Geschichte eines Knaben - über Ernst Wiechert
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<strong>Geschichte</strong> <strong>eines</strong> <strong>Knaben</strong><br />
und weit <strong>über</strong> seine Jahre hinaus gleichwertig durch Seltsamkeit des Schicksals<br />
und der Erscheinung. Percy wiederum erschloß sich mit unerwarteter<br />
Innigkeit. Die Stunde im Gewächshaus wuchs <strong>über</strong> das bloße Erlebnis zu<br />
einer symbolischen Macht, und obwohl ihr Schatten, täglich erkennbar,<br />
<strong>über</strong> ihm lag, verlieh sie eine lösende Weichheit, die beglückte und die nur<br />
Graf Manfred mit Sorgen erfüllte.<br />
Tätigkeit und Müßiggang wechselten wie bisher, aber nur er allein<br />
bemerkte, wie der Knabe mit jäher Raschheit <strong>über</strong> den Kreis s<strong>eines</strong> bisherigen<br />
Lebens hinauswuchs, als hätte die Glut jenes Abends verborgene Keime<br />
flammend geöffnet. Wie selbst die herzliche Verbundenheit mit Holger mitunter<br />
etwas gütig Hingebendes zeigte und wie er zuzeiten aus ihrer Mitte<br />
fortzugehen oder hinwegzulauschen schien, als würde er allein sich plötzlich<br />
s<strong>eines</strong> wahren Gasttums bewußt und erinnerte sich schmerzhaft, daß da<br />
etwas vergessen sei, etwas zu tun oder zu leiden, was aber unabwendbar sei<br />
und ein stets gewußtes Geschick. Am letzten Abend erst sprach Graf Manfred<br />
andeutend <strong>über</strong> diese Dinge. Er trat, wenn auch etwas widerwillig, aus<br />
der Kühlheit s<strong>eines</strong> Beobachtens heraus, weil dieser Knabe ihm irgendwie<br />
als ein zart beschattetes Spiegelbild s<strong>eines</strong> eigenen Lebens erschien, oder<br />
wenigstens s<strong>eines</strong> Lebensganges, das nach der Erkenntnis der letzten Blüte<br />
leidenschaftlich gesucht hatte und nun in der Erinnerung und sorgfältigen<br />
Absonderung ein mühsam bewahrtes, entsagendes Gleichgewicht fand. Sie<br />
traten aus dem Tropenhaus, in dem Percy schweigend Abschied genommen<br />
hatte von einer unaufhaltsam versinkenden Welt, und gingen nebeneinander<br />
die beschatteten Parkwege entlang. "Ich hätte Ihnen das nicht zeigen sollen,<br />
Percy", begann Graf Manfred. "Aber ich habe erfahren, daß niemand seinem<br />
Schicksal entgeht... man müßte vielleicht richtiger sagen, daß niemandem<br />
sein Schicksal entgeht." "Ich weiß es", erwiderte Percy. "Sie wissen es nicht.<br />
Die Jugend sollte niemals sagen ,Ich weiß'. Der Mann von fünfzig Jahren<br />
darf es vielleicht sagen, eher noch der von sechzig Jahren. Er allem weiß,<br />
weil er rückwärts sieht. Die Jugend ahnt. Sie fürchtet oder hofft, betet an<br />
oder verflucht. Aber sie weiß nicht." Percy deutete mit der Hand nach rückwärts,<br />
wo der Giebel des Tropenhauses noch <strong>über</strong> den Wipfeln stand. "Dieses<br />
weiß ich", sagte er mit trauriger Bestimmtheit.<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Wiechert</strong> - Der silberne Wagen<br />
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