Minnesang und Hip Hop. Ein Vergleich zweier lyrischer ... - Start
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<strong>und</strong> die die eurozentrische Schriftlichkeit in Frage stellen. Im<br />
zwölften Jahrh<strong>und</strong>ert wäre es eher die literale Kultur des Klerus,<br />
von der sich das höfische Singen <strong>und</strong> Erzählen abhebt. <strong>Minnesang</strong><br />
wirkt für den ehedem illiteraten Adel identitätsstiftend <strong>und</strong> wird<br />
entsprechend von der Domäne der Schriftkultur in den Klöstern<br />
zunächst angefeindet 49 .<br />
Es mag kühn erscheinen, die höfische Lyrik des zwölften<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts in einem Atemzug mit <strong>Hip</strong> <strong>Hop</strong> als Ausdrucksform<br />
einer marginalisierten Kultur zu bezeichnen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der erdrückenden Tradition <strong>und</strong> schieren Überfülle lateinischer<br />
Literatur jedoch erscheint die Oralität von <strong>Minnesang</strong> vielleicht<br />
nicht als bewusst eingesetztes, doch als signifikantes <strong>und</strong><br />
wirksames Mittel der Differenz, <strong>und</strong> zwar nicht an der relativ<br />
durchlässigen Grenze zwischen hohem <strong>und</strong> niederem Adel,<br />
sondern an der zwischen weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Kultur.<br />
Mit meiner Auflistung von aufführungspraktischen, strukturellen<br />
<strong>und</strong> soziologischen Analogien zwischen <strong>Hip</strong> <strong>Hop</strong> <strong>und</strong> <strong>Minnesang</strong><br />
habe ich mehr oder weniger gesicherte Forschungsergebnisse aus<br />
der Mediävistik missbraucht, um meiner Beschäftigung mit der<br />
49 Obwohl sich der Dichter des ‘Pilatus’-Prologs gegen den Vorwurf wendet, das Deutsche eigne<br />
sich nicht zum Dichten („Man sagit von dûtscher zungen, siu sî unbetwungen, ze vôgene herte“<br />
[Karl WEINHOLD, Zu dem deutschen Pilatusgedicht. Text, Sprache <strong>und</strong> Heimat, in: ZfdPh 8 (1877),<br />
253 - 288, hier 272]), verläuft die Kluft weniger zwischen den Sprachen als vielmehr zwischen<br />
weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Dichtung. Die feindselige Haltung des Klerus gegenüber profaner<br />
Literatur hat sich im Hochmittelalter zwar abgeschwächt <strong>und</strong> ist nicht mehr so entschieden wie<br />
noch bei Alkuin, der an den Bischof von Lindisfarne schreibt: „Angusta est domus utrosque<br />
[sermones patrum et carmina gentilium] tenere non poterit.“ (MGH, Epistulae Merovingici et<br />
Carolingici aevi IV, 124) Dennoch wird die Faszination der weltlichen Literatur zumindest als<br />
ambivalent erlebt. Zu diesem umfangreichen Komplex vgl. Hanns FISCHER, Deutsche Literatur <strong>und</strong><br />
lateinisches Mittelalter, in: I. Glier / G. Hahn (Hgg.), Werk, Typ, Situation. Festschrift für Hugo<br />
Kuhn, Stuttgart 1969, 1 - 19 <strong>und</strong> Nikolaus HENKEL / Nigel F. PALMER, Latein <strong>und</strong> Volkssprache im<br />
deutschen Mittelalter. 1100 - 1500, Tübingen 1992.<br />
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