strong> Biographie<br />
von Helmut Kohl zum Anlass<br />
genommen, vor der Illusion e<strong>in</strong>es<br />
karol<strong>in</strong>gisch geleiteten Europas zu<br />
warnen. „Die privilegierte deutschfranzösische<br />
Partnerschaft hat sich<br />
als Gefängnis erwiesen“, schreibt er.<br />
Vielmehr brauche <strong>die</strong>ses Europa den<br />
„angelsächsischen Pfad“, den britischen<br />
„Steg nach Übersee“. Selten<br />
ist e<strong>in</strong> namhafter deutscher Publizist<br />
mit so viel Begeisterung <strong>in</strong>s historische<br />
Abseits gelaufen. Ihm fehlt <strong>die</strong><br />
geistige Tiefe, <strong>die</strong> das französischdeutsche<br />
Verhältnis ausmacht.<br />
Schmid steht <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Abseits <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Reihe vor allem sozialdemokratischer<br />
(<strong>Zeit</strong>-) Genossen. Auch<br />
Kanzler Schröder dachte so. Er wollte<br />
das Bündnis mit den Franzosen<br />
um Großbritannien erweitern und zur<br />
Europäischen Troika machen. Die<br />
Voraussetzungen waren ideal, mit<br />
Tony Blair hatte er <strong>in</strong> London e<strong>in</strong>en<br />
politischen Ges<strong>in</strong>nungsfreund, mit<br />
Chirac <strong>in</strong> Paris e<strong>in</strong>en Gegner. Dennoch<br />
scheiterte er, und der Versuch<br />
endete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er herzlich-betulichen<br />
Freundschaft zwischen „mon cher<br />
Gerard“ und „me<strong>in</strong> lieber Freund<br />
Jacques“ mit dem heute üblichen<br />
Gepussel. Historische Fakten s<strong>in</strong>d allemal<br />
stärker als Vorlieben oder e<strong>in</strong><br />
persönliches Faible, und auch geistige<br />
Fakten lassen sich nicht beliebig<br />
verdrängen. Sie prägen das Denken<br />
und ger<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Taten.<br />
Schmid, Schröder und Co unterliegen<br />
e<strong>in</strong>em doppelten Fehler. Sie<br />
überschätzen <strong>die</strong> Briten und deren<br />
europäische Neigungen. <strong>Der</strong> deutsche<br />
Frühromantiker Novalis, der<br />
sich um <strong>die</strong> Zukunft und E<strong>in</strong>heit Europas<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk „<strong>die</strong> Christenheit<br />
oder Europa“ viele Gedanken<br />
machte, me<strong>in</strong>te zu den Nachbarn jenseits<br />
des Kanals lapidar: Jeder Brite<br />
ist für sich selbst e<strong>in</strong>e Insel. Von <strong>in</strong>sulären<br />
Eigenheiten e<strong>in</strong>mal abgesehen<br />
haben sich <strong>die</strong> Briten <strong>in</strong> der Tat<br />
spätestens seit He<strong>in</strong>rich VIII. mental<br />
vom Kont<strong>in</strong>ent entfernt. Man mag ihren<br />
Pragmatismus verehren, ihre Interessenpolitik<br />
ist nicht genu<strong>in</strong> europäisch.<br />
Für sie gilt allemal, was ihr<br />
großer Lands-und Staatsmann, Lord<br />
Palmerston, Mitte des 19. <strong>Jahr</strong>hunderts<br />
so oft sagte: England hat ke<strong>in</strong>e<br />
ewigen Freunde und ke<strong>in</strong>e ewigen<br />
Fe<strong>in</strong>de, es hat nur ewige Interessen.<br />
Diese Interessen mögen heute <strong>in</strong><br />
Kont<strong>in</strong>entaleuropa liegen. Sie können<br />
morgen schon stärkeres Gewicht<br />
<strong>in</strong> der angelsächsischen Welt, <strong>in</strong> der<br />
„besonderen Beziehung“ zu Amerika<br />
entfalten. Londons Herz schlug nie<br />
besonders heftig für Europa. Preußen<br />
und Hannover waren oft nur e<strong>in</strong>e Art<br />
Festlandsdegen gegen Frankreich<br />
und Russland. Das Inselreich ist e<strong>in</strong>e<br />
Seemacht geblieben, es hat immer<br />
Distanz zum Kont<strong>in</strong>ent gewahrt.<br />
<strong>Der</strong> zweite, schwerer wiegende<br />
Fehler ist <strong>die</strong> oberflächliche Wahrnehmung<br />
der deutsch-französischen<br />
Die Unterschriften unter dem<br />
Elysée-Vertrag<br />
