Nachdem Heinrich Mann, der ehemalige ... - Ricarda jubiliert
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leicht sogar, wenn ich nur jung wäre, auch ohne Jude zu sein […] Ich beneide Sie da-<br />
rum, daß sie draußen sind.“ Sie blieb drinnen, in dem, was sie nun das „Sklavenland“<br />
nannte. Den Mund verbieten aber ließ sie sich nicht.<br />
1934 erschien <strong>der</strong> erste Band ihrer auf drei Bände angelegten Deutschen Geschichte.<br />
Das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, das sie darin beschreibt, hat einerseits<br />
in seiner Idee etwas märchenhaft Utopisches. An<strong>der</strong>erseits aber trägt es Züge, an die<br />
man in Deutschland in dieser Zeit nicht gern erinnert wird: „Die Judenverfolgungen des<br />
14. Jahrhun<strong>der</strong>ts“, schreibt sie 1934, „wühlten auf, was an bestialischen Trieben in den<br />
Untiefen des deutschen Volkes sich verbarg“. Die NS-Kritik verwies auf Passagen wie<br />
diese und schrieb, dass „sich je<strong>der</strong> freiheits- und ehrliebende Deutsche mit leidenschaft-<br />
licher Empörung zur Wehr setzen müsse“ gegen <strong>Ricarda</strong> Huch. Der zweite Band er-<br />
schien noch 1937, <strong>der</strong> dritte aber fiel dann <strong>der</strong> Zensur zum Opfer und konnte erst nach<br />
ihrem Tod erscheinen.<br />
Ihre Tapferkeit hat oft etwas Freches, manchmal stockt dem heutigen Leser <strong>der</strong> Atem.<br />
Als die gleichgeschaltete Schiller-Stiftung in Weimar ihr 1940 – man hat erfahren, dass<br />
es ihr schlecht geht – leutselig eine „Ehrengabe“ anbietet, antwortet sie aus Jena: „Nen-<br />
nen Sie eine wirtschaftliche Lage unbefriedigend, wenn man kein Vermögen und keine<br />
Altersversicherung hat, so befinde ich mich in einer solchen; da ich aber noch durchaus<br />
arbeitsfähig bin und genügend verdiene, so habe ich keinen Anlaß zu klagen und bedarf<br />
ich keiner Unterstützung.“ Ende 1943, als die Denunziationen und Verfolgungen neue<br />
Höhepunkte erreichen, bastelt sie für ihren Enkel Alexan<strong>der</strong> einen Kalen<strong>der</strong> auf das Jahr<br />
1944. Es ist schon für sich genommen bemerkenswert, dass sie darin beispielsweise für<br />
den Monat April ein Foto einklebt, das Hitler in Herrscherpose vor einem heroischen fa-<br />
schistischen Gemälde zeigt – im Frühling 1944, so signalisiert das Bild, wird es keinen<br />
Frühling geben, son<strong>der</strong>n die Fortdauer dieser Herrschaft. Wirklich tollkühn aber ist <strong>der</strong><br />
Bildtext, den sie handschriftlich hinzufügt. Er lautet: „Es ist zu verwun<strong>der</strong>n, daß manche<br />
Menschen nicht im Gefühl ihrer Nichtswürdigkeit augenblicklich verwesen. Schiller.“<br />
Das erste Projekt <strong>der</strong> bald Zweiundachtzigjährigen, als die NS-Herrschaft und <strong>der</strong><br />
Krieg endlich vorüber sind, und zugleich das letzte Buchprojekt ihres Lebens, ist ein<br />
Werk über ein Thema, von dem in diesen Tagen des deutschen Selbstmitleids fast nie-<br />
mand etwas hören will: über den deutschen Wi<strong>der</strong>stand. Unermüdlich sammelt sie Quel-<br />
len und Zeugnisse, schreibt Briefe an Überlebende; noch einmal will sie zeigen, wie<br />
man als Historikerin und Erzählerin eingreifen kann in die Zeit, noch einmal will sie an<br />
jene politischen und moralischen Ideale erinnern, von denen ihr Werk seit Beginn des<br />
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