Minnesang und Hip Hop. Ein Vergleich zweier lyrischer ... - Start

Da sowohl Minnesang als auch Hip Hop beim ersten Zuhören
erfasst werden sollen, müssen beide auf einer hohen
Referenzialitätsstufe stehen, das heißt, sie müssen aus einem
großen Vorrat von als bekannt vorausgesetzten Zeichen schöpfen,
damit der Zuhörer Thematik und Sprachniveau folgen kann.
Dieser Zeichenvorrat setzt sich zusammen aus Topik,
Anspielungen, Zitaten und Floskeln, die eine gliedernde und
retardierende, der Langsamkeit des Zuhörens geschuldete
Funktion haben. Das oben erwähnte, im Minnesang wie im Hip
Hop oftmals verwendete Personalpronomen ‘sie’ ist als Zeichen
nur verständlich, wenn konventionell festgelegt ist, auf wen es
sich bezieht. Auch die Vogelstimmenmetaphorik erscheint nur
sinnvoll, wenn der Hörer über den konzeptionellen
Zusammenhang zwischen Minne, Dienst und Sang aufgeklärt ist 28 .
Gleiches gilt für die Topoi der ‘huote’ oder der ‘staete’. Die Topik
des Hip Hop umfasst unter anderem Omnipotenzphantasien,
‘gangsterism’, sexuelle Anzüglichkeiten, Isolation, Verfolgung. In
letzter Zeit zeichnet sich eine Transformation dieses Kanons ab,
so zum Beispiel mit der LP ‘Da dirty 30’ (1997) von Da Cru, die
vollständig aus stilistischen und inhaltlichen Verweisen auf die
Geschichte der Popmusik zusammengesetzt ist.
6. Umgang mit Autoritäten
Beide Lyrikformen stecken den rezeptionellen Rahmen ihrer
Kultur eng ab, indem sie eine überschaubare Zahl von Autoritäten
akzeptieren, die sie aber dafür umso deutlicher in den
Vordergrund stellen. Im Minnesang sind dies vor allem religiöse
Konnotationen und das Werk der Minnesänger selbst. Im Hip Hop
28 Vgl. über diesen Zusammenhang allgemein: Sabine OBERMAIER, Von Nachtigallen und
Handwerkern. ‘Dichtung über Dichtung’ in Minnesang und Sangspruchdichtung, Tübingen 1995.
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