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Schweigen, d<strong>as</strong> ein notwendiges Schreien zu Gott ist: Warum h<strong>as</strong>t du<br />

geschwiegen?" („Wo war Gott?“ Ratzinger 2006). Die Frage des Papstes ist nicht zu<br />

beantworten, wurde von ihm selbst auch nicht beantwortet! Aber Menschen können<br />

aus dem Schweigen herauskommen. Sie können reden, müssen reden, müssen<br />

versuchen, Antworten zu finden, auch auf die Gefahr hin, d<strong>as</strong>s sie nicht immer die<br />

richtigen Worte finden, w<strong>as</strong> der jüdische Publizist Sever Plotzker (2006) an der<br />

Papstrede bitter beklagte – und er hat gewichtige Gründe, zu denen oder gegen die<br />

andere wiederum auch gute Gründe beibringen könnten. Aber d<strong>as</strong> führt nicht weiter,<br />

es sei denn, d<strong>as</strong>s man sich entscheidet, durch ko-respondierende Konsens-<br />

Dissensprozesse hindurch zu einem Sich-Verständigen zu kommen, um einander<br />

zu verstehen. Man muss d<strong>as</strong> wollen! Wir haben keine andere Chance, um zu einer<br />

Versöhnung zu kommen, im Sinne eines Abtragens von Schuld (von versühnen,<br />

mhd. versüenen, versuonen, zu sühnen, d. h. eine Schuld abbüßen, ver|söh|nen<br />

[älter: versühnen, mhd. versüenen, versuonen, zu sühnen, Duden - Deutsches<br />

Universalwörterbuch 2003), nicht unbedingt im Sinne einer familialfreundschaftlichen<br />

Annäherung, wenn man „Versöhnung“ populäretymologisch<br />

interpretiert: sich wieder zum Sohn machen, denn d<strong>as</strong> ist manchmal nicht möglich,<br />

wenn zu viel Schlimmes geschehen ist. Aber man kann wieder zu einer Haltung<br />

wechselseitigen Respekts und zu einem gemeinschaftlichen Engagement für<br />

bessere Lebens- und Weltverhältnisse kommen.<br />

Die Geschichten von Unrecht und Leid, Gewalt und Tod, die „Klageanlässe“, sind alt<br />

in der Menschheitsgeschichte – und immer wieder auch neu, leider! Sie haben stets<br />

Anstrengungen des Verarbeitens, Trost, Verzeihen, Versöhnung notwendig gemacht,<br />

auch wenn sie sich immer wieder wiederholt haben. Die blutigen Erzählungen gehen<br />

zurück in die Frühzeiten der Hominisation. Die Kain-Abel-Geschichte (Wyss 1997),<br />

als Geschichte von Tötung, Schuld, Strafe. die die Menschen nie losgel<strong>as</strong>sen hat,<br />

wie ein Blick in Literatur zeigt (Gellner 2006), metaphorisiert, w<strong>as</strong> die<br />

paläoanthropologischen, frühgeschichtlichen und geschichtlichen Befunde zeigen:<br />

Krieg ist ein alle Epochen, Kulturräume und Gesellschaftsformen übergreifendes<br />

Phänomen. Krieg, gewaltsame Menschentötung, Bruder- und Vatermord, Pogrome<br />

und Kannibalismus findet sich schon in den frühen Menschenkulturen immer wieder<br />

(Tannahill 1975; Behm-Blanke 2005). Es gibt Seiten des Menschen, über die kann<br />

man nur untröstlich sein!<br />

Über „dunkle Seiten“ des Menschlichen<br />

Wir Menschen haben dunkle Seiten (Petzold 1986h, 1996j, 2008b), Böses, d<strong>as</strong><br />

ganz banal und alltäglich besonders in „finsteren Zeiten“ (Arendt 1986, 1989)<br />

aufkommen kann, Seiten mit denen wir uns nicht gerne auseinandersetzen. Wer<br />

denkt schon gerne über Konzentrationslager und Gulags (Kizny 2004), Stätten<br />

„menschlicher Unmenschlichkeit“, nach. Und wenn d<strong>as</strong> geschieht kommen<br />

natürlich Fragen auf, Fragen an uns selbst, Fragen über unsere Natur: „Wer machte<br />

den Menschen d<strong>as</strong> böse Blut?“ (Gellner 2006) – Wer tröstet Kain/den Menschen, wer<br />

jagt ihn? Wer schützt Abel/den Menschen, wer verrät ihn, lässt ihn im Stich? Wer<br />

klagt Kain/den Menschen an, wer verteidigt ihn (vgl. Hilde Domin, „Abel steh auf“<br />

1953/1970). Wer versöhnt Kain und Abel/die Menschen? Wer erlöst den Menschen<br />

vom Menschen, von den „dunklen Seiten des Menschlichen“? Es gibt diese<br />

großen Themen über uns selbst in der Literatur aller Völker (d<strong>as</strong> Kain-Thema, d<strong>as</strong><br />

Jud<strong>as</strong>-Thema, d<strong>as</strong> Erlöser-Thema usw.), Themen über die tiefe Zwiespältigkeit<br />

unseres Wesens, d<strong>as</strong> nach Versöhnung seiner Antagonismen sucht, nach Trost,<br />

über unsere Zerrissenheit, nach Besänftigung für unsere Gewalttätigkeit, nach Ruhe<br />

für unsere Unruhe, Beunruhigung, Ruhelosigkeit, nach Frieden ... D<strong>as</strong> sind zutiefst<br />

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