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Wir haben bei solchen Vorgängen indes kein Dampfkessel- oder Vulkanmodell<br />

anzunehmen, denn es wurde – anders als es der Alltagsverstand meint – nichts<br />

„aufgestaut“. In der Tat: „The brain is not bottled up“. Diese in vielen Therapieschulen<br />

gängige falsche Vorstellung aufgestauter Gefühle, aus der simple Therapiestrategien<br />

der kathartischen Abfuhr (von Aggression oder Trauer) abgeleitet wurden und<br />

werden, muss man aufgeben (Bloem, Moget, Petzold 2004, Petzold 2004l). Vielmehr<br />

hinterl<strong>as</strong>sen bedrohliche Situationen, Gefahren, traumatische Ereignisse nachhaltige<br />

neurobiologische Spuren u.a. durch amygdaloides Lernen (LeDoux 1998). Es<br />

entsteht durch biographische „stress<strong>full</strong> life events“ bedingte Angst, Wachsamkeit,<br />

eventuell leicht zu triggernde Alarmierheit und Beunruhigung. Diese Spuren und die<br />

mit ihnen verbundene Gedächtnisdynamik mit ihren Bereitschaftspotentialen l<strong>as</strong>sen<br />

sich neurophysiologisch nachweisen, wie fMRI-Untersuchungen gezeigt haben.<br />

Allerdings werden negative und positive Ereignisse zerebral unterschiedlich<br />

abgespeichert (Piefke et al. 2003). Unter einer evolutionsbiologischen bzw.<br />

evolutionspsychologischen Perspektive – sie sollte in der Psychotherapie eine<br />

größere Bedeutung gewinnen (Bischof 1985; Buss 2004; Kennair 2006; Petzold<br />

2006) – sind Langzeitspeicherungen von emotionalen Ereignissen insgesamt sehr<br />

sinnvoll, denn aus Gefahren oder Kat<strong>as</strong>trophen zu lernen, ist überlebenssichernd –<br />

zumal in wilden Zeiten. Die differentielle Abspeicherung von positiven Erfahrungen<br />

hat wohl die Funktion, d<strong>as</strong>s sie möglichst nicht durch traumatisches Material<br />

„kontaminiert“ werden sollen, sonst würden sie ggf. ihre stresspuffernden<br />

Wirkmöglichkeiten verlieren.<br />

Traumaerinnerungen und -nachwirkungen sind demnach als biologisch funktionaler<br />

Mechanismus zu sehen und sollten nicht – wie leider durch die<br />

Pathologiezentriertheit in der Psychotherapie, ja in weiten Bereichen des klinischen<br />

Feldes durch den Einfluss des Freudschen Denkens oft üblich – vorschnell<br />

pathologisiert werden. Wären langzeitige Nachwirkungen von gefahrenbedingten<br />

Angstreaktionen dysfunktional, böten sie also keine Selektionsvorteile, wären sie<br />

ausselegiert worden. Sie sollen indes durch rechtzeitige Alarmierungen vor Schaden<br />

bewahren und sind deshalb höchst funktional und sinnvoll, es sei denn, diese<br />

Mechanismen sind entgleist, wie bei schweren posttraumatischen<br />

Bel<strong>as</strong>tungsstörungen. Die meisten Glucorticoidrezeptoren finden sich in Bereichen<br />

der Amygdalae und des Hippocampus (Joëls, de Kloet 1992), so d<strong>as</strong>s bei<br />

gefahrenbedingten m<strong>as</strong>senhaften Ausschüttungen von Stresshormonen, der<br />

Glucorticoid-K<strong>as</strong>kade (O’Brien 1997), sofort die Warn-, Gefahren- und<br />

Copingsysteme aktiviert werden. Damit es aber nicht zu einer Überreagiblität kommt,<br />

ist ein „präfrontal-kognitives Nachbearbeiten“ (appraisal) – Überdenken,<br />

Analysieren, Strategienbilden – notwendig, so d<strong>as</strong>s solche Reaktionen kontrollierbar<br />

gemacht werden, sonst blieben wir angstgeschüttelt und handlungsunfähig oder<br />

würden beständig mit dysfunktionalen Defensivaggressionen reagieren. Aber der<br />

präfrontale Kortex kann auf d<strong>as</strong> limbische System einwirken und es kontrollieren,<br />

Gefahren einschätzen (appraisal), Angst überwinden durch neue emotionale<br />

Ereignisbewertung (valuation) überschießende Reaktionen abfedern. D<strong>as</strong> gilt es<br />

therapeutisch zu nutzen. Außerdem kommen mit Trost, Beruhigung, Erfahrungen der<br />

Hilfe und Unterstützung durch wohlmeinende Helfer und Freunde externale<br />

Ressourcen als „protektive Faktoren“ zum Tragen (Petzold 1997p; 2004l), die –<br />

können sie verinnerlicht werden – als „innere Beistände“ (idem 1985l) zu inneren<br />

Ressourcen werden und Resilienz fördern (Petzold, Goffin, Oudhof 1993; Petzold,<br />

Müller 2004; Inger, Borge 2003). Zum kognitiven Processing kommt damit ein<br />

„limbisch-emotionales Nachbearbeiten“ durch emotional stützende Gespräche mit<br />

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