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Geschichte eines Knaben - über Ernst Wiechert

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<strong>Geschichte</strong> <strong>eines</strong> <strong>Knaben</strong><br />

ihres Lebens zu trinken, Stunde für Stunde, von Frostschauern durchbebt.<br />

Und dann preßte er das Kissen gegen seinen Mund, daß sie sein wildes Weinen<br />

nicht höre.<br />

Ihm entging so wenig die Sorgfalt, die sein Vater plötzlich auf seine Kleider<br />

zu wenden begann, als der gespannte Blick seiner Augen, wenn der fremde<br />

Schritt die Treppe herunterkam, noch irgendeine Spur, die die weiche Erde<br />

des Gartens für ihn bewahrte. Er fühlte das Unwürdige dieses Wachseins bis<br />

zum Ekel, aber seine Haltung war hart, herausfordernd, selbst drohend. Er<br />

hielt die Stunden ein wie verabredet. Er ertrug die Qual jeder neuen Begegnung,<br />

die Fieber, mit denen allein der Anblick und die Gegenwart ihres Zimmers<br />

ihn erschütterten, und er genoß Tropfen für Tropfen die Qual, die er<br />

ihr bereitete. Er sah, daß sie litt unter der eisigen Zugeschlossenheit s<strong>eines</strong><br />

Daseins und schrieb es ihrem Mitleid zu. Aber ihr Leid war der Rausch seiner<br />

erstickten Seligkeit, und so hart an der Grenze zwischen Haß und Tränen<br />

lag die Spannung dieser Stunden, daß ein Hauch genügte, um das wilde<br />

Schauspiel zu zerstören, das er in tragischer Maske vor ihr spielte. Frau Lida<br />

blieb schweigend. Aus ihrem Antlitz war nicht zu lesen, ob sie die Launen<br />

des <strong>Knaben</strong> aus Güte ertrug oder ob sie danach verlangte, ihn in ihre Arme<br />

zu nehmen und ein müdes oder leidenschaftliches Spiel mit ihm zu spielen.<br />

Nur einmal, als er bei der Durchnahme einer Sonate bei einem quälenden<br />

Akkord verharrte und ihn mit fast mechanischer Sinnlosigkeit eine unendliche<br />

Reihe von Malen wiederholte, trat sie neben ihn, legte die Hand verdekkend<br />

<strong>über</strong> das Blatt und sagte: "Weshalb quälen Sie mich so, Percy?" Er ließ<br />

die Finger auf den Tasten liegen und sammelte seinen Blick mit wachsender<br />

Starrheit auf dem blassen Gebilde ihrer Hand. So nahe vor seinen Augen, in<br />

ihrer verhüllenden und schonenden Gebärde, in der Zartheit ihrer Glieder<br />

und dem durchscheinenden Schimmer des fremden Blutes, erschien sie ihm<br />

plötzlich als der hilflose und unsäglich rührende Inbegriff der fremden Welt,<br />

an deren Riegeln seine Hände blutend tasteten. Alles, was brennend in seiner<br />

Liebe war, Flamme und Begierde, schmolz dahin vor diesem Anblick, als<br />

sei er ein schamvolles Opfer, ihm schweigend dargereicht, und aus Hohn<br />

und Vergiftung, aus glühenden Wünschen und Zerrüttungen stürzte er in die<br />

Auflösung des Dankes und der Anbetung, als habe er in dieser Hand das<br />

Geheimnis des Weibes erkannt und erlitten.<br />

<strong>Ernst</strong> <strong>Wiechert</strong> - Der silberne Wagen 63<br />

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