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Peter Claus<br />

„Allet Quatsch“<br />

oder:<br />

Vom Nutzen<br />

der Rückschau<br />

Das Leben schreibt die schönsten<br />

Romane – Drei-Groschen-Romane<br />

vor allem. Drehbuchautoren, die<br />

tatsächliches dramatisches Geschehen<br />

eins zu eins auf die Leinwand<br />

übertrügen, müssten mit heftigster<br />

Kritikerschelte rechnen. Was in der<br />

Wirklichkeit <strong>als</strong> üppiger Beleg spannender<br />

Schicksale gilt, wirkt auf der<br />

Leinwand rasch konstruiert. So fällt<br />

denn auch beim gegenwärtigen Historien-Boom<br />

in Film und Fernsehen<br />

das deutliche Bemühen auf,<br />

klare, lineare Geschichten zu erzählen,<br />

die mehr über emotionalen<br />

Reichtum denn Faktenfülle beeindrucken.<br />

Wobei natürlich zwischen<br />

<strong>Dokument</strong>ation und Fiktion zu unterscheiden<br />

ist, wiewohl auch in den<br />

vielen TV-Talks zur Zeitgeschichte<br />

oft mehr Fantasie denn Realität<br />

Raum greift. Besonders augenfälliges<br />

Beispiel: Sandra Maischbergers<br />

Gespräch mit Leni Riefenstahl<br />

zu deren 100. Geburtstag im Jahr<br />

2002. Allen intelligenten und einfühlsamen<br />

Fragen zum Trotz blieb<br />

die berühmt-berüchtigte Regisseurin<br />

trotzig dabei, die selbst gestrickte<br />

Legende der unpolitischen<br />

Künstlerin zu verteidigen und fortzuschreiben.<br />

Aber die Cleverness<br />

Maischbergers hat das Gespräch zu<br />

einem hervorragenden Beispiel für<br />

die Bildschirmtauglichkeit von<br />

„oral history“ werden lassen: Zwischen<br />

den Zeilen, im Schweigen der<br />

Interviewten, wurde eine Vielfalt an<br />

Details der Zeitgeschichte deutlich,<br />

der Blick auf das Gestern zur Erkundung<br />

des Heute.<br />

Das ist – oder sollte es doch<br />

sein – wesentliches Motiv der publizistischen<br />

und künstlerischen<br />

Auseinandersetzung mit der Ver-<br />

gangenheit. Die Zunahme an Reportagen,<br />

Essays, <strong>Dokument</strong>ationen<br />

zum Thema hängt dabei in hohem<br />

Maße mit dem gewachsenen<br />

Bedürfnis zusammen, noch lebende<br />

Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen.<br />

Bekanntestes Beispiel dafür sind<br />

sicherlich die Arbeiten von Prof. Dr.<br />

Guido Knopp für das ZDF. Da übernimmt<br />

das Medium jene Rolle, die<br />

in früheren Generationen etwa den<br />

Großeltern zukam: Den Nachgeborenen<br />

wird die Vergangenheit erzählt.<br />

Wobei: Vorsicht war schon<br />

dereinst bei den Storys der Alten<br />

geboten, denn die Erinnerung verschönert,<br />

glättet, mildert. Da ist,<br />

wenn es um Wahrhaftigkeit geht,<br />

stets die Ergänzung, mitunter gar<br />

Korrektur, der Filmemacher gefragt.<br />

Denn wer hat es nicht im Ohr,<br />

das schnoddrige „Allet Quatsch!“,<br />

mit dem Marlene Dietrich in Maximilian<br />

Schells noch heute beispielgebendem<br />

Filmporträt „Marlene“<br />

alles und insbesondere sich<br />

selbst in Frage stellte.<br />

Nun ist hierzulande auch eine<br />

auffällige Zunahme zurück blickender<br />

Spielfilme zu verzeichnen. Es<br />