Verb<strong>in</strong>dung. Sie hat historische Wurzeln<br />
bis zu Karl dem Großen, und <strong>die</strong><br />
deutsch-französische Aussöhnung<br />
unter de Gaulle und Adenauer bleibt<br />
<strong>die</strong> Voraussetzung für jedes weitere<br />
europäische E<strong>in</strong>igungsbemühen.<br />
Ohne sie wäre auch <strong>die</strong> Zürcher Rede<br />
Churchills folgenlos geblieben.<br />
Diese Versöhnung hat mittlerweile<br />
Traditionen, etwa nach Wahlen. <strong>Der</strong><br />
Wahlsieger <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (früher Bonn)<br />
oder Paris fährt zuerst zum Nachbarn,<br />
zum anderen Ende der deutschfranzösischen<br />
Achse, um <strong>die</strong>selbe<br />
auf <strong>die</strong>se Weise für <strong>die</strong> nächste <strong>Zeit</strong><br />
frisch zu ölen. Die Freundschaft zwischen<br />
Frankreich und Deutschland ist<br />
e<strong>in</strong>e Konstante geworden der jeweili-<br />
gen Außenpolitik, unabhängig von<br />
der politischen Couleur der Machthaber<br />
an Spree und Se<strong>in</strong>e. Solche<br />
Selbstverständlichkeit ist zunächst<br />
beruhigend. Sie entspricht dem,<br />
was Willy Brandt <strong>die</strong> „entente élémentaire“,<br />
das Kernbündnis nannte.<br />
Die Alternative dazu ist der Konflikt.<br />
Die Altvorderen von Merkel<br />
und Hollande, für <strong>die</strong> noch e<strong>in</strong> ganz<br />
anderes Denken selbstverständlich<br />
war, haben das erkannt und – entsprechend<br />
etwas dramatischer – von<br />
e<strong>in</strong>er „Schicksalsgeme<strong>in</strong>schaft“ gesprochen.<br />
Nüchternes Kalkül bewegte<br />
sie dazu. General de Gaulle<br />
sagte es <strong>in</strong> <strong>Zeit</strong>en des Kalten Krieges<br />
offen: „Die Deutschen werden<br />
immer <strong>in</strong> Europa se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Amerikaner<br />
nur vielleicht.“ Se<strong>in</strong>e Umarmung<br />
der Deutschen war logisch<br />
und auch ehrlich. Se<strong>in</strong>e Nachfolger<br />
folgten der Logik, meist auch<br />
der Ehrlichkeit. Für sie galt auch:<br />
Die Deutschen s<strong>in</strong>d da, <strong>die</strong> Briten<br />
schauen zu.<br />
Auch für das Duo Merkel-Hollande<br />
bleibt, wie Bismarck es formulierte,<br />
<strong>die</strong> Geographie <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige<br />
Konstante der Außenpolitik. Sie<br />
ist stärker als Blut. Das hatte selbst<br />
Schröder, der Mann aus Hannover,<br />
erkannt, obwohl Hannover jahrhundertealte<br />
Bande mit dem britischen<br />
Königshaus verb<strong>in</strong>den. Solche Verb<strong>in</strong>dungen<br />
s<strong>in</strong>d nützliches, vielleicht<br />
auch <strong>die</strong> Gefühle erhebendes<br />
Beiwerk. Hauptsache heute ist,<br />
dass <strong>die</strong> nach dem Weltkrieg massive<br />
Globalisierung e<strong>in</strong>e Rivalität<br />
zwischen den großen Handelsräumen<br />
mit sich brachte und br<strong>in</strong>gt. Da<br />
ist Geschlossenheit im Euro-Raum,<br />
mith<strong>in</strong> das karol<strong>in</strong>gische Kernbündnis<br />
Voraussetzung für dauerhaften<br />
Erfolg. Und: Diese Konstante der<br />
Außenpolitik hat ihr Pendant <strong>in</strong> der<br />
geistigen Landschaft der beiden<br />
Völker. Das Christentum hat beide<br />
Länder nachhaltig über <strong>Jahr</strong>hunderte<br />
geprägt, wenn auch unterschiedlich<br />
<strong>in</strong> der Konfessionalität. Dieser<br />
<strong>Zeit</strong>faktor ist nicht so e<strong>in</strong>fach zu<br />
verdrängen.<br />
Natürlich: In Paris hegt man gelegentlich<br />
Gedanken der Hegemonie,<br />
und <strong>die</strong> s<strong>in</strong>d älter als <strong>die</strong> entente<br />
élementaire der Nachkriegszeit,<br />
sprich noch tiefer verwurzelt. Aber<br />
auch <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>en e<strong>in</strong>es Clemenceau<br />
oder selbst e<strong>in</strong>es Chevenement, des<br />
DER FELS 1/<strong>2013</strong> 21