Minnesang und Hip Hop. Ein Vergleich zweier lyrischer ... - Start
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<strong>und</strong> gewisse strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen <strong>Minnesang</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Hip</strong> <strong>Hop</strong> aufzuzeigen. Wenn ich, wie ich hoffe, Sie überzeugen<br />
kann, dass mein <strong>Vergleich</strong> nicht völlig an den Haaren<br />
herbeigezogen ist, kann ich auf diese Weise vielleicht den<br />
<strong>Minnesang</strong> in einem unbekannten Licht erscheinen lassen <strong>und</strong><br />
wenigstens einen kleinen Beitrag zur Debatte um Faktizität <strong>und</strong><br />
Fiktionalität von Dichtung leisten.<br />
Anhand von elf Thesen will ich erläutern, warum ich von einer<br />
Theorie der performativen Lyrik spreche <strong>und</strong> wie ich diese<br />
meinem Verständnis von <strong>Minnesang</strong> <strong>und</strong> <strong>Hip</strong> <strong>Hop</strong> zugr<strong>und</strong>e lege.<br />
Dabei werde ich mich überwiegend um solche Ähnlichkeiten<br />
bemühen, die mit einem pragmatischen Ansatz ans Licht gebracht<br />
werden können. Auf die meisten klassischen Fragen der<br />
<strong>Minnesang</strong>forschung werde ich dabei nicht eingehen. Die Thesen<br />
im <strong>Ein</strong>zelnen:<br />
1. Oralität / Vokalität<br />
Sowohl die Lyrikhandschrift als auch die <strong>Hip</strong>-<strong>Hop</strong>-Platte sind wie<br />
Beuyssche Installationen zunächst Erinnerungsstücke an eine<br />
aktionshafte, einmalige Aufführung. <strong>Minnesang</strong> <strong>und</strong> <strong>Hip</strong> <strong>Hop</strong><br />
haben ihren Ursprung in dem, was wir heute Performance nennen;<br />
beide erlebten jedoch rasch eine Hinwendung zur schriftlichen<br />
beziehungsweise aufnahmetechnischen Fixierung, bis schließlich<br />
die Reproduzierbarkeit eines Textes an Wert gewann <strong>und</strong> seine<br />
orale Herkunft in Vergessenheit geraten ließ. Die Verschiebung<br />
von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit geschieht nicht immer in<br />
einem historisch-chronologischen Ablauf, sondern zunächst nur im<br />
Prozess der Rezeption <strong>und</strong> kann immer wieder von Neuem<br />
beginnen. In jedem Falle bewahrt sowohl die Handschrift als auch<br />
die Schallplattenaufnahme die Erinnerung an ihren oralen oder<br />
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