gab sie, gleichermaßen in Ost- und<br />

West-Deutschland, immer, denken<br />

wir nur an Regisseure wie Käutner,<br />

Fassbinder, Wolf. Derzeit jedoch<br />

kann von einer regelrechten Flut gesprochen<br />

werden: „Good Bye, Lenin!“,<br />

national und international einer<br />

der größten einheimischen Kinoerfolge<br />

aller Zeiten, „Rosenstraße“,<br />

bereits gestartet, „Das Wunder<br />

von Bern“, ab Mitte Oktober in<br />

den Kinos, „Der Untergang“, in Produktion.<br />

Der Reiz, das Woher der<br />

deutschen Gegenwart zu beleuchten,<br />

ist auch hier Anstoß und bestimmt<br />

den Anspruch. In stärkerem<br />

Maße jedoch <strong>als</strong> bei einer dem <strong>Dokument</strong>arischen<br />

verpflichteten Herangehensweise,<br />

kommt die Kraft der<br />

Emotionen dazu. „Rosenstraße“ zum<br />

Beispiel bezieht seine Wirkung in besonderem<br />

Maß aus der Möglichkeit<br />

der Identifikation mit der von Katja<br />

Riemann brillant verkörperten<br />

Lena Fischer, die ihren Mann aus<br />

Die andere Meinung<br />

den Klauen der Nazis retten kann.<br />

Da werden wir über das Mit-Leiden<br />

im Kino kollektiv zu guten Menschen<br />

– und die siebte Kunst versucht<br />

immerhin, was Lessing schon<br />

für das Theater forderte, Erziehung<br />

zu Courage, Würde, schlichter<br />

Menschlichkeit im alltäglichen Miteinander.<br />

Das darf sicherlich nicht<br />

überbewertet werden. Denn auch für<br />

das Kino gilt, was Theaterzampano<br />

Claus Peymann, Intendant des Berliner<br />

Ensemble, jüngst in einem Interview<br />

für die Bühne postulierte:<br />

„Wenn uns das Schauspiel packt,<br />

sind wir für einen magischen Momente<br />

alle auf der Seite des Guten,<br />

auch wenn wir hinterher nach hause<br />

gehen und wieder Verbrecher<br />

oder Kinderschänder sind.“ Doch<br />

das sollte auch nicht unterbewertet<br />

werden. Noch einmal Peymann:<br />

„Für diesen einen Moment lohnt all<br />

der Aufwand unserer Kunst. Denn<br />

vielleicht bleibt ja doch bei diesem<br />

oder jenem eine Spur.“ Also: Mehr<br />

gute Filme über das Gestern – zum<br />

Nutzen für das Heute.<br />

Impressum<br />

nrwletter<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Filmstiftung</strong> <strong>Nordrhein</strong>-<br />

<strong>Westfalen</strong> GmbH;<br />

Tanja Güß, Katharina Blum<br />

Chefredakteur:<br />

Rüdiger Bertram<br />

Gestaltung/Layout:<br />

inrhein, Düsseldorf<br />

Redaktion:<br />

Tanja Güß<br />

Peter Hanemann, A.R.T.<br />

Wolfgang Hippe, A.R.T.<br />

Oliver Baumgarten<br />

Katharina Blum<br />

Erna Kiefer<br />

Heike Meyer-Döring (MEDIA)<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Sonja Steinberg<br />

Titelfoto:<br />

„Das Wunder von Bern“, Foto: Senator<br />

Redaktionsschluss: 17.10.03<br />

Der nrw-letter kann bei der<br />

<strong>Filmstiftung</strong> NRW abonniert werden.<br />

Tel.: (0211) 93 05 00<br />

Fax: (0211) 93 05 085<br />

Kaistraße 14<br />

D – 40221 Düsseldorf<br />

info@filmstiftung.de<br />

26<br />

nrw-letter (Redaktion: 0211.930 500, Fax: 0211.930 5085, info@filmstiftung.de)<br />

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